Die Wölfe 5 ~Das Blut des Paten~ von Enrico (Teil V) ================================================================================ Kapitel 30: ~Das Dach~ ---------------------- Für den Rückweg brauchen wir drei Tage, doch als wir New York erreichen, überkommt mich ein wehmütiges Gefühl. Nicht mal ganz zwei Tage haben wir am Strand liegen können, die restliche Zeit sind wir gefahren. Selbst im Urlaub haben wir einfach keine Ruhe. Mein Blick wandert zur Seite auf den Beifahrersitz. Toni hat die Augen geschlossen, er schläft schon seit gut einer Stunde. Den ganzen Tag ist er gefahren, erst als es dunkel wurde, haben wir getauscht. Ich will mit ihm noch gar nicht zurück in unser Leben, in das Chaos, das uns dort erwartet. Noch will ich nicht wissen, was es ist, das Michael uns auf diese seltsame Weise sagen will. Der Urlaub und die schöne Zeit, soll noch nicht vorbei sein. Die Häuser fliegen an mir vorbei, in der Ferne kann ich zwischen zwei Wohnblocks ein mehrstöckiges Haus herausragen sehen. Es ist verfallen, die Fensterscheiben eingeschlagen, an der Fassade fehlt großflächig der Putz. Das steht noch? Ein freudiges Lächeln überkommt mich. Ich schaue von dem Haus zu Toni. Er schläft noch immer, was er wohl sagen wird, wenn ich dort hinten und nicht vor dem Club parken werde. Wenigstens noch diese eine Nacht, wenigstens noch heute, bevor unsere Welt morgen wieder in Scherben liegt. Ich nehme die nächste Abfahrt und verlasse den Highway. Den Weg finde ich, ohne mich wirklich auf die Straßen konzentrieren zu müssen. Wir sind ihn so oft gegangen, als Kinder beinah jeden Tag. Hier, nicht weit von unserer Fabrik, lag dieser Ort der nur uns gehörte, an dem uns Raphael nicht finden konnte und an dem sich auch sonst niemand daran störte, dass sich zwei Jungen zugetan waren. Ich stoppe den Wagen direkt vor dem verfallenen Haus und schaue an der Fassade hinauf. Es fehlen noch viel mehr Ziegelsteine, als ich es in Erinnerung habe. Die meisten Fenster sind mit Brettern vernagelt, und keine Fensterscheibe ist mehr intakt. Der Zahn der Zeit ist auch weiterhin unbarmherzig darüber hergefallen. Dabei ist es schon in unserer Kindheit eine Ruine gewesen und trotzdem wird mir immer wärmer ums Herz, je länger ich diesen Ort betrachte. Hier war mein Himmelreich und seines auch. Wieder schaue ich zu ihm. Ich bin so auf seine Reaktion gespannt, wenn er sieht wo wir sind. Aber soll ich ihn wirklich dafür wecken? Er ist gerade erst eingepennt, es ist schon unmenschlich ihn jetzt aus dem Schlaf zu holen, wo er doch so lange gefahren ist. Aber ich kann einfach nicht anders. Ich rutsche auf meinen Sitz näher zu ihm und lege meinen Kopf an sein Ohr. „Toni“, flüstere ich ihm zu, und streiche ihm sanft über die Wange. Er rührt sich nicht, ist sein Schlaf wirklich so fest? „Toni“, versuche ich es noch einmal etwas lauter. „Sind wir schon da?“, murmelt er verschlafen, ohne die Augen zu öffnen. „Ja, sind wir.“ Meine Stimme zittert, in vorfreudiger Erwartung. Toni gähnt ausgiebig und streckt die Arme weit nach hinten über den Sitz. Verpennt schaut er durch die Frontscheibe hinaus und hat vom Gähnen Tränen in den Augen. Einen Moment lang schaut er einfach nur, dann klart sich sein Blick zunehmend auf und wird fragend. Er sagt nichts, sondern sieht an der Fassade hinauf. Schmunzelnd beobachte ich ihn dabei. „Das gibt’s doch nicht! Es steht noch!“, ruft er schließlich. Ich lächle ihn fröhlich an. „Was meinst du? Lassen wir alle Geschäfte mal sein und verbringen unsere letzte Urlaubsnacht auf unserem Dach?“ Auf Tonis sonst so ernsten Gesichtszüge, schleicht sich ein freudiges Lächeln, die Müdigkeit ist aus seinen Augen verschwunden und einem erwartungsvollen Strahlen gewichen. Er nickt zustimmen und steigt aus. Ich folge ihm und schlage die Wagentür nach mir zu. Gemeinsam kämpfen wir uns durch das hochgewachsene Gras und die unzähligen Sträucher, die das ganze Grundstück überwuchern. Obwohl es stockfinster ist, finden wir den Weg zur Feuerleiter problemlos, doch ob das alte, rostige Teil unser Gewicht aushält? Den Leitern fehlen etliche Sprossen und viele der Verschraubungen sind lose oder stark verrostet. „Wollen wir es trotzdem wagen?“ Will ich von Toni wissen, der die Leiter eben so skeptisch betrachtet, wie ich. „Wir müssen ja nur bis zum zweiten Stock kommen“, meint er und deutet nach oben. Mein Blick folgt seinem Fingerzeig. Das Fenster im zweiten Stock steht noch immer offen, alle anderen auf dieser Seite sind mit Brettern vernagelt. Wenn wir es bis dort hinauf schaffen, können wir ins Haus einsteigen und von dort weiter über das Treppenhaus hinauf. Ein Versuch ist es wert. Ich nicke zustimmend und klettere Toni nach, als dieser voraus geht. Die Leiter knarrt und ächzt unter uns, sie ist wacklig und jeder weitere Schritt in der Dunkelheit hinauf, wie eine Mutprobe. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, ein feuriges Kribbeln überzieh meinen Körper mit einer Gänsehaut. Diesen Weg habe ich deutlich stabiler in Erinnerung, immer wieder müssen wir große Lücken zwischen den einzelnen Streben überwinden. Ich bin heil froh, als wir endlich den zweiten Stock erreichen und durch das Fenster auf festen Boden gelangen. Auch hier ist alles Stockfinster, das wenige Licht, das von den Straßenlaternen herein fällt, wirft nur dunkle Schatten an die Wände und trotzdem. Ich kenne jeden Winkel hier. Rechts von uns steht ein großer Kamin. Im Winter haben wir hier und nicht auf dem Dach gelegen. Mit einem Feuer und etlichen Kerzen wurde es angenehm warm. Ob die Decken und Kissen, die wir uns damals zusammengeklaut und hier rauf gebracht haben, noch immer vor dem Kamin liegen? Toni pirscht sich in die Dunkelheit, ich kann seine Gestalt nur als schemenhafte Umrisse verfolgen. Er bahnt sich einen Weg bis zum Kamin und sucht dort den Sockel ab. Schließlich wird er fündig und zieht aus der Hosentasche sein Feuerzeug. Er zündet eine große, breite Kerze an, die den Raum in schummriges Licht taucht. Unter einer dicken Staubschicht begraben, liegen unsere Decken und Kissen noch immer vor dem Kamin. Selbst ein Stapel Comichefte und einige zerbrochene Schallplatten, haben die Zeit überdauert. Stundenlang haben wir hier herum gelegen Musik gehört und gelesen, uns neue Dummheiten ausgedacht und aufgewärmt, bevor wir wieder auf Beutezug gegangen sind und die Stadt unsicher gemacht haben. An den Wänden sind überall Zeichnungen von mir. Wölfe laufen daran entlang, sie waren damals mein Lieblingsmotiv. Auf dem Fensterbrett stehen noch immer Pinsel und eingetrocknete Farben. Es ist so lange her und trotzdem glaube ich mich selbst zu sehen, wie ich dort neben dem Fenster knie und das weit aufgerissene Maul zeichne, das einen asiatischen Drachen verschlingt, während Toni auf dem Schaltplattenspieler ein Fenster weiter, eine neue Platte auflegt. Ob der noch funktioniert? Während ich mich über die knarrenden Dielen voran taste, zündet Toni noch mehr der Kerzen an, die auf dem Kaminsims verteilt stehen. Es wird immer heller. Als ich das Gerät erreiche, muss ich es erst einmal von der dicken Staubschicht und den etlichen Spinnweben befreien. Der Lautsprecher ist stark verrostet, wie alle anderen metallischen Bauteile auch. Als ich versuche die Kurbel zu drehen, rührt sie sich nicht. Es steht eben einfach zu lange hier. Die Platte darauf hat in der Mitte einen großen Sprung. Als ich sie anhebe, bricht sie durch. Schmunzelnd drehe ich mich damit zu Toni. „Jazz fällt heute Abend wohl aus!“ Er lächelt mich wehmütig an und kommt die wenigen Schritte, die uns noch trennen, zu mir. Er nimmt mir eine der Hälften ab und schaut sich die vergilbte Beschriftung an. „Das hab ich schon ewig nicht mehr gehört. Wir sollen uns die Platte noch mal kaufen.“ „Meinst du, die bekommen wir noch irgendwo?“ „Vielleicht auf nem Flohmarkt!“ „Aber bei ner neuen Platte knackt es nicht mehr in der Mitte des Liedes drei mal. Das wird mir voll fehlen“, gebe ich zu bedenken. „Ja, du hast dich jedes Mal aufs Neue darüber aufgeregt“, lacht Toni. Ich lächle wehmütig. Wie gern wäre ich jetzt noch mal fünfzehn und so frei und ungebunden, wie damals. Toni bleibt mein trauriger Blick nicht verborgen. Er legt mir seine Hand um die Wange und sieht mich aufmunternd an. „Lass uns aufs Dach gehen. Vielleicht liegt dort noch unser Radio. Dann suchen wir einen Sender, der auch die alten Lieder spielt“, schlägt er vor. Ich nicke und folge ihm, als er zurück zum Kamin geht. Er nimmt sich zwei der dicken Kerzen und reicht mir eine davon. Mit dem flackernden Licht ausgestattet, suchen wir uns einen Weg durch die Flure und Zimmer, bis ins Treppenhaus. Wir folgen den abgetretenen Stufen aufs Dach. Als Toni die Tür für uns öffnet, komm ich mir vor, wie auf einer Zeitreise. Die Lichter der Stadt strahlen in allen Farben. Obwohl es Nacht ist, kann ich mich an jeden Stein, jedes Ziel und an all die anderen Dinge erinnern, die wir hier oben aufgebaut haben. Links steht unsere 'Höhle', ein Bretterverschlag, denn wir reichlich schief und Krumm zusammen genagelt haben. Die Seidenwände sind mir Decken behangen, doch von den vier Stück, flattert nur noch eine im Abendwind. Sicher haben Stürme und Gewitter die andren Drei weggerissen. Rechts steht ein langer Tisch, auf ihm stapeln sich fünf rostige Dosen, auf dem Boden rollen auch einige herum. Fast alle haben Löcher. Sie sind unsere Ziele gewesen. Am Anfang haben wir uns noch Zwillen gebaut, weil Raphael uns den Umgang mit Schusswaffen verboten hat, später, als uns die Drachen immer mehr zu setzen, habe wir uns gegen sein Verbot durchgesetzt und Pistolen benutzt. Hier oben habe ich schießen gelernt, aber mit Toni habe ich nie mithalten können. So oft hat er versucht es mir beizubringen und dabei hinter mir gestanden, meinen Arm und die Hand gehalten und ausgerichtet. Meistens habe ich gerade dann daneben geschossen, weil ich viel zu abgelenkt von seiner Nähe war. Von dem Tisch und den Dosen wandert mein Blick zu ihm. Mit all diesen Erinnerungen in mir, muss ich ihn einfach liebevoll anlächeln. Er schmunzelt verlegen und sieht zur Seite weg. Schließlich geht er weiter bis zur 'Höhle'. Er stellt seine Kerze daneben auf dem Boden ab und schlägt die Decke über den Bretterverschlag, dann kriecht er hinein. Seine Gestalt verschwindet ganz darin, als ich zu ihm gehe, gibt es neben ihm keinen Platz mehr. Er ist viel größer geworden. Mittlerweile können wir dort nicht mehr zusammen einschlafen. Was er wohl sucht? Mit einer Blechkiste und einem Brett auf das Dräten, einem Lautsprecher und einer Spule genagelt sind, kommt er wieder heraus gekrochen und setzt sich vor den Bretterverschlag in den Schneidersitz. Unser selbstgebautes Radio stellt er zur Seite, die Kiste legt er sich in den Schoß. Sie ist also tatsächlich noch hier? Ich setze mich zu ihm und schaue ihm erwartungsvoll beim Öffnen zu. Mein erster Blick fällt auf einen dreckigen Baseball. Den habe ich bei einem Besuch mit meinem Vater im Stadion gefangen. Eigentlich wollte ich ihn von Babe Ruth unterschreiben lassen, doch wir sind an dem Tag nicht bis zu ihm durch gekommen. Weil ich deswegen wie ein Schlosshund geheult habe, hat ihn mein Vater unterschrieben. Das war kurz bevor er an den Docks ums leben kam. Die Buchstaben sind ganz verblasst und kaum noch zu entziffern, ich habe ihn zu oft in die Hand genommen und an meinen Vater gedacht. Die rechte Hälfte des Balls ist verbrannt. Er ist der einzige Gegenstand, den mein Bruder aus den Trümmern unseres abgebrannten Hauses retten konnte. Ich wusste gar nicht mehr, dass ich ihn dort drin aufbewahrt habe. Ein wehmütiges Lächeln zwingt sich mir ins Gesicht, als ich ihn an mich nehme. Neben dem Ball liegen noch etliche Münzen, Murmeln, alte Kaugummis und eine goldene Glocke in der Dose. Hat die Glocke nicht mal Tonis Kater gehört? Er nimmt sie heraus und lässt sie klingen. Ich wusste gar nicht, dass er sie dort hinein getan hat, nachdem der Kater überfahren wurde. Als wir den Perser auf der Straße vor unserer Fabrik gefunden haben, habe ich Toni das erste mal richtig heulen gesehen. Auch jetzt betrachtet er sie mit gläsernem Blick. Das gemeingefährliche Tier ließ sich nur von ihm streicheln und hat sich sogar mit meinen Schäferhunde angelegt. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich über den Kater nachts gestolpert bin und meine Beine bis zu den Oberschenkeln zerkratzt waren. Ich war nicht wirklich traurig über seinen Verlust, nur um Toni tat es mir leid. Der Kater hat ihn seit seinem neunten Lebensjahr begleitet. „Vielleicht sollten wir dir eine neue Katze besorgen!“, schlage ich ihm vor, als er noch immer wehmütig die Glocke betrachtet. Er schüttelt mit dem Kopf. „Nein, wenn mir was passiert, muss sich das arme Tier allein durchschlagen.“ Traurig das er so denkt. Ich lege ihm meine Hand um die Wange und küsse seine Lippen. Lächelnd schaue ich in seine smaragdgrünen Augen und versichere ihm: „Ich passe schon auf dich auf.“ Er schmunzelt amüsiert. „Von wegen, wer muss den ständig wessen Arsch retten?“ Na wenigstens lächelt er wieder. Den dummen Spruch überhöre ich kommentarlos und greife noch einmal in die Kiste. Ich räume die Münzen und Murmel von einer zur anderen Seite. Irgendwas glänzt dort unten golden. Was das wohl ist? Zum Vorschein kommt eine Taschenuhr, meine Taschenuhr. Wie kommt die denn dort rein? Ich habe sie mir von dem Geld unseres ersten Auftragsmordes gekauft und eigentlich immer bei mir getragen, auch bei dem Überfall vor fünf Jahren. Den Deckel klappe ich auf, die Zeiger sind stehen geblieben und das Glas ist gesplittert. Sicher ist es bei den harten Tritten gebrochen, die ich einstecken musste. Aber wie kommt sie hier her? Toni nimmt mir die Uhr ab und fährt über die kunstvoll gearbeitet Vorderseite. „Nach deinem Tod, war ich nur ein Einziges mal hier oben.“ Dann hat er sie also dort hinein getan? „Ich habe es keine zehn Minuten hier ohne dich ausgehalten“, sagt er leiser und mit zitternder Stimme. Er klappt die Taschenuhr zu und wendet den Blick ab. „Hey ich lebe und ich sterbe nicht vor dir, versprochen!“ Aufmunternd sehe ich ihn an, doch er bekommt nur ein verkrampftes Lächeln zu Stande. „Lass uns das Radio an machen“, schlage ich vor und ziehe das Brett mit den Drähten zu mir. Als ich zwei von ihnen miteinander verbinde, ist leises Rauschen zu hören. Ich richte die Antenne aus, es knackt und knirscht grausam, dann kommt eine fremde Stimmen durch, schließlich ein Lied, gesungen von einer Frau. Vorsichtig stelle ich es vor uns ab. Noch klingt es klar, doch als ich die Hände weg nehme, stört es wieder. Das ist einfach nur grauenvoll. Wie haben wir das früher nur ausgehalten? „Das nächste Mal sollten wir ein richtiges Radio mitbringen!“ „Das nächste Mal?“, will er wissen und sieht mich erwartungsvoll an. „Ja, wir sollten wieder öfter hier her kommen.“ In unserem ersten Jahr auf der Straße, sind wir jeden Tag hier gewesen.Wir konnten tun wonach uns der Sinn stand: In Unterhose über das Dach rennen, Dosen schießen, Schreinen, toben und übereinander herfallen. Allein bei einem Blick in den Bretterverschlag, steigen heiße Gefühle in mir auf. Wie oft haben wir dort drin gevögelt und unsere Körper erforscht. Schade das wir jetzt nicht mehr zusammen da rein passen. Ich grinse ihn verschmitzt an, es ist so eine geile Zeit gewesen. Wann und warum hat das aufgehört? Toni lässt sich rücklings auf das Dach fallen. Er legt die Hände hinter den Kopf und schaut in den Himmel. Sein Blick ist auf die wenigen Sterne gerichtet, die es schaffen, gegen das Licht der Stadt anzukommen. Er lächelt immer wieder. Ich lege mich zu ihm und meinen Kopf auf seinen Oberkörper. Mein Gott, wie lange habe ich das nicht mehr gemacht, einfach nur mit ihm dazuliegen? „Kannst du dich noch an den Meteoritenschauer erinnern?“, will er auf einmal wissen. Ich muss einen Moment überlegen. Wir lagen genau wie heute hier und haben den Himmel beobachtet. Damals konnte man noch ein zwei Sterne mehr sehen. „Ja!“, sage ich nur und genieße das warme Gefühl der Erinnerung. Wir haben den ganzen Tag hier oben verbracht, haben die Würste verschlungen, die wir beim Metzger gestohlen haben und für die er uns übelst vermöbelt hat. Keine Ahnung, wie wir die trotzdem dort raus geschmuggelt haben. Mir tat zwar alles weh, doch ich war mächtig stolz auf unseren Raubzug und die Würste haben hundert mal besser geschmeckt, als die, die ich heute kaufe. Alles was wir damals geklaut haben, hat irgendwie besser geschmeckt. Vielleicht, weil wir immer hungrig waren und essen schwer zu besorgen gewesen ist? Als wir am Abend wie zwei vollgefressene Wölfe auf dem Dach herumlagen und uns nicht mehr drehen konnten, fielen dutzenden Sternschnuppen vom Himmel. „Du hast mir nie erzählt, was du dir an dem Abend gewünscht hast“, fährt Toni fort. Ich betrachte die hellen Punkte am Himmel und versuche mich zu erinnern, doch mir fällt kein Wunsch ein, weil ich ich in diesem Moment gar keinen hatte. „Ich habe mir nichts gewünscht!“ „Ehrlich?“ Toni wendet seinen Blick mir zu und betrachtet mich ungläubig. Ich lächle ihn liebevoll an, als ich ihm sage: „Ich hatte keinen Wunsch an dem Abend. Ich war satt und lag bei dir. Ich war glücklich und damit zufrieden.“ Toni schaut mich verliebt an, er beugt sich zu mir und küsst mich. Seine Lippen schmecken wie damals, wie der Hauch von Freiheit. Wenn wir doch nur für immer hier oben bleiben könnten und noch einmal so jung und unbekümmert wären. Als sich Toni von mir löst, sehe ich ihn eindringlich an. „Was hast du dir denn damals gewünscht?“ Er schmunzelt verlegen und legt sich wieder hin. „Reich zu sein“, sagt er. Na toll, das ist jetzt nicht das, was ich nach meiner Beichte hören will, aber andererseits, wir waren bettelarm und jeder Tag ein Kampf ums Überleben, der Wunsch also verständlich. Trotzdem komme ich nicht gegen den enttäuschen Blick an, der sich mir ins Gesicht zwingt. „Und hat sich dein Wunsch jetzt erfüllt?“, will ich wissen. Reicht ihm das Geld, das wir jetzt zum Leben haben? „Ja, aber ich habe mit dem Geld nicht das gemacht, was ich vor hatte“, meint er nachdenklich. Was das wohl gewesen ist? „Was hattest du denn vor?“ Er lächelt in die Sterne. „Ich wollte dieses Haus hier kaufen, dann hätte uns nie wieder jemand von hier vertreiben können und es würde keiner wagen, es abzureißen.“ Wirklich? Das ist sein Wunsch gewesen? Jetzt bin ich es, der ihn verliebt ansehen und ihm einen Kuss geben muss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)