Home Sweet Home von Rabenkralle ================================================================================ Kapitel 11: Wenn der Sand den Regen trifft ------------------------------------------ Kapitel 11: Wenn der Sand den Regen trifft „Ich könnte kotzen!“, fluchte Kankurou, als er am Nachmittag nach Hause kam. Seine Schwester grinste. „Hat dich deine neue Freundin jetzt doch abserviert?“ „Gaara schickt mich auf eine Botschafter-Mission nach Kumogakure“, brummte er. „Das heißt, dass ich mindestens eineinhalb Wochen weg bin!“ „Du bist seit einem Jahr ausschließlich im Innendienst! Da muss dir doch klar gewesen sein, dass du bald auch mal wieder reisen musst.“ „Ja, schon … Aber warum ausgerechnet jetzt?“ „Vielleicht hättest du ihm von deinem Techtelmechtel erzählen sollen. Wahrscheinlich hätte unser lieber Bruder dann Mitleid mit dir gehabt und jemand anderen geschickt.“ Kankurou überging ihre Bemerkung und ließ sich auf die Couch fallen. „Ach, was soll’s. Tut mir vielleicht ganz gut, mal wieder rauszukommen“, murmelte er. „Einige Tage ohne Geschrei und voll gekackte Windeln sind eine willkommene Abwechslung.“ „Beschwerst du dich etwa gerade?“ Ihr Bruder zuckte die Achseln. „Falls du dir wegen deiner Liebsten Sorgen machst“, begann Temari. „Wenn sie es nicht mal die kurze Zeit ohne Sex aushält, ist sie es ohnehin nicht wert.“ „Warum quasselst du ständig davon, dass es was Festes ist?“, fragte er. „Es ist nur ein bisschen Spaß. Nichts Verbindliches.“ „Ach, gibt’s doch zu! Du bist doch verknallt von den Haarspitzen bis in die Zehennägel! Das erkennt jeder Volltrottel, selbst wenn er in eine andere Richtung guckt!“ Kankurou verzog eine angewiderte Miene. „Hör bloß auf, deine eigenen romantischen Gefühle auf andere zu übertragen und dir daraufhin Dinge einzubilden, die nicht da sind. Wir vergnügen uns nur und mehr nicht.“ „Ganz wie du meinst“, gab sie nach und lächelte. „Aber wenn ich irgendwann die Hochzeitsglocken läuten höre, werde ich dir das ewig unter die Nase reiben.“ Er sah sie an und verdrehte die Augen. „Am besten pack ich noch heute meine Sachen“, sagte er. „Von deinem kitschigen Geschwätz brauch ich schnellstmöglich Urlaub!“ „Nur zu. Dann haben Kairi und ich die Bude den ganzen Tag für uns.“ „Und wenn sie abends schläft, kannst du ordentlich die Sau rauslassen.“ Kankurou zwinkerte ihr zu. „Da wird sich Koutarou bestimmt drüber freuen.“ Temari schaffte es gerade so, dass ihr Grinsen nicht verschwand. „Wir werden sehen“, bemerkte sie nüchtern. „Sag bloß, ihr hattet Zoff!“ „Nein“, log sie, „er ist zu seiner Familie gereist und kommt erst in einer guten Woche wieder. Und ich glaube nicht, dass er danach großartig in Stimmung sein wird.“ „Ist jemand gestorben?“ „Scheint so.“ „Schade für dich. Schlechtes Timing.“ „Ja, ist es wirklich“, sagte sie, ohne es so zu meinen. „Aber ich komm schon zurecht.“ Kankurou legte die Stirn in Falten und meinte mit einem Achselzucken: „Na ja, bin ich wenigstens nicht der Einzige, der auf Sex verzichten muss.“ „Du bist ja so charmant und einfühlsam“, entgegnete sie sarkastisch. „So einfühlsam, dass ich jetzt gerne kotzen würde.“ „Entschuldige.“ „Bei mir musst du dich nicht entschuldigen, sondern bei Koutarou.“ Ihr Bruder winkte ab. „Er hat’s ja nicht gehört, also was soll’s.“ „Hast du vielleicht ein Glück!“ Im Gegensatz zu mir, dachte sie deprimiert. --- Seufzend pfefferte Temari ihr Buch auf die Couch. Es war Montagmittag, Kairi lag in einem ausgeprägten Koma, Gaara gönnte sich seit acht Monaten seinen ersten Kurzurlaub vom Kazekagedasein und Kankurou war seit vorgestern auf seiner Mission. Die ungewohnte Ruhe im Haus – nicht, dass ihre Brüder viel Lärm machten, aber trotzdem – zusammen mit der Tatsache, dass sie nichts Gescheites mit sich anzufangen wusste, wirkte sich nicht sonderlich gut auf ihre Stimmung aus. Sie dachte an Koutarou und sie hatte den Drang, sich am liebten sofort mit ihm auszusprechen. Sie hatte die perfekte Entschuldigung und Erklärung im Kopf ausformuliert und überlegte ernsthaft, ob sie sie aufschreiben sollte, um ja nichts Wichtiges zu vergessen. Da es allerdings bescheuert aussah, wenn sie vom Zettel ablas oder etwas runterratterte, das sie zwar ehrlich meinte, aber auswendig gelernt hatte, sträubte sie sich dagegen. Andererseits hatte sie auch keine Lust, einer Wortfindungsstörung zum Opfer zu fallen und so vielleicht noch alles schlimmer zu machen … Ja, das Leben war schon schwierig, wenn man zu viel Zeit zum Nachdenken hatte! Temari verwarf die Idee mit dem Brief und verließ sich ganz auf ihre Intuition. Letzten Endes kam es ohnehin meist anders als gedacht … Es klopfte an der Terrassentür. Matsuri stierte sie durch die Fensterscheibe an. Sie stand auf und ließ ihre Freundin herein. „Wir haben auch ’ne Vordertür, falls du es noch nicht bemerkt hast!“, begrüßte sie sie. „Die du abgeschlossen und deren Klingel du ausgestellt hast“, erwiderte sie und grinste. „Kairi soll ja auch schlafen.“ „Hättest du sie mal vor dem Schlafen ins Tuch oder in den Buggy gepackt, dann hätten wir eine Runde durchs Dorf drehen können.“ „Woher sollte ich wissen, dass du so viel Wert auf meine Gesellschaft legst? Außerdem haben wir uns erst vorgestern gesehen. Musst du denn nie arbeiten?“ „Sind doch nur acht Stunden am Tag! Die restlichen sechzehn muss man sich doch auch irgendwie vertreiben.“ „Schläfst du denn nie?“ „Okay, dann eben die restlichen acht“, verbesserte sie. „Und da bin ich deine erste Anlaufstelle? Was ist mit deinen ganzen Lovern?“ „Die haben erstmal Sendepause. Ich konzentriere mich momentan auf einen und der steht halt nicht immer zur Verfügung.“ Temari starrte sie verwundert an. „Du konzentrierst dich auf einen?! Ernsthaft?“ „Ernsthaft“, sagte Matsuri überzeugt. „Ich will mal schauen, wohin das Ganze führt. Die anderen halte ich mir aber trotzdem warm.“ „Was auch sonst.“ Die Jüngere verpasste ihr einen Rippenstoß. „Wie auch immer. Hast du mir was Interessantes zu erzählen oder sonst irgendein Problem, bei dem ich dir mit Rat und Tat zur Seite stehen kann?“ „Nichts, das du nicht schon weißt“, antwortete Temari. „Und du?“ „Nö, alles in Butter.“ „Und warum bist du dann hier?“ „Einfach so“, entgegnete sie. „Mir war langweilig, also dachte ich, dass ich mal meine beste Freundin besuchen könnte.“ „Hast du denn keine anderen Freunde außer mir?“ „Nur welche, mit denen ich auch penne und ich möchte nicht riskieren, dass ich der Versuchung doch nicht widerstehen kann.“ „Okay, ich verbessere meine Frage noch mal: Hast du keine anderen Freundinnen außer mir?“ Matsuri deutete ein Kopfschütteln an. „Glaub mir, das läuft auf dasselbe hinaus.“ Temari zog fragend eine Augenbraue nach oben. „Heißt das, dass ich auch auf deiner Liste stehe?“ „Nee, keine Sorge“, sagte ihre Freundin. „Du siehst zwar nett aus, bist aber nicht mein Typ.“ „Ach, das heißt doch nichts. Genau dasselbe hab ich damals über Shikamaru gesagt.“ Sie schlug sich die Hand vor dem Mund. Hatte sie das wirklich ausgesprochen? „Etwas sagen und dann auch so meinen sind zwei unterschiedliche Dinge.“ Sie zwinkerte ihr zu. „Bei dir war es Tarnung, bei mir ist es die Wahrheit.“ „Wirklich? Oder hältst du dich nur zurück, weil ich die Schwester des Objekts deiner Begierde bin?“ „Das vielleicht auch, aber ich steh echt nicht auf dich. Ist jetzt aber nicht beleidigend gemeint.“ „Das hab ich jetzt auch nicht so aufgefasst.“ Auch wenn es nicht gerade ein Kompliment ist, dachte sie, obwohl sie mehr als froh darüber war, dass Matsuri sie null attraktiv fand. „Wann ist Kairi denn ungefähr wieder wach?“, wechselte sie das Thema. „In einer Minute, in zehn, in eineinhalb Stunden …“, antwortete Temari schulterzuckend. „Wer weiß?“ „Hat sie denn immer noch keinen Rhythmus?“ „Nicht tagsüber. Hast du irgendwas Bestimmtes mit uns vor?“ „Shoppen, durch Suna schlendern – irgendwas in der Art.“ „Passt mir ganz gut. Hier ist ja eh nichts los. Aber wir müssen warten, bis sie wach ist.“ „Schon klar“, sagte ihre Freundin. „Wollen wir zur Überbrückung eine Runde Karten spielen oder so?“ Temari machte einen Gesichtsausdruck, als hätte sie einen Tritt in die Magengrube von ihr bekommen. „Nein, danke“, erwiderte sie dann beherrscht. „Mein Bedarf an sämtlichen Spielen aller Art ist erstmal eine Weile gedeckt, wie du dir vielleicht denken kannst.“ „Sorry“, murmelte Matsuri betreten. „Ich wollte dir keinen Pfeffer in die Wunde streuen.“ „Du meinst Salz.“ „Nein, Pfeffer. Die Salz-Metapher ist doch schon lange ausgelutscht.“ Temari musste lachen. Sie trat zwar gerne mal ins Fettnäpfchen, aber im Aufheitern war ihre Freundin große Klasse. --- Kairi spielte vergnügt im Sand. Das Mädchen nahm eine Handvoll, öffnete sie und der feine Puder rieselte zu Boden. Sie kicherte, griff wieder zu und das Spiel begann von vorne. „Gott, das sieht so zuckersüß aus!“, quietschte Matsuri begeistert. „Hoffentlich wird mein erstes Kind auch ein Mädchen.“ „Und Jungs können nicht mit Sand spielen?“, erwiderte Temari und legte ihre Stirn in Falten. „Natürlich, aber das sieht bestimmt nicht so süß aus.“ „Dann zieh ich sie beim nächsten Mal wie ein Junge an und dann schauen wir mal, ob du immer noch so begeistert bist.“ „Ach, das ist doch nicht dasselbe.“ Sie piekte Matsuri in die Seite und deutete auf die andere Seite des Spielplatzes. „Sag mir nicht, dass das nicht niedlich ist.“ Ihre Freundin schaute dem kleinen Jungen zu – Temari schätzte ihn etwa ein halbes Jahr älter als ihre Tochter – wie er den Sand ausdauernd mit beiden Händen zusammen schob und so eine immer größere Mini-Düne erschuf. „Ja, schon putzig“, gab Matsuri zu, „aber gegen Kairi kommt er trotzdem nicht an.“ „Finde ich nicht“, sagte sie. „Außerdem find ich es blöd, wenn man sich zu sehr auf ein Geschlecht versteift – besonders, wenn man vom Muttersein so weit entfernt ist wie du.“ „Warum, ich brauch doch nur die Pille absetzen und dann geht es ruckzuck! Du bist der beste Beweis dafür.“ Sie griente schadenfroh. „Ich lach mich kaputt!“, bemerkte Temari trocken. „Außerdem hab ich sie nicht bewusst abgesetzt, sondern …“ Sie fasste sich an die Stirn. „Hau ich mich hier gerade selbst in die Pfanne?“ „Shit happens!“ Ihre Freundin tätschelte belustigt ihre Schulter. „Vergiss diese alte Kamelle. Außerdem kann ich dich beruhigen: Mit dem Kinderkriegen hab ich’s echt nicht eilig. Ich hab weder den Drang danach, noch bis jetzt den passenden Mann dafür gefunden.“ „Vielleicht solltest du aufhören, dich in Swingerclubs herumzutreiben“, scherzte sie und beide brachen in Gelächter aus. Kairi sah sich interessiert zu den beiden um und entdeckte das andere Kind. Sie hechtete nach vorne, landete bäuchlings und bewegte sich halb robbend, halb krabbeln zu dem Jungen herüber. Dieser beachtete sie nicht, sondern türme weiter den Sand auf, was dem Mädchen gar nicht passte. Sie setzte sich auf, holte aus und schlug lachend auf das Gebilde ein, einmal, zweimal, dreimal, bis von der gebauten Düne nichts mehr übrig war. Temari fühlte sich augenblicklich unwohl. Wenn der Junge jetzt weinte, wurde es peinlich für sie … Dieser schaute seine ungewollte neue Spielkameradin allerdings nur verdutzt an. Er begann mit seinem Werk von vorne und bevor Kairi erneut zuschlagen konnte, machte er es selbst kaputt und gluckste los. Schließlich saßen die beiden nebeneinander und das Mädchen machte den Jungen nach und schien dabei einen Spaß wie noch nie zu haben. „Niedlich, Kairi hat ihren ersten Freund!“, rief Matsuri entzückt. Temaris Blick wanderte zu der Mutter des anderen Kindes. Da diese aber genau so amüsiert dreinschaute, wandte sie sich ebenfalls schmunzelnd den Zwergen zu. --- Am späten Nachmittag zog sich der Himmel allmählich zu. Die Straßen leerten sich nach und nach und auch die wenigen Leute, die noch etwas zu tun hatten, beeilten sich mit ihrer Arbeit, damit sie Feierabend machen und nach Hause konnten. Temari betrachtete die Gewitterfront, die im Westen über der Felsmauer des Dorfes bereits zu sehen war. „Endlich Regen! Das wurde aber auch mal Zeit!“, sprach Matsuri ihre Gedanken laut aus. Sie nickte. Die letzte Dürreperiode vor sechs Jahren, als es im Frühling nicht einmal geregnet hatte, hatte sie noch in unangenehmer Erinnerung. Natürlich gab es in Sunagakure auch wenige Suiton-Nutzer, doch auch sie konnten das Wasser, das sie kontrollierten, nicht für das Allgemeinwohl einsetzen, wenn keines da war. „Warten wir es ab. Vielleicht zieht das Gewitter auch an uns vorbei und wir bekommen nur ein bisschen Nieselregen ab“, sagte Temari, hoffte allerdings auf einen ordentlichen Wolkenbruch. Ihr gefiel das Grün, dass an allen Ecken hervor spross, wenn es stark geregnet hatte. Sie liebte ihre Heimat zwar auch wenn es trocken war und überall nur Sand und Felsen zu sehen waren, aber die wenigen Wochen, an denen Kaze-no-kuni an eine Oase erinnerte, waren etwas ganz Besonderes. Sie freute sich auf die vielen Farben und vor allem war sie auf die Reaktion ihrer Tochter gespannt, die so etwas noch nicht gesehen hatte. „Ich glaub, ich verzieh mich dann in meine Wohnung. Ich bin nicht scharf drauf, mir ’nen nassen Arsch zu holen“, meinte Matsuri. „Ich sag dir: In einer halben Stunde wird es schütten wie aus Müllcontainern.“ „Aus Müllcontainern?“ „Ich sagte ja: Keine ausgelutschten Floskeln mehr!“ Ihr Freundin grinste, winkte Kairi zu und verabschiedete sich. --- Temari schaffte es gerade rechtzeitig nach Hause. Sie hatte vielleicht zwei Minuten den Fuß über die Schwelle gesetzt, als es draußen los prasselte. Sie setzte Kairi auf dem Teppich ab, entdeckte Matsuris Umhängetasche, die sie vergessen hatte, an die Garderobe und fläzte sich aufs Sofa. Eine Weile beobachtete sie ihre Tochter. Das Mädchen schaute fasziniert durch die Glasscheibe der Tür nach draußen, wo stets dicker werdende Regentropfen auf die Terrasse platschten. Erst als es so dunkel wurde, dass sie nichts mehr sehen konnte, wandte sie sich ab. Sie schnappte sich ihre Plüschmaus und lutschte auf einem Ohr herum. Das war das Zeichen. Temari lief in die Küche, kochte für Kairi rasch eine Portion Grießbrei und schmierte für sich etwas Brot. Eine Viertelstunde später saß sie in ihrem Hochstuhl und verputzte zufrieden ihren Brei – zumindest tat sie das, bis ihre Mutter in ihr eigenes Abendessen biss. Das Mädchen aß die Brotscheibe schon halb mit ihren Blicken auf. Temari beachtete das Gebettel nicht und reichte ihr stattdessen weiter ihr Grieß, den Kairi auch annahm, doch dann … Beim vierten Mal schlug sie nach dem Löffel und das, was drauf war, landete auf Temaris Top. Seufzend wischte sie den Fleck so gut es ging mit einem Taschentuch weg, bot ihrer Tochter noch einmal den Brei an – und platsch – fand sie den restlichen Inhalt der Plastikschale auf ihrem Rock wieder. „Danke schön“, murmelte sie gereizt. Kurzerhand riss sie ein Stück von ihrem Brot mit Käse ab und reichte es ihrem Kind. Diese betrachtete es erst skeptisch, biss schließlich doch hinein – und war begeistert. --- Nach dem Abendbrot beförderte Temari ihren eingesauten Rock in den Wäschekorb und zog sich eine kurze Hose an. Zurück im Wohnzimmer saß Kairi wieder an der Tür und gluckste ihr Babylachen. Schließlich hob sie ihren Arm und winkte unbeholfen. „Schatz, da draußen ist bei dem Regen doch niemand!“, sagte Temari belustigt. Es blitzte, die Dunkelheit verschwand für einen Moment und ihr Lächeln erfror. Eine Gestalt stand am Fenster. Und klopfte an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)