Sei mein Freund von Gmork ================================================================================ 1 - Ein toller Fang [Komplett überarbeitet am 12.10.2017] --------------------------------------------------------- »Hey, siehst du das? Sieht voll eklig aus!« Green warf ihm einen mahnenden Blick zu und fuchtelte mit der Hand, damit er leise war. »Sei doch ruhig, sonst flieht es noch!« Red winkte ab. »Als ob. So langsam wie es ist … Wir würden es locker einholen.« Das wilde Raupy jedoch ignorierte die beiden und fuhr fort an dem gewaltigen grünen Blatt zu knabbern. Reds Blick wanderte wieder zu seinem besten Freund. Schweiß tropfte von Greens Nasenspitze, doch er schien es vor lauter Konzentration gar nicht zu bemerken.   Seit sie sich ihr Versprechen gegeben hatten, waren drei Jahre ins Land gezogen. Jahre voller Hausaufgaben, Lehrbüchern, Kurzvorträge, Klausuren. Jahre in denen Red beobachtet hatte, wie Green alles dafür gab, um sich für seinen Traum zu wappnen. Neben Pokémonkunde war Green Spitzenreiter in Japanisch, Biologie und Mathematik. Selbst Englisch – Reds persönliches Hassfach – meisterte er, wie eine zweite Muttersprache. Mit zwölf Jahren! Red pendelte zwischen ungläubigem Kopfschütteln und einer großen Portion Respekt bei diesem Gedanken und kam nicht umhin, ihn darum zu beneiden. Und obwohl er immer Jahrgangsbester war und es auch weiterhin bleiben würde, gönnte Green sich keine Pause. Niemals. Es war gruselig. Als würde er irgendjemandem etwas beweisen wollen.     Selbst an Sonntagen wie heute fand er keine Ruhe und so kam es, dass er wieder einmal Red überredet und ihn raus in die Natur geschleppt hatte. Diesmal waren sie verdammt weit gekommen. Der Vertania-Wald! Ohne ein einziges Pokémon hatten sie es geschafft eine komplette Route für Trainer zu passieren. Das Licht funkelte milchig und malte Sonnenflecken auf das dichte Unterholz. Der Wald war wunderschön und in den Schatten war die Hitze bei Weitem nicht so schlimm, wie auf den freien Feldern. Trotzdem wollte Red los. Immer wieder stahl sich sein Blick auf die Uhr an Greens Handgelenk. Sie waren schon viel zu lang weg und wenn ihre Eltern herausfanden, dass sie heimlich das Dorf verlassen hatten, wäre Hausarrest noch das kleinste Problem. »Wie lange brauchst du noch? Ich glaub meine Mom hat mir heut nicht abgekauft, dass wir bei dir Hausaufgaben machen.« Green schnaubte, sah ihn aber nicht an, sondern studierte weiterhin das Pokémon, dass es sich auf einem Felsvorsprung in der Sonne bequem gemacht hatte, und stützte dabei seine Hände auf den Knien ab. Er musste sich ziemlich tief herunterbeugen, um genaueres zu erkennen, so groß war er mittlerweile. Seine braunen Haare fielen ihm wirr ins Gesicht. »Dann wird’s Zeit für ‘ne neue Ausrede. Aber sie findet es eh nicht heraus.« »Bist du sicher? Ich mein, dein Opa denkt doch auch, dass du bei mir bist.« Red verschränkte die Arme, tippelte mit dem Fuß. »Wir sind geliefert, wenn die das merken!« Endlich richtete Green sich auf und sah ihn einen Moment an. Doch anstatt zu antworten hob er nur gereizt eine Augenbraue, bevor er sich abwandte und in den Bäumen nach anderen Pokémon suchte. Von Raupy hatte er wohl genug. Scheinbar ohne Ziel lief er hin und her, sein Blick scannte alles, was ihm vor die Augen kam. Aber eine Antwort gab er ihm nicht. Reds Zähne mahlten. Schließlich gab er es auf und setzte sich unter eine große Esche. Während er ihn weiter beobachtete, fiel Red auf, dass Green plötzlich sehr unruhig wirkte. Er blieb nie lange an einem Fleck, kratzte sich mit fahrigen Bewegungen am Nacken, fuhr sich durch die Haare. Die Gelassenheit von vorhin war verschwunden. Komisch, dass er sich auch gar keine Notizen mehr machte, wo er doch immer so viel Wert darauf legte. Er stand offenbar neben sich. Ob er etwas ausgefressen hatte? Red dachte nicht im Traum daran, ihn danach zu fragen. Er wollte hier nur noch weg. Es war langweilig und er hatte das Gefühl seine Zeit zu vergeuden. Aber nur Green kannte den richtigen Weg nach Hause und allein traute Red sich auch gar nicht. Er schloss die Augen, legte seinen Kopf in den Nacken und versuchte sich zu entspannen.   » … Hey! Hörst du eigentlich zu?« Red blinzelte. Wie spät war es? Das Sonnenlicht hatte nachgelassen. War er eingeschlafen? »Was hast du gesagt?« »Sag jetzt nicht, dass du die ganze Zeit gepennt hast.« Er rieb sich die Augen und stand dann auf, sah sich um. Jetzt wo es dunkler war, schien die Atmosphäre des Waldes weit weniger friedlich. Im Zwielicht konnte er förmlich spüren, wie gefährliche Pokémon aus ihren Löchern gekrochen kamen. Dieser Gedanke machte ihn verdammt nervös. »Vielleicht, aber kann dir ja egal sein. Ich will nachhause. Es ist schon spät. Ich muss noch Hausaufgaben machen.« Green schnaubte abfällig, aber dann grinste er. »Du heulst rum, wie ein kleines Kind, Dumpfbacke. Dabei kommt das beste jetzt erst noch. Ich lass dich diesmal sogar von mir abschreiben.« Erst wollte er sich über diesen Ausdruck beschweren, den er ihm schon so oft an den Kopf geworfen hatte. Doch … was hatte er da gerade noch gesagt? »Wie jetzt, du lässt mich abschreiben? Ist doch sonst nicht dein Stil.« Green hob nur die Schultern. »Man muss auch mal Ausnahmen machen. Und ich hab‘ heut 'ne Menge riskiert, also halt jetzt mal die Klappe und hör zu. Nur einmal, Dumpfbacke.« Täuschte Red sich, oder war sein Lächeln breiter geworden? Er verstand beim besten Willen nicht, was er meinte. Green begann in seinem Rucksack zu wühlen. »Was hast du gemacht?« Reds Stimme klang genauso dumpf, wie es sich in seinem Magen anfühlte. Er hatte ein absolut schlechtes Gefühl bei der Sache. »Meinen Opa verarscht.« Mit diesen Worten zog Green zwei nagelneue Pokébälle hervor. Augenblicklich wich Red vor ihm zurück, die Augen weit aufgerissen. Er fühlte sich seltsam. Voller Euphorie, gleichzeitig beinahe zu Tode verängstigt. Die Angst überwog eindeutig. Green war gerade kurz davor, eine der strengsten Regeln für angehende Pokémon-Trainer zu brechen. »Green, bist du verrückt? Wenn er das bemerkt, stecken wir richtig in der Tinte!« »Der hat tausende davon in seinem Lager. Das bekommt niemand jemals raus.« Kalter Schweiß trat auf Reds Stirn. »Wie bist du da reingekommen? Die Tür ist doch immer abgeschlossen!« Green ließ sich von ihm nicht aus der Ruhe bringen. »Opa sollte endlich aufhören mich für dumm zu halten.« Der Kloß in Reds Hals war so groß, dass er ihn niemals schlucken konnte. »Wir kriegen Hausarrest, wenn nicht sogar noch mehr. Pack die Bälle wieder ein oder wirf sie weg und lass uns einfach gehen!« »Als ob!« Greens Lächeln bröckelte. Aber in seinem Blick lag keine Wut, viel mehr Ungeduld. »Warum so vernünftig auf einmal? DU konntest es doch kaum abwarten! Ich nehme das Risiko in Kauf.« Er konnte nichts erwidern, denn Green hatte mit seinen Worten einen Nerv getroffen. Allerdings hatte er sich damit abgefunden und war bereit zu warten. Green war das offenbar nicht mehr. Und er war dabei, sie beide geradewegs in die Scheiße zu reiten. Trotzdem wusste er tief in seinem Inneren, dass er seinen besten Freund nicht umstimmen konnte. Es schnürte ihm die Kehle zu und das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen wurde immer stärker. Einen Augenblick lang sahen sie sich stumm in die Augen – Red ängstlich, Green hartnäckig. Dann streckte er ihm auffordernd einen Pokéball entgegen. Red wurde heiß und kalt. Er starrte den Ball an, ohne ihn wirklich zu sehen, wagte es nicht ihn zu nehmen und damit den Pakt zu besiegeln. Nein, er war noch nicht bereit. Er hörte sein Herz schlagen – genau zwischen seinen Augen – und das Blut rauschte ihm in den Ohren. »… Bitte.« Sein Blick schnellte zu Green, als er ein Flehen in diesem kleinen Wort hörte. Auch ihn sah man jetzt seine Angst an, die er die ganze Zeit über gut verborgen hatte. Auch er wusste, dass das keine gute Idee war. Dass er mit seinem Diebstahl viel zu weit gegangen war. Aber Green hatte wirklich eine Menge riskiert. Und er hatte es auch für Red getan, wenn nicht sogar nur wegen ihm. War er ein schlechter Freund, wenn er ablehnte? Waren sie dann überhaupt noch Freunde?  War seine Vernunft es wert, ihre Freundschaft aufs Spiel zu setzen? »Wir sind doch Freunde, oder?« Greens Stimme zitterte richtig. Unwillkürlich schoss Red in dem Moment ihr Versprechen von damals durch den Kopf. »Bitte, Red. Lass uns heute zusammen unser erstes Pokémon fangen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)