Ice Bucket Challenge von abgemeldet (Magi Version) ================================================================================ Kapitel 1: Judar & Kougyoku --------------------------- „Das schaffst du nicht“, hatte er damals, zwei Wochen nach ihren Kennenlernen, zu ihr gesagt. Es waren die ersten Worte, die sie ihn überhaupt hatte sprechen hören. Aber sie hatte es geschafft. Hundert und drei Versuche hatte sie gebraucht, um alle Blätter der Kirschblüte sauber abzutrennen. Neunundachtzig Blüten hatte ihr Meister zu Boden fallen lassen, während sie erwartungsvoll vor ihm stand, das rostige Übungsschwert mit schweißnassen Händen umklammert. Letztendlich hatten weder Judar noch Kouen ihre Leistung gewürdigt, aber das war egal. Kougyoku glaubte trotzdem an die Bedeutung jedes einzelnen, winzigen Sieges und in Judars immer wiederkehrenden Herausforderungen sah sie die Bestätigung. „Das schaffst du nicht.“ Jeder ihrer Tanzschritte auf dem Geburtstagsfest ihres Vaters war perfekt gewesen. „Das schaffst du nicht.“ Sie hatte ihrem geliebten Reitpferd eigenhändig die Kehle durchgeschnitten, als es sich in Bein gebrochen hatte. „Das schaffst du nicht.“ Vineas Dungeon war von ihr erobert worden. Vinea hatte sie anerkannt. „Das schaffst du nicht.“ Drei Monate nach dem 45. Dungeon hatte sie ihr Djinn Equip beherrscht. Nur Kouen selbst war schneller gewesen. Über jeder von Judars Herausforderungen stand die eine große Aufgabe, an die Kougyoku sich mit ganzen Herzen gebunden hatte. Sie wollte seine Freundschaft erringen.Irgendwann musste er sie mögen, oder? Sie gab nie auf. Aus ihr war eine respektable Kriegerin geworden, die ihre Familie und ihr Königreich beschützen konnte. Wenn es soweit war, würde sie eine passende Heirat eingehen und eine gute Ehefrau sein. Für Kouen und Judar würde sie alles tun. Sogar, sich selbst einen Eimer Eiswasser über den Kopf schütten. Diese merkwürdige Sitte hatte in einer Stadt östlich der Hauptstadt ihren Anfang genommen. Wer herausgefordert wurde, entleerte einen Eimer Wasser in verschiedenen Kältegraden über seinen Kopf und verschenkte danach einen geliebten Gegenstand, vorzugsweise Spielzeug, an ein Waisenhaus. Wer den ersten Teil ausließ, von dem wurde ein höherer Preis gefordert. Inzwischen waren aus dem simplen Spielzeuggeschenk vielseitige Zweige gesprossen. Buffets für arme Bürger, Huangspenden an Kranke oder einmal kostenlose Bedienung in den Häusern der Kurtisanen. Selbst die Hauptstadt war infiziert. Lediglich am Hof wollte der Second Emperor nichts davon wissen, hören oder gar sehen. Wer es dennoch tat, tat es heimlich. Man munkelte, nachts aus den Dampfbädern unterm Palast unterdrückte Schreie zu hören. Die einen lachten über die Vorstellung, was der Emperor dort unten mit der Frau seines toten Bruders treiben mochte, die anderen wussten es besser. Ausgerechnet Kougyoku, normalerweise abgeschottet von den Vergnügungen des restlichen Hofstaats, gehörte zu denjenigen, die es besser wussten. Heute stand sie bereits zum zweiten Mal hier, ihren treuen Koubun Ka neben sich, der seufzte und sich entsetzt mit dem Fächer Luft zufächelte. Ihr Blick hing an Judar, der mit einem Eimer Wasser vor den Füßen ihr gegenüber stand. Denn sie hatte es bereits getan. Vor seinen Augen und vor Koubuns, der vor Schreck am liebsten in Ohnmacht gefallen wäre. Aber solange er ihr als Zeuge diente, war das okay. Es tat ihr leid, was sie ihm zumutete. Sie hatte Angst, ihr Vater oder Kouen könnten von ihrer kindlichen Verfehlung erfahren. Alle Türen des Bades waren verriegelt. Jede Ecke hatte sie nach heimlichen Zuschauern abgesucht und sie hatten extra bis weit nach Mitternacht gewartet. Kougyoku schüttelte es innerlich vor Anspannung. Sie wollte es wirklich hinter sich haben. Doch das war eben der Knackpunkt. Sie musste es erst hinter sich haben. Für Judars Freundschaft musste sie seine Herausforderungen bestehen und ihn dazu kriegen, seine Versprechen zu halten. So funktionierten Freundschaften, nicht wahr? Gegenseitiges Vertrauen, gemeinsam Spaß haben, einander helfen und fördern. Sie wünschte es sich so sehr. „Komm schon, Judar-chan, du hast es versprochen! Und dann schleichen wir uns morgen raus und-“ „Du nervst, alte Hexe, ich habe gar nichts versprochen! Außerdem bin ich ein Eismagier. Ich spüre keine Kälte. Die einzige, die bei sowas quietscht und wimmert, bist du.“ Das traf. Fies war er immer, seine Versprechen hielt er jedoch. Diesmal ging es sogar nur um einen blöden Wassereimer und nicht um Kougyokus Stellung als Soldatin. Sie hielt sich ihren Fächer vors Gesicht, damit er nicht sah, wie sie verletzt ihre Lippen aufeinander presste und eine unangenehme Röte sich ihre Wangen hoch schlich. Seine roten Augen schienen trotzdem durch das filigrane Muster des Fächers hindurch zu blicken. Koubun hingegen flehte sie an, dieser unwürdigen Veranstaltung ein Ende zu setzen. Es rührte sie, wie er nur an ihr Wohl dachte. Dass er zurück zuckte, jedesmal, wenn Judars Blick zu ihm flatterte, tat sie als Zeichen des tiefen Respekts zwischen ihrem Assistenten und dem Orakel des Kou Imperiums ab. Blieb noch die Frage, wie es jetzt weiter gehen sollte. Sie standen in den Bädern, sie hatten einen Eimer mit Wasser gefüllt, aber Spaß hatten sie keinen. Zum Gemeinsamen Spaß haben gehörten immer zwei Personen. Zögerlich fing Kougyoku Judars abschätzigen Blick auf. Keiner rührte sich. „Wenn es dir nichts ausmacht, weil du ein Eismagier bist... dann... könntest du es ja trotzdem tun... oder?“, fragte sie leise und klang zu ihren eigenen Erstaunen berechnend. Die Röte erreichte ihre Nasenspitze. Judar hob eine Augenbraue. „Können schon, aber wer sagt, dass ich es will?“ „Du. Du hast es versprochen, Judar-chan.“ „Nein.“ „Doch.“ „Neeeeiiiin.“ „Doch!“ „Nein und das ist mein letztes Wort! Ich geh jetzt. Schütt dir den Eimer gerne noch einmal selbst drüber. Hier, mit einer Extraportion scharfkantigen Eissplittern.“ Lässig winkte er mit seinem Kristallstab. Kougyoku meinte das Wasser gefrieren zu hören. Vor allem aber klangen ihr seine Schritte in den Ohren, als er an ihr vorbei ging und die Schlüssel aus Koubuns Händen zog. Die Enttäuschung war brennende Galle in ihrer Kehle. Was sie danach tat, war trotzdem dumm. Ziemlich. Aber sie tat es. Wut lenkte ihre Füße, die sie nach vorne zogen. Wut lenkte auch ihre Hände, die den unsäglichen Wassereimer ergriffen und ihn hochhoben, als wöge er nichts. Vineas Schwer war bedeutend schwerer, doch mit der vereinten Kraft von Kriegerin und Djinn war beides ein Kinderspiel. Das bekam auch Judar zu spüren, denn derweil er noch nach dem richtigen Schlüssel für die Tür kramte, traf ihn ein Schwall seines selbstproduzierten, eisigen Wassers mit voller Wucht am Rücken und Hinterkopf. Er schwankte, hielt sich an der Türklinge fest und japste atemlos-entsetzt. Ihn davor zu schützen, hatte sein Rukh-Schild wohl nicht für nötig befunden. Höchstens seine lange Haarpracht war ein kleiner Schutz gewesen. Er sah aus wie der begossene Langhaarpudel, den jemand mal Kouen für einen Hundekampf geschenkt hatte. Etwas schepperte und rollte eine Weile dumpf auf dem Boden herum. Koubuns Fächer-Gewedel wurde geradezu hysterisch, bevor er zu seiner Herrin stürzte und sich jederzeit hilfsbereit hinter ihr versteckte. Judar bewegte sich ebenfalls. Sehr langsam. Sich herumdrehend und Kougyoku anfunkelnd, wirkte er, als hätte ihm das Eiswasser wirklich nichts anhaben können, außer ihn wütend zu machen. Kougyoku sah sich selbst durch die Luft wirbeln wie das Monster in Vineas Dungeon, das Judar in die Haare gekotzt hatte. Stattdessen öffnete er nur den Mund und schloss ihn sofort wieder. Mehrmals. Es dauerte, bis Kougyoku verstand, dass seine Zähne klapperten. „D... d... d... du...“, stieß er hervor und zeigte zittrig auf sie. „Du... a... al... al... alte... H... h...h ARGH...! Vor ihren ungläubigen Augen sackte er zusammen, die Arme um sich geschlungen und begann, sich vor und zurück zu wiegen. Viel konnte sie nicht mehr hören, aber es klang nach der gewimmerten Version von „kalt“. „Wah, es tut mir leid! Judar-chan, Judar-chan, es tut mir leid!“ Sie lief sofort zu ihm hin und rüttelte an seiner Schulter. Sie war selbst vollkommen durch den Wind. Auch heute wurde ihre Kleidung wieder nass, als sie sich in die Wasserpfütze kniete, um ihn effektiver rütteln zu können. Es war die einzige Reaktion, die ihr einfiel. Er durfte jetzt schließlich nicht das Bewusstsein verlieren, oder? ODER? Sie wollte nicht, dass er erfror. „Es tut mir so leid. Das wollte ich nicht. Judar-chaaaan...“ Nach vierzig weiteren „kalt“ seinerseits und zwanzig „Es tut mir leid, Judar-chan“ ihrerseits, erinnerte Koubun sich daran, noch eine weitere Aufgabe außer Gaffen zu besitzen. Er zog die Prinzessin von Judar weg und half ihr aufzustehen. Der freche Magi schien kurz vor einer Ohnmacht zu sein, vermutlich mehr dank Kougyokus Gerüttel und Gezerre als durch das bisschen Eiswasser. „Ich schlage vor, wir besorgen eine Flasche Maotai, die wir über ihn auskippen und lassen ihn dann hier liegen. Keiner muss von den wahren Geschehnissen erfahren, Prinzessin.“ „Koubun!“ Er beharrte auf seinen Standpunkt, sie ebenfalls und bevor beide sich versahen, war Judar wieder auf den Beinen. Kougyoku schien hocherfreut und wollte ihn umarmen, aber er tat schleunigst einen Schritt nach hinten. „Duuuuu...“ Einen Arm weiterhin um sich geschlungen, zeigte er mit der anderen Hand wieder auf sie. Kougyoku stand nah vor einem Tränenausbruch und setzte zu einer weiteren Entschuldigung an, aber da trat Judar auf sie zu und verschloss ihr den Mund. „Ist ja gut, das ist ja nicht zu ertragen. Du bist die weinerlichste alte Hexe, die mir je untergekommen ist. Ich habs dir doch gesagt, ich bin ein Eismagier. Mir hat das überhaupt nichts ausgemacht!“ Koubun klatschte sich unwillkürlich seinen Fächer vor die Stirn. Kougyoku blinzelte. „Alles gut. Ich geh jetzt schlafen. Gute Nacht“, fügte Judar ungewohnt manierlich hinzu. Er drehte sich um, bevor er auch den anderen Arm wieder um sich schlang. Sie konnten ihn zusammenzucken sehen, wenn sein nasses Haar bei jedem Schritt gegen seinen nackten Rücken klatschte. Allerdings hielt er nicht inne und seinen Kopf trug er stolz erhoben auf den Schultern. Als er weg war, legte Koubun der Prinzessin eine Hand auf die Schulter und versuchte sie ebenfalls aus dem Badesaal zu dirigieren, aber sie bewegte sich kein Stück. Also schob er stärker und erreichte dadurch, dass sie wenigstens einen Schritt nach vorne stolperte. Plötzlich schluchzte sie los. „Er hasst mich! Koubun, er... er hasst mich! Ich habe alles kaputt gemacht! Jetzt werden wir niemals Freunde. Oder bin ich ihm gleichgültig geworden? Wollte er sich deshalb nicht rächen und mich nicht mehr ärgern? Er ist einfach weggegangen. Sicherlich bin ich jetzt nur noch ein Insekt für ihn. Ich habe alles kaputt gemacht!“ Koubun schlug sich ein zweites Mal den Fächer gegen die Stirn. Das würde noch eine lange Nacht werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)