Vampire glitzern nicht! von Nightstalcer (Fangzähne und Sprachfehler inbegriffen.) ================================================================================ Kapitel 1: Von Hochzeiten und Cola. ----------------------------------- Eigentlich wollte sie sich genüsslich strecken, bevor sie aus dem Bett sprang, doch ein dumpfer Klang folgte auf den Versuch die Arme auszubreiten. „Was zum...“ Komplette Dunkelheit empfing sie und anscheinend war es nicht nur dunkel, sondern auch noch eng. Schnell ertastete sie hölzerne Wände etwa 20 Zentimeter neben ihrem Körper. Wo war sie und vor allem viel wichtiger, wie zum Geier kam sie hier hin? Ein muffiger Geruch erfüllte die schale Luft, und es war still. Totenstill. Moment mal, totenstill? „Scheiße!“, fluchte sie laut und stieß sich den Kopf an der ebenso nahen Decke, ebenfalls aus Holz, ebenfalls nach Muff riechend. „Ich liege in einem gottverdammten Sarg!“, kreischte sie und raufte sich die Haare. Nicht ohne sich dabei zahlreiche, feine Haarnadeln, die ihre bis eben noch pompöse Hochsteckfrisur aufrecht hielten, in die Handflächen zu rammen. Sie hätte gerne gejammert und ihre Finger abgelutscht, um ihrem Gehirn einzureden, dass es etwas helfen würde – was es natürlich nicht tat. Wie sollte ein bisschen Spucke auch gegen Schmerzen von Haut durchbohrenden Metallspießchen helfen? Das war doch vollkommen unsinnig. Genauso unsinnig wie zu vermuten, man würde in einem Sarg liegen. Eine Holzkiste, okay. Eine enge Holzkiste, auch gut. Eine nahezu perfekt für ihren Körper zugeschnittene Holzkiste, die noch dazu muffig roch und keinerlei Luftdurchlässigkeit bewies – nicht mehr ok! „Okay, du musst jetzt ruhig bleiben...“, versuchte sie sich selber zu beruhigen, das taten Leute in Filmen doch auch immer, und überlegten sich dann einen perfiden und intelligenten Weg, aus nahezu unüberwindbaren Schlamasseln wieder zu entkommen. Verfluchte Scheiße, anscheinend hatte noch keiner von denen wirklich in einem echten Sarg gelegen, ansonsten wäre ihnen früher schon aufgefallen, was für eine absolute Scheißidee ruhig bleiben war. „Arrrrrgh, lasst mich hier rauuuuus!“, brüllte sie also und hämmerte wutentbrannt und kein bisschen panisch – okay, vergesst das, sie hatte Panik, Schiss, die Hosen voll, nennt es wie ihr es wollt. Wie durch ein Wunder – vielleicht hatte Gott ja eingesehen, dass nur Tote Menschen in einen Sarg gehörten (und ein Haufen durchgeknallter Spinner wie Goths und Grufties), gab auf einmal der Deckel nach und sie konnte sich aufrichten. „Puh.“, sie keuchte, und musste husten. Verdammter Staub, der überall in der Luft lag, es war als atmete man Spinnenweben ein und hustete Jerichorosen aus. Diese Teile, die in klischeebehafteten Szenen in einem Western durch die ansonsten leere Wüste rollten wie kleine Bälle aus Bambusgeflecht waren tatsächlich Pflanzen, wenn auch ziemlich dämliche, wenn man sie fragte. Aber gut, wer war sie das zu beurteilen, immerhin lagen Jerichorosen nicht da und wachten plötzlich in einem Sarg auf. Noch immer fehlte ihr jeder Schimmer, warum sie hier war. Was hatte sie davor denn gemacht? „Arrrrgh!“, zum zweiten Mal in vier Minuten zeriss ihr Sophran, der nebenbei keineswegs den Ton traf und statt einem lieblichen Gesang eher an das Kratzen von Nägeln auf einer Schiefertafel erinnerte, die gnadenlose Stille. Immerhin war besagter Sarg nicht unter der Erde, sondern augenscheinlich in einem Raum eines Bestattungsinstitutes. Mit ihr drin. Und daran war nur Justin Schuld. Überhaupt, wie konnte man auch so blöde sein und sich in einen Typen verknallen, der Justin hieß? Und dann auch noch glauben, dass sich mehr als gähnende Leere zwischen seinen Ohren befand? „Haschte ja wieder super gemacht Schantalle.“, schalt sie sich selber, um zu stutzen. „Wiescho schpreche isch so komisch?“, es war als wollte ihre Zunge ihr nicht gehorchen, anstatt sauber und ordentlich wie sonst in ihrem Mund zu liegen flappte sie zu einer Seite aus ihrem Mundwinkel. Sie hatte momentan durchaus Ähnlichkeit mit einem dümmlich aussehenden Golden Retriever, mit dem Unterschied, dass sie sich nicht grade in Wildschweinkacke gewälzt hatte und dafür auch noch ein Lob erwartete wie der flohbehaftete Köter. Aber die Zungenhaltung war rekordverdächtig. Warum sie kurz zuvor noch mit normaler Artikulation ihre Angst hinausgeschrien hatte, war ihr unverständlich und würde es wohl immer bleiben. Anscheinend hatte sich eine höhere Macht dazu entschieden, ihr gerade als sie ihren überaus wohlklingenden Namen Chantalle auszusprechen versuchte, diesen omniösen Sprachfehler aufzudrücken. Oder es lag an den gigantischen Reißzähnen, die sich in ihren Mundwinkeln befanden. „Okay, dasch erklärt den Sarg.“, stellte sie beinahe konsterniert fest, aber eben nur beinahe. Noch immer blieb ihr die Erinnerung fern, die überaus schuldig an ihrer derzeitigen Lage war. Vielleicht konnte sie anhand der Umgebung Hinweise darauf finden, wie sie hierhergekommen war und noch viel wichtiger warum. Nun, das wäre durchaus eine nützliche und überaus effektive Strategie gewesen – ihre unangebrachte Kleidung war ein todsicherer Hinweis – wenn Chantalle sich in der achten Klasse nicht nur mit Schminke und Illustrierten beschäftigt hätte. Oder wenigstens mal einen Tatort geguckt. Aber nein, in Tatorten traten in der Regel keine hübschen Jünglinge Anfang 20 auf, deren himmelblaue Augen und wasserstoffblonde Haare deutlich zeigten, dass sich dort wo sich normalerweise das Gehirn befand wohl nur ein Neonschild mit der Aufschrift „Voll Geil, ey!“ niedergelassen hatte. Aber sie wusste, wie schon zuvor erwähnt wurde, dass ihr Dilemma irgendetwas mit Justin zutun haben musste. Natürlich war der neu hinzugezogene Junge, musste man erwähnen, dass er himmelblaue Augen und wasserstoffblonde Haare hatte, der logischste Grund, den man dafür finden konnte, das man mit Fangzähnen ausgestattet in einem Sarg erwachte. Doch was will man über Chantalles Logik streiten? „Isch mir doch egal, ich hau jetzt hier ab.“, redete sie abermals mit sich selber. Warum hatte sie laut gesprochen, in ihren Gedanken hatte sie wenigstens keinen Sprachfehler. Mühsam entstieg sie dem Sarg und sah sich um. Neben ihrem befanden sich mehrere Särge, die meisten jedoch offen und – Gott sei's gedankt – leer. Hätte ihr jetzt noch gefehlt, neben einer wirklich toten Leiche aufzuwachen. Ein großes Tor ließ Lichtspalten in das Zimmer eindringen und irgendwie stimmte es sie froh, dass es auch draußen Nacht zu sein schien. Denn wenn man eines über Leute die Särgen entstiegen und Fangzähne hatten wusste, dass sie vermutlich nicht besonders gut auf Sonnenlicht ansprachen. „So eine Scheiße!“, fluchte sie. In Gedanken, der blöde Sprachfehler. „Ich wollte doch braun werden diesen Sommer, mein weißer Bikini passt doch überhaupt nicht zu Leichenteint.“ Wie gut, dass sie immer stets das Wesentliche im Auge behielt. Sie machte einige Schritte auf das Tor zu und rüttelte probeweise an der Klinke. Sie öffnete sich, ohne Quietschen, Knurren, Knarren oder sonst ein Anzeichen dafür, dass sie das Benutzen ihrerselbst missbilligte. Chantalle trat auf die spärlich erleuchtete Straße und sah sich um. Überall lag Müll herum und die zahlreichen Kärtchen, auf denen sich Namen befanden die ihr eigentlich bekannt vorkommen sollten – inklusive ihrem eigenen, mit dem Zusatz „Braut, voll geil ey“ darauf waren ein weiteres Indiz. Doch wie sollte es sein, Chantalles Verstand hatte sich an etwas anderem festgefressen. „Endlich ein Spiegel, ich bin noch nie aus dem Haus gegangen ohne in den Spiegel zu schauen.“, sie schlenderte also über alle Karten hinweg und bewunderte sich stattdessen in einer Glasscherbe, die passenderweise in ihrer Kopfhöhe an der gegenüberliegenden Hauswand befestigt war. Hätte Chantalle sich also im Spiegel gesehen, wäre vermutlich ein drittes, langgezogenes Gebrüll ertönt. Zum einen wegen der absolut unmöglichen Frisur, dazu kam noch ein riesiger Blutfleck auf einem ehemals sehr schönen Hochzeitskleid und an dem linken Ringfinger hatte sie einen abgebrochenen Nagel. Achso, und die leichenblasse Haut, die tiefen Augenringe, die heraushängende Zunge, zwei spitze Fangzähne und zwei große Einstichlöcher an ihrer Halsseite wären ihr eventuell auch noch aufgefallen, man weiß es nicht. Doch wie das nun einmal so war mit Spiegeln und Geschöpfen, die Särgen entstiegen und Fangzähne hatten, sie konnte ihre Reflektion nicht sehen. „Krasch, isch bin unschichtbar!“ Endlich würde sie sich das teure Makeup nicht mehr kaufen müssen, so unsichtbar wie sie war konnte sie es gleich mitgehen lassen. War doch praktisch. Ein Sabberfaden lief ihr aus dem Mund als sie diese grandiose und nahezu geniale Schlussfolgerung zog. Mit deutlich weniger Vorsicht lief sie durch die verlassenen Straßen, stellte fest, dass Katzen offenbar Unsichtbare sehr wohl erkennen und auch kratzen konnten und fand sich nicht viel später auf einer platt getrampelten Wiese wieder. Auch hier waren sämtliche Anzeichen einer Hochzeit nicht zu übersehen. Doch vielleicht konnten Leute, die glaubten unsichtbar zu sein, in Wirklichkeit aber Kreaturen waren, die in Särgen schliefen und Fangzähne hatten, offensichtlich sichtbare Sichtungen nicht mehr sehen? Nun, Chantalle ignorierte das alles mit gekonnter Professionalität als wären es Algebra-Aufgaben und lief weiter. Der Mond war ein schmaler Streifen am Himmel, dennoch war sie ein wenig enttäuscht, dass sie offensichtlich laufen musste und sich nicht in eine stilvolle Fledermaus verwandeln konnte. Am Ende des Weges betrat sie eine weitere Lichtung auf der sich Heidekraut befand. Ein zahlloses Durcheinander war zu sehen. Ein Symbolträchtiger Stein befand sich in der Mitte, darum herum Haufenweise Heidekraut. Die große Blutlache in der Mitte schien jedenfalls nicht so als gehöre sie zum allgemeinen Stadt- oder eher Waldbild. „Irgendwie kommt mir das hier bekannt vor.“, dachte Chantalle gedanklich und überlegte, was wohl ein Symbolträchtiger Stein, ein dekorierter Altar und eine Blutlache so groß dass dort nur ein Mensch ungefähr so ziemlich jeden Milliliter seines Bluthaushalts aufgegeben hatte, zu bedeuten hatten. Augenscheinlich nichts gutes. „Juschtin?“, rief sie einer Eingebung folgend. Ein Rascheln hinter einem großen Busch, der sich auch irgendwie noch auf der Lichtung befand, wenngleich die ganze Ansammlung an Pflanzen und Gegenständen bald die Definition einer Lichtung ab absurdum führten, ließ sie aufhorchen. „Hey Babe.“, lallte es aus der ungefähren Richtung. So charmant angesprochen beeilte sich Chantalle hinüber zu dem Busch zu laufen. Es war tatsächlich Justin, der dort stand. Nungut, mehr wankte als stand. Sein edel aussehendendes Hemd war ebenfalls blutverschmiert. „Hab mich schon gefragt, wo du hin bist.“, wollte er sagen, doch ein Ruck der durch seinen Körper fuhr ließ ihn den Satz abbrechen. Bevor er sich versehen konnte erbrach er sich in den nächststehenden Busch. Der arme Busch hatte anscheinend im heutigen Losverfahren das kurze Streichholz gezogen. „Boah, das schmeckt einfach widerlich. Hast du Gatorade oder 'ne Cola?“ Anscheinend konnte Justin mit seinen Fangzähnen besser umgehen, er sprach jedenfalls so normal wie das ein Anfang Zwanziger mit nur einem Leuchtreklameschild im Kopf das eben konnte. Auch Chantalle war aufgefallen, dass anscheinend nur sie diesen peinlichen Sprachfehler ausbaden musste. „Ich hab vorher gelispelt, muss sich wohl ausgeglichen haben...“, erwiderte Justin mit dem Enthusiasmus einer querschnittsgelähmten Schnecke. Chantalle zuckte mit den Schultern. Manche Sachen waren einfach so, was nützte sich da Aufregen. Wie Wackelpudding, der wackelte einfach und war nichtmal aus Pudding. Soviel zum Thema Logik in dieser Welt. Noch immer stand Justin vor ihr und wartete anscheinend darauf, dass sich magischerweise eine Cola oder sonst ein Süßgetränk vor seinen Augen materialisierte. „Wieso kannscht du misch eigentlisch schehen?“, wollte Chantalle nun wissen, immerhin war sie doch unsichtbar. „Keine Ahnung, muss wohl an unseren Kräften liegen.“, Justin klang müde. Oder einfach nur blutentleert, ob Menschen, die in Särgen aufwachten und Fangzähne hatten müde wurden oder nicht konnte nicht hinreichend geklärt werden. „Alter, ey, eines weiß ich jetzt jedenfalls!“, mit einem Mal stampfte Chantalle auf und blickte Justin ernst an. „Was denn? „Vampire glitzern nicht!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)