Glasherz von Finvara ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Wenn man ganz genau hinhörte, hörte man, wie Lucys Glasherz jedes Mal etwas brach, wenn sie Hugo sah. Jedes Mal klirrte und knirschte es. Der Riss wurde ein wenig größer. Und bald, so wusste, würde ihr Herz ganz brechen. Einzig und allein, weil sie in diesen stumpfen, beziehungsunfähigen Menschen verliebt war und nicht mit ansehen konnte, wie er sich selbst all sein Glück zerstörte. Und ihr Herz splitterte, weil sie gerade Mary tröstete, die ihn selbst mit den Worten „Ich kann für zwei glücklich sein“ nicht halten konnte. Arme, naive Mary, die nur den intelligenten, starken jungen Mann sah. Sie sah nicht, wie er in seinem inneren litt, weil er sich für minderwertig hielt. Lucy hingegen litt, weil in ihrem Herz bittersüße, schmerzende Hoffnung wuchs. Eine, die ihr Herz ein wenig zusammen klebte. Vielleicht, ganz vielleicht könnte sie diejenige sein, die Hugo ein wenig von seinem Glück wiedergeben könnte. Die ihm zeigen könnte, wie schön das Leben sein könnte, wenn man nicht nur seinem splitterndem, klirrendem und knirschendem Herzen lauschen würde. Wenn man die Narben einfach ausradieren könnte. Dinge vergessen könnte. Es würde so vieles leichter machen. Doch sie wusste, es war ihr Wunschdenken. Sie würde nie riskieren ihm zu sagen, was sie empfand. Denn dann würde sie ihn endgültig und für immer verlieren. Verloren. *~* Lucy stand in der vollen Eingangshalle und wartete auf Hugo. Sie vertrieb sich die Zeit damit ihre Mitschüler zu beobachten. Einige schlurften noch ziemlich müde zu der Eingangshalle, andere waren schon voller Energie und hüpften quasi umher. Einen Schüler behielt sie besonders lange im Auge. Jeremy Flint sah wirklich gut aus. Er hatte diese Aura, die förmlich nach Sex schrie. Unglaublich selbstbewusst und verrucht. Ihr Gegenstück, wenn man so wollte. Aber er war ein riesiges Arschloch und sah Frauen nur als Objekte an. Dementsprechend genervt war Lucy, als er sich aus seiner Gruppe löste und auf sie zu schlenderte. „Hallo, schöne Frau.“ Er stützte seinen Arm neben ihr an der Wand ab und musterte sie genau. Sein Blick blieb an dem zu großen Ausschnitt der Schuluniform hängen. Lucy lächelte und genoss die Blicke. Begeht zu werden war ein gutes Gefühl. Sie wollte gerade etwas erwidern, als sie Hugo rufen hörte: „Lulu!“ Einen Moment später stand er auch schon bei ihr, was dafür sorgte, dass Jeremy sich zurückzog. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Hugo ihm hinterher und sah dann Lucy an: „Was willst du denn von dem? Ich hätte dir mehr Geschmack zugetraut.“ Lucy grinste verschmitzt und band sich beiläufig die Haare zum Dutt. „Weißt du, Hugo, Frauen lieben die einfachen Dinge des Lebens – zum Beispiel die Männer“, meinte sie als sie in die Eingangshalle schlenderten. Wie jeden Samstagmorgen setzte sie sich zu ihm an den Tisch der Ravenclaws und wie jeden Samstagmorgen schmierte er ihr Toast mit Marmelade. „Manchmal versteh ich dich nicht, Lu. Du könntest jeden haben. Du bist witzig und clever und hast diese bezaubernden Augen. Trotzdem hast du immer nur kurze Affären mit Kerlen unter deinem Niveau.“ Er hatte aufgehört das Toast zu schmieren und war kaum merklich an sie rangerutscht. Einen Moment sah Lucy in seine dunklen, warmen Augen, in denen so viel Dunkles steckte. Dann lehnte sie sich an ihn an und lächelte leicht. Sie wusste, wovon er sprach. Sie würden zusammenpassen. Sie wollte ihn noch immer. Sie würde immer nur ihn wollen, doch ihr Herz hatte den letzten Versuch nicht verkraftet, würde ihn nie verkraften. „Weißt du, da sprechen wir noch mal drüber, wenn du für mich gekocht hast und der Salat mehr als drei Zutaten enthält“, meinte Lucy und löste die Anspannung, die zwischen ihnen geherrscht hatte auf. Solange sie nicht zu persönlich wurden, funktionierte diese Freundschaft ganz gut. Es war beinahe wie früher. „Als ob du Salat essen würdest!“, warf Hugo ein. „Na und? Drei Zutaten würde heißen, dass du ernst meinst“, sagte sie und boxte ihm spielerisch gegen die Schulter, bevor sie sich über ihr Toast hermachte. Hugo grinste und begann auch zu essen. Eine Weile schwiegen sie. Lucy lauschte mehr oder minder dem Klatsch ihrer Sitznachbarn und beobachte eine noch immer furchtbar unglücklich aussehende Mary, während Hugo Jeremy betrachtete. Sie aßen schweigend und nahmen sich nicht kaum noch wahr. Es war wie immer, wenn dieses Thema zur Sprache kam. Es war, als ob sie umeinander schleichen würden. Sie wussten, was der jeweils andere empfand und trotzdem konnten sie diese Barriere zwischen sich nicht überwinden. Lucy wollte sie nicht überwinden. Sie liebte Hugo mit jeder Faser, doch sie wusste, dass er keine Beziehungen führen konnte. Und sie wollte es nicht an sich austesten. Dafür war ihr ihr eigenes Seelenheil zu wichtig. Sie fand es ja schon oft genug anstrengend genug sich selbst zusammen zu halten. Und für Hugo die Stütze zu sein, die er brauchte um nicht gänzlich aufzugeben. *~* Es war brechend heiß. Die meisten Schüler tummelten sich am See. Die ganzen mutigen ließen sogar ihre Füße ins Wasser baumeln und zuckten bei jeder Welle vor Schreck zusammen. Lucy lag abseits im Schatten des Waldes und versuchte einem Sonnenbrand entgegenzuwirken. Hugo hatte vorhin irgendetwas erzählt von wegen, dass er Lernen musste. Lucy müsste auch lernen, aber dazu war es einfach viel zu heiß. „Schönes Mädchen“, hörte sie jemanden sagen. Sie öffnete die Augen und sah Jeremy, der sich ihr gegenübergelegt hatte. „Heute ohne deinen Aufpasser unterwegs?“, fragte er provokant. Lucy erwiderte seinen Blick und lächelte unschuldig. So unschuldig, wie nur sie es konnte. Sie sah genau, wie Jeremy sich zu ihr rüber beugte um sie zu küssen. Im letzten Moment drehte sie ihr Gesicht, dass er nur ihre Wange küsste. Er sah etwas verwirrt aus, als Lucy ihn wieder anblickte. So, als hätte er nicht damit gerechnet, dass sie ihn abblitzen lassen würde. „Männliche Dummheit bereit mir größtes Vergnügen. Gott sei Dank, ist das eine schier unerschöpfliche Quelle der Unterhaltung“, meinte sie kichernd und Jeremy sah nur noch verwirrter aus. „Meinst du, du seist der einzige, der mich anmachen würde?“, fragte sie provokant. „Natürlich nicht. Du bist ein so schönes Mädchen. Dir kann man nur schwerlich widerstehen.“ „Du meinst wohl eher, dass ich die Wichsfantasie aller Fünftklässler aufwärts bin.“ Er lachte. Sie stellte fest, dass Jeremy ein recht schönes Lachen hatte und dass die grauen Augen ein wenig funkelten. „Und du meinst, ich will diese Wichsfantasie in die Tat umsetzen?“ „Als ob je ein Kerl etwas anderes von mir wollte.“ Einen Moment lang schwiegen sie, bis Jeremy ihre Hand ergriff. Lucy ließ es geschehen. Er musterte die grün lackierten Fingernägel, die noch ein wenig feucht glänzten. Sie hatte nie die Geduld zu warten, bis sie getrocknet waren. Meistens ärgerte sie sich hinterher, weil sie sich die ganze Arbeit noch mal machen musste, aber sie lernte nie etwas daraus. „Dafür, dass dein Nagellack noch nicht trocken ist, kannst du dich ziemlich gut wehren.“ „Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“, fragte sie ihn skeptisch. „Du machst doch nur die ganze Arbeit zu Nichte.“ Wieder versuchte er sie küssen. Diesmal ließ Lucy ihn gewähren. Und verdammt, sie stand drauf das es kein unschuldiger, romantischer Kuss war, sondern einer, der sie beide erahnen ließ, was noch folgen könnte, wenn sie es geschickt anstellten. Schweratmend und mit geröteten Wangen löste Lucy sich von ihm und spürte im gleichen Moment, dass sie mehr wollte. Sein Blick sagte ihr dasselbe. Doch mitten am Tag war es eher ungünstig, vor allem wenn so viele Zeugen anwesend waren. Sie mussten diskret sein, wenn sie nicht wollten, dass bald jeder über sie tratschte. Lucy vor allem wollte nicht, dass Hugo etwas davon erfuhr. Sie wusste, was er von Jeremy hielt und davon, dass sie relativ viele Affären hatte. Und Hugo war nun mal der Mittelpunkt ihrer Welt. „Wir treffen uns nach dem Abendessen vor dem Raum der Wünsche. Irgendwelche Wünsche?“ „Deine Dominanz wäre ganz gut“, frech grinste sie ihn an. Als er wortlos aufstand und ihr den Rücken zu kehrte, wünschte sie sich Jeremy wäre der Mittelpunkt ihrer Welt. Und nicht Hugo, der ihr Glasherz immer wieder zum klirren, zittern und splittern brachte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)