DS - Future von Gepo (Ein paar Szenen aus der (nicht allzu fernen) Zukunft) ================================================================================ Kapitel 1: Das Date ------------------- Noah atmete tief durch, prüfte den Sitz seiner Krawatte in einem ausziehbaren Spiegel und sah zum sicherlich zigtausendsten mal neben sich auf die Rücksitzbank, ob er auch an die Blumen gedacht hatte. Hatte er natürlich. Auch wenn er sich sicher war, dass weiße Rosen die falsche Wahl waren. Waren das nicht Hochzeitsblumen? Aber rot wäre noch schlimmer gewesen, er war kein Casanova. Und was hätte er außer Rosen nehmen sollen – Tulpen? Er wollte romantisch wirken und nicht als wäre er noch schnell beim nächsten Supermarkt vorbei, weil er ein Geschenk vergessen hatte. Auch wenn auch diese drei Blüten eher kläglich aussahen. Nur wäre ein Strauss zu imposant gewesen und passte auch nicht sinnvoll auf einen Restauranttisch. Er wollte sie ja auch nicht überladen. Frauen trugen zu Dates Stöckelschuhe, da war ein Strauss zu schwer. Nur sah eine einzige Blüte so mickrig aus. Drei mit ein bisschen Grün und ein paar Perlen hatten im Laden wunderschön gewirkt, aber jetzt schämte er sich fast bei ihrem Anblick. Er wollte nicht gleich einen schlechten Eindruck machen. Und warum das alles? Er wusste nicht einmal, wer das war, mit dem er sich da traf. Seto hatte einfach nur gesagt, Katsuya und er hätten eine passende Frau für ihn gefunden. Welche Entscheidungskompetenz hatten diese zwei in der Auswahl einer passenden Braut? Nein, Schritt zurück. Er fuhr zu einem Date. Er war nur neugierig. Das hieß nicht gleich, dass sie eine potenzielle Lebenspartnerin wäre. Sie hatte auch nicht passend geklungen. Ihre Stimme hatte sich am Telefon überschlagen als wäre er ein Rockstar und sie sein Fan. Das klang nach keiner guten Grundlage für eine Beziehung. Aber vielleicht tat er ihr auch Unrecht. Jeder hatte eine Chance verdient, sonst wäre er schließlich nicht hier. Eigentlich wäre er freiwillig nie im Leben hier, aber Katsuya hatte so lange auf ihn eingeredet, bis er diesem Date zugestimmt hatte. Wenn sein Bruder und Fast-Schwager so beharrlich wünschten, dass er diese Frau kennen lerne, nun … wer war er abzulehnen? Und es gab Shizuka die Chance, einen ungestörten Abend mit ihrem Kind zu verbringen. Und ihm einen Abend, sich mal etwas abzulenken. Es war gut, unter Leute zu kommen. Er seufzte erneut. „Sir? Wir sind da“, meldete sich Roland von vorne. „Oh, ja“ Er nickte und sah aus dem Fenster. Das Chez Soi war nicht so gehoben wie das L'moi, aber immer noch ein feines Restaurant. Er würde keine Geschäftskunden hierhin ausführen, aber Entspannung und Gemütlichkeit wurden hier groß geschrieben. Seto hatte es ihm empfohlen, als er überlegte, wohin man die gute Dame ausführen könnte. „Wie sehe ich aus?“ „Fabelhaft“ Der Fahrer sah nur in den Rückspiegel. „Denken Sie an die Blumen. Und viel Spaß, Sir.“ „Danke“ Er griff nach dem Bouquet, bevor er es vergaß. „Ich rufe an, wenn … ich rufe dann später an. Danke, Roland.“ Auf in den Kampf. Er öffnete die Tür und stieg aus – er hatte Roland schon vor zwei Jahren verboten, ihm die Tür zu öffnen oder ihm zu helfen – und schritt Richtung Restaurant. Auto und Tisch trennten sicher nicht mehr als zwanzig Schritte und drei Treppenstufen, aber er war lieber vorsichtig. Vor der Dame Kontrolle über seine Beine zu verlieren, wäre mehr als beschämend. „Guten Abend. Wie kann ich Ihnen helfen?“, begrüßte ihn eine Kellnerin. Er stockte einen Moment, bevor er sich erinnerte, dass es auch Restaurants gab, in denen er nicht Stammkunde war und daher sofort erkannt wurde. Er erwiderte: „Mein Name ist Kaiba. Ich hatte einen Tisch reserviert.“ „Natürlich“ Die Kellnerin – eine Chinesin vom leichten Akzent her – bat ihn mit einer Handbewegung, ihr zu folgen. „Ihre Begleitung ist bereits da.“ „Wirklich?“, entgegnete er mit echter Überraschung. Er war extra zwanzig Minuten zu früh, um vor ihr da zu sein. Er überprüfte die Blumen in seiner Hand. Noch war alles in Ordnung. Mit jedem Schritt schien seine Kehle trockener. Er versuchte in der groben Gangrichtung einen Tisch zu entdecken, an der eine einzelne Frau saß, aber bisher sprang ihm keiner ins Sichtfeld. Sie bogen um eine Säule, bevor er einen etwas abgelegenen Tisch ausmachen konnte, an der eine einsame Frau die Karte studierte. Mit einem stillen Seufzer der Erleichterung, dass sie nicht aufsah, schritt er näher. Sie war hübsch. Nicht schön wie ein Model, aber auch nicht hässlich. Nicht dick, aber auch nicht gertenschlank. Die Haare braun mit blonden Strähnen, aber nicht übermäßig geschminkt. Sie wirkte eher unauffällig, aber auch nicht wie ein Mauerblümchen. Unterm Strich ließ ihn das erstmal entspannen. Seine letzten Dates waren eine Aneinanderreihung perfekt manikürter High-society Püppchen gewesen. Sie sah erst auf, als die Kellnerin an ihren Tisch trat. Ihr Blick fiel nur eine Sekunde später auf ihn, bevor sie aufsprang wie ein erschrockenes Huhn. Sie knickte beinahe auf ihrem cremefarbenen Stöckelschuh um, aber konnte sich noch fangen. Im selben Moment, wo er ihr helfend die Hand ausstreckte, kniff sie auch schon die Lider zusammen, legte die Stirn in Falten und murmelte beschämt: „Ich bin so ein Tollpatsch.“ Er konnte sich ein Prusten einfach nicht verkneifen. Es tat ihm Leid, bevor sie auch nur den Blick hob und ihn mit Unsicherheit und Verletzung im Blick ansah. Als würde sie am liebsten im gleichen Moment noch los rennen. Aber sie blieb stehen. Und mit einem mal kam er sich wie der letzte Idiot vor, dass er hatte lachen müssen. „Bitte entschuldigen Sie. Ich wollte nicht lachen. Ich …“ Er sah suchend an sich herab und entdeckte die Blumen in seinen Händen. „Ich habe Ihnen Blumen mitgebracht.“ „Sie müssen nicht bleiben, wenn Sie sich für mich schämen“ Sie wandte den Blick ab statt die Blumen anzunehmen. Was hatte Seto ihm hier nur aufgebrummt? Aber je länger er sie in ihrem goldenen Cocktailkleid sah wie sie mit leicht eingedrehten Beinen auf ihren Stöckelschuhen stand als wäre ihr dieses Schuhwerk völlig fremd, desto hübscher erschien sie ihm. Nein, nicht hübscher. Attraktiver. Sein Bruder hatte ein tiefes Verständnis für Charaktere und Persönlichkeiten. Wenn er so eine Frau wie sie für ihn für passend hielt, wer war er, es nicht zumindest zu versuchen? „Das gilt auch anders herum“, erwiderte er nach einem Moment und wartete, bis sie aufsah, „Ich bin kein schrecklich guter Konversationalist, wenn ich nicht gerade Verträge aushandle. Den meisten Frauen wird sehr schnell langweilig mit mir.“ Sie blinzelte nur überrascht als wüsste sie nicht, ob er das ernst meinte oder sie nur zu trösten versuchte. Er wusste selbst nicht, was sein Hauptziel war, aber die Aussage stimmte im Kern. Und alle Frauen, die ihn nicht langweilig fanden, besaßen Käse statt Hirnmasse. Er reichte ihr noch einmal die Blumen und diesmal nahm sie sie an. Sie hob die Blumen zu ihrem Gesicht und sog tief die Luft ein. Mit einem Lächeln auf den Lippen schloss sie die Augen und sagte mit sehr viel mehr Entspannung in der Stimme: „Danke.“ Er ahnte, dass sich das nicht nur auf die Blumen bezog, aber entschied, darüber hinweg zu gehen. Keine Beziehung begann mit kulturell-gesellschaftlichen Debatten im Stehen neben dem Restauranttisch. Er trat um sie herum und bot ihr ihren vorher genutzten Stuhl an. Mit einem dankbaren Lächeln ließ sie sich darauf nieder. Als er sich selbst gerade setzte, sagte sie leise: „Ich hätte nie gedacht, mal von einem echten Gentleman ausgeführt zu werden.“ „Oh?“ Er rückte an den Tisch und faltete seine Hände auf der weißen Tischdecke. „Ist dem so? Ich wurde damit groß gezogen. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie es da im Rest der Welt aussieht“ Welche eine schöne Umschreibung, dass er als Kind nie mit anderen gespielt hatte und daher nicht ansatzweise wusste, was man in einer normalen Kindheit lernte und was nicht. „Anders“ Ein schiefes Lächeln zog an ihren Lippen. „Laden Sie oft Frauen in schicke Restaurants ein?“ „Nicht wirklich“ Er versuchte, sein Seufzen zu unterdrücken. „Ehrlich gesagt habe ich das aktive Suchen schon vor Jahren aufgegeben. Ich habe seit einem halben Jahr ein Pflegekind und ein Pflegeenkelkind, das ich groß ziehe. Das nimmt zur Zeit meine Freizeit ein.“ „Wie kommt es dann, dass Sie mich eingeladen haben?“ Sie sah ernsthaft überrascht aus. Vielleicht wurde sie nicht oft nach Dates gefragt. Was ihm ungewöhnlich erschien, sie wirkte bisher sympathisch. „Katsuya meinte, Sie seien genau die Richtige für mich“ Er zuckte mit den Schultern und hob dabei die Hände in einer Was-hätte-ich-tun-sollen-Geste. „Ich weiß nicht, wie gut er so etwas einschätzen kann, aber mein Bruder hat genickt. Und dem traue ich zu, ganz genau zu wissen, was für ein Mensch Sie sind.“ „Seto Kaiba, richtig?“ Sie hob einen Arm und stützte sich auf ihrer Hand ab. „Er sagte, Ihr Vater hätte ihn adoptiert und Sie seien seit fast zwei Jahrzehnten Stiefgeschwister“ Noah nickte nur. „Er sagte auch, er habe sein DID vor Ihnen geheim halten wollen.“ „Sie kennen ihn erstaunlich gut“ Noah lehnte sich zurück. Wer war diese Frau, dass Seto ihr das erzählt hatte? „Eigentlich nicht. Ich kenne eher Katsuya. Seto ist mit meiner Cousine Sasu befreundet. Zumindest wirkt es so als seien sie befreundet“ Ihr Lächeln verbreiterte sich und Lachfalten bildeten sich um ihre Augen. „Ehrlich gesagt kann ich bei den beiden gar nicht sagen, was sie voneinander halten.“ „So lange Seto mit ihr redet, heißt das, das er sie mag.“ „Sie reden meistens Französisch. Einmal haben sie Russisch gesprochen. Ich komme da sowieso nicht mit“ Sie zuckte schwach mit einer Schulter. „Ich bin leider kein Genie.“ „Ich halte instinktiv jede Frau, die so etwas sagt, für intelligent“ Ein Lächeln spielte mit seinen Lippen. „Es sind die, die glauben, dass sie intelligent seien, die einen aufregen.“ „Sie hatten bisher kein Glück mit Frauen, hm?“ Sie legte lächelnd den Kopf zur Seite. „Hatten Sie Glück mit Männern?“, fragte er interessiert. „Ich habe nie gesucht“ Sie seufzte leise. „Ich habe mich um andere gekümmert und dann war ich plötzlich dreißig.“ „Nie gesucht?“ Seine Stirn legte sich in Falten. „Hatten Sie noch nie einen Freund oder dergleichen?“ Sie schüttelte nur den Kopf. „Was hat Sie so beschäftigt gehalten?“ „Meine Cousine und mein Sohn“ Sie lehnte sich zurück. „Ich liebe beide sehr, aber sie sind schon bisweilen sehr anstrengend.“ „Wie alt ist Ihr Sohn jetzt?“ Hm, ein Kind. Das hatte Katsuya vorher nicht erwähnt. Aber im Endeffekt machte es nichts, er mochte Kinder. Und mit Shizuka und Isamu im Haus war er auch nicht gerade ohne Verpflichtungen. Noch so ein kleines Energiebündel rumspringen zu haben, hörte sich eigentlich nicht so schlecht an. Wenn es ein Kleinkind war, hätte Isamu einen Spielkameraden. Hoffentlich würden sich die zwei verstehen, wenn er sie einander mal vorstell- „Sechzehn.“ Er stockte. Zum Glück hatte man Ihnen noch nichts zu trinken serviert – ein Fakt, der ihn überraschte – sonst hätte er sich möglicherweise blamiert. Sechzehn? Wie alt war diese Dame denn? Er erwiderte stattdessen: „Meine Pflegetochter ist auch gerade sechzehn geworden. Und Ihr Sohn ist jetzt ein halbes Jahr alt.“ „Ooh … da sind die Kleinen noch so richtig niedlich“ Das typische weibliche Baby-Bewunderungs-Gesicht schlich sich auf ihre Züge. „Ich war auch fünfzehn, als ich Tyler bekam. Ich konnte mich gar nicht so richtig auf ihn konzentrieren in dem Alter. Heute bereue ich das schrecklich. Ich habe nicht einmal Fotos aus der Zeit. Dabei war er so süß.“ Fünfzehn und sechzehn ergab einunddreißig. Das machte sie genau so alt oder knapp älter als ihn. Er hatte schon einen Moment lang einen Schreck bekommen. Mit einem Lächeln der Erleichterung fragte er: „Und was hat Sie dazu gebracht, so früh ein Kind zu haben?“ „Eine Vergewaltigung“ Sie lächelte trotz ihrer Worte, die ihm jedes Lächeln vom Gesicht getrieben hatten. „Sie müssen nicht erschrecken, es ist lange her. Ich bin gut darüber hinweg.“ Bei allen Göttern … was sollte er dazu sagen? Eine Vergewaltigung? Mit fünfzehn? Vierzehn? Was mochten Ihre Eltern dazu gesagt haben? Hatten sie sie unterstützt? Sie hatte gesagt, sie habe sich um ihr Kind und ihre Cousine gekümmert und daher nicht mal Zeit für Dates gehabt. Ein Gefühl ergriff sein Herz, von dem er gar nicht sagen konnte, was es war. Wie eine warme Kugel, die in seiner Brust lag. „Ich habe die Stimmung ruiniert, oder?“ Sie biss auf ihre Unterlippe. „Entschuldigung … ehrlich gesagt war ich noch nie auf einem Date. Ich mache bestimmt alles falsch.“ Er erkannte das Gefühl als das, was ihn manchmal in Isamus oder Setos Nähe ergriff. Es war Stolz. Stolz und Anerkennung, in diesem Fall für ihren Mut. Es beschämte ihn zutiefst, wie offen sie sprach, ohne dass er ihr etwas von gleichem Wert bieten konnte. „Ganz und gar nicht. Ich wusste nur nicht, was ich sagen sollte. Es tut mir schrecklich Leid, dass Sie das durchstehen mussten. Und ich finde es bewundernswert, wie gut Sie mit all dem leben können“ Und so eine Frau wollte Seto für ihn? So eine hatte er absolut nicht verdient. „Bitte entschuldigen Sie die Verspätung“, sagte plötzlich eine Stimme neben ihnen, „was kann ich Ihnen bringen?“ Natürlich. Eine Kellnerin. Er hatte sich doch gerade gefragt, wo eine blieb. Jetzt blinzelte er kurz verwirrt, bevor er leicht aus dem Konzept gebracht zwischen seiner Begleitung und der Kellnerin hin und her blickte. Frau Tsukanabe bestellte Orangensaft, er bat um ein stilles Wasser und die Kellnerin verschwand, nachdem sie auch ihm eine Karte gereicht hatte. „Wie surreal. Ich hatte ganz vergessen, dass wir uns in einem Restaurant befinden“, murmelte er. „Wenn ich schon von so unpassenden Themen spreche … ähm … können Sie mir etwas empfehlen?“ Sie schlug ihre vor sich liegende Karte wieder auf. „Ehrlich gesagt war ich auch noch nie in einem so feinen Restaurant essen.“ „Sind Sie Vegetarierin oder essen Sie auch Fleisch?“, fragte er höflich. „Natürlich esse ich Fleisch“ Sie sah überrascht von der Frage auf und blinzelte. Er musste lächeln. Welch eine unverfälschte Antwort. Bei den Damen seiner Gesellschaftsschicht war es schier unschicklich, Fleisch zu essen. Das höchste der Gefühle waren Putenstreifen auf dem Salat. Demnach antwortete er testweise: „Mein Bruder sagt, das Angussteak sei fabelhaft.“ „Oh, okay. Steak klingt gut“ Sie schlug lächelnd die Karte zu. „Finde ich auch“ Er tat es ihr gleich und grinste. „Was machen Sie beruflich, Frau Tsukanabe?“ Das klang eher nach einem normalen Gesprächsbeginn. „Könnten Sie mich Kimi nennen? Keiner spricht mich mit Nachnamen an“ Und schon Ende mit dem normalen Gesprächsverlauf. Aber Kimi war ein sehr hübscher Name, das musste er zugeben. Er nickte, damit sie fortfuhr. „Und ich bin in der Verwaltung, nichts Spannendes.“ „Für was sind Sie denn zuständig?“ „Ein paar Kommissionen, eine Forschungsabteilung, Mitarbeiterausweise, Dienstpläne … ich bin so eine Art Sekretärin für eine Menge Leute“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es bezahlt die Miete.“ „Sie müssen Ihren Job nicht klein machen“ Er lächelte noch immer. „Im Endeffekt bin ich auch nur in der Verwaltung.“ „Stimmt“ Sie musste lachen. „Nur ein klein wenig weiter oben“ Sie grinste und zeigte einen Spalt zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ich glaube, es weltweit bekanntes Unternehmen ist nicht ganz mit einer Forschungsabteilung zu vergleichen.“ „Andererseits haben Sie sich Ihren Job erarbeitet und ich habe meinen nur geerbt. Mein Bruder hat mir erklärt, was ich machen muss und seitdem mache ich das. Ehrlich gesagt gibt es da auch nicht viel zu erzählen“ Er lehnte sich vor. „Die Leute glauben immer, ich würde da etwas total Spannendes machen, aber ich schiebe auch nur Papiere von A nach B und lege irgendwem Entscheidungen vor. Ich vermute, unsere Jobs unterscheiden sich nicht großartig.“ „Muss man als Chef nicht Leute herum kommandieren?“ Sie lächelte interessiert. Er hatte noch nie eine Frau lächeln sehen, nachdem er so etwas gesagt hatte. „Muss man als Erschafferin von Dienstplänen nicht Leuten sagen, dass sie sich gefälligst dran zu halten haben? So viel anders ist das nicht.“ „Auch wahr“ Sie nickte. „Also ist Ihr Job im Endeffekt ziemlich langweilig?“ „Ich bin gerne Bürohengst“ Er legte den Kopf zur Seite. „Aber ja, es gibt selten etwas Interessantes zu erzählen.“ „Nun, wir haben eine Gemeinsamkeit: Völlig uninteressante Jobs“ Sie lachten beide. „Was haben Sie für Hobbys?“ Oh je. Die gefürchtete Frage. Sie war nur ansatzweise weniger schreckhaft als „Bestehen Sie auf Gütertrennung?“. Wie er sie hasste. „Schlechtes Thema?“ Kimi bemerkte wohl seinen Unmut. „Haben Sie keine Hobbys?“ „Ich treffe mich sonntags mit meinem Bruder und ein paar anderen zum Tee. Ich gehe einmal die Woche zur Physiotherapie. Ich spiele mit Isamu und helfe manchmal Shizuka bei ihren Hausaufgaben. Ich denke, das dürfte alles sein, was ich sagen könnte.“ „Kinder sind auch ein Hobby in meinen Augen“ Kimi lächelte. „Ich habe sehr viel Spaß, wenn ich Zeit mit Tyler verbringe. Arbeiten Sie den Rest der Zeit?“ „Meist“ Er seufzte. „Ich habe Geschäftsessen oder Geschäftspartys oder Geschäfts-irgendetwas. Zeit mit mir zu verbringen heißt meist, von einem Event zum nächsten geschleppt zu werden“ Er studierte sie einen Moment, doch ihr Gesicht zeigte keine Ablehnung. „Ich genieße auch einige dieser Events. Treffen mit Kunden in der Oper oder dem Theater, das ist ganz angenehm. Aber im Endeffekt ist das alles Arbeit. Ich bestehe nur auf einen freien Sonntag, ansonsten arbeite ich fast rund um die Uhr.“ „Haben Sie da genug Zeit für die Kinder?“ Noah blinzelte. Das war ihre einzige Sorge? Jede andere hatte an dieser Stelle entweder gesagt, dass sie keine Beziehung wollte, in der sie nur vernachlässigt werden würde oder rationalisiert, es würde schon nicht so schlimm werden. Er übertriebe bestimmt. „Isamu habe ich meist dabei. Ich sehe nicht ein, warum man Babys nicht mit zur Arbeit nehmen sollte. Und Shizuka sehe ich täglich nach der Schule und abends für zumindest ein paar Minuten. Sie ist in einem Alter, wo sie meine Aufmerksamkeit nicht mehr braucht.“ „Ja, aber sie ist ja trotzdem schön. Kinder mögen schon früh selbstständig sein, aber das heißt nicht, dass sie nicht dennoch ein großes Bedürfnis nach Nähe haben. Tyler wird quengelig, wenn wir uns am Tag nicht unterhalten. Er ist extrem selbstständig, aber ich bin trotzdem der wichtigste Mensch für ihn. Alles, was er nicht mit seinen Freunden beredet, beredet er mit mir.“ „So ein Band haben Shizuka und ich nicht“ Er spürte einen Hauch von Trauer in sich aufsteigen. „Sie wohnt erst ein paar Monate bei mir und vorher kannten wir uns gar nicht. Sie ist Katsuyas Schwester. Er ist der, mit dem sie so ein Band hat“ Ja, Shizuka war mehr eine Mitbewohnerin als eine Tochter. Da fehlte einfach zu viel Zeit, um dieses Band aufzubauen. „Seto und mein Verhältnis ist so. Wir telefonieren mittags, meist mehrmals die Woche. Er ist … ein wenig wie eine Mischung aus Bruder und Kind für mich. Vielleicht durch seine vielen Anteile.“ Eine Kellnerin näherte sich ihrem Tisch, sodass Kimi nicht antwortete. Ihnen wurden Getränke serviert und ihre Bestellung entgegen genommen. Noah hatte das Gefühl als wären bereits Stunden vergangen, dabei waren es nur Minuten. Er hatte noch nie in so kurzer Zeit so viel Persönliches mit jemandem ausgetauscht. Seto hatte in einem fraglos recht – diese Frau war etwas Besonderes. „Ich kenne bisher drei, glaube ich. Einmal sein normales Ich, dann ein sehr ängstliches, aggressives Kind und ein süßes, anhängliches Kind“ Sie lächelte. „Es war sehr süß als das raus kam. Und einfach nur herrlich, wie Katsuya mit ihm umging. Ehrlich gesagt war ich zu Tränen gerührt.“ „Katsuya weiß ganz gut, was er da tut“, meinte Noah. Er glaubte es zumindest. Er hatte keine Ahnung, was man eigentlich tun sollte, aber Katsuya tat seinem Bruder gut, so viel wusste er. „Vor ein paar Monaten ist mal Chaos ausgebrochen. Eine Frau und Seto haben sich in ihren Kinderpersönlichkeiten angeschrien und verletzt. Wir waren alle erstarrt, als wir in die Szene liefen, aber Katsuya ist einfach weiter und hat die zwei ohne jegliche Gewalt getrennt. Nur ein paar Worte und beide waren still. Es war wirklich eine Freude, das zu sehen. Katsuya ist jung, aber er ist wie gemacht dazu, einmal Vater zu werden.“ „Ach?“ Noah machte nur einen Lidschlag. Das waren alles Situationen, die er so nie gesehen hatte. Er erlebte die beiden beim Tee. Den einzigen Streit, den es da zu schlichten gab, war, Bakura bei Laune zu halten. Und das tat meist Seto. „Seto wird dem nicht zustimmen. Er hält sich für zu gefährlich für Kinder.“ „Das müsste man natürlich vorher abklären“ Sie nickte. „Aber bisher erschien er mir eigentlich ganz stabil“ Sie nahm einen Schluck von ihrem Orangensaft. „Für DID-Verhältnisse.“ „Wollen wir anstoßen?“ Nein, er versuchte nicht das Thema zu unterbrechen. Oder das war nur ein Teilaspekt seines Handelns. Über die Krankheit seines Bruders zu reden gab ihm das Gefühl, in einem Ozean zu schwimmen. Oder durch das All zu treiben. „Oh, natürlich“ Sie hob ihr Glas. „Auf …?“ „Den Beginn einer interessanten Bekanntschaft“ Er ließ ihre Gläser einander berühren, sah ihr dabei in die Augen und hob einen Mundwinkel. Es ließ sie erröten. Irgendwie begann er zu glauben, dass sein Bruder sehr genau wusste, was für eine Frau er brauchte – im Gegensatz zu ihm selbst. Er sagte: „Erzählen Sie mir doch von Ihrem Sohn.“ „Tyler ist cool“ Sie grinste, was bei ihm eher ein perplexes Zurückrücken auslöste. Wer bezeichnete sein Kind denn als cool? „Er hat mehr Selbstwertgefühl als jeder andere Mensch, den ich je getroffen habe und fordert radikale Akzeptanz. Wenn er die nicht kriegt, ist ihm der entsprechende Mensch schlichtweg egal und er geht über dessen Meinung hinweg.“ Das klang … narzisstisch. Sehr selbstzentriert und selbstüberzogen. Nicht unbedingt Eigenschaften, die er positiv bewertete. Während Standfestigkeit in sich selbst in Führungsetagen stets gebraucht wurde, wurde auch Team- und Kritikfähigkeit groß geschrieben. „Man kann viel von ihm lernen, auch wenn sein Sturkopf manchmal nervenfressend ist. Wir sind beide aneinander gewachsen. Auch wenn ich das mit der Erziehung ohne Sasu nicht so gut geschafft hätte. Sie hat mir stets beratend zur Seite gestanden“ Kimi hatte ihr Kinn auf beide Hände gestützt. „Ich wusste so oft nicht, was ich in Situationen tun sollte … kennen Sie das von Ihrer Tochter? Situationen, wo sie da stehen und wüssten, was richtig wäre, aber es Ihrem Kind einfach nicht begreiflich machen können?“ Wie zum Beispiel, dass es notwendig war, Zeit mit dem eigenen Kind zu verbringen? Dass ein Baby nicht nur ein abwechselnd schlafend und nach Essen schreiendes Wesen war sondern ein Mensch, der Aufmerksamkeit und Liebe brauchte? Dass Kinder auch im Schlaf die Stimme oder den Herzschlag ihrer Mutter brauchten, um nicht einsam zu sein? Er nickte nur ergeben. „Sasu hat da ein Händchen für. Sie wusste immer genau die richtigen Worte in solchen Situationen. Bei mir hat Tyler sich wie ein rebellisches Biest verhalten, aber bei ihr war er stets still und aufmerksam.“ „So sind Kinder bei Seto auch. Er hat eine sehr mütterliche Seite und wenn die mal zum Vorschein kommt, ist er von Kindern schier umringt. Nur ist die halt eher selten draußen“ Er seufzte. „Als Mokuba … also, Seto und ich hatten einen jüngeren Bruder. Als er noch lebte, konnte er Setos Persönlichkeiten ganz genau auseinander halten. Er wusste, wann es besser war, wegzurennen und wann er zu Seto kommen konnte“ Er hatte noch nie, absolut nie jemandem von Mokuba erzählt. Warum erzählte er es dieser Frau, die er kaum eine halbe Stunde kannte? Selbst mit Seto sprach er nie über Mokuba. „Er … er hat manchmal versucht, mir das zu erklären, aber seine Worte waren mir zu fremd. Ich wusste damals nicht, dass es möglich ist, mehrere Persönlichkeiten zu haben und wollte das auch nicht glauben.“ „Was ist mit ihm geschehen?“ Ihr vorsichtiger Ton sagte ganz genau, dass sie wusste, dass das Thema für ihn schwer war. „Er starb … infolge eines Unfalls. Er war high und ist in die falsche Gegend geraten. Seto gibt sich bis heute die Schuld an seinem Tod“ Noahs Stimme brach fast. „Sie auch“ Er sah auf. „Sie fühlen sich auch schuldig.“ „Ah … ich“ Er wandte den Blick ab. „Er hat mit den Drogen angefangen … wir konnten ihm nicht genug Halt geben. Seto war sehr instabil. Und nachdem die zwei ausgezogen waren … ich war einfach so müde. Seto war … damals war er mir einfach zu viel“ Er senkte beschämt den Blick zu Boden. „Ich war damals so froh, dass sie weg waren. Ich habe den Kontakt vollkommen schleifen lassen. Ich habe gar nicht mitbekommen … ich wusste, dass Mokuba Probleme hat, aber … ich habe nie genauer nachgefragt. Hätte ich doch bloß genauer nachgefragt. Vielleicht … das ist halt das Schlimme, dieses Vielleicht“ Er sah auf. „Ich hätte ihm bestimmt helfen können. Aber ich war schlichtweg zu faul, um mich mehr zu kümmern. Ich hätte wissen müssen, dass Seto nicht in der Lage war, sich allein um ein Kind zu kümmern. Er war viel zu instabil damals.“ „Wie alt war Mokuba da?“, fragte Kimi leise. „Vierzehn, als sie auszogen. Neunzehn, als er starb“ Noah schüttelte den Kopf. „Ich hatte fünf verdammte Jahre, um ihn da wieder raus zu holen. Und was habe ich stattdessen gemacht? Gearbeitet und mich mit Frauen vergnügt.“ Kimi griff eine Hand und drückte sie im Trost. Noah seufzte nur tief. „Tja, ich scheine genau so gut darin, die Stimmung zu ruinieren. Wie sind wir plötzlich auf dieses Thema gekommen?“ Er zog seine Hand jedoch nicht weg. „Ich vermute, Singles in unserem Alter tragen stets Ballast mit sich herum“ Sie lächelte, doch ihr Mitgefühl sprach noch immer aus ihren Gesichtszügen. „Jeder Mann, der ansatzweise an mir interessiert war, ist entweder an dem Punkt, dass ich einen Sohn habe oder an dem Punkt, dass ich einen Sohn durch eine Vergewaltigung von meinem eigenen Vater habe, weggerannt.“ „Ihr Vater?“, fragte Noah überrascht, bevor er den Kopf in Scham einzog, „Bitte entschuldigen Sie, das war unsensibel.“ Sie lachte nur. Als sie seinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte, zuckte sie nur mit den Schultern und sagte: „Wie gesagt, ich bin lange darüber hinweg. Man muss ja nicht sein Leben lang betrauern, was vor Jahrzehnten passiert ist.“ „Sie sind eine erstaunlich starke Frau“ Er seufzte in Erleichterung. „Ich bin über mein Leben bei weitem nicht hinweg. Mokuba, Setos Ausartungen, die Misshandlungen durch meinen Vater … ich weiß, es gäbe verdammt viele Punkte, denen ich mich zuwenden müsste, aber … bisher habe ich noch nicht den Mut dazu gefunden.“ „Sie wissen schonmal, dass Sie diese Themen haben und dass sie Sie belasten. Das ist mehr als viele unzufriedene Menschen haben, die den Grund für ihre Unzufriedenheit in der Gegenwart suchen. In meinen Augen verlangt es schon viel Mut, sich das eingestehen zu können“ Sie lächelte sanft. „Aber es klingt ein wenig, als ob Sie sich dieser Themen annehmen müssten, bevor Sie wirklich über eine Beziehung und Ihr eigenes Glück nachdenken können.“ Noah seufzte nur und senkte den Kopf. Das klang nach einem stimmigen Urteil. Und nach einer sehr freundlichen Art zu sagen, dass sie so etwas Kaputtes wie ihn nicht haben wollte. Mit gutem Recht. Wer war er zu glauben, dass man irgendwen mit so viel Ballast belegen könnte? Andererseits hatte sein Bruder sicherlich ein Vielfaches seines Ballasts und der hatte Katsuya. War es so egoistisch, sich so einen Menschen auch für sich zu wünschen? „Ich arbeite auch an mir“, erzählte Kimi fröhlich, „Mein nächster Schritt ist auf andere Menschen zuzugehen und Freundschaften zu schließen. Meine Welt hat sich für viele Jahre nur um meine kleine Familie gedreht. Jetzt muss ich die Welt wieder kennen lernen.“ Das war ihm weit voraus. Wen hatte er schon? Seto. Vielleicht noch ihren kleinen Tee-Kreis. Seit neuem hatte er Shizuka und Isamu. Aber Bekanntschaften? Freunde? Das schien schier unerreichbar. „Bin ich da Nummer eins der unabhängig kennen zu lernenden Menschen oder eher Nummer dreiundzwanzig?“, fragte er mit einem Hauch von Masochismus nach. „Nach Seto und Katsuya Nummer drei“ Sie sah vorsichtig auf. „Oder vielleicht eher Nummer zwei. Seto hing mehr an Katsuya dran.“ Noah musste unwillkürlich grinsen. Das war eine erstaunlich gute Beschreibung der Beziehung seines Bruders. Und damit war er eigentlich doch gar nicht so weit entfernt. Er kannte Katsuya und Shizuka und hatte nun Yami, Ryou und Bakura kennen gelernt. Das war eigentlich ein gar nicht so schlechter Satz an Bekanntschaften. Auch wenn er mit den letzten dreien vermutlich nie etwas allein unternehmen würde. Kimi passte da eigentlich gut zu. Auch wenn hieraus keine Beziehung werden würde, er konnte sich gut vorstellen, mit dieser Frau befreundet zu sein. Sie war ein quirliges Bündel Energie. Er wusste zwar nicht, was sie an ihm finden könnte, aber er fand fraglos etwas an ihr. „Tja, ich habe Sie nach Hobbys gefragt … wenn Sie Zeit hätten, welche Hobbys würden Sie denn gern machen? Was für Interessen haben Sie?“ Und sie würde auch bald erkennen, dass er nicht mehr zu bieten hatte als ein Weißbrot Vitamine enthielt. Er erwiderte: „Ich lese manchmal ein Buch.“ „Was lesen Sie denn gern?“ Sie lächelte breit. „Klassiker … oder Gedichte. Das, was mein Bruder mir in die Hand drückt mit dem Kommentar, ich solle es lesen“ Das war eine Beschäftigung, von der er auch nie vorher einer Frau erzählt hatte. Vor allem, weil er sich schämte. Von selbst würde er nie ein Buch anfassen. „Und gefällt Ihnen, was Ihr Bruder Ihnen gibt?“ „Nun … ehrlich gesagt nicht. Das meiste ist ziemlich anstrengend. Ich lese es ihm zuliebe. Er diskutiert gern über Bücher, aber niemand liest, was er liest.“ „Das muss frustran sein“ Sie seufzte. „Es ist sehr lieb von Ihnen, aber es klingt nicht so als wäre es den Aufwand wert.“ „Na ja … ich habe den Kontakt lange schleifen lassen. Die Bücher waren unser Weg, uns einander wieder anzunähern“ Sie hielt noch immer seine Hand. Er drehte diese und nahm ihre sanft in seine. Mit seiner anderen Hand begann er Kreise auf ihren Handrücken zu malen. „Ich wusste nie, wie ich über seine Krankheit sprechen soll … dadurch war stets so eine unsichtbare Mauer zwischen uns. Ich wollte einfach irgendein Thema haben, über das wir reden können. Also habe ich dieselben Bücher wie er gelesen.“ „Das finde ich sehr bemerkenswert“ Sie lächelte sanft. „Haben Sie denn heute Themen, über die sie reden?“ „Ich denke schon“ Noah lächelte. „Seto ruft mindestens einmal die Woche an und erzählt, was so passiert ist. Und wir sehen uns sonntags. Und wir haben ein Wochenende geplant, wo seine Kinderpersönlichkeit zum Spielen vorbei kommen möchte.“ „Das ist schön“ Kimi erwiderte sein Lächeln. „Aber dann brauchen Sie die Bücher nicht mehr lesen, oder? Was lesen Sie denn selbst gern?“ Er wandte nur den Blick ab. Gar nichts. Er war einfach zutiefst langweilig. Er hatte keine eigenen Themen, darin bestand sein Problem. Bisher hatten nur Frauen einer Beziehung mit ihm zugestimmt, die so viele eigene Themen hatten, dass sie jegliche Redezeit füllen konnten. „Haben Sie als Kind Comics gelesen?“, startete sie einen anderen Versuch. „Comics waren verboten. Mein Vater hielt nichts davon.“ „Ah … ich glaube, wir kommen dem Problem näher“ Sie drehte die Hand, die zwischen seinen lag, so, dass sie die Finger beider umfassen konnte. „Welche Hobbys hat Ihnen Ihr Vater denn erlaubt?“ Noah blinzelte nur. Bitte? Sein Vater? Er legte den Kopf ein wenig schief und die Stirn in Falten. Hm … was hatte sein Vater ihm eigentlich erlaubt? Er begann laut aufzuzählen: „Reiten, Schach spielen, Spazieren … ich durfte den Hausbediensteten helfen, wenn ich keinen Unterricht hatte. Oh, und ich habe Tennis gespielt.“ „Lassen Sie mich raten … Reiten, Spazieren und Tennis fällt wegen der Beine weg und für Schach fehlt Ihnen ein Mitspieler?“ Er nickte nur. „Kein Wunder, dass Sie keine Hobbys haben. Haben Sie seit Ihrem Unfall irgendein Hobby ausprobiert?“ Hatte er? Er hätte spontan ja gesagt, aber er konnte keines so wirklich nennen. Er hatte dieselben Bücher wie Seto gelesen. Er hatte ein paar Bücher gelesen, die Yami ihm empfohlen hatte. Er hatte ein paar Bücher gelesen, die das Jugendamt empfohlen hatte. Er hatte sich mit Isamu beschäftigt, aber das dürfte es auch gewesen sein. „Ich habe Teesorten getestet“, fiel ihm ein, „ich mag Tee gern. Ich habe sehr viele Sorten probiert. Ich glaube, ich könnte mich heute als Teekenner bezeichnen.“ „Das ist doch ein Hobby“ Sie grinste. „Klingt, als sollten wir einfach mal eine Reihe Hobbys ausprobieren. Ich habe auch noch keins. Ich wollte nächste Woche zum Tag der offenen Tür des Bogenschießvereins gehen, wollen Sie mitkommen?“ „Ja!“ Er zog den Kopf etwas ein, nachdem er bemerkt hatte, wie energisch er erwidert hatte. „Oh … ich glaube, ich hätte gern ein Hobby. Ich habe noch nie bemerkt, wie gern.“ Sie lächelte nur breit und schien sehr selbstzufrieden. „Und was für Interessen haben Sie?“, fragte er zurück. Vielleicht könnte hieraus doch etwas werden. Vielleicht hatte er eine Chance. Nein – vielleicht hatten Sie eine Chance: Als wir. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)