Der Alchemist von Leopawtra ================================================================================ Epilog: Lektion 3 ----------------- ๑⊱☆⊰๑ Die Leiche hatte Darren in sein Bett gelegt und das Bein an ihren Körper genäht. Auch die offene Bauchdecke hatte er so gut es ging verschlossen und darauf geachtet, dass die Fäden nicht reißen würden. Anschließend hatte er sein Tagebuch aufgeschlagen und seine Fortschritte, sowie die vergangene Nacht, darin niedergeschrieben. Es war wichtig für spätere Überlieferungen, dass er seine Errungenschaften, Methoden und Taten darin aufschrieb. Die Welt sollte sich im Klaren darüber sein was er dafür auf sich nehmen musste und auch die nachkommenden Alchemisten sollten wissen wie seine Tränke gebraut und verabreicht wurden. Es war früher Mittag und die Sonne schickte hin und wieder ihre Strahlen durch die dichte Wolkendecke. Der Schneefall hatte für einige Stunden aufgehört und auch der peitschende Wind war einer leichten und doch eisigen Brise gewichen. Der Tag war geradezu idyllisch und wunderschön. Im inneren der Hütte war es jedoch alles andere als wunderschön und idyllisch. Das Licht fiel zwar recht hell durch die Fenster und auch das Feuer erhellte den Raum, doch irgendwie behielt die Hütte ihre schummerige Dunkelheit bei. Porkas saß auf einem seiner zwei Kräuterschnapsfässer und schöpfte aus diesem mit einem Krug das Gebräu ab. Die gelben Augen hatte der Kobold dabei skeptisch auf den Alchemisten und dem Leichnam auf dessen Bett gerichtet. „Ich werde ihr jetzt den Lebenstrunk verabreichen.“, kündigte Darren den entscheidenden Schritt an und zog den Korken aus dem Fläschchen mit der gold leuchtenden Flüssigkeit. Der Kobold hingegen gab einen nachdenklichen Laut von sich, woraufhin er Darrens Aufmerksamkeit auf sich zog. „Meinst du es ist ratsam ihr es in den Mund zu kippen, wo ihre Kehle doch regelrecht zerfleischt ist?“ Regelrecht zerfleischt war in Bezug auf die Speiseröhre der falsche Ausdruck, wie Darren bei sich dachte. Shanas Kehle wies zwar eine sehr große Wunde auf, doch die Speiseröhre hatte nur einen leichten und doch offenen Riss davongetragen, während der Rest für den Alchemisten schon eher nach zerfleischtem Zustand wirkte. Er war immerhin kein Arzt und konnte daher nicht sagen wie schlimm der Zustand wirklich war. Die Stirn runzelnd betrachtete Darren die Leiche, strich sich mit der freien Hand über den Bart und überlegte auf Porkas' Worte hin. Er hatte dennoch Recht, so musste der alte Mann zugeben. Durch den Biss des Manticors war ihre Kehle sehr beschädigt worden und sollte das Gebräu nicht auch regenerativ wirken, wobei sich auch ihr Bein höchstwahrscheinlich neu entwickeln würde, so würden ihre Speiseröhre Schäden beibehalten. „Ich werde ihr das Gebräu besser über die beschädigte Bauchdecke verabreichen. So stelle ich sicher, dass sie es auch wirklich intus hat.“. Darren führte seine Hand mit dem Fläschchen zu der zerrissenen Stelle ihres Kleides. Dadurch, dass er die Bauchdecke nicht vollständig verschließen konnte, da Stücke ihrer Haut fehlten, war es ihm möglich den Lebenstrunk direkt in ihren toten Leib zu gießen. Akribisch und mit gekonnter Präzision verabreichte der Alchemist seinem Versuchsobjekt den Inhalt des Gefäßes. Kaum hatte er das getan trat er einen Schritt vom Bett zurück, denn er wusste nicht was nun passieren würde. Großmeister Albrecht hatte nie davon geschrieben, wie der Prozess verlief. Daher würde Darren nun selbst die Erfahrung machen müssen. Fasziniert und voller Ehrfurcht beobachtete er wie sich das Gebräu sichtbar unter ihrer Haut durch ihre Adern bewegte und wie es ihren ganzen Körper in ein warmes goldenes Licht hüllte. Von ihren Adern zog sich die goldgelbliche Flüssigkeit schlagartig vollständig zurück, floss in ihre Körpermitte und ließ dort ihr Herz, durch ihre weiße Haut klar ersichtlich, weißgelblich erstrahlen. Das Leuchten erstarb kurz darauf gänzlich, woraufhin Darren missmutig dreinblickte und glaubte einen vollkommenen Misserfolg erlebt zu haben. Tief atmete er durch und wollte sich gerade von der Leiche wegdrehen, als diese sich langsam aufrichtete. Der Alchemist traute seinen alten Augen kaum, denn die schöne Shana hatte sich Dank des Lebenstrunks bewegt. Als sie ihre großen, blauen Augen aufschlug, machte sein Herz einen gewaltigen Hüpfer. Freudig grinsend führte er einen kleinen Stepptanz auf und lachte glücklich. „Ich habe es geschafft! Sie lebt, Porkas! Sie lebt!“ Sein Freudentaumel war überwältigend und doch nutzte der Alchemist den kleinen Moment, um in sein Tagebuch zu schreiben, dass sein Experiment geglückt sei und sie lebte. „T-Teuerster? Du solltest sie nicht aus den Augen lassen.“, kam es ängstlich von dem Kobold, woraufhin Darren nur mit der Hand abwinkte. „Unsinn, du fürchtest dich nur vor ihrem Äußeren. Ich hatte es zwar gehofft, doch leider blieb die regenerative Reaktion vollkommen aus. Wir werden also mit ihrem jetzigen Aussehen vorliebnehmen müssen. Wenn ich mich weiterhin bemühe, dann sollte eine Perfektion mit regenerativer Reaktion durchaus braubar sein“, erklärte Darren seinem magischen Mitbewohner ruhig, legte seinen Federkiel zur Seite und klappte das Tagebuch zu. Im Anschluss wandte er sich herum und sah sich Shana direkt gegenüber. Ihr Körper war nach wie vor tot und doch stand sie dicht vor ihm. Ihr ausdrucksloser Blick ließ Darren allerdings ein wenig erschaudern, denn ihre toten und nun mehr eisblauen Augen durchbohrten ihn regelrecht. Ihr goldenes Haar floss platt und vollkommen strohig über ihre Schultern. Shanas einst rosige Haut war hingegen schneeweiß geworden. Die vollen Lippen, nach denen Darren sich immer so gesehnt hatte, waren so blau geworden wie die schönste Rose, die es in Tarandor gab. Langsam hob der alte Mann seine Hand und legte sie an die eiskalte Wange der toten und für ihn doch so bildhübschen Shana. Ihre weiche Haut unter seinen Fingern zu spüren ließ sein Herz freudig hüpfen und er sah sich endlich am Ziel angekommen. Viel zu lange hatte er sich nach ihr gesehnt und jetzt, wo sie wieder zum Leben erwacht war, würde es nur noch den Liebestrank brauchen, damit sie sich ihm auf Ewig verschrieb. Glücklich lächelnd schloss er die Augen, atmete tief durch und säuselte lieblich: „Oh Shana, endlich können wir zusammen sein.“ Ein reißender Schmerz und das Gefühl hunderter Nadeln an seinem Handgelenk ließen ihn die Augen schlagartig wieder aufreißen. Sein Herz setzte für den Bruchteil von Sekunden aus, als er den Anblick sah, der sich ihm gerade bot. Shana hatte ihm ins Handgelenk gebissen und nicht nur das. Der geradezu betäubende und reißende Schmerz kam daher, dass sie ihm Haut und sogar etwas Fleisch von der Stelle gerissen hatte. Entsetzt und schnell zog Darren den Arm an sich. Mit der anderen Hand versuchte er seine Blutung zu stoppen. Unter Schock stehend sah er zu wie Shana kaute, ehe sie den Bissen runterschluckte und er durch ihre Bisswunde am Hals sehen konnte wie ein Teil davon aus dem Spalt der Speiseröhre hervor quellte. Seine Kutte wurde von seinem eigenen Blut getränkt, während seine Gedanken sich überschlugen. Darren war wie gelähmt und konnte nicht glauben was passiert war. Er hatte sie zurück ins Leben geholt, ja das hatte er in der Tat, doch sie war nicht sie selbst. Shana war ein Monster geworden, das ihn ganz offensichtlich fressen wollte. Eiskalte Angst packte seinen Körper und schüttelte ihn regelrecht durch, wobei ihm seine Knie schlotterten. Der Blutverlust von seinem Handgelenk blieb ihm für den Moment unwichtig, da seine schrecklichen Gedanken und die erschütternde Erkenntnis ihn betäubten. Ein wenig staksig legte Shana den Kopf schief, ehe sie ihre Zähne fletschte und eine Art knurrendes, fauchendes Geräusch von sich gab. Dadurch, dass ihre Stimmbänder vom Manticorbiss beschädigt waren hörte es sich noch krächzender an. Sie hob ihre Hände und wollte Darren gerade an den Schultern packen, als dieser aus seiner Trance zu erwachen schien. Beinahe gekonnt wich er ihrem todbringenden Griff aus, tastete hinter sich nach seinem Tagebuch und schlug ihr mit dem Buchband gegen ihren Kopf. Ein wenig taumelte sie dabei zur Seite, wobei sie den Weg zur Tür frei gab. Darren nutzte die Chance und überwand schnellen Schrittes den Abstand zwischen sich und der Tür. Gerade betätigte er die Klinke, wobei die Tür sich nach außen öffnete, als er spürte wie sich etwas Massiges in seinen Rücken warf. Es war Shana die ihm in den Nacken gesprungen war und ihre Zähne in seinem Hals versenkte. Vor Schmerzen aufschreiend versuchte Darren die drei Stufen zu nehmen, doch ungeschickter Weise stolperte er dabei über seinen ledernen Umhang und verlor das Gleichgewicht. Beide fielen kopfüber in den weichen Schnee, welcher sich sofort rot färbte. Benommen und doch noch so klar bei Verstand, dass er sein Tagebuch in die Kuttentasche sinken ließ, sah er nach wo Shana lag und stellte erleichtert fest, dass er ein wenig Spielraum hatte. Mühselig und unter Schmerzen, die nicht nur von seinen kranken Knochen kamen, rappelte sich Darren auf. Seine Beine fühlten sich so schwer an wie Blei und auch der starke Blutverlust machte sich nun doch bemerkbar. Seine Wunde am Handgelenk hatte ihn viel Blut gekostet und auch die Bisswunde am Hals ließ ihn spüren wie sein warmer Lebenssaft langsam, aber stetig, hinaus floss. Sein Geist war vernebelt der fesselnden Angst vor dem Monster, welches er geschaffen hatte. Seine Schritte waren viel zu langsam und doch schickte er immer wieder Stoßgebete zu der Schöpferin, dass sie ihn beschützen und ihn dieses schreckliche Spektakel überleben lassen möge. Als er ein krächzendes Knurren hinter sich hörte, wagte Darren sich kurz umzudrehen. Nur, um zu sehen wie Shana den Mund weit aufgerissen und die Arme nach ihm ausgestreckt auf ihn zu gerannt kam. Ein letztes Mal mobilisierte er seine ganze Kraft und begann ebenfalls durch den hohen Schnee zu rennen, wobei sein Blut eine deutliche Spur hinterließ. Darrens Herz schlug hart in seiner Brust und von der nackten Angst getrieben rannte er den Hügel hinunter. Doch er sollte nicht weit kommen, da er über einen Stein stolperte, der unter der Schneedecke verborgen lag. Das Gleichgewicht ein zweites Mal verlierend rollte der Alchemist nun den Abhang hinunter und blieb erst am Ende von diesem auf den Rücken liegen. Sein ganzer Körper schmerzte und seine Muskeln brannten wie Feuer, während er spürte wie das Blut sich weiterhin einen Weg aus seinen Bisswunden bahnte. Ihm war ganz schwindelig geworden und hinzu gesellte sich eine unerträgliche Atemnot. Beinahe glaubte er zu ersticken, doch seine Lungen füllten sich immer noch mit genug Sauerstoff, um ihn am Leben zu erhalten. Langsam und nur halb öffnete er seine grünen Augen, um sich ein wenig Orientierung zu verschaffen. Doch was er erblickte ließ ihn laut und voller Angst aufschreien, denn es war Shana dessen Antlitz über ihn gebeugt war und die sich ihre Zähne bleckte, wobei sie immer wieder ein krächzendes Knurren und Fauchen von sich gab. Das letzte bisschen Kraft wandte er dafür auf, um sie an den Schultern zu packen und von sich wegzudrücken. Sein von Todesangst geschwängerter Schrei hallte vom Hügel wieder, ehe die Untote seine Oberarme packte und ihn mit geradezu unmenschlicher Kraft dazu zwang sie loszulassen. Anschließend schnellte sie hervor und biss ihm erneut in den Hals. Immer wieder laut und verzweifelt schreiend versuchte sich der schwächelnde Alchemist aus seiner Situation zu befreien. Vom Fenster der kleinen Hüte hatte der Kobold das entsetzliche Schauspiel verfolgt. Seine gelben Augen ruhten auf Shana und Darren, der noch immer, wenn auch kraftlos an ihren goldenen Haaren zerrte. Seine Schreie wurden qualvoller und gluckernd, bis sie vollkommen erstarben und auch das Zerren an Shanas Haar ein jähes Ende fand. Mitleidslos und doch voller Angst im spitzen, sonst so fiesen Gesicht, beobachtete Porkas wie Shana begann Darren zu fressen. Diese bizarre Situation erhielt einen Funken Ironie, als die Wolkendecke gänzlich aufriss und die Sonne ihre schönsten Strahlen auf Tarandor hinabfallen ließ. Der kleine Kobold sah kurz zum Himmel und beobachtete für einige Herzschläge einen magischen, blaurosafarbenen Schmetterling, der am Fenster vorbeiflog. Tief atmete er durch und sah sich anschließend in der Hütte um. „Zu schade. Ich werde seinen Kräuterschnaps vermissen.“ Porkas seufzte wehmütig auf, ehe er sich vom Fenster weg teleportierte und wieder auf seinen Fässern Platz nahm. Fast schon zärtlich klopfte er auf das Holz eines der Fässer, während er selig dabei lächelte. „Zeit zurück in die Heimat zukehren.“ Kaum hatte der bläuliche Kobold diese Worte ausgesprochen waren er und die Fässer auch schon aus der Hütte verschwunden. ๑⊱☆⊰๑ Am Ende hatte Darren es tatsächlich geschafft in die Geschichte von Valiona einzugehen. Nicht nur, weil er ein Meister seines Handwerks war, das war das Geringste wofür er Valiona in Erinnerung blieb, sondern auf Grund der Tatsache, dass er eine neue Spezies erschaffen hatte. Durch seinen Lebenstrunk und der Erweckung Shanas hatte er den Untoten den Weg in die Welt der Lebenden geebnet. Alte Schriften überliefern die Geschichte, dass Shana, nachdem sie sich an ihm satt gefressen hatte, sich auf den Weg ins Dorf Kalysch machte. Wenige Stunden später soll auch der Leichnam von Darren zu neuem Leben erwacht sein. Gemeinsam und doch unabhängig voneinander überfielen die zwei Untoten die Bauernhöfe außerhalb Kalyschs und hinterließen eine Schneise von Tod und Verfall. Die verstorbenen Bauern, so heißt es in den Schriften, wurden selbst zu wandelnden Toten. So nahm das Schicksal von Tarandor seinen Lauf. Die Untoten verbreiteten sich rasant im Hochland, woraufhin dieser Ort, zusammen mit dem Parasuna, zum Gefährlichsten in ganz Valiona wurde. Die Tierwelt Tarandors war innerhalb weniger Jahre vollständig geflohen und auch dessen Pflanzenwelt verdorrte und erstarb. Nur die Untoten wandelten dort auf ewig umher und wurden zu einer der gefürchtetsten Spezies der Welt. Es war nämlich so, dass, trotzdem ihre Leiber angefressen und tot waren, sie eine gewaltige Kraft besaßen und in der Lage waren wie die Lebenden zu rennen. Es machte sie zu gefährlichen Jägern, weshalb die anderen humanoiden Völker einstimmig entschieden eine große Mauer um das Hochland zu errichten. Über wenige Jahre hinweg wurde diese Mauer gebaut, wobei mächtige Magier einen aufwendigen Schutzschild um das Land gewoben hatten, damit die Untoten nicht hinaus und kein anderes Lebewesen hineinkonnte. Der Alchemist Darren wurde, damals als Tarandor noch offen zugänglich war, nach dem Fund seines Tagebuches, dafür berühmt die Seuche der Untoten über Valiona gebracht zu haben. Ob er sich darüber gefreut hätte? ๑⊱☆⊰๑ ENDE ๑⊱☆⊰๑ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)