Der Alchemist von Leopawtra ================================================================================ Prolog: Lektion 1 ----------------- ๑⊱☆⊰๑ In der magischen Welt von Valiona gab es so manches wunderschöne Einhorn, hinreißende Feen und kleine Erdgeister, die durch die dichten Wälder von Teronkar streiften. In den Ödländern von Beronk und Faron lauerten hingegen gefährliche Basilisken, gemeine Harpyien und von böser Magie verderbte Satyre auf unvorsichtige Beute. Valiona beherbergte in seinen Ländern und Ozeanen viele magische Wesen, wobei auch viele Humanoide unter ihnen waren. Die Menschen waren die jüngste Rasse der humanoiden Wesen, aber auch die Eifrigsten und Wissbegierigsten. Aus ihren Reihen traten einige der größten Magier und Krieger hervor. Sie waren jedoch ebenso selbstzerstörerisch, wie ehrgeizig. So kam es oft vor, dass kleine Menschensiedlungen einander um Land und Magiequellen bekämpften. Meist bis zur Auslöschung einer der Siedlungen. ๑⊱☆⊰๑ In Tarandor jedoch war alles sehr friedlich und wenig magisch. In dem Hochland, mit seinen großen, grünen Weiden, Bergen und Wäldern, waren nur die Tierwesen magisch. Die hiesigen Menschen lebten ein einfaches Bauernleben in ihren Siedlungen und waren doch sehr glücklich damit. Nur die Manticore, die in ihren Höhlen lebten und bei großem Hunger ihre Berghänge verließen, waren die einzige Gefahr, die es in Tarandor zu fürchten gab. ๑⊱☆⊰๑ Ein wenig außerhalb des Dorfes Kalysch hatte der Alchemist Darren seine Hütte auf einem Hügel errichtet. Er hatte die fünfzig Jahre bereits weit überschritten und sein Leben vollständig der Alchimie gewidmet. Blumen, Kräuter, Wurzeln und andere Zutaten wie Pegasusfedern, Blut von Basilisken und Manticorkrallen miteinander zu vermischen war seine Leidenschaft. Die Alchimie hatte ihn ganz Valiona bereisen lassen. Es gab keine Zutat, die er nicht in seinem Besitz hatte. Seit kurzem war er sogar in den stolzen Besitz eines Hornes von einem Einhorn gekommen. Diese bildhübschen Wesen waren scheu und schnell. Sie zu fangen war unmöglich und selbst wenn sie verendet waren, so machten sich die Aasfresser rasch über ihre Kadaver her. Bisher hatte Darren es geschafft alles in kleinen Fläschchen abzufüllen. Heiltoniken, Gifte, Magie und sogar die Liebe selbst. Nur das Leben war bis vor kurzem noch ein weit entfernter Traum gewesen. Aus Überlieferungen frühster Alchimie war es nur dem Großmeister Albrecht gelungen das Leben in Flaschen abzufüllen. Die wichtigste Zutat war dabei auch die Seltenste – ein Horn eines Einhorns. Es bedurfte dabei jedoch das Horn der seltensten Einhornrasse in ganz Valiona. Nur die schwarzen Einhörner, tief versteckt in den Dschungeln Parasunas, einem für humanoide Wesen lebensfeindlichen Ort, kannten das Geheimnis der Wiedergeburt und des Lebens selbst. Es hieß, dass diese Wesen so alt seien wie Valiona selbst und dass die Schöpferin sie als ihre rechte Hand auf diese Welt geschickt hatte. Für Darren waren die Mythen und Sagen um diese Einhörner herum nicht wichtig, denn für ihn zählte einzig und allein die Zutat für sein Gebräu. Die smaragdgrünen Augen von Darren konzentrierten sich einzig und allein auf den kleinen Kessel, welcher auf seinem Alchimietisch vor ihm stand. Sein graues, schulterlanges Haar war zerzaust, während sein weißer brustlanger Vollbart feinsäuberlich gekämmt erschien. Das Gesicht des alten Mannes war schmal und faltig. Sein schmächtiger und doch großer Körper war unter einer langen, braunen Kutte versteckt. Sein dunkelbrauner Lederumhang hing über seine Schultern und seine Füße steckten in Manticorfellschuhen. Eisiger Wind und dicke Schneeflocken peitschten gegen das dünne Fensterglas seiner kleinen und überschaubaren Hütte. Sein zu Hause war nicht sonderlich hübsch hergerichtet, denn es besaß nur ein Zimmer in dem sein Bett, eine Holzwanne, eine Kochstelle und sein Alchimietisch stand. Darrens ganzer Stolz war jedoch der Keller, welchen er eigenhändig über die Jahrzehnte hinweg ausgebaut hatte. Dort lagerte er seinen wertvollsten Besitz; Seine Zutaten aus ganz Valiona. Vorsichtig holte er das Horn eines schwarzen Einhorns aus einem Stück Leinentuch hervor und betrachtete es einen langen Moment. Er hatte unglaublich viel Glück gehabt dies zu bekommen, als er in Parasuna unterwegs war. Damals war ein schwarzes Einhorn einer Rankenfrucht, eine Pflanze, die ihre Beute mit köstlichen Früchten lockt, zum Opfer gefallen und qualvoll zwischen den fleischfressenden Ranken zu Grunde gegangen. Er hatte das Horn von dem Schädel des toten Tieres befreit, als die Rankenfrucht ihr üppiges Mahl beendet hatte und ruhte. Erstaunt stellte der alte Mann fest, dass das Horn noch immer pulsierte und voll von reiner Magie war. Sachte nahm er sein Messer zur Hand und schnitt mit Leichtigkeit die Spitze des Horns ab. Zu Lebzeiten war das Horn der Einhörner geradezu unzerstörbar, doch nach ihrem Tod wurde es weich und erhielt die Konsistenz ähnlich einer Karotte. Das kleine Stück mahlte er zu feinem Pulver, um es anschließend vorsichtig dem Gebräu hinzuzufügen. Kaum hatte er die Menge hinzugegeben und mit der Kelle im Kessel gerührt, färbte sich die dunkelrote Flüssigkeit goldgelb und begann zu leuchten. In Darren brach augenblicklich ein Feuerwerk der Glücksgefühle aus und er wurde regelrecht auf einen Höhenflug des Erfolgs katapultiert, als er sich bewusstwurde, dass er es so eben geschafft hatte das Leben selbst zu brauen. Glücklich lachend führte er einen Freudentanz auf, während sein kleiner, bläulicher Kobold, den er sich als Gehilfen hielt, ihm nur zuschaute. „Ich habe es geschafft, Porkas! Ich habe das Leben gebraut!“, verkündete Darren stolz und sah dabei zu seinem Kobold hinüber. Dieser saß in der Ecke auf einem kleinen Holzschemel und schwenkte ein Fläschchen grünlichen Gebräus hin und her. Es war ein Kräuterschnaps, welchen Darren selbst braute und sich mit dessen Hilfe den kleinen Kobold hörig gemacht hatte. Es gab in ganz Valiona keinen Kräuterschnaps wie diesen, da er mit Meerjungfrauentränen angereichert war. Eine Träne genügte, um einem ganzen Fass den besonderen Geschmack zu verleihen. „Soll ich jetzt Beifall klatschen, Teuerster?“, gab Porkas mit seiner fipsigen Stimme ein wenig argwöhnisch von sich, ehe er einen weiteren Schluck aus dem Fläschchen nahm. Ein wenig wurde der Höhenflug von Darren davon gedämpft, woraufhin er innehielt und genervt dreinblickte. „Kräuterschnaps hätte dich jubeln lassen.“ Trotz der miserablen Laune seines magischen Mitbewohners, war Darren noch immer voller Glückseligkeit und hatte damit begonnen seine Errungenschaft in kleine Fläschchen abzufüllen. Vorsichtig stellte er eines davon in sein Schränkchen mit den anderen Tränken, ehe er die Zutaten und restlichen Fläschchen in ein kleines Weidenkörbchen legte und mit diesem in der Hand in die Mitte der Hütte trat. Er schob das dort liegende Kuhfell zur Seite und öffnete die darunter verborgene Falltür, welche in den Keller führte. Porkas beobachtete wie Darren darin verschwand und rief ihm nach: „Ich brauch mehr Kräuterschnaps, dieser hier ist fast leer.“ „Nein!“, donnerte es aus dem dunklen Keller hervor, woraufhin die gelben Augen des Kobolds sich zu Schlitzen verengten. Mit einer beiläufigen Handbewegung klappte die Falltür zu und verriegelt sich, woraufhin Darren an dieser rüttelte. „Porkas! Mach sofort die Falltür auf!“, tobte dieser und schlug offenbar mit den Fäusten gegen die Tür. Der Kobold schwenkte den letzten Rest in seinem Fläschchen. „Im Austausch einer Flasche neuen Kräuterschnapses, lasse ich dich da wieder raus.“ Das Rütteln hatte ein Ende an der Falltür gefunden und entnervt murrend hörte Porkas wie Darren sich von dieser entfernte. Nur wenige Augenblicke später hörte er den alten Mann sagen: „Ich habe das Fläschchen. Nun lass mich raus.“ Mit einem zufriedenen Grinsen auf dem fiesen, spitzen Gesicht, schnippte Porkas mit den Fingern und die Falltür öffnete sich wieder. Zornig dreinschauend kam Darren aus dem Loch heraus, stieß mit dem Fuß die Klappe zu und schob das Kuhfell wieder darüber. Offensichtlich ging es dem kleinen Kobold mit der Ablieferung des Fläschchens nicht schnell genug, denn wie von Geisterhand schwebte dieses aus Darrens Händen hinüber zu Porkas. Die andere leere Flasche einfach zu Boden fallen lassend, nahm er die Volle entgegen und zog sogleich den Korken hinaus, um sich einen großen Schluck des Kräuterschnapses zu genehmigen. Vollkommen entnervt ging Darren auf den Kobold zu, bückte sich stützend mit der Hand im Rücken nach der leeren Flasche und hob sie auf. Ein solches Benehmen war der Alchemist von dem Kobold bereits seit vielen Jahren gewohnt, doch er merkte, dass er zu alt für diese Spielchen wurde und dass ihm Porkas immer mehr die Nerven raubte. Dabei hatte sich Porkas nicht verändert, sondern Darren. Seine Knochen waren alt und schwach geworden. Auch sein Gemüt war längst nicht mehr so ruhig und besonnen wie vor vielen Jahren. Von dem Ereignis gerade ein wenig geschafft, stellte er die leere Flasche auf dem Alchimietisch ab und setzte sich auf den Holzhocker, der davorstand. Seine grünen Augen ruhten auf dem Fläschchen mit dem goldgelben Inhalt, welcher so herrlich durch das Glas des Schränkchens leuchtete. Als könnte er die Gedanken des alten Mannes lesen fragte ihn der Kobold: „Und, Teuerster? An wem willst du das Gesöff ausprobieren?“ Schwer seufzte Darren auf und zuckte mit den Schultern. „Es gibt nicht viele, die mich schätzten und die ich geschätzt habe. Der Kreis potenzieller Versuchsobjekte ist daher sehr klein.“ Ein leises Kichern verließ Porkas' Kehle, ehe er einen Schluck vom Kräuterschnaps nahm. Mit einem Blinzeln seiner gelben Augen teleportierte er sich vom Schemel in seiner Ecke direkt vor Darren auf den Alchimietisch. Mit seinen Händen deutete er frech Wölbungen im Brustbereich an und sagte dreckig grinsend: „Die kleine Dorfschönheit wäre doch perfekt dafür geeignet. Ist doch immerhin jammerschade, dass sie von uns gegangen ist.“ „Porkas, bitte! Wie kommst du nur auf Shana? Sie war eine ehrenhafte junge Frau und sollte in Frieden ruhen.“, stellte der Darren klar und wollte dabei nicht, dass sein magischer Mitbewohner Shana in Erwägung zog. Sie war eine ehrenwerte Dame gewesen mit einem hübschen Puppengesicht, großen blauen Augen und langem goldenen Haar. Der Kobold lachte auf und suchte den Blick des Alten, während er sprach: „Ich kenn dich lang genug, alter Mann, um zu wissen wie du sie begehrt hast. Dabei meine ich nicht nur ihren Körper, sondern sie im Ganzen. Du hast sie vom ersten Moment eurer Begegnung an geliebt und ich weiß noch wie sehr du um sie getrauert hast. Der Unfall mit dem Manticor liegt lediglich einige Wochen zurück und jetzt im Winter wird ihr Leichnam noch gut erhalten sein, so fern noch genug von ihr übrig ist.“ Für den Moment dachte Darren daran zurück, als die Nachricht des Manticorangriffs im Dorf die Runde machte. Die junge Shana war beim Pilze sammeln im Wald von einem hungrigen Manticor angegriffen und getötet worden. Noch zu genau erinnerte sich der Alchemist an den Schmerz und das tiefe Loch, dass ihr Ableben in ihm zurückgelassen hatte. Wahrhaftig, er hatte sie geliebt wie keine andere Frau je zuvor. Nichts hätte sein Herz glücklicher gemacht, als diese blutjunge Schönheit wieder um sich zu haben. Es war ein furchtbarer und absurder Gedanke ihre Leiche auszugraben und mit dem Trank zu neuem Leben zu erwecken. Es gehörte sich einfach nicht die Totenruhe zu stören und vor allem ist es der bösen Magie gleich die Toten wieder auferstehen zu lassen. Für die schwarzen Einhörner gehörte dies zum Lebenskreislauf, da die Weibchen nur alle zweihundert Jahre Fohlen zur Welt bringen konnten. Bei den humanoiden Völkern, besonders bei den Menschen, war es ein Frevel totes Fleisch zurück ins Leben zu holen. Großmeister Albrecht hatte es gewagt seinen toten Sohn wiederauferstehen zu lassen. Sowohl sein Sohn als auch er und seine Frau wurden wegen Nekromantie verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sollte Darren es also wirklich wagen, sie auszugraben und ihr mit Hilfe des Tranks neues Leben einhauchen? Die alten Aufzeichnungen hatten nie beinhaltet wie Albrechts Sohn nach der Wiederauferstehung war. Es blieb daher ein Rätsel, ob er sich an sein Leben erinnern konnte und ob er wieder ein vollständiger Mensch oder ob er ein Monster geworden war. Allerdings hatte Darren sich nach Shanas Tod öfter überlegt, sollte er Erfolg haben, sie aus ihrem Grab zu holen und ihr mit dem Trank neues Leben einzuhauchen. Zeitgleich würde er ihr einen Liebestrank verabreichen, damit sie nur ihm gehörte. Sie sollte die Seine sein, auf Ewig. Er hatte schon mehrere Male versucht ihr in der Taverne von Dorf Kalysch das Gebräu unter zu mischen, doch es war ihm nie gelungen. Frauen gehörten nie zu seinem Leben und auch andere humanoide Wesen waren nie lang in seinem Leben verblieben. Es waren meistens nur Zweckbekanntschaften, da Darren ein ziemlicher Eigenbrödler war und die Gesellschaft seiner Zutaten, Gebräue und seit einigen Jahren auch die von Porkas vorzog. Die Dörfler mieden ihn lieber, da er auf diese einen schaurigen und verwirrten Eindruck hinterließ und er war durchaus dankbar dafür. So konnte er seiner Leidenschaft ungestört nachgehen. Der schreckliche Gedanke, ihre Leiche aus der vereisten Wintererde auszugraben, wurde von Minute zu Minute immer verlockender. Er hatte seine Gebräue schon an so vielen Wesen ausprobiert. Vorrangig an sich selbst und Porkas. Daher war es für ihn nur ein Katzensprung die Hemmschwelle zu überwinden und den Gedanken allmählich als angenehm und interessant zu empfinden. Mit den Fingern über seinen Bart streichend und auf den Holzboden starrend, murmelte Darren nachdenklich vor sich hin. „Vermutlich werde ich einige Leichenteile benötigen, um Shana wieder vollständig zusammen setzen zu können.“ Langsam wandte sich sein Blick zu der Schaufel, die hinter der Tür ihren Platz hatte. Das diabolische Lachen des Kobolds erschallte laut in der kleinen Hütte. Für Darren war diese Situation und der bizarre Gedanke nun endgültig ein schaurig schöner Moment geworden. ๑⊱☆⊰๑ Kapitel 1: Lektion 2 -------------------- ๑⊱☆⊰๑ Der Friedhof lag nicht weit entfernt vom Dorf. Er lag gleich hinter dem kleinen Bach, der im Winter immer zugefroren war. Es war tief in der Nacht und der eisige Wind peitschte über die Weiden hinweg, ehe er seinen Weg in die dunklen Wälder fortsetzte. Aus der Ferne hörte Darren von den Berghängen die Manticore brüllen, doch daran störte er sich nicht. Er war im Parasuna Dschungel unterwegs gewesen und hatte dort gefährlichere Wesen und Pflanzen gesehen als Manticore. Vor dem Grab Shanas stehend betrachtete Darren die Grabinschrift einen kurzen Moment lang. Seine Moral und sein Gewissen hatte er längst hinter sich gelassen, denn sein Vorhaben stand fest. In warmes Manticorfell gehüllt und die Kapuze über sein zerzaustes Haupt gelegt, sah er sich auf dem Friedhof um. Trotz der tiefen Nacht und dem spärlichen Mondlicht konnte er alles gut genug erkennen, denn der weiße Schnee hatte den so tristen Friedhof in eine hübsche Winterlandschaft verwandelt. Dadurch, dass der Schnee das wenige Mondlicht reflektierte, konnte er genau erkennen wo er sich befand und auch die kleine Kapelle war gut in der Mitte des Friedhofes zu sehen. Porkas saß in der Mitte der Holzschubkarre, die Darren schwerfällig durch den hohen Schnee hierhergeschoben hatte. Neben ihm lag die Schaufel, mit der er Shana ausgraben wollte. Die Flasche Kräuterschnaps in der Hand haltend sah der kleine Kobold höhnisch zu dem Alchemisten. „Was ist los, Teuerster? Warum gräbst du nicht? Hast du Angst, dass dich zu dieser dunklen Stunde jemand sehen könnte?“ Auf diese Fragen hin wandte sich Darren mit mürrischer Miene zu Porkas und zog die Brauen kraus. „Nein, ich überlegte lediglich, ob ich nach dem Ausgraben Shanas die Leichenhalle unter der Kapelle nach Brauchbarem durchstöbere oder ob ich noch andere Gräber aushebe. Des Weiteren können wir das Grab von Shana danach nicht offenlassen. Deine Aufgabe - und darauf verlasse ich mich - wird es sein, das Grab zu schließen und unsere Spuren zu verwischen.“ Darren trat nach seiner Ansprache an die Schubkarre heran, nahm die Schaufel mit beiden Händen heraus und begann damit das Grab vom Schnee zu befreien. Anschließend begann er mit der schweren Arbeit das Grab auszuheben und sich durch die gefrorene Erde zu kämpfen. Es machte ihm schwer zu schaffen sich auf diese Art und Weise körperlich zu ertüchtigen. Der Stärkste war er noch nie gewesen, doch jetzt im hohen Alter, vor allem im Winter, waren es seine müden, kranken Knochen, die nur unter Schmerzen ihren Dienst leisteten. Trotzdem es so bitterkalt war, der Wind schneidend über den Friedhof hinwegfegte und der Schneefall nicht aufhörte, begann Darren bei seiner Arbeit zu schwitzen. Das letzte Mal als er sich körperlich so angestrengt hatte, war als er im Ödland von Beronk vor einem Schwarm Harpyien floh. Gedanken kreisten nicht durch seinen Kopf, denn dieser war vollkommen leer. Seine Handlungen geschahen ohne sein bewusstes Zutun und Darren hatte das Gefühl wie in Trance zu sein. Er hatte wahrhaftig schon viel mit seinen Tränken experimentiert und dabei zugesehen wie humanoide Wesen verstümmelt wurden oder sich ihr Innerstes nach außen kehrte. Wobei dies die Harmlosesten seiner Misserfolge waren. Natürlich waren diese Misserfolge nur Unfälle gewesen, da die Tränke ihre perfekte Wirkung noch nicht erreicht hatten. Eine Leiche jedoch auszugraben und diese zurück ins Leben zu holen, war selbst für den Alchemisten ein Akt, den er nie geglaubt hatte zu vollziehen. Er war viel zu sehr in seinem Vorhaben vertieft und betäubt von seiner brennenden Neugier und der Hoffnung Shana wieder zum Leben zu erwecken, dass er weder Schuld noch Reue fühlte. Genau genommen fühlte Darren im Moment nur die Vorfreude sie aus dem Grab zu holen und mit ihrem toten Leib zu experimentieren. ๑⊱☆⊰๑ „Teuerster, du solltest dich beeilen. Der Mond verabschiedet sich langsam, was bedeutet, dass bald die Sonne aufgeht. Es wäre unklug hier zu verweilen, bis der Pfarrer erscheint.“, ertönte die leicht besorgt klingende Stimme von dem Kobold, woraufhin sich Darren mühselig aufrichtete und aus dem Loch hinauf zum Himmel schaute. Sein Blick verfinsterte sich, als er feststellte, dass das dunkle Firmament bereits an Helligkeit gewonnen hatte. Schnaubend sah er unter sich und hoffte, dass er ihren Holzsarg bald erreicht hatte. Immerhin befand er sich bereits gute zwei Meter unter der Erde. Allerdings machten seine Knochen und die Kälte ihm sehr zu schaffen und auch die Müdigkeit zerrte an seinem ganzen Leib. Doch er wollte jetzt nicht scheitern. Darren war bereits viel zu weit gekommen, um sein bizarres Vorhaben abzubrechen. Mit neuem Elan mobilisierte er ein letztes Mal seine Kräfte und schaufelte weitere Erde heraus. Ein harter Widerstand, auf den seine Schaufel traf, ließ ihn zufrieden grinsend innehalten. Rasch schob er den letzten Rest Erde von dem Widerstand fort und enthüllte so den hölzernen Sarg der jungen Shana. „Porkas, hilf mir den Sarg heraus zu holen!“, rief Darren dem Kobold entgegen, doch es kam keine Antwort. Furcht begann in seine Knochen zu kriechen und sein Herz schlug mit einem Mal kräftiger in seiner Brust. Darren befürchtete ganz alleine auf dem Friedhof zu sein und das Porkas ihn seinem Schicksal überlassen hatte. Die Angst verlieh ihm neue Kraft, weshalb er behände aus dem Grab geklettert kam, sich den Dreck vom Fell und seiner Kutte klopfte und anschließend bangend zur Schubkarre sah. Dort saß Porkas mit ablehnender Haltung und argwöhnischem Blick, ehe er anschließend den alten Mann garstig fragte: „Was springt für mich dabei raus?“ Am liebsten hätte Darren diesem kleinen Wicht gehörig die Schaufel über den Kopf gezogen, doch sich mit einem magischen Wesen anzulegen war nicht nur sehr unklug, sondern konnte im Fall von Kobolden schmerzhaft und sogar tödlich enden. „Ein ganzes Fass Kräuterschnaps?“, mutmaßte Darren und bot ihm dieses gleichzeitig an, da er sich gut vorstellen konnte, dass Porkas genau darauf hinauswollte. Was den Alchemisten jedoch sehr überraschte, war die Tatsache, dass der Kobold seine gelben Augen verblüfft weitete und anschließend wild zu kichern begann. Nickend erhob er sich aus der Schubkarre und hopste giggelnd hinüber zum Loch. „Für ein ganzes Fass helf' ich dir doch gern, Teuerster.“ ‚Er ist ja so berechenbar, wenn es um Entlohnungen geht.‘, dachte Darren bei sich und beobachtete wie Porkas seine dürren Ärmchen in das Grab streckte und mit den Fingern zu wackeln begann. Ein violetter Lichtstrahl schoss aus seinen langen Fingern hinein in das dunkle Loch und ehe Darren sich versah hob der Kobold den Holzsarg mit Leichtigkeit heraus. Umhüllt von violettem Schimmer ließ Porkas den Sarg neben dem Grab in den Schnee sinken. Anschließend machte er eine hebende Handbewegung mit seiner Linken und der Deckel öffnete sich von selbst. Ohne ein Wort des Dankes an den Kobold zu richten, ging Darren um das ausgehobene Grab herum und stand Sekunden später neben dem offenen Sarg. Seine grünen Augen waren auf den dort enthaltenden Leichnam gerichtet und er atmete tief durch. Dabei stieg ihm der widerlich süßliche Duft der Fäulnis in die Nase. Etwas anhaben konnte dieser Geruch ihm jedoch ganz und gar nicht, denn der Mundgeruch eines Basilisken war um ein Vielfaches schlimmer. Der Anblick hingegen war schon recht unangenehm gewesen, da Darren Shana als bildhübsche, makellose Frau in Erinnerungen hatte. Man hatte sie mit dem Bauernkleid beerdigt, welches sie am Tage des Manticorangriffs getragen hatte. Es war blutig und auf der rechten Bauchseite komplett aufgerissen. Wie Darren deutlich erkennen konnte, hatte sich der Manticor ein Loch in ihre Bauchdecke gebissen und in ihren Innereien gewühlt und gefressen. Ihr rechtes Bein fehlte ab der Hüfte beinahe komplett, denn nur ein kleiner abgerissener Stumpen des ehemaligen Oberschenkels war alles was der Manticor übriggelassen hatte. Sogar ihren linken Arm hatte er angeknabbert und hier und dort Fleisch abgefressen. Deutlich erkannte Darren wo der Manticor zuerst zugebissen hatte, um Shana zu betäuben oder sie zu töten. Er konnte nämlich nur schwer sagen, ob sie noch lebte oder nicht, als er begann sie zu fressen. Eine deutliche Bissspur war an ihrem Hals zu sehen und ein Stück ihres Fleischs fehlte an dieser Stelle. Wehmütig hoffte Darren, dass Shana bereits nach diesem Biss tot war und nicht noch qualvoll miterleben musste wie der Manticor sich an ihr sättigte. Genau betrachtete er den geschundenen Leib der jungen Frau und stellte dabei fest, dass der Rest von ihr unversehrt geblieben war. Rasch analysierte der Alchemist welche Leichenteile er brauchte, um Shana wieder vollständig zusammenzusetzen. Darrens Augen huschten hinüber zu der Kapelle. Dabei dachte er an den Keller, in dem die Leichen vor der Bestattung aufbewahrt wurden. Dort lagen mit Sicherheit noch die letzten Toten von der Grippe, die vor zwei Wochen das Dorf befallen hatte. Kaum hatte er sein zweites Vorhaben ins Auge gefasst, holte er aus seiner Kutte ein großes Leinentuch hervor. Dieses reichte er dem Kobold. „Hüll' Shana darin ein und leg sie in die Schubkarre. Deine andere Aufgabe kennst du ja. Ich werde in den Leichenkeller gehen und dort ein Bein und Nähzeug holen.“ „Nähzeug? Willst du ihr was Hübsches nähen oder wozu soll das gut sein?“ Porkas nahm das Leinentuch an sich und betrachtete Darren anschließend zweifelnd. Entnervt seufzte Darren auf und strich sich mit der Hand über das Gesicht. „Nein, ich werde damit ihre Bauchdecke so gut es geht zusammenflicken und ihr neues Bein annähen.“ Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen wandte er sich von dem Kobold ab und stapfte durch den hohen Schnee hinüber zur Kapelle. Dort angekommen betätigte er die Klinke und huschte durch einen Spalt ins Innere. Die Kapelle war zum Glück nie abgeschlossen, was es Darren daher erlaubte ohne Probleme in das Gebäude zu gelangen. Der Eingang zum Leichenkeller war ebenfalls sehr schnell gefunden, da dieser neben der Kapellentür lag. Es war nur eine weitere Tür mit jeweils zwei Treppen dahinter. Eine Treppe führte hinauf zum Orgelbalkon und die zweite hinunter in den Keller. Leise stieg der Alchemist nun die Treppe hinunter und fragte sich dabei, wie der Pfarrer und dessen Totengräber es immer wieder schafften, die so sperrigen Särge die Treppe rauf und runter zu tragen. Allerdings war die Antwort weder wichtig noch notwendig, denn Darren würde keine ganze Leiche brauchen. Er brauchte nur ein noch halbwegs junges Bein und da bei der Grippe sowohl Alte wie Junge umkamen, war es ein Leichtes für ihn sich an den Jüngeren zu bedienen. Im Laufe der Nacht hatte Darren jegliche Moral, Reue und Schuldgefühle verloren. Sein Vorhaben hatte ihn innerhalb weniger Stunden abgestumpft und skrupellos werden lassen. Was für ihn jetzt nur noch zählte war das kommende Experiment mit Shanas Leib. Was kümmerte ihn die Moral, wenn sein Vorhaben eine viel höhere Bedeutung hatte? Sicher würden die Dörfler ihn dafür hängen wollen, doch wenn er sie erst von der großartigen Errungenschaft überzeugen konnte, vielleicht würden sie ihn dann sogar heiligsprechen. Immerhin könnte er den Dörflern, ja sogar ganz Valiona, dazu verhelfen, dass niemand mehr seine Lieben verlor. Der Tod wäre nur noch ein minuten- oder gar stundenlanger Ausflug, ehe das geliebte Wesen durch den Lebenstrunk zurückkehrte. Doch diese Zukunft war davon abhängig wie das Experiment verlief. Suchend und mit einer Kerze in der Hand, die ein wenig Licht spendete, lief Darren durch die große Halle, in der die Toten aufgebahrt auf Holzliegen ruhten und mit Leinentüchern bedeckt waren. Er schaute unter jedes dieser Tücher und fand schlussendlich eine etwas in die Jahre gekommene Frau. Er kannte sie flüchtig vom Sehen, doch da die Dörfler ihm nicht wichtig waren, kannte er auch ihren Namen nicht. Ungeniert zog er das Tuch von dem Leichnam und untersuchte ihn mit genauem Blick. Ihre Beine waren unversehrt und noch relativ hübsch anzusehen, weshalb Darren diese Dame als Spenderin auserwählte. Nun sah er sich nach etwas Brauchbarem um, womit er das Bein von der Dorfbewohnerin trennen konnte. Seine Iriden fielen auf einen Nebenraum, bei dem die Tür offenstand. Neugierig eilte er hinüber zu dieser, hielt die Kerze in den Raum und begann zufrieden zu lächeln, als er die Sargwerkstatt fand. Damit war zumindest geklärt woher der Pfarrer die Särge für die Beisetzungen bekam. Mit vorsichtigen Schritten lief er durch die Werkstatt und fand auf einem Holztisch die nötigen Werkzeuge für den Zusammenbau eines Sargs. Ein weiteres Mal blickte er zufrieden drein, als er eine Säge fand. Diese an sich nehmend wandte Darren sich rasch um und verließ die Werkstatt wieder. Die Zeit drängte und er wusste, dass die Sonne bald aufgehen würde. Der Pfarrer würde wie jeden Tag sehr pünktlich hier sein, um die Glocken zu läuten und somit zum Gebet für die Schöpferin aufzurufen. Zurück bei dem Leichnam, stellte er die Kerze auf der Holzliege ab und setzte die Säge an ihren Schenkel bei der Hüfte an. Er brachte dafür all seine Kraft auf, um durch das faulende Fleisch zu schneiden. Das schmatzähnliche Geräusch und der wenige Fluss von geronnenem Blut kümmerte ihn dabei nicht. Lediglich die unangenehmen schabenden Laute, die entstanden als die Säge den Knochen durchtrennte, waren das Einzige was Darren ein wenig angewidert das Gesicht verziehen ließ. Der letzte Schnitt war getan und das Bein war vom Leichnam getrennt. Nun hob er das Tuch vom Boden auf und wickelte das Bein darin ein, ehe er sich umsah und einen großen braunen Holzschrank hinter sich erblickte. Hoffnungsvoll weitere Tücher und Nähzeug darin zu finden, lief Darren auf diesen zu und öffnete die Türen. „Teuerster! Wir müssen uns beeilen, wenn wir nicht gesehen werden wollen.“, ertönte plötzlich die fipsige Stimme Porkas' hinter ihm, woraufhin Darren heftig zusammenzuckte und anschließend strafend zu dem Kobold blickte. Auf seine Worte hin schüttelte er ernst den Kopf. „Erst muss ich die andere Leiche so herrichten, dass weder die Totengräber noch der Pfarrer Verdacht schöpfen.“ Porkas blickte zu der Toten und runzelte die Stirn. „Meinst du nicht, dass der Pfarrer seine Schäfchen so gut kennt, dass ihm auffallen würde, wenn der Guten plötzlich ein Bein fehlt?“ Kurz innehaltend und über diese Worte nachdenkend strich sich Darren über seinen Vollbart. Er musste gestehen, dass der Kobold Recht hatte, woraufhin er tief aufseufzte und Verzweiflung in seinen Körper kroch. Auch die Angst vor dem Erwischt werden gesellte sich nun dazu. Mit zittriger Hand griff Darren nach dem Nähzeug im Schrank, schloss langsam die Türen und lehnte sich mit resigniertem Blick dagegen. „Es ist aus, Porkas. Der Pfarrer wird gleich hier sein und ich habe keine Möglichkeit die Leiche verschwinden zu lassen und die Spuren hier unten zu beseitigen. Geschweige denn, dass ich noch so agil bin und die Schubkarre mit Shanas Körper schnell vom Gelände geschoben bekomme.“, flüsterte der Alchemist nun unglücklich in die Leichenhalle hinein. Er fühlte sich nun vollkommen leer, schwach und ausgelaugt. Plötzlich schien es ihm, als würde der Traum, von einem Leben mit Shana und dem Ruhm der großen Errungenschaft, wie Sand in seinen Händen zu zerrinnen. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Er war, ohne einen vernünftigen Plan zu gestalten, mitten in der Nacht mit Porkas hierhergekommen und hatte alles dem Zufall und Schicksal überlassen. Porkas saß auf der Holzliege bei der toten Dörflerin und ließ seine Finger immer wieder durch die Flamme der Kerzen gleiten. Dabei beobachtete er mit wütendem Blick den Alchemisten und hörte seinem selbstmitleidigen Gefasel zu. Schließlich erhob sich der Kobold und knurrte argwöhnisch. „Bist du fertig mit deinem Geheule? Hast du vergessen was ich bin? Ich bin ein Kobold und zähle zu den mächtigsten magischen Wesen in ganz Valiona. Beruhige dich also und überlass alles andere mir, Teuerster.“ Verwundert über die Reaktion des Kobolds hob Darren den Kopf. In der Regel war es Porkas gleichgültig was mit ihm war, so lange er nur genug Kräuterschnaps für ihn übrighatte. Jetzt jedoch half er Darren aus der Misere und er stellte sich darauf ein, dass er ihm am Ende zwei Fässer Kräuterschnaps dafür zahlen musste. Aber dies war ein Leichtes für den Alchemisten. Darren hatte in seinem ganzen Leben schon viele Zauberer, magische Wesen und Ausführungen von Magie gesehen, doch der Anblick, der sich ihm jetzt bot, war äußerst selten. Kobolde zauberten in der Regel im Verborgenen, wobei meist der Wink mit der Hand genügte, doch größere und mehrere Zauber, die sie auf einmal woben, taten sie in der Regel vor den neugierigen Augen anderer versteckt. Auf der Holzliege stehend wob Porkas mehrere Zauber zusammen, hielt die Augen dabei geschlossen und erstrahlte in einem grünlichen Licht, während seine Hände in eisblaue knisternde Lichtkugeln getaucht waren. Unter Anstrengung seine Arme über den Kopf ausgebreitet, wurde der grünliche Schein um den Kobold greller. Der letzte Zauber ließ Porkas in die Hände klatschen und die gesamte Leichenhalle in einer grünweißen Explosion erstrahlen. ๑⊱☆⊰๑ Die Augen hatten Darren so stark gebrannt und auch die Explosion hatte ihn sich fürchten lassen, dass er sein Gesicht mit dem Arm schützend verdeckte. Seine Beine schlotterten und er wagte es nicht den Arm vom Gesicht zu nehmen und seine Augen zu öffnen. Zu groß war die Angst, dass der Kobold nur ein Theater veranstaltet hatte und den alten Mann im Leichenkeller zurückgelassen hatte. Das Knistern eines Feuers war das Erste was ihm an die Ohren drang und auch angenehme Wärme und ein schummeriges Licht nahm er wahr. Vorsichtig und mit skeptischem Blick zog er den Arm von seinem Gesicht und stellte verblüfft fest, dass er zurück in seiner Hütte war. Neugierig untersuchte er augenblicklich jedes Detail und er bemerkte sofort den eingehüllten Leichnam und das eingewickelte Bein in der Mitte seiner Hütte. Die Schaufel stand wieder hinter der Tür und auch Porkas hatte sich wider auf seinen Holzschemel niedergelassen. „Das ist...“, begann der Alchemist vollkommen erstaunt, zog sich seinen Manticorfellmantel aus und warf ihn über seinen Bettpfosten. „Du brauchst mir nicht danken, aber du schuldest mir nun ein zweites Fass voll Kräuterschnaps. Immerhin habe ich die Tote in das Grab deiner Liebsten befördert, es wieder verschlossen, es von einer Schneedecke verhüllen lassen und jegliche Spuren beseitigt, die auf dich deuten könnten. Außerdem war ich so frei uns wieder hierher zu teleportieren. Natürlich mit den nötigen Utensilien.“, erklärte Porkas mit triumphalem Ton und deutete bei seinen letzten Worten auf Shanas Leichnam und das Bein. Der Alchemist sah zu dem Kobold und nickte dankbar dreinblickend. „Du sollst deinen Lohn dafür bekommen, Porkas.“ Die Augen Darrens wandten sich nun seinem Versuchsobjekt zu. „Ich werde sofort mit der Arbeit beginnen, doch zuerst sollte ich mir einen Moment Ruhe gönnen.“ ๑⊱☆⊰๑ Epilog: Lektion 3 ----------------- ๑⊱☆⊰๑ Die Leiche hatte Darren in sein Bett gelegt und das Bein an ihren Körper genäht. Auch die offene Bauchdecke hatte er so gut es ging verschlossen und darauf geachtet, dass die Fäden nicht reißen würden. Anschließend hatte er sein Tagebuch aufgeschlagen und seine Fortschritte, sowie die vergangene Nacht, darin niedergeschrieben. Es war wichtig für spätere Überlieferungen, dass er seine Errungenschaften, Methoden und Taten darin aufschrieb. Die Welt sollte sich im Klaren darüber sein was er dafür auf sich nehmen musste und auch die nachkommenden Alchemisten sollten wissen wie seine Tränke gebraut und verabreicht wurden. Es war früher Mittag und die Sonne schickte hin und wieder ihre Strahlen durch die dichte Wolkendecke. Der Schneefall hatte für einige Stunden aufgehört und auch der peitschende Wind war einer leichten und doch eisigen Brise gewichen. Der Tag war geradezu idyllisch und wunderschön. Im inneren der Hütte war es jedoch alles andere als wunderschön und idyllisch. Das Licht fiel zwar recht hell durch die Fenster und auch das Feuer erhellte den Raum, doch irgendwie behielt die Hütte ihre schummerige Dunkelheit bei. Porkas saß auf einem seiner zwei Kräuterschnapsfässer und schöpfte aus diesem mit einem Krug das Gebräu ab. Die gelben Augen hatte der Kobold dabei skeptisch auf den Alchemisten und dem Leichnam auf dessen Bett gerichtet. „Ich werde ihr jetzt den Lebenstrunk verabreichen.“, kündigte Darren den entscheidenden Schritt an und zog den Korken aus dem Fläschchen mit der gold leuchtenden Flüssigkeit. Der Kobold hingegen gab einen nachdenklichen Laut von sich, woraufhin er Darrens Aufmerksamkeit auf sich zog. „Meinst du es ist ratsam ihr es in den Mund zu kippen, wo ihre Kehle doch regelrecht zerfleischt ist?“ Regelrecht zerfleischt war in Bezug auf die Speiseröhre der falsche Ausdruck, wie Darren bei sich dachte. Shanas Kehle wies zwar eine sehr große Wunde auf, doch die Speiseröhre hatte nur einen leichten und doch offenen Riss davongetragen, während der Rest für den Alchemisten schon eher nach zerfleischtem Zustand wirkte. Er war immerhin kein Arzt und konnte daher nicht sagen wie schlimm der Zustand wirklich war. Die Stirn runzelnd betrachtete Darren die Leiche, strich sich mit der freien Hand über den Bart und überlegte auf Porkas' Worte hin. Er hatte dennoch Recht, so musste der alte Mann zugeben. Durch den Biss des Manticors war ihre Kehle sehr beschädigt worden und sollte das Gebräu nicht auch regenerativ wirken, wobei sich auch ihr Bein höchstwahrscheinlich neu entwickeln würde, so würden ihre Speiseröhre Schäden beibehalten. „Ich werde ihr das Gebräu besser über die beschädigte Bauchdecke verabreichen. So stelle ich sicher, dass sie es auch wirklich intus hat.“. Darren führte seine Hand mit dem Fläschchen zu der zerrissenen Stelle ihres Kleides. Dadurch, dass er die Bauchdecke nicht vollständig verschließen konnte, da Stücke ihrer Haut fehlten, war es ihm möglich den Lebenstrunk direkt in ihren toten Leib zu gießen. Akribisch und mit gekonnter Präzision verabreichte der Alchemist seinem Versuchsobjekt den Inhalt des Gefäßes. Kaum hatte er das getan trat er einen Schritt vom Bett zurück, denn er wusste nicht was nun passieren würde. Großmeister Albrecht hatte nie davon geschrieben, wie der Prozess verlief. Daher würde Darren nun selbst die Erfahrung machen müssen. Fasziniert und voller Ehrfurcht beobachtete er wie sich das Gebräu sichtbar unter ihrer Haut durch ihre Adern bewegte und wie es ihren ganzen Körper in ein warmes goldenes Licht hüllte. Von ihren Adern zog sich die goldgelbliche Flüssigkeit schlagartig vollständig zurück, floss in ihre Körpermitte und ließ dort ihr Herz, durch ihre weiße Haut klar ersichtlich, weißgelblich erstrahlen. Das Leuchten erstarb kurz darauf gänzlich, woraufhin Darren missmutig dreinblickte und glaubte einen vollkommenen Misserfolg erlebt zu haben. Tief atmete er durch und wollte sich gerade von der Leiche wegdrehen, als diese sich langsam aufrichtete. Der Alchemist traute seinen alten Augen kaum, denn die schöne Shana hatte sich Dank des Lebenstrunks bewegt. Als sie ihre großen, blauen Augen aufschlug, machte sein Herz einen gewaltigen Hüpfer. Freudig grinsend führte er einen kleinen Stepptanz auf und lachte glücklich. „Ich habe es geschafft! Sie lebt, Porkas! Sie lebt!“ Sein Freudentaumel war überwältigend und doch nutzte der Alchemist den kleinen Moment, um in sein Tagebuch zu schreiben, dass sein Experiment geglückt sei und sie lebte. „T-Teuerster? Du solltest sie nicht aus den Augen lassen.“, kam es ängstlich von dem Kobold, woraufhin Darren nur mit der Hand abwinkte. „Unsinn, du fürchtest dich nur vor ihrem Äußeren. Ich hatte es zwar gehofft, doch leider blieb die regenerative Reaktion vollkommen aus. Wir werden also mit ihrem jetzigen Aussehen vorliebnehmen müssen. Wenn ich mich weiterhin bemühe, dann sollte eine Perfektion mit regenerativer Reaktion durchaus braubar sein“, erklärte Darren seinem magischen Mitbewohner ruhig, legte seinen Federkiel zur Seite und klappte das Tagebuch zu. Im Anschluss wandte er sich herum und sah sich Shana direkt gegenüber. Ihr Körper war nach wie vor tot und doch stand sie dicht vor ihm. Ihr ausdrucksloser Blick ließ Darren allerdings ein wenig erschaudern, denn ihre toten und nun mehr eisblauen Augen durchbohrten ihn regelrecht. Ihr goldenes Haar floss platt und vollkommen strohig über ihre Schultern. Shanas einst rosige Haut war hingegen schneeweiß geworden. Die vollen Lippen, nach denen Darren sich immer so gesehnt hatte, waren so blau geworden wie die schönste Rose, die es in Tarandor gab. Langsam hob der alte Mann seine Hand und legte sie an die eiskalte Wange der toten und für ihn doch so bildhübschen Shana. Ihre weiche Haut unter seinen Fingern zu spüren ließ sein Herz freudig hüpfen und er sah sich endlich am Ziel angekommen. Viel zu lange hatte er sich nach ihr gesehnt und jetzt, wo sie wieder zum Leben erwacht war, würde es nur noch den Liebestrank brauchen, damit sie sich ihm auf Ewig verschrieb. Glücklich lächelnd schloss er die Augen, atmete tief durch und säuselte lieblich: „Oh Shana, endlich können wir zusammen sein.“ Ein reißender Schmerz und das Gefühl hunderter Nadeln an seinem Handgelenk ließen ihn die Augen schlagartig wieder aufreißen. Sein Herz setzte für den Bruchteil von Sekunden aus, als er den Anblick sah, der sich ihm gerade bot. Shana hatte ihm ins Handgelenk gebissen und nicht nur das. Der geradezu betäubende und reißende Schmerz kam daher, dass sie ihm Haut und sogar etwas Fleisch von der Stelle gerissen hatte. Entsetzt und schnell zog Darren den Arm an sich. Mit der anderen Hand versuchte er seine Blutung zu stoppen. Unter Schock stehend sah er zu wie Shana kaute, ehe sie den Bissen runterschluckte und er durch ihre Bisswunde am Hals sehen konnte wie ein Teil davon aus dem Spalt der Speiseröhre hervor quellte. Seine Kutte wurde von seinem eigenen Blut getränkt, während seine Gedanken sich überschlugen. Darren war wie gelähmt und konnte nicht glauben was passiert war. Er hatte sie zurück ins Leben geholt, ja das hatte er in der Tat, doch sie war nicht sie selbst. Shana war ein Monster geworden, das ihn ganz offensichtlich fressen wollte. Eiskalte Angst packte seinen Körper und schüttelte ihn regelrecht durch, wobei ihm seine Knie schlotterten. Der Blutverlust von seinem Handgelenk blieb ihm für den Moment unwichtig, da seine schrecklichen Gedanken und die erschütternde Erkenntnis ihn betäubten. Ein wenig staksig legte Shana den Kopf schief, ehe sie ihre Zähne fletschte und eine Art knurrendes, fauchendes Geräusch von sich gab. Dadurch, dass ihre Stimmbänder vom Manticorbiss beschädigt waren hörte es sich noch krächzender an. Sie hob ihre Hände und wollte Darren gerade an den Schultern packen, als dieser aus seiner Trance zu erwachen schien. Beinahe gekonnt wich er ihrem todbringenden Griff aus, tastete hinter sich nach seinem Tagebuch und schlug ihr mit dem Buchband gegen ihren Kopf. Ein wenig taumelte sie dabei zur Seite, wobei sie den Weg zur Tür frei gab. Darren nutzte die Chance und überwand schnellen Schrittes den Abstand zwischen sich und der Tür. Gerade betätigte er die Klinke, wobei die Tür sich nach außen öffnete, als er spürte wie sich etwas Massiges in seinen Rücken warf. Es war Shana die ihm in den Nacken gesprungen war und ihre Zähne in seinem Hals versenkte. Vor Schmerzen aufschreiend versuchte Darren die drei Stufen zu nehmen, doch ungeschickter Weise stolperte er dabei über seinen ledernen Umhang und verlor das Gleichgewicht. Beide fielen kopfüber in den weichen Schnee, welcher sich sofort rot färbte. Benommen und doch noch so klar bei Verstand, dass er sein Tagebuch in die Kuttentasche sinken ließ, sah er nach wo Shana lag und stellte erleichtert fest, dass er ein wenig Spielraum hatte. Mühselig und unter Schmerzen, die nicht nur von seinen kranken Knochen kamen, rappelte sich Darren auf. Seine Beine fühlten sich so schwer an wie Blei und auch der starke Blutverlust machte sich nun doch bemerkbar. Seine Wunde am Handgelenk hatte ihn viel Blut gekostet und auch die Bisswunde am Hals ließ ihn spüren wie sein warmer Lebenssaft langsam, aber stetig, hinaus floss. Sein Geist war vernebelt der fesselnden Angst vor dem Monster, welches er geschaffen hatte. Seine Schritte waren viel zu langsam und doch schickte er immer wieder Stoßgebete zu der Schöpferin, dass sie ihn beschützen und ihn dieses schreckliche Spektakel überleben lassen möge. Als er ein krächzendes Knurren hinter sich hörte, wagte Darren sich kurz umzudrehen. Nur, um zu sehen wie Shana den Mund weit aufgerissen und die Arme nach ihm ausgestreckt auf ihn zu gerannt kam. Ein letztes Mal mobilisierte er seine ganze Kraft und begann ebenfalls durch den hohen Schnee zu rennen, wobei sein Blut eine deutliche Spur hinterließ. Darrens Herz schlug hart in seiner Brust und von der nackten Angst getrieben rannte er den Hügel hinunter. Doch er sollte nicht weit kommen, da er über einen Stein stolperte, der unter der Schneedecke verborgen lag. Das Gleichgewicht ein zweites Mal verlierend rollte der Alchemist nun den Abhang hinunter und blieb erst am Ende von diesem auf den Rücken liegen. Sein ganzer Körper schmerzte und seine Muskeln brannten wie Feuer, während er spürte wie das Blut sich weiterhin einen Weg aus seinen Bisswunden bahnte. Ihm war ganz schwindelig geworden und hinzu gesellte sich eine unerträgliche Atemnot. Beinahe glaubte er zu ersticken, doch seine Lungen füllten sich immer noch mit genug Sauerstoff, um ihn am Leben zu erhalten. Langsam und nur halb öffnete er seine grünen Augen, um sich ein wenig Orientierung zu verschaffen. Doch was er erblickte ließ ihn laut und voller Angst aufschreien, denn es war Shana dessen Antlitz über ihn gebeugt war und die sich ihre Zähne bleckte, wobei sie immer wieder ein krächzendes Knurren und Fauchen von sich gab. Das letzte bisschen Kraft wandte er dafür auf, um sie an den Schultern zu packen und von sich wegzudrücken. Sein von Todesangst geschwängerter Schrei hallte vom Hügel wieder, ehe die Untote seine Oberarme packte und ihn mit geradezu unmenschlicher Kraft dazu zwang sie loszulassen. Anschließend schnellte sie hervor und biss ihm erneut in den Hals. Immer wieder laut und verzweifelt schreiend versuchte sich der schwächelnde Alchemist aus seiner Situation zu befreien. Vom Fenster der kleinen Hüte hatte der Kobold das entsetzliche Schauspiel verfolgt. Seine gelben Augen ruhten auf Shana und Darren, der noch immer, wenn auch kraftlos an ihren goldenen Haaren zerrte. Seine Schreie wurden qualvoller und gluckernd, bis sie vollkommen erstarben und auch das Zerren an Shanas Haar ein jähes Ende fand. Mitleidslos und doch voller Angst im spitzen, sonst so fiesen Gesicht, beobachtete Porkas wie Shana begann Darren zu fressen. Diese bizarre Situation erhielt einen Funken Ironie, als die Wolkendecke gänzlich aufriss und die Sonne ihre schönsten Strahlen auf Tarandor hinabfallen ließ. Der kleine Kobold sah kurz zum Himmel und beobachtete für einige Herzschläge einen magischen, blaurosafarbenen Schmetterling, der am Fenster vorbeiflog. Tief atmete er durch und sah sich anschließend in der Hütte um. „Zu schade. Ich werde seinen Kräuterschnaps vermissen.“ Porkas seufzte wehmütig auf, ehe er sich vom Fenster weg teleportierte und wieder auf seinen Fässern Platz nahm. Fast schon zärtlich klopfte er auf das Holz eines der Fässer, während er selig dabei lächelte. „Zeit zurück in die Heimat zukehren.“ Kaum hatte der bläuliche Kobold diese Worte ausgesprochen waren er und die Fässer auch schon aus der Hütte verschwunden. ๑⊱☆⊰๑ Am Ende hatte Darren es tatsächlich geschafft in die Geschichte von Valiona einzugehen. Nicht nur, weil er ein Meister seines Handwerks war, das war das Geringste wofür er Valiona in Erinnerung blieb, sondern auf Grund der Tatsache, dass er eine neue Spezies erschaffen hatte. Durch seinen Lebenstrunk und der Erweckung Shanas hatte er den Untoten den Weg in die Welt der Lebenden geebnet. Alte Schriften überliefern die Geschichte, dass Shana, nachdem sie sich an ihm satt gefressen hatte, sich auf den Weg ins Dorf Kalysch machte. Wenige Stunden später soll auch der Leichnam von Darren zu neuem Leben erwacht sein. Gemeinsam und doch unabhängig voneinander überfielen die zwei Untoten die Bauernhöfe außerhalb Kalyschs und hinterließen eine Schneise von Tod und Verfall. Die verstorbenen Bauern, so heißt es in den Schriften, wurden selbst zu wandelnden Toten. So nahm das Schicksal von Tarandor seinen Lauf. Die Untoten verbreiteten sich rasant im Hochland, woraufhin dieser Ort, zusammen mit dem Parasuna, zum Gefährlichsten in ganz Valiona wurde. Die Tierwelt Tarandors war innerhalb weniger Jahre vollständig geflohen und auch dessen Pflanzenwelt verdorrte und erstarb. Nur die Untoten wandelten dort auf ewig umher und wurden zu einer der gefürchtetsten Spezies der Welt. Es war nämlich so, dass, trotzdem ihre Leiber angefressen und tot waren, sie eine gewaltige Kraft besaßen und in der Lage waren wie die Lebenden zu rennen. Es machte sie zu gefährlichen Jägern, weshalb die anderen humanoiden Völker einstimmig entschieden eine große Mauer um das Hochland zu errichten. Über wenige Jahre hinweg wurde diese Mauer gebaut, wobei mächtige Magier einen aufwendigen Schutzschild um das Land gewoben hatten, damit die Untoten nicht hinaus und kein anderes Lebewesen hineinkonnte. Der Alchemist Darren wurde, damals als Tarandor noch offen zugänglich war, nach dem Fund seines Tagebuches, dafür berühmt die Seuche der Untoten über Valiona gebracht zu haben. Ob er sich darüber gefreut hätte? ๑⊱☆⊰๑ ENDE ๑⊱☆⊰๑ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)