Eisblumenflechten von Puppenspieler (Adventskalender Türchen 1 - Fanfic) ================================================================================ One-Shot -------- Mit einem theatralischen, schweren Seufzen sank Kougyoku vor dem flackernden Kaminfeuer auf ein weiches, üppiges Sitzkissen aus dunkelrotem Samt mit feinen Goldstickereien und goldenen Quasten an den Ecken. Ihre langen, schweren Winterkleider raschelten unter der Bewegung des Hinsetzens und unter ihren Händen, die die großzügigen Lagen Stoff in einer ansehnlichen Komposition um ihren Körper drapierten. Schließlich hob sie die Hände wieder, hielt sie vor die tänzelnden Flammen, die den Raum in ein irreführend warmes, behaglich orangefarben schimmerndes Licht tauchten. Ihre Haut kribbelte von der Kälte draußen, fühlte sich trocken und spröder an, als ihr lieb war, ganz egal, wie oft sie die hochwertigen Salben und Tinkturen darauf verteilte, die man ihr zur winterlichen Hautpflege gegeben hatte.   Kougyoku mochte den Winter nicht. Sie mochte die Kälte nicht, mochte Eis und Schnee nicht, mochte die schweren, warmen Winterstoffe nicht, die sich so viel weniger schön anfassten als ihre Lieblingskleider. Sie mochte es nicht, dass die ganzen wunderbaren Blumen in den Palastgärten verwelkten und von einer dicken Schicht weiß überzogen wurden. Blumenkränze zu flechten war ein wunderbarer Zeitvertreib geworden, der sie an schöne Dinge, warme, laue Sommerabende und lachende Gesichter denken ließ, aber nicht einmal diese Freude bot ihr das Kou-Empire gerade noch. Selbst die frostigen Muster aus Eiskristallen, die die Kälte an die Fenster malte, konnten Kougyoku nicht aus ihrer trüben Laune reißen. Wie gerne wäre sie jetzt in Sindria. Dort war es bestimmt warm. Dort wäre kein verschnupfter Prinz Kouha, der in seiner Krankheit noch unberechenbarer war als sonst, keine Notwendigkeit, Winterkleider zu tragen und vor dem Kamin Zuflucht vor der Kälte zu suchen, die bis in die letzte Pore drang. Sie seufzte sehnsüchtig, in Gedanken längst bei dem Reich im Süden mit seinen süßen Weinen und üppigen Festen und der salzigen, lauen Seebrise. Wie schön es wäre, einfach dort durch die riesigen Palastgärten wandern zu können, zwischen den Blumen niederzuknien, die so zahlreich waren wie die Schneeflocken, die vor dem Fenster hier zur Erde fielen. Nachdenklich zupfte sie an einer Quaste ihres Sitzkissens. Vielleicht wäre Alibaba auch gerade dort. Er kam aus einem wärmeren Reich, nicht wahr? Bestimmt verabscheute er die Winterkälte genauso wie Kougyoku. Der Gedanke an ihren besten Freund war beinahe tröstlich; die Vorstellung, wie er zitternd, bibbernd und schlotternd im knietiefen Schnee stand, ihm schon der Rotz aus der Nase lief, und natürlich hätte er nicht daran gedacht, sich Kleider anzuziehen, die dem Wetter angemessen waren. Bestimmt besaß er nicht einmal welche. Kougyoku kicherte ein glockenhelles Kichern in ihre Hand. Doch so ganz konnte sie die Erinnerung an Sindria nicht abschütteln. Das kleine Reich mitten im Meer übte gerade eine unglaubliche Anziehungskraft auf sie aus. Mehr noch als sonst. Die Wärme, die Blumen, die Feste und die Musik, das Lachen, das immer durch die Luft perlte…   Und König Sinbad wäre dort.   Ein Schwall kalter Luft unterbrach ihre wehmütigen Gedanken, ließ sie erschaudern und sie zog das Umschlagtuch um ihre Schultern enger. Die Tür war geöffnet worden, Judar – ausgerechnet Judar! – schwebte in typischer Demonstration von Arroganz und Eleganz in den Raum, und mit einem lässigen Wink seines Magierstabs fiel die Tür einfach wieder ins Schloss, ohne dass er einen Finger rührte. „Was machst du hier?“, verlangte Kougyoku zu wissen, das Kinn vorgereckt und die Nase krausgezogen. Sie mochte Judar im Winter nicht. Es war, als würden ihm Eis und Schnee gar nichts ausmachen, ständig tauchte er irgendwo auf, und mit ihm kam die Kälte. Gut, Kougyoku wusste, dass der Hohepriester und Magi sich besonders auf Eismagie spezialisiert hatte, aber das gab ihm kein Recht, einen ohnehin frostigen Tag noch frostiger zu machen! „Kouen hat mich weggeschickt“, war die einzige Antwort, die sie bekam. Keine Erklärung, wieso Judar ausgerechnet zu ihr kommen musste. Mit einem empörten Schnauben verschränkte Kougyoku die Arme vor der Brust und verfolgte, wie der Magi bis zu einem weiteren Sitzkissen schwebte und sich darauf niederließ. Der Blick seiner seltsamen roten Augen hing dabei auf ihr, als wäre sie eine besonders interessante neue magische Formel. Er grinste. Kougyoku mochte sein Grinsen nicht, denn in den seltensten Fällen bedeutete es etwas Gutes. Sie hob die Hände, in die Säume ihrer weiten, schweren Ärmel gekrallt, verbarg den unteren Teil ihres Gesichts dahinter, als könne sie sich so vor Judars unheilverkündendem Grinsen verstecken.   „Hast du dich immer noch nicht mit dem Winter arrangiert, kleine Prinzessin?“ In seiner Stimme schwang spöttisches Amüsement mit, und Kougyoku fühlte sich ausgelacht, ohne dass Judar hätte lachen müssen. Ihre Wangen brannten, als wäre sie draußen durch die Kälte und den hohen Schnee gestapft, und sie wusste, dass sich ein zarter Rotschimmer auf ihre pfirsichfarbene Haut legte. Normalerweise hätte sie es hübsch gefunden, denn eine gesunde Färbung stand ihr, aber sie mochte es nicht, wenn Judar Schuld daran war. Es war in keinem Fall etwas Gutes. „Warum sollte ich auch?“, gab sie fast schnippisch zurück, blies die Wangen für einen Moment empört auf, ehe sie langsam die Hände sinken ließ und Judar direkt ansah, mit all ihrer Unbegeisterung für den Winter. „Man wird krank, und es ist kalt, und es gibt nicht einmal mehr hübsche Blumen, aus denen man Kronen flechten könnte!“ Oder die man anschauen konnte. Nirgendwo in der Kaiserstadt fand sie irgendetwas, das nicht unter dickem, pudrigem Weiß vergraben war, nirgendwo ein Funkeln der schönen Farben, die die Stadt sonst zur Schau trug wie prächtiges Gefieder. Selbst der Palast, so üppig und imposant er war, wirkte wie ein Schatten seiner selbst, wenn er so von Schnee und Kälte dominiert wurde. „Mhm“, machte Judar nachdenklich, und er klang sogar mitleidig, doch in seinen Augen funkelte immer noch das stille Lachen, das Kougyoku nicht mochte. Mit nachdenklichen Fingern hielt er seinen Magierstab, ließ die Spitze schließlich nur ganz sanft gegen das Kissen tippen, auf dem er saß. Sofort gefror es. Eine dünne Schicht aus Eis zog sich langsam über den Stoff, ausgehend von der blutroten Spitze des Stabs, malte seltsame kleine Muster, die sie an die Eiskristalle vor den Fenstern erinnerten. Gegen ihren Willen neugierig, was Judar nun wieder ausheckte, beugte sie sich vor, stützte sich mit ihren Händen auf dem gewachsten, dunklen Holzboden ab, während sie den Weg des Eises verfolgte. Die Quasten an den Ecken des Kissens wurden steif, als sie gefroren, und ehe sie sich versah, zog sich das Eis weiter. Über den Fußboden, malte Muster, die Kougyoku am Fenster noch nie aufgefallen waren. Pfirsichblüten, Knospen. Blumenmeere aus nichts als weiß, die den Boden wie einen Teppich bedeckten. Kälte berührte ihre Fingerspitzen und mit einem erschrockenen Kieksen zog sie die Hände zurück, kauerte sich auf ihrem Kissen ein, als wäre es die letzte sichere Insel in einem Meer aus Eisblumen.   Ein bisschen stimmte es auch. Ihr Kissen gefror nicht. Die Säume ihrer Gewänder, die so weitläufig über den Boden flossen wie ein See aus teuren Stoffen, waren verziert mit einer Spitze aus Eis, mit kunstvollen Mustern und Schnörkeln, die keine noch so talentierte Schneiderin hätte zaubern können, das Eis glitzerte, als hätte man winzige Edelsteine in dem Stoff eingebettet. Selbst die Seiten des Kamins, in dem immer noch ein Feuer prasselte, als ließe es sich von Eis und Kälte gar nicht stören, waren mit Eiskristallen überzogen und verziert. Wände und Decke waren bald überzogen von Eis, die Temperatur war trotz flackerndem Feuer in ihrem Rücken spürbar gesunken. Aber ihr Kissen war noch warum und weich unter ihr. Kougyokus Blick wanderte überwältigt über das seltsame Schauspiel, das der Raum gerade bot, über die Bilder, die Judar an Decke und Wände gemalt hatte. Blumen. Blühende Bäume, fallende Blütenblätter. „Das ist hübsch“, entkam es Kougyoku, ehe sie darüber hätte nachdenken können. Judar neben ihr grinste, so breit und selbstzufrieden, dass sie es sogleich wieder bereute und hastig die Nase rümpfte, die verdächtig errötete. „Aber nutzlos. Aus diesen Blumen wird immer noch keine Blumenkrone.“ Judars Augenbraue wanderte, dann schnaubte er. Mit einer eleganten Bewegung erhob er sich in die Luft, der Stab verlor die Berührung zum Boden. Mit einem Schlag verschwand der Zauber, begann zu schmelzen und zu vergehen. Kougyoku sah bedauernd auf eine besonders schöne Pfirsichblüte, riss sich dann aber zusammen, um lieber Judar anzufunkeln. „Was soll das?“, verlangte sie zu wissen, ihre Stimme war quengelnd und unwillig, als hätte man ihr gerade ihre liebsten Kleider weggenommen. Ein bisschen fühlte sie sich auch so. Judar streckte ihr die Zunge raus. „Undankbares Gör.“ Und hinaus war er, ganz mit knallender Tür und eisigen Winden, die Kougyoku frösteln ließen. Sie schnaubte nun selbst, in ihren Augen brannten Tränen. Sie fühlte sich beleidigt. Judar hatte kein Recht, so mit ihr umzuspringen. „Und du kannst trotzdem keine Eisblumenkronen flechten!“, rief sie ihm nach in der Hoffnung, ihn damit auch ein bisschen beleidigen zu können. Wie sie Judars Ego kannte, würde es sogar klappen. Er hatte es auch nicht besser verdient, wenn er so gemein zu ihr war! Jetzt waren ihre Kleider nass, und den ganzen Boden überzog ein dünnes Muster aus Wassertröpfchen, das nur noch entfernt an die Blütenpracht erinnerte, die Judar vorhin gemalt hatte. Kougyoku blinzelte unglücklich die Tränen weg, stand schniefend auf. Eigentlich waren sie eh nicht so hübsch gewesen, die Eisblumen. Und Judar war sowieso ein mieser Kerl. Kein Wunder, dass Kouen ihn weggeschickt hatte!   Sie suchte Zuflucht in einem anderen Raum, bei Prinzessin Kourin, die gerade in der Hauptstadt zu Besuch war. Ließ sich bei ihr auf ihren üppigen Sitzkissen nieder, die weich waren und weit einsanken, und hörte sich Geschichten von ihrem Ehemann und ihrer Familie an. Es waren schöne Geschichten, die von einem Leben erzählten, das viel besser war als das hier in der Kaiserstadt. Bei der Wärme des Feuers und Kourins Fingern, die mit ihrem Haar spielten und es wieder und wieder neu frisierten – „Ich habe keine Mädchen zuhause… und mein Gatte mag es nicht, wenn ich an seinen Haaren spiele“, hatte sie mit einem sanften Lachen wie ein plätschernder Frühlingsbach erklärt –, döste Kougyoku beinahe vor sich hin, während sie den Worten ihrer Schwester lauschte. Irgendwann wollte sie auch eine Ehe, in der sie glücklich sein konnte. Selbst wenn sie sich nicht aussuchen konnte, wen sie heiraten durfte. Kourin hatte das auch nicht gekonnt, und sie schien zufrieden zu sein. König Sinbad wäre bestimmt ein wunderbarer Ehemann... Aber wenn sie immer in Sindria leben würde, würde sie das Empire doch vermissen. Und ihre Geschwister. Nur Judar nicht! Der war ohnehin nur gemein zu ihr.   Als sie in ihre Schlafgemächer zurückkehrte, war es spät, und der Raum war bereits erhellt von warmen Öllampen. Eine Bedienstete hatte ihre Lieblingsschlafgewänder herausgelegt,  sie rochen frisch gewaschen und süß. Kougyoku seufzte, längst wieder zufrieden. Sie war müde, der Ärger mit Judar nur noch ein dumpfes Pochen in der Magengegend und gut ignorierbar. Sie sah hinaus in die Dunkelheit, sah die üblichen winterlichen Eiskristalle an ihrem Fenster hochkriechen und sofort verzog sie die Lippen zu einer Schmollschnute. Blöder Judar machte ihr alles kaputt. Selbst der Anblick der Eisblumen war nicht einmal mehr ein bisschen tröstlich, nachdem sie nun an Judar denken musste dabei. Kopfschüttelnd wandte sie den Blick ab, ließ sich vor ihrem Schminktischchen auf einem reich gepolsterten Hocker nieder. Kourin hatte aus ihrem Haar eine wunderschöne, aufwändige Frisur gemacht, viel eleganter noch als die Art, wie Kougyoku selbst frisierte, und so gern sie sie behalten hätte, zum Schlafen war das definitiv unmöglich. Seufzend löste sie die Spangen aus ihrem Haar, spürte wie die schweren, weinroten Strähnen über ihre Schultern fielen, griff nach ihrer Haarbürste. Mit dem Blick in den Spiegel erstarrte sie. Direkt auf der Höhe, auf der ihr Kopf sich befand, genau dort, wo sie im Sommer stolz ihre selbstgeflochtenen Blumenkränze trug, befand sich – ein Blumenkranz. Aus Eis, auf das Glas des Spiegels gemalt, und im Gegensatz zu den Kränzen, die sie selbst aus den Blumen fertigen musste, die am Boden wuchsen und deren Stängel zum Flechten lang und elastisch genug waren, fand sie in diesem Kranz all ihre aufwändigen und flechtunmöglichen Lieblinge, dominiert von zarten Pfirsichblüten. Völlig verzaubert betrachtete sie ihr Spiegelbild, Bett und Haarbürste längst wieder vergessen. Erst nach Minuten des großäugigen und rotwangigen Staunens regte sie sich wieder, hob eine Hand vor den Mund und brach in sanftes Gekicher aus. „Oh Judar.“ Er musste immer Recht haben, was? Aber ausnahmsweise war Kougyoku einmal gar nicht verärgert darüber. Vielleicht war der Winter hier in der Kaiserstadt doch nicht so schlimm.   Und eigentlich würde sie Judar ja doch vermissen, wenn sie nicht mehr hier wäre. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)