Via Inquisitoris - Kurzgeschichten von Hotepneith (Aus der Welt der Geschichten um den Inquisitor) ================================================================================ Kapitel 1: Die Iden des März ---------------------------- She lives a lonely live... Ace of base: All that she wants 1993 Der Anführer der vier bewaffneten Männer ließ die dunkelhaarige Frau nicht aus den Augen, als sie sich vor der Götterstatue der Wegkreuzung verneigte und ihre Blumen niederlegte. Er war seinem Herrn für das Wohlergehen und die Sicherheit von dessen Gemahlin verantwortlich. Sicher, zunächst hatte es einiges Getuschel gegeben, als der ehrenwerte Senator aus dem Asienfeldzug nicht nur eine weibliche Beute mitbrachte sondern sie auch noch geheiratet hatte. Selbstverständlich in einer anerkannten Ehe, da sie das römische Bürgerrecht besaß. Niemand jedoch im Haus, nicht einmal der älteste Sohn Gaius, hätte etwas gegen sie vorbringen können. Innana war nicht nur schön, sondern besaß einen reizenden Charakter, sanft, klug und...nein, hier sollte er besser aufhören auch nur zu denken. Die domina war für ihn tabu. Innana winkte ihrer gallischen Sklavin die Blumen in der Schale anzuzünden. Es war das Fest der Angehörigen und so opferten überall in Rom die Matronen den Ahnen der Familien. Sie zog ein wenig den Schal um sich. Es war kühl in diesem letzten Monat des römischen Jahres. Schon in wenigen Tagen würde ein Neues beginnen, die Konsuln der Republik ihr Amt antreten. Wieder ein Jahr in Rom....Und sie wäre so gern in ihrer Heimat, in Mesopotamien, aber das Zweistromland war schon lange nicht mehr das Land, das sie einst gekannt hatte. Waren es zweitausend Jahre? Nun, gleich. Sie lebte und jagte jetzt in der Hauptstadt des Imperiums und sie musste die Regel der Unauffälligkeit wahren, wie es jeder Vampir tat. So gesehen hatte sie wirklich Glück gehabt, dass Marcus sie geheiratet hatte. Als Sklavin wäre es weitaus schwieriger geworden unentdeckt zu bleiben, das wusste sie aus Erfahrung. Natürlich gab es auch dort Möglichkeiten. Auf jeden Fall verhalf ihr die Gabe aller Vampire Menschen beeinflussen zu können dazu, dass sie im Haus, aber auch unter den anderen Matronen Roms jeder schätzte. Früher, als sie kaum verwandelt worden war, hatte sie geglaubt, diese Fähigkeit diene der Jagd, aber nur zu bald hatte sie verstanden, dass sie hauptsächlich dazu diente verborgen unter Menschen zu leben. Es war manchmal nicht einfach, gerade mit ihrem Geschlecht. zumal auch in Ägypten nun zu einem gut Teil griechisches Recht galt, Frauen weniger zu sagen hatten als vor Jahrhunderten, als sie und ihre Meisterin eine Handelsfirma betreiben konnten. Innana verneigte sich noch einmal vor der Statue. So, das war erledigt und sie würde sich zurück in die Stadt in ihrer Sänfte tragen lassen....Irritiert hob sie den Kopf. Dort, hinter den Büschen, die die Felder hier trennten, spürte sie etwas Unerwartetes – den Bannkreis eines Artgenossen. Hatte sich hier etwa ein Vampir zur Ruhe gesetzt? Sie konnte sich jedoch nicht entsinnen diese unglaubliche Magie zuvor wahrgenommen zu haben. Ja, da war jemand. Und ganz offenkundig war er um ihretwillen hier. So sah sie zu ihrer Sklavin: „Geh zu den Männern. Ich folge gleich nach, sobald ich ein wenig....Erleichterung fand.“ „Soll ich dich nicht begleiten, domina?“ Rubia war ebenso wie die Wachen vermutlich besorgt, was sie dem Senator sagen sollten, wenn ihr etwas zustieß – als ob ihr ein Mensch etwas anhaben konnte. Aber es war nett gemeint: „Nein. Geh nur. Und sage Kriton, dass er nur kurz auf mich warten muss. Geh.“ Damit wandte sich Innana auch bereits um und ging auf die Hecke zu. In der Tat, ein Bannkreis, und was für einer. Sie war nun schon weit über zweitausend Jahre alt, aber das hätte sie nicht hinbekommen – und das, obwohl sie eine Einladung erhalten hatte der nächsten Tagung des Hohen Rates beizuwohnen, womöglich dort hinein berufen zu werden. Sie wandte rasch den Kopf, ehe sie für ihre Begleitung in dem dichten Grün verschwand – und sich in einem Bannkreis wiederfand. Ein wenig irritiert betrachtete sie den schwarzen Mann vor sich. Seine Haut war so dunkel wie die eines Nubiers oder Numidiers – aber dennoch sah er ganz anders aus. Seine schwarzen Haare kräuselten sich, wie sie es noch nie gesehen hatte, auch die Nase, der Gesichtsschnitt war fremdartig. Seine Kleidung war freilich die eines römischen Bauern. „Innana,“ sagte er als Begrüßung: „Ich hörte bereits, dass du bei der Ratsversammlung anwesend sein wirst. - Dennoch, ich rate dir in den nächsten Tagen Rom zu verlassen. Das erfordert die Regel der Unauffälligkeit. Ich warne alle, die sich hier befinden,“ ergänzte er. „Soweit ich weiß sind wir zu acht, mit den Schülern der anderen achtzehn, in der Hauptstadt des Imperiums, aber es mag auch der eine oder andere zufällige Gast hier sein.....Nun, du scheinst mit Ratsangelegenheiten vertraut. Darf ich nach deinem Namen fragen?“ Er musste ein sehr alter Vampir sein, vielleicht der Älteste, der sich noch nicht zurückgezogen hatte. Vermutlich ein Ratsmitglied, nein, sicher. Es war daher ein wenig unhöflich, aber sie wollte wissen, warum er sie warnte. Ein spöttisches Lächeln: „Mein Name würde dir kaum etwas sagen. Aber man nennt mich im Allgemeinen den Kadash.“ Er beobachtete ihre Reaktion genau. Sie zuckte unwillkürlich zutiefst erschreckt zusammen. Der Kadash, der einzige Vampir der seinesgleichen zu töten vermochte, dies auch tat, wenn gegen die Regeln verstoßen wurde. Ermittler, Richter und Henker in Personalunion. Kein Wunder, dass er eine derartige Magie besaß. Zweifel an dieser Aussage waren für sie wie für jeden ihres Volkes ausgeschlossen – damit scherzte niemand. Dann beruhigte sie sich mühsam.. Er warnte – das hieß ja wohl, dass er keinerlei Interesse daran hatte sie oder einen der anderen Vampire hier in Rom zu töten. „Danke für die Mahnung, Kadash. Ich vermute, du weißt, dass ich momentan die Ehefrau eines Senators bin?“ Und damit kaum einfach mal eben die Stadt verlassen konnte. „Ja. Hübsche Tarnung in einem Land, in dem Frauen keine Rechte haben.“ Fast alle weiblichen Vampire suchten die Fürsorge eines sterblichen Mannes oder einer Religion zur Täuschung, fast immer um den Preis einen Teil von sich zumindest vorübergehend aufgeben zu müssen. Es gab einen guten Grund, warum weniger weibliche als männliche Vampire existierten. Kein verantwortungsvoller Vampir sähe es gern, wenn seine Schüler gegen ihren Willen Intimitäten mit Sterblichen austauschen mussten, nur um verborgen zu bleiben: „Dennoch – geh auf euer Landgut und von dort aus aus dem Blick der Mächtigen.“ „Wir haben allerdings Frieden hier,“ gab sie zurück, noch immer bemüht den Grund für diese Warnung zu erfahren: „Und der Diktator wird vermutlich zu einem neuen Krieg nach Asien gegen die Parther aufbrechen. - Ist es das? Ich habe durchaus mitbekommen, dass nicht alle Senatoren mit ihm und seiner Stellung glücklich sind. Aber der letzte Bürgerkrieg kostete so viele Menschenleben....“ „Ja. Gaius Julius Cäsar wird an den Iden des März, in keinen drei Wochen, nicht nur den Antrag stellen diesen Krieg zu führen...Du hast selbst als Frau, die kaum je von der Politik erfährt, mitbekommen, dass es im Senat gegen ihn Widerstand gibt. Glaubst du, er weiß es nicht selbst?“ Jahrtausendelange Erfahrung ließ sie erwidern: „Er sollte gute Spione haben.“ Sonst wäre er nie an die Macht gekommen oder hätte sie behalten. Der so dunkel aussehende Mann nickte: „Und dennoch hat er heute seine Leibwache entlassen.“ Sie starrte zu ihm auf: „Das ist mehr als töricht,“ stellte sie dann sachlich fest. Er war erstaunt über diese Reaktion, aber auch angetan. Intelligente Unterhaltungen hatte er selten. Und meist nur mit Ratsmitgliedern, deren Furcht vor ihm geringer war. Doch, Innana würde gut in den Rat passen, er konnte eine Empfehlung aussprechen, um die ihn Amunnefer, der Sprecher des Rates, gebeten hatte. Der Hohe Rat wurde älter und müsste sich verjüngen, damit sich der Ein oder Andere wie ersehnt zurückziehen konnte. Er allein musste warten, bis jemand bereit war und fähig seine Bürde zu tragen. Und er harrte jetzt bereits jahrtausendelang in diesem schweren Amt aus: „Überdies: er trägt jetzt immer die rote Toga des Triumphators. Oder auch, wie es manche sehen, des Königs. Denke an das Lupercusfest.“ Innana nickte: „Er will sterben. Und danach wird es Bürgerkrieg geben. Danke für die Warnung, Kadash. Ich werde verschwinden, ehe jemand bemerkt, dass ich kein Mensch bin.“ „Wir sehen uns in vierzig Jahren sowieso wieder hier am Kapitol. Du hast die kleine Höhle dort für die nächste Versammlung des Hohen Rates beschrieben bekommen. - Danke, übrigens.“ „Wofür?“ Sie sah ihn ehrlich irritiert an. Er lächelte und sie fand ihn plötzlich trotz seines ungewöhnlichen Aussehens nett: „Nun, es geschieht nicht oft, dass sich jemand mit mir einfach unterhält. Das Leben als Jäger der Jäger ist nicht immer angenehm.“ Daran hatte sie noch nie gedacht. Aber sie konnte es einigermaßen nachvollziehen, war sie doch einst als Hohepriesterin, ja, Gemahlin, des Mondgottes auch abgeschottet von allem Irdischen: „Das tut mir Leid.“ Erneut ein Lächeln des wohl mächtigsten Vampirs unter allen Nicht-Zurückgezogenen: „Ich glaube es dir sogar. - Du musst gehen. Oh, und geh Richtung Griechenland. Womöglich triffst du auf einen reichen phönizischen Händler.“ „Dich?“ „Sehr aufmerksam. Ja. Ich werde aber über Griechenland nach Tyros gehen. Es steht wieder sehr gut da, seit es Alexander von Makedonien so verwüstet hatte.“ Ach ja, Tyros... „Näher werde ich kaum mehr ins Zweistromland gelangen. Nun, wer weiß, was später wird. Danke für das Angebot, Kadash.“ „Geh, deine Wächter werden unruhig....Klage über Bauchschmerzen, dann lässt dich der Senator doch reisen.....“ Sie gehorchte. Als sie sich umwandte entdeckte sie nur mehr einen alten Bauern, dessen weißes Haar im Wind wehte, als er sich langsam entfernte. Jetzt müsste sie ihrem Ehemann klar machen, dass sie in den nächsten Tagen, zu einer zugegeben ungewöhnlichen Zeit, auf das Land reisen wollte, weil sie krank sei. Das würde ihr ohne Zweifel gelingen. Menschen waren leicht zu beeinflussen. Aber ihr war bewusst, dass sie den wahrlich freundlichen und gütigen Mann, der ihr über die letzten zehn Jahre geholfen hatte, wohl kaum je wieder sehen würde. Und, dass sie das ein wenig bedauerte. Immer wieder diese Trennungen von netten Menschen – allerdings auch von solchen, bei denen sie bedauert hatte ihnen nicht die Regel der überlegenen Art zeigen zu dürfen: Mord war einem Vampir verboten. Dennoch: der Schutz des verborgenen Volkes hatte Vorrang. Immerhin hatte sie den Trost, dass sie den Kadash spätestens in vierzig Jahren wiedersehen würde. Vielleicht kämen sie dort wieder zu einem Gespräch. Und nebenbei sollte sie überlegen ob sie die Berufung in den Hohen Rat wirklich annehmen wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)