Opus Magnum von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 2: Le Prélude - Opus II -------------------------------   Zerzaust, unruhig und auch ein wenig nervös schritt Youma im Schloss Lerenien-Seis, der Hauptstadt der Dämonenwelt, im Kreis herum. Er befand sich im östlichen Flügel des Schlosses, vierte Etage, Zirkel der Eifersucht, wie die Etagen in diesem Schloss genannt wurden, den sieben Todsünden gewidmet –  obwohl es garantiert keine Eifersucht war, die ihn dazu brachte, in diesem etwas abgelegenen Teil des Schlosses seine Runden zu drehen, die von seiner Frustration deutlich zeugten. Während zur gleichen Zeit im Zirkel der Gier mal wieder eine Konferenz der Fürsten und des Königs ohne ihn stattfand, musste er sich Gedanken darüber machen, wie er dem König am besten beibrachte, dass es keinen Sinn machte, diese vermaledeite Mission weiter zu verfolgen; Nocturn entsprach nicht seinen Vorstellungen, so einfach war das und das war eigentlich auch einfach gesagt… nur leider einfacher gesagt als getan. Youma arbeitete – wohl eher „diente“, aber er hatte noch seinen Stolz… - dem König der Dämonenwelt nun schon fünf Jahre; fünf Jahre, in denen er gelernt hatte, dass der König sich von anderen in nichts reinreden ließ, weshalb Youma sich sicher war, dass seine logischen Einwände auch an ihm abprallen würden.  Er wollte Nocturn in diesem Schloss haben und Youma hatte dafür zu sorgen, dass das auch so geschah. Punkt.  … und egal, wie man es drehte und wendete, und egal wie dumm ein solches Vorhaben war… Nocturn war in diesem Moment nicht im Schloss seiner Majestät. Youma war mit leeren Händen zurückgekehrt und er wusste schon, was sein König dazu sagen würde… jeder logische Einwand sähe wie eine Ausrede aus.    Kurz blieb Youma klagend stehen und drehte unruhig seinen Kopf zum blutroten Fenster, in dessen Röte sich vage sein Spiegelbild abzeichnete. Seufzend wandte er sich wieder ab. Er war so tief gefallen… dass er mal jemandem dienen müsste, dass er mal den Zorn einer anderen Person fürchten müsste… „Och, mein Hübscher, sei nicht traurig!“ Ein genervtes Zucken brannte kurz auf Youmas Gesicht auf, ehe er – noch energischer als vorher – wieder damit begann, auf und ab zu gehen, die plötzliche Stimme ignorierend, die aus dem Nichts in seinem Kopf aufgetaucht war.   Nichts was für ihn ungewöhnlich war. Er hatte sich eigentlich viel eher daran gewöhnt, aber das bedeutete nicht, dass es eine Freude war, wenn es geschah. Was allerdings nicht normal war, war etwas, was Youma aus den Augenwinkeln heraus bemerkte und was ihn sofort dazu brachte, erstaunt stehen zu bleiben: rechts neben ihm, im roten Buntglas der hohen Fenster, zeichnete sich die neckisch grinsende Gestalt seines Gönners ab, der sich selbst als den Gott der Dämonen bezeichnete.  Ob er es war oder nicht, das wollte Youma nicht beurteilen – alleine schon um ihm nicht zu schmeicheln – aber dass seine Macht unermesslich war, bewies nicht nur sein plötzliches Erscheinen in einem Buntfenster.   Youma runzelte die Stirn über dieses eigenartige Bildnis; der namenlose, ehemalige Herrscher der Dämonen und – angebliche – Schaffer dieser Welt hatte es tatsächlich vollbracht, sein Aussehen relativ gut mit dem eigentlichen Buntglas zu vereinen; würde er sich nicht bewegen, könnte man ihn wahrscheinlich als ein Teil des Fensters ansehen. Deutlich erkannte Youma die langen, schwarzen, wellenden Haare seines Gönners, den in seine Haare eingearbeitete goldene Schmuck, sein elegantes Gewand, das verriet, dass er wie Youma aus einer anderen… längst vergangenen Zeit stammte und eigentlich genauso wenig in diese Zeit gehörte wie er… und natürlich seine roten, dämonischen Pupillen, schwimmend in dem schwarzem Meer seiner Augen. Schalkhafte Augen, die eigentlich immer heitere Vergnügtheit ausstrahlten; aber auch Macht. Auch Youma kannte seinen Namen nicht; er hatte ihn oft gefragt, aber – so lauteten seine Worte – es gehörte zu seinem Spiel, seinen Namen nicht zu verraten.   Anstatt dem namenlosen Dämonenherrscher für diese künstlerische Darbietung allerdings Respekt zu zollen, platzierte Youma seine Arme wieder auf seinem Rücken und ging weiter, als würde er versuchen, seinen Gönner zu ignorieren. Aber er ließ sich nicht ignorieren; galant hüpfte er in das nächste Fenster, während er seinen geliebten Schützling zutextete: „Du musst es als eine Herausforderung ansehen; als eine Lektion, die deinem Werdegang zum König dient. Du weißt, ich würde dir gerne helfen und wie gerne ich Kasras Visage lieber gestern statt heute loswerden würde, aber…“ Theatralisch hob er den Zeigefinger und beendete entschieden den Satz: „Das geht nicht. Ich bin dein Gesprächspartner, deine Schulter, an der du dich ausweinen kannst…“ Youmas Augenbrauen hoben sich, diese Worte anzweifelnd. „… aber ich bin nicht deine Trumpfkarte.“ „Sie würden mir schon behilflich sein, wenn Sie mir Informationen geben würden… oder sämtliche Erinnerungen an Nocturn aus Kasras Gedächtnis löschen, damit diese unsinnige Mission endlich vom Tisch kommt.“ Aber der ehemalige Dämonenherrscher blieb hart: „Ich bedaure Youma, aber das kann ich nicht tun; das würde das Spiel kaputtmachen.“ „Ich wünsche nicht, Teil eines „Spiels“ zu sein“, erwiderte Youma giftig, was seinen Gesprächspartner allerdings nur noch weiter erheiterte:  „Dann hättest du dich nicht von Hikaru in einem Zeitbann einsperren lassen sollen, mein Hübscher!“ Die gewünschte Gefühlsregung tauchte sofort auf Youmas hübschem Gesicht auf; wie er das Thema hasste – wie er es allgemein hasste, über sein ehemaliges Leben zu sprechen und wie amüsant es deswegen war, es anzuschneiden. „Ich hatte dir alle Wege geebnet… ich habe dir so viel geholfen, aber du lässt dich einsperren – und obendrein in der Zeit! Ein sehr extravagantes Gefängnis, wenn du mich fragst, mein Hübscher… Es ist nicht meine Verantwortung, dass es nun, in dieser Zeit, so schwer für dich ist, dein Recht auf den Thron nach so vielen Äonen geltend zu machen. Um es zu sagen, wie es ist: du hast es selbst verbockt, also musst du es auch selbst wieder ausbügeln.“ Da Youma wusste, dass er recht hatte und er ihm diesen Triumph nicht gönnte, antwortete er nicht. Stattdessen war er stehen geblieben, in Gedanken versunken, wobei der ehemalige Dämonenherrscher ihm zusah, um dann schlussendlich zufrieden zu lächeln, als er feststellte, dass Youma sich nun an das Fenster lehnte, in welchem sich sein Bildnis abzeichnete – brauchte er etwa doch ein wenig Beistand? Verwerflich war es wahrscheinlich nicht; er war nicht nur Hals über Kopf in einer fremden Zeit gelandet, sondern auch sofort unter die Fittiche von Kasra geraten – einem Dämonenkönig, unter dem man wirklich lieber nicht arbeiten wollte. Youma hatte zu keinem einzigen Dämon eine Bindung, war jedem gegenüber skeptisch, so wie sie ihm gegenüber skeptisch waren, und hatte somit grundlegend niemanden, mit dem er sich austauschen konnte. Dazu die dauernde Demütigung Kasras, der sich weigerte, Youmas enormes Potential ausbilden zu lassen; aus gutem Grund natürlich. Er wusste, dass von Youma eine Gefahr ausging, weshalb er ihn auch in seinen Stab aufgenommen hatte; nicht um ihn zu fördern, sondern um ihn im Auge zu behalten. Sobald ein Posten als Fürst frei wurde, sollte er angeblich einen solchen politisch wichtigen Posten erhalten, aber daran glaubte weder Youma noch Kasra. Ab und zu „erlaubte“ er Youma, als Teil seiner Horde gegen die Wächter zu kämpfen, aber diese Einsätze waren mit der Zeit weniger geworden.  Der ehemalige Dämonenherrscher lächelte böse in sich hinein – Kasra wusste schon warum.  Solange er Youma an der Leine halten konnte, war er kontrollierbar. Die Frage war nur – wie lange konnte er ihn noch an der Leine halten?    Es schmerzte ihn natürlich, seinen geliebten Schützling so gedemütigt zu sehen. Youma war zu schön für einen gesenkten Kopf; mit seinem langen, schwarzen Seidenhaar und seinen ebenso dunklen, allem misstrauenden Augen in einem absolut perfekt geschnittenen Gesicht, welches er von seiner Mutter geerbt hatte. Die Augen stammten allerdings von seinem Vater; wie auch seine Höhe und sein feingliedriger Körperbau. Es war ein wahres Vergnügen, ihn anzusehen, dabei zuzusehen, wie jedes kleine Gefühl sein eigentlich immer ernstes Gesicht veränderte. Er war immer strikt, zielgerichtet und eigentlich sehr stolz; eigentlich auch sehr hochmütig, aber diesen Hochmut hatte Kasra zurechtgestutzt. Die Demütigung durch Kasra kleidete seinen Schönling nicht; er ertrug sie, weil er vernünftig war und das Endziel vor Augen hatte, aber dennoch bekam sein Stolz Tag für Tag Risse. Es war schrecklich anzugucken! Aber zum Glück war Youma keine Person, die aufgab –  und auch das war etwas, was der namenlose Dämonenherrscher an ihm schätzte; er stand immer wieder auf, nicht willig, sich mit Niederlagen abzufinden. Genau wie sein Vater einst… Wenn man es genau betrachtete, war das Treffen mit Nocturn ja auch gar nicht so negativ verlaufen; nur sehr… ungewöhnlich. Mit geschultertem Rosenstrauß hatte der Flötenspieler die beiden Dämonen in einen Park nahe der Cours la Reine teleportiert. Der Regen hatte die Straßen leergefegt; nur noch wenige dem Regen trotzende Touristen tummelten sich auf der Pont Alexandre III, auf die Nocturn zielsicher zusteuerte, den skeptischen, leicht verunsicherten Youma im Schlepptau. Wozu sollte das führen?  „Lassen Sie uns einander duzen, Youma – dann habe ich weniger schlechtes Gewissen meiner Tante gegenüber, wenn du verstehst, was ich meine? Wegen dem, dass ich mich Fremden nicht anvertrauen soll.“ Youma hatte dagegen keine Einwände; nicht, weil er es erstrebenswert fand, mit Nocturn per „du“ zu sein, sondern weil es ihm viel eher egal war, ob sie sich nun duzten oder nicht. Ihn interessierte viel mehr, wozu dieser Spaziergang gut sein sollte.   „Warst du schon einmal in Paris?“ Er wartete nicht auf eine Antwort, sprach sofort weiter, was auf Youma den Eindruck hinterließ, dass er sich wohl gerne reden hörte. „Ich liebe Paris. Es war wie eine Offenbarung, als ich die Stadt das erste Mal besuchte. Ist es hier nicht wunderschön? Ich zeige dir hier natürlich eine ihrer schönsten Seiten; diese Gegend hier ist eine wahre Perle und natürlich hat Paris auch seine dunklen Seiten… aber macht es die Stadt nicht besonders inspirierend? Ich muss mich Balzacs Meinung über Paris anschließen; sie ist wie eine lebende, atmende Kreatur, weswegen man stets Neues erkennt und sie weiter erforschen kann, da sie sich immer im Takt ihrer Bewohner verändert… und doch bleibt sie im Kern so, wie man sie immer kennen und lieben gelernt hat. Sie ist ein Kunstwerk. Ein lebendes Kunstwerk.“ Nocturn bemerkte gar nicht, dass Youma ihm schon längst nicht mehr zuhörte, sondern nur nachdenklich, eine Spur genervt, den Blick über die nasse Brücke schweifen ließ, die von unzähligen, reich verzierten Straßenlaternen erhellt wurde. Nocturn bemerkte sein Schweigen, deutete Youmas Desinteresse allerdings als Faszination, weshalb er ihn kurz verweilen ließ, ehe er ihn abermals ansprach: „Wie ich vorhin andeutete, ehe meine Tante unser Gespräch unterbrach…“ Youma horchte natürlich sofort auf, als das eher einseitige Gespräch endlich wieder in die gewünschte Richtung ging. „… gibt es jemanden, den ich gerne treffen möchte.“ Youma sah sein Gegenüber aus dem Profil an, welches er aufmerksam beobachtete, weshalb ihm das eigentümliche Lächeln auf Nocturns spitzem Gesicht nicht verborgen blieb: „Nein, das ist wohl falsch formuliert. Ich verlange danach, sie zu treffen. Ich habe lange genug warten müssen…“ Auf einmal wirkte Nocturn gänzlich woanders, als hätte er Youmas Anwesenheit vergessen; seine Gedanken schienen ihn aufzuwühlen und obwohl sein Gesicht im Schatten lag, war Youma, als könne er die Röte seiner eigentlichen Augenfarbe durch das Braun der Kontaktlinsen hindurch schimmern sehen.  „Wen willst du treffen?“, fragte Youma angespannt; plötzlich unterbewusst eine Gefahr spürend... aber woher kam sie? Von wem ging sie aus? Doch nicht etwa von Nocturn, der immer noch auf einen ihm unbekannten Punkt starrte, über die Brüstung der Brücke hinweg, die Augen nicht länger auf die Stadt gerichtet... nein, er schien einen gänzlich anderen Ort zu fokussieren.     Ein Windstoß brachte die weißen Rosen dazu, sich aufgebracht hin und her zu bewegen; einige Blüten lösten sich, flogen durch den Wind, verschwanden im Dunkel der Nacht, aufmerksam von Nocturns Augen verfolgt. „White. Ich möchte sie treffen.“   Youmas Gesicht fiel vor Überraschung, ausgerechnet diesen Namen zu hören, förmlich aus den Angeln. Hatte er sich gerade verhört?! White?! Die mächtigste Wächterin des Wächtertums?! Diese wahre Tötungsmaschine wollte er treffen?! „Wenn ich mit dir in die Dämonenwelt komme, dann könnte ich sie doch womöglich auf dem Schlachtfeld treffen, nicht wahr?“ Der Angesprochene war gänzlich außerstande, das zu verstehen. Warum wollte er White treffen?! War er irre?! Aber, nein, warte. Youma befahl sich selbst, ruhig zu bleiben und die offensichtlichen Fragen nicht zu stellen; es konnte ihm doch eigentlich egal sein, oder? Kasras Befehl hatte gelautet, dass er Nocturn zu ihm bringen solle; dass dieser scheinbar nicht mehr alle beisammen hatte, konnte Youma ja egal sein, Hauptsache, er kam mit... und dann konnte Kasra sich mit ihm abplagen. Youma hatte dann seine Schuldigkeit getan. Sollte sein König doch herausfinden, was in Nocturns Kopf nicht richtig lief...     „Einverstanden“, begann Youma, seine Souveränität wiedererlangend: „Dann würde ich vorschlagen, dass wir sofort aufbrechen...“ Doch die eben erlangte Souveränität verlor er auch prompt wieder, denn jetzt war es Nocturn, der ihn geschockt ansah: „Absolut unmöglich! Hast du meinem Gespräch mit Raria vorhin nicht zugehört?“ „Wie denn – bei einer Sprache, die ich nicht verstehe?!“, entfuhr es Youma, seine Wut kaum noch unterdrücken könnend, aber Nocturn ignorierte ihn gekonnt: „Ich muss vor Mitternacht wieder zu Hause sein, ansonsten bin ich einen Kopf kürzer! Der richtige Zeitpunkt ist noch nicht gekommen. Meine Tante hat mir jeden Kontakt mit den Wächtern immer verboten... sie wäre sehr aufgebracht, wenn sie davon erfahren würde, weshalb es unbedingt geheim gehalten werden muss.“ „Ist sie etwa dein Wachhund?!“ „Entschuldige, vergleichst du meine Tante gerade mit einem Hund?!“, erwiderte Nocturn plötzlich zornig wirkend, aber sich schnell wieder beruhigend: „Wenn schon, dann ist sie eine Wachlöwin.“ Sein Tonfall klang stolz, als er dies sagte, aber Youma ging darauf nicht ein; ihm wurde das jetzt alles zu viel. Er würde ja wohl nicht Rücksicht darauf nehmen, dass irgendeine Tante ihren Neffen an sich kettete?! Nocturn mochte vielleicht eine bissige „Löwin“ im Nacken haben, aber in Youmas Nacken saß ein wahres Monstrum, das weniger von ihm übrig lassen würde als einen Torso ohne Kopf!   „Entweder jetzt oder gar nicht.“ Youmas Worte waren ernst und entschieden, aber trotzdem hinterließen sie nicht den gewünschten Eindruck. In diesem Moment würde Youma herausfinden, dass Nocturn keine Person war, die sich erpressen ließ. Er schloss den vorher noch geöffneten Mund, atmete tief durch die Nase ein und mit einem kalten, abschätzigen Blick erwiderte er: „Dann gar nicht.“ Und schon war er verschwunden.   „Aber das ist doch noch lange keine Niederlage, Youma-kun! Sieh die guten Seiten; du kannst ihn jetzt jederzeit wieder finden. Der Flötenspieler wird ja noch ein paar mehr Auftritte haben.“ Youma wusste natürlich, dass sein namenloser Gönner recht hatte, aber das klärte doch noch lange das Problem nicht. „Das ändert nichts daran, dass er offenkundig irre ist.“ „Also wirklich, Youma-kun, war ich irre, als ich Light-kun besucht habe? Dein Ziehvater ist immerhin auch ein Wächter gewesen!“ „Könnten Sie bitte die Güte haben, nicht über ihn...“ Der namenlose Dämonenherrscher wollte ihn gerade weiter necken, als er wie Youma bemerkte, dass die Konferenz der Fürsten und des Königs offensichtlich vorbei war und tief durchatmend löste Youma sich vom Fenster, wo nun auch die Erscheinung des Dämonengottes verschwunden war, als Kasras feste Schritte im Gang zu hören gewesen waren.   Die Erscheinung des jetzigen Dämonenkönigs war geprägt von stolzer Überheblichkeit und unendlicher Arroganz; in jeder seiner Bewegungen steckte selbstbewusste Stärke, die er auch ohne Krone geltend machen konnte; diese lag golden auf seiner hohen Stirn, umringt von einem rabenschwarzen Pony, welcher in einem langen, stets geflochtenen Zopf mündete, der genauso stolz wie sein Träger hinter ihm her wehte. Die goldene Krone zusammen mit seiner immensen Aura waren die Zeichen und die Untermauerung seiner Macht; aber er selbst pochte lieber auf seine Hörner, die eigentümlicherweise an seinem Hinterkopf zusammengingen und damit fast eine natürliche Krone bildeten. Obendrein waren diese auch noch genauso golden wie die eigentliche Krone; ob das natürlichen Ursprungs war oder nicht, darüber stritt man sich hinter vorgehaltener Hand. Fakt war jedoch, dass Kasra wegen seinen Hörnern auch „der zum König Geborene“ genannt wurde – und diesen Titel zu gerne vertrat.   Ob er ein guter König war… das war eine andere Frage, aber er besaß den Titel schon mehr als hundert Jahre – und es deutete nichts darauf hin, dass sich das so schnell ändern würde. „Ich finde“, hörte Youma die Stimme seines Gönners in seinem Kopf: „... ich färbe seine Hörner mal pink, mal sehen, was er dazu sagt...“ Das brachte Youma fast zu einem Schmunzeln, obwohl Kasra dann pink wohl einfach zur neuen Modefarbe ernennen würde. Der ehemalige Dämonenherrscher tat es natürlich nicht – damit würde er ja seine eigenen Regeln brechen – und Youma schluckte sein Schmunzeln herunter, denn ihm war klar, dass Kasra das Misslingen der Mission nicht unbemerkt geblieben war. Er schloss es wohl daraus, dass Youma alleine dastand und die Tatsache, dass er gescheitert war, schien den König zu amüsieren; Youma sah das gefährliche Leuchten in seinen roten Augen, ehe er kurz den Kopf neigte.   Der namenlose Dämonenherrscher zollte Youma kurz mit einem zufriedenen Lächeln Respekt, denn trotz aller Demütigungen war es Kasra nicht gelungen, Youma sämtliche Würde zu rauben; er hatte sich noch nie vor ihm verbeugt.   „Alleine und gescheitert, wie ich sehe, Youma“, stellte Kasra fest, als er bei ihm angekommen war und auf ihn herabblickte, obwohl Youma bereits den Kopf wieder gehoben hatte. Er selbst war mit seinen 191 Zentimetern nicht gerade klein, aber Kasra übertraf ihn mit seinen 254 Zentimetern natürlich. „Es gab ungewöhnliche Vorkommnisse, Eure Hoheit.“ „Aber getroffen hast du ihn?“, erwiderte Kasra, sich nun an das Fenster lehnend, so wie Youma es vorher getan hatte. Im Moment wirkte es nicht so, als wolle er Youma für den Fehlschlag bestrafen, aber das sollte nichts heißen. Kasra liebte es nicht nur, das Leid seiner Opfer in deren Augen abzulesen; er hatte eine ganz besondere Vorliebe dafür, sich in dem Moment zu laben, in dem das Opfer mit Panik realisierte, was mit ihm geschehen würde. Er wollte sein Opfer schockieren; daher konnte man nie wissen, wann er zuschlug. Aber genauso gerne wie er diese Gefühle in den Augen seiner Opfer sehen mochte, hatte er es auch, wenn er mögliche Zuschauer schockieren konnte; ganz besonders Dämonen, die ja eigentlich an Boshaftigkeit und Schrecken gewohnt waren. Lerenien-Sei besaß dank ihm vier öffentliche Hinrichtungsplätze und er vereinte das Aufgabengebiet des Henkers und Peinigers in sich; stets übernahm er diese Pflichten selbst; das war seine oberste Königspflicht. Er wartete daher vielleicht nur darauf, dass jemand vorbeikam, ehe er zuschlagen würde wie eine giftige Schlange.    „Ja, ich habe ihn getroffen.“ „Und?“ Kasra schloss kurz die Augen, um ihn dann mit einem breiten Grinsen wieder anzusehen: „War er stark?“ „Das kann ich nicht beurteilen. Genau wie Karou vermutet hat, besitzt er keine Aura...“ „Das kann überaus praktisch sein!“ „Und gekämpft haben wir nicht.“ „Nein, das denke ich mir, ansonsten wärst du wohl nicht hier, haha!“ Youma bemerkte diese Beleidigung natürlich und sofort schoss ihm wieder durch den Kopf, wie absolut menschlich Nocturn gewirkt hatte – menschlich im Sinne von schwach. Youma war nicht schwach; er war unterfordert, das war alles und das wusste Kasra auch... „Mit Verlaub, Eure Hoheit, er wirkte sehr menschlich...“ Kasra fiel ihm ins Wort: „Willst du mit so einem Vergleich andeuten, dass mein Sohn schwach sein soll?“ Da war es wieder; das gefährliche, drohende Funkeln in Kasras Augen. Aber die darauffolgende Stille und Anspannung war noch viel bedrohlicher – und nicht ohne Grund atmete Youma auf, als er die gänzlich monotone Stimme Karous hörte: „Mein König, es ist noch zu früh, ihn so zu nennen. Solange ein DNA-Abgleich nicht gemacht wurde, besteht keine Bestätigung dafür, dass er Euer Sohn ist.“ Karous Auftritt war unheimlich positiv für Youma, denn Karou war der einzige, der Kasras Sadismus bändigen konnte; indem sein bloßes Dasein ihn langweilte.   „Ganz offensichtlich werde ich heute nur beleidigt!“, seufzte Kasra theatralisch, kaum dass Karou zu ihnen gelangt war. Karou war ein stattlicher Dämon; fast so hoch wie Kasra, aber mit weitaus weniger Charisma – das besaß Kasra, das musste man leider zugeben. Karous Augen vermittelten einem nie irgendein Gefühl; sein Gesicht war stets eine monotone Maske von... nichts. Aber er besaß sehr ansehnliche Hörner, die schon bei mancherlei Dämon Eifersucht geweckt hatten; besonders beim Fürsten Lycram. Karou selbst war kein Fürst; er war Forscher, Ratgeber und Arzt des Königs.   „Mit wem soll Menuét denn sonst ein Kind gezeugt haben?“ „Ich zweifle Euer Besitztum natürlich nicht an, mein König, ich denke nur, dass Ihr Euch sicherlich absichern wollt, ehe Ihr ankündigt, dass der Dämon, der sich selbst Nocturn nennt...“ „Der Name wird geändert. Er gefällt mir nicht.“ „Natürlich, mein König. Aber vorher benötigen wir eine Absicherung.“ Diesen Moment nutzte Youma, um das Ganze vielleicht doch zu seinen Gunsten zu verlagern: „Ich denke, die kann ich womöglich geben.“ Karous gelborange leuchtende Augen huschten kurz zu ihm, etwas, was Youma irgendwie als Beleidigung auffasste, obwohl er keine Gefühlsregung in seinem Gesicht ablesen konnte. „Es ist mir gelungen, ein Haar von ihm zu isolieren. Das müsste doch für ein Abgleich genügen, nehme ich an?“ Karou wollte gerade nickend nach dem Haar verlangen, als Kasra schon wieder die Führung des Gespräches übernahm und mit einer Gänsehaut spürte Youma, wie der König seinen Arm um seine Schulter legte und ihn an sich drückte. „Also doch nicht ganz und gar gescheitert! Gut gemacht, Youma, gut gemacht! Du machst deinen Fehler dann hoffentlich schnell wieder gut und holst ihn her...“   „Und dann, meine Majestät? Und dann?“ Mit bangen Vorahnungen sah Youma, wie das Grinsen auf Kasras Gesicht langsam verschwand; es verebbte regelrecht, schmolz dahin, so langsam und bedrohlich, dass man dabei zugucken konnte. Die Person, die das Lächeln zum Ersterben gebracht hatte, bemerkte es allerdings nicht. Karou und Youma dafür umso mehr, und für einen kurzen Augenblick trat ein alarmierter Ausdruck auf Karous Gesicht, den er seiner Begleiterin zusandte, die sich bis jetzt ruhig verhalten, sich beinahe hinter Karou versteckt hatte: Nathiel. „Darf ich vielleicht einen Kampf, ein Duell, vorschlagen? Wäre das nicht genau richtig, um seine Fähigkeiten zu veranschaulichen?“ Ihre roten Augen huschten kurz zu Youma, dann wieder zu ihrem König zurück: „Gegen Youma zum Beispiel?“ Gänzlich unbeeindruckt hob Kasra die Augen und blickte nun Karou an: „Kannst du nicht dafür sorgen, dass deine Nutte in deinem Laboratorium bleibt? Ich habe ja nichts dagegen, wenn eine Frau ihre Meinung sagt – ich wünschte, Menuét hätte das öfter getan – aber was soll das, dass eine Nutte mich unterbricht und ihre Meinung mir aufzwingt?“ Kasra senkte seine roten Augen wieder und ergötzte sich daran, was er in Nathiels geweiteten Augen lesen konnte: „Was siehst du mich so geschockt an, Kleines? Wir beide wissen doch ganz genau, dass du keine Kinder mehr in die Welt setzen kannst, also bist du auch keine Frau mehr. Demnach bist du einfach nur eine Nutte, die für ein bisschen Spaß gut ist. Jedenfalls für die mit einem weniger erhabenen Geschmack, nicht… Karou?“ Die letzten Worte hatte er an Karou gerichtet gesagt, doch wie immer musste er enttäuscht und gelangweilt feststellen, dass er sich an Karou die Zähne ausbiss. Er verzog keine Miene.   Als Karou und die völlig am Boden zerstörte Nathiel wieder verschwunden waren, um der Aufgabe des Königs nachzugehen, wollte Youma sich auch gerade entschuldigen – aber Kasra war mit ihm noch nicht fertig. „Ich muss leider eingestehen, dass ihr Vorschlag gar nicht so schlecht ist. Was sagst du dazu, Youma?“ Dass er den Sinn dahinter nicht sah – das hatte er dazu zu sagen, aber leider war er nicht in der Position, das auch zu verlautbaren.   „Wenn Ihr es wünscht, Eure Hoheit.“ Kasra nickte sich selbst zu; er hatte es schon längst beschlossen, ganz gleich, was Youma von dieser Idee hielt. „Es muss allerdings noch ein wenig warten; ich kann Nocturn leider nur abends treffen, wie Ihr ja wisst...“ Der König der Dämonenwelt nickte wieder; jetzt wandte er allerdings einen prüfenden Blick an Youma, der ihm so gar nicht gefiel. „Mit welcher Hand führst du deine Sense?“   „Mit der rechten“, log Youma, denn er wusste, was Kasra vorhatte. Er kannte seine kranke Denkweise mittlerweile bereits, aber das bedeutete leider nicht, dass nicht ein Zucken durch seine Hand ging, als ob sein Körper von selbst fliehen wollte. Das heimtückische Grinsen kehrte auf Kasras Gesicht zurück. „Oh Youma, wie sehr ich deine Anwesenheit hier in meinem Schloss schätze... du amüsierst mich immer noch am besten. Und jetzt hör auf zu lügen und gib mir deine linke Hand – oder ich breche dir beide.“   Es wäre nicht Kasras Stil gewesen, Youmas linke Hand einfach nur am Handgelenk zu brechen. Nein, nachdem er ihn mit Gewalt auf die Knie gezwungen hatte, brach er ihm erst jeden Finger einzeln, ehe er sich sein Handgelenk vornahm. Langsam natürlich. Er musste seinem Sohn beim kommenden Kampf doch einen kleinen Vorteil schenken; nicht, weil Kasra glaubte, er habe es nötig, aber so ein kleines, väterliches Geschenk hielt er einfach für angebracht...   Und während Youma sich bemühte, den Blick standhaft zu halten, Kasra nicht die Genugtuung zu geben, seinen Schmerz in Youmas schwarzen Augen ablesen zu können, weinte Nathiel bitterlich, ihr Gesicht in Karous Oberschenkel vergraben, an welchen sie sich voller Verzweiflung klammerte, ohne sonderlich auf seine große Hand zu achten, die auf ihrem Kopf lag. Sie sah nicht einmal auf, als der Computer unter Karous Führung das verkündete, was sie beide bereits wussten.   Kasra und Nocturn waren in keinster Weise blutsverwandt.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)