Vielleicht für immer von Anyi ================================================================================ Kapitel 2: Altagsstress ----------------------- „Wo bist du, Naruto?“ „Sorry, ich bin gerade erst aus der Uni raus.“ „Wir warten hier schon seit einer halben Stunde…“ „Es tut mir Leid, okay? Ich musste noch etwas Wichtiges mit meinem Prof klären.“ „Kommst du dann jetzt, oder nicht?“ „Ich bin ja unterwegs, gib mir … keine Ahnung … zwanzig Minuten?“ „Vergiss es, ich bestell uns ein Taxi, wir sehen uns zuhause.“ Warum sie jetzt so angepisst auflegt, kann ich nicht sagen. Ist ja nicht so, als hätte ich sie absichtlich dort warten lassen. Na gut, vielleicht habe ich mich auch nicht sonderlich darum bemüht rechtzeitig aus der Uni rauszukommen. Aber was soll ich machen? Jetzt ist es eh zu spät. Heute ist allerdings der Tag, an dem Karin mit unserem Kind nach Hause kommt. Endgültig. Und ich habe nun keine Möglichkeit mehr ihr aus dem Weg zu gehen. Ausnahme sind wohl nur meine Vorlesungen, und das Gespräch mit meinem Professor eben hat mir eindeutig gezeigt, dass ich davon in nächster Zeit keine verpassen sollte. Es gibt nämlich leider Themen, die mir nicht so leicht fallen, auch wenn sie mich echt interessieren. Okay, jetzt ist es jedenfalls wie es ist. Karin ist scheinbar sauer, weil ich sie nicht pünktlich abgeholt habe und ich bin verschwitzt, weil ich mich trotz allem abgehetzt habe, um noch die nächste Bahn zu erwischen, die mich direkt zum Krankenhaus bringen sollte. Ganz toll. Jetzt fahre ich auch noch unnötigerweise in die falsche Richtung. Den ganzen Stress hätte ich mir echt sparen können. Außerdem weiß ich bereits jetzt schon, dass es ebenso anstrengend zuhause weitergehen wird. „Kannst du mir mal sagen was das sollte? Ich stehe da wie blöde in der Gegend rum und du hältst es nicht mal für nötig, mich anzurufen, um mir zu sagen, dass du dich verspätest!“ „Ich hab doch bereits gesagt, dass es mir Leid tut. Es war keine Absicht, okay. Mir war dieses Gespräch nur echt wichtig und mit der Bahn bin ich nun mal nicht fünf Minuten später beim Krankenhaus, das weißt du genauso gut wie ich.“ „Dann mach verdammt nochmal endlich deinen Führerschein.“ „Natürlich, ich scheiße ja auch neuerdings das Geld.“ „Wir haben bereits vor drei Monaten darüber gesprochen, und du hast verspochen, dass du dich darum kümmerst.“ „Ja, mach ich auch, aber es geht halt nicht alles sofort, so wie du dir das vorstellst. Mein Studium frisst schon genug Zeit und Geld und der Nebenjob wirft lange nicht genug ab um jetzt auch noch ne Fahrschule zu bezahlen.“ „Dann kauf dir halt einfach weniger … Na toll, deinetwegen ist sie jetzt wieder wach!“ „Meinetwegen? Du schreist mich doch die ganze Zeit an.“ „Ach vergiss es.“ Sichtlich wütend beendet sie das Gespräch und verschwindet im Schlafzimmer, wo sie sich schließlich ausführlich darum kümmert, dass unser Kind nicht mehr schreit. Und mittlerweile habe ich feststellen dürfen, dass es schreien kann. Und wie es schreien kann. Heftig. Um ehrlich zu sein bin ich richtig froh, dass sie mich nicht dazu verdonnert hat es zu beruhigen. Ich hätte keine Ahnung gehabt, wie ich das anstellen sollte. Bei ihr sieht es so einfach aus und doch kann ich mich nicht dazu durchringen ihr behilflich zu sein. Ganz im Gegenteil. Ich schließe für sie die Schlafzimmertür, dass sie ihre Ruhe haben und verkrieche mich in meinem Arbeitszimmer, das eigentlich schon gar kein Arbeitszimmer mehr ist. Bis auf meinen Schreibtisch, PC und ein paar Unterlagen, ist bereits alles durch eine kindgerechte Einrichtung ersetzt wurden. Der Rest wandert irgendwann auch ins Schlafzimmer oder Wohnzimmer, wenn Karin der Meinung ist, dass das Kind jetzt alleine in seinem Zimmer schlafen kann. Solange muss ich damit leben, dass ich zwischen Kuscheltieren, Wickelkommode und Windeln lernen muss. „Naruto“, durchbricht Karin die Stille, in der ich mich befinde, ehe sie leise die Tür hinter sich schließt. Das Babyphone stellt sie auf meinem Schreibtisch ab und ich sehe fragend von meinen Aufzeichnungen auf. Sie scheint etwas nervös zu sein. Komisch, woher kommt jetzt dieser plötzliche Stimmungswandel? „Ich hab etwas überreagiert, oder?“, seufzt sie und dreht mich in meinem Stuhl zu sich. Keine Sekunde später sitzt sie auf meinem Schoß und ihre Nähe bringt meine Muskeln unwillkürlich dazu, dass sie sich anspannen. Es ist komisch, sie wieder so aktiv zu erleben. Seltsam, einfach seltsam und vollkommen überfordernd. Mein Gehirn fiebert. Was mach ich denn jetzt? „Etwas vielleicht“, entgegne ich und schlucke, als sie ihren Kopf senkt. Ihre Lippen sind kaum noch von meinen entfernt. Ich spüre ihren warmen Atem und das übernatürliche, wilde Schlagen meines Herzens, das mir sagt, ich solle doch endlich etwas tun. Nur was? Ich kann es nicht verhindern. Wie auch? Ihre Lippen erreichen mich, küssen mich – mit einer Zärtlichkeit, die um Verzeihung bittet. „Tut mir leid“, haucht sie. „Vergessen wir das?“ Mein Nicken fällt knapp aus. „Ich … ich hab noch was zu tun“, erkläre ich ausweichend und deute auf die Zettel, die unsortiert auf meinem Tisch herumliegen. Die Schrift darauf ist krakelig und kaum richtig zu entziffern. Hastig aufgeschriebene Notizen – Das Resultat eines langen Tages. Sie folgt meinem Blick und nach einem einsichtigen Seufzen steht sie schließlich wieder auf. „Okay ähm …“, beginnt sie und da ist sie plötzlich wieder. Die Nervosität, die für einen Moment verschwunden war. Ich runzle die Stirn. „Kann ich … euch dann kurz allein lassen? Ich würde gern noch schnell etwas einkaufen gehen und die Kleine schläft grade“, sagt sie und vermutlich muss ich ziemlich geschockt aussehen, denn sie fügt eilig hinterher: „Es dauert auch nicht lange, versprochen!“ „O-okay“, stimme ich zu. Es klingt seltsam. Irgendwie heiser und belegt zugleich und wirklich wohl fühle ich mich mit der Tatsache, jetzt auf mich allein gestellt zu sein, auch nicht. Ganz und gar nicht. Was mach ich denn, wenn wirklich etwas passiert? „Gut“, sagt sie und ich bin noch immer von meinen panischen Gedanken abgelenkt, dass ich den nächsten, sanften Kuss kaum wahrnehme, bevor sie verschwindet und hinter sich die Tür wieder leise schließt. Verdammte Scheiße, warum hab ich zugestimmt? *** Seit Karin aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ist jetzt genau eine Woche vergangen. Eine Woche erst. Und es waren die anstrengendsten Tage meines bisherigen Lebens, wirklich! Studium, Job, Karin und Kind unter einen Hut zu bekommen ist ehrlich gesagt echt nur anstrengend. Die letzten Tage habe ich kaum richtig geschlafen. Wenn man mal von den wenigen Minuten in der Uni absieht, habe ich nämlich eigentlich gar nicht geschlafen. Im Job läuft es auch richtig beschissen momentan, weil mich alle nur noch nerven und Zuhause erwartet mich jeden Abend ein neues Horrorszenario. Vorgestern wurde ich von Karin angezickt, weil ich so ein bescheuertes Ding vergessen habe, das ich aus der Apotheke holen sollte. Weiß der Geier, wozu sie das braucht. Und gestern, gestern war der absolute Hammer. Ich kam total müde nach Hause, auf der Arbeit war die Hölle los und eigentlich wollte ich mich nur noch ein wenig auf die Couch legen und mich entspannen, aber Karins beste Freundin hat mir mit ihrem Spontanbesuch einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich werde nie vergessen, wie sie gekreischt hat, als sie plötzlich Babyspucke auf ihrem dummen Designerpulli hatte. Meine Ohren klingeln jetzt noch … Ich will gar nicht wissen, was mich heute erwartet. Früher habe ich Freitage geliebt. Natürlich weil sie im Normalfall das Wochenende einläuten, doch irgendwie glaube ich nicht, dass ich jetzt noch ein normales Wochenende haben werde. Zocken, chillen, ausgehen … kommt wohl erstmal nicht mehr in Frage. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch betrete ich unsere Wohnung und es ist verdächtig ruhig. Zu ruhig. Nur ganz leise kommen gedämpfte Laute aus dem Badezimmer und ich bin echt gewillt mich wieder leise aus der Wohnung zu schleichen. Doch leider klappt das nicht mehr, denn Karin scheint irgendwie einen sechsten Sinn zu besitzen. Sie streckt ihren Kopf aus der Tür und sieht mich freudig überrascht an. Will ich wirklich wissen, warum sie mich so ansieht? „Naruto, schön dass du schon da bist. Komm doch mal eben her und hilf mir“, sagt sie und damit beantwortet sich auch schlagartig meine Frage. Nein! Nein, ich will nicht wissen, warum sie mich so angesehen hat, doch scheinbar habe ich da kein Mitspracherecht. Als ich ins Bad trete, bekomme ich augenblicklich Magenschmerzen. „Siehst du, wie begeistert sie ist? Sie ist eine richtige Wasserratte, wie du“, lacht Karin, während sie unser Kind in dieser kleinen blauen Wanne badet, die wir von meinen Eltern bekommen haben. In der habe ich angeblich schon meine ersten Schwimmversuche gemacht. Ich weiß nur nicht, was genau daran jetzt so sehenswert und niedlich ist. Ich finde es eher … unpraktisch, weil alles nass geworden ist. Der Boden schwimmt regelrecht und ich hoffe wirklich, dass Karin diese Sauerei allein wieder wegwischen wird. „Kannst du sie eben mal halten, Naruto?“, sagt sie und lenkt meine Aufmerksamkeit somit weg vom Boden und direkt auf sich. Ich soll was? Wieso? Wie … „Was?“, kommt es etwas perplex von mir zurück. „Du sollst sie nur mal halten. Schau, so wie ich“, erklärt sie ruhig und viel zu einfühlsam. „Oh…“, entweicht es überfordert meinen Lippen und ich spüre, wie verkrampft ich eigentlich bin, als ich mich zögerlich neben Karin hocke und sie versuche abzulösen. Es ist tatsächlich das erste Mal, dass ich meinem Kind so und auf diese Weise nahe bin. Es ist … es … Ich weiß nicht was genau ich denken soll. Ich weiß nicht einmal was ich fühlen soll. Mein Kopf ist so leer. Ihre Haut ist ganz warm und weich und sie bewegt sich über meiner Hand. Und das einzige, was ich will ist, dass Karin mich erlöst. „Gut so“, sagt sie. Irre ich mich, oder hat sie mich grade dafür gelobt? „Ich hole schnell ein Handtuch“, meint Karin und kurz darauf lässt sie mich allein. „Karin?“, rufe ich ihr reflexartig hinterher, doch es bringt nichts. Sie dreht sich nicht nochmal um. Verdammt. Hätte sie mir gesagt, dass es nur um ein blödes Handtuch geht, hätte ich ihr doch eins geholt. Das wäre echt kein Ding gewesen. Und warum braucht sie dafür jetzt so lange? Scheiße, so unnütz und maßlos überfordert habe ich mich schon eine Ewigkeit nicht mehr gefühlt. Wenn ich es mir recht überlege, dann wird mir jetzt erst klar, dass ich sie hier zum ersten Mal richtig bewusst wahrnehme und ansehe. Sie ist noch so klein. Winzig und zart. Wie kann sowas nicht zerbrechlich sein? „So.“ Als Karin endlich wieder auftaucht, kann ich nicht verhindern, dass ich erleichtert ausatme und gleich im nächsten Moment hart schlucken muss. „Heb sie mal hoch“, fordert sie und faltet ungeachtet meiner aufgerissenen Augen das kuschelig gelbe Handtuch aus. „Ich soll … was?“, erwidere ich entsetzt. Das wird ja immer besser. „Du sollst sie nur hochheben, so schwer ist das nicht“, meint sie nun etwas forscher und ich seufze ergeben auf. Da gibt es wohl keine andere Wahl für mich. Früher oder später hätte ich es wahrscheinlich ohnehin mal tun müssen. Ewig rausreden geht scheinbar nicht. Leider. „So ist gut, gib sie mir.“ Karin kommt mir entgegen, hüllt den kleinen, kindlichen Körper in das warme Handtuch ein und lächelt zufrieden. Mir jedoch fällt ein riesen Stein von meinem Herzen. Als wir dann später im Bett liegen, ist es so friedlich still, dass ich kurz davor bin einzuschlafen. Meine Augen fallen beinahe automatisch zu. Kraftlos und erschöpft nehme ich es sogar hin, dass sich Karin an mich schmiegt, mir Wärme spendet und mir Worte ins Ohr flüstert, die meinen Herzschlag kurzzeitig zum Stolpern bringen. Ich erwidere nichts… *** „Naruto? Wir müssen reden!“ Das ist das erste, was ich höre, als ich nach einem ebenso langen wie ätzenden Tag nach Hause komme. Schon irgendwie seltsam, wenn man sich trotz Stress auf den nächsten Tag freut, nur weil man dann nicht hier sein muss. Immerhin bleibt mir auf diese Weise erspart, dass ich mehr Zeit als unbedingt notwendig mit meiner Freundin verbringe. Und der Tonfall, der mich jetzt begrüßt, zeigt mir eindeutig, dass es genauso am besten ist. „Was ist denn?“, frage ich klanglos, weil mir eigentlich überhaupt nicht nach reden zumute ist. Ich will schlafen. Einfach nur schlafen. „Wir haben ein Problem“, sagt sie und mir stockt der Atem. Von was für einem Problem spricht sie? Weiß sie etwas? Ich dachte, ich hätte alles soweit im Griff und … „Es wird immer mehr und ich musste mein Konto heute sogar überziehen“, wirft sie mir an den Kopf, und erst jetzt dämmert es. Die Erleichterung, die ich kurzzeitig verspüre, ist jedoch schnell wieder verflogen. Karin reicht mir gleich mehrere Briefe. „Noch mehr Rechnungen?“ „Wohl eher Mahnungen“, korrigiert sie mich zischend. Es wirkt fast so, als würde sie mir die Schuld geben. Dabei tu ich doch schon alles, was in meiner Macht steht. Mehr kann ich einfach nicht mehr machen. „Ich … können wir nicht morgen darüber reden? Ich bin echt fertig…“, erwidere ich und lege die Briefe zur Seite. Meine Augen brennen und die Kopfschmerzen, die ich seit heut Morgen habe, finden langsam aber sicher ihren unerträglichen Höhepunkt. „Morgen? Wenn noch mehr Mahnungen kommen? Nein, Naruto … darüber reden wir jetzt!“ „Okay, ich such mir morgen noch nen zweiten Job, versprochen“, sage ich, obwohl ich mir mehr als bewusst bin, dass ich meine Grenzen – sowohl zeitlich als auch körperlich – bereits erreicht habe. Aber wenn es nicht anders geht … „Nein Naruto“, meint Karin und sie klingt erschreckend ernst. „Wie nein? Wie stellst du es dir denn sonst vor? Willst du warten bis du im Lotto gewonnen hast?“ „Natürlich nicht. Aber ich könnte wieder arbeiten“, sagt sie und ich schnappe unwillkürlich nach Luft. Wie bitte? Das hat sie grade nicht wirklich gesagt, oder? „Ich verdiene mehr als du und ich habe Aufträge zurückgestellt, die ich problemlos sofort wieder aufgreifen kann und …“ „Und wer kümmert sich dann um Hikari? Nimmst du sie etwa mit ins Büro oder was?“ „Nein, also … Das ist der Punkt, über den wir reden müssen.“ Sie seufzt anschließend und irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl. Das was gleich folgt, wird mir nicht gefallen. Ganz bestimmt nicht. „Werde jetzt bitte nicht sauer, aber ich hab mir gedacht, du könntest vielleicht zuhause bleiben…“ „Dachtest du, ja?“ „Schon, also …“ „Nein… ich kann nicht. Schon allein wegen meinen Vorlesungen nicht.“ „Nun ja, also … darüber habe ich mich ebenfalls informiert“, erklärt sie zurückhaltend und ich schaue sie an. Fassungslos. „Wie, informiert?“, hake ich nach. Innerlich bin ich total aufgewühlt. „Naja, es gibt die Möglichkeit, dass du … naja, pausierst. Du könntest trotzdem lernen und deine Prüfungen schreiben und …“ „Ich weiß nicht, Karin. Das ist … es kommt jetzt schon sehr plötzlich und ich weiß nicht, ob ich das kann, echt nicht.“ Mir ist plötzlich ganz schlecht. Allein von der Vorstellung, jeden Tag allein zu Hause zu bleiben, mit dem Kind, während Karin unsere Brötchen verdient, wird mir ganz schwindlig. So, verdammte Scheiße, sollte es niemals laufen. NIE. „Lass mich drüber nachdenken“, gebe ich nach, ehe ich auch nur die Chance habe zu realisieren, was hier gerade passiert. Ich bin nicht einmal mehr dieses beschissene Blatt, das am Baum festhängt. Ich bin gar nichts mehr. *** Es ist zu viel. Einfach zu viel. Ich weiß nicht mehr was ich tun soll. Die ganze Zeit schreit sie. Die ganze Zeit. Es ist laut und … nervig. Eindeutig zu viel für mich und meine angegriffenen Nerven. Warum habe ich mich darauf eingelassen? Dass es so kompliziert ist, hat mir vorher nie einer gesagt. Ich will nicht, dass sie schreit. Sie soll verdammt nochmal endlich aufhören und schlafen. Laut Karins Plan ist jetzt Zeit zum Schlafen, aber sie schläft nicht. „Mum? Mum, ich weiß nicht mehr was ich tun soll. Sie hört einfach nicht mehr auf.“ „Ganz ruhig, Naruto“, versucht mich meine Mutter durchs Telefon zu beruhigen. „Aber sie schreit und heult, schon die ganze Zeit. Dabei soll sie doch jetzt schlafen. Und wenn sie nicht schläft kann ich nicht… dann… Mum, warum schläft sie denn jetzt nicht?“ „Hatte sie ihre Milch? Hast du die Windeln gewechselt?“ „Ja, Mann. Das hab ich alles und jetzt steht schlafen auf dem Zettel. Sie sollte bereits seit halb eins schlafen und es ist schon eine halbe Stunde zu spät. Was mach ich denn, wenn sie nicht schläft? Sie muss doch schlafen, damit ich … wann soll ich denn lernen, wenn sie nicht aufhört zu schreien?“ „Beruhig dich, Naruto. Wir kriegen das hin, okay? Ich hab noch Mittagspause und komme eben kurz vorbei. Das ist alles halb so schlimm, vertrau mir“, spricht meine Mutter sanft auf mich ein, bevor sie unsere Verbindung trennt. Ich bin kurz davor zu kapitulieren. So habe ich mir das Ganze niemals vorgestellt. Ich wollte derjenige sein, der tagsüber Geld verdient und nicht derjenige, der sich mit dreckigen Windeln herumschlägt. Das erste Mal alleine Windeln wechseln war übrigens ein Desaster. Und die Aussicht, dass ich es wohl noch eine ganze Weile weiter tun muss, ist nicht gerade sehr beruhigend. Als es wenig später an der Wohnungstür klingelt, springe ich schon beinahe panisch von meinem Bett auf. Hikari schreit und heult noch immer, endlos und ohrenbetäubend. „Ach Gott“, kommt es mitleidig über die Lippen meiner Mutter, nachdem ich ihr die Tür geöffnet habe und das erste was ich kurz darauf spüre, ist eine feste Umarmung ihrerseits. Warum? Sehe ich etwa so mitgenommen aus? Naja, wenn ich so aussehe, wie ich mich fühle, dann vermutlich ja. „Ich mach das schon“, versichert sie mir, nachdem sie mich losgelassen hat und verschwindet im angrenzenden Schlafzimmer. Was genau sie da jetzt tut, weiß ich nicht, da ich mich ins Wohnzimmer verzogen habe. Völlig fertig und mit einem schmerzhaften Stechen in der Brust, lasse ich mich auf die Couch fallen. Es ist so anstrengend. Am liebsten würde ich abhauen. Irgendwo draußen sein, allein sein. Doch ich bin hier – muss hier sein. Wie viel Zeit genau vergeht, kann ich nicht sagen, da ich die Augen schließe und mich meinem inneren Monolog hingebe, dass alles nicht so schlimm ist, dass alles irgendwann besser wird, bis meine Mutter wieder auftaucht. Ein Lächeln ziert ihre Lippen, als sie mir sagt, dass sie jetzt schläft. „Vermutlich hatte sie nur Blähungen“, erklärt sie schmunzelnd und mir entgleisen sämtliche Gesichtszüge. „Blähungen?“, wiederhole ich fassungslos. Sie will mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass man wegen Blähungen so einen riesen Aufstand machen kann, oder? „Ja, kann schon mal vorkommen. Hattest du als Baby auch häufiger“, sagt sie jedoch und verschlägt mir damit echt die Sprache. Häufiger? Meint sie damit jetzt, dass das keine einmalige Sache war? Um Gottes Willen … „Ich muss dann jetzt auch wieder los. Naruto? Alles klar bei dir?“, fragt sie noch, als sie bereits an der Tür steht. Ich nicke verhalten. „Klar doch …“, antworte ich und weiß bereits, dass ich nicht sonderlich überzeugt klinge. „Ich weiß, dass es nicht einfach ist. Besonders am Anfang ist es immer schwer, aber wir sind für dich da, okay? Ruf an, wenn du Hilfe brauchst.“ Auf ihre einfühlsamen Worte folgt ein Kuss, den sie mir auf die Stirn haucht, ehe sie mich wieder allein lässt. Allein mit einem Kind, das scheinbar nur Blähungen hatte. Immerhin hat meine Mutter dafür gesorgt, dass es in der Wohnung jetzt so leise ist, dass man problemlos eine Stecknadel fallen hören könnte. Hikari schläft allem Anschein nach, was gut ist, weil ich jetzt eigentlich endlich anfangen könnte zu lernen. Ohne Vorlesungen ist es nämlich verdammt schwer, sich alles selbst anzueignen und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen, aber ich will es. Irgendwie muss das gehen, nur warum tragen mich meine Füße dann jetzt nicht ins Kinderzimmer, wo meine Unterlagen warten, sondern direkt ins Schlafzimmer? Ich höre sie atmen – ganz leise und gleichmäßig. Und mein Blick ruht auf ihrem Gesicht. Sie sieht so friedlich aus. So wie sie daliegt, wirkt sie verletzlich und unschuldig und weckt in mir eine Angst, die ich nicht auszusprechen wage. Was, wenn ich ihr immer die Schuld geben werde, für das, was mir genommen wurde? Was, wenn ich es nie schaffe, sie richtig zu lieben? Gedanken, die mir bei ihrem Anblick unaufhaltsam Tränen entlocken, die brennend über meine Wangen laufen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)