Zwischen den Welten von Shizana (Das Mary Sue-Projekt) ================================================================================ Kapitel 15: Überraschungsparty ------------------------------ Tja, und das ist es nun. Das Event ist vorbei, ebenso der Wettbewerb und ausgerechnet ich wurde zum Tagessieger erklärt. Dabei ist das total ungerechtfertigt, das finde ich immer noch. Wie kann man nur mit lieblos gebackenem Fertigkuchen gewinnen? IsyBake muss wirklich beliebt bei den Leuten sein, anders kann ich es mir nicht erklären. Wie wäre der Wettbewerb wohl ausgegangen, wenn jeder die Backmischungen verwendet hätte? Vor der Küche werfe ich einen verstohlenen Blick auf die Reste unserer Bemühungen. Es ist weniger Kuchen übriggeblieben, als ich gedacht hätte. Die Tortenstückchen von Ikki und Kento sehen wirklich verlockend aus. Aber ich frage mich, wie wohl die Kreationen von Shin und Toma schmecken. Kentos Auswertung hat gezeigt, dass die Kunden von ihren Qualitäten überzeugt waren. Dabei sehen die schokobraunen Stückchen so schlicht aus, kaum verziert. Mich überkommt ein Schmunzeln, als ich mir auszumalen versuche, wie die Jungs zum Backen in der Küche gestanden haben müssen. Ob Toma und Shin viel diskutiert haben? Wie viel Rechnerei hat Kento wohl betrieben und welche Figur hat Ikki dabei gemacht? Ich wünschte, es gäbe ein Anime-Special dazu, dann wüsste ich es und könnte mich darüber amüsieren. „Shizana? Was machst du denn da?“ Hach ja, schön wär’s. „Sorry, ich war in Gedanken“, erkläre ich und drehe mich zu Sawa herum. „Wolltest du etwas Bestimmtes von mir?“ „Das fragst du noch?“, entgegnet sie mir vorwurfsvoll. Neugierig scheint sie dennoch zu sein, als sie neben mich tritt und ihren Blick ebenfalls durch die Küche schweifen lässt. Nur kurz, da sich nichts Interessantes darin finden lässt. „Hanna ist soeben mit Shin weg. Wir wissen nicht, wie lange sie ihn ablenken kann. Besser, wir beeilen uns.“ „Womit denn?“ „Hallo? Bist du unausgeschlafen oder so?“, scheltet sie mich. Ihre Hand greift nach meinem Handgelenk, an welchem sie mich bestimmt mit sich zieht. „Wir haben doch alles besprochen. Komm schon! Wenn Shin früher wieder da ist, als wir mit allem fertig sind, war’s das mit der Überraschungsparty.“ Ach ja, richtig. Die Party. Zu Shins Geburtstag. Da war ja was. Anstandslos lasse ich mich von Sawa voranführen. Im Café hat sich bereits einiges getan. Kisten stehen auf den Tischen. Eine Leiter lehnt gegen die Theke, die im Moment mehr an eine Naschbar erinnert. Toma bespricht irgendetwas mit Waka, Ikki und Kento sind über irgendwelche Listen gebeugt und Mine findet Beschäftigung am Inhalt eines Kartons. „Okay, sind wir vollzählig?“, fragt Sawa in die Runde, wobei sie meine Hand loslässt. Etwas bedröppelt stehe ich neben ihr und versuche einen ersten Eindruck von dem zu gewinnen, was mich als Nächstes erwartet. „Ich denke, damit haben wir alles“, verkündet Ikki von der Theke aus. Indem er sich aufrichtet, schweift sein Blick durch den Raum und wägt die nächsten Schritte ab. „Ich schlage vor, zwei Tische kommen in die Mitte. Voreinander gestellt. Darauf platzieren wir Kuchen, Geschenke und ein wenig Dekoratives. Nascherei und Getränke bleiben auf der Theke, wie besprochen. Mit der Raumschmückung bleiben wir sparsam aufgrund der Zeit. Shin wird sich bestimmt nicht lange aufhalten lassen.“ „Ich hoffe, sie schafft das allein“, zeigt Toma deutlich seine Zweifel. Seine Hand fährt nachdenklich in den Nacken, was die Sorge in seinen Worten unterstreicht. „Vielleicht hätte ich mitgehen sollen. Zu zweit hätte es mehr wie immer gewirkt.“ „Aber wir brauchen dich hier“, erinnert ihn Sawa. Ihrerseits sorgenvoll stemmt sie die Hände in die Hüften. „Wir brauchen alle Hände, die uns zur Verfügung stehen, um alles in so kurzer Zeit zu schaffen. Und wegen Hanna-chan brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Sie hat mir erzählt, was sie vorhat. Ich bin sicher, sie packt das. Solange Shin mitspielt, bleiben uns für alles dreißig Minuten.“  „Hoffen wir’s. Shin kann man nicht so leicht täuschen.“ Er stößt ein schweres Seufzen aus. Mich durchfährt ein Ruck. Obwohl ich nicht gemeint bin, treffen mich Tomas Worte auf voller Breitseite. „Also schön, verschwenden wir keine weitere Zeit. Wie steht es um die Aufgabenverteilung?“   Die Rollen sind schnell verteilt. Mine bläst mechanisch Luftballons auf, Toma knotet sie und Kento bringt sie auf Geheiß an. Waka und ich verteilen Luftschlangen und sonstige Deko, die er von früheren Events aufgehoben hat. So sagt er jedenfalls. Ikki steht wohl in der Küche und richtet den übrigen Kuchen her, während Sawa restliche Naschereien auf verschiedene Glasschüsseln verteilt. Wo Ukyo ist, weiß ich nicht genau. Ich vermute ihn hinten bei Ikki. Zumindest anfangs, bis er im Cafébereich zwischen den einzelnen Gruppen aushilft, wo gerade eine Hand benötigt wird. Wie lange wir für alles gebraucht haben, weiß ich am Ende nicht genau zu sagen. Aber wir sind mit dem Gröbsten fertig, bevor Hanna und Shin ins Café zurückgekehrt sind. Die letzten Diskussionen kreisen ums Detail, wie der Geschenketisch hergerichtet werden soll. Über den bunten Servietten liegen vereinzelt Luftschlangen verteilt, verschiedenes Kleinnaschzeug dazwischen. Das Zentrum bildet die große Kuchenplatte, die unsere verschiedenen Backkreationen ansehnlich präsentiert. Drumherum sind größere und kleinere Päckchen ausgelegt, schön verpackt in verschiedenfarbigem Geschenkpapier. Ich bin wohl die Einzige, die ihr Geschenk nicht an Waka übergeben hat. Alle anderen muss er irgendwo sicher verwahrt haben bis zum entscheidenden Tag. Auch jetzt zögere ich, den kleinen Plüschanhänger hinzuzulegen. So winzig wie er ist, zudem unverpackt, erscheint er mir zwischen all den hübschen Präsenten fehl am Platz. „Ich bin kurz hinten“, verkünde ich in Sawas Richtung. Ob sie es mitbekommt, weiß ich nicht, da sie mitten in der Planung steckt. Zu der Beredung, ob nicht hier und da noch etwas verändert werden sollte, kann ich nichts beisteuern. Es interessiert mich auch wenig, da ich nicht denke, dass Shin weiteren Aufwand zu schätzen wissen wird. Wozu also die Mühe? Leider werde ich es nicht mehr schaffen, noch eine zu rauchen, bevor Hanna und Shin zurück sind. Zumindest befürchte ich das. Mir verlangt es wirklich nach einer Feierabendzigarette, aber ich möchte nicht verpassen, wie Shin auf die Überraschungsparty reagieren wird. Blöde Zwickmühle. Im Spind krame ich dennoch nach meiner Tasche, um mir Schachtel und Feuerzeug schon einmal zurechtzulegen. Für später. Aus Gewohnheit hole ich auch mein Handy hervor, um neue Aktivitäten seit meiner Abwesenheit zu überprüfen. Ich bin erstaunt, als ich tatsächlich zwei ungelesene Nachrichten entdecke. Sehr ungewöhnlich. Wer könnte mir schreiben? Es waren doch alle heute mit mir auf Arbeit gewesen. Bei den neuen Mitteilungen stoße ich auf eine Nachricht von einer mir unbekannten Nummer. Sie ist unter keinem Namen gespeichert. Ihr Inhalt: »Dein Kuchen war der beste.« Zweifelnd starre ich auf die Zeichen. Also langsam wird mir das wirklich zu bunt. Versucht da jemand Verstecken mit mir zu spielen? Findet derjenige das witzig? Tja, sorry, aber dafür bin ich leider der falsche Typ. Empfangen wurde die Mitteilung laut Anzeige um 17:22 Uhr. Das dürfte die Zeit zwischen Aufräumarbeiten und Wettbewerbsauswertung gewesen sein. Super, damit hätte quasi jeder die Möglichkeit, sie schnell zu versenden. Ist das Absicht? Dennoch, einen entscheidenden Fehler hat derjenige gemacht: die Nummer ist unbekannt, aber nicht unterdrückt. Ist es mangelnde Vorsicht oder fordert mich derjenige heraus? Hält er mich für bescheuert? Postwendend tippe ich meine Antwort: »Wer schreibt da?« Und weg damit. Mir egal, ob derjenige noch einmal darauf antwortet. Sollte es ihn einschüchtern, soll es mir nur recht sein. Was für ein Kindergarten. Genervt schließe ich die Konversation und kehre zur Mitteilungsübersicht zurück. Der Verlauf mit »Picas« zeigt mir eine neue Nachricht. Ich sollte den Namen wirklich mal umändern. »Hallo, meine Schöne. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an dich denke. Mich sehnt es nach deinen Anblick. Vielleicht kann ich dich morgen wiedersehen?« Ich seufze leise. Ach, Luka … Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, sagte ich zu ihm, dass ich mich bei ihm melden werde. Das ist jetzt wie lange her? Erst drei Tage, oder irre ich mich? Empfindet er das als so lang? Bei einer Woche würde ich es ja verstehen … Ich hatte nicht einmal Zeit, an ihn zu denken bei all dem Chaos der letzten Tage. Kurzerhand wähle ich die Rückrufoption. Ich lasse es ein paarmal tuten, bis ich höre, dass auf der anderen Seite angenommen wird. „Ja, bitte? Hier spricht Luka.“ „Hey, ich bin’s.“ „Oh, du?“ Ich frage mich, wieso er so überrascht ist. „Wie kommt es … Ich meine, ist das wirklich?“ „Soll ich vielleicht wieder auflegen?“ „Nein, ich freue mich!“, erklärt er eilig. „Ich bin nur so überrascht. Bitte leg nicht auf.“ Nachdenklich lege ich den Kopf schief. Luka verhält sich geradeso, als hätte ich ihn noch nie zuvor angerufen. Ob das wohl stimmt? „Hm, na wenn du meinst. Hör mal, ich rufe eigentlich wegen deiner SMS an“, lenke ich das Gespräch auf den Grund meines Anrufs. „Meiner Nachricht? Oh, du hast sie gelesen? Und, was sagst du?“ „Naja … also Zeit dürfte ich haben, denke ich. Bisher zumindest. Aber ich frage mich, wieso du nicht gewartet hast, bis ich mich bei dir melde?“ Schweigen auf der anderen Seite. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich melden werde, sobald ich etwas Ruhe habe. Die letzten Tage waren recht stressig gewesen, weißt du? Jetzt stehe ich schon ziemlich blöd da, weil ich mein Versprechen dir gegenüber nicht einlösen konnte.“ „Da war ich wohl ein wenig voreilig. Das tut mir leid“, spricht er leise. Ich vermute ehrliche Reue in seiner ruhigen Tonlage. „Ich gebe dir eine neue Gelegenheit auf ein Versprechen an mich, in Ordnung? Und dieses Mal verspreche ich, dass ich es dich einlösen lasse, wann immer es dir beliebt.“ Also irgendwie … ist das ein echt seltsamer Kompromiss. Aber er meint es wohl ernst. „Passt schon. Ich bin dir jetzt auch nicht unbedingt böse, dass du dich zuerst gemeldet hast. Es war nur nicht nach Plan“, erkläre ich. „Da bin ich erleichtert.“ Sein leises Seufzen sendet einen kleinen Schauer meinen Nacken hinab. „Also sehe ich dich morgen?“ „Mhm, okay. Wann und wo?“ „Tja, um ehrlich zu sein, weiß ich das selbst noch nicht genau. Ich habe erst noch etwas zu erledigen. Musst du morgen arbeiten?“ „Mh, nein. Theoretisch habe ich morgen frei.“ Das sagt zumindest mein Schichtplan, wenn ich mich nicht irre. „Aber ich wäre dir dankbar, wenn wir’s nicht allzu früh machen könnten. Ich weiß nicht, wie lange das heute noch geht.“ „Bist du unterwegs?“ „Nein, aber wir halten noch eine nachträgliche Geburtstagsfeier für Shin ab.“ „Ah, richtig. Rika hatte das erwähnt.“ Klar, wieso sollte er’s auch nicht von ihr wissen? „Ich verstehe. In diesem Fall schlage ich vor, dass ich mich noch einmal bei dir melde, sobald ich Genaueres weiß.“ „Solange du mir genug Zeit einräumst, dass ich mich in Ruhe fertig machen kann?“ „Haha, in Ordnung. Dann freue ich mich auf morgen. Sehr.“ „Mhm, ich mich auch. Also dann, bis morgen.“ „Bis morgen. Viel Spaß bei der Party.“ „Danke. Bis dann.“ „Bis dann.“ Ich beende das Gespräch. Wiederholt lege ich den Kopf schief. Der Bildschirm meines Handys ist schwarz, dennoch ruht mein Blick darauf. Ich suche nach Antworten. Ich habe Luka soeben zu einem zweiten Date zugesagt. Wieso? Und warum habe ich ihn extra dafür anrufen müssen? Eine SMS hätte es auch getan. Das ist doch dumm! Wieso habe ich dann trotzdem solch nervöses Herzklopfen, wenn ich daran denke? Frustriert stecke ich mein Handy weg. Ich will nicht wahrhaben, dass ich es als angenehm empfunden habe, mit ihm zu telefonieren. Es hat gut getan, seine Stimme zu hören. Aber es ist Luka, verdammt nochmal! Ich sollte nicht so denken. Nicht bei allem, was ich weiß. Das ist doch ein Witz und so dumm noch dazu! „Ah, hier bist du.“ Mir bleibt das Herz stehen. Wah, nicht doch! Nicht jetzt! Ich zwinge mich zu einem überspielenden Lächeln, als ich mich zu Ikki herumdrehe. „Ich wollte nur schnell etwas holen. Sind die beiden etwa schon da?“ „Noch nicht, aber sie werden sicher bald hier sein“, antwortet er mit seinem typisch-charmanten Lächeln. Argh, wieso? „Dann beeile ich mich besser“, sage ich, um mein Unbehagen zu vertuschen. Schnell stopfe ich mir Schachtel und Feuerzeug in die Hosentasche. Alles andere räume ich in meinen Spind zurück. Ich bemühe mich zu ruhigen Bewegungen, dabei habe ich es extrem eilig, hier wegzukommen. „Ich bin gespannt, wie er reagieren wird.“ „Shin?“ Ich werfe nur einen kurzen, prüfenden Blick zu ihm hin. „Ja, ich auch.“ „Er wird bestimmt überschwänglich begeistert sein“, scherzt Ikki. Sein leises Kichern verleiht meinem Herz Flügel. „Vielleicht sollten wir Ukyo-san bitten, heimlich Fotos zu machen. Ich bin mir sicher, das wäre eine sehr wertvolle Erinnerung.“ „Willst du es ihm dann immer vor die Nase halten?“ Ich gebe zu, der Gedanke lässt mich schmunzeln. „Ich glaube, das fände er nicht so lustig.“ „Vermutlich nicht, aber für uns anderen wäre es das.“ „Wohl wahr“, gestatte ich mir ein Kichern. „Und? Hattest du heute Spaß?“ Irritiert sehe ich auf. Seine Frage bringt mich ganz aus dem Konzept. „Inwiefern?“ „War es das, was du dir vorgestellt hast?“ Was meint er genau? „Naja, das Event war nicht ganz nach meinen Vorstellungen. Trotzdem lustig. Es hat Spaß gemacht.“ „Das freut mich.“ Ich verfluche sein Lächeln. „Nur schade, dass sich Sawa in den Wettbewerb hineinhängen musste. Ich hätte gern gesehen, wie ihr Jungs das unter euch ausfechtet.“ Seine Augen weiten sich überrascht. Erst da bemerke ich, dass ich meine Gedanken laut ausgesprochen habe. Mist! „So?“, entgegnet er amüsiert, bevor ich meine Aussage revidieren kann. Sein breites Grinsen spricht für sich. „Ich muss gestehen, ich fand es eigentlich sehr erheiternd. Sawa und Mine haben sich sehr viel Mühe gegeben, mit uns mitzuhalten. Umso überraschender ist die spannende Wendung, mit der niemand gerechnet hat. Findest du nicht?“ „Erinnere mich nicht daran“, seufze ich zentnerschwer. In dem Moment, als Ikki erneut zum Sprechen ansetzt, kommt ihm jemand aus dem Flur zuvor: „Ikki-san, bist du da drin?“ Es folgt ein knappes Klopfen, schon steht Mine in der Tür. Ihr aufmerksamer Blick huscht flüchtig durch den Raum, bis er auf Ikki trifft. In wenigen Schritten eilt sie an seine Seite. „Shin hat gerade angerufen. Er und Hanna-senpai sind auf dem Rückweg. Wir versammeln uns alle vorne und warten auf sie.“ „Ah, gut zu wissen. Danke, Mine.“ Sie erwidert seine freundliche Geste mit einem strahlenden Lächeln. Es verlischt, als ihre Aufmerksamkeit auf mich trifft. Ich weiß nicht, was sie hat, aber ich lese alles andere als Freundlichkeit aus ihrem Blick. „Gehen wir. Ich will nicht verpassen, wie Shin-kun vor Freude ganz rührselig wird.“ Ikkis Scherz geht nicht an mir vorbei, doch in Mines Gegenwart vergeht mir das Lachen. Ich lasse ihm mit Freuden den Vortritt, worauf Mine ihm folgt. Die Verärgerung steht mir bis zum Hals. Erst dieses schlechte Gewissen, das ich warum-auch-immer kurz gegenüber Ikki empfunden habe. Dann noch Mine, die mich mit ihrem Verhalten allmählich zur Weißglut treibt. Wer von uns verhält sich hier albern?   Es sind vielleicht fünf Minuten, die wir noch auf unseren Ehrengast warten. Shin ist sofort zu hören, kaum dass sie draußen vor der Tür stehen. Ihr Eintreten wird begleitet von dem unverhohlenen Vorwurf, den Shin Hanna für das Vergessen ihres Schlüssels macht. Ich kann mir ihre Erleichterung vorstellen, als sie sich nicht länger in Ausflüchten winden muss. „Überraschung!“ Shin steht wie erschlagen im Café, als ihn die Gruppe im Chor empfängt. Hanna hat ihre Mission erfüllt und flüchtet sich schnell in unsere schützende Mitte. Ihr Lächeln ist schuldbewusst, als sie unseren Ausruf leise wiederholt. „Was –“ „Nachträglich zum Geburtstag alles Gute von uns allen“, übernimmt Toma das Wort und tritt mutig an den Gefeierten heran. Shin wirkt nicht wirklich begeistert, als die Botschaft Stück um Stück zu ihm durchdringt. „Toma, was soll das? Ich habe dir doch gesagt, dass ich keine Party will“, macht er ihm direkt zum Vorwurf. Abweisend streicht er die Hand zur Seite, die Toma ihm beglückwünschend auf die Schulter gelegt hat. „Davon abgesehen war mein Geburtstag vor knapp einer Woche“, betont er zudem. „Ich weiß. Aber so leid es mir tut, Shin, das war dieses Mal nicht meine Idee.“ Auf Shins fragenden Blick verweist Toma mit einem Nicken auf Hanna. Ihr Lächeln ist entschuldigend, als sie erklärt: „Du wolltest aus deinem Geburtstag keine große Sache machen, aber jeder wollte dir gratulieren, also …“ Ihre Worte lassen mich schmunzeln. So also sieht für sie die Lösung zu diesem Konflikt aus? Hach, Hanna … du bist schon goldig, irgendwie. „So sieht’s aus“, pflichtet ihr Sawa bei. Sie zeigt ein breites Grinsen, als sie an Hannas Seite tritt und betont die Hände in die Hüften stemmt. „Und jetzt zieh nicht so ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Freu dich doch mal, dass wir so rücksichtsvoll zu dir sind“, gibt sie den Vorwurf an ihn zurück. Sein Seufzen ist laut und deutlich zu hören. „Das nennst du rücksichtsvoll?“ „Wäre es dir lieber gewesen, wenn wir dir alle einzeln gratuliert hätten? In dem Fall hätten sich die Glückwünsche auf mehrere Stunden bis Tage erstreckt. Gemessen an dem, welche Kontaktmöglichkeiten bei jedem Einzelnen zu dir bestehen“, stellt Kento zur Überlegung. Das scheint Shin tatsächlich zu Denken zu geben. Seine abweisende Haltung lockert sich, wobei er sich offen an Kento wendet. „In der Hinsicht magst du vielleicht recht haben.“ Ich beobachte amüsiert, wie sich Kento die Brille in einer überlegenen Geste hochschiebt. „Dennoch, das hier ist übertrieben. Ihr hättet euch nicht die Mühe machen brauchen. Wollt ihr nach einem langen Arbeitstag nicht lieber nach Hause?“ „Und uns dafür eine Party entgehen lassen?“, kontert Toma verschmitzt. „Wer würde das schon wollen?“ „Ich finde, es ist an der Zeit für die Geschenke.“ „Öffne meins zuerst, ja, Shin-kun?“ Alle Gegenwehr nützt nichts. Bestimmt tritt Ikki an Shin heran und schiebt ihn zu dem Tisch. Mine folgt ihnen auf dem Fuße. Es amüsiert mich, wie Shin sich weiterhin in Ablehnung probt, ohne die geringste Chance zu haben. Ob er bemerkt hat, wie Ukyo ihm mit der Kamera in der Hand dicht auf den Fersen ist? Während alle ihre Geschenke präsentieren, übe ich mich in Zurückhaltung. Von der Bank aus beobachte ich still, wie Shin der Übermacht seiner Freunde und Kollegen ausgeliefert ist. Nein, tauschen möchte ich wahrlich nicht mit ihm. Wobei, einmal im Zentrum aller Aufmerksamkeit dieser Leute zu stehen … Halt mal, das hatte ich doch schon. Nein, doch nicht so toll. Dafür bin ich wirklich nicht der Typ. Noch während der Bescherung wird das Buffet als eröffnet erklärt. Da es nun offiziell gestattet ist, reserviere ich mir sogleich je ein Stück Kuchen der Jungs. Nichts gegen das Mädchenteam, aber von ihnen ist noch so viel Kuchen übrig, dass ich mich später immer noch bedienen kann. Shin und Tomas Kuchen ist wirklich lecker. Weiche Krume, herrlich schokoladig, nicht zu süß und kein bisschen trocken. Ich bevorzuge ihn ohne Frage. Im Vergleich wirkt das Ergebnis von Ikki und Kento irgendwie … missglückt. So vielversprechend das Tortenstück auch optisch wirkt, so enttäuschend ist es im Geschmack. Der Boden schmeckt mehlig und ist zudem sehr kross. Die Krem ist mehr krümelig denn zart und irgendetwas sticht säuerlich daraus hervor. Es erinnert mich an Zitronenkonzentrat. Was haben die beiden um Himmels willen gemacht? Ich will dieses Desaster fast schon als Kunstwerk bezeichnen, so miserabel ist es. Ich richte meinen Blick nach vorn, als es lebhaft um mich herum wird. Irgendwie habe ich verpasst, um was es geht. Ein Großteil der Gruppe steht um Shin herum. Ich erkenne aufmunterndes Schulterklopfen und breites Grinsen auf den Gesichtern. Shin scheint irgendetwas unangenehm zu sein. Beinah hilflos steht er zwischen den anderen, wehrt so gut es geht die Hände ab und stolpert doch, als Toma ihn auffordernd nach vorn schiebt. Es ist zu niedlich anzusehen, wie er sich verlegen einige Strähnen hinter das Ohr zurückstreicht. Seine Hand ruht anschließend in seinem Nacken, doch seinem genervten Blick ist zu entnehmen, dass ihm die Lage missfällt. „Das ist so idiotisch. Also schön … Ich danke euch allen für die Glückwünsche. Und die Geschenke, die ihr euch hättet sparen können. Genau wie diese Party und den ganzen Aufwand, der zu nichts führt.“ „Shin, ist das dein Ernst?“ Toma stößt ein langes Seufzen aus. „Also wirklich, was ist das denn für eine Dankesrede?“, pflichtet ihm Ikki bei. Ich muss mir ein Lachen strengstens verkneifen. „Es ist doch wahr“, beharrt Shin auf seinem Standpunkt. Alles an ihm verdeutlicht sein Desinteresse. Bis auf der dezente Rotschimmer auf seinen Wangen. Er erscheint mir aufrichtiger als seine Worte. „Im Ernst. Wieso soll ich mich für etwas bedanken, das gegen mein Einverständnis ist? Worin liegt da der Sinn?“ „Wir haben uns so viel Mühe gegeben. Du könntest das ruhig ein wenig zu schätzen wissen“, empört sich Sawa gespielt. Gerade rechtzeitig, als er etwas entgegnen will, macht sie eine verdeutlichende Geste in Richtung Hanna. „Denk doch mal an sie? Denkst du, es ist ihr leicht gefallen, dich anzulügen? Wenn du nur nicht immer alles so kompliziert machen würdest …“ „Wer macht hier was kompliziert, Sawa?“ Mutig. Ich hätte es nicht gewagt, ihm so etwas an den Kopf zu werfen. Aber gut, ich kenne ihn auch nicht so gut wie Sawa. Sie wird schon wissen, wie weit sie bei ihm gehen kann. Hoffentlich.   Langsam aber sicher beruhigt sich die Situation. Die meisten sind zum gemeinsamen Plaudern und Kuchenessen übergegangen. Selbst Waka ist unter uns, verhält sich jedoch außergewöhnlich ruhig. Ich könnte mich täuschen, aber er wirkt ausgesprochen müde auf mich. Seine glanzlosen Augen lassen es jedenfalls vermuten. Mein Kuchenteller ist leer. Mir ist nicht nach einer zweiten Runde. Die Bescherung scheint vorbei zu sein, mein Geschenk trage ich jedoch immer noch bei mir. Ich frage mich, wann ich es Shin überreichen soll. Im Moment ist es wohl eher ungünstig. Shin hat zum ersten Mal ein wenig Ruhe und kommt endlich dazu, sich ebenfalls vom Kuchen zu nehmen. Für mich bleibt nichts zu tun. Zeit, die Gelegenheit für eine Raucherpause zu nutzen. Wortlos erhebe ich mich. Auf Hannas Frage hin erkläre ich knapp, kurz vor die Tür zu gehen. Ein Blick zu Ukyo versichert mir, dass er mir so bald nicht davonlaufen wird. Zu angeregt unterhält er sich mit Kento, worüber auch immer. Vielleicht war Waka auf dem Platz ihm gegenüber einst Teil der Unterhaltung. Inzwischen bezweifle ich, dass er ihnen überhaupt noch zuhört. So teilnahmslos habe ich ihn bisher nie erlebt. „Ist alles okay?“, frage ich, indem ich mich ein wenig zu ihm herabbeuge. Ich versuche ihn anzusehen, doch er hebt kaum das Gesicht. „Du wirkst ziemlich geschafft. Vielleicht hilft es, wenn du kurz mit rauskommst? Ein bisschen Bewegung und frische Luft könnten dir gut tun.“ „Mh“, macht er und nickt abwesend. Es folgt ein knappes Kopfschütteln, als er schwach zu mir hochlächelt. Es ist unheimlich. „Nein, mir geht es gut. Ich will euch jungen Leuten nicht den Sieg verderben.“ Armer Kerl. Ich frage mich, wie alt er sich wohl fühlen mag. So viele Jahre liegen nun auch nicht zwischen uns. „Sicher?“ Er nickt und ich wage nicht, ihm weiter zu widersprechen. Ich kann meinem Boss kaum vorschreiben, was das Beste für ihn ist. So sehr ich mich auch sorge, das überschreitet eine Grenze. Mir ist nicht wohl dabei, doch ich erhebe mich anstandslos und verlasse den Raum. „Hey.“ Im Flur erreicht mich Shins Stimme, gerade als ich die Tür nach draußen öffnen will. Überrascht bleibe ich stehen und drehe mich halb zu ihm herum. „Shin?“ Ich beobachte mit Verwunderung, wie er langsam auf mich zusteuert. „Was ist los? Verfolgst du mich neuerdings?“ „Dummkopf. Wieso sollte ich so etwas tun?“ „Keine Ahnung, aber du tust es doch?“ „Bilde dir nichts darauf ein“, weist er abfällig zurück. Auf einige Meter Abstand bleibt er stehen, den Blick von mir abgewandt. „Ich bezweifle, dass irgendjemand ein Interesse daran hätte, dich zu verfolgen. Davon abgesehen, warst du es doch, die mir aufdringliche Blicke zugeworfen hat.“ Ich stutze. „Wann soll das denn bitte gewesen sein?“ „Merkst du das schon gar nicht mehr?“, attackiert er mich. Indem er den Kopf zurück in meine Richtung dreht, treffen unsere Augen aufeinander. Es ist mir unangenehm, wie eindringlich er mich ansieht. „Die ganze Zeit schon. Mich wundert es nicht, wenn sich andere bereits ihr Urteil darüber gebildet haben.“ Bitte?! „Das bezweifle ich“, kontere ich. „Wie du meinst.“ Er zuckt kurz mit den Schultern. Es wirkt lässig, wie er die Hände zur Hälfte in die Hosentaschen schiebt. Mit gemächlichen Schritten überbrückt er die letzte Distanz, bis er direkt vor mir steht. „Und? Was ist es?“ Verständnislos sehe ich zu ihm hoch. „Was meinst du?“ „Du wolltest doch irgendetwas von mir. Es sah aus, als wolltest du mir etwas sagen.“ Argh, dem Typen kann man echt nichts vormachen. Toma hatte recht. „Hm, so kann man es wohl sagen … Ich wusste nur nicht recht, wie ich mich zwischen all die anderen drängen soll. Wartest du bitte kurz hier?“ Schon eile ich in den Aufenthaltsraum. Nach kürzester Zeit kehre ich zurück und trete an Shin heran, der nicht von seinem Fleck gewichen ist. „Hier“, sage ich und strecke die Hand nach ihm aus, „der ist für dich. Happy Birthday nachträglich, Shin.“ Er zollt dem kleinen Anhänger, der fröhlich von meinem Zeigefinger baumelt, nur einen kurzen Blick. Ich erwarte, dass er ihn entgegennimmt, stattdessen sieht er mich an. „Ist das dein Ernst?“ Ich ziehe den Arm zurück. Meine Finger verkrampfen um den weichen Plüsch. „Nicht gut?“, wispere ich. Im selben Moment hasse ich mich dafür, dass man mir die Kränkung aus der Stimme heraushört. Lieber hätte ich cool und gleichgültig reagiert, aber nein. Wer hätte gedacht, dass mich Shins Zurückweisung einmal so hart treffen könnte? Ich warte darauf, dass er etwas sagt. Soll er mir doch vorwerfen, dass er das Geschenk billig findet. Recht hätte er. Es hat mich am Ende mehr Zeit als Geld gekostet, also los. „Sag es richtig.“ „Hä?“ Nicht sehr geistreich, aber … hä? „Was soll diese Reaktion?“, wirft er mir vor. Sein Gesicht wird streng. „Erwartest du ernsthaft, dass ich dir das so abnehme? Idiot, gib dir gefälligst etwas mehr Mühe.“ Ich kapiere noch immer nichts. „Zum Geburtstag alles –“* „Nein“, fällt er mir harsch ins Wort. Er muss mich für beschränkt halten, so wie er seufzt und dabei betont die Schultern fallen lässt. „Nicht so. Sag es auf deine Art.“ Fragend lege ich den Kopf schief. Was soll denn das bitte bedeuten? „Alles Gute zum Geburtstag?“ Etwas tut sich. Shins Haltung entspannt sich und sein Blick wird aufmerksam. Er sieht mich einige Zeit an, ohne mich erkennen zu lassen, was gerade in ihm vorgeht. „Hm“, macht er schließlich. Mir scheint eine halbe Ewigkeit vergangen zu sein, in der ich dieser beklemmenden Stille ausgesetzt war. „Interessant. So sagt man das also bei euch. Ziemlich umständlich.“ Ich weiß nicht wirklich, was er meint. Ich komme auch nicht dazu, groß darüber nachzudenken, als ich seinen Mundwinkeln ein schwaches Lächeln zu entnehmen glaube. Nur für kurz, bis seine Mimik ins Gewohnte zurückkehrt. Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet. „Und? Was hast du da nun?“ Sein Blick ruht auf meiner Hand. Ich folge ihm unwillkürlich und bemerke, dass ich den Anhänger noch immer umklammert halte. Indem ich meine Finger langsam lockere, löse ich die Anspannung. „Ach, jetzt also doch?“, necke ich in Shins Richtung. „Es ist doch für mich, oder etwa nicht?“ „Schon.“ Widersprechen kann ich nicht, dafür ist es zu spät. Mit einem Seufzen gebe ich meinen Widerstand auf und wage einen zweiten Versuch. Wortlos strecke ich meine Hand aus und halte den Anhänger in die Höhe. Ich beobachte gespannt, wie er die Hände aus den Hosentaschen löst. Der kleine Metallring streift beinahe zärtlich über meine Haut, als Shin ihn von meinem Finger angelt. Ich warte, dass er etwas sagt. Dass er irgendeinen herabsetzenden Kommentar zu meinem Geschenk äußert. Doch nichts. Shin steht nur da, betrachtet den kleinen braun-weißen Plüschhund ohne die geringste Regung. „Er bellt übrigens auch, wenn du die Mitte zusammendrückst. Also besser nicht in der Schule damit herumspielen“, erkläre ich, als mir die Spannung zu viel wird. Mir wäre es wirklich lieber gewesen, hätte er irgendeinen dummen Spruch vom Stapel gelassen. Dieses Schweigen hingegen ist einfach nur ätzend. Zumindest scheint es Shin wachzurütteln. Er hebt seinen Blick, der mich mit Zweifeln trifft. „Im Ernst jetzt? Du schenkst mir also ein Kinderspielzeug?“, reagiert er vorwurfsvoll. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Ja, ist das nicht toll?“ Sein Blick verdüstert sich, als er die Augenbrauen tiefzieht. „Nur ein Scherz“, sage ich schnell und klopfe ihm auf die Schulter. „Das mit dem Bellen ist nur ein netter Bonus. In erster Linie dachte ich, das könnte am ehesten zu dir passen. Es ist klein, dezent und du kannst es immer bei dir tragen, wenn du das möchtest. Außerdem dachte ich, dass du vielleicht eher jemand bist, der Hunde mag.“ „Ach echt?“ Ich höre Verwunderung aus seiner Stimme. Alle Anspannung ist aus seinem Gesicht gewichen. Stattdessen erkenne ich Interesse in seinen wachen Augen. „Darf ich erfahren, wie du darauf kommst?“ „Hm … Vielleicht, weil ich eher ein Katzenmensch bin und wir so krass unterschiedlich zueinander sind?“ „Das ist alles?“ Ähm, nein. Eigentlich nicht. „Habe ich den Nagel etwa nicht auf den Kopf getroffen?“  Shin kehrt ins Schweigen zurück. Es ist das erste Mal, dass ich erlebe, wie er sich freiwillig aus einer unserer Diskussionen entzieht. Ohne zu einem letzten Gegenschlag auszuholen. Ob ihm bewusst ist, dass er mir damit unwillkürlich recht gibt? „Danke.“ Seine Stimme ist nur ein Flüstern. Es ist leichter, von seinen Lippen zu lesen, als das Gesagte zu verstehen. „Nichts zu danken“, erwidere ich. Es liegt etwas Zaghaftes in diesem kleinen Austausch, was mich schmunzeln lässt. „Im Übrigen“, lenkt er plötzlich im Thema um. Von dem Hauch an Verlegenheit, den ich eben noch auf seinen Wangen vermutet habe, keine Spur mehr. Shin lässt den Anhänger mit einer fließenden Bewegung in seiner Hosentasche verschwinden, bevor er mich offen besieht. „Wenn wir gerade dabei sind: Ich war so frei, die anderen Kuchen zu probieren.“ Oha. „Und?“, erwarte ich sein Urteil. „Ich weiß nicht, was Ikki-san und Kento-san da versucht haben, aber im Vergleich zu ihnen ist jeder Kuchen verträglicher.“ „Ah ja …“ Und was soll mir das jetzt sagen? „Naja, ich kann’s dir auch nicht sagen. Vielleicht fragst du sie einfach?“ „Nicht nötig. Da sie nicht gewonnen haben, besteht kein Anlass für mich, die Hintergründe zu erfahren.“ Sein Blick ruht auf mir, als warte er, dass ich etwas sage. Ich weiß allerdings wirklich nicht, was ich noch darauf erwidern soll. „Ich habe auch deinen Kuchen probiert“, verkündet er letztlich. „Du hast Bananenstücke unter den Teig gegeben?“ „Ähm, ja?“ „Warum?“ Was soll diese Frage? „Naja, es war ein Schoko-Bananenkuchen, sofern du den meinst. Ich finde den so leckerer“, erkläre ich. „Hm.“ Er besieht mich nachdenklich. „Ich bin überrascht, dass du auf diese Idee gekommen bist. Aber wenn du mich fragst, hätten es mehr sein können.“ Okay, jetzt bin ich verwirrt. „Ist das jetzt ein Lob oder eine Kritik?“ „Ich sage nur, dass ich weniger erwartet habe. Aber denk jetzt nicht, dass ich dein Schaffenswerk lobpreise. Mit so einem Halbfertigprodukt bist du Lichtjahre davon entfernt, irgendwelche Anerkennung zu verdienen.“ Ich weiß, dass er recht hat, trotzdem stimmt es mich wütend. Dabei ist es weniger das Gesagte als Shins abfällige Art, die mich nicht zum ersten Mal auf die Palme bringt. Mir liegen so viele Dinge auf der Zunge, die ich ihm am liebsten gegen den Latz schmettern würde. „Das wollte ich nur fairerweise gesagt haben. Wir sollten jetzt zu den anderen zurückkehren, bevor noch irgendwelche Gerüchte entstehen.“ „Danke, aber geh du mal vor“, sage ich. „Ich hatte eigentlich vor eine zu rauchen, bevor du mich davon abgehalten hast.“ „Du weißt, dass das schädlich ist?“, belehrt er mich unnötig. Das Missfallen klingt deutlich aus seinen Worten heraus. „Einmal davon abgesehen, dass es stinkt. Hast du keine anderen Wege, dir den Tod auf die Liste zu schreiben?“ „Der kommt ob so oder so“, entgegne ich trocken. „Aber ich entscheide, wenn es aus eigener Dummheit geschieht. Das ist mir immer noch lieber, als wenn ich in einen Unfall verwickelt oder in einer schmutzigen Ecke abgestochen werde. Und ein Laster muss ich ja haben.“ „Du hast wirklich eine beschissene Einstellung, weißt du das?“ Ich lächle bitter. „Ja, Realismus kann schon beschissen sein. Das Leben ist eben kein Zuckerschlecken. Aber boxen wir uns nicht trotzdem irgendwie alle auf unsere eigene Art und Weise durch?“   Es ist ewig her, dass ich so wenig Lust am Rauchen verspürt habe. Shins Kommentar hat es mir so richtig vermiest. Dass ich dennoch hier draußen stehe und den Rauch tief einziehe, kann man als eine Trotzreaktion abtun. Aber hey, ich hätte es auch getan, wenn Shin nicht gewesen wäre. Also was soll’s. Verstimmt drücke ich die Zigarette aus. Ich habe keine Lust, weiter darüber nachzudenken. Das drückt nur die Stimmung. Entschieden kehre ich ins Meido zurück. Im Aufenthaltsraum entledige ich mich meines Mantels, den ich mir für draußen übergezogen hatte. Das Klacken einer Tür lässt mich kurz auffahren, als hinter mir jemand aus dem Badezimmer tritt. Über die Schulter erkenne ich, dass es Mine ist. Unsere Blicke begegnen sich für einen Moment, bevor sie zur Seite sieht und sich schweigend in Bewegung setzt. Ich bin gewillt, sie einfach an mir vorüberziehen zu lassen. Als ich den kühlen Windzug neben mir spüre, entscheide ich mich anders. „Hey, Mine?“, rufe ich ihr hinterher. Gern hätte ich diesen Impuls unterdrückt, doch es geht nicht. Eine bessere Gelegenheit bekomme ich so schnell nicht wieder. „Hast du einen Moment Zeit?“ Bei der Tür bleibt sie stehen. Ich bin erleichtert, dass sie mich nicht ignoriert. Was auch immer das zu bedeuten hat. „Wofür?“, fragt sie zurück, ohne sich nach mir umzudrehen. Ihre Hand liegt auf dem Türknauf, bereit, jederzeit den Raum zu verlassen. „Ich möchte gern mit dir reden. Es gibt da etwas, das mich beschäftigt.“ „Ich habe eigentlich keine Lust, mit dir zu reden“, entgegnet sie knapp. Die Art, wie sie mir die kalte Schulter zeigt, versetzt mir einen Stich. „Bitte, es ist mir wichtig.“  Sie wirft mir einen flüchtigen Blick über die Schulter zu. „Worum geht’s?“, will sie wissen und wendet das Gesicht wieder von mir ab. „Sag mal … kann es sein, dass du etwas gegen mich hast? Du gibst mir das Gefühl, als hätte ich dir irgendwas getan.“ Es herrscht einen Moment Stille zwischen uns. „Muss ich dir darauf antworten?“ Ich nicke, auch wenn sie es nicht sieht. „Bitte.“ Noch einmal sieht sie zu mir herüber. Am Ende lässt sie von der Tür ab und dreht sich gänzlich zu mir herum. Zum ersten Mal stehen wir einander so offen gegenüber. Fast möchte ich ihr ausweichen, aber ich reiße mich zusammen. Sie nimmt einen tiefen Atemzug. Ich erkenne es am Heben ihrer Brust. „Ich kann dich nicht leiden“, spricht sie unverblümt jene Worte, die meine Befürchtungen bewahrheiten. Vom Klang erinnern sie an den Trotz eines Kindes. Dass sie es dem entgegen ernst meint, stelle ich keinen Moment infrage. Die Ablehnung ist ihr sprichwörtlich ins Gesicht geschrieben. „Wieso?“ „Warum dieses »Wieso«?“, schmettert sie meine Frage an mich zurück. „Ich muss das nicht begründen. Ich kann dich nicht leiden, weil ich dich eben nicht leiden kann!“ „Aber du musst doch einen Grund haben, wieso du mich nicht leiden kannst“, bleibe ich gefasst. Mehr, als es der Situation angemessen ist. „Ich sage ja nicht, dass ich es damit ändern werde –“ „Es muss dich ja nicht jeder leiden können!“ Ruhig sehe ich sie an. Mine wirkt ebenso konzentriert wie ich. Ihre Haltung ist angespannt, die Wangen dezent gerötet. Ihre Augen funkeln mir wütend entgegen. Sie nimmt einen tiefen Atemzug. Ihr Gesicht glättet sich und auch die Zornesfalte zwischen ihren Brauen verschwindet. „Aber wenn wir schon einmal dabei sind“, kehrt sie ins Liebliche zurück. Nur zum Schein, wie bald klar wird, als ihr strenger Blick mich trifft. „Halte dich besser von Ikki-san fern.“ Ich runzle die Stirn. „Wieso?“ „Weil ich es sage!“ „Mine, das ist keine Begründung.“ Sie zieht scharf die Luft ein. Ihre Wangen füllen sich, plustern sich auf, wobei ihre Augen immer kleiner werden. „Ah, du machst mich so wütend!“, platzt sie schlussendlich. Sie macht einen großen Schritt auf mich zu, wobei sie kräftig auf den Boden stampft. „Und genau deswegen kann ich dich nicht leiden! Halte dich einfach von ihm fern, und von Hanna-senpai und Sawa-senpai auch!“ Ich atme kontrolliert durch. Nichts von dem, was hier gerade abgeht, macht einen Sinn für mich. Wieso ist Mine so wütend auf mich? Ich kann ihre Reaktion nirgendwohin einordnen. „Mine, bist du vielleicht –“ „Du bist ja noch nicht mal in seinem Fanclub!“ Ich blinzle irritiert. „Du doch auch nicht?“ Sie öffnet den Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Irgendetwas an ihrer plötzlichen Zurückhaltung erscheint mir eigenartig. Es wirft die wildesten Fragen in mir auf. „Mine, Shizana? Seid ihr da drin?“ Dem Klopfen folgt ein brünetter Haarschopf, als Sawa ihren Kopf in den Raum hineinschiebt. Es dauert nicht lang, bis sie uns entdeckt hat. Mine wirft mir noch einen letzten warnenden Blick zu. Ohne weiteren Kommentar dreht sie sich herum und geht an Sawa vorbei, die ihr zögerlich nachruft. „Alles okay zwischen euch?“, wendet sie sich in meine Richtung, die Stimme voller Sorge. Bemüht lächle ich. „Ja, alles okay.“   Gemeinsam mit Sawa kehre ich ins Café zurück. Hier ist es weiterhin lebhaft. Überall haben sich kleine Grüppchen gebildet, die gemeinsam essen und lachen, wie es sich für eine Party gehört. Während mir Sawa vorauseilt, lasse ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Auf einer Seite haben sich Shin, Kento und Ikki zusammengetan. Mine ist bei ihnen. Auf der anderen Seite sitzen sich Hanna und Ukyo bei einem Gespräch gegenüber. Es freut mich zu sehen, wie ausgelassen sie sind. Jedes helle Lächeln von ihnen berührt mich. Zu gern hätte ich mich zu ihnen gesetzt, doch ich bringe es nicht fertig. Ich gönne den beiden ihre gemeinsame Zeit von ganzem Herzen. Vor allem Ukyo, der genug Hanna-Verzicht erdulden muss. Mein Blick geht zu Sawa, die sich an dem Tisch nebendran eingefunden hat. Ihr gegenüber sitzt Toma, was mich darauf aufmerksam macht, dass Waka nicht mehr hier ist. Vermutlich ist er schon länger weg. So schnell wie Sawa und Toma ins Gespräch gekommen sind, sitzen sie nicht erst seit eben zusammen. Unsicher stehe ich an meinem Platz und weiß nicht, wohin mit mir. Mich überkommt dasselbe einsame Gefühl, das mich gestern für kurz in seiner Gewalt hatte. Und auch jetzt ringe ich mit diesem einen finsteren Gedanken, den ich bisher so gut ich konnte verdrängt habe. „Shizana, komm doch her? Setz dich zu uns!“ Ich quäle mich zu einem Lächeln. Meine Schritte fühlen sich schwer an, als ich Sawas Einladung folge. Mines stechender Blick sitzt mir im Genick, doch das ist jetzt auch egal. Schweigend setze ich mich auf den freien Platz neben Toma. Die Gespräche um mich herum gehen weiter. Nur ich bleibe stumm. Mein Kopf ist ein Vakuum. In der Leere wird jenes böse Flüstern immer lauter: Ich gehöre hier nicht her.     *Im Original würde hier gesagt werden: „O-tanjōbi omede…“ Da ich jedoch vom Japanischgebrauch so gut ich kann absehen möchte, habe ich das Sprachproblem so gelöst. ^.^V (Oh, und ja. Ich stelle mir beim Schreiben die meiste Zeit über vor, wie die Charaktere ihre Aussagen im Japanischen formulieren würden. Wenn auch nicht alles 1:1 umsetzbar ist, aber ich bemühe mich.) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)