Virus von fragile ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Donnerstage gehörten zu meinen Lieblingstagen. In der Schule war das zum Beispiel immer der Tag, an dem es Reisklößchen in der Kantine und niemals Algebra-Unterricht gab. Gott, ich hasste Zahlen. Eigentlich noch immer, wenn ich es genauer bedenke. An diesen Tagen war meine Mom immer bei ihrem Bücher-Club und wenn wir das mal ehrlich beleuchten, dann war es eher ein Treffen von frustrierten Hausfrauen mit einem erotischen Schmöker auf dem Schoß, die sich kichernd und laut lachend Sekt die Kehle runter kippten. Da ging es selten um literarische Meisterwerke. Für mich war das der ruhigste Abend der Woche. Dad und ich hockten dann zusammen vor dem Fernseher, schauten Sportsendungen und aßen eine Packung Chips nach der anderen. Und Dad sagte nie so etwas wie „Kind, iss weniger“ oder „Mädchen, mit diesem Appetit wirst du nie einen Mann finden. Der wird befürchten, dass du ihm alles vor der Nase weg futterst“. Und es gab an meinen geliebten Donnerstagen durchaus angenehmere Weckmethoden als die, die mich nach einem wundervollen Abschluss eines Mittwochabends zum Aufstehen bewegten. Spontan fiel mir da sogar ziemlich viel ein: Ein zärtlicher Kuss oder ein sanftes Streicheln durch verstrubbeltes Haar. Und mal ehrlich, jede Frau lügt, wenn sie behauptet, die Haare wären morgens keineswegs verstrubbelt oder zerzaust. Natürlich wäre auch eine tiefe, dennoch wunderbar melodische Stimme, die mir zuflüstert, dass das Frühstück auf dem Tisch stünde, nicht so schlecht. Selbst das liebevolle Anschmiegen eines warmen Körpers an die eigene Person… das waren wirklich schöne Weckmethoden. Und das am besten alles noch vor dem ersten Weckerklingeln. Allerdings war nichts von all dem an diesem Morgen existent. Anstelle eines Mannes mit Waschbrettbauch grüßte mich der Japan Spitz meiner Mom, in dem er mir seine Pfoten auf die Brust drückte und mir mit seiner glitschigen Zunge einmal quer übers Gesicht fuhr. Der kleine, weiße Wattebausch bellte fröhlich, und sprang auf meinem Bett wie ein Flummiball herum. Entweder schien sich mega zu freuen oder aber sie roch womöglich die halbleere Kekspackung, die sich unmittelbar neben mir unter der Bettdecke befand. Direkt neben meinem Laptop und meinem Handy übrigens. „Morgen, Aiko“, murmelte ich verschlafen und kraulte sie hinter einem ihrer Ohren. Ich schob sie sanft von mir weg und vergrub mich tief in meiner Decke, während ich bereits meine Mom auf ihren Höllen-High-Heels durch den Flur stöckeln hörte. Aiko hüpfte aufgeregt und schien die Kekse zu erschnüffeln. Es wurde wohl zur obersten Priorität das Gebäck zu entdecken und bis auf den letzten Krümel in ihren Magen zu befördern. Hibbelig schnappte sie nach meinem gepunkteten Kissen und zog es mir unter dem Kopf weg. Ich grummelte und stieß sie weg, was mir ein erneutes Abschlecken bescherte. „Sie muss auf Aiko aufpassen“, hörte ich meine Mom sagen und vergrub mich noch tiefer in die weichen Laken, „und ihr müsst endlich hier aufräumen.“ Meine Güte, ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sie ihre Mundwinkel verärgert Richtung Keller zog. „Sie soll mit Aiko spazieren gehen. Dreimal. Und heute Nachmittag hole ich sie wieder ab“, wies sie Ino an und schien wieder zur Türe zu stapfen. Meine innere Sakura schrie freudig auf: Ja, ja, ja! Geh einfach wieder. Tu uns allen diesen Gefallen. Und die Tür fiel krachend zu und irgendwo ganz weit dahinter verschwand das Klicken und Klacken ihrer Manolo Blahniks. Eins musste man meiner Mutter lassen, einen Sinn für Mode und Stil besaß sie schon immer. Mit Ausnahme meiner Hotelteppichboden-Kleider. Aber die waren mehr Mittel zum Zweck. Aiko japste laut, grub ihre Nase zwischen die Deckenfalten und tippelte nervös mit ihren Pfoten auf mir herum. „Aiko, halte es noch ein wenig“, bat ich gähnend. „Nur fünf Minuten, ok?“ Ich starrte die Knopfaugen an und verfluchte das niedliche Aussehen. Grummelnd warf ich meine Beine unter der Decke hervor und schlüpfte in meine rosa Hausschuhe. Die Hündin sprang auf und wedelte wie wild mit ihrer Rute. „Ich geh kurz auf die Toilette. Lass mir meine Katzenwäsche und dann bin ich ganz dein.“ Keine zwanzig Minuten später sprang ich etwas missmutig die letzten Stufen meiner Wohnung hinunter und hörte Inos Lachen im Flur widerhallen. „Singles an der Leine, Achtung Männer“, äffte ich sie nach und schob verärgert die Unterlippe hervor. „Doofe Ziege.“ Ich spürte ihren amüsierten Blick noch immer auf mir, als ich die Straßenseite überquerte. Gottseidank war das nicht wirklich mein Hund. Jeden Tag mehrfach mit dem Tier raus gehen? Nein, danke. Da waren Katzen wohl einfacher. Nicht mal richtig duschen konnte ich, weil Aiko drängelnd vor der Badezimmertür von rechts nach links tippelte. Zu mehr als einem einfachen Pferdeschwanz, einer dicken Wollstrumpfhose und einem grau melierten Long Pullover reichte die Zeit nicht aus. Dabei war es Mitte Juni und kein einziger Sonnenstrahl schien sich in die Stadt zu verirren. Das war schon als Herbst zu bezeichnen. Mit meinen ausgelatschten Chucks und Aiko an der pinken Hundeleine marschierte ich geradewegs Richtung Park und aus Inos Sichtfeld. Aiko schwang aufgeregt und höchst erfreut ihre Rute von links nach rechts und beschnupperte alles, was unter ihre Nase kam. Hin und wieder fiel ihre Aufmerksamkeit auf den einen oder anderen Rüden, der sich fast schon prollartig vor dem kleinen Wattebausch präsentierte. Sie zierte sich, aber gleichzeitig auch nicht und dann zierte sie sich erneut, schnappte nach dem Rüden ohne sich groß von ihm weg zu bewegen, aber zeigte ihm schon nach einer weiteren Beißaktion ihre Kehrseite. Schneller als ich an der Leine ziehen konnte, war schon das Beschnuppern in vollem Gange. Ich verzog mein Gesicht und verlagerte das Gewicht auf mein linkes Bein und besah mir den Besitzer näher. Sein Blick lag interessiert auf seinem baggernden Hund, der sich gerade an den meiner Mom ran machte: Inklusive dem ein oder anderen Versuch, sie tatsächlich zu besteigen. Bei Tieren ging das alles viel einfacher. Die sagten sich nicht erst ihre Namen und begannen zu tratschen. Die kamen lieber gleich zur Sache. Der Hundebesitzer lachte kurz auf, als ich schon fast zu hektisch an der Leine zog und ein grummelnder Laut aus Aikos Maul kam. „Schöner Hund“, bemerkte er. Auf seinem Gesicht erschien ein schiefes Grinsen und seine braunen Haare flatterten im Wind. Sein umwerfendes Lächeln ließ mich schüchterner werden, als ich es eigentlich war. „Akamaru ist manchmal etwas aufdringlich“, erklärte er. Er schenkte seinem Rüden einen liebevollen Blick und streichelte seinen Rücken. „Ich sehe dich hier zum ersten Mal.“ Ich nickte und strich eine Strähne hinters Ohr. Er strich sich mit einer fahrigen Bewegung kurz durch seine dunkle Mähne, bevor er mir mit einem einwandfreien Zahnpasta-Lächeln die Hand hinhielt. „Mein Name ist Kiba.“ „Sakura“, antwortete ich und ergriff seine warme Hand. Das Kribbeln in den Fingern überraschte mich. „Hast du“, er blickte kurz zu Akamaru, „Lust auf einen Kaffee?“ Hunde sind großartig! Katzen, tse. Man lernt viel mehr Menschen kennen als mit einer Katze. Die eignen sich für Stubenhocker, aber Hunde passen nur zu Outdoorleuten, zu frischen, jungen und aktiven Menschen. Katzen? Die hocken zuhause auf dem Fenstersims oder auf dem Sofa. Wen sollte man da kennen lernen, außer einer neuen Sorte Schokolade oder den sexy Doktor, der sowieso nur in der Arztserie ein charmantes Lächeln in deine Richtung warf? In diesem Moment, mit diesem kurzen Mustern von Kiba, fühlte ich mich wirklich alles andere als attraktiv. Vielleicht hätte ich wenigstens ein bisschen Make Up auflegen sollen. Ich stieß einen gedanklichen Fluch gen Himmel. Kaffee mit Aiko? Oder Kaffee mit Hottie und Akamaru? Inos Gesicht tauchte breit lächelnd vor meinem inneren Auge auf. Scheiß aufs Make Up. „Klar, warum nicht?“, flötete ich viel zu fröhlich und setzte mich in Bewegung. Ein Lachen ertönte neben mir. Wir liefen einige Meter durch den Park und blieben am Teich stehen, der erst vor einigen Tagen komplett angelegt worden war. Erst redeten wir so gut wie nichts, nur hin und wieder stellte er mir eine Frage zu Aiko, die ich nicht so beantworten konnte, wie ich es mir wünschte. Herrje, ich sollte mich für meinen nächsten Spaziergang unbedingt intensiver mit Moms Hundedame auseinandersetzen. Dann wäre mir womöglich Besseres eingefallen, als Schweigen und Gekicher. Ich spürte hin und wieder einen Seitenblick von ihm und wippte nervös auf dem Fußballen. „Da vorne ist ein Kaffee Wagen“, bemerkte ich und setzte mich in Bewegung, noch bevor Kiba überhaupt etwas dazu sagen konnte. Ich lächelte schüchtern, als er mir einen großen Becher spendierte und wir langsam unseren Spaziergang fortsetzten. Und kaum hatte ich den ersten großen Schluck des warmen Getränkes zu mir genommen, verwandelte sich dieses Nicht-Gespräch in eine ziemlich einseitige Konversation. Aus mir sprudelten die Fragen, noch bevor er überhaupt die Zeit erhielt, die letzte zu beantworten. Das passierte ständig, wenn ich aufgeregt war. Gedanklich versuchte ich mich immer wieder zu stoppen, aber mir schien es eher zu misslingen. Ino fand das ziemlich süß an mir, wenn ich einfach drauf los plapperte. Kaum fünfzehn oder zwanzig Minuten später standen wir an der Kreuzung, an der wir uns begegneten. „Gott, Kiba. Es tut mir so leid. Ich plappere viel zu viel“, seufzte ich und nippte an meinem Kaffee. Kiba lachte kurz und wies seinen Hund an, langsamer zu gehen. „Schon ok“, versicherte er mir. „Ich plappere auch meistens wie ein Wasserfall.“ „Ich bin eher die Niagara Fälle“, brummte ich und strich Aiko durch das weiche Fell. Kiba grunzte vor Lachen und zog sein Handy aus der Hosentasche. „Gut, vielleicht waren es mindestens zwanzig Fragen zu viel. Und die waren ein wenig abschreckend.“ Ich schnaufte laut auf. „Gott, ich bin so dämlich. Es tut mir sooo leid!“ Wieder lachte er auf. „Ich wurde immerhin noch nie beim ersten Treffen nach meinem ersten Kuss und nach dem Körperteil befragt, das die meisten Komplimente einheimste.“ Meine Wangen färbten sich rot, doch bevor ich noch etwas erwidern konnte, drückte er mir sein Smartphone in die Hand. „Wenn du mir deine Nummer gibst, dann melde ich mich bei dir. Vielleicht können wir das demnächst wiederholen.“ Schlussendlich ging ich wieder zurück zu meiner Wohnung und stieß Dankesgebete aus, als ich Inos Schuhe nicht vor der Tür stehen sah. Das war ein absoluter Reinfall gewesen. Nicht mal seine Nummer hatte ich. Als ob er sich melden würde. Aiko gähnte und schlurfte gemächlich in mein Zimmer und ließ sich auf dem weißen Flokati Teppich nieder. Ich lachte bei dem Anblick eines XXL Wattebauschs auf dem Boden auf und ließ mich dann aufs Bett fallen. Routinemäßig startete ich meinen Laptop. Vielleicht war S ja online und konnte mich aufmuntern. Nicht, dass ich wirklich daran glaubte, dass ihm das ähnlich sah. Immerhin kannte ich ihn kaum. Mein Herz kribbelte und machte einen freudigen Hüpfer, als ich seinen Namen entdeckte und ohne eine weitere Sekunde verstreichen zu lassen, betätigte ich den Sprachnachrichten-Knopf. Es tutete ziemlich lange und gerade als ich geknickt den Anruf beenden wollte, hörte ich sein heiseres Husten. „Bist du immer noch krank?“ Wieder ein Husten, das ich als ein ‚Ja‘ auffasste. Er schob seinen Stuhl zurück und ließ sich ächzend darauf nieder. „Warst du beim Arzt? Oder wenigstens in der Apotheke?“ „Ja, war ich.“ „Ok“, gab ich zurück und rollte mich auf den Bauch. „Es ist 13:00 Uhr. Bist du nicht arbeiten?“, fragte er. Im Hintergrund hörte ich leise das Radio. „Donnerstag ist mein Tag“, antwortete ich und griff nach meiner Kekspackung, „jedenfalls war er das mal.“ Sein Hüsteln ertönte erneut und in mir wuchs der Wunsch ihm eine Suppe zu kochen und ein warmes Erkältungsbad einzulassen. Er schien seine Arme vor der Brust zu verschränken. „Nicht, dass es mich wirklich interessiert, aber… ist was?“ „Findest du, ich plappere zu viel?“ Er lachte kurz auf und musste dann husten. Geknickt stieß ich einen Seufzer aus und drückte mein Gesicht in die Bettdecke. „Ich war gerade Gassi und da war so ein netter Mann, der mir einen Kaffee ausgegeben hat und was tue ich? Ich frag ihn nach seinem ersten Kuss, wie er sich dabei gefühlt hat und wie er war und danach fragte ich ihn, für welches Körperteil er die meisten Komplimente bekommt und… ich bin so bescheuert. Kein Wunder das ich allein bin. Gott, S, ich werde als alte Jungfer sterben!“ „Jungfer?!“ Ich verdrehte die Augen. Dass er mich überhaupt verstand, wo ich hauptsächlich zur Decke sprach, verwundert mich noch heute. „S, ist es schlimm, einem Kerl Fragen zu stellen?“ Ich hörte das Tippen von ihm auf etwas. „Was für Fragen?“, entgegnete er und hob eine Tasse vom Tisch. „Fragen die mir in den Kopf schießen. Ganz spontan. Sowas wie… wie war dein erster Kuss?“ „War das ein Beispiel deiner Fragen?“ „Nein, eigentlich würde mich deine Antwort tatsächlich interessieren.“ „Frage-Antwort-Spiel schon wieder?“ Er räusperte sich. „Antworte einfach oder sag mir, dass ich bescheuert bin. Streu Salz in die Wunde“, schmollte ich. Wieder hörte ich ihn räuspern. „Schrecklich und kurz.“ „Wärst du lieber ein Pirat oder ein Ninja?“ Er hustete und ein gedämpftes Lachen drang durch meine Lautsprecher. Meine Haut kribbelte. „Ist das dein Ernst?“ „Antworte doch einfach“, brummte ich. „Ninja.“ „Warum?“ „Warum nicht?“ „Kannst du gut küssen?“ Es raschelte und er schien sich eine Decke überzustreifen. Ein leises, kaum hörbares Lachen drang an meine Ohren und ich schob verärgert meine Unterlippe vor. „Hast du ihn das auch gefragt?“ Ich schwieg und setzte mich ächzend auf. „Hast du ihn dann auch gefragt, wie seine Fertigkeiten im Bett sind?“ Ich schürzte meine Lippen. „Nein! Natürlich nicht! Du bist ja fast schon wie Ino.“ „Ino?“ „Meine Mitbewohnerin und beste Freundin auf Lebzeiten. Manchmal ist das eher eine Strafe“, antwortete ich leise lachend. „Wo genau liegt das Problem?“ „Ich… keine Ahnung. Was, wenn er mich nicht anruft?“ Meine Stimme musste panisch klingen, denn schon wieder stieß er einen amüsierten Laut aus. „Hat er also deine Nummer?“ „Ja, hat er. Er hat mich drum gebeten und meinte, man könne das ja wiederholen.“ „Dann hat er Interesse. Sonst würde er nicht deine Nummer wollen.“ Ein dümmliches Grinsen erschien auf meinem Gesicht. Natürlich. Wozu wollte er sonst meine Nummer? Bestimmt nicht, um für ihn auf seinen Hund aufzupassen. Ich gluckste. „Hey, Sakura. Ich muss jetzt los. Meine Assistentin kommt gleich und bringt mir einige Verträge, die ich noch durchschauen muss.“ Er hustete. „Aber eine Frage hätte ich noch.“ „Die wäre?“ „Für was an deinem Körper bekommst du die meisten Komplimente?“ „Haha, sehr witzig.“ Dann war er offline und ließ mich lachend auf meinem Bett zurück. Ich dachte daran, dass vielleicht auch S irgendwann meine Nummer haben wollte und das blöde Grinsen verstärkte sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)