Virus von fragile ================================================================================ Kapitel 8: ----------- „Was machst du?“ Meine Mom legte entsetzt ihre Stirn in Falten, während ich mit dem Löffel in meiner Suppe herum rührte. Etwas Zeit schinden war nie verkehrt. Okay, es hatte kaum Wirkung, die Brühe zu verrühren. Den stechenden Blick meiner Mutter spürte ich dennoch. Auch wenn da ein Hauch Sorge mitschwang. Mein Dad hätte sicher gelacht und sich dabei seinen dicken Bauch gehalten, auch wenn er immer behauptete, es gäbe da nichts zu halten. Er sah aus wie ein XXL Teddybär. Ich zog die Schultern in die Höhe und schob mir ein Stück des selbstgemachten Baguettes in den Mund. Das Kauen versuchte ich absichtlich etwas in die Länge zu ziehen. „Liebes, vielleicht bin ich etwas zu altmodisch in dieser Sache. Aber ich hege einen Groll gegen dieses Internet. Hab ich das Konzept dieses Online-Datings richtig verstanden? Du schreibst mit wildfremden Leuten, die du nie gesehen hast? Ist das nicht lächerlich?“ „Mom, das ist keineswegs lächerlich. Viele Paare lernen sich heutzutage so kennen“, entgegnete ich. „Wie soll man jemanden dort treffen, den man lieben und für immer und ewig schätzen kann? Im Internet? Das ist unmöglich, Liebes. Die Person, die am anderen Ende des Computers sitzt, könnte ein Axtmörder sein. Oder ein Vergewaltiger.“ Meine linke Augenbraue schoss wie von selbst in die Höhe und ich starrte sie empört an. „Mom, findest du nicht, dass du ein wenig übertreibst? Du hast doch sowieso keine Ahnung davon.“ Ihr entkam ein Lachen und ihre grünen Augen schimmerten. „Kannst du nicht einfach einen normalen Mann kennen lernen? Geh öfter aus und arbeite nicht so viel. Wer weiß, vielleicht klappt es auch mit dem Schnuckel, den ich für dich an Land gezogen habe.“ Sie zwinkerte mir zu und tippte mit ihren rot lackierten Nägeln auf den Tisch. „Ich arbeite nicht zu viel“, erwiderte ich verärgert. Der Appetit auf die Suppe verschwand im Sekundentakt, bis ich entnervt den Teller von mir schob. „Ich hab bisher noch keinen Mann getroffen, mit dem du liiert warst.“ „Ok. Ja, ich bin 26 Jahre alt und ich war wahrscheinlich in den letzten“, ich biss mir kurz auf die Zunge, „zwei oder drei Jahren nicht mehr auf einem Date. Aber das hat rein gar nichts zu sagen. Ich bin beschäftigt und will mich beruflich weiter entwickeln. Was ist daran verkehrt? Immerhin bin ich selbstständig und von niemandem abhängig.“ Ich rümpfte meine Nase. „Und das soll auch so bleiben“, nuschelte ich. Meine Mom rollte mit ihren Augen und schnalzte mit der Zunge. Das tat sie immer, wenn sie etwas nicht gutheißen konnte und wollte. „Ich behalte also Recht damit, einen geeigneten Mann für dich ausgesucht zu haben.“ „Ach? Ein Blind Date ist also in Ordnung, aber Online-Dating nicht?“ „Ich kenne dein Blind Date.“ „Du hast dieses Date einmal gesehen und wahrscheinlich solange auf ihn eingeredet, bis er nicht anders konnte, als sein Einverständnis zu geben. Und das Blind Date kann genauso gut ein Axtmörder sein. Oder ein Vergewaltiger.“ Sie lachte laut auf. „Ich bin in deinem Alter in den Club und habe den Männern den Kopf verdreht. Da gab es dieses moderne Etwas noch nicht.“ Mir entfuhr ein Kichern, während ich ihr erklärte, dass ein Schuppen ein paar Kilometer außerhalb ihres Geburtsortes keineswegs als ‚Club‘ zu bezeichnen war. Meine Mutter schnaubte vergnügt. „Wir machten den Schuppen zum Club und glaube mir, ich war die attraktivste Frau auf allen Partys“, erzählte sie und ihr Grinsen wurde eine Spur breiter. „Liebes, ich bin mir sicher, dass du das auch könntest, wenn du mehr auf dich achten würdest. Hin und wieder wäre Make Up gar nicht so verkehrt. Viel brauchst du nicht, immerhin hast du meine Gene.“ Es war mein Dad, der diesen Familientag forderte. Aber meistens war er nicht da, wenn wir uns trafen. Ein Hoch auf den Außendienst. Immer unterwegs und zur richtigen Zeit nicht da. Hin und wieder beschlich mich der Gedanke, dass er diesen Job absichtlich gewählt hatte. Meine Mutter konnte manchmal fürchterlich sein. Vielleicht lag es daran, dass die Trennung irgendwann kam. Es war nur eine Frage der Zeit. Für mich jedenfalls bedeuteten diese Tage, mehr Zeit mit ihr zu verbringen und mir war mir eventuell herausgerutscht, dass ich mich bei dieser Online Dating Seite angemeldet hatte. Klar erwähnte ich, dass ich hierzu auch einen Artikel schrieb. Hoffte ich zumindest, immerhin hatte ich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen einzigen Satz zu Papier gebracht. Ich spürte den stechenden Blick meiner Mutter auf mir ruhen und sah vom Tisch auf. „Mom, wie sieht er aus?“ „Er ist ein sehr schöner Mann.“ Ihre Augen begannen zu leuchten. Sie himmelte mein Blind Date an und das ganz offensichtlich vor mir. „Kann ich mehr Infos bekommen oder ist das so eine Art Wundertüte?“ Sie lachte laut auf und strich sich eine ihrer losen Strähnen hinters Ohr. „Er ist groß, aber kleiner als dein Vater.“ „Dad ist ja auch Riese. Er hätte Profibasketballer werden sollen, als er noch jung war.“ „Dazu hätte er in seiner Jugend den Korb mal treffen müssen. Oder den Ball fangen können“, sie machte eine kurze Pause und schien nachzudenken, „oder überhaupt sportlich sein müssen.“ Ich lachte. „Also, er ist groß. Was noch?“ „Dunkles Haar. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der solch gepflegtes Haar besitzt“, schwärmte sie. Wäre das hier ein Comic, würden ganz sicher tausend Herzen über ihrem Kopf aufblinken. Ob S‘ Haar wohl auch dunkel und gepflegt war? Als Anzugträger sollte man das ja immerhin haben. „Wie heißt er?“, fragte ich. „Das verrate ich dir nicht. Das nimmt den ganzen Reiz und die Aufregung!“ Ich rollte mit den Augen und blickte kurz auf die Uhr. Immerhin war ich seit zwei Stunden hier und ich fand, dass ich meinen Soll erfüllt hatte. Zwei Stunden waren immerhin 60 Minuten mehr, als meine Grandma aushielt. „Mom? Wo ist Grandma?“ Meine Mutter pustete entnervt die Luft aus ihren Lungen und stand auf, um den Tisch abzuräumen. „Sie ist spazieren. Mit Mr. Yamashida. Sie hat ihn beim Spaziergang mit Aiko im Park getroffen und jetzt hat sie ein Date.“ „Sie hat einen Mann kennen gelernt?!“ Ich schämte mich in diesem Moment in Grund und Boden. Meine 84-Jährige Großmutter schaffte das, woran ich kläglich scheiterte. „Später wollen sie noch essen gehen. Weißt du, deine Großmutter ist öfter draußen als du.“ „Mom!“ Nach weiteren zehn Minuten verabschiedete ich mich von ihr und machte mich auf den Weg nach Hause. Am Telefon war sie eindeutig besser zu ertragen, denn dort konnte ich mich nebenher noch auf andere Dinge konzentrieren. Dabei wollte ich viel mehr von meinem Blind Date erfahren. Wer wusste schon, was sich meine verrückte Mutter alles einfallen ließ? Sicher musste ich mir eine Rose ins Haar stecken. Oder war mein rosafarbenes Haar als Erkennungszeichen ausreichend? Als ich daheim ankam, musste ich enttäuscht feststellen, dass Ino schon wieder weg war. Sie war die Partymaus schlechthin. Manchmal fragte ich mich, wie wir zwei überhaupt so gute Freunde sein konnten. Wir waren wie Feuer und Eis. Ich schlüpfte aus meinen Schuhen und warf den Schlüssel auf das weiße Sideboard im Flur. Mein Weg führte mich in Inos Zimmer und ich öffnete den Kleiderschrank. Das war übrigens ihr heiliger Gral. Ich schob die Kleiderbügel von links nach rechts und betrachtete jedes einzelne Stück. Entweder es war zu bunt, definitiv zu klein oder aber viel zu freizügig. Aber Ino konnte ruhig zeigen, was sie hatte. Ich beneidete sie vor allem um ihre Oberweite. Mein Vorbau war im Vergleich zu ihrem klein. Ich schnappte mir das schwarze Chiffon Kleid mit den goldenen Zierstreifen auf den Schultern, das ich mir schon letztes Jahr zur Weihnachtsfeier von ihr geborgt hatte. Ich liebte dieses Kleid. Und ich sah wirklich heiß darin aus. Das grüne Kleid, das sie vor zwei Wochen gekauft hatte, warf ich kurzerhand zu meiner Auswahl aufs Bett. Es gesellten sich noch eine marineblaue Bluse, ein schlichter Pullover in Anthrazit und zwei Bleistiftröcke hinzu. Voll beladen stolzierte ich in mein Zimmer. Den Fundus an Schuhen wollte ich erst aufsuchen, wenn das Outfit stand. Mit einem lauten Seufzen schmiss ich die Klamotten auf mein Bett und zog noch einige meiner eigenen Lieblingsteile aus dem Schrank. Ich kratzte mein Kinn, während ich das Sammelsurium auf meinem Bett betrachtete. Herrje, ich konnte Ino gerade Konkurrenz machen, was die Auswahl an Kleidung für ein einziges Treffen anging. Und wenn ich daran dachte, dass Ino das jeden Tag machte, schauderte es mir. Kritisch zog ich wieder einige Teile vom Bett und platzierte sie auf dem Sessel. Mehrere Blusen, schwarz, weiß, cremefarben, und zwei Pullover, ein Bleistiftrock, zwei Flatterröcke und meine zwei einzigen Hosen, die schicker waren als Jeans. Das Chiffon Kleid hing ich vorsichtig an die Tür. Ich musste alles anprobieren, um sicherzustellen, dass mich Kleidungsstück A nicht wie eine Kartoffel aussehen ließ oder Auswahl B mir die Luft abschnürte, weil ich schon ein wenig dicker war, als meine beste Freundin. Mir entfuhr ein gequältes Stöhnen und ich ließ mich auf mein Bett fallen. Wenn man Ino Yamanaka mal brauchte, war sie nicht da. Ein Blick und zwei Handgriffe später läge mit Sicherheit das Outfit auf dem Bett. Vielleicht würde ich auch das Glück haben und morgen mit einer Grippe aufwachen. Ich startete meinen Laptop und spürte das freudige Kribbeln in meinen Fingern, als ich S online entdeckte. Ohne eine weitere Sekunde verstreichen zu lassen, rief ich ihn an. „Hi“, begrüßte er mich. Seine Stimme klang bereits fester als am Vortag. „Hey“, erwiderte ich vergnügt. Warum auch immer, aber es war ein Highlight für mich geworden, mich mit ihm zu unterhalten. „Hast du Zeit?“ „Nicht allzu lange.“ „Ich hab doch morgen das Blind Date.“ „Und?“ „Mal davon abgesehen, dass ich am liebsten nicht hin möchte und du eigentlich jemanden engagieren könntest, der mich morgen entführt… brauch ich ein Outfit.“ Ich hörte ihn seufzen und wie er einen Stift beiseite legte. „Du hast doch eine Mitbewohnerin.“ „Die ist nicht da.“ „Zieh etwas an, in dem du dich wohlfühlst.“ „Jogginghose und Schlabbershirt? Ich glaube kaum, dass ich damit begeistere.“ „Sakura, ich bezweifele, dass ich dir hierbei helfen kann.“ „Ach komm schon. Du bist doch ein Mann oder nicht?“ „Und?“ „Du musst doch dann am besten wissen, was Mann gerne an Frau sieht.“ Ein lautes Poltern ließ mich vor Schreck zusammen zucken und schon im nächsten Moment stand meine blonde Mitbewohnerin in meinem Zimmer. Ihre Wangen waren gerötet und ein breites Grinsen zierte ihr Gesicht. „Sakura-chan! Ich bin wieder da“, gluckste sie. Ich hasste es, wenn sie das chan in die Länge zog. „Du bist früh zurück“, bemerkte ich und schielte kurz zur Uhr. Ino fächerte sich Luft zu und warf sich neben mich aufs Bett. Ihre blauen Augen huschten kurz zu meinem Laptop. „Oh, hallo S“, kicherte sie und drückte ihr Gesicht ins Laken. „Es tut mir Leid. Meine Mitbewohnerin hat etwas zu viel getrunken. Ich ruf später nochmal durch. Ok?“ Ich hörte ein „Hn“ und schon war das Gespräch beendet. Etwas geknickt blickte ich auf den Klamottenberg und dann auf Ino. „Sag mal, wo ist Sai?“ Ino winkte ab und drehte sich auf den Rücken. „Noch feiern. Aber ich wollte dich holen, damit wir wie früher um die Häuser ziehen.“ „Ino, ich denke, du solltest eine kurze Dusche nehmen und dann ins Bett“, erwiderte ich und zog den Flatterrock unter ihrem Körper hervor. „Ich hab sowieso keine Zeit. Ich muss mein Outfit planen und eigentlich wollte ich noch etwas mit S reden.“ Ino schnaubte und rollte sich wieder auf ihren Bauch. „Du willst den Rock tragen?“ Ich zuckte mit den Achseln und griff nach dem schwarzen Pullover. „Zieh das Kleid an“, schlug sie vor. „Sei sexy. S würde sicher dasselbe sagen.“ Ohne weiter auf sie zu hören, probierte ich den Rock und den Pullover an. Wirklich komfortabel war es nicht. Ino kicherte laut und hüpfte vom Bett. Mit eiligen Schritten und lautem Glucksen ging sie an mir vorbei. Im Türrahmen blieb sie stehen, zwinkerte mir zu und hauchte ein: „Viel Spaß.“ Verwirrt hob ich meine Augenbraue und zupfte an dem Pullover, der sich wie ein Ganzkörperkondom anfühlte und kratzte. Ich hoffte weiterhin auf die Grippe und pustete eine Strähne von der Stirn. „Findest du das nicht zu eso-mäßig?“, erklang S‘ Stimme plötzlich. Ich zuckte zusammen und drehte mich um. „Was?“ Ein leises und amüsiertes Lang drang in meine Ohren. „Der Rückruf ging schneller als erwartet. Ich hätte nicht gedacht, dass deine Haare tatsächlich rosa sind.“ Dieses kleine Biest hatte tatsächlich den Video-Chat gestartet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)