Girls Girls Boys von Aoki ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ich beobachte ihn beinahe täglich bei den verschiedensten Dingen. Wenn er in der Cafeteria sitzt und mit seinen Freunden redet, wenn er im Sportunterricht den Saum seines Shirts nach oben zieht, um sich über seine Stirn zu wischen, wenn er sich heimlich mit seiner Freundin hinter dem Schulgebäude aufhält, um sie zu küssen – sogar, wenn er nach der Schule auf dem Parkplatz steht, um sich eine Zigarette anzuzünden. Ich bin da. Wie ein Schatten. Auch wenn er mich nicht sieht.   Ich war 14, als ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Er stand drüben auf der anderen Straßenseite vor seinem Haus, das meinem direkt gegenüberliegt. Er war gerade eingezogen, gemeinsam mit seinen Eltern und seinem großen Bruder. Und bereits vom ersten Moment an war ich fasziniert von ihm.   Mittlerweile sind drei Jahre vergangen und ich kann nicht sagen, dass sich an dieser Faszination etwas geändert hat. Manche würden es vielleicht sogar als Obsession bezeichnen, doch ich sehe das anders. Es ist eben schön, wenn man seine Gedanken mit etwas Erfreulichem füllen kann.   Richtig? Richtig. Und er ist all das, was meinen Verstand mit Euphorie erfüllt.   Wann genau ich damit angefangen habe, anders über ihn zu denken, kann ich gar nicht mehr bewusst sagen. Womöglich lag dieser Gedanke schon immer an einer Grenze, die sich irgendwann verwischt hat, um mit dem zu verschmelzen, was es heute ist.   Ich liebe ihn.   Und dabei habe ich noch nie ein Wort mit ihm gewechselt.   Ich weiß, wie seine Stimme klingt. Ich höre ihm oft zu, wenn er mit anderen redet. Er ist beliebt. Sogar äußerst. Ganz im Gegensatz zu mir. Was wahrscheinlich daran liegt, dass ich mich bewusst von anderen abgrenze. Menschlicher Kontakt ist anstrengend. Ermüdend. Und ich hasse dieses Schauspiel, das durch soziales Verhalten gefordert wird.   „Wie sieht es aus, bist du fertig?“ Ich blicke nach oben in das Gesicht meines Bruders, das mir ausdruckslos entgegenblickt. Auch ich habe einen älteren Bruder. Eine Gemeinsamkeit, die ich mit ihm teile.   „Ja.“   „Gut, ich werde in zehn Minuten losfahren. Sei bis dahin unten.“ Ich antworte ihm nicht, sondern nicke stattdessen und stehe dann von meinem Schreibtisch auf.   Das Objekt meiner Begierde wird wahrscheinlich jetzt erst aufstehen – er macht es immer so. Seit den zwei Monaten, die wir gemeinsam in eine Klasse gehen, war er nicht einmal pünktlich. Doch das stört mich nicht. Es macht ihn menschlicher. Greifbarer.   „Behalten Sie diese Variable im Blick.“ Der Lehrer führt seinen monotonen Unterricht, während ich damit beschäftigt bin, ihn zu beobachten. Es waren genau sieben Minuten, die er zu spät gekommen ist. Sieben Minuten, die mein Herz damit verbracht hat, erwartungsvoll höher zu schlagen, und als er dann völlig außer Atem in den Raum gerauscht kam – auf den Lippen ein schiefes, jedoch entschuldigendes Grinsen – wurde das Luftholen auch für mich schwer.   Er ist perfekt. So perfekt mit all seinen Fehlern.   Seine gerunzelte Stirn, die signalisiert, dass er dem Unterricht kaum folgen kann, seine Schneidezähne, die sich in seine Unterlippe bohren, weil er sich versucht zu konzentrieren; all das lässt ihn in meinen Augen noch schöner werden.             „Heh. Ich glaube, ich passe. Kakashi wollte noch mit mir über das Projekt reden.“ Auch jetzt lausche ich seiner Stimme. Er ist umringt von seinen Freunden, sitzt gemeinsam mit ihnen an einem Tisch in der Cafeteria. Seine Freundin hängt an seinem Arm, während er es gar nicht wahrzunehmen scheint.   Ich mag sie nicht. Das habe ich noch nie. Selbst als sie noch kein Paar waren konnte ich sie nicht ausstehen. Sie ist laut. Laut und gewalttätig. Sie passt nicht zu ihm. Sie ergänzen sich zu gut.   „Aww, Baby, du weißt, dass ich heute hingehen muss. Er droht mir schon wieder damit, dass ich aus dem Team rausfliege.“ Ungewollt schlägt mein Herz höher, als er diesen Satz ausgesprochen hat. Sie wollen ihm das nehmen, was er hier am liebsten hat?   „Sag ihm einfach, dass du dir einen Nachhilfelehrer suchst. Hat bei Ino auch geklappt. Natürlich müsstest du dann auch Extrastunden nehmen“, meint sie an ihn gewandt, und obwohl ich ihr Gesicht nicht sehen kann, stelle ich mir vor, dass sie lächelt.   Sie lächelt ihn an ... und er lächelt zurück.   „Sakura-chan, ich hasse Nachhilfe“, erwidert er niedergeschlagen und legt seinen Kopf dann auf der Tischplatte ab. Somit verwehrt er mir auch den Anblick auf sein hübsches Gesicht. Ich sehe nur, dass ihre Finger durch sein Haar fahren, seinen Kopf kraulen ...   Abrupt stehe ich auf und verlasse die Cafeteria, da diese Szene sich unangenehm auf meinen Körper auswirkt. Meine Hände sind klamm und mein Bauch schmerzt.   Vor allem bin ich jedoch wütend. Wütend, dass sie es ist, die das Privileg genießt, ihn anfassen zu dürfen. Und wütend darüber, dass er es so einfach zulässt.             Ich habe noch nie verstanden, wie Menschen ihre Stimmung gegenseitig so in die Höhe schaukeln können. Er prügelt sich. Bereits zum vierten Mal in diesem Monat. Sogar mit derselben Person, die es jedes Mal aufs Neue schafft, ihn soweit zu provozieren, dass er sich gehenlässt.   Eine Eigenschaft, die mir an anderen nicht sonderlich gut gefällt.   Auch an ihm nicht.   „Du dreckiger Bastard! Du hast überhaupt keine Ahnung!“, schreit er dem Jungen entgegen, ehe er seine Faust voller Wut in dessen Bauch rammt.   Schon alleine der Gedanke daran, von dieser Kraft getroffen zu werden tut weh.   „Auseinander! Ihr beide, sofort aufhören!“ Seine Freundin ist aufgelöst. Sie weint, während die Lehrer versuchen, das auf dem Boden herumwirbelnde Paar voneinander zu trennen.   Ich wette, morgen wird sein hübsches Gesicht von Blessuren gekennzeichnet sein.             „Kannst du dir vorstellen, dass er schon wieder gesagt hat, dass mein Schwanz klein ist? Was fällt dem Wichser eigentlich ein? Als ob er überhaupt ne Ahnung davon hätte.“   „Wahrscheinlich weil er dich immer nach dem Sport beobachtet, wenn du duscht.“   „Halt die Fresse! Moment, echt jetzt?“   „Ja, ich hab ihn schon ein paar Mal dabei erwischt.“   „Erzähl keinen Scheiß! Alter, das ist widerlich!“   Obwohl die Bibliothek ein Ort ist, der für gewöhnlich mit Ruhe gesegnet ist, ist es im Moment alles andere als still hier. Ich wundere mich, weshalb er überhaupt hier ist. Gemeinsam mit seinem besten Freund sitzt er an einem der Tische, keine drei Meter von mir entfernt.   Er ist nie hier. Warum also heute? Nicht, dass ich mich nicht darüber freue – der Muskel in meiner Brust schlägt schon seit geraumer Zeit schneller als gewohnt – doch was hat ihn hierher geführt?   „Wegen dem Bastard hab ich schon wieder einen Verweis kassiert! Ich schwör dir, wenn er noch einen Ton sagt, werd ich ihn in den Fluss werfen.“ Wie aggressiv er klingt. Es lässt mich automatisch denken, dass ich pervers bin, da es mich erregt.   „Haha, dabei würd ich dir sogar helfen! Aber mal ne andere Frage, warum haben wir uns eigentlich hier getroffen? Hast du Strafarbeit und musst recherchieren?“, fragt sein Freund, doch er schüttelt den Kopf und antwortet:   „Nein. Ich hab gehört, dass sich hier jemand rumtreibt, der mir mit meinem Problem helfen kann. Nur leider hab ich den Namen vergessen. Ich weiß nicht mal, wie er aussieht, dabei soll er in unsere Klasse gehen.“ Jetzt pocht mein Herz angestrengt.   „Ah, du meinst deinen Rauswurf aus dem Team.“   „Laber keinen Müll. Ich werde nicht rausgeworfen, weil ich mir von dem kleinen Nerd helfen lasse werde.“ Wen meint er damit?   „Pech nur, wenn du nicht mal weißt wie er aussieht oder heißt.“   „Ja Mann, Kakashi hat mir zwar den Namen gesagt, und dass er sich in den Freistunden öfter hier rumtreibt, aber den Namen hab ich leider wieder vergessen ...“   „Und was ist dein Plan?“ Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als er sich plötzlich umsieht. Er blickt genau in meine Richtung. Nein, er blickt mich sogar direkt an!   Oh Gott ... und wie er mich ansieht.   Warum steht er auf? Und warum kommt er direkt auf mich zu?!   Es rauscht in meinen Ohren, als er vor mir zum Stillstand kommt. Seine Lippen bewegen sich und trotz dieser Wunde, die seine Unterlippe ziert, sieht er atemberaubend schön aus.   Er spricht mit mir ...   „Alles okay bei dir?“ Seine Stirn ist gerunzelt, seine große Hand wedelt vor meinem Gesicht herum.   „Was?“, erwidere ich heiser, da seine gesprochenen Worte mit Verzögerung an meine Ohren gedrungen sind.   „Ich hab gefragt, ob alles okay bei dir ist. Du sahst irgendwie so aus, als wärst du weggetreten.“ Mein Nacken fühlt sich warm an.   „Alles okay.“   „Okay“, antwortet er und grinst mir dann entgegen. „Sag mal, du bist nicht zufällig in meiner Klasse?“ Dieser Idiot. Er bemerkt noch nicht einmal, dass sich diese Aussage geradewegs wie eine Kugel in meine Brust bohrt, denn er grinst noch immer.   „Bin ich. Ich sitze drei Reihen schräg hinter dir.“ Er sieht überrascht aus.   „Wirklich? Wieso hab ich dich noch nie gesehen?“ Vielleicht, weil du blind bist oder deine Aufmerksamkeit den falschen Leuten schenkst?, will ich sagen, doch ich presse nur die Lippen aufeinander.   „Zu viele Schüler?“, biete ich ihm stattdessen lahm an und er blinzelt.   „Was? Niemals! Du bist so auffällig!“ Jetzt beiße ich mir auf die Innenseite meiner Wange und spüre, dass meine linke Augenbraue verdächtig nach oben zuckt.   „Und weshalb?“ Sogar meine Stimme klingt anders. Kühler.   „Na-naja. Eh, also … weil du auffällst?“   „Definiere auffällig.“ Er runzelt wieder die Stirn.   Was denn? Überfordert dich dieses Wort etwa? Würde mich bei deinen Noten nicht wundern.   „Naja, du bist so ... ein Bücherwurm?“ Ich schnaube. Und das ist meine einzige Reaktion.   Wie kann er nur so grausam sein? Merkt er nicht, dass er mich mit solchen Aussagen verletzt? Ich bin ganz sicher kein Bücherwurm, nur weil ich in der Schule die meiste Zeit meine Brille trage.   „Hey, ich meine nicht die schlechte Art von Bücherwurm. Ich meine eher ... also-“   „Es gibt eine andere Art von Bücherwurm?“, unterbreche ich ihn und genieße es für einen kurzen Augenblick, ihn so zu sehen. Er sieht hilflos aus, so mit seinen Worten ringend.   Du Idiot …   „Ja! Ja, die gute Art von Bücherwurm, zu der du definitiv zählst! Du bist hübsch, deshalb bist du kein schlechter Bücherwurm und...-“ Ich habe das Gefühl, dass mein pochendes Herz stehenbleibt. Für einige Sekunden. Für einen Moment lang.   Er findet mich hübsch?   Jetzt brennen meine Wangen.   „Gott, ich rede mich hier um Kopf und Kragen! Was ich eigentlich sagen will – sorry, falls ich dich beleidigt hab – ich suche hier nach jemandem, der in meine Klasse geht und dazu in der Lage ist, mir Nachhilfe zu geben.“ Mir wird flau im Magen. Kann er wirklich mich meinen? Außer uns ist niemand hier – abgesehen von seinem besten Freund, und den kann Kakashi sicherlich nicht gemeint haben.   „Sasuke“, antworte ich ihm, nachdem er aufgehört hat, wild vor sich hinzureden und er blickt mich so an, als wären mir gerade graue Flügel aus dem Rücken gewachsen.   „Huh?“   „Ich heiße Sasuke.“   „Ah! Dein Name! Jetzt fällt es mir wieder ein! Sasuke Uchuhu?“ Mein Auge zuckt.   „Uchiha.“   „Cool! Ich bin Naruto!“ Er streckt seine Hand aus, wahrscheinlich, damit ich sie entgegennehme – was ich auch tue, nachdem mein zitternder Arm mir wieder gehorcht.   Ich weiß, wer du bist. Naruto Uzumaki. Naruto, der in dem Haus gegenüber von mir wohnt. Unsere Schlafzimmer sind auf derselben Höhe. Ich beobachte dich. Schon lange. Bei fast jeder Aktivität, die in deinem Zimmer stattfindet. Ich kenne dich. Ich kenne dich schon so lange. Auch wenn du mich nicht bemerkst.   „Sasuke“, erwidere ich und versuche dabei schief zu grinsen. Sieht wahrscheinlich seltsam aus. So seltsam wie es wahrscheinlich auch klingt, denn ich habe mich bereits vorgestellt.   „Heh, das sagtest du bereits.“ Auch er hat es bemerkt. Doch er schmunzelt. Und lässt dann meine Hand wieder los. Meine Finger kribbeln, ein Kribbeln, das meinen gesamten Arm hinaufzieht, über meinen Nacken kriecht und meine Kopfhaut streichelt.   Es ist der reinste Wahnsinn, was diese einfache Berührung in mir auslöst.   „Also, kannst du mir helfen?“, hakt er nach und zieht dann den Stuhl, der mir gegenüber steht nach hinten, um sich hinzusetzen. Mein Blick fällt nur kurz zu seinem besten Freund, der offensichtlich mit seinem Handy beschäftigt ist.   „Wobei?“, frage ich, als meine Augen wieder auf ihn treffen.   „Bei Geschäftsprozessen. Das ist so ein Scheiß-Fach, dass ich am liebsten im Dreieck kotzen will.“   Ich weiß, dass ihm dieses Fach nicht gefällt. Seine Qualitäten liegen eher im mathematischen Bereich – auch wenn man das womöglich nicht von ihm erwartet.   „Und Kakashi hat gesagt, dass du darin gut bist. Sogar einer der Besten – oh Mann, ich komm mir gerade so dumm vor. Wieso hab ich dich nie bemerkt? Seit wann gehen wir überhaupt in eine Klasse?“ 43 Tage. Vor 43 Tagen hat man mir dieses Geschenk gemacht, ihn noch außerhalb des Sportunterrichts oder der Pausen betrachten zu dürfen. Ich war glücklich. So glücklich ...   „Seit zwei Monaten.“   „Krass! Mit wem hängst du ab?“ Mein Kopf neigt sich leicht zur Seite.   „Mit wem ich abhänge?“ Er gestikuliert mit den Händen.   „Naja, du weißt schon, wer sind deine Freunde?“ Oh, das meint er also.   „Ich habe keine Freunde.“ Weil ich ein Misanthrop bin. Ich hasse menschlichen Kontakt. Für mich sind Interaktionen genau schön wie Wasser für Katzen.   Mit einigen Ausnahmen, so wie er eine ist.   „Kein Scheiß? Wieso nicht? Du scheinst doch voll in Ordnung zu sein!“ Wenn er nur wüsste. Der Psychologe meiner Mutter hat mich nach der zweiten Sitzung aus seiner Praxis geschmissen. Man könnte mir nicht helfen, hat er gesagt. Dabei wollte ich seinen Besseres-Leben Formeln wirklich eine Chance geben. Nicht.   „Warum grinst du?“, fragt er mich auf einmal und ich blinzle, da mir für kurze Zeit entfallen ist, dass der Mann meiner Träume direkt vor mir sitzt und mit mir redet.   Wir führen eine Konversation.   „Sasuke?“ Und auf einmal ist dieses Rauschen zurück. Es beeinträchtigt sogar meine Sicht. Mein Herzschlag steigt. Und mein Körper fühlt sich leicht an.   Er hat mich angesprochen. Von sich aus. Weil er meine Hilfe braucht. Er braucht mich. Mich!   „Hey, du bist auf einmal so blass, ist alles okay bei dir? Sasuke!“     Ich habe hyperventiliert. Und das geschätzte zwei Minuten lang. Meine Schläfe schmerzt und mein Magen fühlt sich noch immer flau an. Mein Blick fixiert die graue Decke der Krankenstation. Es ist so unsagbar peinlich. Nicht nur, dass es dumpf unter meiner Schädeldecke pocht, nein, ich habe mich auch noch unendlich vor dem Mann meiner Träume blamiert.   „Geht es dir schon besser?“, fragt die Krankenschwester, die an mein Bett herangetreten ist, und da ich mich nicht dazu in der Lage fühle, verbal zu antworten, nicke ich.   „Dein Klassenkamerad holt gerade eure Befreiungen. Hast du Schmerzen?“ Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Wer holt Befreiungen? Mein Blick fällt auf die große runde Uhr, die über der Tür der Station hängt. Ich habe noch zwei Stunden Mathematik. Um genau zu sein, sollte ich jetzt im Klassenzimmer sitzen.   „Sasuke?“ Wieder sehe ich die Krankenschwester an. „Geht es dir wirklich gut? Kannst du sprechen?“ Ich widerstehe dem Drang, meine Augen zu verdrehen.   Natürlich kann ich sprechen, du einfältiger Idiot.   „Mir geht es gut. Nur Kopfschmerzen“, erbarme ich mich zu sagen und richte mich dann auf, was im Nachhinein betrachtet keine gute Idee ist, denn der Raum fängt an sich um mich zu drehen.   „Du solltest dich noch ausruhen, zumindest solange, bis dein Klassenkamerad hier ist, um dich nach Hause zu bringen.“ Bestimmend drückt sie mich zurück in die modrig riechenden Laken des Betts.   Welcher Klassenkamerad? Meint sie Naruto? Mir wird warm bei dem Gedanken, doch ich schäme mich auch. Ziemlich sogar.   Ob er mich nun für einen Waschlappen hält?   „Sasuke!“ Ich schrecke zusammen, als er auf einmal neben dem Bett steht und mich besorgt mustert. „Geht es dir gut? Du bist vorhin einfach weggeklappt. Deine Brille ist dabei kaputtgegangen und eh ... es sah ziemlich schmerzhaft aus ...-“ Während er spricht, mustere ich ihn.   Gott, wie kann ein einzelner Mensch nur so schön sein? Seine blauen, strahlenden Augen, die mich ansehen, seine Lippen, die sich bewegen, die weißen Zähne, die sich dahinter verbergen, die feinen Narben auf seinen Wangen – Sechs Stück an der Zahl …   „Hörst du mir überhaupt zu?“   „Ja.“ Vielleicht. Ganz vielleicht.   „Gut. Wie geht es dir? Wenn es dir besser geht, werde ich dich nach Hause fahren.“   „Was?“ Vorsichtig richte ich mich wieder auf – dankbar darüber, dass der Schwindel sich nun in Grenzen hält.   „Nach Hause! Sicher, dass du dir nicht doch was Ernstes weggeschlagen hast?“   „Ziemlich sicher“, erwidere ich monoton. „Ich kann nur nicht nach Hause, weil ich noch zwei Stunden Mathe hab.“ Und nicht nur ich, sondern auch er.   „Egal! Du hast dich verletzt, also musst du dich ausruhen. Ist alles schon abgesegnet. Kakashi hat auch nichts dagegen, dass ich dich fahre, weil der Stoff ohnehin langweilig ist.“ Mein kleines, idiotisches Genie. Natürlich sagt er so etwas. Solche Sachen, die mein Blut dazu bringen, auf Hochtouren durch meinen Körper zu pumpen.           Etwa zwanzig Minuten später sitze ich auf dem Beifahrersitz seines alten Wagens. Das Radio ist an, sein Blick ist auf die Straße gerichtet, während ich versuche, unauffällig aus dem Seitenwinkel seine Bewegungen zu beobachten. Seine Finger tippen im Takt der Musik gegen das Lenkrad – sein Kopf wippt leicht auf und ab.   Dabei ist diese Musik schrecklich. Sie hört sich an wie Tafelkratzen. Viel zu rau.   „Gott, ich liebe diesen Song!“, sagt er und dreht die Musik dann lauter. Ich schweige lieber. Er würde mich ohnehin nicht hören. Außerdem ist es viel besser, neue Erkenntnisse in Stille zu verarbeiten.   Zwar keine Gemeinsamkeit, doch Gegensätze ziehen sich an. Stimmt´s? Ich wette, seine Freundin steht auf diesen Song. Auf diese Art von Musik, die absolut nichts von seinem Hörer fordert. Stumpf klingende Bässe, die den Körper dazu zwingen, Vibrationen in sich aufzunehmen.   „Wo wohnst du eigentlich?“, schreit er schon beinahe, ehe er an einer Ampel das Radio wieder leiser dreht.   Du bist schon wirklich ein Idiot, mh? Genauso ein großer Idiot wie ich selbst. Gut, ich habe die Ausrede, dass mich der flüchtige Körperkontakt, den wir vorhin, als du mich zu deinem Wagen geschleppt hast, so sehr aus der Bahn geworfen hat, dass mein Gehirn sich für kurze Zeit verabschiedet hat ... doch du?   „Fair View 890 B.“   „Waaaas?! Alter, du wohnst in meiner Straße! Ich wohne Fair View 888 A!“ Er sieht mich ungläubig an.   „Wirklich?“, erwidere ich dennoch, bemüht darum, überrascht auszusehen. Es klappt nur leider nicht so gut wie bei ihm, denn im Gegensatz zu mir muss er nichts vorspielen.   „Ja! Krass. Mann, das müsste“, er überlegt und zieht dabei seine Augenbrauen zusammen, ehe er den Gang einlegt, „das müsste direkt gegenüber von mir sein!“ Er spricht weiter. Erzählt, dass er es unfassbar findet, dass wir uns noch nie begegnet sind. Ich würde ihm gerne sagen, dass es seine Schuld ist, doch ich tue es nicht. Manchmal ist er eben Blind. Wie ein Pferd mit Scheuklappen. Zudem fährt er immer später zur Schule als ich. Und ich verlasse selten das Haus, sobald ich es einmal betreten habe.   „Shit Mann, Tatsache!“ Er hat vor meinem Haus geparkt und wird deshalb nachher wenden müssen. Vor seinem Zuhause sind nur noch zwei Parkplätze frei.   „Ja.“   „Mensch Sasuke, wir sind Nachbarn! Wo ist dein Zimmer?“ Wir steigen gemeinsam aus, bevor ich ihm diese Frage in Form von einer Deutung meiner Hand beantworte. Er blickt kurz hoch, dann sieht er zu seinem Fenster herüber.   „Krank! Dein Zimmer liegt sogar auf derselben Höhe, direkt gegenüber! Hast du mich schon mal gesehen?“   „Ich sehe dich jeden Tag.“ Mein Herz klopft schon wieder viel zu schnell.   „Nein, ich meine drüben! Kannst du in mein Zimmer schauen?“ Ich ziehe irritiert die Brauen zusammen. Natürlich nur gespielt, denn ich kenne die Wahrheit bereits.   „Warum sollte ich?“   „Aww, komm schon, wir sind Nachbarn! Und wir sollten definitiv was zusammen machen!“       Als ich abends im Bett liege, denke ich über seine Worte nach. Er will etwas mit mir unternehmen, abseits des Lernens, das ich ihm zugesichert habe, bevor wir uns voneinander verabschiedet haben.   'Vielleicht am Wochenende? Ich hab Konsolen und ne Menge Spiele. Dann können wir uns Samstag durch Zombies munchen. Hast du Bock?'   Wie hätte ich auch nein sagen können, nachdem er mich in sein Heiligtum eingeladen hat. An den Ort, den ich bisher nur sehnsüchtig aus der Ferne betrachtet habe.   In Gedanken male ich mir bereits mögliche Szenarien aus, die sich abspielen könnten.   Er und ich – gemeinsam auf seinem Bett.   Ich beiße mir auf die Unterlippe, da ich den weiteren Verlauf in meinem Kopf nicht mehr stoppen kann. So oft schon habe ich es mir vorgestellt. Und jetzt? Jetzt rückt dieser Traum näher. Er ist nur noch wenige Tage entfernt. Und innerlich fühle ich mich aufgekratzt. Die Wellen in meinem Gehirn tanzen frenetisch, übertragen wunderschöne Bilder. Unangemessene Bilder. Pixel. Ausschnitte. Dinge, die niemals eintreffen werden. Nicht, solange sie existiert. Doch selbst wenn es sie nicht gäbe, sind meine Chancen rein rechnerisch betrachtet gleich Null. Er ist nicht wie ich. Er steht nicht auf das gleiche Geschlecht. Seine Worte waren immer eindeutig, wenn es um dieses Thema ging.   'Ekelhaft'   'Widerlich'   'Abartig'   Er findet es krank. Er würde mich krank finden. Und deshalb darf er es niemals erfahren.                     „Lassen Sie uns über die Corporate Identity sprechen. Herr Inuzuka, was wissen Sie darüber?“   Der Unterricht am nächsten Tag zieht sich unendlich in die Länge, was nicht zuletzt an den Themen liegt, die der Lehrer vorführt. Dabei sind es immer dieselben Leuten, denen er dazu Fragen stellt.   „Keine Ahnung, ist ne Identität?“   „Und welche Identität?“   Weil unser Lehrer genau weiß, wer nichts weiß. Schon nach dem Voreinstufungstest hat sich deutlich herauskristallisiert, wer für das kommende Jahr mündlich einiges beizutragen hat. Zum Glück falle ich nicht in diese Kategorie. Eher im Gegenteil. Der Dozent blickt noch nicht einmal in meine Richtung, wenn er anfängt, Fragen zu stellen.   „Ja ,halt die Identität der Kooperation?“   „Herr Inuzuka, haben Sie sich überhaupt mit dem Thema befasst?“   „Jain?“   „Bis zum nächsten Mal möchte ich eine fünfseitige Ausführung über das Thema Corporate Identity und den Teilbereichen, die sich daraus ergeben. Das gilt für alle.“ Die Klasse stöhnt, doch unser Lehrer grinst nur. „Bedanken Sie sich dafür bei Ihrem Mitschüler, der mir gezeigt hat, dass selbstständiges Lernen in Ihrer Klasse scheinbar nicht funktioniert.“   Dank dem Idioten habe ich jetzt noch zusätzliche Arbeit.             „Mann, du bist so ein blöder Penner, warum hast du nicht gelernt? War doch klar, dass er wieder abfragt.“ Während sich Kiba den Schlägen der Mädchen aussetzt, die gemeinsam mit ihm am Tisch sitzen, beobachte ich Naruto, der genervt zu sein scheint. Wäre ich an seiner Stelle vermutlich – nein, mit ziemlicher Sicherheit auch, denn die Stimmen der Weiber kratzen unangenehm im Gehörgang.   „Beruhigt euch mal, ihr wärt genauso aufgeschmissen gewesen.“ Ich finde es schön, wie er sich für seine Freunde einsetzt, auch wenn er sich mit dieser Aussage keinen Gefallen tut, denn die Hyänen stürzen sich sofort auf ihn.   Das sind solche Momente, in denen ich mir wünsche, dass Blicke töten können. Wie können sie es nur wagen, ihn zu schlagen? Nicht einmal seine Freundin unternimmt etwas dagegen – sie lacht nur. Sie ist so unnütz. Für nichts zu gebrauchen.   „Ah, hört auf, ich hab nachher noch Training!“, fleht er beinahe, doch sie hören nicht auf, sondern beschimpfen ihn noch zusätzlich, während sich spitze, falsche Fingernägel in seine Seiten bohren. Dabei sind die Verletzungen, die er von der gestrigen Schlägerei davongetragen hat, noch sichtbar – zumindest die in seinem Gesicht, - und mit Sicherheit sind sie auch schmerzhaft.   Schnaubend wende ich den Blick von ihm ab. Wenn ich es mir recht überlege, hat er diese Spitzen im Moment verdient. Verdient dafür, dass er bereits heute wieder vergessen hat, dass ich existiere. Nicht eines Blickes hat er mich gewürdigt. Nicht einmal, als seine Augen heute morgen nach dem Zuspätkommen durch den Raum gewandert sind.   Unsensibler Idiot …           Ich mag Freistunden. Sie lassen mich das erledigen, was während des Unterrichts zu viel Zeit kosten würde. Die Bibliothek ist der perfekte Ort dafür, schlampige Notizen neu aufzusetzen, damit der Stoff sich besser festigen kann. Nebenbei lerne ich auch noch neue Dinge zu Themen, mit denen sich die Klasse bald befassen muss. Auch Strafarbeiten lassen sich so wunderbar erledigen.   „Buh!“ Mit einem erschrockenen Laut fahre ich herum und blicke geradewegs in Narutos grinsendes Gesicht. Er steht direkt hinter mir. Wann ist er hier reingekommen? Normalerweise hätte ich ihn sehen müssen. Ich sitze direkt neben der Tür … Und warum gluckst er so blöd?   Mein schneller Herzschlag ist nichts im Vergleich zu flatterhaften Gefühl in meinem Bauch.   „Warum schleichst du dich an?“, brumme ich und bin erstaunt, wie neutral meine Stimme klingt. Dabei bin ich alles andere als neutral, wenn es um ihn geht.   „Ich hab dich gesucht und dachte mir, dass du vielleicht hier bist“, erwidert er und zieht dann den Stuhl, der neben mir steht, nach hinten, um sich zu setzen. „Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht Lust hast, mit mir zu lernen?“   Lernen? Nur das? Ich will viel mehr mit dir tun, als nur das …   Ich räuspere mich und kämpfe gegen das warme Gefühl in meinem Bauch an, ehe ich ihm antworte:   „Was genau willst du lernen?“ Er blinzelt, dann grinst er.   „Na Geschäftsprozesse. Du weißt schon, das Fach, in dem ich abkotze.“   „Abkotze“, wiederhole ich leise. Seine Ausdrucksweise fasziniert mich mindestens genauso sehr, wie sie mich abstößt.   „Jaha. Ich kotz richtig ab. Vor allem, weil Kiba uns ne Scheiß-Strafe eingehandelt hat. Hast du dazu schon was geschrieben?“ Er greift einfach nach meinen Notizen, ohne mich vorher zu fragen, ob es mir überhaupt passt.   Dieser Tölpel.   „Hab ich.“   „Mhmh“, er blickt konzentriert auf meine Schrift, „ich seh´s. Sieht kacke aus. Und viel zu kompliziert. Corporate Design. Wie viel Seiten kannst du dazu bitte schreiben?“   Ich verdrehe die Augen. „Eine Menge. Du kannst noch viel mehr als fünf Seiten zu dem Thema schreiben, wenn du dich mit der Materie befasst.“   „Woah, Sasuke, du klingst wie Ebisu. Das Thema ist doch völlig langweilig! Wer braucht das später überhaupt?“   „Menschen, die sich für die Wirtschaft interessieren“, erwidere ich trocken und ziehe ihm meine Unterlagen wieder weg. Wenn er es nicht wertschätzt, dann … dann muss er es ja nicht lesen. Er blickt für mich einen Moment lang von der Seite an und sieht dabei ziemlich ernst aus. Habe ich etwas Falsches gesagt? Stört es ihn, dass ich ihm meine Notizen weggenommen habe? Zusätzlich zieht er noch eine Augenbraue in die Höhe.   „Du hast eine neue Brille“, sagt er dann, völlig aus dem Zusammenhang gerissen und tippt mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand gegen das schwarze Gestell, direkt neben meiner Schläfe.   „Die Andere war kaputt.“   „Mhh.“ Er sieht mich noch zwei, drei Sekunden lang an, dann seufzt er und legt seinen Kopf auf der Tischplatte ab. Was ist mit ihm los? Und was war das für ein Moment zwischen uns? Er verhält sich seltsam. Anders als gewohnt. Nachdenklicher. Es verwirrt mich. Dieser Stimmungsumschwung. Er regelt auch nicht die Nervosität, die ich in seiner Präsenz verspüre. Eher im Gegenteil. Seine Art lässt mich unsicherer werden. Mehr als ich es ohnehin schon bin.   „Ich weiß echt nicht, wie ich das alles schaffen soll“, murmelt er leise und schließt dabei die Augen. „Ich hasse dieses Fach so sehr, dass mich schon der Gedanke daran abturnt, irgendwas darüber zu hören.“   „Aber es ist wichtig“, argumentiere ich dagegen, obwohl ich mir gar nicht sicher bin, ob er es überhaupt hören will. Er sieht jedenfalls nicht danach aus.   „Ist es nicht. Wichtig ist, dass man das tut, was man wirklich liebt und worin man gut ist. Nur darauf kommt es an. Egal, was andere dazu sagen. Und wenn du wirklich gut bist, dann kannst du alles schaffen.“ Jetzt fixieren mich seine blauen Augen wieder und ich bilde mir ein, dass sie noch heller strahlen als üblich.   „Wunschdenken“, antworte ich, unfähig, meinen Gedanken für mich zu behalten. Er hat eine naive Sicht, Dinge zu betrachten. Die Welt funktioniert nicht so, wie er sie sich zeichnen will. Das wird sie nie.   „Wünsche können in Erfüllung gehen“, sagt er grinsend und richtet sich dann wieder auf. „Glaub mir, Wünsche und Träume sind dazu da, um verwirklicht zu werden. Man muss sich nur trauen.“   „Und doch bist du hier, weil du mit mir lernen willst.“   „Pfff.“   Ich schüttle schmunzelnd den Kopf. Dieser kleine Idiot.   „Ich muss lernen, weil meine Eltern mir sonst was aufreißen, okay? Aber sobald ich die Schule fertig hab, werd ich mein eigenes Ding durchziehen.“   „Aha? Und was ist dein eigenes Ding?“ Es kribbelt angenehm in meinem Bauch. Voller vorfreudiger Erwartung darüber, was er mir erzählen könnte. Auch wenn seine Vorstellungen wahrscheinlich, nein, mit ziemlicher Sicherheit an Utopie grenzen – sie interessieren mich. Seine Wünsche, seine Träume; ich will alles von ihm wissen.   Leider hält ihn das Klingeln seines Handys davon ab, mir eine Antwort zu geben. Er beachtet mich schon gar nicht mehr, als er das schwarze Stück Plastik aus seiner Jacke zieht, um den Anruf zu beantworten.   „Hey Babe.“ Unwillkürlich spannt sich mein Kiefer an. Warum stört sie uns?   „Nein, ich bin mit Sasuke in der Bibliothek. Mh. Was? Mit Sasuke. Dem Nerd“, er sieht mich dabei entschuldigend an, „der mit uns in die Klasse geht. Ich wollte lernen.“ Mit jedem weiteren Wort, das aus seinem Mund dringt, verfinstert sich meine Miene. Meine Laune sinkt, Silbe für Silbe.   Er will gar nicht hier sein. Seine Art zu sprechen verrät ihn. Das hier ist Pflicht. Ein Programm, das absolviert werden muss. Und ich soll ihm dabei helfen. Dabei bedeute ich ihm nicht das Geringste. Meine Anwesenheit ist nur so lange wichtig, bis er den Stoff verstanden hat.   Während er weiter mit ihr spricht, packe ich meine Tasche. Stopfe achtlos die vorhin so sauber geschriebenen Blätter in den Rucksack, weil hässliche Wut meine Zellen flutet.   Ich bin ihm nicht wichtig. Ganz egal bin ich ihm. Nur sie zählt.   Sasuke – der Nerd. So hat er mich genannt.   „Ich ruf dich später wieder an, okay? Ich will erstmal mit Sasuke das Programm besprechen.“ Er sieht mich fragend an, als er auflegt.   „Was ist los? Warum packst du?“   „Weil ich noch etwas zu tun hab. Weißt du, Naruto, ich glaube, ich bin nicht der Richtige dafür.“   „Hä?“   „Mit dem Lernen“, meine ich, während ich nebenbei mein Zeug weiter einräume. Ich will hier raus. Weg von ihm und dem Gedanken, nur benutzt zu werden.   Es ist mir nicht recht. Ganz und gar nicht.   „Aber du hast doch schon zugesagt.“   „Hab ich“, sage ich und schließe dann meinen Rucksack. „Allerdings denke ich, dass das nichts wird. Ich kann dir nichts beibringen. Ich bin nicht gut in sowas.“   „Aber du hast es doch gar nicht probiert! Hey“, meint er und greift nach meinem Handgelenk, als ich aufstehe.   Warum berührst du mich, du Idiot?   „Hey, Sasuke. Hab ich irgendwas gesagt, das dich verletzt hat? Das mit dem Nerd?“   Und wie, du Idiot. Es tut weh. Sehr sogar. Allerdings sage ich nichts, sondern drehe den Kopf zur Seite und presse die Lippen aufeinander, während ich mich darauf konzentriere, mich nicht darauf zu fixieren, dass seine Finger über mein Handgelenk streifen.   „Das hab ich nicht so gemeint ...“, haucht er. „Das war nur, weil Sakura-chan … naja, weil sie nicht weiß, wer du bist … und ich dachte“, druckst er herum, und streichelt im selben Moment über meine Haut.   „Lass gut sein“, brumme ich und entziehe mich seinem Griff.   Als ich ihn wieder anblicke, merke ich, dass ich ihm gar nicht böse sein kann. Nicht, wenn er mich so reumütig ansieht.   „Hast du deine Unterlagen mit?“, frage ich nach und setze mich wieder neben ihn. Zwar mustert er mich noch einen Moment lang mit ernster Miene, doch dann nickt er und greift neben sich, um seinen zerschlissenen Rucksack zu öffnen.   „Ich hab keine Ahnung, was heute Phase war … deshalb dachte ich, wir können vielleicht da anfangen?“           Ich hätte es mir schlimmer vorgestellt. Wirklich. Ich dachte, dass es womöglich nicht in meiner Macht liegt, ihm Wissen zu vermitteln, doch mit der richtigen Herangehensweise war es einfach.   'Du machst das viel besser als Ebisu! Was willst du später mal werden? Lehrer?'   Ich schnaube erneut bei der Vorstellung an diese Frage. Lehrer? Ich? Niemals. Ich hasse Menschen. Und ihnen etwas beizubringen liegt nicht in meinem Interesse. Gut, Naruto ist die goldene Ausnahme, und das soll auch so bleiben.   'Steht das mit dem Wochenende noch? Freitag will ich mit Sakura-chan ins Kino, aber Samstag hätte ich Zeit.'   In was für einer grausamen Welt ich eigentlich lebe wird mir bewusst, als ich darüber nachdenke, wie oft er sie während des Lernens erwähnt hat. Sakura-chan hier, Sakura-chan da. Was ist so besonders an diesem Mädchen? Sie war in den ganzen Monaten, die sie mit ihm zusammen ist, vielleicht sechs oder sieben Mal in seinem Zimmer … und Sex hatten sie dort auch nicht. Also, was ist es? Nicht, dass ich sie überwacht hätte. Gut, ein wenig vielleicht. Doch was zum Teufel ist es, das sie in seinen Augen so besonders werden lässt? Sie sieht gewöhnlich aus. Hat nicht unbedingt eine weibliche Figur und verhält sich auch alles andere als ein fraulich. Höchstens wie eine Furie. Eine markante Furie, die bei jeder Kleinigkeit sofort an die Decke geht.         Ich bin nervös. Aufgekratzt. Und obwohl man immer sagt, dass die Zeit langsamer voranschreitet, sobald man sich auf ein bestimmtes, in der Zukunft liegendes Ereignis freut, sind die letzten Tage für mich verflogen.   Zwischen gemeinschaftlichem Lernen in der Bücherei, dem gewohnten Starren im Unterricht und dem neu eingeführten Grüßen, wenn man sich zufälligerweise – gut, für mich eher geplanterweise – auf dem Flur begegnet, habe ich von Naruto nicht wirklich viel gesehen. Zwar mehr als vorher, wenn man den Kontakt des Lernen zu meiner Rechnung addiert, doch immer noch zu wenig, um mich darauf vorzubereiten, dass ich heute mehrere Stunden mit ihm verbringen werde. In meiner Freizeit. Außerhalb der Unterrichtszeit.   Uneingeschränktes Fokussieren, das mir verwehrt bleiben wird, weil ich mich sonst zu auffällig verhalte.   „Sasuke, dein Vater und ich haben uns überlegt, dass die Universität in ...-“ Meine Mutter spricht mit mir, während mein Vater sein Gesicht hinter der Zeitung vom heutigen Tag versteckt. Das Frühstück, gepaart mit langweiligem Smalltalk, ist ein Ritual, das sich jedes Wochenende wiederholt. Doch ich kann den gesprochenen Worten kaum folgen, und ehrlich gesagt, sie interessieren mich auch nicht. Nicht im Moment, da ich damit zu beschäftigt bin, meinen Magen davon zu überzeugen, sich nicht ständig zu verkrampfen.   „Sasuke, hörst du mir überhaupt zu?“ Ich blicke meiner Mutter entgegen, sehe in ihre dunklen Augen, gerade in dem Moment, als mein Vater seine Zeitung zusammenfaltet und beschließt, mich zu mustern. Mit einem strengen Blick, wie ich aus dem Augenwinkel wahrnehme.   Mein Bruder hingegen isst ungerührt weiter.   „Tut mir leid, ich war in Gedanken“, rechtfertige ich mich wie gewöhnlich, wenn eine Konversation nicht zu der Zufriedenheit meiner Eltern verläuft. Dabei ist es unnötig. Sie werden meine Antwort ohnehin in Einzelteile zerlegen und so noch mehr Rechtfertigung fordern.   „Aha“, meint meine Mutter bedient.   Wenn ich jetzt rückwärts zählen würde, Ziffer für Ziffer.   „Deine Mutter hat gerade etwas Wichtiges angesprochen. Gibt es einen Grund, weshalb du der Meinung bist, nicht zuhören zu müssen?“   Ja, es gibt viele Gründe. Tausende. Doch ich spreche keinen einzigen davon laut aus.   „Nein. Es tut mir leid.“ Stattdessen folgt eine weitere Entschuldigung.   „Das ist keine akzeptable Antwort.“ Die natürlich nicht ausreichend ist.   „Okay“, erwidere ich und blicke meinem Vater entgegen, dessen Kiefer sich anspannt. Er ist wütend. Vielleicht sogar zurecht, denn bisher habe ich es noch nie gewagt, ihm auf diese Art und Weise zu antworten.   Doch manchmal müssen diese Gefühle nach draußen. Egal wie gleichgültig sie sind. Denn so fühle ich im Moment. Es ist mir egal, was sie von mir denken.   „Ich möchte, dass du dich erklärst“, bringt er bemüht ruhig hervor, doch an seinen Augen erkenne ich, dass er innerlich tobt. „Ich möchte, dass du mir dieses Verhalten erklärst, Sasuke.“ Dass er zusätzlich meinen Namen nennt, bedeutet nichts Gutes.   „Ich habe nicht zugehört.“   „Das macht es nicht besser“, erwidert er streng und legt seine Zeitung zur Seite, neben seinen Teller, auf dem zwei Hälften eines Brötchens liegen. Sie sind mit Marmelade bestrichen. Dunkler, nicht unbedingt süßer Marmelade, die nur er gerne isst.   „Ich weiß. Aber ich war in Gedanken. Deshalb habe ich nicht zugehört.“ Meine Mutter atmet hörbar ein und ich bin mir sicher, dass sie geschockt aussieht, doch ich fixiere nach wie vor meinen Vater, dessen Nasenflügen sich aufblähen.   „Und was beschäftigt dich so sehr, dass du es nicht einmal schaffst, deiner Mutter zuzuhören?“   Er.   Immer nur er. All die Jahre über. Und jetzt verdrängt er eurer langweiliges Gewäsch noch besser. Ich sehe ihn. Rede mit ihm. Ich habe ihn berührt. Deshalb. Deshalb interessiert ihr mich noch weniger als zuvor.   „Die Schule.“ Eine ruhig ausgesprochene Halbwahrheit, die ich ihnen vor die Füße werfe, damit das Thema in eine andere Richtung verlaufen kann.   „Hast du Probleme mit dem Unterricht oder den Aufgaben?“, schaltet sich jetzt meine Mutter ein und ich wage es, mich ihr zu widmen, indem ich meine Augen ganz langsam zu ihr wandern lasse.   „Unser Lehrer hat mir einen Nachhilfeschüler zugeteilt, der schlecht in unserem Hauptfach ist. Und ich habe mir überlegt, wie ich ihm helfen kann.“   Innerlich habe ich den Drang zu grinsen. Denn eigentlich bin ich es es, der Hilfe braucht. Hilfe, um von hier zu flüchten.   „Oh“, die Miene meiner Mutter hellt sich augenblicklich auf, „das ist wirklich etwas, worüber man nachdenken sollte.“   Ich höre meinen Vater brummen. Es klingt dabei weder nach einem zustimmenden noch nach einem ablehnenden Brummen, doch ich blicke ihn an.   „Wenn dich dieser Schüler so sehr ablenkt, dass du unseren Gesprächen nicht folgen kannst, muss ich dann auch davon ausgehen, dass sich das auf deine Noten auswirken wird?“   „Nein, Sir.“ Ein schiefes, halb unterdrücktes Schmunzeln schleicht sich bei meiner Aussage über seine Lippen.   „Das hoffe ich.“ Er greift nach seiner Zeitung und entfaltet sie wieder. „Und zur Strafe, dass du dich im Ton vergriffen hast, wirst du heute sämtliche Hausarbeiten übernehmen.“ Damit ist das Thema erledigt. Jetzt folgt nur noch der Abschluss. Meine Mutter wird reden – und ich höre zu.         Was meine Laune nicht unbedingt steigert sind Dinge, deren Ausführung ich verabscheue. Entkalken, Saugen, Sprühen, Spülen. Immer und immer wieder im Wechsel. Ich hasse diese Aufgaben. Und die Anerkennung, die meine Mutter verdient, weil sie jeden Tag diese Arbeiten für uns erledigen muss.   „Wenn du weiter darüber kratzt, wird Mum dir die Haut abziehen.“ Ich halte in meiner Bewegung inne, als ich die Stimme meines Bruders hinter mir vernehme. Nur kurz sehe ich zu dem Fleck, der sich seit einer gefühlten Stunde immer noch an derselben Stelle befindet, ehe ich über die Schulter hinweg zu Itachi blicke. Er schmunzelt.   „Was ist?“, frage ich, während ich mich zeitgleich aufrichte und kurz meine Schultern zurückwerfe, da das Shirt, das ich trage, viel zu weit ist.   „Ich wollte dir nur sagen, dass Mum und Dad jetzt weg sind, du kannst also damit aufhören, imaginären Dreck zu putzen.“ Ich runzle die Stirn.   „Wo sind sie hin?“ Und Itachi schmunzelt erneut.   „Irgendein Termin bei einem Klienten und danach ein wichtiges Dinner“, er wedelt abwertend mit seiner Hand, „das wohl vorverlegt wurde.“ Er tritt näher an mich heran. „Wir haben also sturmfreie Bude und unsere Ruhe.“ Jetzt legt sich auch auf meine Lippen ein kleines Lächeln.   „Ich bin nachher nicht da.“ Er hebt eine Augenbraue an, mit einem Blick, der mir signalisiert, dass er mehr wissen will. „Ich bin mit einem Freund verabredet … zum Lernen.“   „Ich wusste gar nicht, dass du auf Männer stehst.“ Schockiert reiße ich die Augen auf.   „Itachi! Das stimmt gar nicht!“ Er gluckst, ehe er noch einen Schritt auf mich zukommt und mir gegen die Stirn schnippt.   „Ist schon gut, Sasuke. Ich wusste es bereits.“ Mein Nacken wird warm.   „Das stimmt nicht! Er ist nur ein Klassenkamerad! Ich soll ihm beim Lernen helfen! Das ist alles.“   „Und das dubiose Paket, das du vor einem Jahr auf meine Kreditkarte bestellt hast?“ Jetzt glühen meine Wangen. Er hat mich eiskalt erwischt. Und doch habe ich das Gefühl, vor Scham zu verbrennen.   „Du spinnst doch. Das war ein Buch …“   „Sexy Pleasures. Interessantes Buch.“   „Itachi, bitte …“   „Megalo-Vibroei, Spirit Lifter 20 cm ...“, spricht er weiter und ehe ich mich versehe, landet meine flache Hand auf seinen Lippen. Seine Augen weiten sich nur für einen Augenblick, ehe sich Falten darum bilden. Er grinst.   „Das waren Bücher …“, hauche ich, wohlwissend, dass er diese Lüge bereits durchschaut hat, bevor ich sie geäußert habe.   Er hat Recht. Vor einem Jahr – es war ein langweiliger Abend, Naruto war unterwegs und ich hatte nichts zu tun – habe ich meinen Laptop für andere Dinge benutzt als zu recherchieren … und dabei bin ich auf diverse Seiten gestoßen. Seiten, mit denen ich mir die Zeit vertrieben habe. Und jeder weiß, wie das mit dem Netz ist. Ist man einmal drin, hört man meistens nicht damit auf, nach weiteren Dingen zu suchen. So wie auch an diesem Abend, an dem ich mich dazu entschlossen hatte, etwas auszuprobieren. Dabei spreche ich nicht von Masturbation. Nein. Ich war auf einer dubiosen Seite, um mir Geräte zu bestellen, die manch ereignislose Abende zu welchen gemacht haben, an die ich mich gerne erinnere.   Doch mit 16 Jahren hat man keine Kreditkarte. Ganz im Gegensatz zu meinem älteren Bruder, der seine schon seit vier Jahren besitzt und selten nutzt.   Also dachte ich … ich dachte, es würde nicht rauskommen, wenn ich mein Taschengeld, nachdem ich die Bestellung getätigt hatte, auf sein Kreditkartenkonto überweisen würde.   Angewidert ziehe ich meine Hand zurück, da Itachis Zunge meine Handfläche berührt hat.   „Ich hätte zwar auch gerne darauf verzichtet, doch da ich ungern ersticken wollte ...-“   „Wirst du es Mum und Dad sagen?“, unterbreche ich ihn stattdessen und drehe nebenbei den Wasserhahn auf, um meine Hand zu waschen.   Wenn er es ihnen sagt, wird mein Tod ein grausamer sein. Selbst wenn die Chance besteht, dass sie es akzeptieren, ich würde auf der Stelle sterben.   „Nein. Ich halte schon seit einem Jahr dicht, vergessen?“   „Und was willst du dafür?“   „Nichts. Es ist deine Sache. Solange du immer schön bezahlst was du bestellst …“   „Mhh.“   „Also, wer ist der Glückliche?“   „Itachi, können wir bitte nicht darüber sprechen?“   „Warum? Ist es dir peinlich?“   Peinlich ist nicht der richtige Ausdruck dafür. Dieses Gespräch weckt nur eine gewisse Todessehnsucht in mir. Wenn ich jetzt aus dem Fenster springen würde …   „Nein. Ich will nur nicht darüber reden. Bitte.“ Nachdem ich der Meinung bin, dass meine Hand von Itachis Spucke befreit ist, stelle ich das Wasser wieder ab und trockne meine Finger an dem blauen Handtuch, das an der Wand hängt.   „Okay.“     Als mein Bruder das Badezimmer verlassen hat, verharre ich noch einige Minuten hier, um mich von dem Schock der Offenbarung zu erholen. Es ist meine Schuld, keine Frage. Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Nach einer anderen Lösung suchen müssen, um an die gewünschten Sachen zu kommen.   Wie konnte ich auch nur davon ausgehen, dass diese Bestellung unentdeckt bleibt?   Seufzend verlasse ich ebenfalls das Bad, nachdem ich die Putzutensilien an ihren Platz verfrachtet habe, um in mein Zimmer zu gehen und mich umzuziehen.   Es ist bald soweit. In einer halben Stunde. Die verdammt schnell vorbeigeht, wie ich mit Schrecken feststelle, als ich das nächste Mal auf die Uhr blicke.   Dabei habe ich mich gerade erst für ein Outfit entschieden, das ich jetzt schleunigst anziehe, um nicht doch noch zu spät zu kommen.   „Bis später“, rufe ich oben in den Flur, hoffe jedoch darauf, dass Itachi sich nicht mehr blicken lässt. Die Treppe nach unten sprintend, blicke ich noch einmal kurz in den Spiegel, der neben der letzten Stufe hängt und verlasse dann das Haus.   Jetzt muss ich tief durchatmen. Es ist alles gut. Es wird nichts passieren, das schlimm für mich wäre. Einfach nur ein Treffen unter Schulkameraden. Das tun normale Jugendliche. Sie tun es ständig. Sich treffen …   Noch ein letzter, tiefer Atemzug, dann überquere ich die Straße und richte meinen Fixpunkt auf den kleinen Knopf, den ich betätigen muss, damit Naruto weiß, dass ich angekommen bin.   Will ich das überhaupt?   Bin ich wirklich dafür bereit?   Nein. Nein, das bin ich nicht. Doch wenn ich mich jetzt nicht traue, wann dann? Es wird alles gutgehen. Alles ist gut. Es ist nur ein-   „Willst du zu uns?“ Blinzelnd blicke ich nach oben. Durch das Fixieren der Klingel ist der Rest meines Umfeldes verschwommen – ich habe nicht einmal mitbekommen, dass jemand die Tür geöffnet hat. Ein Mann in Uniform, bei näherer Betrachtung nicht nur irgendein Mann, sondern Narutos großer Bruder.   „Ja.“ Bei meiner Antwort runzelt er die Stirn. Was auch völlig verständlich ist. „Ich wollte zu Naruto“, füge ich hinzu und hoffe, dass seine grünen Augen damit aufhören mich zu durchleuchten.   „Aha. Bist du ein Freund von ihm?“   „Klassenkamerad.“ Er tritt zur Seite und nickt mit seinem Kopf, signalisiert mir so, dass ich eintreten soll.   „Warum hab ich dich noch nie hier gesehen?“ Weil ich ein Einsiedler bin?   „Ich wohne gegenüber.“   „Seit wann?“   „Seit ich denken kann.“   „Und du gehst mit ihm in eine Klasse … wie habt ihr euch kennengelernt? Bist du der Typ, der meinem Bruder Wissen einprügeln soll?“   Er ist Polizist. Das ist mir bewusst. Und diese Erkenntnis liegt nicht an der Tatsache, dass er eine Uniform trägt, sondern viel mehr an der Art und Weise, wie er versucht mich mit seinen Fragen zu löchern.   „Mein Name ist Sasuke … und ja, ich helfe Naruto bei ein paar Projekten.“   „Projekte nennt man das also heutzutage.“ Ich runzle die Stirn. Dass er jetzt auch noch schmunzelt, irritiert mich zusätzlich.   „Sasuke!“ Ich zucke minimal zusammen, da Narutos Stimme mich überrascht. Und seine Hand, die auf meiner Schulter landet, lässt mich halb erstarren. Langsam drehe ich meinen Kopf zur Seite, versuche so gut es geht gelassen zu wirken, auch wenn ich innerlich rotiere.   „Hey.“ Wirklich. Ein besserer Einstieg ist mir nicht eingefallen? Ich bin enttäuscht von dir, Gehirn.   „Na, hast du gut hergefunden? Hat dich mein Bruder genervt?“ Seine Finger verschwinden wieder von meiner Schulter, stattdessen boxt er mir leicht gegen die Rippen. Er grinst, er riecht gut. Und er sieht so verdammt schön aus.   „Ja …“, erwidere ich, und erst als ich das Räuspern von Narutos Bruder vernehme, wird mir bewusst, dass ich gerade der Aussage zugestimmt habe, genervt worden zu sein. Naruto hingegen lacht nur.   „Ich werde jetzt gehen. Bleibt safe, Jungs.“ Abrupt verstummt die Stimme meines blonden Idioten. Er sieht angewidert aus. Und vorsorglich richte ich meinen Blick auf seinen Bruder, der grinsend seine schwarzen Schuhe schnürt.   „Als ob. Du bist doch der Fag in der Familie. Bleib du lieber safe“, zischt Naruto und ich kann gar nichts dagegen tun, dass sich meine Augen weiten.   Sein Bruder ist schwul?   „Jaja. Also, bis später ihr kleinen Scheißer.“ Der Mann verschwindet, ohne noch weiter auf Narutos leise Fluchwörter einzugehen und schmeißt stattdessen die Tür hinter sich ins Schloss.   Okay?   „So eine dreckige Schwuchtel … immer mit seinen Scheiß-Kommentaren. Kannst du dir das vorstellen?“ Ich spüre Narutos Blick auf mir und drehe meinen Kopf wieder zur Seite, versuche dabei aber, nicht direkt in seine Augen zu sehen und lächle schief.   „Mhh, klingt ätzend.“   „Ätzend? Ständig haut er so ne Scheiße raus! Ich hasse es. Du müsstest mal sehen, wie er abgeht sobald Kiba da ist! Und weißt du was? Er hat mal allen Ernstes gefragt, ob Sakura-chan ne Transe ist! So abartig ist er! Uhg. Ich hasse ihn einfach!“ Mit Mühe unterdrücke ich das Glucksen, das in mir aufkeimen will.   Irgendwie ist mir sein Bruder doch sympathisch.       Nachdem Naruto sich den Weg über, den wir in sein Zimmer gebraucht haben, darüber ausgelassen hat, wie sehr er seinen Bruder hasst, ist es still zwischen uns. Mir würde auch nichts einfallen, das angepasst wäre. Außerdem bin ich viel mehr damit beschäftigt, alles, was meine Augen erfassen, in meinem Gehirn zu speichern. Es ist definitiv etwas anderes, wenn man auf dieser Seite steht. All die Eindrücke, die sich hier bündeln, sind anders, als ich erwartet habe. Es riecht dezent nach Rauch und billigen Duftkerzen – die weiße Farbe an der Wand ist leicht vergilbt – und der Boden, von dem ich bisher immer ausgegangen bin, dass es Teppich ist, besteht aus Laminat. Sein Schreibtisch, der von meinem Zimmer aus kaum einsehbar ist, sieht unordentlich aus. Doch das war mir klar. So hab ich es mir vorgestellt. Die Bildercollage, die darüber hängt, eher weniger. Fotos von seinen Freunden … und ihr.   „Sasuke?“   „Mh?“ Ich blicke zu Naruto herüber, der mittlerweile am Fenster steht und eine Schachtel Zigaretten in den Händen hält.   „Ich hab gefragt, worauf du Bock hast. Ich hab Zombielypse 2, LostHeros 4 und ...-“ Seine Stimme verschwindet für einen Moment lang aus meinem Bewusstsein, wird nur am Rande wahrgenommen. Wie eine Geschichte, die man abends hört, um besser schlafen zu können.   Ich bin wirklich hier. Nach all den Jahren stehe ich wirklich an dieser Stelle. Keine Mauer, die uns trennt. Kein Glas, durch das ich blicke. Ich bin hier. Ich sehe alles. Seine Möbel, die definitiv schon bessere Zeiten gesehen haben, sein Chaos. Ich sehe alles. Und ich sehe ihn. Bin ihm nahe.   „Sasuke?“ Seine Augenbrauen sind zusammengezogen. Gott, er hält mich sicherlich für einen Spinner.   „Sorry, ich war gerade nicht anwesend.“ Er schnaubt, schmunzelt jedoch, ehe er sich eine Zigarette aus der Schachtel zieht und sie anzündet.   „Du bist oft abwesend, kann das sein?“, sagt er, während er einem Zug nimmt.   „Gelegentlich.“ Er zieht eine Augenbraue in die Höhe.   „Eigentlich immer, wenn ich dir was erzähl. Bin ich so langweilig, dass man mich ausblenden muss?“, grinst er und ascht dann ab.   Wenn du nur wüsstest. Du bist alles andere als langweilig. Du bist so weit entfernt davon, dass es in meiner Brust zieht, sobald es darum geht, mehr von dir zu erfahren. Fast schon schmerzhaft ist dieses Verlangen, alles über dich wissen zu wollen. Jede Einzelheit. Ich will sie. Stück für Stück. Ganz. Zusammengesetzt, aneinander gekettet. In jeder Facette.   „Nein. Ich hab mich nur gewundert, dass es so ordentlich ist.“ Denn wenn man davon absieht, dass sein Zimmer schmuddelig aussieht, herrscht – mit Ausnahme seines Schreibtischs – eine gewisse Ordnung. Schlampige Ordnung, die man nicht vermutet. Nicht bei ihm. Ich habe mir vorgestellt, dass sein Boden mit Klamotten gefächert ist, doch da ist nichts. Nicht einmal Socken liegen herum.   Gott, dieser Gedanke …   „Heh. Meine Ma meckert auch immer. Aber solange es nicht aussieht wie im Arbeitszimmer von meinem Dad ist alles gut.“ Er zieht noch immer an seiner Zigarette – gräulicher Rauch fließt über seine Lippen, steigt aus seinem Mund – und obwohl ich sein Gesicht nicht richtig sehen kann, da der Nebel mir die Sicht erschwert, muss ich zugeben, dass er atemberaubend aussieht. Wie lässig er an der Fensterbank lehnt, mit seinen Lippen Ringe formt – ich habe das Gefühl, dass mein Herz im Sekundentakt schneller schlägt.   „Also, sag an, welches Spiel?“     Ich entscheide mich für das dritte Spiel, das er mir vorschlägt, nachdem er seine Zigarette in dem schwarzen Aschenbecher ausgedrückt hat und zu seinem Fernseher gegangen ist, um die Konsole darunter anzumachen.   „Exzellente Wahl, Sasuke!, sagt er grinsend und macht dann noch den Fernseher an. „Willst du was trinken?“ fragt er und fügt dann hinzu, nachdem er sich umgedreht hat: „Du kannst dich übrigens auf meinem Bett ausbreiten.“   Trommelwirbel, ausgeführt von meinem Herzen.   Er ist so lieb … und so ahnungslos.   „Danke, erwidere ich leise und setze mich dann auf den Rand der Matratze. Sie fühlt sich weich an. Nicht so hart wie meine eigene.   Wenn ich mich jetzt hinlege, werde ich dann versinken?   „Ist alles okay bei dir? Du wirkst so abwesend.“ Innerlich zucke ich zusammen – und zum Glück nur innerlich – da Naruto sich direkt neben mich setzt und mich besorgt mustert.   Seine Züge – sie sind so emotionslastig. Er zeigt allen, was er empfindet. Er legt offen, was er fühlt. Ganz anders als ich. Er muss sich nicht verstecken. Und das tut er auch nicht.   „Ja, ich hab nur Stress mit meinem Bruder …“   Diese Lüge ist es wert. Wenn ich in sein Gesicht blicke und die Verbundenheit entdecke, dann ist sie es definitiv wert.   „Großer Bruder?“   „Ja.“   „Große Brüder sind ätzend, echt jetzt!“ Ein Schmunzeln legt sich auf meine Lippen. Ja, große Brüder können manchmal wirklich nervend sein. Kapitel 2: -----------  Wir spielen bestimmt eine Stunde lang, ehe Naruto zum ersten Mal den Controller weglegt und mich mit einem schiefen Grinsen mustert. Ich bin gestorben. Wahrscheinlich schon hundert mal, doch die Konzentration fehlt. Schließlich sitze ich direkt neben ihm, Schulter an Schulter – ich spüre jede Vibration, die sein Controller von sich gibt, wenn er eine bestimmte Bewegung ausführt. Er ist mir so nahe, dass ich ihn riechen kann.   „Du bist wirklich schlecht, echt jetzt“, sagt er und nimmt mir das schwarze Stück Plastik aus der Hand. „Du hast keine Konsole, oder? Bist du mehr der PC-Gamer?“ Ich bin gar kein Gamer. Ich mache mir nichts aus diesen Dingen.   „Gelegentlich.“   „Also überhaupt kein Spieler?“, hakt er mit gerunzelter Stirn nach. „Mensch, Sasuke, das ist doch langweilig! Was machst du in deiner Freizeit?“ Ich lerne. Immer und immer wieder. Und wenn ich nicht gezielt lerne, dann suche ich nach Dingen, die es zu lernen gibt. Zum Beispiel fertige ich Thesen darüber an, wer du wirklich bist.   „Nicht wirklich“, antworte ich auf seine erste Frage. „Ich lerne“, gebe ich ehrlich zu und blicke dann zur Seite, weil mich sein intensiver Blick irritiert.   „Hast du eigentliche eine Freundin?“ Diese Äußerung lässt mich gegen meinen Willen die Stirn runzeln und zwingt mich dazu, ihn wieder anzusehen.   „Nein.“   „Wieso nicht?“, hakt er nach, als würde er über das Wetter sprechen. Über gutes Wetter. Auch wenn diese Frage alles andere als gutes Wetter bedeutet. Sie ist wie ein Sturm, der kalten Schauer über meinen Rücken jagt. Wie soll ich ihm antworten?   „Kein Interesse an Beziehungen“, rede ich mich also heraus und stehe dann auf, unabhängig davon, dass sich meine Beine weich anfühlen.   „Häh?“ Jetzt ist er es, der die Stirn runzelt. „Wie jetzt? Bist du mehr der One-Night-Stand Typ?“   Ich bin gar kein Typ. Mich kann man nicht kategorisieren. Zumindest nicht, wenn es von einem normal sterblichen Verstand verlangt wird. Man würde mich höchstens als verrückt bezeichnen.   „Ja …“, lüge ich gezwungen und frage dann, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, ob ich sein Bad benutzen kann. Es ist der erste Moment, in dem ich mir wünsche, kurzzeitig von ihm getrennt zu sein. Eine so gewöhnliche Frage, die mich völlig unvorbereitet trifft, muss in Ruhe verarbeitet werden.   Mit feuchten Handflächen betrete ich sein Badezimmer. Das Badezimmer, das er sich mit seinem Bruder teilt. Er duscht hier. Zieht sich aus. Blickt in den Spiegel, so wie ich es gerade tue. Ein irres Kribbeln durchfährt mich, als ich meine Reflexion betrachte. Ich stehe an der Stelle, an der er täglich steht. Zumindest stelle ich es mir vor. Jeden Morgen, wenn er sich für die Schule fertig macht, steht er hier. Er wäscht sich das Gesicht, das Wasser fließt aus dem Wasserhahn … er benutzt Haargel, putzt sich die Zähne.   Ich atme tief ein, als meine zitternden Finger nach der blauen Zahnbürste greifen, die auf der Ablage in einem Becher steht. Ist es seine? Die abgenutzten Borsten lassen mich denken, dass es so ist. Naruto ist bestimmt der Typ Mensch, bei dem kleine Dinge schnell kaputtgehen, weil er sie nicht sorgfältig genug behandelt.   „Sasuke, alles okay bei dir?“ Erschrocken von dem plötzlichen Klopfen lasse ich die Zahnbürste los. Sie fällt geradewegs in das Waschbecken und schlägt gegen das Porzellan, kommt mit einem Ton auf, der mich halb panisch werden lässt. Hat er mich gehört? Hat er gehört, dass ich gerade seine Zahnbürste hab fallen lassen?   „Sasuke?“   „Alles okay“, zwinge ich mich ruhig zu sagen. „Ich bin gleich fertig.“   „Okay, ich geh mal fix runter und hol uns was zu essen. Ist Pizza okay für dich?“   „Ja.“   „Kaaay“, antwortet er mir und dann höre ich, dass sich seine Schritte entfernen.         Als ich Stunden später in meinem Bett liege und den Abend Revue passieren lasse, frage ich mich, ob sich in Zukunft etwas zwischen uns ändern wird. Er hat seine Nummer in mein Handy eingetippt. Ein Handy, das ich bisher nur wegen meiner Familie benutzt habe. Vielleicht ist ihm aufgefallen, wie leer die Kontaktliste war, als er seinen Namen eingetragen hat. Aber eigentlich ist es egal. Denn ich habe seine Nummer. Eine Möglichkeit, ihn immer zu erreichen, wenn das Bedürfnis entsteht. Ein natürlich konstant bestehendes Verlangen, das unterdrückt werden muss.   Wenn er nur wüsste …       Es ist mein Bruder, der mich am nächsten Morgen aus dem Schlaf holt. Aus zusammengekniffenen Augen blicke ich ihm entgegen, da er einfach das Licht angemacht hat, obwohl es draußen noch dunkel ist.   „Wie spät?“, brumme ich und richte mich auf. Itachi schmunzelt.   „Halb sechs.“   „Itachi, es ist Sonntag, warum hast du mich geweckt?“ Er blickt kurz über seine Schulter hinweg zur Tür, die, wie ich feststelle, geschlossen ist und setzt sich dann zu mir aufs Bett.   „Itachi?“, frage ich erneut und höre ihn seufzen.   „Ich brauch deine Hilfe.“   „Wobei?“   „Ich muss für ein paar Tage aus der Stadt verschwinden.“ Ich runzle die Stirn.   „Warum?“   „Das kann ich dir nicht sagen. Ich brauche Geld.“ Mein Herz schlägt bei dieser Aussage schneller als gewohnt.   „Weshalb? Was ist passiert? Warum brauchst du Geld?“ Ausgerechnet von mir? Ich bekomme nur Taschengeld, verdiene nichts außerhalb, so wie er.   „Bleib ruhig. Es ist alles okay, ich muss nur ein paar Sachen erledigen. Und dazu brauche ich mehr Geld.“   „Was ist mit Mum und Dad?“ Er schüttelt den Kopf. Okay, ich glaube, ich sollte mir wirklich Sorgen machen, wenn der Liebling der Familie mich aufsucht, weil er nicht mit unseren Eltern reden kann.   „Sie werden mir nicht helfen also brauche ich dich.“   „Itachi, hast du Ärger? Bist du … bist du in Schwierigkeiten?“ Ein schiefes Lächeln ziert seine Lippen, als sein Zeige- und Mittelfinger gegen meine Stirn tippen. Nicht so fest wie gewohnt, doch es reicht aus, um mir zu zeigen, dass er mir nicht mehr darüber erzählen wird. Das war schon immer so. Diese Geste und ihre Bedeutung.   'Tut mir leid, Sasuke, vielleicht nächstes Mal'   Doch es gibt kein nächstes Mal. Das gab es noch nie.   „Im Schrank … ich hab ein bisschen was gespart.“       Als ich einige Stunden später frisch geduscht in die Küche gehe, um mit meinen Eltern zu frühstücken, fühle ich mich angespannt.   „Ah, Sasuke. Kannst du deinem Bruder Bescheid sagen, dass das Frühstück fertig ist?“ Ich schlucke, als meine Mutter mich lächelnd ansieht.   „Itachi ist nicht da.“ Mein Vater legt seine Zeitung beiseite und blickt mich fragend an.   „Und wo ist er?“   „Er ist heute Morgen zu einem Kollegen gefahren … er hat mich geweckt, er meinte, er muss etwas erledigen …“   „Junge“, unterbricht mich mein Vater, „hör auf zu stammeln und setz dich.“ Ich presse die Lippen aufeinander, tue aber das, was er von mir verlangt und setze mich an den Esstisch. Meine Mutter setzt sich ebenfalls, gewohnt an ihren Platz mir gegenüber und sieht mich abwartend an.   „Also, wo ist dein Bruder?“   „Ich weiß es nicht …“   „Was hat er gesagt? Weißt du, wann er wieder zurück sein wird?“   „Nein, er hat nur gesagt, dass er etwas erledigen muss.“   „Wann war das?“ Ich schlucke das trockene Gefühl in meinem Hals herunter. Ich fühle mich unwohl unter ihren strengen Blicken, obwohl nichts davon meine Schuld ist. Dennoch, wenn ich jetzt sage, dass Itachi sich Geld von mir geliehen hat, dann …   „Sasuke?“   „Ich weiß es nicht. Vor zwei Stunden schätze ich“, lüge ich und blicke dann nach unten auf den leeren Teller, der vor mir steht. Das teure Porzellan, das ein Hochzeitsgeschenk meiner Großmutter war. Ich finde es hässlich. Zu Pompös, um normalen Alltag zu simulieren.   „Sasuke“, beginnt mein Vater mahnend und lässt mich somit wieder aufsehen. „Wenn du weißt, wo Itachi steckt, wäre es ratsam, es jetzt zu sagen.“   „Ich weiß es nicht. Er hat mir nichts gesagt, okay?“ Meine Mutter zieht scharf die Luft ein, während die Nasenflügel meines Vaters sich aufblähen.   „Geh auf dein Zimmer.“       Itachi kommt in dieser Nacht nicht nach Hause und auch als ich am nächsten Tag mit dem Bus zur Schule fahre, fehlt jegliche Spur von ihm. Sein Handy ist aus – meine Eltern sind wütend, vielleicht sogar besorgt und geben mir die Schuld dafür, dass er gegangen ist. Doch was hätte ich tun sollen? Ich vertraue meinem Bruder. Er ist erwachsen und weiß was er tut. Das hat er bisher immer.     „Lassen Sie uns heute über den Leistungserstellungsprozess reden.“   Die Sorge um Itachis Verschwinden macht es mir schwer, dem Unterricht zu folgen. Meine Notizen sind schlampig – und sogar Naruto bekommt nicht die gewohnte Aufmerksamkeit, obwohl er mich heute sogar mit einem Lächeln gegrüßt hat, nachdem er zu spät in den Unterricht geplatzt war.   „Herr Inuzuka, was können Sie mir zum Thema Leistungserstellungsprozess sagen?“   Die Klasse lacht hinter vorgehaltener Hand, während Kiba die Augen verdreht und sein Buch aufschlägt.   „Ohne Buch, Herr Inuzuka.“   „Warum ständig ich? Warum nicht mal wer anderes?“, lehnt sich Narutos bester Freund auf, und ehrlich gesagt, ich kann ihn verstehen. Er ist immer derjenige, der von den Lehrern hochgenommen wird, sobald es um die Überprüfung von Wissen geht. Dabei gibt es so viele in dieser Klasse, die mindestens genauso wenig wissen wie er.   „Weil Sie an der Reihe sind. Also?“   Ich schließe kurzzeitig die Augen, während ich dem unnützen Gestammel lausche, ohne es bewusst wahrzunehmen. Zumindest solange, bis ich spüre, dass das Handy in meiner Hosentasche vibriert. Unauffällig ziehe ich es hervor und frage mich im selben Augenblick, wer mir geschrieben haben könnte. Itachi vielleicht?   'Nicht schlafen, Sasuke-cakes!'   Meine Stirn runzelt sich, doch als ich sehe, dass Narutos Name hinter dem Absender steht, weiten sich meine Augen. Sasuke-cakes?   Blinzelnd blicke ich zu ihm herüber, er sieht nicht zurück, denn dazu müsste er sich drehen, doch sein Profil ist sichtbar und zeigt, dass er grinst.   Sasuke-cakes …   'Ich schlafe nicht. Und was ist Sasuke-cakes?'   Ich ringe geschlagene zwei Minuten mit mir selbst, ob ich die Nachricht wieder lösche und nicht absende, tue es dann allerdings doch. Das Kribbeln, das dabei in meinem Bauch entsteht, fühlt sich einfach zu gut an. Naruto schreibt mir … von sich aus. Er gibt mir einen Spitznamen – zugegeben, einen dummen Spitznamen, doch er gibt mir einen.   'Sasuke-cakes bist du! Und deine Augen waren zu. Über was denkst du gerade nach?'   Schmunzelnd lese ich seine Nachricht.   'Cakes ist ein seltsamer Spitzname … und ich denke über meinen Bruder nach.'   Seine Antwort lässt nicht lange auf sich warten.   'Cakes ist der beste Name überhaupt! Und warum denkst du über deinen Bruder nach? Hat er dich wieder genervt?' Diesmal presse ich die Lippen aufeinander.   'Er ist verschwunden … hat mich nach Geld gefragt und ist abgehauen, meine Eltern drehen ab.'   „Herr Uchiha, wären Sie so freundlich Ihrem Kameraden auszuhelfen?“ Ich zucke zusammen, als der Lehrer mich anspricht. Verdammt, ich habe überhaupt nicht zugehört. Und er weiß es offensichtlich, denn er grinst mich hämisch an.   „Tut mir leid, ich habe nicht aufgepasst“, erwidere ich ruhig, auch wenn ich innerlich einen halben Panikanfall erleide. Die ganze Klasse beobachtet mich. Mich, den Schatten. Mich, den nie jemand sieht.   „Packen Sie ihr Telefon weg. Wir reden noch immer über den Leistungserstellungsprozess. Was wissen Sie darüber?“     Es ist das erste Mal, dass ich aufgerufen wurde und vor der gesamten Klasse sprechen musste. Ein absoluter Albtraum. Jeder hat mich beobachtet. Angesehen. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Alle haben mir zugehört. Meine Finger zittern, selbst nachdem die Stunde vorbei ist und der Großteil der Schüler aus dem Raum verschwunden ist, um in die Pause zu gehen.   Naruto ist noch hier, er kommt auf mich zu und grinst entschuldigend. Zumindest sieht es so aus.   „Sorry Sasuke, hätte ich gewusst, dass er dich im Visier hat, hätte ich nichts geschrieben.“ Ich lächle gequält, während ich ihn anblicke.   „Schon okay …“ Zwar habe ich mich nicht blamiert, da ich alle Fragen beantworten konnte, doch unangenehm war es trotzdem.   „Wirklich?“   „Ja.“   „Kay. Du hast geschrieben, dass dein Bruder abgehauen ist? Wie alt ist er überhaupt?“ Ich schultere meinen Rucksack und stehe dann auf.   „24.“   „Ahh“, grinst Naruto. „Er ist also auch so ne faule Ratte, die lieber zu Hause wohnt, anstatt sich was Eigenes zu suchen? Kyuubi ist auch so. Ich sag es dir, sobald ich 18 bin, zieh ich von zu Hause aus!“   Ich laufe gemeinsam mit ihm aus dem Klassenraum, während er über seinen Bruder, der nun endlich einen Namen hat, ablästert.   „Ich kann mir gar nicht vorstellen, so lang zu Hause abzugammeln. Meine Ma kann echt die Pest sein, und er tut es sich freiwillig an.“ Wie recht er hat. An Itachis Stelle wäre ich auch schon längst ausgezogen. Auch wenn sich meine Eltern ihm gegenüber anders verhalten als mir. Itachi war schon immer derjenige, der mit allem in Ruhe gelassen wurde. Keine blöden Fragen, keine Bedingungen für die Zukunft. Er ist ihr Musterkind. Er war schon immer so. Zumindest bis gestern.   „Ich weiß, was du meinst“, antworte ich, um etwas Sinnvolles zu seinem Monolog beizutragen und bemerke dann erst, dass ich die ganze Zeit neben ihm in Richtung Cafeteria herlaufe.   „Aber das Beste ist, dass immer ich dafür angeschissen werde, wenn Kyu Mist baut!“, erzählt er weiter und stößt die Tür auf, die uns zu seinen Freunden führt. Er läuft zielstrebig, während ich anfange zu stocken. Erwartet er, dass ich mich zu ihnen setze?   „Kommst du?“ Naruto ist stehengeblieben und blickt über seine Schulter hinweg zu mir nach hinten.   „Zu euch?“ Ich hasse es, dass meine Stimme unsicher klingt. Auch wenn ich unsicher bin, er soll es nicht wissen. Und verdammt, er soll nicht so grinsen.   „Klar“, sagt er gelassen und kommt auf mich zu, um mir seinen Arm um die Schulter zu werfen. „Du bist mein Freund, also sitzt du natürlich mit an meinem Tisch.“ Ich verdrehe die Augen, weil er wahrscheinlich noch nicht einmal merkt, wie arrogant er klingt. Außerdem muss ich davon ablenken, dass mein Magen schon wieder anfängt, unruhig zu werden.   Diese Nähe ist so schön … so unschuldig. Für ihn. Für mich ist sie was völlig anderes.   „Hey Leute! Das ist Sasuke. Er geht in unsere Klasse.“ Er stellt mich der Reihe nach den Gesichtern vor, wobei ich die Namen der Leute schon längst kenne, weil ich wesentlich aufmerksamer bin als er. Naruto zwingt mich indirekt, mich neben Sakura zu setzen, die mich, seitdem ihr Freund mich zum Tisch geführt hat, nicht einmal aus den Augen gelassen hat. Was ist ihr Problem? Ich versuche mich auf die Jungs der Runde zu konzentrieren, auf ihre Fragen, die genauso lächerlich klingen wie das erste Mal, als Naruto mich angesprochen hat.   „Echt? Alter, wieso haben wir dich noch nie gesehen?“ Weil ihr blind seid. Ihr alle …   „Keine Ahnung, zu große Klasse?“   „Haha, du bist echt lustig! Was für Sport magst du? Willst du auch ins Team?“ Gott bewahre. Als ob ich mich dazu herablassen würde, mit Primaten im Dreck zu wühlen und Bällen hinterherzujagen. Es ist schon von Vorteil, das vier Klassen gemeinsam Sport haben, denn so kann ich mich vor fast allem drücken.   „Kein Bedarf … ich hasse Sport.“   „So siehst du auch aus“, antwortet Kiba mit einem Grinsen auf den Lippen.   „Bullshit, hör nicht auf ihn“, meint Naruto. „Er ist nur neidisch, dass ich dank deiner Nachhilfe jetzt besser bin als er.“ Kiba verdreht die Augen.   „Als ob, ich steck euch beide in die Tasche.“ Ich blicke kurz zur Seite, da ich Sakuras Augen noch immer auf mir spüren kann. Warum sieht sie mich so an? Und warum wird sie rot? Leise schnaubend widme ich mich wieder den beiden Idioten und ihrem Gespräch, das sich allem Anschein nach noch immer um 'ich bin der Bessere' dreht.   „Wetten, dass Sasuke dich wegraucht? Er hat ein Megabrain, dagegen kommen deine drei Hirnzellen niemals an.“ Wann haben diese Idioten beschlossen, mich in ihr Spiel mit einzubeziehen?   „Weißt du was, lass uns darauf wetten.“   „Okay. Sasuke wettet mit dir!“, meint Naruto aufgebracht.   „Ich?“, werfe ich mit hochgezogener Augenbraue ein. „Warum sollte ich wetten?“   „Siehst du, dein Megabrain hat Schiss. Vergiss es also lieber wieder.“ Es wurmt mich, dass ich bei diesen Worten die Evolutionsleiter nach unten steige, da es mich wirklich trifft. Als ob ich gegen dieses Subjekt verlieren würde.   „Ich hab bestimmt keine Angst vor deiner Leistungsfähigkeit. Man hat erst heute gesehen, dass du nicht gerade viel auf dem Kasten hast.“ Die Jungs am Tisch geben seltsame Geräusche von sich – es ist eine Mischung aus Johlen und Lachen. Kiba hingegen blickt mich aus zusammengekniffenen Augen an.   „Denkst du wirklich, dass du besser bist als ich?“   „Ich denke es nicht nur, ich weiß es.“ Woher mein Mut kommt, keine Ahnung. Aber er ist da.   „Sieh an, das Megabrain hat scheinbar seine Hoden gefunden.“ Er beugt sich halb über den Tisch – hoffentlich nicht, um mir eine zu verpassen, denn in diesem Fall wäre ich klar im Nachteil – und kommt mir ziemlich nahe. „Ich sag dir was, Braini. Wir wetten darum. Wenn ich es schaffe, in der nächsten Klausur mehr Punkte zu bekommen als du, dann wirst du einen Tag und Abend lang genau das tun, was ich von dir verlange, okay? Und wenn ich verliere, dann darfst du dir was aussuchen.“ Es ist totenstill am Tisch. Und wieder spüre ich viele Blicke auf mir ruhen. Auch Kiba hat sich nicht bewegt, sondern sieht mich nach wie vor an. Seine Augen sind braun. Braun … und noch irgendwas. Grau? Ich schlucke. Wenn ich jetzt nein sage … wenn-   „Sag schon zu, Sasuke!“ Narutos Stimme reißt mich aus diesem Trance-Zustand.   „Okay“, höre ich mich selbst hauchen und sehe Kibas triumphales Grinsen, während er sich zurückzieht und mich weiterhin anblickt. Er kann nicht gewinnen. Sein Wissenstand reicht niemals an meinen heran. Niemals. Also warum sieht er so siegessicher aus?   „Dann ist es beschlossene Sache!“       Als ich nach diesem nervenaufreibenden Schultag die Tür zu meinem Elternhaus aufschließe, wünsche ich mir im nächsten Augenblick ich hätte es nicht getan.   „Du hast überhaupt keine Ahnung davon was Liebe bedeutet!“ Ich glaube, so aufgebracht habe ich meinen Vater zuletzt gehört, als der Nachbar sich erlaubt hat, die falsche Hecke – nämlich unsere – zu trimmen.   „Es ist nicht eure Entscheidung.“ Das ist die Stimme meines Bruders. Er ist also wieder da.   „Itachi, bitte. Das ist nicht richtig. Du bist 24. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir.“ Meine Mutter hört sich an, als würde sie weinen.   „Ich habe mich bereits entschieden.“   „Den Teufel wirst du tun! Hast du mich verstanden?! Du wirst es nicht tun!“   Ich überlege, ob ich nicht doch wieder verschwinden sollte, doch die Neugierde überwiegt. So leise wie möglich bewege ich mich zur Tür, die zum Wohnzimmer führt und blicke durch den geöffneten Spalt. Itachi sitzt auf der Couch, mein Vater steht vor ihm und meiner Mutter ist auf dem Sessel, hält sich die Hände vors Gesicht.   Was zur Hölle ist passiert?   „Ich hab es bereits getan.“   „Solange du unter meinem Dach lebst, wirst du dich an meine Regeln halten, hast du verstanden? Du wirst diesem Mädchen sagen, dass sie sich wegscheren wird. Kein Kontakt mehr, kein …-“   „Nein.“ Die Art und Weise, wie Itachi dieses Wort ausspricht verpasst mir eine Gänsehaut. „Ich liebe sie. Und es ist mein Kind.“ Meine Mutter schluchzt auf und meine Augen weiten sich.   Itachi hat eine Freundin? Er wird Vater? Hat er deswegen das Geld gebraucht? Ist er deswegen verschwunden?   „Ist das dein letztes Wort?“ Mein Vater klingt ruhig. Zu ruhig. Seine Miene signalisiert, dass ein Ultimatum bevorsteht.   „Ja.“   „Dann geh. Geh und komm nicht mehr zurück. Du wirst deine Sachen packen und verschwinden.“ Ich stolpere zurück – tief getroffen von dem, was ich gehört habe und kollidiere mit der Haustür, die mir nur wenig Halt spendet.   Er wirft ihn raus. Meinen Bruder. Sein eigenes Fleisch und Blut. Weil er Vater wird? Weil er liebt? So schnell ich kann flüchte ich aus dem Vorraum und laufe durch den Flur, der in die Küche führt. Das alles fühlt sich weit weg an. So unglaublich unecht. Itachi … niemals hätte ich gedacht, dass so etwas passieren könnte. Dass mein Vater so mit ihm reden würde. Dass sie beide so miteinander umgehen würden. Doch ich habe mich geirrt.       Die Stimmung beim Abendessen gleicht einem Begräbnis. Meine Eltern schweigen, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, ein Gespräch mit mir anzufangen. Sie reden nicht mit mir über Itachi oder über die Zukunft. Die Tatsache, dass mein Bruder seine Koffer gepackt hat und gegangen ist, wird einfach ausgeblendet. Die Tränen auf den Wangen meiner Mutter sind nicht getrocknet, doch sie bleibt stumm.   „Sasuke.“ Ich sehe zu meinem Vater auf, der seine Gabel zwischen Zeigefinger und Daumen hält und mich anblickt.   „Ja?“   „Dein Bruder ist in diesem Haus nicht länger willkommen. Du wirst weder mit ihm sprechen noch den Kontakt zu ihm suchen, verstanden?“ Ich ziehe die Augenbrauen zusammen.   „Weshalb? Weil er Vater wird?“ Die Wut, die ich verspüre, kommt plötzlich. Es macht mich wütend, dass er so spricht. Und ihn macht es scheinbar wütend, dass ich so antworte.   „Nein. Weil er unverantwortlich ist und die Wünsche unserer Familie nicht respektiert.“   „Du meinst, weil er deine Wünsche nicht respektiert?“   „Sasuke!“, wirft meine Mutter ein, und ehe ich mich versehe, trifft mich die Rückhand meines Vaters hart im Gesicht. Ein pochender Schmerz zieht durch meine Wange, hoch zu meiner Schläfe und meine Augen sind weit aufgerissen.   „Fugaku …“   „Es reicht“, donnert mein Vater und packt mich am Kragen meines Shirts. Ich bin erstarrt – hätte niemals mit diesem Ausbruch gerechnet. „Du wirst nicht so enden, hast du mich verstanden? Du wirst die Wünsche dieser Familie respektieren und dir einen anderen Ton angewöhnen, sonst kannst du ebenfalls deine Sachen packen und verschwinden!“   „Fugaku, bitte“, fleht meine Mutter im selben Moment, als mein Vater mich nach oben zieht und zurückstößt. Mein Rücken trifft gegen die Wand, nur nebenbei bemerke ich den Schmerz des Aufpralls, doch was ich definitiv spüren kann ist der Druck in meiner Brust. Er hat mich noch nie geschlagen. Nie.   „Geh auf dein Zimmer.“ Meine Mutter hängt an dem Arm meines Vaters, der so aussieht, als würde er mit sich ringen, nicht erneut auf mich loszugehen, weshalb ich verschwinde so schnell ich kann. Ich sprinte die Treppe nach oben, werfe meine Zimmertür hinter mir ins Schloss und verriegle sie. Mit pochendem Herzen – erschüttert von diesem Zwischenfall. Was ist gerade eben passiert?       Die vergangene Nacht war wenig erholsam für mich. Ich habe Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen – ausgerechnet in einem der Fächer, in denen ich es mir nicht leisten kann, abwesend zu sein. Fremdsprachen waren nie meine Stärke. Sie kosten mich Extra-Konzentration, die ich im Moment nicht aufbringen kann.   „Bitte fertigen Sie eine Übersetzung des Dialoges auf Seite 289 an und reichen Sie sie bis Ende der Woche ein. Die Übersetzung fließt mit in ihre Halbjahresbewertung.“   Ich bemerke, dass Naruto ab und an nach hinten zu mir blickt – mein Handy hat bereits mehrmals vibriert, doch ich kann mich nicht dazu durchringen, ihm zu antworten.   Der gestrige Tag steckt schwer in meinen Knochen, benebelt meinen Verstand mit Gedanken, die ich gar nicht haben will.   Genau aus diesem Grund bin ich der erste, der das Klassenzimmer verlässt, nachdem es zur Pause läutet. In der Cafeteria suche ich mir einen Platz, der weiter weg liegt von Narutos Stammtisch, weil ich heute nicht die Lust verspüre, mich banalen Gesprächen zu widmen. Es wäre zu aufwendig. Und unnötig.   Auch wenn ich Narutos Blick sehe, als er wenig später mit seinen Freunden den Saal betritt und sich setzt, bringe ich es nicht über mich, ihn länger als einige Sekunden zu erwidern. Stattdessen blicke ich nach unten auf das ungenießbare Essen und ignoriere dabei das flatterhafte Gefühl in meiner Brust, als mein Handy erneut vibriert.   Ich öffne die vier Nachrichten, die er mir geschickt hat nacheinander, wobei ich nur die letzte davon wirklich lese.   'Warum bist du geflüchtet? Ist alles okay bei dir?' Nichts ist okay. Alles ist so beschissen, dass ich nicht mal den Drang verspüre, dich wie gewohnt zu beobachten …   'Alles okay, ich hab nur Kopfschmerzen und will meine Ruhe'   Er schreibt mir nicht zurück. Doch was sollte er dazu auch großartig sagen?   „Hey.“ Stattdessen kommt er zu mir herüber, setzt sich neben mich und mustert mich mit besorgter Miene. „Was ist los? Ist es wegen deinem Bruder?“   „Ich ...“   „Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst … aber ich dachte mir, du siehst ziemlich fertig aus … und ...-“   „Schon okay. Mein Bruder ist gestern ausgezogen.“ Seine Augenbrauen sind nach oben gezogen – er sieht überrascht aus.   „Was? Wieso?“   „Mein Dad … er hat ihn rausgeworfen …“   „Krass, was ist passiert?“   Ich erzähle ihm die Geschichte, all das, was ich gestern mitbekommen habe und auch das, was zwischen meinem Vater und mir vorgefallen ist.“   „Sorry, wenn ich das sage, aber dein Vater klingt nach einem richtigen Arschloch.“ Mit einem schiefen Schmunzeln blicke ich ihm entgegen.   „Ja … er hat sich gestern ziemlich daneben benommen.“   „Welche Eltern kicken ihr Kind aus dem Haus, weil es Verantwortung übernehmen will? Okay, vielleicht ist es erstmal ein Schock, aber dein Bruder ist erwachsen. Und von dem was du erzählt hast klingt er ziemlich vernünftig.“   „Ist er … Itachi war immer vernünftig und erwachsen … schon seit ich denken kann. Vielleicht ist das der Grund, weshalb meine Eltern so ausgerastet sind.“   „Das rechtfertigt aber noch lange keinen Rauswurf oder die Tatsache, dass er dich geschlagen hat.“ Ich bilde mir ein, dass Naruto mein Gesicht nach Spuren absucht.   „Er hat mich noch nie geschlagen …“   „Und er hätte es auch nie tun sollen. Du hast nur Fragen gestellt. Sorry, ich sag es nochmal: dein Dad ist ein Arsch.“ Ich gluckse. Irgendwie fühle ich mich leichter. Es tut gut, sich den Frust von der Seele reden zu können. Und es bei Naruto zu tun fühlt sich gleich zehnmal besser an.   „Wie wäre es, du kommst heute nach der Schule mit zu mir und wir zocken ne Runde?“, schlägt er vor und zwingt meinen Verstand damit, von unliebsamen Dingen Abstand zu nehmen. Es hört sich gut an. Zu gut.   „Ich weiß nicht … ich müsste er nachfragen.“   „Dann frag. Ruf deine Mum an und sag ihr, dass du heute wegen Nachhilfe zu mir kommst.“ Soll ich es wirklich tun? Wieder diesen bittersüßen Schmerz hervorholen, der mich überfällt, wenn ich wieder alleine bin? Ein Stück von dem Glück kosten, das mir durch die Finger gleiten wird, sobald ich zurück in meine Welt kehren muss?   „Okay.“ Es ist okay. Deine Anwesenheit lässt alles gut werden. Wenn auch nicht für immer – für diesen Augenblick auf jeden Fall.       Die Tage verfliegen. Zwischen Schulstress, dem regelmäßigen Lernen mit Naruto und der angespannten Situation, die nach wie vor bei mir zu Hause herrscht. Itachi ist auch immer noch verschwunden. Sein Handy abgemeldet. Ohne Nachricht darüber, wie es ihm geht.   Vielleicht macht es mich zu einem schlechten Menschen, doch ich fühle mich trotz diesem ganzen Stress gut. Man könnte sogar fast meinen, ich sei sozialer geworden. Was natürlich nicht zuletzt daran liegt, dass Naruto mich innerhalb der Schule überall mithin schleift. Sei es zum Training außerhalb der regulären Schulzeit oder dem gemeinsamen Essen in der Kantine. Die Zeit, die wir miteinander verbringen, hat sich verdoppelt. Und ich genieße jede Sekunde davon. Auch wenn Kiba mich nervt und Sakura mich jedes Mal anstarrt – ich genieße es, an Narutos Seite zu sein. Ihn lachen zu hören, das ist es, was mich wirklich glücklich macht. Gut, es gibt Augenblicke, die ich am liebsten aus meinem Bewusstsein radieren möchte, wie zum Beispiel die Tatsache, dass er nach wie vor mit Sakura zusammen ist. Sie berührt, sich von ihr küssen lässt. Ich hasse es.       „Freust du dich schon drauf deine Niederlage zu fressen, Uchiha?“ Kibas Stimme zwingt mich dazu, meine Augen von Naruto abzuwenden, der leise mit Sakura redet. Es ist unsere Mittagspause. Vor weniger als einer Stunde haben wir die besagte Prüfung abgelegt, in der Kiba mich schlagen wollte.   „Ich glaube kaum, dass du alle Fragen beantwortet hast.“ Die Klausur war nicht unbedingt leicht, und die Tatsache, dass ich in letzter Zeit so abgelenkt war, hat sich nicht positiv auf mein Antwortverhalten ausgewirkt. Doch Kiba, der mich schlägt? Niemals. Dazu müsste er mindestens 90 % erreicht haben.   „Wirst schon sehen.“, meint er grinsend und wirft dann einen kurzen Blick zu Naruto und Sakura. „Schließlich hattest du nicht die Hilfe, die ich hatte.“ Ich weiß, dass er mit Narutos Freundin gelernt hat, weil Naruto sich deshalb ständig bei mir beschwert hat.   'Sakura-chan wird die ganze Zeit von Kiba in Beschlag benommen! Kannst du dir vorstellen, dass sie mir nicht mal nen Abschiedskuss gegeben hat? Und am Wochenende muss sie auch mit ihm lernen.'   Nicht, dass es mich gestört hat, dass seine Freundin keine Zeit für ihn hatte. Schließlich hat dieser Abstand dazu geführt, dass er mehr mit mir unternommen hat.   „Und ich bin mir sicher, dir wird gefallen, was ich mir für dich ausgesucht hab.“ Das glaube ich weniger, du Idiot.   Ich werfe ihm einen abwertenden Blick zu, ehe ich mich wieder auf das ungenießbare Essen der Kantine konzentriere. Nie im Leben wird er mich schlagen.             „Unmöglich, Alter! Du hast betrogen.“ Meine Augen sind weit aufgerissen, während ich Kibas zwei Tage später korrigierte Klausur in den Händen halte und mit meiner vergleiche. Wie ist das möglich?   „Wie hast du es gemacht? Hast du dein Handy benutzt?“ Ich blende Narutos ungläubige Stimme aus, suche akribisch nach Möglichkeiten, um Fehler zu finden.   Dort prangert das Ergebnis. Oben in der rechten Ecke des Deckblattes. Rote Schrift. 97 %.   „Ich hab gelernt. Frag Sakura.“   Auf meiner eigenen Prüfung hingegen stehen nur 93 % und das, obwohl meine Antworten viel besser formuliert sind.   „Sakura-chan, sag mir, dass er betrogen hat! Er ist niemals so schlau!“   „Naruto, er hat nicht betrogen, ich habe mit ihm gelernt.“         „Tja, Sasuke. Ich würde sagen, du hast verloren.“ Ich verabscheue Gewalt. Wirklich. Egal ob physisch oder psychisch. Es ist nur ein Ausdruck von Verzweiflung, weil man sich anders nicht zu helfen weiß. Es ist genau das Gefühl, das ich habe, während ich in Kibas grinsendes Gesicht blicke. Am liebsten würde ich von meinem Platz aufstehen, ausholen und ihm so hart in die Fresse schlagen, dass Zähne fliegen, doch ich tue es nicht. Ich bleibe sitzen, starre. Versuche, das Unverständliche zu begreifen.   Wie konnte er besser abschneiden? Sein Kopf ist mit Luft gefüllt. Er hat den IQ eines Vorschülers. Sein Wissen ist nicht mal ansatzweise mit meinem zu vergleichen … und doch … und doch hat er mich geschlagen.   „Ich werde dir am Wochenende verraten, was ich mit dir vorhabe, okay?“ Kiba weiß, dass er keine Antwort von mir erhalten wird. Dazu bin ich nicht in der Lage. Doch es interessiert ihn scheinbar auch gar nicht, denn er greift sich seine Arbeit aus meinen Händen und geht damit zurück zu seinem Platz, gemeinsam mit Sakura, die mir einen kurzen, entschuldigenden Blick zuwirft.   „Oh Mann, Scheiße Sasuke. Das ist echt übel.“ Nur noch Naruto steht hier, blickt mitleidig auf mich herab.   „Ist es nicht. Er hat betrogen, eindeutig.“ Er nickt heftig. Seine blauen Augen strahlen vor Zustimmung.   „Das denk ich allerdings auch! Ich werd Sakura später fragen, wie er es gemacht hat. Niemals im Leben hat er ehrlich gewonnen, echt jetzt!“     Doch leider kann ich auch bis zum Wochenende nicht beweisen, dass Kiba ein mieser Betrüger ist. Laut Narutos Aussage stecken Sakura und er gemeinsam unter einer Decke, denn selbst sie verkündet mit Überzeugung, dass es ihr Verdienst sei, dass Kiba einen der besten Schüler geschlagen hat. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, sind Kibas spitze Worte den Rest der Woche über dauerhaft präsent. Er verhöhnt mich. Lässt immer wieder durchsickern, dass das, was er mit mir vorhat, nichts Gutes sein wird.   „Mann Kiba, jetzt mach mal halblang. Die Party ist nächste Woche, deine Ellis werden schon nicht absagen. Du hast selbst gesagt wie sehr sie sich auf den Trip freuen. Jetzt muss nur noch Hana bei ihrem Typen pennen.“   „Und? Trotzdem mach ich mir Sorgen. Ich hab schon alles geplant, die Einladungen sind raus … und ausgerechnet jetzt muss meine Ma ne Erkältung anschleppen.“   Ich stochere lustlos in meinem Essen herum, während die Jungs am Tisch scheinbar über das Ereignis des Jahres reden. Eine Party bei einem idiotischen Betrüger …   „Ich hab schon meinen Anzug! Das wird endgeil. Und den Hut.“ Leider ist Naruto auch ziemlich begeistert davon, dass bei seinem besten Freund gefeiert wird.   „Sasuke, du musst übrigens auch kommen“, richtet sich Kibas Stimme an mich und ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe, weil ich fast glaube, mich verhört zu haben. Ich soll auf eine Party gehen? Dahin, wo viele dumme Menschen sind? In meiner Freizeit?   „Was?“   „Naja, ich hab die Wette gewonnen, also wirst du auch kommen müssen. Das ist Teil eins des Einsatzes.“   „Wie bitte?“, erwidere ich und lege meine Gabel nieder. „Wie viele Teile hat der Einsatz denn?“   „Einen ganzen Tag und Abend bestimme ich, schon vergessen?“   „Ärger ihn nicht schon wieder, Kiba“, schaltet sich jetzt Sakura ein, und würde ich sie nicht so verabscheuen, wäre ich ihr vielleicht sogar dankbar.   „Genau, lass Sasuke endlich in Ruhe. Seit du die Wette gewonnen hast wandelst du durch die Welt als wärst du Mr. Perfect.“, sagt Naruto und blickt seinem besten Freund herausfordernd entgegen. „Und wir alle wissen, dass du gecheated hast.“   Nur mit Mühe unterdrücke ich das Lächeln, das sich auf meine Lippen schleichen will.   „Schon gut, schon gut. Redet euch ruhig ein, dass ich beschissen hab. Nächste Woche wird der Einsatz eingelöst und dagegen könnt ihr nichts machen.“ Ich mag ihn nicht. Er ist ein Arschloch. Und er hat einen Freund wie Naruto überhaupt nicht verdient.       Ich kann mich nicht dazu bringen, meine Augen zu schließen, als ich am Abend im Bett liege und über Kibas Worte nachdenke. Die Wut darüber, dass er meint, über mich entscheiden zu können, ist so stark, dass mein Magen anfängt zu schmerzen. Was will ich auf dieser Party? Was hat er davon mich einzuladen? Er weiß genau, dass ich mich eher im Hintergrund halte und … Als der Groschen fällt, kann ich ein Schnauben nicht mehr unterdrücken. Er will mich mit übermäßigem Menschenkontakt quälen. Dieser dreckige Sadist!     Es ist kein Wunder, dass im am nächsten Morgen genauso schlechte Laune habe wie meine Eltern, die am Küchentisch sitzen und das lieblos zubereitete Essen herunterwürgen. Es bleibt die nächsten Minuten still, und das bedrückte Gesicht meiner Mutter nervt mich zunehmend.   „Ich bin nächste Woche zu einer Feier eingeladen.“ Also breche ich die Stille in der Hoffnung, meinen Eltern eine andere Reaktion zu entlocken.   „Ja?“ Bei meiner Mutter klappt es, denn sie sieht interessiert zu mir auf.   „Ja. Bei einem Mitschüler.“   „Ist es ein weiblicher Mitschüler?“, stellt mein Vater nun die Frage, ohne den Blick auf mich zu richten und bringt mich somit dazu, eine Augenbraue anzuheben. Es wäre leicht, ihm jetzt zu sagen, dass ich niemals Interesse an einer heterosexuellen Beziehung haben werde, doch ich tue es nicht.   „Nein. Ein Junge aus dem Sportteam. Er und ein paar andere Jungs wollen die guten Klausurergebnisse feiern.“   „Das klingt großartig“, meint meine Mutter lächelnd und greift nach meiner freien Hand, die auf dem Tisch liegt. Es ist ein ungewöhnliches Gefühl, ihre Haut auf meiner zu spüren. Ihre Finger sind warm. Fast schon zu warm. Doch ich lasse meine Hand genau dort, wo sie ist und blicke ihr mit einem erzwungenem Lächeln entgegen. Diese einst gewohnte Geste liegt schon so lange Zeit zurück, dass ich mich kaum noch an sie erinnere.   „Und was für eine Feier ist es? Wollt ihr euch betrinken? Mädchen schwängern?“   „Fugaku“, wirft meine Mutter scharf ein, doch mein Vater zeigt sich davon nur wenig beeindruckt.   „Es ist eine berechtigte Frage.“   „Ich trinke nicht“, verteidige ich mich und versuche dabei, so ruhig wie möglich zu klingen. Nicht, dass es eine Lüge wäre – ich habe sicher nicht vor, etwas zu trinken … und Mädchen schwängern? Niemals. „Und ich schwängere auch niemanden. Ich …“ Ich stehe nicht auf das weibliche Geschlecht. Doch das sage ich nicht laut.   „Du musst dich nicht rechtfertigen, dein Vater ist nur etwas angespannt.“   „Ich bin nicht angespannt. Und rede nicht mit dem Jungen, als wäre ich nicht hier“, brummt er mürrisch, ehe er mich ansieht. „Und sollte ich erfahren, dass du denselben Fehler machst wie er, wirst du hier rausfliegen, verstanden?“   Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, keinen Versuch zu unternehmen, die Stimmung im Haus zu heben. Wirklich. Denn anstatt, dass er sich freut, dass ich etwas anderes tun möchte, als meine Freizeit im Haus zu verbringen, werde ich wieder verglichen. Im Vorfeld gewarnt für Dinge, die ich niemals tun werde.   „Ja.“         Heute ist ein ziemlich farbloser Tag. In meinem Zimmer gibt es nichts zu tun, Naruto ist nicht zu Hause – natürlich wieder ein Date mit Sakura, jetzt da Kiba sie wieder freigegeben hat – und meine Hausaufgaben sind auch schon erledigt. Also was tue ich? Ich liege auf meinem Bett – mit Kopfhörern im Ohr – und denke nach.   Naruto und ich sind uns in den letzten Wochen freundschaftlich näher gekommen. Etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass es passieren würde. Früher, als ich ihn aus der Ferne beobachtet habe, habe ich nie einen Gedanken daran verschwendet, wie es sein könnte, wenn wir Freunde wären. Wenn es so wäre, wie es jetzt ist. Ich habe nur geträumt. Von ihm und mir. Als Liebhaber. Wir beide als Paar. Von den Dingen, die niemals passieren werden. Und auch wenn ich mich gut fühle mit dem Wissen, ihm näher gekommen zu sein, ist es doch schmerzhaft zu akzeptieren, dass alle anderen Möglichkeiten nicht in Frage kommen.   Und daran ändert auch der immer leiser werdende Song in meinen Ohren nichts. Egal wie aufmunternd die Worte meine Gedanken fluten – Naruto ist und bleibt unerreichbar.   „Sasu ...-“ Das Rufen meines Namens wird zur Hälfte von dem nächsten Lied verschluckt, das aus den Kopfhörern dringt, weshalb ich sie wegziehe und mich aufsetze.   „Ja?“ Zwar ist meine Tür nicht abgeschlossen, doch meine Mutter käme nie auf die Idee, unaufgefordert Räume zu betreten.   „Es ist Besuch für dich hier.“ Irritiert runzelt sich meine Stirn.   „Wer?“   „Er sagt, er heißt Kiba. Soll ich ihn nach oben schicken?“ Was zur Hölle will Kiba hier?   „Nein … ich komm runter.“   „Okay.“ Ihre Schritte entfernen sich und mein Herz schlägt schnell. Warum ist er hier? Und was will er von mir? Woher weiß er, wo ich wohne?   Mit diesen Fragen im Kopf verlasse ich mein Zimmer und steige die Treppen runter, um ins Wohnzimmer zu gehen, wo er auf dem Sessel sitzt. Mit einem dämlichen Grinsen im Gesicht.   „Was willst du hier?“ Ich spare mir die Begrüßung und beobachte, wie sein Grinsen aufgrund meines schroffen Ausdrucks abebbt. Es verschwindet zwar nicht ganz, doch jetzt gleicht es eher einem Schmunzeln. Vorsorglich schließe ich die Tür zum Raum hinter mir.   „Begrüßt du deine Gäste immer so?“ Welche Gäste? Ich empfange keine Gäste. Nie.   „Woher weißt du, wo ich wohne?“, stelle ich die Gegenfrage, während er von dem Sessel aufsteht und auf mich zukommt.   „Wer weiß“, meint er geheimnisvoll, als er schon fast vor mir steht. Er schmunzelt noch immer.   „Was willst du?“ Und macht noch einen weiteren Schritt auf mich zu. Fast schon zu nahe, weshalb ich ein Stück nach hinten trete. Was zur Hölle soll das hier? Was führt ihn hierher?   „Ich dachte mir, ich besuch dich mal, damit wir uns besser kennenlernen können.“ Schnaubend gehe ich noch einen Schritt zurück, da er mir schon wieder näher gekommen ist. Im Ernst, hat der Typ noch nichts von der persönlichen Wohlfühlzone gehört?   „Kein Interesse.“   „Aww, Sasuke, sei nicht so gemein zu mir. Ich will nur, dass wir uns verstehen. Du kommst ja auch zu meiner Party … und ich dachte, vielleicht werden wir bis dahin Freunde?“ Irritiert runzelt sich meine Stirn. Hört er sich überhaupt selbst sprechen?   „Ich denke, das wird nicht passieren.“ Er rollt mit den Augen.   „Ich merk schon, du bist von der zickigen Sorte. Gut, dann anders“, meint er gelassen und drängt mich unbewusst gegen die Wand, da er mir weiter auf die Pelle rückt. „Ich habe die Wette gewonnen … und dir bisher noch nicht gesagt, was der zweite Teil des Einsatzes sein wird.“ Daher weht der Wind. Ich hätte es mir eigentlich denken können. Jemand wie er kommt nicht freiwillig zu mir, um mich kennenzulernen.   „Der da wäre?“ Ich weiche ihm seitlich aus, bevor er die Chance hat, noch mehr an mich heranzutreten. Mit angezogener Augenbraue folgt er meiner Bewegung, doch er sagt nichts dazu.   „Ich brauche deine Größe. Kleidergröße, Schuhgröße …“ Stattdessen fängt er an, dummes Zeug von sich zu geben. Im Ernst?   „Wofür?“   „Du wirst ein Kostüm brauchen. Und ich werde es dir besorgen.“   „Vergiss es.“   „Sasuke“, meint er und kommt wieder auf mich zu. Was soll das? Warum muss er sich direkt vor mich stellen? „So wird das nicht funktionieren. Du hast die Wette verloren und ich feiere eine Kostümparty.“ Jetzt ergibt Narutos Gequatsche wenigstens Sinn. Anzug, Melonenhut …   „Und als was willst du mich verkleiden? Als Sheriff?“ Er kichert. Und es gefällt mir nicht im Geringsten.   „Nein. Du wirst etwas ganz Besonderes tragen. Etwas, für das du wie geschaffen bist.“   „Aha? Und was?“   „Willst du dich nicht überraschen lassen?“ Ich hasse Überraschungen. Dinge, die ich planen kann, sind weitaus besser zu verkraften. Überraschungen sind wie Mitteilungen darüber, dass man an Krebs erkrankt ist und sich bereits im Endstadion befindet.   „Nein.“   „Mhhh, okay. Wenn du es unbedingt wissen willst“, sagt er grinsend und legt dann eine kurze Kunstpause ein. „Du wirst die schönste Lady, die es auf der Party geben wird. Dafür sorge ich.“ Blinzelnd blicke ich ihm entgegen. Ich bin mir sicher, dass meine Ohren mir einen Streich spielen. Anders kann es gar nicht sein. Er hat nicht gerade gesagt, dass ich zur Lady werden soll?   „Ich bin ein Mann“, bringe ich bemüht ruhig hervor, auch wenn ich kurz davor bin aus dem Raum zu türmen. Und sein erneutes Glucksen macht die Situation nicht gerade besser.   „Ich weiß. Aber es ist eine Kostümparty. Und auf dieser Party wirst du kein Mann sein.“ Ich schüttle den Kopf. Und damit ist diese Wette für mich gestorben. Todeszeitpunkt 16:21 Uhr.   „Nein. Nein“, sage ich und schüttle noch immer den Kopf. „Vergiss es. Ich bin raus. Ich werde nicht auf deine dumme Party gehen und ich werde auch sicherlich kein Kleid tragen. Verzieh dich“, zische ich und will erneut zur Seite ausweichen, doch diesmal hält mich seine Hand auf, die knapp neben meinem Kopf gegen die Wand knallt.   „Oh doch, das wirst du.“   „Einen Scheiß werde ich. Vergiss es. Ich. Bin. Keine. Frau. Und ich werde mich von dir ganz sicher nicht zu einer machen lassen. Ich sag die Wette ab. Von mir aus erzählst du es allen ...-“   „Und dann erzähle ich Naruto am besten noch gleich, dass du in ihn verliebt bist“, unterbricht er mich und die Wut, die ich bis eben noch verspürt habe, verwandelt sich augenblicklich zu Eis.   „Was?“   „Ich erzähle Naruto, dass du in ihn verliebt bist.“ Er entfernt seine Finger von der Hand, blickt mir ernst entgegen – ich kann gar nicht anders, als zu starren.   „Du spinnst. Warum solltest du ihm sowas erzählen? Er wüsste, dass es nicht stimmt.“   „Was nichts an der Tatsache ändert, dass es so ist“, sagt er, jetzt wieder mit einem Schmunzeln auf den Lippen. „Ich meine, du beobachtest ihn wirklich die ganze Zeit. Du bist sogar noch auffälliger als Sai … und ich bin sein bester Freund. Ich verbringe viel Zeit mit ihm …“   „Du spinnst“, rede ich mich heraus, obwohl ich eine gewisse nagende Panik in mir aufkeimen spüre. Er hat mich beobachtet … es sei denn, er blufft. „Ich stehe ganz sicher nicht auf Naruto.“   „Die hungrigen Blicke während des Unterrichts. Und auch wenn du in der Kantine sitzt und ihn beobachtest, oder im Sportunterricht. Das eine Mal hast du ihn sogar verfolgt, als er mit Sakura rummachen wollte … ich hab dich gesehen, Sasuke.“   „Du lügst.“ Die Gewissheit, dass er mich erwischt hat, fühlt sich an wie ein Eimer kaltes Wasser, der direkt über mir ausgeschüttet wurde. Dieses Kribbeln, das sich über den ganzen Rücken zieht.   „Nope. Ich hab sogar ein paar Bilder davon. Du bist nämlich leider so dumm, dass du dein Umfeld dabei komplett ausblendest.“   „Warum?“, hauche ich und sehe an seinem triumphalen Blick, dass er weiß, dass er mich hat.   „Warum was?“   „Warum tust du das?“ Er seufzt und tut dann etwas, das mich völlig erstarren lässt. Seine Finger streicheln über meine Wange, hauchzart, nur ganz kurz – doch er berührt mich.   „Ich will dir helfen, an Naruto heranzukommen.“   „Was?“ Meine Stimme klingt fast schon heiser und meine Augen blicken ihm ungläubig entgegen. „Du bist verrückt. Du verarscht mich, richtig?“   „Sasuke, warum sollte ich mit dir darüber reden, wenn ich dich verarschen möchte? Wäre es nicht logischer, damit gleich zu Naruto zu rennen?“ Seine Worte ergeben Sinn. Sie ergeben Sinn und gleichzeitig wirken sie wie ein verschlüsselter Code.   „Was willst du von mir?“   „Wie gesagt, ich will, dass du dir Naruto schnappst.“ Diesmal bin ich es, der gluckst. Dieses Gespräch grenzt wirklich an Wahnsinn.   „Und wie bitteschön sollte ich das anstellen?“, hake ich mit einem schiefen Grinsen nach und füge dann hinzu, um einen letzten Versuch zu starten von dem Offensichtlichen abzulenken: „Gemäß dem Fall, dass ich wirklich auf ihn stehe?“   „Du stehst auf ihn. Machen wir uns nichts vor. Bilder sagen mehr als Worte.“   „Okay, okay. Warte. Du willst, dass ich mich als Frau verkleide, um den größten Homophob an unserer Schule dazu zu bringen, seine Freundin – die er offensichtlich über alles liebt – für mich – einen Kerl – zu verlassen? Hörst du dir eigentlich selbst zu? Du bist vollkommen bescheuert, wenn du denkst, dass das funktionieren wird. Naruto steht nicht auf mich, also vergiss es. Und vergiss deinen Plan, mich zu etwas zu machen, das ich niemals sein werde. Halte dich einfach raus“, werfe ich ihm wütend entgegen, und diesmal bin ich am Ende meiner Geduld. Warum tut er so etwas? Nächstenliebe ist es ganz sicher nicht. Ich weiß, dass er mich nicht leiden kann. Und was hätte er für einen Nutzen davon, seinen besten Freund, der ganz sicher nicht schwul ist und auf mich steht, dazu zu bringen, mich zu wollen? Ein Frauenkleid?   Mir ist wieder nach Lachen zu Mute. Doch ich bin nicht derjenige, der lacht. Kiba ist es. Erst leise, dann immer lauter. So laut, dass ich die Befürchtung habe, dass meine Mutter es hören könnte.   „Hör auf so dämlich zu lachen und verpiss dich!“, zische ich, doch er schüttelt nur den Kopf.   „Nein“, erwidert er grinsend und greift dann in seine Jackentasche, um sein Handy hervorzuholen. „Ich werde mich nicht verpissen, und du wirst genau das tun, was ich von dir verlange, sonst erfährt Naruto alles.“ Meine Miene, die bis eben noch wütend verzogen war, wandelt sich.   '„Was willst du hier?“ „Begrüßt du deine Gäste immer so?“ „Woher weißt du, wo ich wohne?“ „Wer weiß“ „Was willst du?“ „Ich dachte mir, ich besuch dich mal, damit wir uns besser kennenlernen können.“ „Kein Interesse.“ „Aww, Sasuke, sei nicht so gemein zu mir. Ich will nur, dass wir uns verstehen. Du kommst ja auch zu meiner Party … und ich dachte, vielleicht werden wir bis dahin Freunde?“'   Meine Gesichtszüge entgleiten mir. Ich starre. Versuche die Konsequenzen zu verarbeiten, während ich höre, was die letzten Minuten gesprochen wurde. Er hat alles aufgenommen. Alles. Auch mein indirektes Geständnis.   „Also“, sagt er und schaltet die Aufnahme ab, „wenn du nicht willst, dass Naruto davon Wind bekommt, wirst du mir deine Maße aufschreiben.“ Die Wut kehrt zurück. Größer, viel stärker als zuvor.   „Raus“, presse ich hervor. „Raus. Verpiss dich.“ Glucksend tritt er einen Schritt zurück. Mustert mich einen Augenblick lang, ehe er antwortet:   „Okay. Du hast bis Montag Zeit, mir deine Antwort zu geben, ansonsten wird die ganze Schule unser Gespräch per Lautsprecher hören.“           Es lässt sich nicht in Worte fassen, was ich dabei empfinde, wenn ich über Kibas Besuch nachdenke. Wut erscheint mir so nichtig. Ich bin enttäuscht. Enttäuscht von der Menschheit, die mir ein weiteres Mal bewiesen hat, dass man ohne sie besser dran ist. Vor einigen Wochen war ich noch unscheinbar – niemand hat sich für mich interessiert. Doch jetzt? Jetzt stellt man mein Leben auf den Kopf, zwingt mich zu Dingen, die ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind wünschen würde. Zu sagen, dass ich Kiba dafür hasse, wäre eine Untertreibung. Er hat es sogar geschafft, Sakura von ihrem Thron zu stoßen – mit weitem Abstand.   Wie kommt er auf die Idee, so einen Plan zu schmieden? Weshalb? Warum sollte er wollen, dass sein bester Freund etwas mit mir anfängt? Naruto ist nicht so und Kiba weiß das. Also warum? Macht es ihm Spaß, mich leiden zu sehen? Hat er überhaupt die geringste Ahnung davon, was er mir damit antut?   Natürlich.   Es gefällt ihm, mich so in der Hand zu haben. Denn das tut er – er hat mich in der Hand. Er weiß, dass ich niemals den Mumm dazu hätte, offen zu meinen Gefühlen zu stehen. Und schon gar nicht vor Naruto oder geschweige denn der kompletten Schule. Dieses Outing wäre sozialer Selbstmord. Eine Verschlechterung meiner ohnehin nicht vorhandenen sozialen Stellung. Naruto würde mich hassen … Er hasst alle, die so sind wie ich. Und dieses Wissen schmerzt. Durch Kibas Auftauchen wird mir erst bewusst, wie sehr es eigentlich wehtut.     Ich ignoriere alle Nachrichten, die Naruto mir über den nächsten Tag verteilt über zukommen lässt. Ich fühle mich nicht dazu in der Lage, auf ihn einzugehen oder mich mit meinen Gefühlen zu befassen, weshalb ich mich damit beschäftige, Arbeiten für die Schule fertigzustellen. Ich schreibe viel über Themen, die in der nächsten Zeit auf dem Unterrichtsplan stehen und setze den Stift erst ab, als es an meiner Zimmertür klopft.   „Ja?“, gebe ich leise von mir, darauf wartend, dass meine Mutter gleich die Tür öffnen wird. Doch sie ist es nicht. Nein.   „Naruto?“ Sein blonder Haarschopf kommt zum Vorschein, dann sein grinsendes Gesicht. Er tritt in mein Zimmer ein, als hätte er es schon tausendmal getan. Der Knoten in meinem Bauch ist fest, doch das Kribbeln drumherum ist nach wie vor existent. Er würde nicht grinsen, wenn er es wüsste, oder?   „Hey, ich dachte mir mal, ich statte meinem Nachbarn einen Besuch ab“, begrüßt er mich und schließt die Tür hinter sich. Seine Augen wandern nur kurz durch den Raum, ehe er mich ansieht. „Alles okay bei dir? Du hast nicht auf meine Nachrichten reagiert … und deine Ma meinte, dass du schon den ganzen Tag in deinem Zimmer schmollst.“ Schmollen? Ich habe sie heute nur zum Frühstück gesehen. Wie kommt sie auf die Idee, ich würde schmollen? Ich verziehe die Lippen, was Naruto zum Lachen bringt.   „Heh, genauso hat sie dich beschrieben. Also, was liegt an? Ist was passiert oder hast du nur einfache Verdauungsprobleme?“   „Verdauungsprobleme?“ Ich drehe meinen Stuhl, damit sich mein Fokus komplett auf ihn legen kann. Unglaublich, dass er wirklich hier ist. Zum ersten Mal. Nach all diesen Tagen, die ich schon bei ihm verbracht habe.   „Jap. Du weißt schon, wenn einer quer sitzt und du ihn nicht rauslassen kannst.“   „Das ist widerlich. Und nein, ich habe keine Verdauungsprobleme, ich lerne.“   „Echt jetzt? Ohne mich?!“ Ich neige den Kopf leicht zur Seite, da mich sein entsetzter Ausdruck fasziniert. Er bringt mein Herz dazu, noch schneller in meiner Brust zu schlagen.   „Ich bereite mich auf die neuen Themen vor.“   „Ihhh, das ist abartig. Sasuke, es ist Sonntag! Du musst mal raus … und frische Luft schnappen!“   „Ich kann nicht … ich hab noch zu tun.“   „Mhh, ist das der Grund, weshalb du meine Nachrichten ignoriert hast?“ Ich wende den Blick ab, da mich seine blauen Augen Schuldgefühle in mir auslösen.   Ich kann nur versuchen, dich zu ignorieren – am Ende gewinnst du ohnehin. Ich bin ein Idiot, stimmt´s? Mich von dir zu entfernen, weil du nicht das fühlen kannst, was ich fühle … lässt mich zu einem Idioten werden.   „Tut mir leid, ich hab sie nicht gelesen … ich war vertieft“, lüge ich und höre ihn zeitgleich schnauben.   „Okay. Wenn du nicht rausgehen willst, dann bleib ich hier und leiste dir Gesellschaft.“ Seine Stimme kommt näher – ich blicke wieder auf – und werde Zeuge davon, wie er sich auf mein Bett wirft. Er liegt auf dem Rücken, blickt nach oben und seufzt. „Dein Bett ist hart … mhmh.“   Ich verschlucke mich beinahe, da er diesen Satz so zweideutig ausspricht, dass mein Nacken warm wird.   „Hart?“, räuspere ich mich.   „Ja“, erwidert er. „Dein Bett ist härter als meins … aber es fühlt sich gut an.“ Mittlerweile sind auch meine Ohren warm.   „Interessant.“ Er sagt darauf nichts mehr. Ich kann sehen, dass er die Augen schließt. Ich beobachte ihn dabei. Was tut er hier? Ist er hier, weil ihm langweilig ist?   „Was denkst du über Sakura?“, fragt er dann auf einmal überraschend, völlig aus dem Nichts heraus, so dass ich einige Sekunden brauche, um diese Frage zu verarbeiten. In der Zwischenzeit hat er seine Augen auch wieder geöffnet und verschränkt seine Arme hinter seinem Nacken. Er hat den Kopf leicht zu mir geneigt – ich sitze nach wie vor auf dem Stuhl – und sieht mich abwartend an.   „Warum fragst du?“, hake ich interessiert nach, obwohl Sakura mich nicht im Geringsten tangiert. Ihre Person ist mir nicht wichtig. Sie ist nur die Nebenrolle, die eigentlich keine Aufmerksamkeit verdient hat.   „Weil ich wissen will, was du von ihr hältst.“ Warum er mit dieser Frage ausgerechnet zu mir kommt, ist mir schleierhaft. Wir kennen uns noch nicht so gut, um darüber zu sprechen, oder? Andererseits habe ich von der sozialen Etikette absolut keine Ahnung … also …   „Ich mag sie nicht“, erwidere ich ehrlich, da ich kein Bedürfnis verspüre, ihn deswegen anzulügen. Mich verblüfft allerdings, dass es ihn nicht zu verwundern scheint, denn er blickt mir nur neutral entgegen. Vielleicht sogar ein wenig abschätzend, so als ob er das, was ich sage, erst analysieren müsste. Darauf prüfen müsste, wie hoch der Wahrheitsgehalt ist.   „Weißt du, dass sie dich mag?“ Ich ziehe die Augenbrauen zusammen.   „Wieso sollte sie mich mögen? Sie kennt mich gar nicht …“ Er ändert seine Position, schlägt sich einen Arm über die Stirn, so dass ich seine Augen nicht mehr sehen kann. Lediglich sein Grinsen ist sichtbar. Sichtbar und irritierend, da ich es nicht deuten kann.   „Aber seit sie dich kennt, erzählt sie dauernd von dir. Als wärst du schon immer dagewesen.“   „Was?“   „Sakura, sie redet über dich. Ständig.“ Seine Worte ergeben keinen Sinn. Und wenn sie der Wahrheit entsprechen, dann ergibt Sakuras Verhalten noch weniger Sinn.   „Ich habe noch nie mit ihr geredet …“   „Ich weiß“, seufzt er. „Ich weiß es. Und trotzdem erzählt sie mir ständig davon, was für ein toller Typ du doch bist.“ Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern könnte. Es verwirrt mich.   „Sasuke hier, Sasuke da … lass uns doch mal was mit Sasuke machen“, äfft er ihre Stimme nach. Er klingt hell, viel zu spitz. „Und wenn ich sie frage, warum wir zusammen mit dir auf ein Date gehen sollten, wird sie ruhig. Ich verstehe es nicht.“ Und ich verstehe es noch weniger. Was ist ihr Interesse an mir? Will sie mich kennenlernen, weil Naruto in letzter Zeit mit mir zu tun hat? Merkt sie, dass ich sie nicht leiden kann und will diesen Zustand richten?   „Man könnte fast meinen, dass sie in dich verknallt ist“, sagt er leise.   „Das glaub ich nicht. Sie kennt mich doch gar nicht.“   „Na und? Manche Leute glauben an die Liebe auf den ersten Blick?“ Er nimmt den Arm von seiner Stirn und sieht mich an.   „Schwachsinn … es gibt keine Liebe auf den ersten ...-“ Ich breche ab, da das, was ich sagen würde, eine Lüge wäre. Und das wird mir in dem Moment bewusst, als ich in seine Augen blicke.   Auch ich kannte ihn nicht. Hatte bis vor kurzen nur wenig Ahnung davon, wie er wirklich ist. Nur durch bloßes Beobachten habe ich festgelegt, dass ich etwas für ihn empfinde.   Eine erschreckende Tatsache, die vielleicht auch auf Sakura zutrifft.   „Klar … die gibt es, glaub mir.“ Ich drehe den Kopf zur Seite da mich die Vorstellung daran, wen er meint, immens unglücklich macht. „Meine Eltern haben sich damals auf diese Art ineinander verliebt …“, flüstert er. „Und ich dachte, ich hätte das auch.“ Er dachte? „Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher“, fügt er noch hinzu und richtet sich dann auf. Er fährt sich mit den Handflächen über das Gesicht, während ich ihn wieder anblicke und mir seinen letzten Satz durch den Kopf gehen lasse.   „Wieso?“, frage ich ruhig, doch er schüttelt nur den Kopf.   „Egal, ist nicht wichtig.“ Oh doch, das ist es. Es ist sehr wichtig. Wenn er hier vor mir sitzt, mir offenbart, dass er sich nicht mehr sicher ist, sie zu lieben, dann ist es verdammt wichtig. Doch ich lasse die Frage, die aus mir ausbrechen will, nicht heraus.   „Hast du Kiba schon davon erzählt?“, wechsle ich das Thema und höre ihn kurz darauf schnauben.   „Nä. Kiba hasst Sakura. Wenn ich ihm davon erzählen würde, würde er nur sagen: 'Ha, ich wusste es!' Und das will ich mir ersparen.“ Kiba hasst Sakura? Ich runzle die Stirn.   „Wenn er sie hasst, weshalb lernt er dann mit ihr?“ Er zuckt mit den Schultern.   „Das wüsste ich auch gerne. Ich hab gedacht, dass er sie mittlerweile mag … weil er schon länger nicht mehr über sie gelästert hat, aber vorgestern hat er mir wieder erzählt, dass er sie ätzend findet.“   „Dann ergibt es keinen Sinn, mit ihr zu lernen.“   „Sag ich doch. Zur Zeit ist alles so seltsam … irgendwie.“ Gedanklich stimme ich ihm zu. Kibas Person gibt viele Rätsel auf. „Und ich weiß nicht, was ich tun soll. Soll ich sie direkt fragen? Soll ich dich schlagen, weil meine Freundin auf dich steht? Und was ist mit Kiba los? Warum ist er in letzter Zeit so komisch?“   „Ich hoffe doch sehr, dass du mich nicht schlägst … ich interessiere mich nämlich null für deine Freundin“, erwidere ich trocken, ganz egal, ob mein Magen sich schmerzhaft verzieht, weil er es tatsächlich in Betracht zieht, dass ich Interesse an ihr habe.   „Nein“, haucht er. „Dich zu schlagen würde nichts bringen … ich bin nur so frustriert, verstehst du?“ Ich nicke, weil ich mir vorstellen kann, wie er sich fühlt. Ich kenne es selbst. Dieses Gefühl, das einen überkommt, wenn man für die Liebe seines Lebens irrelevant ist.   „Und der Sex wird auch immer schlechter.“ Meine Augen weiten sich. „Wenn es hochkommt, schlafen wir nur noch zweimal im Monat miteinander! Und dann ist alles so gezwungen, als wäre es eine Pflicht …“, echauffiert er sich weiter. „Wir sind noch nicht mal ein Jahr zusammen … Gott, meine Eltern haben heute noch regelmäßig Sex“, sagt er mit verzogenen Lippen. Ich erwidere diese Geste, denn es ist eine widerliche Vorstellung in meinem Kopf, wenn ich daran denke, dass Eltern Sex haben.   „Zu viel Information“, brumme ich und er lacht.   „Sorry … ich bin einfach nur so genervt … Sakura macht mich fertig.“   „Warum trennst du dich nicht von ihr?“ Er sieht mich so an, als wären mir Hörner gewachsen, doch dann verändert sich sein Ausdruck, wird nachdenklicher.   „Ich hab darüber nachgedacht …“, sagt er leise. „Wirklich. Aber ich glaube das kann ich nicht. Ich kann nicht mit ihr schlussmachen, wenn ich nicht weiß was überhaupt los ist …“   „Du solltest mit ihr darüber reden.“ Er nickt.   „Ja … tut mir leid, dass ich damit zu dir komme, ich hab gedacht, dass …“   „Du kannst immer zu mir kommen“, erwidere ich. „Aber ich werde dir ehrlich sagen, was ich denke, okay?“ Wieder nickt er, ehe er grinst.   „Deswegen bin ich hier. Ich will jemanden, der objektiv beurteilt, wie er die Situation sieht.“   Ich bin alles andere als objektiv eingestellt, wenn es um dich geht, Naruto Uzumaki. Wenn ich könnte, würde ich aufstehen, mich auf deinen Schoß setzen, dich küssen und dir immer wieder sagen, wie sehr ich dich liebe. Ich würde dir sagen, dass sie deine Liebe nicht verdient hat. Dass ich derjenige bin, mit dem du glücklich werden solltest.   Doch ich tue nichts von alledem. Es wäre zu egoistisch. Und die Chancen, dass er meine Gefühle erwidert, liegen im Minusbereich.   „Ich denke, du solltest sie direkt darauf ansprechen. Sie fragen, ob sie an mir interessiert ist … und daraus deine Konsequenzen ziehen.“ Also rate ich ihm, das einzig Richtige zu tun.     Er bleibt noch ungefähr für eine Stunde, die wir damit verbringen, über banale – jedoch für mich wichtige – Dinge zu sprechen. Alles, was er mir erzählt wird von mir aufgesaugt. Verinnerlicht. Und später dann, als ich wieder alleine bin, denke ich weiterhin darüber nach. Und mein verräterisches Herz begrüßt die Tatsache, dass es zwischen Naruto und Sakura kriselt. Mit diesem Gedanken lässt es sich viel besser schlafen.     Auch am nächsten Tag bringt mich diese Vorstellung dazu, mit guter Laune zur Schule zu fahren. Ignoranz für meine Mitmenschen im Bus – Schüler auf den Gelände sind uninteressant. Ich sehe sie nicht. Nur Narutos und Sakuras Ende ist in meinen Gedanken präsent. So stark, dass ich mich erst wieder daran erinnere, dass Kiba existiert, als er auf einmal vor meinem Tisch steht und grinsend auf mich herabblickt.   Das war es dann wohl mit der guten Laune. Mit einer einzigen Geste zerstört. Von einem idiotischen Betrüger, der mich erpresst.   „Na, Sasuke-chan, hast du es dir überlegt?“ Was gibt es dabei zu überlegen?   „Du bist ein Arschloch“, erwidere ich, doch er winkt nur ab und lächelt.   „Ich weiß, ich weiß. Also, wie lautet deine Antwort?“   „Würde dir ein Fick dich genügen?“   „Also soll ich das Band dann in der Mittagspause abspielen?“ Ich schnaube, presse dann die Lippen aufeinander und ziehe ein neues Blatt aus meinem Block heraus. Unter seinen wachsamen Augen schreibe ich auf, was er von mir wissen will.   „Deine Schuhgröße brauch ich noch“, fügt er hinzu, nachdem ich ihm den Zettel reichen will.   „Ich werde keine hohen Schuhe tragen“, zische ich leise, während er gluckst.   „Keine Sorge, so sehr will ich dich dann auch nicht quälen. Aber dein Outfit muss zusammenpassen, also hopp hopp, schreib sie auf.“ Ich tue, was er von mir verlangt. Natürlich mit fließender Lava im Bauch, doch ich tue es.   „41? Sasuke, du hast Kinderfüße.“   „Hast du ein Problem damit?“ Er schüttelt den Kopf.   „Nope. Das macht dich gleich noch viel niedlicher.“ Zur Antwort zeige ich ihm meinen Mittelfinger.   „Hehe“, grinst er daraufhin nur. „Ich werde dich am Freitag abholen, also halt dich bereit.“ Er dreht sich bereits um, bleibt dann jedoch stehen und blickt über seine Schulter hinweg zu mir zurück. „Achja, du solltest dich rasieren. So komplett … wenn du das nicht eh schon machst.“ Der Stift zwischen meinen Fingern wird gedanklich zum Mordutensil. Wenn ich jetzt aufspringe, um ihn die Miene ins Auge zu rammen, dann würde er leiden, richtig? Ich komme allerdings nicht dazu, meinen spontan geformten Plan in die Tat umzusetzen, denn er läuft bereits weg, da der Lehrer den Klassenraum betreten hat.    Kapitel 3: ----------- Die Stunden ziehen sich. Es ist schwer dem Unterricht zu folgen – und ausnahmsweise ist es nicht Naruto, der mich ablenkt. Es ist Sakura, die ich immer wieder dabei erwische, wie sie mich ansieht. Noch nie ist mir aufgefallen, wie häufig sie eigentlich zu mir blickt. Wieso zur Hölle habe ich das nicht bemerkt? Und wieso hat Naruto es nicht schon früher gesehen? Oder starrt sie erst seit kurzer Zeit? Egal was es ist, es ist unangenehm. Sie ist unangenehm.   Ich öffne Narutos SMS, die kurz darauf bei mir eintrifft und blicke dann nach vorn auf seinen Rücken.   'Ich werd heut in der Pause mit ihr reden'   'Okay', tippe ich zurück und sende gleich noch hinterher: 'Sag Bescheid, wenn du danach darüber reden willst …'   Kurze Zeit später antwortet er mir.   'Mach ich. Kommst du heute nach der Schule mit zu mir?'   Ich lächle, da er mich in seiner Nähe haben will. Und natürlich sage ich zu, denn wie könnte ich auch nicht? Als ich wieder aufsehe, richten sich meine Augen auf Sakura, die mich nach wie vor ansieht. Diesmal röten sich allerdings ihre Wangen, was wahrscheinlich daran liegt, dass ich noch immer lächle. Doch das ändert sich reflexartig. Sie soll bloß nicht auf dumme Gedanken kommen.     Die Pause folgt nur wenig später. Und während Naruto zu Sakura geht und gemeinsam mit ihr aus dem Raum verschwindet, lasse ich mir mit dem Packen Zeit. Wenn er heute nicht in der Cafeteria ist, sehe ich keinen Sinn darin, mich dort hinzubegeben. Auf Kiba habe ich nämlich keine Lust. Oder auf andere idiotische Leute, die nur Sport und Frauen im Kopf haben.   Ich verbringe die nächsten zwanzig Minuten auf dem Pausenhof, denke darüber nach, wie das Gespräch zwischen ihnen wohl verlaufen ist, als sich eine Nachricht auf meinem Handy ankündigt.   'Bin bei der Sporthalle', steht da knapp geschrieben. Und es ist Narutos Nummer, von der die SMS gesendet wurde. Also will er reden? Ist er fertig mit ihr? Ich laufe los, wobei ich mich darum bemühe, nicht zu rennen, denn innerlich brenne ich vor Neugierde. Er sitzt auf einer der Banken, die vor der Halle aufgestellt sind – seinen Kopf hat er nach unten gerichtet.   „Hey“, mache ich auf mich aufmerksam und schlucke, als er aus traurigen Augen zu mir aufsieht.   „Sie hat gesagt, dass sie …“ Er bricht ab, zieht eine Zigarettenschachtel aus seiner Tasche und zündet sich eine an. Mitten auf dem Schulgelände.   „Vielleicht solltest du besser nicht rauchen“, sage ich, doch er schnaubt nur.   „Ich hab aber Lust. Und ich brauche jetzt eine. Sonst schlag ich gleich was kaputt.“ Wortlos setze ich mich neben ihn. Ist es so schlecht gelaufen?   „Sie hat gesagt, dass sie Gefühle für jemand anderen entwickelt hat … und dass sie es schon viel früher hätte sagen sollen und ...-“ Wieder unterbricht er sich selbst und zieht an seiner Zigarette. „Mann, Sasuke, ich komm mir wie ein Vollidiot vor. Wieso hab ich es nie bemerkt? Ich dachte, wir wären glücklich … und dann sagt sie mir, dass sie schon länger anders empfindet.“   „Mh. Vielleicht war sie sich nicht sicher?“ Warum ich diese Frau in Schutz nehme, ist mir ein Rätsel. Sie hat den Mann meiner Träume verletzt. Eigentlich sollte ich sie suchen und ihr sagen, dass sie ein dummes Miststück ist.   „Bullshit. Weißt du, ich hätte es eigentlich merken müssen. Sie hat sich schon seit Monaten so seltsam verhalten. So distanziert und abwesend.“   „Und hast du sie gefragt, wer es ist?“ Er sieht zu mir herüber. Zieht an seiner Zigarette und blickt mich einfach nur an. Nicht feindselig. Sondern neutral.   „Hab ich“, antwortet er und pustet den Rauch heraus. „Sie hat gesagt, ich kenne ihn nicht und als ich ihr gesagt habe, dass ich weiß, dass du es bist, hat sie angefangen zu flennen.“   Also ist es doch so, wie vermutet?   „Sorry, Sasuke. Du siehst gut aus … aber mal ehrlich, was findet sie an dir? Du bist nicht sonderlich männlich und hast viel zu weiche Züge … ich wette, wenn du dich schminkst, würdest du locker als Frau durchgehen.“ Ich verschlucke mich und fange an zu husten. Und das liegt sicherlich nicht daran, dass der graue Rauch in meine Nase zieht.   „Was?“, krächze ich.   „Tut mir leid“, antwortet er. „Ich bin einfach nur … ich verstehe es nicht! Was hast du, das ich nicht habe?“   „Abgesehen von massig Gehirnzellen?“, entgegne ich schnippisch, da mich seine indirekte Beleidigung härter trifft, als ich es zugeben möchte.   „Sasuke … es tut mir leid. Ich wollte dich nicht beleidigen. Ich verstehe es nur einfach nicht … du gehst nicht mal zum Sport. Und … naja, du bist klein. Und dünn.“   „Ich bin nicht dünn“, brumme ich und erstarre im nächsten Moment, da Naruto seine Kippe wegwirft und mich ohne Vorwarnung packt und seine Arme um meine Mitte schlingt.   „Doch, das bist du, schau!“, meint er demonstrativ und drückt mir mit den Fingern gegen meine Rippen, greift nach meiner Taille. Gott, ich glaube, ich sterbe gleich.   „Naruto, lass das“, zische ich und stemme meine Handflächen gegen seine Brust, da diese Nähe mich sonst zu überwältigen droht. Doch er hört nicht auf. Er drückt noch fester zu.   „Du hast überhaupt keine Muskeln. Keinen Speck. Da ist einfach nichts. Du bist zu dünn für unseren Jahrgang.“   „Naruto … bitte.“ Er hält inne und blickt mich an. Blinzelnd scheint er zu realisieren, wie nahe wir uns eigentlich sind und zieht dann blitzschnell seine Hände zurück. Gut. Wenigstens hat er die Güte, auch rot zu werden.   „Sorry … das war gay. Ich … ich wollte dir nur zeigen, was ich meine und wirklich, denk dir nichts dabei, ich … -“ Er könnte genauso gut versuchen mit einem Messer in meiner Brust herumzubohren, um mein Herz zu finden. Es fühlt sich nämlich genau so an.   „Lass es“, murre ich. „Habt ihr euch getrennt?“ Er wird still. Verfällt in abruptes Schweigen. Allerdings nicht lange. Vielleicht zehn – fünfzehn Sekunden lang.   „Ja, sie hat gesagt, sie muss darüber nachdenken, was sie wirklich will.“   Was sie will, wird sie nie bekommen. Genau wie ich nie das bekommen werde, was ich mir wünsche. Klingt fair, mh?   „Dann lass ihr Zeit, vielleicht sammelt sie sich noch und sieht ein, dass ich nicht der Richtige für sie bin.“   „Willst du damit sagen, dass du sie null attraktiv findest?“ Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. Man könnte sie mir nackt auf den Bauch binden. Ich würde mich höchstens ekeln.   „Ja. Ich finde sie nicht anziehend. Weder körperlich noch geistig.“   „Sicher?“ Warum klingt er so unsicher?   „Naruto, ich will sie nicht. Weder jetzt noch später. Sie ist nicht mein Typ.“   „Also ist sie dir nicht gut genug.“   „Das habe ich nicht gesagt! Ich stehe nur einfach nicht auf sie!“ Dieses Gespräch regt mich auf. Was erwartet er von mir? Dass ich mir seine Ex-Freundin kralle?   „Stehst du auf dicke Titten?“ Ich atme tief ein und massiere mir für einen kurzen Augenblick mit den Fingern den Nasenrücken. Meine Augen sind dabei geschlossen. Wenn ich ihm jetzt sage, dass ich auf dicke Schwänze stehe, dann hat alles ein Ende, oder?   „Sag schon, Sasuke. Auf was für Weiber stehst du?“ Auf keine, du Idiot.   „Keine von hier.“   „Also stehst du auf ältere Frauen? Wow, das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“ Diesen Gedankengang hätte ich ihm nicht zugetraut. Er ist wirklich dumm. So dumm, dass es schon fast wieder niedlich ist.   „Denk dir, was du willst“, antworte ich ihm und stehe dann auf. „Und jetzt komm, die Pause ist schon längst zu Ende.“   „Sasuke, mir wurde gerade das Herz gebrochen, zeig ein wenig Mitgefühl, du Bastard“, schmollt er, doch ich schmunzle nur.   Willkommen im Club, mein Liebster.         Die Woche, die folgt, kann ich als die bisher beste meines Lebens beschreiben. Naruto und ich sind uns freundschaftlich noch näher gekommen, Dank seiner Trennung von Sakura, die seit Montag nicht mehr in der Schule war. Wir unternehmen viel. Mal sind wir bei mir, um zu lernen oder bei ihm, um uns die Zeit mit Spielen zu vertreiben. Wir reden. Das heißt, er redet, und ich höre zu. Ich erfahre noch mehr von ihm, finde immer neue Dinge, die mich an ihm interessieren und faszinieren. Meine Liebe für ihn wächst Tag für Tag. Auch wenn es nach wie vor ein Dämpfer ist, dass er zeitweise wegen Sakura durchhängt.   „Bis du dir sicher, dass ich dich nachher nicht mitnehmen soll?“, fragt er, als wir Freitag Nachmittag aus der Schule zu seinem Auto laufen.   „Nein … ich hab noch einen Termin.“   „Schaffst du es dann überhaupt bis um acht zur Party?“ Naruto weiß nichts von Kibas Plänen und demzufolge hat er auch keine Ahnung, dass ich heute dazu gezwungen werde, mich wie eine Frau zu verkleiden.   „Ja. Ich denke schon.“ Er nickt, ehe er die Zentralverriegelung seines Wagens betätigt, damit wir einsteigen können.   „Als was gehst du überhaupt?“, fragt er dann, nachdem er den Motor gestartet hat. Ich beobachte ihn dabei, wie er den Gang einlegt.   „Kiba entscheidet, schon vergessen?“ Seine Augenbrauen wandern nach oben.   „Was? Du lässt Kiba dein Kostüm aussuchen?! Nachher wirst du noch verunstaltet!“ Wie recht er damit hat …   „Ich denke nicht.“   „Wieso hast du mir nichts davon erzählt? Ich hätte mit ihm geredet.“ Weil dann alles auffliegen würde. Je weniger über dieses Thema gesprochen wird desto besser.   „Weil du Kiba kennst. Er würde sich dann vielleicht was noch Fieseres einfallen lassen.“ Diese Antwort stellt ihn vorerst ruhig. Zumindest solange, bis wir vor unseren Häusern halten.   „Wenn du willst, rede ich nochmal mit ihm.“   „Nein“, sage ich kopfschüttelnd. „Es war eine Wette. Und ich habe verloren.“   „Sasuke, er hat offensichtlich betrogen.“   „Und ich habe die Größe, es ihm durchgehen zu lassen.“ Er sieht mir skeptisch entgegen, schnallt sich dann jedoch ab, nachdem er geparkt hat.   „Okay … wenn du meinst?“ Ich schmunzle. Dieser Abend wird wahrscheinlich der schlimmste in meinem Leben, doch das ist mir egal. Solange Kiba dichthält und damit aufhört, mich zu erpressen, ist mir alles egal.         Es dauert gefühlte Stunden, die ich im Bad verbringe, um das zu tun, was Kiba mir geraten hat. Die Enthaarungscreme meiner Mutter neigt sich ihrem Ende zu – genauso wie der Rest meiner guten Laune. Wie können Frauen es auf sich nehmen, sich ständig diesen Mist auf die Beine zu schmieren? Oder ihre Achseln zu rasieren? Es ist aufwendig. Es stinkt. Und es ist ein verdammt seltsames Gefühl, so glatt zu sein.   Nichtsdestotrotz führe ich den Job zu Ende, um zwei Stunden später erschöpft aus dem Bad in den Flur zu treten, wo meine Mutter bereits auf mich wartet. Sie mustert mich.   „Rieche ich da meine ROOT-Enthaarungscreme?“, fragt sie, klingt dabei schon fast vorsichtig, so als sei sie sich nicht sicher.   „Ich …“   „Du enthaarst dich?“   „Ich hab nur …“ Sie hebt ihre linke Augenbraue an.   „Du enthaarst dich“, stellt sie fest. „Weshalb?“   „Ich wollte spüren, wie es sich anfühlt?“, biete ich ihr lahm an und sehe, dass sie anfängt zu lächeln.   „Wirklich? Warst du deshalb so lange im Bad? Ich habe schon gedacht, dass du dich befriedigst.“ Den Gesichtsausdruck, der sich daraufhin auf meine Züge legt, sieht so aus, als hätte ich in eine Zitrone gebissen. Mein Magen fühlt sich flau an – und obwohl ich gerade geduscht habe, fühle ich mich beschmutzt. Beschmutzt von ihren Worten. Warum lacht sie jetzt so bescheuert?   „Oh Sasuke, Liebling. Tut mir leid, ich dachte nur …-“   „Mum, bitte. Sprich nicht weiter … Töte mich, weil ich deine Creme benutzt habe, aber sprich nicht weiter.“ Jetzt lacht sie noch stärker. Hält sich den Bauch, während ich mir wünsche, dass sich ein schwarzes Loch unter meinen Füßen öffnet. Doch da das nicht geschieht, laufe ich an ihr vorbei, um in mein Zimmer zu flüchten.   Wenn der Abend jetzt schon so schlecht anfängt, wie wird er dann erst enden?     Um sechs Uhr ist es dann soweit. Meine Tasche ist gepackt, denn ich werde wohl oder übel bei Kiba übernachten müssen, der bereits draußen steht und auf mich wartet, wie meine Mutter vor ein paar Minuten verkündet hat. Ich lasse mir absichtlich noch ein paar Minuten Zeit, ehe ich nach unten gehe und mich von meinen Eltern verabschiede, die beide im Wohnzimmer sitzen und fernsehen.   „Ich wünsch dir viel Spaß, Schatz“, sagt meine Mutter, während mein Vater kurz brummt. Scheinbar interessiert es sie gar nicht mehr, dass ihr Sohn die Nacht woanders verbringen wird. Zum ersten Mal in seinem Leben … Aber sei es drum. Mit einem entnervten Gefühl im Bauch trete ich Kiba schließlich entgegen, der lässig grinsend an seinem Auto lehnt.   „Ich hab schon gedacht, du machst einen Rückzieher“, begrüßt er mich und ich rolle die Augen. Muss er jetzt unbedingt mit mir reden?   „Bringen wir´s hinter uns.“   „Wie du wünscht, Prinzessin“, erwidert er und öffnet dann die Beifahrertür, geht ein Stück zur Seite und macht eine einladende Bewegung mit seinem Arm.   „Idiot“, brumme ich und steige ein.   Nachdem er im Wagen ist und sich angeschnallt hat, startet er auch schon den Motor und legt den Gang ein.   „Ich bin richtig froh, dass alles nach Plan verläuft“, eröffnet er ein Gespräch, an dem ich eigentlich gar nicht teilhaben möchte. „Naruto hat sich von der Schlampe getrennt, du wirst nachher von mir gestylt … besser könnte es gar nicht laufen.“   „Wenn du Sakura nicht leiden kannst, weshalb hast du dann mit ihr gelernt?“   „Mit Sakura gelernt? Niemals. Ich hab ihr einen anderen Deal angeboten … heh. Ich freue mich wirklich auf heute Abend.“ Was er mit dieser Aussage meint, ist mir im Moment so ziemlich egal.   „Wie hast du es dann geschafft 97 % zu erzielen?“   „Erzielen? Sasuke, du hörst dich an wie ein alter Mann. Und wie ich es geschafft habe? Ich hatte ein wenig Hilfe.“ Ich ignoriere seine Spitze.   „Deine Unterlagen?“   „Nope, noch viel besser.“   „Und was ist noch viel besser als Unterlagen?“   „Die Klausur natürlich.“ Meine Augen weiten sich.   „Du hattest die Klausur schon vorher?“ Grinsend blickt er mich an, als wir an einer Ampel halten müssen.   „Klar. Shikamaru hat mir noch einen Gefallen geschuldet. Seine Klasse hat die Klausur bereits letztes Jahr geschrieben.“ Shikamaru Nara. Ein Genie. Jemand, der sogar noch intelligenter ist als ich selbst. Nicht, dass ich es offen zugeben würde … doch insgeheim weiß ich es. Er ist eine Stufe über uns …   „Du hast dir also die Klausur von Shikamaru geben lassen? Ernsthaft?“ Er fährt weiter und gluckst.   „Jap. Hab mir alle Antworten aufgeschrieben und dann einfach nur abgegeben.“   „Und der Lehrer hat nichts gemerkt?“   „Nö. War ja schließlich meine Handschrift. Die Aufgaben habe ich erst zum Schluss nummeriert, für den Fall, dass er die Fragen anders gesetzt hätte.“ Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt. Vielleicht ist Kiba nicht gerade der Hellste, doch er ist mit Sicherheit bauernschlau.   „Wie schön, dass dir das beim Abschluss nicht helfen wird.“   „Das überlass mal schön mir, Prinzessin.“ Ich knurre unterdrückt.   „Nenn mich nicht so. Ich bin ein Mann, okay?“   „Nicht mehr lange, Sas, nicht mehr lange.“       Ich verfluche diesen dämlichen Idioten dafür, dass es für diese Scharade noch einen weiteren Zeugen geben wird. Jemand der ihm helfen soll, mich zu verwandeln.   „Tenten wird sich um das Makeup kümmern. Damit hab ich nämlich nichts am Hut“, meint er mit einem fiesen Grinsen, nachdem er mich der Frau vorgestellt hat, die sich mit uns in seinem Zimmer befindet.   „Du hast wirklich verdammt gute Haut, ich bin fast neidisch“, sagt sie und grinst dabei genauso dreckig.   „So, hier ist das Kleid, die Strümpfe und die Schuhe. Den Bolero und die Perücke machen wir später. Da drüben ist das Bad.“ Er deutet auf eine Tür, die sich in seinem Zimmer befindet und hält mir eine Tüte hin. Ich überlege kurz, ob ich sie ihm ins Gesicht schleudern soll, doch ich tue es nicht sondern greife stattdessen danach, um sie mit ins Bad zu nehmen, das ich hinter mir abschließe. Es ist ein großer Raum. Die Dinge, die hier herumstehen lassen mich jedoch darauf schließen, dass er es nicht alleine benutzt. Und die weitere Tür, die hier herausführt, bestätigt meine Vermutung. Wahrscheinlich teilt er sich das Bad mit seiner Schwester … es sei denn, er schminkt sich doch heimlich …   Als ich die Tüte öffne, um das Kleid und die langen Feinstrümpfe herauszuziehen, hadere ich einen Moment lang mit mir selbst. Ich könnte es zerreißen. Einfach zerstören, meine Sachen packen und verschwinden. Ist das wirklich sein Ernst? Ein schwarzes, kurzes Kleid, das offensichtlich nur knapp bis zu meinen Knien reichen wird. Wenn überhaupt! Es ist oben enganliegend, die schwarzen Stoffstreifen, die als Träger dienen, lassen sich hinter dem Nacken verschließen und unten herum ist es etwas weiter.   Silberne Bändchen um die Taille. Will er mich komplett verarschen?   Fluchend ziehe ich meine Klamotten aus und versuche dann zunächst, diese widerlichen Strümpfe anzuziehen, die, wie ich feststelle, bis hoch zu meinen Oberschenkeln reichen. Sie sind oben sogar gummiert, um besseren Halt zu spenden … und mit Spitze versehen …   Ich werde ihn töten!   Und diesen Gedanken behalte ich, als ich schließlich versuche, mich in das Kleid zu zwängen. Es passt, doch es fühlt sich unangenehm an. Es reicht nicht mal bis zu den Knien …   „Bist du dann soweit?“ Kiba klopft gegen das Holz und ich bin fast dazu gewillt ihm zu sagen, dass er tot umfallen soll, doch ich tue es nicht sondern öffne die Tür.   Sein dummer Gesichtsausdruck ist es doch tatsächlich wert. Meine Laune steigt sogar minimal an.   „Wow … du … wow …“   „Kiba, mach den Mund zu und geh zur Seite, damit er rauskommen kann, ich will ihn auch sehen.“ Kiba stolpert zwei Schritte nach hinten, die Lippen noch immer geöffnet, sein Blick ungläubig. Langsam wird es doch unangenehm, so angestarrt zu werden.   „Wow! Du siehst heiß aus!“ Tentens Augen hingegen funkeln angetan. Sie macht mir Angst. Und dass sie nach meiner Hand greift, um mich aus dem Bad zu ziehen, passt mir nicht im Geringsten. Sie schubst mich auf das Bett und greift gleich darauf nach einem Koffer, den sie neben mir auf die Matratze stellt. „Ehrlich. Du könntest glatt als Frau durchgehen. Hast du deine Beine rasiert?“ Sie hebt ungefragt mein Bein an. „Tatsache. Wow. Besser hätte ich es auch nicht hinbekommen. Sicher, dass du ein Mann bist?“   „Ja“, presse ich hervor, kurz davor all das hinter mir zu lassen. Kann es eigentlich noch schlimmer werden?   „Du hast die Bänder falsch geschnürt. Warte, ich helf dir“, sagt sie und greift hinter mich, um das Kleid richtig zu schließen. „Kiba, hol schon mal die Perücke. Und die Schuhe, die fehlen auch noch“, dirigiert sie ihn und öffnet dann ihren Koffer, der mit massig Makeup gefüllt ist.   Oh, welch Strafe. Warum? Warum habe ich mich dazu hinreißen lassen? Jeder weiß doch, dass solche Dinge immer nach hinten losgehen.   „So Hübscher, schau mich an damit ich dich noch hübscher machen kann.“       „Wow … das ist echt heftig.“   „Ja. Schau dir mal an, wie lang seine Wimpern sind …“   „Mit den langen schwarzen Haaren … hätte er noch Brüste würde ich ihn glatt anbaggern.“   „Sieh dir erst mal die langen Beine an! Jede Frau wäre neidisch!“   „Ja. Und jeder Kerl würde sich sofort auf ihn stürzen. Im Ernst, wie hast du das so hinbekommen?! Er sieht aus wie ein Mädchen!“   „Wenn ihr nicht sofort aufhört über mich zu reden als sei ich nicht hier werde ich auf der Stelle verschwinden“, sage ich kalt und stehe dann das erste Mal auf, nachdem die Tortur ihr Ende gefunden hat. Die Schuhe, in die ich vorhin geschlüpft bin sind schwarz. Schwarz und flach … und seltsamerweise auch bequem. 'Das sind Ballerinas', äffe ich Tentens Stimme in Gedanken nach und werfe dann endlich einen Blick in den Spiegel, um das Ausmaß des Schadens zu begutachten.   Es erschreckt mich, mich selbst so zu sehen. Das Kleid … der Übergang zu den Strümpfen, mein Gesicht, die langen, falschen schwarzen Haare … all das fühlt sich so fremd an. Sieht so fremdartig aus. Das bin nicht ich. Diese Hülle, die mir kaum noch gleicht.   Ich wende den Blick von meinem Spiegelbild ab und sehe stattdessen zur Seite. Wenn Naruto mich so sieht … wird er lachen? Mich auslachen?   „Okay Jungs, ich werd mich dann mal wieder auf den Weg machen bevor Neji ausrastet“, höre ich Tenten sagen, doch ich erwidere nichts, als sie sich von Kiba und mir verabschiedet. Ich kann meine Stimme nicht finden.   „So, dann sind nur noch wir übrig.“ Meine Augen sind zu Schlitzen verengt und auf Kiba gerichtet. „Schau nicht so böse … obwohl ich sagen muss, dass es wirklich sexy aussieht.“   „Lass den Scheiß“, zische ich. Dass ihm dieses Spiel hier gefällt, das ist mir bewusst. Und ich hasse ihn dafür.   „Sasuke … glaub mir, das ist alles zu deinem Besten.“   „Zu meinem Besten? Wie bitteschön soll mir das helfen? Du erniedrigst mich. Du weißt ganz genau was ich für ihn empfinde und trotzdem erniedrigst du mich. Und das vor ihm! Du bist ein dreckiger Bastard, ein dummer ...-“ Seine Handfläche landet auf meinem Mund, seine andere Hand umfasst meinen Oberarm. Ich habe noch nicht mal die Chance zu reagieren, da hat er mich auch schon aufs Bett geschmissen und sich über mich gebeugt.   „Du beruhigst dich jetzt, okay?“ Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihm entgegen. „Du wirst jetzt tief durchatmen und dich entspannen.“   „Du Wichser.“   „Kann sein“, haucht er und streichelt mir dann unvermittelt über die Wange, greift nach meinem Kinn und zwingt mich somit dazu, ihn anzusehen. „Aber weißt du, ich will für euch beide nur das Beste. Deshalb musst du mir ein bisschen entgegenkommen.“   „Geh von mir runter und lass mich los.“ Meine Finger sind um sein Handgelenk geschlossen.   „Nein.“   „Was soll das? Bist du bescheuert? Lass mich gefälligst sofort los!“ Mit meiner freien Hand stemme ich mich gegen ihn, versuche irgendwie, mich aus dieser Nähe zu winden, doch es klappt nicht. Er ist zu schwer. Viel zu schwer, um ihn von mir zu schubsen.   „Sasuke“, sagt er mahnend. „Du wirst dich jetzt beruhigen, sonst werd ich gleich ganz andere Seiten aufziehen, verstanden?“ Ich halte still, denn sein Blick hat etwas Gefährliches an sich. Er würde mich schlagen? Würde er?   „Was willst du tun? Mich verprügeln?“   „Ich gebe zu, das wäre verlockend, doch ich denke, ich bringe dich auch anders zum Schweigen.“ Ich halte die Luft an, als ich seine Hand auf einmal an meinem Oberschenkel spüre. Er streichelt mich, drückt leicht zu. „Siehst du? Schon besser.“ Als er sich erhebt und mich freigibt, kann ich mich immer noch nicht bewegen, geschweige denn regelmäßig Luftholen.   „Wenn du eine Frau wärst, würde ich es wahrscheinlich wirklich tun. Aber da ich weiß, wer du bist, werde ich mich vorerst zurückhalten“, sagt er ruhig und zieht sich dann sein Shirt über den Kopf. Sein muskulöser Rücken ist mir zugedreht. Wenn ich jetzt aufstehe, um ihn zu erstechen … „Du gehst am besten schon mal nach unten, die ersten Gäste werden bald hier sein.“ Er entledigt sich seiner Alltagskleidung. Wahrscheinlich wird er gleich sein Kostüm anziehen.   „Ich soll deine Gäste begrüßen?“ Als ich seinen letzten Satz registriert habe, finde ich auch meine Stimme wieder.   „Klar. Lass sie rein und biete ihnen Getränke an.“   „Ich bin nicht deine Hausdame!“, zische ich und richte mich abrupt auf. Das künstliche Haar fliegt dabei nach vorn über meine Schultern, doch das nehme ich nur am Rande wahr.   „Bist du nicht, aber du hilfst mir. Ansonsten werde ich heute eine kleine Aufnahme über die Boxen laufen lassen.“   „Das ist nicht fair! Warum tust du das?“   „Weil ich es kann. Und jetzt geh nach unten, ich will mich umziehen.“ Stampfend verlasse ich den Raum, irritiert und entnervt, dass dieses verdammte Kleid ständig hin und herschwingt. Er hat wirklich Nerven. Nicht nur, dass er die Wette durch Betrügen gewonnen hat, nein, er nimmt mich auch noch ohne meine Zustimmung auf und erpresst mich damit! Ich werde ihn umbringen. Ihm etwas ins Getränk mischen, das ihn bewusstlos werden lässt. Dann werde ich ihn fesseln. Jedes einzelne Haar an seinem Körper mit einer Pinzette ziehen … ehe ich ihn in den Fluss werfe. Dieser miese Bastard!       Als es zum ersten Mal an der Tür des Hauses klingelt, ist es 19:52 Uhr. Also jemand, der zu früh auf der Party erscheint … Ich atme tief durch, versuche meinen rasenden Puls zu beruhigen, als ich mit klammen Fingern, die sich in den Saum des Kleids krallen, zur Tür gehe, um sie zu öffnen. Ich bete, dass es nicht Naruto ist, der geklingelt hat. Ich hoffe darauf, dass er sich Zeit lässt. Dass er erst viel viel später auftaucht, als die anderen, so dass ich wenigstens den Hauch einer Chance habe, mich vor ihm zu verstecken.   „Wow.“ Der Mann, der vor der Tür steht ist mir unbekannt und trägt ein albern aussehendes Kostüm, das ich nicht zuordnen kann. Ich ignoriere seinen Blick, der an mir auf und abgleitet und trete zur Seite, ohne ein Wort zu sagen. „Bist du auf der Konoha-High? Ich hab dich noch nie gesehen.“ Ich schüttle den Kopf. „Dachte ich mir. Sorry, wenn ich so direkt bin, aber du sieht verdammt scharf aus in deinem Kostüm. Das ist doch ein Kostüm, oder?“   „Ich bin ein Mann“, brumme ich, da die Vorstellung, dass er mich als Frau sieht, einfach nur abstößt. Und scheinbar geht es ihm jetzt ähnlich, denn er sieht mich angewidert an.   „Alter, echt? Aber du siehst aus wie ne Frau … wieso verkleidest du dich wie ne Frau? Bist du homo?“   „Willst du etwas trinken?“ Ich sehe, dass er schluckt.   „Eh … nein. Ist Kiba hier?“   „Auf seinem Zimmer“, antworte ich monoton und lasse ihn dann im Flur einfach stehen, um genau dahin zu gehen, wo sich der miese Bastard befindet. Er steht vor seinem Spiegel und schmiert sich Gel in seine Haare. Außerdem trägt er einen Anzug, der ihm mindestens eine Nummer zu groß ist.   „Mach deinen Leuten selbst auf, ich bin raus.“ Sein Augen wandern nur kurzzeitig zu mir, ehe er seinen Blick wieder auf sich selbst richtet.   „Warum? Ist schon jemand da?“   „Irgendein Typ, der mich langweilt“, antworte ich, die Arme vor der Brust verschränkt.   „Und weshalb langweilt er dich?“   „Weil er genauso ein Arschloch ist wie du.“ Er zieht eine Augenbraue in die Höhe und lässt dann endlich von seiner schmierigen Frisur ab, um sich die Hände an einem Tuch abzuwischen. Was stellt er dar? Die Spar-Version eines Mafioso?   „Weißt du Sasuke, eigentlich müsste ich dich für die Dienstverweigerung züchtigen, aber ich sehe davon ab, weil jetzt mindestens schon einer weiß, dass du in Wirklichkeit ein Kerl bist.“ Er kommt auf mich zu – natürlich grinsend – und bleibt dann vor mir stehen. „Außerdem geht es gleich richtig los. Alle werden dich so sehen … freust du dich schon drauf?“ Seine Hand hebt sich, wandert zu meinem falschen Haar. Seine Fingern greifen nach einer Strähne, umwickeln sie. „Ich freue mich nämlich schon richtig drauf …“ Dann lässt er von mir ab und geht an mir vorbei, ohne auf meine Antwort zu warten. Eine Antwort, die ich ihm nicht geben könnte ohne ihn mit Blut zu bespucken, weil ich mir so heftig auf die Innenseite meiner Wange beiße.   Nach geschätzt zwanzig Minuten stehe ich noch immer in seinem Zimmer, höre nebenbei, dass sich das Haus mit Leuten füllt und überlege, wie sich vielleicht doch noch eine Möglichkeit finden lässt, hier herauszukommen, ohne bemerkt zu werden. Sein Zimmer liegt im ersten Stock, allerdings besteht der Boden um das Haus herum aus Kies … und dadurch würde ich mir zumindest etwas brechen, wenn ich aus dem Fenster springe. Doch weiter kann ich die Gedanken auch nicht ausführen, da sich die Tür zu dem Raum öffnet – ich wirble herum – und wie ich feststelle, ist es niemand Geringeres als Naruto, der mich ansieht. Mir gegenübersteht. Mit einem geschockten Gesichtsausdruck. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.   „Sorry … ich wusste nicht, dass jemand hier drin ist“, sagt er, während seine Augen an mir auf und abwandern. „Kiba hat gesagt, ich soll ne CD aus seinem Zimmer holen.“   Erkennt er mich nicht? Ich mustere seine Erscheinung. Ein perfekt sitzender Anzug, eine schwarze Weste, der Melonenhut …   „Uhm, ich bin Naruto“, sagt er dann und kommt auf mich zu. Ist das wirklich sein Ernst? Er erkennt mich nicht? Sehe ich so anders aus? Als er mir seine Hand hinhält, blinzle ich.   „Du erkennst mich wirklich nicht.“ Ich höre, dass er scharf die Luft einzieht und werde Zeuge davon, wie seine Augen noch größer werden. Jetzt sieht er wirklich geschockt aus.   „Sasuke?“, krächzt er. „Bist du das?“   „Ja.“   „Was zum Teufel?!“, bricht es seltsam quietschig aus ihm heraus, ehe er mich an den Armen packt. „Was ist mit dir passiert? Warum bist du … warum bist du so angezogen? Bist du geschminkt?“ Ich schweige daraufhin, denn mein Puls ist durch diese Geste noch weiter angestiegen. Mein Herz klopft fast schon schmerzhaft gegen meinen Brustkorb. Und sein Blick macht es nicht gerade besser. Am liebsten würde ich im Boden versinken. Versinken und nie wieder auftauchen.   „Hat Kiba das getan?“, haucht er dann, seine Züge von Mitleid geprägt. Was soll ich ihm sagen? Die Wahrheit? Er würde mich auslachen. Beschämt drehe ich den Kopf zur Seite. „Sasuke? Hat Kiba das getan?“, fragt er erneut und lässt dann von mir ab. Zumindest von meinen Armen, denn seine Finger wandern unter mein Kinn. Er dreht mein Gesicht zu ihm, sieht mir tief in die Augen.   Gott, ich will sterben. Es ist so unsagbar peinlich.   „Ja“, sage ich, die Hände zu Fäusten geballt, weil meine Arme anfangen zu zittern.   „Ich werde ihn umbringen. Zieh dich um! Wir fahren nach Hause.“ Er klingt so wütend, dass ich einen Schritt nach hinten zurückweiche. Wenn er jetzt zu Kiba geht, dann war alles umsonst. Alles wird auffliegen. Und das kann ich nicht zulassen. Also greife ich nach ihm, als er im Begriff ist, sich umzudrehen.   „Warte“, hauche ich. „Warte …“   „Huh? Worauf warten?“ Er sieht über die Schulter hinweg zu mir nach hinten, dreht sich dann jedoch wieder zu mir zurück. „Darauf, dass du dich vor allen Leuten zum Affen machst?“   „Nein. Es ist meine Wette. Ich habe sie verloren.“   „War das der Einsatz? Dass du dich anziehst wie eine Frau?“ Er sieht zornig aus. Sieht genauso aus, wie ich mich die letzten Stunden über gefühlt habe.   „Ja, das war der Einsatz, Naruto. Und ich werde diesen Einsatz durchstehen.“   „Durchstehen?“, hakt er ungläubig nach. „Sasuke, das geht zu weit! Wieso hast du ihm nicht gesagt, dass er sich ins Knie ficken soll? Willst du wirklich so rumlaufen?“ Ich lasse sein Handgelenk los, blicke nach unten auf den Boden.   Ja, ich werde es tun. Um dieses Geheimnis zu beschützen, das dich noch viel weiter von mir wegtreiben würde, als dieser temporäre Zustand es jemals könnte.   „Ja. Ich habe verloren und werde das Beste daraus machen. Also lass es gut sein.“   „Ich werd ihm die Fresse polieren.“   „Naruto, es ist meine Entscheidung …“   „Deine Entscheidung, wie eine Frau verkleidet auf einer Party herumzulaufen, auf der unser gesamter Jahrgang sein wird? Weißt du, was danach passieren wird? Du wirst das Gespött der ganzen Schule!“   „Das ist mir egal.“ Denn das ist es auch. Was andere von mir denken, ist mir egal. Solange er zu mir hält …   „Sasuke … das kann dir nicht egal sein.“   „Ist es aber. Diese Leute bedeuten mir rein gar nichts. Sie sind nicht ...-“ Du. Ich breche ab, bevor ich es aussprechen kann. Naruto seufzt daraufhin. Dann wird es still zwischen uns. Ich kann seinen Blick auf mir spüren.   „Wie hat er das überhaupt so hinbekommen? Meine Güte, Sasuke, du siehst wirklich aus wie eine Frau …“   „Er hatte Hilfe von Tenten …“   „Tenten? Nejis Tenten?“ Da sie den Namen vorhin erwähnt habe, nicke ich und blicke dann wieder auf.   „Es ist meine Entscheidung. Und ich werde es durchziehen.“ Er fährt sich mit der flachen Hand über das Gesicht und stöhnt auf.   „Okay. Pass auf. Ich hab keine Ahnung, warum du meinst, dass dein Stolz hier etwas zu suchen hätte, aber hier ist der Deal: Du wirst am besten überhaupt nichts sagen … und dich an mich halten. Ich stelle dich als meine stumme …“, er zögert kurz, „Freundin vor, okay? Dann überstehst du den Abend vielleicht ohne bleibende Schäden. Und mit Kiba werde ich noch reden“, spricht er weiter und greift nach meiner Hand, um mich hinter sich aus dem Raum zu ziehen. „Also kein Wort zu niemandem, okay?“   Ich bleibe stumm, als er mit mir über den Flur zu den Treppen läuft. Ich versuche zu begreifen, was gerade vor sich geht. Seine warme, große Hand, die sich meiner perfekt anpasst. Sein schneller Schritt, der uns geradewegs nach unten führt, wo schon viele Menschen dabei sind, sich sinnlos zu betrinken. Ich kann gar nichts sagen. Selbst dann nicht, als wir vor Kiba stehen und Naruto ihn mit in den Flur schleift, abgeschirmt von den anderen. Ich höre nicht einmal die ersten gezischten Worte, die Kiba entgegen geworfen werden. Erst als er seine Finger von mir löst, blicke ich auf.   „Chill mal. Er hat verloren und trägt die Niederlage mit Würde.“   „Bullshit“, knurrt Naruto. „Du hast irgendwas gemacht damit er sich so anzieht! Also, womit hast du ihm gedroht?“ Wenn mein Puls noch weiter steigt, falle ich gleich um. Doch das wäre gar nicht so schlimm, denn dann müsste ich das hier nicht mitbekommen. Dann wäre es einfach vorbei. Kiba würde nichts sagen und Naruto hoffentlich davon abblassen.   „Mit nichts. Oder, Sasuke?“, erwidert Kiba und blickt mich dann schmunzelnd an. Ich höre Naruto schnauben, doch bevor er etwas sagen kann, antworte ich mit einem festen 'Ja'.   „Siehst du. Ich hab nichts getan. Nur den Einsatz genannt. Sasuke ist eben nicht ehrlos und respektiert seine Niederlage. Es ist fair.“   „Das nennst du fair? Ich sag dir mal was, sollte ich herausbekommen, womit du ihm drohst, werd ich dir den Arsch aufreißen. Verstanden?“, donnert Naruto, die Miene vor Wut verzerrt. „Und noch was. Er wird nicht als dein Partygag missbraucht, also schmink es dir gleich ab. Er wird nicht sprechen und du wirst ihn auch nicht dazu bringen.“   „Aha? Und wie soll er dann mit Leuten reden?“   „Gar nicht. Er ist stumm. Und mit mir hier.“   „Also spielst du den Transen-Freund.“ Ich zucke zusammen, als Naruto sich auf einmal auf Kiba stürzt und ihn gegen die nächstbeste Wand drückt. „Noch ein falsches Wort …“   „Dann? Dann zettelst du auf meiner Party eine Schlägerei an? Willst du das wirklich? Spätestens dann wird jeder wissen, dass Sasuke keine richtige Frau ist … weil ich es ihnen sagen werde.“ Naruto zieht Kiba von der Wand weg und stößt ihn mit einem Ruck von sich weg.   „Du bist ein verdammter Wichser. Ein dreckiger Wichser, Kiba. Ich weiß gar nicht, weshalb ich überhaupt mit dir befreundet bin“, sagt Naruto kühl, ehe er mich ansieht. „Komm, ich fahr dich nach Hause.“   „Nein“, antwortet Kiba jedoch an meiner Stelle. „Er wird nicht gehen. Oder, Sasuke?“ Sein heimtückisches Grinsen zeigt mir, dass ich mich in einer aussichtslosen Lage befinde.   „Das ist nicht dein Ernst … nach all dem denkst du wirklich, dass wir noch hierbleiben?“   „Du kannst ja gehen, aber Sasuke bleibt.“   „Sasuke“, sagt Naruto entnervt. „Komm, wir gehen.“ Als er nach meiner Hand greift und versucht in Richtung Tür zu laufen, bleibe ich wie angewurzelt stehen. Ich kann gar nicht gehen.   „Sasuke?“   „Nein … ich bleibe.“   „Was?!“   „Naruto“, sage ich ruhig und löse seine Finger von mir. „Es ist okay, wirklich. Ich habe verloren und akzeptiere es … also bitte, akzeptier du es auch.“   „Ist das wirklich dein Ernst? Du willst wirklich hierbleiben? Obwohl du weißt, was passieren kann?“   „Herrgott“, mischt sich Kiba wieder ein. „Es ist eine Kostümparty, mach dir mal nicht ins Hemd, nur weil du Schwule so abstoßend findest. Ich wette mit dir, dass es die Hälfte nicht mal interessieren wird. Nur du tickst so aus.“ Narutos Mund öffnet sich, doch kein Ton dringt hervor. Er starrt nur. Wie ein Fisch, der ins Trockene geworfen wurde.   „Komm, Sasuke.“ Ich lasse mich von Kiba zurück ins Wohnzimmer ziehen, den Blick dabei auf Naruto gerichtet, der noch immer auf die Stelle starrt, an der sein bester Freund bis eben noch gestanden hat.       Es ist ein seltsames Gefühl zu wissen, dass man beobachtet wird. Eine Stunde nach dem Streit im Flur – die Party ist mittlerweile im vollen Schwung – kann ich Narutos Augen, der entgegen meiner Erwartung nicht verschwunden ist, immer wieder auf mir spüren. Er hält sich abseits, redet mit mir unbekannten, und doch beobachtet er mich. Sucht nach mir. Ich, der die ganze Zeit neben Kiba steht und die stumme Freundin mimen muss. Denn auch Kiba hat scheinbar davon abgesehen, mich weiter zu quälen und stattdessen beschlossen, genau das zu tun, was sein bester Freund von ihm verlangt hat.   Es wundert mich, dass mich bisher niemand erkannt hat, denn zu sagen, da wäre nichts mehr, was zu mir gehört, ist eine Lüge. Wahrscheinlich liegt es jedoch daran, dass ich für diese Leute ohnehin unsichtbar war. Sie kannten mich nicht. Mich, den Schatten, der erst vor kurzem zu der Gruppe von Naruto gestoßen ist.   Apropos Naruto. Er scheint viel zu trinken. Ein Becher nach dem anderen wird von ihm geleert. Und das obwohl der Abend noch jung ist. Es ist das erste Mal, dass ich dabei zusehe, wie er immer ungehemmter wird. Röte eines Betrunkenen ziert seine Wangen, er lacht immer lauter, immer mehr. Auch wenn die Musik es mir eigentlich unmöglich machen müsste, ihn zu hören – ich höre ihn.   „Kiba!“ Ich zucke zusammen, da ich sie bisher noch gar nicht gesehen habe. Was macht sie hier?   „Ah, ich hab mich schon gefragt wann du kommst.“ Ich mustere ihre Erscheinung, die mich entfernt an eine Prostituierte erinnert, die sich ein billiges Schwesternkostüm übergeworfen hat. Ihr Rock ist noch kürzer als meiner – dass ich diesen Vergleich überhaupt bringen muss – und ihr Oberteil quetscht ihre kleine Brust nach oben.   „Ich hab dir doch gesagt, dass es später wird … also, ist er schon da?“   „Wen meinst du?“   „Na Sasuke!“ Kiba fängt bei ihrem Ausruf an zu Glucksen.   „Ne, er kommt erst später. Aber Naruto ist da.“   „Oh? Naruto ist hier? Hast du nicht gesagt, dass du …-“   „Sakura“, unterbricht er sie. „Lass uns hochgehen, da können wir ungestört reden.“ Erst jetzt richtet sich ihr Blick auf mich. Sie blinzelt. Ein, zweimal.   Tja, Missy, ich bin sogar als Frau noch hübscher als du …   „Wer ist das?“ Ich öffne den Mund, doch Kiba kommt mir zuvor:   „Das ist Sasika. Meine stumme Cousine.“ Sasika … Sasika.   „Stumm?“ Ich verdrehe die Augen. Er war doch so erpicht darauf, mich auflaufen zu lassen, weshalb nicht vor ihr?   „Aha? Kann sie hören?“   „Sie ist stumm Sakura, nicht taub.“ Sakura sieht mich unsicher an. Ich kann gar nicht anders, als zu grinsen.   „Hi“, sagt sie schüchtern und reicht mir ihre Hand. „Ich bin Sakura.“ Ich nicke ihr zur Antwort nur zu und klopfe Kiba dann lächelnd gegen den Arm, um ihn mit klimpernden Wimpern und meinen Fingern zu signalisieren, dass ich kurz Austritt brauche.   Ehrlich. Wenn ich noch eine Minute länger hierbleiben muss, dann werde ich anfangen zu lachen. Und dann wäre Kibas Scharade zu Ende.   Sakuras IQ zeigt sich womöglich wirklich nur in Klausuren und Facharbeiten.   Kühle Abendluft empfängt mich, als ich auf die Terrasse trete, den Blick nach oben in den Himmel gerichtet. Es ist bereits dunkel und mich überkommt ein leichtes Frösteln, das selbst der Bolero nicht abzuschirmen vermag. Doch das ist okay. Hier draußen ist es ruhig. Keiner stört mich. Und ich muss niemand sein, der ich gar nicht bin.   Vielleicht kann ich ja noch für ein paar Stunden hier draußen bleiben?   „Sasuke!“ Ich erstarre, als die Tür zur Terrasse erneut aufgeschoben wird und Naruto zum Vorschein bringt. Einen grinsenden, offensichtlich betrunkenen Naruto, der zu mir nach draußen stolpert und die Tür wieder schließt. „Du bist vor mir abgehauen“, fängt er auch gleich an und lässt mich somit eine Augenbraue anheben. „Du bist einfach so abgehauen!“   „Ich bin noch hier … ich wollte nur frische Luft schnappen.“   „Lüge, du bist mit Kiba abgehauen!“ Daher weht also der Wind. Ich beobachte ihn dabei, wie er ungeschickt versucht, sich eine Zigarette anzuzünden. Das Licht, das dabei von drinnen dringt, beleuchtet nur schwach seine Züge.   „Ich bin zurück auf die Party gegangen …“   „Mit Kiba!“, sagt er laut und rollt dann über das kleine Rädchen an seinem Feuerzeug, das aus irgendeinem Grund nicht anspringen will. „Mit Kiba bist du abgehauen … und hast mich einfach so stehenlassen!“, wirft er mir vor, die Zigarette zwischen den Lippen. Er sieht schon etwas affig aus, so aufgebracht, mit dem Ding in seinem Mund … Seufzend nehme ich ihm das Feuer ab und entzünde es für ihn. Es stellt ihn auch für einen kurzen Moment lang ruhig, zumindest so lange, bis er den ersten Zug genommen hat.   „Warum bist du mit ihm mitgegangen? Wir hätten nach Hause fahren können.“   „Weil ich es wollte.“   „Du lügst“, sagt er kopfschüttelnd. „Du musst lügen. Du würdest dich doch niemals so behandeln lassen, oder?“   „Naruto, es ist nur ein Kleid.“   „Und? Du bist ein Kerl!“ Es ist frustrierend, jedes Mal aufs Neue seiner starren Haltung zu begegnen.   Es ist angekommen. Du willst mich nicht. Du findest es widerlich … aber bitte, hör endlich auf darüber zu sprechen, du Idiot.   Gedanken, die nicht aus meinem Mund herauskommen, denn mein Standpunkt zu dieser Sache gleicht in seiner Welt mit der, die er hat. Zumindest habe ich mich nie dagegen gewehrt, wenn er so abfällig über dieses Thema geredet hat.   „Naruto, es stört mich nicht. Es ist okay. Findest du es wirklich so schlimm?“ Er sieht mich verdutzt an – zumindest deute ich so dieses Blinzeln und die halb geöffneten Lippen – und tritt dann einen Schritt zurück, um mich erneut zu mustern.   „Nein Mann“, sagt er leise. „Und das ist es ja. Du siehst aus wie eine Frau … das ist krass. Und … keine Ahnung, das ist einfach nur ...“ Er stammelt. Und ich bin verwirrt.   „Was ist es?“   „Nicht richtig“, sagt er dann schließlich. „Diese Haare“, er greift nach einer meiner falschen Haarsträhnen, „die passen nicht zu dir … und das Kleid … das bist nicht du.“   „Es ist nur ein Kostüm.“   „Ich weiß.“ Damit wird es still zwischen uns. Ich frage mich, ob er hören kann, wie schnell mein Herz schlägt. In diesem Moment, wo alles ruhig ist. Ob er weiß, wie sehr mich dieses Rauschen in meinen Ohren irritiert, weil er mir näher kommt. Ich kann den Rauch riechen, der von ihm ausgeht. Ein gewohnter Geruch, den ich mit ihm verbinde.   „Es ist nur so … abgefahren. Du bist so hübsch … und Gott, ich hasse mich für diesen Gedanken“, stammelt er, „aber hätte ich nicht erfahren, dass du du bist, dann hätte ich dich mit Sicherheit angemacht.“ Ich gehe vorsorglich einen Schritt zurück, denn jetzt kann man meinen Herzschlag bestimmt in einem Umkreis von 50 Metern wahrnehmen.   Warum sagst du solche Dinge? Du dummer Idiot. Schmeichel mir in demselben Moment, in dem du mir das Herz herausreißt. Sowas kannst nur du.   „Sasuke … sorry Mann, ich bin betrunken. Du darfst das nicht ernst nehmen, okay? Ich meine nur … du bist so auch schon hübsch … aber jetzt? Jetzt würde ich dich am liebsten gegen die Wand drücken.“ Ich atme scharf ein. „Ja, ich weiß, das ist abartig und schwul und …-“   „Dann tu es doch.“ Nach diesem Satz kann man nicht mal mehr die Grillen zirpen hören. Er starrt mich geschockt an – die Kippe in seiner Hand fällt zu Boden – und ich stolpere noch einen weiteren Schritt zurück, bis ich die kalte Wand in meinem Rücken spüre.   „Hast du … hast du gerade gesagt … dass ich es tun soll?“ Ich atme schneller als gewollt.   „Ich … nein. Ich hab … das war nur, weil … ich ...-“ Es wird abermals völlig still zwischen uns, als er plötzlich vor mir steht und mich völlig aus dem Nichts heraus fest gegen die Wand drückt. Er sieht mir in die Augen, seine Finger wandern zu meiner Wange – und plötzlich spüre ich seine warmen Lippen. Ich rieche den Alkohol, den Rauch …   Er küsst mich.   Mit Worten kann ich nicht beschreiben, was in meiner Brust passiert. Meine Augen sind weit aufgerissen vor Schock. Mein ganzer Körper erstarrt.   „Ich bin nicht schwul“, haucht er und küsst mich erneut. Diesmal jedoch kann ich seine Zunge spüren, die versucht, in meinem Mund einzudringen.   Bin ich gestorben? Stelle ich mir das gerade nur vor? Habe ich wieder hyperventiliert?   Nein. Denn selbst in meinen Träumen würde es sich nicht so gut anfühlen.   „Ich bin nicht schwul“, wiederholt er und zieht mich noch mehr an sich heran – vielleicht presst er sich auch gegen mich, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sich dieser Kuss anfühlt, als würde man mir den Boden unter den Füßen wegreißen. „Küss mich richtig“, haucht er und ich keuche, da seine Zähne sich kurz darauf in meine Unterlippe bohren. Ich soll ihn richtig küssen? Dass er mir gerade meinen ersten Kuss geraubt hat, wird er nicht wissen. Er weiß gar nichts. Nichts von dem Feuerwerk in meiner Brust. Nichts von den mit Endorphinen-gefluteten Zellen. Er weiß noch nicht einmal im Ansatz, wie sehr mich diese Geste aus dem Takt schlägt.   Doch ich versuche es. Versuche das zu erwidern, was er von mir fordert. Meine Finger wandern über seine Weste – weich fühlt sie sich unter meinen Handflächen an – wandern weiter zu seinem Nacken, wo sie das blonde Haar zu fassen kriegen. Ich habe das Gefühl, zu sterben. Es fühlt sich so gut an. So abgefahren gut. Unvorstellbar. Ich küsse Naruto. Und er küsst mich. Sein Hut fällt nach unten, doch das ist nur eine Nebensache. Er greift um meine Mitte, löst seinen Mund nur einen Moment lang von meinem, ehe er seine Lippen erneut dazu benutzt, mich langsam aber sicher in den Wahnsinn zu treiben.   Küssen … küssen ist … widerlich. Das war es in meiner Vorstellung. Doch die Realität fühlt sich ganz anders an. Seine weiche Zunge, die meine umkreist, seine warmen Lippen, die meinen Mund streicheln, meinen Verstand benebeln und mich Halt suchen lassen, da meine Beine nachgeben. Ich fühle mich schwach – so wunderbar schwach. Völlig ausgeliefert.   Ich stöhne, als seine Finger gegen meine Hüfte drücken, und dann ist es plötzlich vorbei. Weg sind seine Lippen. Weg ist sein Atem, sein Mund, seine Haut, seine Berührungen. Er weicht taumelnd vor mir zurück, atmet heftig, genauso unregelmäßig wie ich und starrt mich an.   „Fuck … Sasuke, das … oh mein Gott, das ist …“, stottert er und stolpert noch weiter zurück. Ich hingegen halte mich an der kühlen, rauen Wand fest. Er sieht mich, meine Schwäche … er weiß es, oder? Er weiß alles. „Tut mir leid, ich bin … verdammt“, zischt er gegen Ende. „Ich bin nicht schwul! Ich bin. Nicht. Schwul!“ Und wiederholt es mit so viel Nachdruck, dass ich zusammenzucke. „Es tut mir leid, ich wollte das nicht … ich ...“ Er schüttelt den Kopf, so als ob er versucht damit seine Fassung zurückzuerlangen. „Ich bin nicht schwul“, haucht er und bevor ich überhaupt etwas sagen kann – was im Moment unter Garantie nicht möglich ist – verschwindet er. Er läuft an mir vorbei, mit unregelmäßigen Schritten, die ihn zurück ins Haus führen.   Ich hingegen bleibe zurück, blicke auf den Boden, sehe seinen Hut, höre die laute Musik. All die Stimmen, die davon nichts mitbekommen haben und wünsche mir, ich wäre weit weit weg. Wie soll ich ihm jemals wieder gegenübertreten? Gar nicht. Ich kann nicht. Nicht nachdem, was gerade passiert ist.   Ich kann nicht länger hierbleiben.   Auf wackligen Beinen betrete ich das Haus, ignoriere sämtliche Geräusche, alle Menschen um mich herum, um nach oben in Kibas Zimmer zu laufen. Dort sind meine Sachen. Ich werde mich umziehen, dieses widerliche Kostüm ausziehen und dann von hier-   Mein Gedankengang stirbt, als ich die Tür zum besagten Raum aufgestoßen habe. Meine Augen erfassen etwas, das mein Gehirn nicht verarbeiten kann. Sakura … sie sitzt da. Sie sitzt auf Kiba. Ihr Rücken ist mir zugedreht. Sie bewegt sich auf ihm und er … Er blickt über ihre Schulter hinweg zu mir. Nur für einen kleinen Augenblick wirkt er überrascht, doch dann fängt er an zu grinsen. Er fickt sie. Narutos Ex-Freundin. Er schläft mit der Ex-Freundin seines besten Freundes.   Diese Szene lässt mich die Luft anhalten. Und sie stöhnt auf.   „Gefällt dir das, mh?“, höre ich ihn rau sagen, und das seltsam winselnde Geräusch, das aus ihrer Kehle dringt, animiert mich dazu, mich wieder zu bewegen.   Ich kann darüber nicht nachdenken. Ich kann und will nicht darüber nachdenken. Ich laufe auf sie zu und greife mir meine Tasche, die neben dem Bett steht. Das hier ist gar nicht passiert. Ich war nicht hier. Niemals. Ich habe es nicht gesehen. Genauso wenig wie Sakura es bemerkt, dass ich alles an ihr gesehen habe. Wut überkommt mich, als ich wirklich begreife, was hier gerade vor sich geht. Ich mache auf der Stelle mit meiner Tasche kehrt und knalle die Tür zurück ins Schloss.   Wenn Naruto das gesehen hätte. Wenn er wüsste, was sein bester Freund hier gerade tut. Mir wird schlecht bei dieser Vorstellung. Übel bei dem Gedanken, was heute Abend zwischen uns allen passiert ist.   Und genau das ist die Bestätigung, dass ich mich von Menschen fernhalten muss. Ich kann nicht mit ihnen interagieren. Das, was sie tun, kann ich nicht akzeptieren. Es wühlt mich zu sehr auf. Und es lässt schlechte Gefühle in mir wachsen.   Früher, als ich aus der Ferne beobachtet habe, war alles besser. Alles. Was wäre wenn hat nicht so sehr geschmerzt wie: So ist es. Es waren völlig verschiedene Welten. Eine Welt, die ich gewechselt habe. Neue Richtungen, die mich im Nachhinein nur in eine Sackgasse geführt haben.   Dieser Kuss …   Er hätte niemals passieren dürfen. Er hat mir die Sicherheit genommen, mich schutzlos ausgeliefert. Nun weiß er, wie ich empfinde. Dass ich Dinge für ihn fühle, die ich nicht fühlen darf. Die eine Freundschaft zwischen uns in Zukunft unmöglich machen. Kapitel 4: ----------- Die kühle Luft frisst sich durch den spärlichen Stoff, den man kaum als Kleidung bezeichnen kann. Ich friere, laufe ziellos durch die Straßen dieser Gegend, in der ich noch nie war. Hier ist niemand, nur einzelne Straßenlaternen, die meinen Weg erleuchten und mich weiterführen. Ich kann nicht begreifen, was vor weniger als einer Stunde passiert ist. Ehrlich gesagt möchte ich es gar nicht begreifen. Wenn da nicht dieses widerliche Gefühl in meinem Magen wäre, das mich kontinuierlich an diese Szenen erinnert.   Kiba – Sakura – Naruto. Sie sind Schuld daran, dass ich so aufgewühlt bin.   „Hey Süße.“ Mit einem Zittern ziehe ich meine Jacke enger an mich heran. Vielleicht hätte ich mich umziehen sollen, anstatt völlig überstürzt zu flüchten. Im Ernst, weshalb zwängen sich Frauen freiwillig in solche Klamotten?   „Ich habe Hey gesagt.“ Alles nur, um hormongesteuerten Barbaren zu gefallen? Wie lachhaft.   „Jetzt bleib doch mal stehen!“ Ich erstarre, als mich eine Hand grob am Arm packt und mich festhält. Mein Rucksack rutscht dabei von meiner Schulter.   Was zur Hölle?   „Na geht doch.“ Ich blicke in das Gesicht des Mannes, der mich mit seiner Hand fixiert. Ich kenne ihn nicht. „Was treibt ein kleines Mädchen wie du um diese Zeit hier draußen?“ Dass er mich meint, ist offensichtlich. Er spricht mit mir. Er hält mich fest.   Mit einem Ruck entziehe ich mich seinem Griff. Er hält mich für eine Frau …   „Ich bin kein Mädchen“, antworte ich dunkel. Ich hätte mich definitiv umziehen sollen. Definitiv.   „Woah, was?“ Er sieht mich geschockt an, weicht einen Schritt zurück. „Aber … aber du hast ein Kleid an.“ Ich verdrehe die Augen.   „Und jetzt? Ist es verboten, ein Kleid zu tragen?“   „Ist ja widerlich!“, sagt er, die Nase gerümpft und die Lippen verzogen, während er sich weiter von mir zurückzieht.   „Wenn du meinst“, erwidere ich betont gelangweilt, auch wenn mein Puls sich überschlägt, weil mich diese Interaktion überrascht hat.   Es ist nicht leicht, mit Menschen umzugehen. Schon gar nicht in so einem Fall. Dieser Aufzug vervielfacht mein Unwohlsein. Bringt mich dazu, mich noch kleiner zu fühlen und sorgt dafür, dass sich ein grässliches Gefühl in meinem Inneren einstellt, als ich mich schließlich wieder herumdrehe, um mich weiter zu bewegen.     Weitere Zeit ist vergangen – mittlerweile bin ich an einer Hauptstraße angelangt, in der reger Verkehr herrscht. Warum ich vorher nicht darauf gekommen bin, mein Handy zu benutzen, um mir ein Taxi zu rufen, ist mir schleierhaft, doch jetzt, wo vereinzelte Blicke auf mich gerichtet sind, erscheint mir diese Lösung als einzig mögliche.   Das alte, schwarze Stück Plastik in meiner Jackentasche vibriert, als ich es zu fassen kriege und mein Herz schlägt schneller, da meine Gedanken augenblicklich zu Naruto wandern. Hat er mir eine Nachricht gesendet? Die Vibration ist zu kurz gewesen – sie kann kein Anruf gewesen sein. Mit zitternden Fingern öffne ich die Nachricht. Die Nummer, die dabei steht, gehört nicht Naruto. Sie enthält noch nicht mal eine Ziffer, die seiner gleicht. Ich kenne seine Nummer, ich habe sie auswendig gelernt. Also wer ist es?   'Sie haben eine neue Sprachnachricht' Ich atme tief ein, als ich auf das Symbol drücke, das mich zu der Nachricht führen wird.   'Hey Sasuke, ich bin es. Wie du sicherlich schon mitbekommen hast, hab ich meine alte Karte sperren lassen. Ich hab eine neue Telefonnummer, die eigentlich auf deinem Display angekommen sein müsste. Falls nicht, hier ist meine neue Nummer: 236/789996. Ich würde mich freuen, wenn du mal was von dir hören lässt. Vielleicht können wir dann auch darüber sprechen, was in letzter Zeit passiert ist. Ich schätze, du hast eine menge Fragen. Ich wäre dir nur dankbar, wenn du Ma und Pa nichts davon erzählen würdest, da sie mir verboten haben, dich zu kontaktieren'   Ich lasse das Handy sinken, während ich zeitgleich auf den roten Knopf drücke, der diese Verbindung beendet. Itachi hat recht. Seine Nummer steht auf dem Display. Er hat versucht, mich vor einigen Stunden zu erreichen.   Ich drücke die Rückruftaste, führe das Telefon zurück zu meinem Ohr, während ich mit meinen Augen einen imaginären Punkt fixiere. Mein Bruder hat sich tatsächlich bei mir gemeldet. Mir seine neue Nummer gegeben.   „Sasuke?“   „Tachi.“ Dass meine Stimme weich klingt, kann ich nicht verhindern.   „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Und auch er scheint es zu bemerken.   „Ich … ich hab Probleme“, hauche ich und kneife die Augen zusammen, da ein unangenehmes Brennen in ihnen entsteht.   „Was ist los? Wo bist du?“   „Ich weiß es nicht. Ich war auf dieser Party. Und Naruto hat mich geküsst. Kiba hat mit Sakura geschlafen und da war dieser Typ, der dachte dass ich eine Frau bin und–„   „Sasuke“, unterbricht mich mein Bruder sanft und schweigt daraufhin einige Sekunden. „Bist du noch auf dieser Party?“ Ich schüttle den Kopf und atme hörbar aus.   „Nein. Nein. Ich bin auf einer Hauptstraße“, erwidere ich – mittlerweile fließen die Tränen aus meinen Augenwinkeln – während ich mich umsehe, bis ich ein Straßenschild entdecke. „Die Straße heißt Fairgreen Boulevard.“   „Was machst du da?“   „Ich bin gelaufen. Ich musste einfach raus … ich ...“   „Okay. Steht eine Nummer dabei?“, hakt er nach und ich gehe näher an das Schild heran, da ich ohne meine Brille kaum erkennen kann, was dort klein geschrieben steht.   „Ja, 694.“   „Gut. Bleib dort, ich werde dich sofort abholen, okay?“ Ich schluchze leise, da die Erleichterung, die sich in mir breit macht, gepaart mit der Anstrengung des Abends, sich loslöst.   „Sasuke?“   „Ja?“   „Leg nicht auf, okay? Erzähl mir, was heute passiert ist.“   Während Itachi von dem Ort losfährt, an dem er sich befindet, fange ich an, alles zu erzählen. Die Sache mit Naruto, die Sache mit Kiba und auch, was Sakura dazu beigetragen hat. Ich weiß nicht, ob er alles versteht, was ich versuche ihm zu vermitteln, denn mittlerweile heule ich wie ein Mädchen.   Es grenzt schon an Ironie, dass ich zusätzlich noch wie eines aussehe.   „Ich bin fast da. Komm zur Straße. Ich fahre einen schwarzen SUV.“ Ich tue, was er mir sagt und halte Ausschau nach dem Wagen, der wenig später an der besagten Adresse hält. Auf wackligen Beinen bewege ich mich, fixiere sein Gesicht so gut es mir möglich ist unter dem Schleier der Tränen, die meine Sicht trüben.     Als ich die Tür zum Wagen öffne, strömt augenblicklich vertrauter, beruhigender Duft in meine Nase. Itachi ist wirklich hier. Er sieht mich an, sein Kiefer angespannt, doch das ist mir egal. Er sagt nichts, als ich mich anschnalle und er spricht auch dann noch nicht, als er mit mir über die Straße fährt und wendet.   Erst als wir etwa fünf Minuten gefahren sind, hält er überraschend am Straßenrand und schnallt sich ab. Ich komme noch nicht einmal dazu, etwas zu sagen, denn er löst blitzschnell auch meinen Gurt und zieht mich in eine Umarmung, die mich die Augen aufreißen lässt. Sein rechter Arm wandert um meine Mitte, drückt mich an sich und seine linke Hand fährt zu meinem Kopf. Er drückt mein Gesicht gegen seine Schulter.   „Itachi“, murmle ich gegen seinen Arm, spüre, dass er sich kurz verspannt, doch dann streichelt er über meinen Rücken.   „Ich sollte sie alle umbringen“, brummt er. „Was sie mit dir gemacht haben. Sasuke …“ Erneut erliege ich dem Zwang, mich wie ein pubertäres Schulmädchen zu verhalten indem ich schluchze und flenne. Zwar eine ziemlich abstoßende Tatsache, doch aufhalten kann ich sie nicht. Zu schwer ist dieses hässliche Gefühl in mir. Zu stark der Drang, mich an meinen Bruder zu klammern.   Itachi ist nicht wie Kyuubi. Und ich bin nicht wie Naruto. Ich hasse meinen Bruder nicht. Mein Bruder, der immer für mich da ist, wenn ich ihn brauche. Und jetzt hat er mir wieder bewiesen, dass ich mich auf ihn verlassen kann.   Mit diesem Kloß im Hals klammere ich mich an ihm fest, während er mir beruhigende Worte zuflüstert.   Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit, die ich in seinen Armen verbringe, ehe er sich langsam von mir löst und mir entgegenblickt.   „Wir fahren zu mir nach Hause, okay? Du kannst bei uns schlafen.“ Ich nicke und lehne mich dann zurück. „Und dann holen wir dich aus diesen Klamotten. Schminken dich ab …“   Itachi redet – es ist nicht gewöhnlich, dass er das tut, denn normalerweise ist er ein sehr ruhiger Mensch – während ich mich im Sitz zurücklehne und aus dem Fenster blicke. Vielleicht egoistisch von mir, ihm keine Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Wo hast du diesen Wagen her? Wer ist Uns? Wo wohnst du? Wirst du wirklich Vater? Denn Itachi spricht nicht darüber, sondern nur davon, wie er Kiba malträtieren wird und was für ein homophobes Arschloch Naruto ist.   „Hier sind wir.“ Meine Augen müssen für einen kurzen Moment zugefallen sein, denn als ich sie wieder öffne, stehen wir bereits in der Einfahrt vor einem riesigen Haus.   „Hier wohnst du?“ Ich blicke mich um, doch außer diesem Haus ist kein weiteres zu sehen. Es scheint eine sehr ländliche, abgeschiedene Gegend zu sein.   „Ja. Komm, die anderen warten bestimmt schon auf uns.“   „Die Anderen?“ Er nickt, dann steigt er aus nachdem er sich abgeschnallt hat.       Was mir als erstes auffällt ist, dass die Fassade des Hauses nicht das widerspiegelt, was sich hier drinnen befindet. Dieser Platz gleicht einer Ruine. Was zur Hölle? Wer würde hier freiwillig wohnen? Abgerissene Tapete, beschmierte Wände. Der Putz hat definitiv auch schon bessere Zeiten gesehen und oh mein Gott, wächst hier etwa Schimmel? Und wir befinden uns immer noch im Flur … sofern man diesen Raum so nennen kann. Wie sieht es dann erst im Rest des Hauses aus?   „Du kannst deine Schuhe ausziehen, wenn du möchtest.“ Sicherlich nicht. Und meine gerümpfte Nase macht ihm deutlich, dass er mich danach auch kein zweites Mal fragen muss.   „Hier lebst du?“ Itachi schmunzelt.   „Wir.“ Bevor ich dazu komme, ihn danach zu fragen, wer Wir bedeutet, öffnet sich eine Tür, die sich rechts von mir befindet. Zum Vorschein bringt sie einen Mann, der blonde lange Haare hat. Er sieht mich finster an.   „Wer ist das?“, brummt er, seinen strengen Blick auf mich gerichtet, doch ich weiß, dass er meinen Bruder anspricht. „Hast du nicht gesagt, du willst deinen Bruder holen?“   „Das, mein lieber Deidara, ist mein Bruder.“   „Eine Transe?“ Mir klappt der Mund auf. Hat er mich gerade wirklich als Transe bezeichnet? Wer von uns beiden hat hier bitteschön die langen Haare? Gut, ich trage eine Perücke, aber dennoch!   „Ich bin ganz sicher keine Transe“, erwidere ich dunkel. „Das nennt sich Kostüm.“ Er zieht eine Augenbraue in die Höhe.   „Aha. Mir egal“, sagt er und richtet seine Augen dann auf Itachi. „Hast du Eis mitgebracht?“ Ich weiß bereits jetzt, dass ich ihn nicht leiden kann. Er scheint ein Arschloch zu sein.   „Nein. Sasuke ging vor. Außerdem sollst du um diese Uhrzeit nichts mehr essen. Du weiß, was sonst passiert.“ Woher kennt mein Bruder diese Gestalt? Ich habe diesen Typen noch nie zuvor gesehen … doch Itachi scheint ihn gut zu kennen.   „Nichts, mit dem du nicht fertig wirst“, schnaubt der blonde Mann, der die Tür jetzt etwas weiter öffnet und die Arme vor der Brust verschränkt. „Aber da du mein Eis vergessen hast, wirst du sehen, womit du heute noch fertig werden musst.“ Dann löst er seinen rechten Arm und wirft mit seiner Hand sein Haar zurück, ehe er sich mit einer Art Zischen von uns abwendet und in dem Raum verschwindet.   „Wer war das?“, frage ich leise, mit einem unwohlen Gefühl im Bauch. Itachi allerdings seufzt nur, ehe er mich in das Zimmer schiebt, in das auch der Freak verschwunden ist.   Zwar sieht es hier definitiv besser aus, doch immer noch so, als hätte man zehn Menschen mit unterschiedlichem Geschmack dazu gezwungen, zu renovieren. Hier passt nichts zusammen. Zusammengewürfelte Möbel, verschiedene Farben – und das, obwohl es nur ein Raum ist – an den Wänden … wow.       Itachi zwingt mich dazu, mich in einen anderen Raum zu begeben, der wohl ein Badezimmer darstellen soll. Im Ernst? Abgerissene Fliesen – meine Mutter würde kollabieren – Schimmel, der aus jeder Ritze sprießt und feuchte Schwere, die in der Luft hängt.   Wann hat man hier zum letzten Mal geputzt?   „Du kannst dich hier umziehen. Und abschminken. Nimm einfach den Entferner von Konan.“ Wer ist Konan? „Wenn du fertig bist, dann stell ich dich den anderen vor.“   Es dauert ungefähr eine halbe Stunde, ehe ich all die Spuren von dem Schauspiel beseitigt habe und fühle mich – trotz dem widerlichen Badezimmer – gleich tausend Mal wohler in meiner Haut. Itachi wartet bereits im Flur auf mich. Er nickt nur kurz zustimmend, ehe er mich durch das Haus führt, bei dem jedes Zimmer so aussieht, als hätte es eine Sanierung nötig. Eigentlich könnte man dieses Gebäude auch abreißen, es würde kaum einen Unterschied machen. Es sieht mehr als nur baufällig aus und wenn mein Vater wüsste, dass Itachi hier haust, würde er einen Schlaganfall bekommen.   „Wie kannst du hier wohnen?“, bricht es schließlich aus mir heraus, als wir in seinem Zimmer angekommen sind. „Das Haus ist … eine Ruine.“ Itachi gluckst leise.   „Wir fühlen uns hier wohl.“ Ich runzle meine Stirn.   „Wer ist eigentlich Uns? Mit vielen Leuten lebst du hier? Wer ist der blonde? Warum wollte er Eis? Woher kennst du ihn? Wirst du wirklich Vater?“ Dass ich diese Fragen nicht unterdrücken kann, stört Itachi scheinbar nicht, denn er schmunzelt nur. Er kommt auf mich zu und schnippt mir gegen die Stirn.   „Komm mit, dann werde ich deine Fragen beantworten.“ Ich verdrehe die Augen. Wenn er meint, dass er mich so einfach abwürgen kann, hat er sich geschnitten. Ich werde meine Antworten bekommen! Ob er will oder nicht.   Natürlich folge ich ihm. Er führt mich noch tiefer durch das baufällige Haus und hält dann vor einer Tür, die zur Hälfte aus Milchglas besteht. Ich sehe Silhouetten, höre Stimmen, darunter auch eine weibliche. Mein Herz schlägt schneller, denn das bedeutet, dass ich gleich noch mehr von seinen 'Freunden' begegnen werde. Und wenn die nur ansatzweise so sind, wie der blonde Freak …   „Komm.“ Itachi zieht mich einfach an meinem Handgelenk mit in den Raum, der in der Tat mit Menschen gefüllt ist.   Auf Anhieb zähle ich neun Personen. Pardon. Diese Menschen sehen aus wie … wie … ist das ein schlechter Scherz? Blinzelnd blicke ich in die Gesichter, deren Augen natürlich sofort auf mich gerichtet sind.   „Ist das dein kleiner Bruder?“ Die einzige Frau im Raum ist die erste, die spricht. Mein Blick fällt sofort auf ihren Bauch, der sich rundlich nach vorne wölbt.   Sie ist schwanger. Und sie lebt hier. Gemeinsam mit acht Männern?   „Ja, das ist Sasuke.“ Itachi stößt mir leicht mit dem Ellenbogen gegen die Seite, da ich nach wie vor ihren Bauch fixiere.   „Hallo“, sage ich leise und versuche, in ihr Gesicht zu blicken. Sie sieht freundlich aus. Strahlt etwas Ruhiges aus, auch wenn mich ihre Haarfarbe irritiert. Hat sie ein Piercing unter der Lippe?   „Ich bin Konan.“ Sie lächelt mir zu. „Es freut mich, dass du dich dazu entschlossen hast, uns zu besuchen.“ Entgegen meiner Erwartung berührt sie mich nicht. Sie hält mir noch nicht einmal ihre Hand hin. Und das ist definitiv ein Pluspunkt.     Ich schwitze, nachdem die Vorstellungsrunde abgeschlossen ist. Am unsympathischsten ist mir der fluchende Typ mit den silbernen Haaren. Er strahlt puren Wahnsinn aus … und ich kann nicht nachvollziehen, wie man sich mit so einer Person freiwillig den Raum teilen kann. Er ist unangenehm. Noch unangenehmer als der blonde Freak, der mich glücklicherweise ignoriert – wie fast alle aus der Gruppe. Der kindlich aussehende Rothaarige blickt mich zwar seltsam an, doch damit kann ich umgehen.   „Wie lange wirst du bleiben? Willst du beitreten? Wir haben ein Ritual.“ Der Nervigste von allen ist allerdings der Typ, der eine Maske trägt. Ja, eine orangene Maske, die sein komplettes Gesicht verdeckt, mit Ausnahme von einem Auge.   „Er wird nicht beitreten“, antwortet Itachi an meiner Stelle – und wenn er genervt ist, dann zeigt er es nicht im Geringsten. Er wirkt ruhig. Wie immer.   Mittlerweile sitze ich mit den Männern der Gruppe am Tisch, während Konan am Herd steht und in einem großen Topf herumrührt.   „Warum nicht?“, fragt der Mann mit der Maske, der mir als Tobi vorgestellt wurde und rutscht etwas näher an mich heran.   „Weil wir keine Waschlappen aufnehmen“, höre ich Deidara sagen und verenge automatisch die Augen.   „Deidara“, sagt Itachi mahnend, doch der Blonde schnaubt nur und verlässt dann kurz darauf die Küche. Umso besser. Dieser dumme Idiot. Ich mag ihn nicht.   Als Itachi aufsteht, will ich es ihm gleichtun, doch er drückt mich mit einer Hand auf der Schulter zurück in den viel zu weichen Sitz und schüttelt den Kopf.   „Wir reden später.“           Das widerliche Gefühl von Panik steigt in mir auf, als mein Bruder aus der Küche verschwindet, da sich jetzt alle Augen wieder auf mich richten. Und auch Stimmen werden laut. Fragen mich Dinge, die ich nicht beantworten will. Es ist nicht nur unangenehm, es löst auch das Bedürfnis in mir aus, sofort zu flüchten. Was ich natürlich nicht tue, weil ich nicht einmal wüsste, wohin ich fliehen könnte.   Verdammter Itachi. Verdammter, blonder Freak.             „Geht es dir besser?“ Ich habe die Arme vor der Brust verschränkt und blicke Itachi finster entgegen.   „Du hast mich eine Stunde lang mit deinen Freaks alleine gelassen!“, zische ich. Wir sind in seinem Zimmer – Pardon, seiner Bruchbude – und diesmal zum Glück alleine. Nachdem die anderen mich gezwungen haben, gemeinsam mit ihnen zu essen und dumme Fragen zu beantworten, konnte ich nach fast einer Stunde verschwinden, indem ich gesagt habe, dass ich auf die Toilette muss.   Natürlich bin ich nicht mehr zurückgegangen, sondern habe direkt Itachis Zimmer aufgesucht. Mein liebreizender Bruder sitzt völlig gelassen auf seinem Bett. Ohne etwas Sinnvolles zu tun, wie zum Beispiel mich vor der Horde Verrückter zu retten.   „Ich wollte, dass ihr euch kennenlernt.“   „Kennenlernen?“, entgegne ich viel zu hoch. „Das sind Freaks! Im Ernst. Der eine hat tausend Piercings im Gesicht, der andere flucht andauernd und wieder ein anderer trägt eine Maske! Selbst der rothaarige Typ ist nicht ganz richtig! Er redet so als wäre er auf Heroin! Und was ist das überhaupt für ein alter Mann? Und woher hat er das ganze Geld? Und deine Freundin … wie kann sie hier leben, wenn sie ein Kind erwartet? Wie kannst du hier leben?“ Ich rede mich regelrecht in Rage, doch verstumme abrupt, als Itachi anfängt, leise zu glucksen.   „Hör auf damit“, knurre ich, doch er seufzt nur.   „Setz dich, dann erzähl ich dir alles.“ Wenn er meint, dass er mich so ruhig stellen kann, dann hat er verdammt nochmal recht. Ich brenne vor Neugierde. Und er weiß es auch. Doch ich versuche es nicht zu zeigen, als ich mich zu ihm auf die schimmlige Matratze setze, das Gesicht von ihm abgewandt, die Arme noch immer vor der Brust verschränkt.   „Aber nur, wenn du aufhörst zu schmollen und mir versprichst, dass das, was ich dir hier erzähle, auch hier bleibt.“   „Ich schmolle nicht“, brumme ich und blicke ihn dann wieder an. Er schmunzelt.   „Gut. Wo fangen wir am besten an?“   „Am Anfang. Ist sie deine Freundin?“, frage ich geradeheraus, denn der Typ mit den Piercings ist eindeutig zu vertraut mit Konan umgegangen. An Itachis Stelle etwas, das ich unter angenommenen Umständen nicht akzeptieren würde.   „Nein.“ Ich hebe eine Augenbraue an.   „Und es ist auch nicht dein Kind?“ Er schüttelt den Kopf.   „Warum hast du gelogen?“   „Damit ich frei sein kann.“ Jetzt runzelt sich meine Stirn.   „Inwiefern frei? Du warst doch vorher schon frei.“   „Nicht im Geringsten, Sasuke. Vater hätte meine Wünsche nie respektiert, weshalb ich die Wahrheit verbiegen musste, damit er mich freiwillig entlässt.“   „Sprich nicht so geschwollen“, murre ich. „Du hast ihn absichtlich angelogen, damit du in einer Bruchbude unter Freaks hausen kannst? Wo ist da die Logik?“   „Das hier“, sagt er und macht eine abwertende Handbewegung, „ist nur temporär. Wir arbeiten auf ein größeres Ziel hin. Gemeinsam.“   „Ist das dein Ernst? Und was für ein Ziel ist das?“   „Das kann ich dir leider nicht erzählen.“   „Willst du mich verarschen?“   „Sasuke …“ Er klingt mahnend, doch das ist mir egal.   „Warum verlässt du deine Familie? Warum verlässt du mich? Um hier in einer Ruine zu leben? Gemeinsam mit gestörten Menschen? Was ist euer Ziel? Was kann so gut sein, um ein stabiles Leben dafür wegzuwerfen?“   „Freiheit.“ Ich atme schwer hörbar aus, als er dieses Wort ausgesprochen hat. So ruhig und selig. Als wäre es seine Erfüllung.   „Und bei uns kannst du nicht frei sein?“   „Das war ich nie, Sasuke. Doch jetzt, jetzt habe ich den Weg gefunden.“             Mein Kopf dröhnt. Zwar versuche ich mich dazu zu bewegen, endlich einzuschlafen, doch Itachis Worte machen es mir unmöglich. Er hat seine Familie für etwas verlassen, das ich hier nicht sehen kann. Freiheit. Was bedeutet Freiheit? Itachi ist ein erwachsener Mann, aber er benimmt sich wie ein pubertäres Kind, das gegen Hausregeln rebelliert. Sicher, meine Eltern sind streng, doch sie haben uns immer alles gegeben. Alles, was wir gebraucht haben. Itachi hatte durch meinen Vater einen guten Studienplatz, eine sichere Arbeitsstelle … und jetzt? Jetzt hat er nichts mehr. Lebt wie ein Vagabund unter psychisch instabilen Persönlichkeiten, die den Anschein erregen, als wären sie eine Sektengemeinschaft. Nicht ganz richtig im Kopf.   Ich bin alleine in seinem Zimmer – er hat es vor zwei Stunden verlassen, nachdem unser Gespräch sein Ende gefunden hat – und warte darauf, dass er wieder zurückkommt. Doch er kommt nicht. Vielleicht ist er sauer auf mich. Vielleicht versteht er nicht, dass mein Standpunkt seinen ohne Anstrengung aushebeln kann … vielleicht bin ich aber derjenige, der etwas Entscheidendes nicht versteht. Egal was es ist, es ist kein gutes Gefühl, Itachi an diese Menschen zu verlieren.         Das dumpfe Pochen unter meiner Schädeldecke ist nichts im Vergleich von dem panischen Gefühl, das in mir aufkommt, als ich die Augen öffne. Das hier ist nicht mein Zimmer. Nicht mein Zuhause. Und es ist auch nicht das Zimmer von Kiba, in dem ich mich befinde.   „Du bist wach?“ Doch dann kommt die Erinnerung, mit dem Gesicht meines Bruders, der neben dem Bett steht und auf mich hinabblickt.   „Wie spät?“ Meine Stimme klingt heiser. Sie klingt fast so, als hätte ich stundenlang geschrien.   „Eins.“ Ich richte mich auf, reibe mir über das Gesicht. Es ist schon so spät?   „Ich muss nach Hause“, murmle ich. Unsere Eltern machen sich bestimmt schon Sorgen … ich habe mich gestern nicht mehr gemeldet. Und es ist nicht üblich, dass ich am Wochenende nicht morgens am Frühstückstisch sitze … Um genau zu sein ist es das allererste Mal, dass ich an einem Samstag nicht in meinem Bett aufwache.   „Ich werde dich gleich fahren. Willst du vorher noch duschen? Oder was essen?“ Ich schüttle den Kopf und stehe dann von der unbequemen Matratze auf.   „Wo warst du gestern Nacht?“, frage ich, da ich mich daran erinnere, dass Itachi nicht mehr zurückgekommen ist.   „Unterwegs.“   „Unterwegs? Wohin?“   „Du stellst aber viele Fragen dafür, dass du erst aufgewacht bist“, erwidert er und schnippt mir dann gegen die Stirn. Natürlich verziehe ich daraufhin die Lippen und reibe mir die geschundene Stelle.   „Das tat weh“, brumme ich, doch er schmunzelt nur.   „Komm mit nach unten, ich mach dir was zu essen.“ Ich verdrehe die Augen, folge ihm jedoch.   Manchmal ist es einfach zwecklos, sich gegen Itachi zu wehren. Das war schon immer so. Wenn er sich in den Kopf gesetzt hat, mich herum zu schubsen, dann tut er das auch. Und es gibt selten Momente, wo ich etwas dagegen tun kann.       „Ich hoffe es ist in Ordnung, dass du die letzten fünf Blocks laufen musst.“ Eine Stunde später sitze ich auf dem Beifahrersitz des schwarzen SUVs in gewohnter Umgebung. Itachi hat mich hierher gefahren.   „Kein Problem … und danke für gestern“, erwidere ich und blicke Itachi entgegen. Hätte er sich gestern nicht gemeldet, dann wäre ich aufgeschmissen gewesen.   „Immer. Du hast meine Nummer, also ruf mich an, okay?“   „Ja.“       Sich zweimal innerhalb von 24 Stunden von seinem Bruder umarmen zu lassen, fühlt sich seltsam an. Dabei meine ich nicht unbedingt schlecht seltsam … doch es ist ziemlich gewöhnungsbedürftig. Schließlich ist niemand aus unserer Familie so veranlagt, sonderlich viel Körperkontakt auszuüben. Gut, meine Mutter bildet hier zum Teil eine Ausnahme, doch das liegt wahrscheinlich daran, dass sie eine Frau ist. Apropos Frau … das Kleid, das ich von Kiba bekommen habe, will er hoffentlich nicht zurückhaben, denn ich habe es bei Itachi in den Badmüll gestopft.   Und selbst wenn, dann soll Kiba dahin fahren, um es sich zu holen.   „Warum grinst du so, Spatz?“ Ich blinzle, als ich die Stimme meiner Mutter höre. Keine fünf Meter von unserem Haus entfernt, vor dem Müllhäuschen, das wir uns mit dem Nachbarn teilen, steht sie. Fein gekleidet.   „Eh … ich hab nur nachgedacht. Wohin gehst du?“ Sie lächelt, dann kommt sie mir entgegen und wuschelt mir durch die Haare. Eine Geste, die mich die Stirn runzeln lässt.   „Dein Vater und ich werden uns mit ein paar Kollegen treffen. Also erzähl, warum hast du so gegrinst? War die Party ein voller Erfolg? Hast du ein Mädchen kennengelernt?“   Weil ich mir vorgestellt habe, wie Itachi Kiba den Hintern aufreißt? Und die Party war ein Reinfall … Und übrigens, ich bin schwul, also nein, ich habe kein Mädchen kennengelernt.   „Ja, die Party war schön.“   „Wie heißt die Glückliche?“ Ich will gerade die Lippen verziehen, weil mir ihre Fragen dezent die Laune verderben, doch ich schweige lieber, da mein Vater im nächsten Moment aus dem Haus tritt. Er blickt sich kurz um, die Mundwinkel nach unten gezogen, dann kommt er auf uns zu.   „Sasuke“, sagt er knapp und ich nicke. Dann mustert er mich. Sein strenger Blick ist unangenehm und ich schlucke unbewusst, da es absolut still zwischen uns ist. Nicht einmal meine Mutter sagt etwas. Sie sieht nur stumm zwischen mir und meinem Vater hin- und her.   „Du schuldest mir 20, Mikoto“, bricht er die Stille dann, völlig ruhig und gelassen, ehe auch seine Hand auf meinem Kopf landet, um mir durch die Haare zu wuscheln.   Dass sich bei dieser Aktion meine Augen weiten, versteht sich von selbst.   „Nichts da. Er hat selig gegrinst. Außerdem hat er schon gesagt, dass er ein Mädchen kennengelernt hat.“ Mein Vater hebt daraufhin eine Augenbraue und richtet seinen Blick auf meine Mutter.   Über was sprechen die beiden da?   „Mikoto, glaub mir, er hat es nicht getan“, erwidert mein Vater, „Sieht ihn dir an“, er zeigt auf mich, „er sieht immer noch aus wie ein Welpe. Vielleicht hat er jemanden geküsst, aber das war es schon.“   „Huh?“   „Du hast aber nicht dieses Grinsen gesehen. Er hat gegrinst, Fugaku.“   „Wahrscheinlich, weil er sich daran erinnert hat, wie groß ihre Brüste waren.“   „Fugaku!“   Es ist verstörend, diesen Gesprächsverlauf zu beobachten, doch was mich wirklich umhaut ist die Tatsache, dass mein Vater grinst. Er grinst und meine Mutter wird rot.   Moment … Sie reden über mich?   „Ich hab nicht!“, bricht es geschockt aus mir heraus. „Ich hab mit niemandem geschlafen! Oh mein Gott, ihr habt darauf gewettet?!“ Meine Mutter sieht unschuldig zu mir herüber, während mein Vater mit den Schultern zuckt.   Kann mich bitte jemand erschießen? Jetzt auf der Stelle?   „Ich hab es dir doch gesagt“, brummt mein Dad, ehe er mir seine Hand auf die Schulter legt und leicht zudrückt. „Er ist noch nicht soweit.“   „Dad, bitte …“   „Ich schulde dir trotzdem kein Geld! Du hast bei der letzten Wette verloren und schuldest mir noch 10!“   „Mikoto, du hast verloren. Zweimal. Willst du wirklich aufrechnen?“ Er lässt seine Hand wieder sinken und widmet sich voll und ganz meiner Mutter.   Ich bin fassungslos. Meine Eltern haben um meine Jungfräulichkeit gewettet? Und sie wetten auch noch um andere Dinge?   Ich will gar nicht wissen, wie viele Wetten sie noch am Laufen haben.   „Du hast auch betrogen! Du hast dem Jungen so viel Angst gemacht, dass er sich nicht getraut hat!“, zischt sie ihm zu. „Und außerdem!“ Jetzt richten sich ihre Augen auf mich: „Wen hast du geküsst? Wirst du sie uns vorstellen? Warum hast du mir nichts davon erzählt?“ Ich hebe abwehrend die Hände, brennende Wärme im Gesicht und restlos überfordert.   „Mum, bitte. Ich habe weder jemanden geküsst noch Sex gehabt … ich habe nur gegrinst, weil ich vorhin gesehen habe, wie ein Mann einem Hund hinterhergerannt ist …“ Diese Lüge lässt sie vorerst verstummen. Allerdings nicht lange genug, um meinem Herz die Möglichkeit zu geben, sich von diesem Schock zu erholen.   „Das glaube ich dir nicht. Du hast auf der Party jemanden kennengelernt, richtig?“   „Mum, da waren viele neue Menschen, also ja, ich habe Leute kennengelernt. Aber ich habe niemanden geküsst!“   „Warum wirst du dann rot?“   „Maa, bitte!“   „Hast du nicht deshalb meine Enthaarungscreme benutzt?“ Mir klappt der Mund auf.   „Er hat deine Enthaarungscreme benutzt?“, hakt mein Vater nach, und sieht dabei ziemlich amüsiert aus.   „Hat er. Und er hat gegrinst“, sagt sie, ihre Augen auf mich gerichtet. „Also, erzähl mir, wer ist es?“ Ich lasse den Kopf hängen. Gott, das ist so peinlich. So unendlich peinlich.   „Es gibt kein Mädchen …“   „Ha!“, kommt es dann überraschend von meinem Vater, „ich hab es gewusst! Du schuldest mir 100!“   „Was? Gar nicht wahr! Er hat nicht gesagt, dass es einen Jungen gibt!“ Kann es noch schlimmer werden?   Moment, mein Vater hat mit meiner Mutter darum gewettet, dass ich schwul bin?   „Sasuke, sag es deiner Mutter. Es gibt kein Mädchen, weil es einen Jungen gibt.“ Meine Augen sind vor Schock weit aufgerissen. Ist das hier ein Paralleluniversum? Eine Twilight-Zone, in die ich reingerutscht bin, nachdem ich aus Itachis Wagen ausgestiegen bin?   Meine Mutter greift nach meinem Arm. „Sasuke, sag deinem Vater, dass es ein Mädchen gibt.“   „Ma … es gibt kein Mädchen“, wiederhole ich erneut. „Und es wird auch nie ein Mädchen geben …“ Jetzt ist es raus … ich hab es gesagt.   „Ich wusste es! Ich habe es gewusst.“   „Du hast es ihm eingeredet!“   „So wie ich es Itachi eingeredet habe?“   „Das mit Itachi ist etwas völlig anderes!“   „Weil er beides mag?“   „Fugaku, du bist ein Betrüger!“   „Bin ich nicht. Sasuke“, sagt mein Vater, diesmal wieder mit strengem Blick, was ziemlich verwirrend ist. Eigentlich ist das alles hier verwirrend. „Bist du homosexuell?“ Und widerlich ist es obendrauf. Dass hier fühlt sich schlimmer an, als daran zu denken, wie die beiden Sex haben. „Sasuke?“   „Ja. Ja, ich bin schwul. Ich mag keine Mädchen.“ Meine Mutter stöhnt – mein Vater gluckst. Und ich versuche, an ihnen vorbeizulaufen, doch die Hand meines Dads macht mir einen Strich durch die Rechnung, indem sie mich festhält.   „Sasuke“, sagt er, es klingt fast wie ein Brummen. „Wir sind dir nicht böse.“ Diese Aussage lässt einen Stein von meinem Herzen brechen. Einen großen, schweren Stein, den ich schon so lange mit mir herumtrage. „Und wenn du darüber reden möchtest, dann komm zu uns, verstanden?“ Ich nicke. Mehr kann ich im Moment gar nicht tun. Sie verhalten sich wie ausgewechselt. Nicht so streng wie sonst … zeigen Verständnis. Etwas, das ich nie für Möglich gehalten hätte.   Kennt Itachi diese Seite an ihnen? Weiß er, dass sie Wetten auf uns abgeschlossen haben? Dass es ihnen offensichtlich egal ist, in wen wir uns verlieben?   Warum ist mein Vater dann neulich so ausgerastet? Und warum hat er mich geschlagen? Gibt es da etwas, von dem ich nichts weiß? Etwas ganz anderes?   „Komm her, Spatz.“ Ein seltsames Gefühl überkommt mich, als meine Mutter mich in ihre Arme zieht und mir durch die Haare streichelt, während ich die Hand meines Vaters auf meinem Rücken spüren kann.   Warum ist das alles so verwirrend?       Ich kann mich nicht richtig konzentrieren. Zwar ist es völlig ruhig in meinem Zimmer, nachdem meine Eltern sich bis zum Abend verabschiedet haben, doch die Aufgaben, die vor mir liegen, ergeben keinerlei Sinn. Ständig kreisen meine Gedanken um Naruto, der sich noch immer nicht gemeldet hat, um Itachi, und um das seltsame Verhalten meiner Eltern. Ich habe das Gefühl, so tief im Dunkeln zu tappen, dass sämtliche Überlegungen mich nur unendlich erschöpfen.   Warum verhalten sich alle nur so anders als sonst? Wo sind die Gewohnheiten geblieben?   Mit einem Seufzen schließe ich die Augen und lasse mich auf die Matratze fallen. Vielleicht wäre es besser, nicht mehr darüber nachzudenken. Einfach zu akzeptieren, dass sich Dinge ändern können. Auch, wenn es mir Angst macht. Ich hasse Veränderungen. Unvorhergesehenes …       „Er schläft.“ Meine Augen fühlen sich schwer an.   „War wohl zu anstrengend für ihn.“   „Weckst du ihn? Er hat sicher noch nichts gegessen.“ Ich höre meinen Vater brummen, während ich versuche, dem Schlaf zu widerstehen, der weiter an meinem Körper zieht. Ich bin eingeschlafen … mitten beim Lernen …   „Sasuke“, höre ich ihn sagen und öffne dann die Augen. Er steht neben meinem Bett.   „Bin wach“, nuschle ich und richte mich auf.   „Muss eine anstrengende Party gewesen sein“, erwidert er ruhig. „Deine Mutter macht Abendessen.“ Ich nicke, dann wird es still zwischen uns. Zumindest solange, bis ich ihn seufzen höre.   „Ich denke, wir sollten reden“, beginnt er und setzt sich dann zu mir aufs Bett.   Reden?   „Wenn es um Sex geht … ich habe nicht vor-“   „Nein. Es geht nicht um Sex … ich möchte mit dir über neulich sprechen.“ Ich blinzle. „Über deinen Bruder.“   „Itachi?“ Er nickt.   „Ich möchte mich bei dir entschuldigen.“ Okay, sicherlich träume ich noch. Mein Vater entschuldigt sich bei mir?   „Warum?“, frage ich ehrlich verwundert, während er die Lippen aufeinander presst.   „Weil ich meine Wut an dir ausgelassen habe, obwohl ich weiß, dass es auch für dich schwer sein muss, deinen Bruder zu verlieren.“ Meine Augen weiten sich.   „Ich ...-“ Er schüttelt den Kopf.   „Nein, Sasuke. Ich hatte kein Recht dazu, dich zu schlagen. Und dafür möchte ich mich entschuldigen. Du musst wissen, dass dein Bruder sich einige Dinge erlaubt hat, und dass das, was er mir jetzt serviert hat, das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“ Ich schlucke. Wie viel weiß er?   „Itachi war schon immer so. Seine Ansichten sind anders als meine, was an sich auch völlig in Ordnung ist, doch bei ihm driftet es immer in die Extreme.“ Ich runzle die Stirn. Bis auf diesen Vorfall mit dem Auszug habe ich nie etwas erlebt, das Itachi mit dem Wort Extreme in Verbindung bringt.   „Ein paar Tage vor dieser Bombe hat er mir mitgeteilt, dass er nicht mehr studieren wird. Dass er sich eine andere Arbeit suchen wird, weil sich seine Pläne geändert haben.“ Also gab es vorher schon ein Gespräch darüber? „Und als er am Wochenende dann verschwunden war, wusste ich, dass er diese Pläne auch in die Tat umsetzen wird“, sagt er und seufzt dann. „Das war schwer, Sasuke. Schwer zu akzeptieren, dass dein eigener Sohn dich hintergehen wird.“   „Hintergehen?“ Mein Vater nickt.   „Ja. Er hat das Geld, das ich für ihn und seine Zukunft angelegt habe, einige Tage vor dem Zwischenfall gestohlen.“ Mein Mund öffnet sich, doch kein Laut dringt hervor. Itachi hat Geld geklaut? „Natürlich weiß ich, dass er nicht Vater wird, also hat er mich zusätzlich noch angelogen.“   „Aber … aber wie?“, stammle ich verwirrt. „Du hast doch mit ihm darum gestritten … ich habe euch gehört …“ Er seufzt abermals.   „Deine Mutter weiß nichts von alledem. Sie weiß nicht, dass Itachi Geld gestohlen hat und sie weiß auch nicht, dass er noch mit diesem blonden Punk zusammen ist. Wegen diesem Mann gab es in der Vergangenheit schon Probleme. Er gehört irgendeiner kriminellen Organisation an …“ Es fühlt sich so an, als hätte man mir in den Magen getreten. Dieser blonde Typ … Deidara … Itachi ist mit ihm zusammen?   Die Erkenntnis prasselt wie harter Platzregen auf mich ein. Natürlich. Die Begrüßung gestern, Itachis Verschwinden, nachdem Deidara sich verzogen hat … sein Fernbleiben in der Nacht … Die Worte meiner Eltern heute Mittag. All das ergibt auf einmal Sinn. Und jetzt wird sogar bekannt, dass mein Bruder unsere Eltern beklaut hat? Auch, dass diese Typen, mit denen Itachi verkehrt, keine ehrlichen Menschen sind? Was mich allerdings nicht im Geringsten wundert.   „Es sind neun. Sie sind zu neunt“, antworte ich abwesend, doch dann blicke ich meinem Vater entgegen. Der hat die Stirn gerunzelt.   „Wer?“   „Itachis Freunde! Sie sind zu neunt. Sie haben ein baufälliges Haus, außerhalb der Stadt.“   „Du weißt davon?“ Ihn anzulügen bringt nichts. Und auch wenn Itachi gesagt hat, dass ich dichthalten soll … ich kann nicht.   Also erzähle ich meinem Vater all das, was gestern vorgefallen ist. Angefangen von der Wette, bis hin zur Party und dem Absturz.   Als ich fertig bin, sieht er mich ausdruckslos an.   „Das ist wirklich … eine ganze Menge …“ Ich nicke vorsichtig, da ich seinen Blick nicht deuten kann. Wird er jetzt ausrasten?   „Aber danke, dass du so ehrlich zu mir warst.“   „Sasuke, Fugaku, das Essen ist fertig!“ Meine Mutter ruft von unten zu uns hoch.   „Wir werden das hier erstmal verarbeiten … und später noch einmal darüber reden, okay?“ Ich nicke abermals.   „Was wirst du jetzt tun? Wirst du Itachi anzeigen?“ Denn das ist genau das, was ich nicht will. Auch wenn Itachi dafür geprügelt werden sollte, dass er meine Eltern beklaut hat und mit diesen Kriminellen unter einem Dach lebt … er soll nicht ins Gefängnis kommen.   „Nein. Aber vielleicht werde ich noch einmal mit ihm reden, wenn sich die Lage etwas entspannt hat.“ Ich atme erleichtert aus. „Und jetzt komm, deine Mutter wartet nicht gerne.“       Ich kann nicht genau sagen, was sich verändert hat, doch ich muss zugeben, dass es sich positiv auf unser Familienleben auswirkt. Mein Vater wirkt entspannter, meine Mutter glücklicher – auch wenn sie mich beim Abendessen mit Fragen über mögliche Partner nervt – und das fühlt sich seltsamerweise gut an.   Das Geheimnis zwischen meinem Vater und mir lässt uns zu Verbündeten werden.   Auch am Sonntag stehe ich nicht gewohnt mit einem genervten Gefühl auf – auch wenn ich von Naruto nach wie vor nichts gehört, und ihn auch nicht in seinem Zimmer gesehen habe – sondern frühstücke in Ruhe mit meinen Eltern. Der restliche Tag verläuft routiniert, das heißt, meine Eltern beschäftigen sich mit sich selbst und ich sitze in meinem Zimmer, um mich auf den Unterricht des nächsten Tages vorzubereiten.   Zumindest solange, bis sich eine SMS auf meinem Handy ankündigt.   'Hey Sasuke-Cakes … hab Freitag wohl ganz schön übertrieben, huh? Ich kann mich zwar nicht mehr an Einzelheiten erinnern, doch ich weiß, dass ich am Ende des Abends auf Kibas Schuhe gekotzt hab. Ich lag den ganzen Samstag flach … und wie ist es dir ergangen? Sorry, dass ich mich erst jetzt melde … hast du den Kostümabend gut überstanden? Ich werde Kiba übrigens noch dafür verprügeln, dass er dich in ein Kleid gesteckt hat.'   Ich lese die Nachricht mehr als nur einmal. Er kann sich nicht erinnern? Ernsthaft?   'Hey … ist schon okay. Du kannst dich wirklich nicht daran erinnern, was alles passiert ist?'   Seine Antwort kommt nur eine Minute später.   'Nein Mann! Ich hab den totalen Filmriss. Ich weiß nur, dass ich mit Kiba gestritten habe wegen deinem Outfit … danach hab ich mich wohl abgeschossen … wieso? Hab ich irgendwas angestellt?'   Dieser dumme Idiot! Natürlich hat er etwas angestellt!   'Nicht dass ich wüsste'   'Gut, ich dachte schon, heh … Ich hab gestern übrigens mit Sakura geredet … wir wollen es noch einmal versuchen'   Was? Was meint er damit?   'Was versuchen?' Diesmal dauert es zwanzig Minuten, ehe seine nächste Antwort kommt:   'Na mit unserer Beziehung. Und ehrlich gesagt bin ich froh darüber. Ich denke, wir können unsere Probleme aus der Welt schaffen, wenn wir es nochmal versuchen'   Und diese Nachricht bohrt sich geradewegs in mein Herz. Sie wollen es nochmal miteinander versuchen? Nach all dem, was passiert ist? Weiß er davon, dass Kiba mit seiner Freundin geschlafen hat? Dass … dass Kiba sie gefickt hat, während er mit mir auf der Terrasse war?   Ich schreibe ihm nicht mehr zurück, sondern schalte mein Handy aus.     Es ist ein unnatürlich schmerzhaftes Gefühl, das mich in dieser Nacht überfällt und es mir fast unmöglich macht, einzuschlafen.     Dementsprechend gerädert verlasse ich am nächsten Morgen das Haus, um in die Schule zu fahren. Naruto hat sich nicht mehr bei mir gemeldet, wie ich feststelle, nachdem ich mein Handy wieder angeschaltet habe.   „Da bist du ja endlich!“, zischende Worte, gefolgt von einem festen Griff, der mich packt und mich gegen die Schulmauer drückt. Es ist Kibas Gesicht, das mir entgegenblickt. Er hat ein blaues Auge.   „Lass mich los“, zische ich zurück und entreiße mich seiner Hand.   „Fang nicht so an“, knurrt er zurück. „Wegen dir haben wir Probleme!“   „Probleme? Wegen mir? Du hast wohl zu heiß gebadet.“   „Gutes Comeback, Sasuke“, sagt er trocken. „Aber ja, wegen dir. Siehst du das?“, er zeigt auf sein Auge, „wegen dir ist die ganze Planung verkackt!“ Von was redet er?   „Hat er dich etwa dafür geschlagen, weil du mich in ein Kleid gesteckt hast? Oder weil du Sakura gefickt hast?“, sage ich dunkel und füge dann hinzu: „Das war übrigens eine wirklich widerwärtige Aktion von dir.“ Er verdreht die Augen.   „Jaja, der böse Freund, der die Freundin seines besten Freundes poppt, ist angekommen. Aber das löst nicht unser Problem!“   „Ich habe kein Problem, du hast es.“   „Verarsch mich nicht, Sasuke. Weil du abgehauen bist, hat er mich mit der Schlampe erwischt!“ Ich schüttle den Kopf.   „Du hättest sie nicht ficken müssen.“   „Das war aber Teil des Plans“, sagt er. „Alles sollte darauf hinauslaufen, dass sie sich von ihm fernhält!“   „Indem du sie fickst?“   „Du kleiner Pisser“, zischt er und packt mich am Kragen meiner Jacke. Okay, vielleicht sollte ich ihn nicht provozieren …   „Lass mich los.“   „Du wirst mitkommen.“   „Kiba, ich mein es ernst, lass mich los.“ Doch er hört nicht auf mich, sondern schleift mich zur Turnhalle, wo um diese Zeit noch kein Unterricht stattfindet.   „So, jetzt erzähl mir genau, was zwischen euch passiert ist“, fordert er, und entlockt mir damit ein schiefes Schmunzeln.   „Warum willst du es wissen? Er geht wieder zurück zu Sakura. Also ist es scheißegal. Er kann sich ja nicht mal mehr daran erinnern, was auf der Party passiert ist.“   „Bullshit! Er ist kurz nach dir ins Zimmer gestürmt und völlig ausgerastet! Also, was ist passiert?“   „Wir haben uns geküsst.“ Kiba zischt auf.   „Wo?“   „Wie wo?“   „Wo habt ihr euch geküsst?“   „Auf deiner Terrasse ...“ Warum ihn das interessiert ist mir ein Rätsel.   „Und warum bist du dann abgehauen? Hättest du ihn nicht länger küssen können? Ich war fast fertig mit der Aufnahme.“   „Aufnahme?“ Von was redet er?   „Ich hab die Schlampe dabei gefilmt! Ich wollte sie damit erpressen, dass sie sich von ihm fernhalten soll, sonst hätte ich Naruto den Film gezeigt!“   „Eine weitere Erpressung? Was läuft bei dir nicht richtig?“ Sein Kiefer spannt sich an, dann macht er einen Schritt auf mich zu, während ich einen weiter nach hinten gehe. Ich sollte mir wirklich vornehmen, ihn nicht zu provozieren.   „Das war der Plan. Du gewinnst ihn für dich, ich ficke Sakura und filme sie dabei“, brummt er. „Dann hätte ich ihr gesagt, dass du schwul bist und sie keine Chance bei dir hat, was sie natürlich dazu gebracht hätte, wieder zurück zu Naruto zu gehen … und dann wäre mein Film ins Spiel gekommen.“   Wow … wie durchtrieben kann ein Mensch eigentlich sein?   „Aber jetzt ist alles kaputt! Er hat uns erwischt und mir eine verpasst! Und dann erzählt sie mir gestern, dass das mit uns nichts wird und sie zurück zu ihm geht und sie über alles geredet haben!“ Und Naruto? Naruto weiß davon, dass sein bester Freund mit Sakura geschlafen hat und nimmt sie trotzdem zurück? „Als ob ich was von der Schlampe wollen würde! Ich will, dass sie sich von Naruto fernhält!“   Das ist alles kaum zu glauben …   „Du hast überhaupt nicht wissen können, ob Naruto was von mir will … und du wusstest auch nicht, dass Sakura auf mich steht … also warum das Ganze?“   „Du bist wahrscheinlich blind. Und vielleicht auch gar nicht so schlau, wie du immer tust“, erwidert er und reibt sich mich der flachen Hand über das Gesicht. „Sakura sabbert dir schon seit Monaten hinterher. Und Naruto ist nur zu dumm, es zu bemerken.“   „Das erklärt aber nicht, wie du darauf kommst, dass Naruto an mir Interesse hat!“ Seine Rechnung hat zu viele Fehler.   „Weil ich Naruto schon lange kenne! Und seit du da bist und von ihm gesehen wirst, ist er wie ausgewechselt …Jedes Gespräch endet damit, wie eklig er Schwule findet.“   „Was natürlich dafür spricht, dass er mich geil findet.“   „Ich glaube du verstehst nicht, was ich dir damit sagen will! Naruto redet nur so abfällig darüber, weil er es insgeheim geil findet! Du hättest mal sehen sollen, wie er sich verändert hat, nachdem ich ihm gesagt habe, dass es Typen gibt, die auf ihn stehen! Er ist der wandelnde Homophob geworden!“   „Und dann ausgerechnet mich?“   „Weil er ständig über dich redet, wenn wir alleine sind. Keine Sakura, kein Sport, nur du und deine bescheuerte Nachhilfe und sein dämlicher Schwulenhass!“   „Das ist alles so weit hergeholt, sorry, ich glaube, du liegst einfach falsch.“   „Und ich glaube, du willst es nicht sehen! Seit Wochen nervt er mich mit Geschichten über dich! Er ist einfach scharf auf dich, glaub mir!“ Ich schüttle den Kopf. „Und auch sein homophobes Verhalten ist ausgeprägter. Als müsste er sich verstecken!“   „Vergiss es einfach. Ich will es nicht hören. Er ist zu ihr zurückgegangen, oder? Obwohl er weiß, was zwischen dir und ihr passiert ist … also lass es einfach.“ Ich laufe an ihm vorbei, ungeachtet dessen, dass er meinen Namen ruft.   Sie sollen mich einfach alle in Ruhe lassen. Kiba, Naruto und Sakura. Ich brauche Abstand. Einen klaren Kopf, der mir hilft, diese Sache objektiv betrachten zu können.     Allerdings habe ich in der Schule auch nicht meine Ruhe, da Naruto sofort auf mich zustürmt, als er mich im Flur gesichtet hat. Mittlerweile bin ich acht Minuten zu spät. Beziehungsweise sind wir beide zu spät.   „Sasuke! Fuck, du kommst du spät? Was ist passiert?“ Er sieht aus wie immer. Wunderschön. Da sind keine Spuren, die einen glauben lassen, dass sich etwas verändert hat. Auch sein Grinsen ist präsent.   „Hab verschlafen“, lüge ich, das Kribbeln in meinem Bauch ignorierend, als er gegen meine Schulter schlägt.   „Na dann los, bevor Ebisu uns die Haut abzieht.“ Ich laufe neben ihm, halte Schritt, während er unkontrollierten Unsinn von sich gibt. Ich kann nicht glauben, dass er es wirklich wieder mit Sakura versuchen will. Aber danach fragen kann ich auch nicht. Irgendetwas hält mich davon ab.   „Und Mann, du hättest Kibas Schuhe sehen sollen! Ich glaub, die kann er wegschmeißen.“   „Aha.“   „Übrigens, kommst du übermorgen zum Lernen? Wir müssen unser Projekt auch langsam mal anfangen.“ Er will mich bei sich haben?   „Wenn deine Freundin nichts dagegen hat?“ Er runzelt die Stirn und bleibt dann stehen. Wir haben unser Klassenzimmer schon fast erreicht.   „Warum sollte sie was dagegen haben?“ Ich zucke mit den Schultern. „Naja, ihr habt sicher noch viel zu besprechen … und-“   „Ach Quatsch! Alles gut. Wir haben uns wieder vertragen.“ Sein Grinsen tut weh. Warum sieht er so glücklich aus? Wie kann er nur glücklich sein, nachdem sie ihm das angetan hat?   „Okay …“ Er nickt, dann öffnet er die Tür und verkündet wie gewohnt seine Standard-Entschuldigung, in die er mich diesmal mit einschließt.   Kiba fehlt an diesem Tag, er kommt nicht in den Unterricht, den ich damit verbringe, mich nicht ablenken zu lassen. Sakura ist anwesend, sie sieht ab und an zu mir herüber, doch ich ignoriere sie. Sie kann mich mal … nicht. Sie wird mich niemals haben können. Selbst wenn ich nicht schwul wäre, diese Art von Mensch widert mich an und hätte null Chancen bei mir.   Ich lasse mich in der Pause von Naruto mitschleifen, sitze an dem Tisch in der Cafeteria, wo ich Zeuge davon werden muss, wie gut sich das frisch zusammengeschlossene Paar versteht. Fast schon übertrieben. Als wollte Naruto, dass ich sehe, wie gut es ihm mit ihr geht. Es löst unbändige Übelkeit in mir aus, doch ich lasse es über mich ergehen. Etwas anderes bleibt mir gar nicht übrig.   Auch am nächsten Tag ist es derselbe Anblick. Ein Anblick, der meinen Magen dazu bringt, zu rebellieren. Kiba fehlt auch immer noch und ist laut einem unserer Klassenkameraden für den Rest der Woche krankgemeldet.   Das ist alles nur seine verdammte Schuld! Hätte er sich nicht eingemischt …           „Kommst du dann später zu mir? So gegen vier?“ Irre ich mich, oder wirkt er nervös? Der Unterricht ist vorbei und wir stehen alleine vor dem Schultor, da Sakura sich schon von uns verabschiedet hat   „Ja …“   „Gut. Ich geh dann mal zum Sport?“   „Ist das eine Frage oder eine Antwort?“ Er lacht, doch es hört sich falsch an.   „Na eine Antwort natürlich! Wir sehen uns später, Sasuke-Cakes!“ Er sprintet davon, während ich brummend zurückbleibe. Auch wenn sich mein Herz darüber freut, endlich wieder die Möglichkeit zu haben, mit ihm alleine zu sein, mein Kopf sträubt sich dagegen.                 „Ist die Musik zu laut?“, fragt er, ohne mich dabei anzusehen. Ich bin hier. Tage nach dem Zwischenfall, der für ihn in Vergessenheit geraten ist. Auch wenn er sich anders benimmt als zuvor in der Schule. Anders als in Sakuras Anwesenheit. Fast mach es den Eindruck, als wüsste er genau, was auf der Party passiert ist, es jedoch verdrängen will.   Allerdings … warum sollte ich mich beschweren? Weil es wehtut? Weil es mich innerlich umbringt, zu wissen, wie es sein könnte? Wie gut es war?   „Nein, ist okay“, antworte ich, obwohl gar nichts okay ist. Absolut gar nichts.   „Heh, gut. Also, womit fangen wir an?“ Er setzt sich zu mir aufs Bett, mit großem Abstand, die Unterlagen zwischen uns ausgebreitet. „Ich würde ja vorschlagen, dass wir das Projekt gliedern. Netzplan erstellen usw.“ Während er redet, beobachte ich ihn.   Ich kann immer noch nicht glauben, dass er zu ihr zurückgegangen ist, obwohl er genau weiß, was zwischen Kiba und ihr passiert ist. Ständig denke ich daran.   „Und am besten übernimmst du die Gliederung. Ich rechne dann die Zeiten aus.“ Als er mich ansieht, überkommt mich das flaue Gefühl von Sehnsucht. Sehnsucht, die man verspürt, wenn etwas in unmittelbarer Nähe ist, man es aber nicht fassen kann. Als wäre etwas zwischen uns, das es mir unmöglich macht, zu ihm durchzudringen.   Er will es auch gar nicht.   „Ist das okay?“   „Ja.“ Nein. Es ist nicht okay. Merkst du nicht, dass mich dieses Spiel hier innerlich aushöhlt? Was muss ich tun, damit du endlich siehst, was ich für dich empfinde?   „Cool!“ Und dein falsches Grinsen macht es nicht besser.     Und doch tue ich das, was er vorgeschlagen hat. Versuche, mich von ihm abzulenken – ihm, der direkt neben mir ist – und die Gliederung zu erstellen. Es ist ein schwieriges Unterfangen, das kaum gelingen will, weil Naruto selbst überhaupt nichts tut. Beobachtet er mich?   „Du hast echt ne komische Schrift.“ Bei dieser Aussage runzle ich die Stirn und blicke von dem Blatt auf in seine Augen. Er hat sich halb über die Unterlagen gebeugt.   „Hab ich nicht“, erwidere ich ruhig, doch er nickt nur und grinst dabei.   „Doch, hast du. Wie ein Arzt. Ist voll schwer, was zu erkennen.“   „Du hattest schon öfter Unterlagen von mir.“   „Jaha, und die meiste Zeit hab ich versucht, deine Schrift zu entziffern.“   „Aha …“ Dieser blöde Idiot. „Warum hast du nie was gesagt?“   „Weil es unhöflich gewesen wäre, schließlich hast du mir deine Notizen gegeben.“ Ich hebe eine Augenbraue an.   Manchmal. Manchmal bist du wirklich seltsam. Seltsamer als ich – obwohl das fast kaum möglich ist. Aber es steht dir. Dieses Verhalten. Leider weiß ich nicht, ob ich dich dafür hassen oder lieben soll.   „Du bist ein Idiot“, seufze ich mit einem Anflug eines Lächelns auf den Lippen und stütze meinen Kopf auf meiner Handfläche ab. Naruto sieht mich nach wie vor an. Doch irgendwie hat sich sein Blick verändert. Wirkt nachdenklicher. Von seinem Grinsen ist nichts mehr zu sehen.   „Was ist los?“, frage ich und zucke im nächsten Moment zusammen, da er sich weiter nach vorne beugt und nach einer meiner Haarsträhnen greift. Diese Geste versetzt mich in eine Art Schockstarre und wirft mich gedanklich zurück zu dem Abend, an dem er mich geküsst hat.   „Deine echten Haare sind viel weicher“, sagt er leise – und bestätigt mir damit, dass er mich angelogen hat. Eine Lüge, die ich bereits vermutet habe, doch sie jetzt offengelegt serviert zu bekommen, hinterlässt ein unangenehmes Gefühl in meiner Magengegend. „Viel weicher als-“ Er unterbricht sich selbst, sieht mich geschockt an. Und dann weicht er zurück. Rutscht nach hinten, blickt mich an, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen.   Du hast es bemerkt, mein Liebster.   „Ich. Ich …“, stammelt er los, während ich mich aufrichte. „Also ich meine, ich hab vermutet, dass die Perücke viel zu borstig war. Ich meine, sie war nicht so glänzend wie dein Haar und-“   „Lass es“, entgegne ich schroff. „Lass es einfach gut sein. Ich verstehe schon. Du bist nicht schwul.“   „Sasuke!“, bricht es aus ihm heraus – er klingt leicht panisch, seine Stimme ist zu hell. „Ich … ich hab nur … ich meine die Perücke!“ Das Lachen, das daraufhin aus mir heraussprudelt, ist nicht mehr aufzuhalten.   Wer ist hier eigentlich lächerlich? Ist es er? Bin ich es? Ist es diese Situation?   Alles. Einfach nur alles.   „Warum lachst du?“, schrillt er, während ich nicht mehr damit aufhören kann. Es ist einfach zu lachhaft. „Sasuke!“ Ich schüttle den Kopf. Merkt er nicht, wie lächerlich das hier alles ist?   Ich verstumme, als er sich auf einmal gegen mich wirft und nach unten drückt. Er sieht wütend aus. Doch entgegen dieser Aktion kann ich nicht anders, als zu grinsen. Er liegt halb auf mir drauf, blickt mich an – und ich grinse. Wie lächerlich …   Das ist die Bestätigung, dass ich nicht normal sein kann. Etwas läuft eindeutig nicht richtig bei mir.   „Hör auf zu lachen“, sagt er mahnend. „Das ist nicht lustig.“ Ich schließe für einen Moment lang die Augen und seufze.   „Doch, das ist es.“   „Und warum?“ Bemerkt er überhaupt, dass er noch immer halb auf mir drauf liegt? Sein Atem streift meine Wange.   „Weil …“ Weil es so ist. Du küsst mich, lügst mich an, verrätst dich. Und dann gehst du zu ihr zurück, obwohl du genau weißt, was passiert ist. Dass du dir selbst vermutlich nur Dinge vormachst. „Es zum Lachen ist“, beende ich meinen Satz und blicke ihm entgegen.   „Ich … ich hab einen Fehler gemacht“, sagt er leise. Seine Worte grenzen schon an ein Flüstern, das sich geradewegs in meine Brust bohrt. Es schmerzt, lässt mein Herz schneller schlagen – mein Magen fühlt sich flau an. „Ich bin nicht schwul … und ich war betrunken.“ Ich drehe den Kopf zur Seite.   „Dann geh von mir runter.“ Meine Stimme klingt emotionslos. Anders, als ich mich fühle. Steht im völligen Kontrast zu den Empfindungen, die sich in mir festsetzen.   „Sasuke …“   „Was willst du von mir hören, Naruto?“   „Sag mir, dass du mir nicht böse bist. Und dass du mich deswegen nicht hasst.“ Er ist so ahnungslos. So verflucht naiv.   „Du bist wirklich ein Idiot.“   „Es ist mir wichtig, okay? Das war ein Ausrutscher … ein Fehler! Du warst verkleidet und … keine Ahnung, ich war gefrustet-“   „Halt endlich einfach die Klappe“, unterbreche ich ihn dunkel und versuche gleichzeitig, mich aus seinem Griff zu winden. Er soll einfach aufhören. Endlich damit aufhören, mich ständig zu verletzen.   „Sasuke, bitte … ich-“   „Was verstehst du daran nicht?“ Wut packt mich – ich schubse ihn grob zur Seite und stehe von seinem Bett auf. „Bist du wirklich so dumm?“, dröhne ich. „Du hast mich geküsst! Und das war kein betrunkener Kuss. Du wolltest es! Und dann gehst du zu ihr zurück, obwohl sie deinen besten Freund fickt? Bist du wirklich so dumm? Hasst du Schwule so sehr? Bist du so engstirnig? Bist du das? Hä?“ Diese Worte brechen aus mir heraus – und er ist daran Schuld. Er frustriert mich. Macht mich hilflos. Er bringt mich dazu, so zu sein. Und es ist mir egal, dass er mich geschockt ansieht. Es ist seine verdammte Schuld!   „Sasuke … ich hab, ich … ich hab nichts gegen Schwule.“ Ich schüttle den Kopf.   „Lügner. Du bist ein elender Lügner.“ Ich greife nach meinem Rucksack, stopfe meine Notizen hinein, ohne ihn weiter anzusehen. Ich will hier raus. Ich muss. „Lass mich damit einfach in Ruhe. Lass es einfach. Sprich nicht mehr darüber, sag einfach nichts me-“ Meine Tirade verstummt, als er mich erneut packt und voller Wucht zurück auf seine Matratze presst. Seine Arme fixieren mich.   „Sei still“, sagt er ruhig, doch sein Blick ist ernst. Allerdings bin ich zu wütend, um darauf Rücksicht zu nehmen. Ich kann nicht mehr still sein. Ich will nicht mehr still sein. Ich habe genug.   „Lass mich los. Und geh von mir runter.“   „Nein.“ Ich greife nach seinem Unterarm, versuche ihn von mir zu drücken, doch er bewegt sich nicht.   „Naruto, ich meine es Ernst. Wenn du nicht willst, dass … wenn du nicht willst, dass ich nie wieder mit dir rede, dann lässt du mich jetzt los.“ Er seufzt. Leise, doch ich höre es. Und dann geht alles viel zu schnell. Seine nächste Aktion lässt mich abrupt innehalten.   Was. Zur. Hölle?   Seine Lippen sind fest auf meine gepresst und während meine Augen vor Schock weit aufgerissen sind, kneift er seine zusammen. Meine Arme werden augenblicklich schlaff, der Träger meines Rucksacks löst sich aus meiner Hand – Naruto lässt meinen Widerstand sterben, einfach so. Mit einem einfachen Streifen von Haut auf Haut. Federleichten Berührungen, als er sich wieder zurückzieht, um mich kurz darauf erneut zu küssen.   Ist das wahr? Entspricht das wirklich der Realität? Habe ich mich so sehr in Rage geredet, dass ich umgefallen bin?   Weshalb?   „Ich bin nicht schwul“, haucht er und ich öffne die Augen, die ich unbewusst geschlossen habe, um seinen Blick zu erwidern. Helles, blaues Funkeln. Feuchte Lippen, keinen Zentimeter von meinen eigenen entfernt. „Aber ich … ich wollte es. Ich wollte dich küssen.“ Bevor ich etwas erwidern kann, küsst er mich ein weiteres Mal. Leidenschaftlicher. Intensiver. Fordernder. Seine Zunge dringt mühelos in meinen Mund, löst ein Feuerwerk in mir aus, das mich so aus der Bahn wirft, dass ich keuchen muss. Seine Finger lösen sich, wandern zu meinem Gesicht, er hält meine Wangen zwischen seinen Händen – er hält mich fest. Und ich? Ich versuche zu erwidern, was er vorgibt. Dieses Tempo, das dafür sorgt, dass mir schwindlig wird.   Würde ich nicht schon liegen, würde ich es spätestens jetzt tun.   Meine Finger verfangen sich in seinem Haar, er keucht, drückt sich mehr gegen mich. Wird wilder. Und ich habe das Gefühl zu zerfließen. Alles fühlt sich heiß an. Mein Puls rast, rauscht in meinen Ohren.   „Fuck“, zischt er leise, und dieses Mal fühle ich mich nicht im Stande dazu, meine Augen zu öffnen. Für einen kurzen Moment verspüre ich die Angst, dass er sich wieder zurückzieht, denn er bewegt sich, doch ich stöhne ein weiteres Mal auf, als ich seine Lippen an meinem Hals spüren kann. Er saugt an meiner Haut, knabbert, leckt und ich werfe intuitiv den Kopf weiter nach hinten, um seinem Mund so mehr Platz bieten zu können. Das hier fühlt sich so gut an. So unbeschreiblich gut.   „Du bist so ...“, haucht er gegen mein Ohr, das er kurz darauf spielerisch zwischen seine Lippen nimmt, „so verflucht scharf. So verdammt sexy, Sasuke …“ Mit einem Ruck drückt er sein Becken nach vorne – ich spüre seine Erregung ganz deutlich – und zwingt mich somit dazu, meine Augen zusammenzukneifen.   Das hier muss ein Traum sein. Naruto ist nicht so. Er würde mir nicht solche Dinge ins Ohr flüstern. Er würde sich nicht immer schneller auf mir bewegen und stöhnen. Das würde er niemals tun. Denn in der Realität, in der wir leben, ist Naruto alles andere als das hier.   „Fuck, ich will …“, keucht er und entfernt sich dann ohne Vorwarnung von mir. Der Druck auf mir verschwindet. Ich höre nur seine angestrengte Atmung und als ich die Augen öffne, darauf gefasst, dass er gleich ausrasten wird, vergesse ich es für einen Moment lang, Luft zu holen. Er zieht sich sein Shirt über den Kopf, atmet immer noch schnell und sieht mich an. Seine Lippen sind geschwollen, seine Haare wirr, seine ohnehin hellen Augen leuchten regelrecht – Gott, er sieht aus wie ein Sexgott. Und dieser Blick. Er ist so intensiv, dass meine Jeans schon alleine von diesem Anblick enger wird.   „Ich … ich will …“, er fährt sich mit der Hand durchs Haar, schüttelt dann den Kopf und dreht sich herum. Wird er jetzt gehen? Mich alleine lassen? Findet er das hier abstoßend? Ich richte mich auf, betrachte seinen muskulösen Rücken, sehe, dass er sich bewegt und habe das Gefühl, dass mein Herz stoppt. Doch nur für einen kurzen Augenblick, denn er verlässt nicht wie erwartet den Raum, sondern dreht den Schlüssel herum.   Hat er uns eingeschlossen?   „Ich will das hier ...“, höre ich ihn sagen. Sein Rücken ist mir nach wie vor zugewandt. „Ich will das hier schon länger.“ Redet er mit mir? Mit sich selbst? „Aber ich weiß nicht, ob ich das kann. Das alles. Ich weiß nicht, ob ich das hinbekomme. Ich war bisher nur mit Frauen im Bett … und … keine Ahnung, seit Kiba mir gesteckt hat, dass … dass es Typen gibt, die auf mich stehen, habe ich darüber nachgedacht.“ Daraufhin schweigt er. Will er, dass ich etwas dazu sage? Er dreht sich auch immer noch nicht zu mir um. „Bei dir … bei dir habe ich oft daran denken müssen. Wie es wäre, verstehst du? Und jetzt“, er schnauft, „nach diesem Kuss … will ich es noch mehr. Das macht mich wahnsinnig. Obwohl ich genau weiß, dass ich nicht schwul bin …“ Mein Herz schlägt immer schneller. Wort für Wort. Silbe für Silbe, und als er sich schließlich zu mir umdreht, habe ich das Gefühl, dass etwas in meiner Brust explodiert.   Ganz langsam kommt er auf mich zu.   „Und da du nicht wegläufst … denke ich, du willst es auch.“   Du weißt gar nicht, wie sehr ich es will. Wie lange ich mir das hier gewünscht habe. Du hast nicht die geringste Ahnung, Naruto Uzumaki.   Meine Augen weiten sich, als er nach meinem linken Arm greift und mich zurück auf sein Bett drückt – in eine Position, in der gezwungen werde, meine Beine auf die Matratze zu legen.   Was tut er? Warum sieht er so ernst aus?   Ich will etwas sagen, doch ich kann nicht.   „Und deshalb“, spricht er leise, während seine Hände über mein Bein streichen, runter zu meinen Füßen, an denen ich noch immer Schuhe trage, „deshalb denke ich, dass wir es tun sollten.“ Mein Mund öffnet sich, als er sie von mir zieht.   Was sollten wir tun? Was meint er damit?   Ich zucke zusammen, als ich seine Finger an meinem Gürtel spüre.   Öffnet er wirklich gerade meine Jeans?   „Sasuke“, sagt er und seine Stimme klingt dabei rauer als zuvor, „sieh mich an.“   Was zur Hölle? Das hier kann nur ein Traum sein. Niemals im Leben ist Naruto so … so … Ein erschrockener Laut verlässt meinen Mund, da er mir einfach auf die Unterlippe beißt.   „Sasuke“, haucht er, während er weiterhin mit einer Hand versucht, meine Hose nach unten zu zerren. „Küss mich endlich. Küss mich und zeig mir, dass du das auch willst.“ Ich schließe ergeben die Augen. Was soll ich dagegen tun? Was würde ich dagegen überhaupt tun wollen? Ich will das hier. Ich will es so sehr, dass sämtliche Nervenenden bis aufs Äußerste gereizt reagieren, bei jeder Berührung, die mich trifft. Jeder Atemzug, der meine Haut streift. Ich bin schwach. Wunderbar schwach in seinen Armen. Und ich küsse ihn. Taste fahrig mit den Händen über seinen makellosen Oberkörper – spüre, wie die Muskeln unter meinen Berührungen zusammenzucken – bis hin zum Bund seiner Hose, wo ich sie kurz ruhen lasse.   Erst jetzt öffne ich wieder die Augen. Blicke geradewegs in seine, die mir signalisieren, dass es okay ist, weiterzugehen. Dass es okay ist, dass ich seine Jeans öffne und sie mit seiner Hilfe nach unten ziehe.   „Fuck … Sasuke, bitte …“ Ich schlucke, als er sich kurz zurücklehnt, um seine Hose samt Shorts komplett auszuziehen. Ich sehe ihn … ganz. Nackt …   Schwindel überkommt mich, als er auch meine Jeans und Shorts von mir zerrt.   „Dein Shirt“, sagt er rau und greift im selbem Moment danach, um es über meinen Kopf zu ziehen.     Wir sind nackt. Komplett nackt. Ich kann nichts dagegen tun, dass Unsicherheit in mir aufsteigt. Er sieht mich. Er mustert mich, betrachtet meinen Körper, der unter seinen Blicken noch wärmer zu werden scheint.   Findet er mich hässlich?   „So verflucht sexy … fuck“, zischt er und wirft sich dann mit einem Mal gegen mich. Er presst mir sämtliche Luft aus den Lungen – und ich habe nicht einmal die Chance zu atmen, da er sofort damit anfängt, mein Gesicht mit Küssen zu übersähen. Seine Lippen streifen meine Wangen, meinen Kiefer, er wandert zu meinem Mund, küsst mich überall und lässt mich alles vergessen.   Ich bin nur noch im Stande, zu fühlen. Seine Erektion, die sich gegen meine drückt, die Hitze, die er mit jeder Reibung erzeugt, sein Keuchen, das gegen meine Haut schlägt und im Kontrast mit dem Feuer steht, das in mir lodert.   „Naruto“, stöhne ich halb überfordert, weil mich diese Empfindungen völlig unkontrolliert überrollen.         Ich habe das Gefühl, in Flammen zu stehen. Ich schwitze – wir schwitzen – mein Herz schlägt angestrengt in meiner Brust. Die Musik läuft immer noch leise im Hintergrund, wird jetzt erst wieder bewusst von mir wahrgenommen, da er sich erneut aufrichtet und mich ansieht.   „Bist du … bist du …“, fängt er an, doch presst dann die Lippen aufeinander.   Bin ich was?   „Was meinst du?“, erwidere ich leise.   „Hast du sowas schonmal gemacht?“ Ich blinzle.   Nein. Das habe ich nie. Niemals zuvor habe ich so etwas getan. Mit niemandem.   „Was gemacht?“ Seine Wangen, die vorher schon gerötet waren, bekommen noch mehr Farbe. Er dreht den Kopf zur Seite.   „Mit einem Mann geschlafen …“, murmelt er. Jetzt brennen auch meine Wangen.   Praktisch … praktisch habe ich …   „Ja.“ Schließlich ist es keine komplette Lüge. Zwar war ich es, der mit einem Dildo Erfahrungen gesammelt hat, doch das muss er nicht wissen.   „Okay“, atmet er aus und dreht sein Gesicht dann wieder zu mir. „Okay … und willst du … willst du mit mir … also ich meine …“ Ist er verlegen? Ich weiß nicht, woher mein Mut kommt, doch ich muss leicht grinsen.   „Hast du Gleitgel und Kondome?“ Keine schöne Frage, die ich ihm stelle, denn so muss ich unweigerlich an sie denken, doch es ist nötig.   „Ja …“ Es wird kurz still zwischen uns, wir blicken uns einfach nur gegenseitig in die Augen, ehe er neben sein Bett greift und die oberste Schublade seiner Kommode öffnet.   „Das ist … das ist echt abgefahren“, sagt er. Seine Hände zittern, als er mir das Gel und Kondom reicht. „Ich meine … ich bin … ich weiß nicht, ich bin … wow. Ich weiß nicht. Ich will das … ich will mit dir … wow. Ich kann es gar nicht beschreiben.“ Sein Gebrabbel gibt mir genügend Selbstvertrauen, das Ruder zu übernehmen. Ich richte mich ebenfalls auf, knie mich vor ihn und stoße ihn leicht nach hinten, so dass er eine sitzende Position einnimmt.   „Lass mich machen“, hauche ich gegen seine Lippen, kurz bevor ich mich auf seinen Schoß setze und nach seinem Schwanz greife. Ich massiere ihn, während ich ihn gleichzeitig dazu animiere, mich zu küssen, was er nach kurzem Zögern auch tut. Er zieht mich näher zu sich heran, seine Hände klammern sich an meine Hüfte.   „Gib mir deine Hand“, sage ich leise. Er sieht mich kurz verwundert an, doch dann tut er, was ich von ihm verlange. Ich verteile Gel auf seinen Fingern – seine Augen werden dabei immer größer – und dirigiere seinen Arm hinter mich. „Massier mich … hier.“ Ich lasse seine Finger gegen meine Öffnung gleiten, spüre, dass er kurz zusammenzuckt. „Dring in mich ein“, hauche ich und werfe meine Arme dann um seinen Nacken, um einen weiteren Kuss zu entfachen.   Ich zerre an seinem Haar, ziehe und werde hemmungsloser, als seine Finger in mich eindringen.   Gott, das fühlt sich so gut an. So verflucht gut. Unsere Schwänze reiben aneinander, ich stoße vor und zurück, lasse mich von seinen Fingern ficken, während er sich mit seiner freien Hand an mir festklammert und seine Zunge um meine kreisen lässt.   Doch dann lehnt er sich zurück, blickt mich an, während er seine Bewegungen fortsetzt. Seine Lippen sind leicht geöffnet, seine Augen auf Halbmast – er sieht so scharf aus, dass ich die Befürchtung habe, bald zu kommen, wenn dieses Spiel noch länger dauert.   „Sasuke“, haucht er und hält dann inne. „Wann … wann …-“ Ich schneide ihm das Wort ab, indem ich um seine Erektion greife und ihn erneut küsse.   Ich bin bereit. Ich bin mehr als bereit.   Nur kurz massiere ich ihn, ehe ich nach dem Kondom greife und es aufreiße, um es ihm vorsichtig überzuziehen. Auch das Gleitgel verteile ich großzügig.   Sicher wird es wehtun … doch das tut es immer am Anfang.   Ich spreize die Beine weiter, rutsche höher, greife hinter mir nach seiner Erregung, führe sie an die richtige Stelle.   Gleich ist es soweit … gleich werde ich mit ihm schlafen. Mit meinem Traummann. Das hier kann nur ein Traum sein. Aber das ist egal. Ich will es.   Wir stöhnen beide auf, als ich mich langsam auf ihm sinken lasse – seine Hände zittern, meine Finger drücken sich gegen seine Schulter – und ich kneife die Augen zusammen, während ich versuche, den stechenden Schmerz zu ignorieren, der sich durch meine Kehrseite zieht.   „Fuck … fuck. Oh fuck, Shit. Das ist eng. Das ist eng“, zischt er und atmet schnell. „Sasuke!“   „Gleich“, presse ich hervor, nehme die letzten Zentimeter in mich auf und hole dann tief Luft. „Warte ...“ Ein zitternder Atemzug verlässt meine Lippen.   „Fuck, Sasuke … ich glaub ich komme …“   „Noch nicht … warte noch …“ Er stöhnt auf, klammert sich noch fester an mich, als ich anfange, mich auf ihm zu bewegen. Ich werfe den Kopf in den Nacken und begrüße diesen Schmerz, diesen wunderbar erregenden Schmerz, ihn so tief in mir spüren zu können …   „Oh Shit, bitte. Oh Gott.“ Ich keuche bei seinen Worten, bewege mich noch schneller, fühle diese unbeschreibliche Hitze im Zentrum meines Bauches, die schon beinahe ausreicht, um mich zum Kommen zu bringen. Es ist zu gut. So unbeschreiblich gut. Er füllt mich aus, er fickt mich, er saugt an meinem Hals, massiert meinen Hintern im Takt seiner Stöße.   „Naruto“, stöhne ich heiser. „Hör nicht auf, bitte.“   „Sas … Sasuke … ich …“ Seine Stimme wandelt sich, wir höher, als er schließlich in mir pulsiert. Er kommt. Er kommt in mir. Während ich auf ihm sitze.   Wie surreal …   Ich löse eine Hand von seiner Schulter, greife nach meiner Erregung und fange an, sie zu pumpen. Ich will kommen. Ich will auf ihm kommen. Und schließlich tue ich es. Erreiche meinen Höhepunkt zwischen uns, diesen unsagbar geilen Orgasmus, der sich in Erschöpfung verwandelt und mich dazu bringt, meine Stirn gegen seine klammen Schulter zu pressen, heftig atmend.   Ich kann seinen schnellen Puls unter meinen Fingerspitzen fühlen. Sein Herz schlägt genauso fest wie mein eigenes.   Es ist ein unwirkliches Gefühl. Ein wunderschönes, von Glück besessenes Gefühl, das sich in mir breit macht.   Ich habe mit Naruto geschlafen. Ich habe es wirklich getan …   Völlig überraschend. Ohne, dass ich es auch nur im Ansatz vermutet hätte.   Als er sich zurücklehnt, sich auf die Matratze sinken lässt, noch immer mit mir vereint, schmiege ich mich an ihn.   Ich war noch niemals zuvor so glücklich. Ihn zufrieden seufzen zu hören, seine Finger spüren zu können, die über meinen Rücken streicheln …   Wenn ich jetzt sterben würde, dann wäre es der beste Tod, den ich mir nur wünschen kann.   „Wir ruhen uns aus, kay?“, höre ich ihn nuscheln und lächle.   Ja … wir ruhen uns aus. Für jetzt. Am besten für immer. Nur wir beide.   Kapitel 5: 4. [Zensiert] ------------------------ Die kühle Luft frisst sich durch den spärlichen Stoff, den man kaum als Kleidung bezeichnen kann. Ich friere, laufe ziellos durch die Straßen dieser Gegend, in der ich noch nie war. Hier ist niemand, nur einzelne Straßenlaternen, die meinen Weg erleuchten und mich weiterführen. Ich kann nicht begreifen, was vor weniger als einer Stunde passiert ist. Ehrlich gesagt möchte ich es gar nicht begreifen. Wenn da nicht dieses widerliche Gefühl in meinem Magen wäre, das mich kontinuierlich an diese Szenen erinnert.   Kiba – Sakura – Naruto. Sie sind Schuld daran, dass ich so aufgewühlt bin.   „Hey Süße.“ Mit einem Zittern ziehe ich meine Jacke enger an mich heran. Vielleicht hätte ich mich umziehen sollen, anstatt völlig überstürzt zu flüchten. Im Ernst, weshalb zwängen sich Frauen freiwillig in solche Klamotten?   „Ich habe Hey gesagt.“ Alles nur, um hormongesteuerten Barbaren zu gefallen? Wie lachhaft.   „Jetzt bleib doch mal stehen!“ Ich erstarre, als mich eine Hand grob am Arm packt und mich festhält. Mein Rucksack rutscht dabei von meiner Schulter.   Was zur Hölle?   „Na geht doch.“ Ich blicke in das Gesicht des Mannes, der mich mit seiner Hand fixiert. Ich kenne ihn nicht. „Was treibt ein kleines Mädchen wie du um diese Zeit hier draußen?“ Dass er mich meint, ist offensichtlich. Er spricht mit mir. Er hält mich fest.   Mit einem Ruck entziehe ich mich seinem Griff. Er hält mich für eine Frau …   „Ich bin kein Mädchen“, antworte ich dunkel. Ich hätte mich definitiv umziehen sollen. Definitiv.   „Woah, was?“ Er sieht mich geschockt an, weicht einen Schritt zurück. „Aber … aber du hast ein Kleid an.“ Ich verdrehe die Augen.   „Und jetzt? Ist es verboten, ein Kleid zu tragen?“   „Ist ja widerlich!“, sagt er, die Nase gerümpft und die Lippen verzogen, während er sich weiter von mir zurückzieht.   „Wenn du meinst“, erwidere ich betont gelangweilt, auch wenn mein Puls sich überschlägt, weil mich diese Interaktion überrascht hat.   Es ist nicht leicht, mit Menschen umzugehen. Schon gar nicht in so einem Fall. Dieser Aufzug vervielfacht mein Unwohlsein. Bringt mich dazu, mich noch kleiner zu fühlen und sorgt dafür, dass sich ein grässliches Gefühl in meinem Inneren einstellt, als ich mich schließlich wieder herumdrehe, um mich weiter zu bewegen.     Weitere Zeit ist vergangen – mittlerweile bin ich an einer Hauptstraße angelangt, in der reger Verkehr herrscht. Warum ich vorher nicht darauf gekommen bin, mein Handy zu benutzen, um mir ein Taxi zu rufen, ist mir schleierhaft, doch jetzt, wo vereinzelte Blicke auf mich gerichtet sind, erscheint mir diese Lösung als einzig mögliche.   Das alte, schwarze Stück Plastik in meiner Jackentasche vibriert, als ich es zu fassen kriege und mein Herz schlägt schneller, da meine Gedanken augenblicklich zu Naruto wandern. Hat er mir eine Nachricht gesendet? Die Vibration ist zu kurz gewesen – sie kann kein Anruf gewesen sein. Mit zitternden Fingern öffne ich die Nachricht. Die Nummer, die dabei steht, gehört nicht Naruto. Sie enthält noch nicht mal eine Ziffer, die seiner gleicht. Ich kenne seine Nummer, ich habe sie auswendig gelernt. Also wer ist es?   'Sie haben eine neue Sprachnachricht' Ich atme tief ein, als ich auf das Symbol drücke, das mich zu der Nachricht führen wird.   'Hey Sasuke, ich bin es. Wie du sicherlich schon mitbekommen hast, hab ich meine alte Karte sperren lassen. Ich hab eine neue Telefonnummer, die eigentlich auf deinem Display angekommen sein müsste. Falls nicht, hier ist meine neue Nummer: 236/789996. Ich würde mich freuen, wenn du mal was von dir hören lässt. Vielleicht können wir dann auch darüber sprechen, was in letzter Zeit passiert ist. Ich schätze, du hast eine menge Fragen. Ich wäre dir nur dankbar, wenn du Ma und Pa nichts davon erzählen würdest, da sie mir verboten haben, dich zu kontaktieren'   Ich lasse das Handy sinken, während ich zeitgleich auf den roten Knopf drücke, der diese Verbindung beendet. Itachi hat recht. Seine Nummer steht auf dem Display. Er hat versucht, mich vor einigen Stunden zu erreichen.   Ich drücke die Rückruftaste, führe das Telefon zurück zu meinem Ohr, während ich mit meinen Augen einen imaginären Punkt fixiere. Mein Bruder hat sich tatsächlich bei mir gemeldet. Mir seine neue Nummer gegeben.   „Sasuke?“   „Tachi.“ Dass meine Stimme weich klingt, kann ich nicht verhindern.   „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Und auch er scheint es zu bemerken.   „Ich … ich hab Probleme“, hauche ich und kneife die Augen zusammen, da ein unangenehmes Brennen in ihnen entsteht.   „Was ist los? Wo bist du?“   „Ich weiß es nicht. Ich war auf dieser Party. Und Naruto hat mich geküsst. Kiba hat mit Sakura geschlafen und da war dieser Typ, der dachte dass ich eine Frau bin und–„   „Sasuke“, unterbricht mich mein Bruder sanft und schweigt daraufhin einige Sekunden. „Bist du noch auf dieser Party?“ Ich schüttle den Kopf und atme hörbar aus.   „Nein. Nein. Ich bin auf einer Hauptstraße“, erwidere ich – mittlerweile fließen die Tränen aus meinen Augenwinkeln – während ich mich umsehe, bis ich ein Straßenschild entdecke. „Die Straße heißt Fairgreen Boulevard.“   „Was machst du da?“   „Ich bin gelaufen. Ich musste einfach raus … ich ...“   „Okay. Steht eine Nummer dabei?“, hakt er nach und ich gehe näher an das Schild heran, da ich ohne meine Brille kaum erkennen kann, was dort klein geschrieben steht.   „Ja, 694.“   „Gut. Bleib dort, ich werde dich sofort abholen, okay?“ Ich schluchze leise, da die Erleichterung, die sich in mir breit macht, gepaart mit der Anstrengung des Abends, sich loslöst.   „Sasuke?“   „Ja?“   „Leg nicht auf, okay? Erzähl mir, was heute passiert ist.“   Während Itachi von dem Ort losfährt, an dem er sich befindet, fange ich an, alles zu erzählen. Die Sache mit Naruto, die Sache mit Kiba und auch, was Sakura dazu beigetragen hat. Ich weiß nicht, ob er alles versteht, was ich versuche ihm zu vermitteln, denn mittlerweile heule ich wie ein Mädchen.   Es grenzt schon an Ironie, dass ich zusätzlich noch wie eines aussehe.   „Ich bin fast da. Komm zur Straße. Ich fahre einen schwarzen SUV.“ Ich tue, was er mir sagt und halte Ausschau nach dem Wagen, der wenig später an der besagten Adresse hält. Auf wackligen Beinen bewege ich mich, fixiere sein Gesicht so gut es mir möglich ist unter dem Schleier der Tränen, die meine Sicht trüben.     Als ich die Tür zum Wagen öffne, strömt augenblicklich vertrauter, beruhigender Duft in meine Nase. Itachi ist wirklich hier. Er sieht mich an, sein Kiefer angespannt, doch das ist mir egal. Er sagt nichts, als ich mich anschnalle und er spricht auch dann noch nicht, als er mit mir über die Straße fährt und wendet.   Erst als wir etwa fünf Minuten gefahren sind, hält er überraschend am Straßenrand und schnallt sich ab. Ich komme noch nicht einmal dazu, etwas zu sagen, denn er löst blitzschnell auch meinen Gurt und zieht mich in eine Umarmung, die mich die Augen aufreißen lässt. Sein rechter Arm wandert um meine Mitte, drückt mich an sich und seine linke Hand fährt zu meinem Kopf. Er drückt mein Gesicht gegen seine Schulter.   „Itachi“, murmle ich gegen seinen Arm, spüre, dass er sich kurz verspannt, doch dann streichelt er über meinen Rücken.   „Ich sollte sie alle umbringen“, brummt er. „Was sie mit dir gemacht haben. Sasuke …“ Erneut erliege ich dem Zwang, mich wie ein pubertäres Schulmädchen zu verhalten indem ich schluchze und flenne. Zwar eine ziemlich abstoßende Tatsache, doch aufhalten kann ich sie nicht. Zu schwer ist dieses hässliche Gefühl in mir. Zu stark der Drang, mich an meinen Bruder zu klammern.   Itachi ist nicht wie Kyuubi. Und ich bin nicht wie Naruto. Ich hasse meinen Bruder nicht. Mein Bruder, der immer für mich da ist, wenn ich ihn brauche. Und jetzt hat er mir wieder bewiesen, dass ich mich auf ihn verlassen kann.   Mit diesem Kloß im Hals klammere ich mich an ihm fest, während er mir beruhigende Worte zuflüstert.   Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit, die ich in seinen Armen verbringe, ehe er sich langsam von mir löst und mir entgegenblickt.   „Wir fahren zu mir nach Hause, okay? Du kannst bei uns schlafen.“ Ich nicke und lehne mich dann zurück. „Und dann holen wir dich aus diesen Klamotten. Schminken dich ab …“   Itachi redet – es ist nicht gewöhnlich, dass er das tut, denn normalerweise ist er ein sehr ruhiger Mensch – während ich mich im Sitz zurücklehne und aus dem Fenster blicke. Vielleicht egoistisch von mir, ihm keine Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Wo hast du diesen Wagen her? Wer ist Uns? Wo wohnst du? Wirst du wirklich Vater? Denn Itachi spricht nicht darüber, sondern nur davon, wie er Kiba malträtieren wird und was für ein homophobes Arschloch Naruto ist.   „Hier sind wir.“ Meine Augen müssen für einen kurzen Moment zugefallen sein, denn als ich sie wieder öffne, stehen wir bereits in der Einfahrt vor einem riesigen Haus.   „Hier wohnst du?“ Ich blicke mich um, doch außer diesem Haus ist kein weiteres zu sehen. Es scheint eine sehr ländliche, abgeschiedene Gegend zu sein.   „Ja. Komm, die anderen warten bestimmt schon auf uns.“   „Die Anderen?“ Er nickt, dann steigt er aus nachdem er sich abgeschnallt hat.       Was mir als erstes auffällt ist, dass die Fassade des Hauses nicht das widerspiegelt, was sich hier drinnen befindet. Dieser Platz gleicht einer Ruine. Was zur Hölle? Wer würde hier freiwillig wohnen? Abgerissene Tapete, beschmierte Wände. Der Putz hat definitiv auch schon bessere Zeiten gesehen und oh mein Gott, wächst hier etwa Schimmel? Und wir befinden uns immer noch im Flur … sofern man diesen Raum so nennen kann. Wie sieht es dann erst im Rest des Hauses aus?   „Du kannst deine Schuhe ausziehen, wenn du möchtest.“ Sicherlich nicht. Und meine gerümpfte Nase macht ihm deutlich, dass er mich danach auch kein zweites Mal fragen muss.   „Hier lebst du?“ Itachi schmunzelt.   „Wir.“ Bevor ich dazu komme, ihn danach zu fragen, wer Wir bedeutet, öffnet sich eine Tür, die sich rechts von mir befindet. Zum Vorschein bringt sie einen Mann, der blonde lange Haare hat. Er sieht mich finster an.   „Wer ist das?“, brummt er, seinen strengen Blick auf mich gerichtet, doch ich weiß, dass er meinen Bruder anspricht. „Hast du nicht gesagt, du willst deinen Bruder holen?“   „Das, mein lieber Deidara, ist mein Bruder.“   „Eine Transe?“ Mir klappt der Mund auf. Hat er mich gerade wirklich als Transe bezeichnet? Wer von uns beiden hat hier bitteschön die langen Haare? Gut, ich trage eine Perücke, aber dennoch!   „Ich bin ganz sicher keine Transe“, erwidere ich dunkel. „Das nennt sich Kostüm.“ Er zieht eine Augenbraue in die Höhe.   „Aha. Mir egal“, sagt er und richtet seine Augen dann auf Itachi. „Hast du Eis mitgebracht?“ Ich weiß bereits jetzt, dass ich ihn nicht leiden kann. Er scheint ein Arschloch zu sein.   „Nein. Sasuke ging vor. Außerdem sollst du um diese Uhrzeit nichts mehr essen. Du weiß, was sonst passiert.“ Woher kennt mein Bruder diese Gestalt? Ich habe diesen Typen noch nie zuvor gesehen … doch Itachi scheint ihn gut zu kennen.   „Nichts, mit dem du nicht fertig wirst“, schnaubt der blonde Mann, der die Tür jetzt etwas weiter öffnet und die Arme vor der Brust verschränkt. „Aber da du mein Eis vergessen hast, wirst du sehen, womit du heute noch fertig werden musst.“ Dann löst er seinen rechten Arm und wirft mit seiner Hand sein Haar zurück, ehe er sich mit einer Art Zischen von uns abwendet und in dem Raum verschwindet.   „Wer war das?“, frage ich leise, mit einem unwohlen Gefühl im Bauch. Itachi allerdings seufzt nur, ehe er mich in das Zimmer schiebt, in das auch der Freak verschwunden ist.   Zwar sieht es hier definitiv besser aus, doch immer noch so, als hätte man zehn Menschen mit unterschiedlichem Geschmack dazu gezwungen, zu renovieren. Hier passt nichts zusammen. Zusammengewürfelte Möbel, verschiedene Farben – und das, obwohl es nur ein Raum ist – an den Wänden … wow.       Itachi zwingt mich dazu, mich in einen anderen Raum zu begeben, der wohl ein Badezimmer darstellen soll. Im Ernst? Abgerissene Fliesen – meine Mutter würde kollabieren – Schimmel, der aus jeder Ritze sprießt und feuchte Schwere, die in der Luft hängt.   Wann hat man hier zum letzten Mal geputzt?   „Du kannst dich hier umziehen. Und abschminken. Nimm einfach den Entferner von Konan.“ Wer ist Konan? „Wenn du fertig bist, dann stell ich dich den anderen vor.“   Es dauert ungefähr eine halbe Stunde, ehe ich all die Spuren von dem Schauspiel beseitigt habe und fühle mich – trotz dem widerlichen Badezimmer – gleich tausend Mal wohler in meiner Haut. Itachi wartet bereits im Flur auf mich. Er nickt nur kurz zustimmend, ehe er mich durch das Haus führt, bei dem jedes Zimmer so aussieht, als hätte es eine Sanierung nötig. Eigentlich könnte man dieses Gebäude auch abreißen, es würde kaum einen Unterschied machen. Es sieht mehr als nur baufällig aus und wenn mein Vater wüsste, dass Itachi hier haust, würde er einen Schlaganfall bekommen.   „Wie kannst du hier wohnen?“, bricht es schließlich aus mir heraus, als wir in seinem Zimmer angekommen sind. „Das Haus ist … eine Ruine.“ Itachi gluckst leise.   „Wir fühlen uns hier wohl.“ Ich runzle meine Stirn.   „Wer ist eigentlich Uns? Mit vielen Leuten lebst du hier? Wer ist der blonde? Warum wollte er Eis? Woher kennst du ihn? Wirst du wirklich Vater?“ Dass ich diese Fragen nicht unterdrücken kann, stört Itachi scheinbar nicht, denn er schmunzelt nur. Er kommt auf mich zu und schnippt mir gegen die Stirn.   „Komm mit, dann werde ich deine Fragen beantworten.“ Ich verdrehe die Augen. Wenn er meint, dass er mich so einfach abwürgen kann, hat er sich geschnitten. Ich werde meine Antworten bekommen! Ob er will oder nicht.   Natürlich folge ich ihm. Er führt mich noch tiefer durch das baufällige Haus und hält dann vor einer Tür, die zur Hälfte aus Milchglas besteht. Ich sehe Silhouetten, höre Stimmen, darunter auch eine weibliche. Mein Herz schlägt schneller, denn das bedeutet, dass ich gleich noch mehr von seinen 'Freunden' begegnen werde. Und wenn die nur ansatzweise so sind, wie der blonde Freak …   „Komm.“ Itachi zieht mich einfach an meinem Handgelenk mit in den Raum, der in der Tat mit Menschen gefüllt ist.   Auf Anhieb zähle ich neun Personen. Pardon. Diese Menschen sehen aus wie … wie … ist das ein schlechter Scherz? Blinzelnd blicke ich in die Gesichter, deren Augen natürlich sofort auf mich gerichtet sind.   „Ist das dein kleiner Bruder?“ Die einzige Frau im Raum ist die erste, die spricht. Mein Blick fällt sofort auf ihren Bauch, der sich rundlich nach vorne wölbt.   Sie ist schwanger. Und sie lebt hier. Gemeinsam mit acht Männern?   „Ja, das ist Sasuke.“ Itachi stößt mir leicht mit dem Ellenbogen gegen die Seite, da ich nach wie vor ihren Bauch fixiere.   „Hallo“, sage ich leise und versuche, in ihr Gesicht zu blicken. Sie sieht freundlich aus. Strahlt etwas Ruhiges aus, auch wenn mich ihre Haarfarbe irritiert. Hat sie ein Piercing unter der Lippe?   „Ich bin Konan.“ Sie lächelt mir zu. „Es freut mich, dass du dich dazu entschlossen hast, uns zu besuchen.“ Entgegen meiner Erwartung berührt sie mich nicht. Sie hält mir noch nicht einmal ihre Hand hin. Und das ist definitiv ein Pluspunkt.     Ich schwitze, nachdem die Vorstellungsrunde abgeschlossen ist. Am unsympathischsten ist mir der fluchende Typ mit den silbernen Haaren. Er strahlt puren Wahnsinn aus … und ich kann nicht nachvollziehen, wie man sich mit so einer Person freiwillig den Raum teilen kann. Er ist unangenehm. Noch unangenehmer als der blonde Freak, der mich glücklicherweise ignoriert – wie fast alle aus der Gruppe. Der kindlich aussehende Rothaarige blickt mich zwar seltsam an, doch damit kann ich umgehen.   „Wie lange wirst du bleiben? Willst du beitreten? Wir haben ein Ritual.“ Der Nervigste von allen ist allerdings der Typ, der eine Maske trägt. Ja, eine orangene Maske, die sein komplettes Gesicht verdeckt, mit Ausnahme von einem Auge.   „Er wird nicht beitreten“, antwortet Itachi an meiner Stelle – und wenn er genervt ist, dann zeigt er es nicht im Geringsten. Er wirkt ruhig. Wie immer.   Mittlerweile sitze ich mit den Männern der Gruppe am Tisch, während Konan am Herd steht und in einem großen Topf herumrührt.   „Warum nicht?“, fragt der Mann mit der Maske, der mir als Tobi vorgestellt wurde und rutscht etwas näher an mich heran.   „Weil wir keine Waschlappen aufnehmen“, höre ich Deidara sagen und verenge automatisch die Augen.   „Deidara“, sagt Itachi mahnend, doch der Blonde schnaubt nur und verlässt dann kurz darauf die Küche. Umso besser. Dieser dumme Idiot. Ich mag ihn nicht.   Als Itachi aufsteht, will ich es ihm gleichtun, doch er drückt mich mit einer Hand auf der Schulter zurück in den viel zu weichen Sitz und schüttelt den Kopf.   „Wir reden später.“           Das widerliche Gefühl von Panik steigt in mir auf, als mein Bruder aus der Küche verschwindet, da sich jetzt alle Augen wieder auf mich richten. Und auch Stimmen werden laut. Fragen mich Dinge, die ich nicht beantworten will. Es ist nicht nur unangenehm, es löst auch das Bedürfnis in mir aus, sofort zu flüchten. Was ich natürlich nicht tue, weil ich nicht einmal wüsste, wohin ich fliehen könnte.   Verdammter Itachi. Verdammter, blonder Freak.             „Geht es dir besser?“ Ich habe die Arme vor der Brust verschränkt und blicke Itachi finster entgegen.   „Du hast mich eine Stunde lang mit deinen Freaks alleine gelassen!“, zische ich. Wir sind in seinem Zimmer – Pardon, seiner Bruchbude – und diesmal zum Glück alleine. Nachdem die anderen mich gezwungen haben, gemeinsam mit ihnen zu essen und dumme Fragen zu beantworten, konnte ich nach fast einer Stunde verschwinden, indem ich gesagt habe, dass ich auf die Toilette muss.   Natürlich bin ich nicht mehr zurückgegangen, sondern habe direkt Itachis Zimmer aufgesucht. Mein liebreizender Bruder sitzt völlig gelassen auf seinem Bett. Ohne etwas Sinnvolles zu tun, wie zum Beispiel mich vor der Horde Verrückter zu retten.   „Ich wollte, dass ihr euch kennenlernt.“   „Kennenlernen?“, entgegne ich viel zu hoch. „Das sind Freaks! Im Ernst. Der eine hat tausend Piercings im Gesicht, der andere flucht andauernd und wieder ein anderer trägt eine Maske! Selbst der rothaarige Typ ist nicht ganz richtig! Er redet so als wäre er auf Heroin! Und was ist das überhaupt für ein alter Mann? Und woher hat er das ganze Geld? Und deine Freundin … wie kann sie hier leben, wenn sie ein Kind erwartet? Wie kannst du hier leben?“ Ich rede mich regelrecht in Rage, doch verstumme abrupt, als Itachi anfängt, leise zu glucksen.   „Hör auf damit“, knurre ich, doch er seufzt nur.   „Setz dich, dann erzähl ich dir alles.“ Wenn er meint, dass er mich so ruhig stellen kann, dann hat er verdammt nochmal recht. Ich brenne vor Neugierde. Und er weiß es auch. Doch ich versuche es nicht zu zeigen, als ich mich zu ihm auf die schimmlige Matratze setze, das Gesicht von ihm abgewandt, die Arme noch immer vor der Brust verschränkt.   „Aber nur, wenn du aufhörst zu schmollen und mir versprichst, dass das, was ich dir hier erzähle, auch hier bleibt.“   „Ich schmolle nicht“, brumme ich und blicke ihn dann wieder an. Er schmunzelt.   „Gut. Wo fangen wir am besten an?“   „Am Anfang. Ist sie deine Freundin?“, frage ich geradeheraus, denn der Typ mit den Piercings ist eindeutig zu vertraut mit Konan umgegangen. An Itachis Stelle etwas, das ich unter angenommenen Umständen nicht akzeptieren würde.   „Nein.“ Ich hebe eine Augenbraue an.   „Und es ist auch nicht dein Kind?“ Er schüttelt den Kopf.   „Warum hast du gelogen?“   „Damit ich frei sein kann.“ Jetzt runzelt sich meine Stirn.   „Inwiefern frei? Du warst doch vorher schon frei.“   „Nicht im Geringsten, Sasuke. Vater hätte meine Wünsche nie respektiert, weshalb ich die Wahrheit verbiegen musste, damit er mich freiwillig entlässt.“   „Sprich nicht so geschwollen“, murre ich. „Du hast ihn absichtlich angelogen, damit du in einer Bruchbude unter Freaks hausen kannst? Wo ist da die Logik?“   „Das hier“, sagt er und macht eine abwertende Handbewegung, „ist nur temporär. Wir arbeiten auf ein größeres Ziel hin. Gemeinsam.“   „Ist das dein Ernst? Und was für ein Ziel ist das?“   „Das kann ich dir leider nicht erzählen.“   „Willst du mich verarschen?“   „Sasuke …“ Er klingt mahnend, doch das ist mir egal.   „Warum verlässt du deine Familie? Warum verlässt du mich? Um hier in einer Ruine zu leben? Gemeinsam mit gestörten Menschen? Was ist euer Ziel? Was kann so gut sein, um ein stabiles Leben dafür wegzuwerfen?“   „Freiheit.“ Ich atme schwer hörbar aus, als er dieses Wort ausgesprochen hat. So ruhig und selig. Als wäre es seine Erfüllung.   „Und bei uns kannst du nicht frei sein?“   „Das war ich nie, Sasuke. Doch jetzt, jetzt habe ich den Weg gefunden.“             Mein Kopf dröhnt. Zwar versuche ich mich dazu zu bewegen, endlich einzuschlafen, doch Itachis Worte machen es mir unmöglich. Er hat seine Familie für etwas verlassen, das ich hier nicht sehen kann. Freiheit. Was bedeutet Freiheit? Itachi ist ein erwachsener Mann, aber er benimmt sich wie ein pubertäres Kind, das gegen Hausregeln rebelliert. Sicher, meine Eltern sind streng, doch sie haben uns immer alles gegeben. Alles, was wir gebraucht haben. Itachi hatte durch meinen Vater einen guten Studienplatz, eine sichere Arbeitsstelle … und jetzt? Jetzt hat er nichts mehr. Lebt wie ein Vagabund unter psychisch instabilen Persönlichkeiten, die den Anschein erregen, als wären sie eine Sektengemeinschaft. Nicht ganz richtig im Kopf.   Ich bin alleine in seinem Zimmer – er hat es vor zwei Stunden verlassen, nachdem unser Gespräch sein Ende gefunden hat – und warte darauf, dass er wieder zurückkommt. Doch er kommt nicht. Vielleicht ist er sauer auf mich. Vielleicht versteht er nicht, dass mein Standpunkt seinen ohne Anstrengung aushebeln kann … vielleicht bin ich aber derjenige, der etwas Entscheidendes nicht versteht. Egal was es ist, es ist kein gutes Gefühl, Itachi an diese Menschen zu verlieren.         Das dumpfe Pochen unter meiner Schädeldecke ist nichts im Vergleich von dem panischen Gefühl, das in mir aufkommt, als ich die Augen öffne. Das hier ist nicht mein Zimmer. Nicht mein Zuhause. Und es ist auch nicht das Zimmer von Kiba, in dem ich mich befinde.   „Du bist wach?“ Doch dann kommt die Erinnerung, mit dem Gesicht meines Bruders, der neben dem Bett steht und auf mich hinabblickt.   „Wie spät?“ Meine Stimme klingt heiser. Sie klingt fast so, als hätte ich stundenlang geschrien.   „Eins.“ Ich richte mich auf, reibe mir über das Gesicht. Es ist schon so spät?   „Ich muss nach Hause“, murmle ich. Unsere Eltern machen sich bestimmt schon Sorgen … ich habe mich gestern nicht mehr gemeldet. Und es ist nicht üblich, dass ich am Wochenende nicht morgens am Frühstückstisch sitze … Um genau zu sein ist es das allererste Mal, dass ich an einem Samstag nicht in meinem Bett aufwache.   „Ich werde dich gleich fahren. Willst du vorher noch duschen? Oder was essen?“ Ich schüttle den Kopf und stehe dann von der unbequemen Matratze auf.   „Wo warst du gestern Nacht?“, frage ich, da ich mich daran erinnere, dass Itachi nicht mehr zurückgekommen ist.   „Unterwegs.“   „Unterwegs? Wohin?“   „Du stellst aber viele Fragen dafür, dass du erst aufgewacht bist“, erwidert er und schnippt mir dann gegen die Stirn. Natürlich verziehe ich daraufhin die Lippen und reibe mir die geschundene Stelle.   „Das tat weh“, brumme ich, doch er schmunzelt nur.   „Komm mit nach unten, ich mach dir was zu essen.“ Ich verdrehe die Augen, folge ihm jedoch.   Manchmal ist es einfach zwecklos, sich gegen Itachi zu wehren. Das war schon immer so. Wenn er sich in den Kopf gesetzt hat, mich herum zu schubsen, dann tut er das auch. Und es gibt selten Momente, wo ich etwas dagegen tun kann.       „Ich hoffe es ist in Ordnung, dass du die letzten fünf Blocks laufen musst.“ Eine Stunde später sitze ich auf dem Beifahrersitz des schwarzen SUVs in gewohnter Umgebung. Itachi hat mich hierher gefahren.   „Kein Problem … und danke für gestern“, erwidere ich und blicke Itachi entgegen. Hätte er sich gestern nicht gemeldet, dann wäre ich aufgeschmissen gewesen.   „Immer. Du hast meine Nummer, also ruf mich an, okay?“   „Ja.“       Sich zweimal innerhalb von 24 Stunden von seinem Bruder umarmen zu lassen, fühlt sich seltsam an. Dabei meine ich nicht unbedingt schlecht seltsam … doch es ist ziemlich gewöhnungsbedürftig. Schließlich ist niemand aus unserer Familie so veranlagt, sonderlich viel Körperkontakt auszuüben. Gut, meine Mutter bildet hier zum Teil eine Ausnahme, doch das liegt wahrscheinlich daran, dass sie eine Frau ist. Apropos Frau … das Kleid, das ich von Kiba bekommen habe, will er hoffentlich nicht zurückhaben, denn ich habe es bei Itachi in den Badmüll gestopft.   Und selbst wenn, dann soll Kiba dahin fahren, um es sich zu holen.   „Warum grinst du so, Spatz?“ Ich blinzle, als ich die Stimme meiner Mutter höre. Keine fünf Meter von unserem Haus entfernt, vor dem Müllhäuschen, das wir uns mit dem Nachbarn teilen, steht sie. Fein gekleidet.   „Eh … ich hab nur nachgedacht. Wohin gehst du?“ Sie lächelt, dann kommt sie mir entgegen und wuschelt mir durch die Haare. Eine Geste, die mich die Stirn runzeln lässt.   „Dein Vater und ich werden uns mit ein paar Kollegen treffen. Also erzähl, warum hast du so gegrinst? War die Party ein voller Erfolg? Hast du ein Mädchen kennengelernt?“   Weil ich mir vorgestellt habe, wie Itachi Kiba den Hintern aufreißt? Und die Party war ein Reinfall … Und übrigens, ich bin schwul, also nein, ich habe kein Mädchen kennengelernt.   „Ja, die Party war schön.“   „Wie heißt die Glückliche?“ Ich will gerade die Lippen verziehen, weil mir ihre Fragen dezent die Laune verderben, doch ich schweige lieber, da mein Vater im nächsten Moment aus dem Haus tritt. Er blickt sich kurz um, die Mundwinkel nach unten gezogen, dann kommt er auf uns zu.   „Sasuke“, sagt er knapp und ich nicke. Dann mustert er mich. Sein strenger Blick ist unangenehm und ich schlucke unbewusst, da es absolut still zwischen uns ist. Nicht einmal meine Mutter sagt etwas. Sie sieht nur stumm zwischen mir und meinem Vater hin- und her.   „Du schuldest mir 20, Mikoto“, bricht er die Stille dann, völlig ruhig und gelassen, ehe auch seine Hand auf meinem Kopf landet, um mir durch die Haare zu wuscheln.   Dass sich bei dieser Aktion meine Augen weiten, versteht sich von selbst.   „Nichts da. Er hat selig gegrinst. Außerdem hat er schon gesagt, dass er ein Mädchen kennengelernt hat.“ Mein Vater hebt daraufhin eine Augenbraue und richtet seinen Blick auf meine Mutter.   Über was sprechen die beiden da?   „Mikoto, glaub mir, er hat es nicht getan“, erwidert mein Vater, „Sieht ihn dir an“, er zeigt auf mich, „er sieht immer noch aus wie ein Welpe. Vielleicht hat er jemanden geküsst, aber das war es schon.“   „Huh?“   „Du hast aber nicht dieses Grinsen gesehen. Er hat gegrinst, Fugaku.“   „Wahrscheinlich, weil er sich daran erinnert hat, wie groß ihre Brüste waren.“   „Fugaku!“   Es ist verstörend, diesen Gesprächsverlauf zu beobachten, doch was mich wirklich umhaut ist die Tatsache, dass mein Vater grinst. Er grinst und meine Mutter wird rot.   Moment … Sie reden über mich?   „Ich hab nicht!“, bricht es geschockt aus mir heraus. „Ich hab mit niemandem geschlafen! Oh mein Gott, ihr habt darauf gewettet?!“ Meine Mutter sieht unschuldig zu mir herüber, während mein Vater mit den Schultern zuckt.   Kann mich bitte jemand erschießen? Jetzt auf der Stelle?   „Ich hab es dir doch gesagt“, brummt mein Dad, ehe er mir seine Hand auf die Schulter legt und leicht zudrückt. „Er ist noch nicht soweit.“   „Dad, bitte …“   „Ich schulde dir trotzdem kein Geld! Du hast bei der letzten Wette verloren und schuldest mir noch 10!“   „Mikoto, du hast verloren. Zweimal. Willst du wirklich aufrechnen?“ Er lässt seine Hand wieder sinken und widmet sich voll und ganz meiner Mutter.   Ich bin fassungslos. Meine Eltern haben um meine Jungfräulichkeit gewettet? Und sie wetten auch noch um andere Dinge?   Ich will gar nicht wissen, wie viele Wetten sie noch am Laufen haben.   „Du hast auch betrogen! Du hast dem Jungen so viel Angst gemacht, dass er sich nicht getraut hat!“, zischt sie ihm zu. „Und außerdem!“ Jetzt richten sich ihre Augen auf mich: „Wen hast du geküsst? Wirst du sie uns vorstellen? Warum hast du mir nichts davon erzählt?“ Ich hebe abwehrend die Hände, brennende Wärme im Gesicht und restlos überfordert.   „Mum, bitte. Ich habe weder jemanden geküsst noch Sex gehabt … ich habe nur gegrinst, weil ich vorhin gesehen habe, wie ein Mann einem Hund hinterhergerannt ist …“ Diese Lüge lässt sie vorerst verstummen. Allerdings nicht lange genug, um meinem Herz die Möglichkeit zu geben, sich von diesem Schock zu erholen.   „Das glaube ich dir nicht. Du hast auf der Party jemanden kennengelernt, richtig?“   „Mum, da waren viele neue Menschen, also ja, ich habe Leute kennengelernt. Aber ich habe niemanden geküsst!“   „Warum wirst du dann rot?“   „Maa, bitte!“   „Hast du nicht deshalb meine Enthaarungscreme benutzt?“ Mir klappt der Mund auf.   „Er hat deine Enthaarungscreme benutzt?“, hakt mein Vater nach, und sieht dabei ziemlich amüsiert aus.   „Hat er. Und er hat gegrinst“, sagt sie, ihre Augen auf mich gerichtet. „Also, erzähl mir, wer ist es?“ Ich lasse den Kopf hängen. Gott, das ist so peinlich. So unendlich peinlich.   „Es gibt kein Mädchen …“   „Ha!“, kommt es dann überraschend von meinem Vater, „ich hab es gewusst! Du schuldest mir 100!“   „Was? Gar nicht wahr! Er hat nicht gesagt, dass es einen Jungen gibt!“ Kann es noch schlimmer werden?   Moment, mein Vater hat mit meiner Mutter darum gewettet, dass ich schwul bin?   „Sasuke, sag es deiner Mutter. Es gibt kein Mädchen, weil es einen Jungen gibt.“ Meine Augen sind vor Schock weit aufgerissen. Ist das hier ein Paralleluniversum? Eine Twilight-Zone, in die ich reingerutscht bin, nachdem ich aus Itachis Wagen ausgestiegen bin?   Meine Mutter greift nach meinem Arm. „Sasuke, sag deinem Vater, dass es ein Mädchen gibt.“   „Ma … es gibt kein Mädchen“, wiederhole ich erneut. „Und es wird auch nie ein Mädchen geben …“ Jetzt ist es raus … ich hab es gesagt.   „Ich wusste es! Ich habe es gewusst.“   „Du hast es ihm eingeredet!“   „So wie ich es Itachi eingeredet habe?“   „Das mit Itachi ist etwas völlig anderes!“   „Weil er beides mag?“   „Fugaku, du bist ein Betrüger!“   „Bin ich nicht. Sasuke“, sagt mein Vater, diesmal wieder mit strengem Blick, was ziemlich verwirrend ist. Eigentlich ist das alles hier verwirrend. „Bist du homosexuell?“ Und widerlich ist es obendrauf. Dass hier fühlt sich schlimmer an, als daran zu denken, wie die beiden Sex haben. „Sasuke?“   „Ja. Ja, ich bin schwul. Ich mag keine Mädchen.“ Meine Mutter stöhnt – mein Vater gluckst. Und ich versuche, an ihnen vorbeizulaufen, doch die Hand meines Dads macht mir einen Strich durch die Rechnung, indem sie mich festhält.   „Sasuke“, sagt er, es klingt fast wie ein Brummen. „Wir sind dir nicht böse.“ Diese Aussage lässt einen Stein von meinem Herzen brechen. Einen großen, schweren Stein, den ich schon so lange mit mir herumtrage. „Und wenn du darüber reden möchtest, dann komm zu uns, verstanden?“ Ich nicke. Mehr kann ich im Moment gar nicht tun. Sie verhalten sich wie ausgewechselt. Nicht so streng wie sonst … zeigen Verständnis. Etwas, das ich nie für Möglich gehalten hätte.   Kennt Itachi diese Seite an ihnen? Weiß er, dass sie Wetten auf uns abgeschlossen haben? Dass es ihnen offensichtlich egal ist, in wen wir uns verlieben?   Warum ist mein Vater dann neulich so ausgerastet? Und warum hat er mich geschlagen? Gibt es da etwas, von dem ich nichts weiß? Etwas ganz anderes?   „Komm her, Spatz.“ Ein seltsames Gefühl überkommt mich, als meine Mutter mich in ihre Arme zieht und mir durch die Haare streichelt, während ich die Hand meines Vaters auf meinem Rücken spüren kann.   Warum ist das alles so verwirrend?       Ich kann mich nicht richtig konzentrieren. Zwar ist es völlig ruhig in meinem Zimmer, nachdem meine Eltern sich bis zum Abend verabschiedet haben, doch die Aufgaben, die vor mir liegen, ergeben keinerlei Sinn. Ständig kreisen meine Gedanken um Naruto, der sich noch immer nicht gemeldet hat, um Itachi, und um das seltsame Verhalten meiner Eltern. Ich habe das Gefühl, so tief im Dunkeln zu tappen, dass sämtliche Überlegungen mich nur unendlich erschöpfen.   Warum verhalten sich alle nur so anders als sonst? Wo sind die Gewohnheiten geblieben?   Mit einem Seufzen schließe ich die Augen und lasse mich auf die Matratze fallen. Vielleicht wäre es besser, nicht mehr darüber nachzudenken. Einfach zu akzeptieren, dass sich Dinge ändern können. Auch, wenn es mir Angst macht. Ich hasse Veränderungen. Unvorhergesehenes …       „Er schläft.“ Meine Augen fühlen sich schwer an.   „War wohl zu anstrengend für ihn.“   „Weckst du ihn? Er hat sicher noch nichts gegessen.“ Ich höre meinen Vater brummen, während ich versuche, dem Schlaf zu widerstehen, der weiter an meinem Körper zieht. Ich bin eingeschlafen … mitten beim Lernen …   „Sasuke“, höre ich ihn sagen und öffne dann die Augen. Er steht neben meinem Bett.   „Bin wach“, nuschle ich und richte mich auf.   „Muss eine anstrengende Party gewesen sein“, erwidert er ruhig. „Deine Mutter macht Abendessen.“ Ich nicke, dann wird es still zwischen uns. Zumindest solange, bis ich ihn seufzen höre.   „Ich denke, wir sollten reden“, beginnt er und setzt sich dann zu mir aufs Bett.   Reden?   „Wenn es um Sex geht … ich habe nicht vor-“   „Nein. Es geht nicht um Sex … ich möchte mit dir über neulich sprechen.“ Ich blinzle. „Über deinen Bruder.“   „Itachi?“ Er nickt.   „Ich möchte mich bei dir entschuldigen.“ Okay, sicherlich träume ich noch. Mein Vater entschuldigt sich bei mir?   „Warum?“, frage ich ehrlich verwundert, während er die Lippen aufeinander presst.   „Weil ich meine Wut an dir ausgelassen habe, obwohl ich weiß, dass es auch für dich schwer sein muss, deinen Bruder zu verlieren.“ Meine Augen weiten sich.   „Ich ...-“ Er schüttelt den Kopf.   „Nein, Sasuke. Ich hatte kein Recht dazu, dich zu schlagen. Und dafür möchte ich mich entschuldigen. Du musst wissen, dass dein Bruder sich einige Dinge erlaubt hat, und dass das, was er mir jetzt serviert hat, das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“ Ich schlucke. Wie viel weiß er?   „Itachi war schon immer so. Seine Ansichten sind anders als meine, was an sich auch völlig in Ordnung ist, doch bei ihm driftet es immer in die Extreme.“ Ich runzle die Stirn. Bis auf diesen Vorfall mit dem Auszug habe ich nie etwas erlebt, das Itachi mit dem Wort Extreme in Verbindung bringt.   „Ein paar Tage vor dieser Bombe hat er mir mitgeteilt, dass er nicht mehr studieren wird. Dass er sich eine andere Arbeit suchen wird, weil sich seine Pläne geändert haben.“ Also gab es vorher schon ein Gespräch darüber? „Und als er am Wochenende dann verschwunden war, wusste ich, dass er diese Pläne auch in die Tat umsetzen wird“, sagt er und seufzt dann. „Das war schwer, Sasuke. Schwer zu akzeptieren, dass dein eigener Sohn dich hintergehen wird.“   „Hintergehen?“ Mein Vater nickt.   „Ja. Er hat das Geld, das ich für ihn und seine Zukunft angelegt habe, einige Tage vor dem Zwischenfall gestohlen.“ Mein Mund öffnet sich, doch kein Laut dringt hervor. Itachi hat Geld geklaut? „Natürlich weiß ich, dass er nicht Vater wird, also hat er mich zusätzlich noch angelogen.“   „Aber … aber wie?“, stammle ich verwirrt. „Du hast doch mit ihm darum gestritten … ich habe euch gehört …“ Er seufzt abermals.   „Deine Mutter weiß nichts von alledem. Sie weiß nicht, dass Itachi Geld gestohlen hat und sie weiß auch nicht, dass er noch mit diesem blonden Punk zusammen ist. Wegen diesem Mann gab es in der Vergangenheit schon Probleme. Er gehört irgendeiner kriminellen Organisation an …“ Es fühlt sich so an, als hätte man mir in den Magen getreten. Dieser blonde Typ … Deidara … Itachi ist mit ihm zusammen?   Die Erkenntnis prasselt wie harter Platzregen auf mich ein. Natürlich. Die Begrüßung gestern, Itachis Verschwinden, nachdem Deidara sich verzogen hat … sein Fernbleiben in der Nacht … Die Worte meiner Eltern heute Mittag. All das ergibt auf einmal Sinn. Und jetzt wird sogar bekannt, dass mein Bruder unsere Eltern beklaut hat? Auch, dass diese Typen, mit denen Itachi verkehrt, keine ehrlichen Menschen sind? Was mich allerdings nicht im Geringsten wundert.   „Es sind neun. Sie sind zu neunt“, antworte ich abwesend, doch dann blicke ich meinem Vater entgegen. Der hat die Stirn gerunzelt.   „Wer?“   „Itachis Freunde! Sie sind zu neunt. Sie haben ein baufälliges Haus, außerhalb der Stadt.“   „Du weißt davon?“ Ihn anzulügen bringt nichts. Und auch wenn Itachi gesagt hat, dass ich dichthalten soll … ich kann nicht.   Also erzähle ich meinem Vater all das, was gestern vorgefallen ist. Angefangen von der Wette, bis hin zur Party und dem Absturz.   Als ich fertig bin, sieht er mich ausdruckslos an.   „Das ist wirklich … eine ganze Menge …“ Ich nicke vorsichtig, da ich seinen Blick nicht deuten kann. Wird er jetzt ausrasten?   „Aber danke, dass du so ehrlich zu mir warst.“   „Sasuke, Fugaku, das Essen ist fertig!“ Meine Mutter ruft von unten zu uns hoch.   „Wir werden das hier erstmal verarbeiten … und später noch einmal darüber reden, okay?“ Ich nicke abermals.   „Was wirst du jetzt tun? Wirst du Itachi anzeigen?“ Denn das ist genau das, was ich nicht will. Auch wenn Itachi dafür geprügelt werden sollte, dass er meine Eltern beklaut hat und mit diesen Kriminellen unter einem Dach lebt … er soll nicht ins Gefängnis kommen.   „Nein. Aber vielleicht werde ich noch einmal mit ihm reden, wenn sich die Lage etwas entspannt hat.“ Ich atme erleichtert aus. „Und jetzt komm, deine Mutter wartet nicht gerne.“       Ich kann nicht genau sagen, was sich verändert hat, doch ich muss zugeben, dass es sich positiv auf unser Familienleben auswirkt. Mein Vater wirkt entspannter, meine Mutter glücklicher – auch wenn sie mich beim Abendessen mit Fragen über mögliche Partner nervt – und das fühlt sich seltsamerweise gut an.   Das Geheimnis zwischen meinem Vater und mir lässt uns zu Verbündeten werden.   Auch am Sonntag stehe ich nicht gewohnt mit einem genervten Gefühl auf – auch wenn ich von Naruto nach wie vor nichts gehört, und ihn auch nicht in seinem Zimmer gesehen habe – sondern frühstücke in Ruhe mit meinen Eltern. Der restliche Tag verläuft routiniert, das heißt, meine Eltern beschäftigen sich mit sich selbst und ich sitze in meinem Zimmer, um mich auf den Unterricht des nächsten Tages vorzubereiten.   Zumindest solange, bis sich eine SMS auf meinem Handy ankündigt.   'Hey Sasuke-Cakes … hab Freitag wohl ganz schön übertrieben, huh? Ich kann mich zwar nicht mehr an Einzelheiten erinnern, doch ich weiß, dass ich am Ende des Abends auf Kibas Schuhe gekotzt hab. Ich lag den ganzen Samstag flach … und wie ist es dir ergangen? Sorry, dass ich mich erst jetzt melde … hast du den Kostümabend gut überstanden? Ich werde Kiba übrigens noch dafür verprügeln, dass er dich in ein Kleid gesteckt hat.'   Ich lese die Nachricht mehr als nur einmal. Er kann sich nicht erinnern? Ernsthaft?   'Hey … ist schon okay. Du kannst dich wirklich nicht daran erinnern, was alles passiert ist?'   Seine Antwort kommt nur eine Minute später.   'Nein Mann! Ich hab den totalen Filmriss. Ich weiß nur, dass ich mit Kiba gestritten habe wegen deinem Outfit … danach hab ich mich wohl abgeschossen … wieso? Hab ich irgendwas angestellt?'   Dieser dumme Idiot! Natürlich hat er etwas angestellt!   'Nicht dass ich wüsste'   'Gut, ich dachte schon, heh … Ich hab gestern übrigens mit Sakura geredet … wir wollen es noch einmal versuchen'   Was? Was meint er damit?   'Was versuchen?' Diesmal dauert es zwanzig Minuten, ehe seine nächste Antwort kommt:   'Na mit unserer Beziehung. Und ehrlich gesagt bin ich froh darüber. Ich denke, wir können unsere Probleme aus der Welt schaffen, wenn wir es nochmal versuchen'   Und diese Nachricht bohrt sich geradewegs in mein Herz. Sie wollen es nochmal miteinander versuchen? Nach all dem, was passiert ist? Weiß er davon, dass Kiba mit seiner Freundin geschlafen hat? Dass … dass Kiba sie gefickt hat, während er mit mir auf der Terrasse war?   Ich schreibe ihm nicht mehr zurück, sondern schalte mein Handy aus.     Es ist ein unnatürlich schmerzhaftes Gefühl, das mich in dieser Nacht überfällt und es mir fast unmöglich macht, einzuschlafen.     Dementsprechend gerädert verlasse ich am nächsten Morgen das Haus, um in die Schule zu fahren. Naruto hat sich nicht mehr bei mir gemeldet, wie ich feststelle, nachdem ich mein Handy wieder angeschaltet habe.   „Da bist du ja endlich!“, zischende Worte, gefolgt von einem festen Griff, der mich packt und mich gegen die Schulmauer drückt. Es ist Kibas Gesicht, das mir entgegenblickt. Er hat ein blaues Auge.   „Lass mich los“, zische ich zurück und entreiße mich seiner Hand.   „Fang nicht so an“, knurrt er zurück. „Wegen dir haben wir Probleme!“   „Probleme? Wegen mir? Du hast wohl zu heiß gebadet.“   „Gutes Comeback, Sasuke“, sagt er trocken. „Aber ja, wegen dir. Siehst du das?“, er zeigt auf sein Auge, „wegen dir ist die ganze Planung verkackt!“ Von was redet er?   „Hat er dich etwa dafür geschlagen, weil du mich in ein Kleid gesteckt hast? Oder weil du Sakura gefickt hast?“, sage ich dunkel und füge dann hinzu: „Das war übrigens eine wirklich widerwärtige Aktion von dir.“ Er verdreht die Augen.   „Jaja, der böse Freund, der die Freundin seines besten Freundes poppt, ist angekommen. Aber das löst nicht unser Problem!“   „Ich habe kein Problem, du hast es.“   „Verarsch mich nicht, Sasuke. Weil du abgehauen bist, hat er mich mit der Schlampe erwischt!“ Ich schüttle den Kopf.   „Du hättest sie nicht ficken müssen.“   „Das war aber Teil des Plans“, sagt er. „Alles sollte darauf hinauslaufen, dass sie sich von ihm fernhält!“   „Indem du sie fickst?“   „Du kleiner Pisser“, zischt er und packt mich am Kragen meiner Jacke. Okay, vielleicht sollte ich ihn nicht provozieren …   „Lass mich los.“   „Du wirst mitkommen.“   „Kiba, ich mein es ernst, lass mich los.“ Doch er hört nicht auf mich, sondern schleift mich zur Turnhalle, wo um diese Zeit noch kein Unterricht stattfindet.   „So, jetzt erzähl mir genau, was zwischen euch passiert ist“, fordert er, und entlockt mir damit ein schiefes Schmunzeln.   „Warum willst du es wissen? Er geht wieder zurück zu Sakura. Also ist es scheißegal. Er kann sich ja nicht mal mehr daran erinnern, was auf der Party passiert ist.“   „Bullshit! Er ist kurz nach dir ins Zimmer gestürmt und völlig ausgerastet! Also, was ist passiert?“   „Wir haben uns geküsst.“ Kiba zischt auf.   „Wo?“   „Wie wo?“   „Wo habt ihr euch geküsst?“   „Auf deiner Terrasse ...“ Warum ihn das interessiert ist mir ein Rätsel.   „Und warum bist du dann abgehauen? Hättest du ihn nicht länger küssen können? Ich war fast fertig mit der Aufnahme.“   „Aufnahme?“ Von was redet er?   „Ich hab die Schlampe dabei gefilmt! Ich wollte sie damit erpressen, dass sie sich von ihm fernhalten soll, sonst hätte ich Naruto den Film gezeigt!“   „Eine weitere Erpressung? Was läuft bei dir nicht richtig?“ Sein Kiefer spannt sich an, dann macht er einen Schritt auf mich zu, während ich einen weiter nach hinten gehe. Ich sollte mir wirklich vornehmen, ihn nicht zu provozieren.   „Das war der Plan. Du gewinnst ihn für dich, ich ficke Sakura und filme sie dabei“, brummt er. „Dann hätte ich ihr gesagt, dass du schwul bist und sie keine Chance bei dir hat, was sie natürlich dazu gebracht hätte, wieder zurück zu Naruto zu gehen … und dann wäre mein Film ins Spiel gekommen.“   Wow … wie durchtrieben kann ein Mensch eigentlich sein?   „Aber jetzt ist alles kaputt! Er hat uns erwischt und mir eine verpasst! Und dann erzählt sie mir gestern, dass das mit uns nichts wird und sie zurück zu ihm geht und sie über alles geredet haben!“ Und Naruto? Naruto weiß davon, dass sein bester Freund mit Sakura geschlafen hat und nimmt sie trotzdem zurück? „Als ob ich was von der Schlampe wollen würde! Ich will, dass sie sich von Naruto fernhält!“   Das ist alles kaum zu glauben …   „Du hast überhaupt nicht wissen können, ob Naruto was von mir will … und du wusstest auch nicht, dass Sakura auf mich steht … also warum das Ganze?“   „Du bist wahrscheinlich blind. Und vielleicht auch gar nicht so schlau, wie du immer tust“, erwidert er und reibt sich mich der flachen Hand über das Gesicht. „Sakura sabbert dir schon seit Monaten hinterher. Und Naruto ist nur zu dumm, es zu bemerken.“   „Das erklärt aber nicht, wie du darauf kommst, dass Naruto an mir Interesse hat!“ Seine Rechnung hat zu viele Fehler.   „Weil ich Naruto schon lange kenne! Und seit du da bist und von ihm gesehen wirst, ist er wie ausgewechselt …Jedes Gespräch endet damit, wie eklig er Schwule findet.“   „Was natürlich dafür spricht, dass er mich geil findet.“   „Ich glaube du verstehst nicht, was ich dir damit sagen will! Naruto redet nur so abfällig darüber, weil er es insgeheim geil findet! Du hättest mal sehen sollen, wie er sich verändert hat, nachdem ich ihm gesagt habe, dass es Typen gibt, die auf ihn stehen! Er ist der wandelnde Homophob geworden!“   „Und dann ausgerechnet mich?“   „Weil er ständig über dich redet, wenn wir alleine sind. Keine Sakura, kein Sport, nur du und deine bescheuerte Nachhilfe und sein dämlicher Schwulenhass!“   „Das ist alles so weit hergeholt, sorry, ich glaube, du liegst einfach falsch.“   „Und ich glaube, du willst es nicht sehen! Seit Wochen nervt er mich mit Geschichten über dich! Er ist einfach scharf auf dich, glaub mir!“ Ich schüttle den Kopf. „Und auch sein homophobes Verhalten ist ausgeprägter. Als müsste er sich verstecken!“   „Vergiss es einfach. Ich will es nicht hören. Er ist zu ihr zurückgegangen, oder? Obwohl er weiß, was zwischen dir und ihr passiert ist … also lass es einfach.“ Ich laufe an ihm vorbei, ungeachtet dessen, dass er meinen Namen ruft.   Sie sollen mich einfach alle in Ruhe lassen. Kiba, Naruto und Sakura. Ich brauche Abstand. Einen klaren Kopf, der mir hilft, diese Sache objektiv betrachten zu können.     Allerdings habe ich in der Schule auch nicht meine Ruhe, da Naruto sofort auf mich zustürmt, als er mich im Flur gesichtet hat. Mittlerweile bin ich acht Minuten zu spät. Beziehungsweise sind wir beide zu spät.   „Sasuke! Fuck, du kommst du spät? Was ist passiert?“ Er sieht aus wie immer. Wunderschön. Da sind keine Spuren, die einen glauben lassen, dass sich etwas verändert hat. Auch sein Grinsen ist präsent.   „Hab verschlafen“, lüge ich, das Kribbeln in meinem Bauch ignorierend, als er gegen meine Schulter schlägt.   „Na dann los, bevor Ebisu uns die Haut abzieht.“ Ich laufe neben ihm, halte Schritt, während er unkontrollierten Unsinn von sich gibt. Ich kann nicht glauben, dass er es wirklich wieder mit Sakura versuchen will. Aber danach fragen kann ich auch nicht. Irgendetwas hält mich davon ab.   „Und Mann, du hättest Kibas Schuhe sehen sollen! Ich glaub, die kann er wegschmeißen.“   „Aha.“   „Übrigens, kommst du übermorgen zum Lernen? Wir müssen unser Projekt auch langsam mal anfangen.“ Er will mich bei sich haben?   „Wenn deine Freundin nichts dagegen hat?“ Er runzelt die Stirn und bleibt dann stehen. Wir haben unser Klassenzimmer schon fast erreicht.   „Warum sollte sie was dagegen haben?“ Ich zucke mit den Schultern. „Naja, ihr habt sicher noch viel zu besprechen … und-“   „Ach Quatsch! Alles gut. Wir haben uns wieder vertragen.“ Sein Grinsen tut weh. Warum sieht er so glücklich aus? Wie kann er nur glücklich sein, nachdem sie ihm das angetan hat?   „Okay …“ Er nickt, dann öffnet er die Tür und verkündet wie gewohnt seine Standard-Entschuldigung, in die er mich diesmal mit einschließt.   Kiba fehlt an diesem Tag, er kommt nicht in den Unterricht, den ich damit verbringe, mich nicht ablenken zu lassen. Sakura ist anwesend, sie sieht ab und an zu mir herüber, doch ich ignoriere sie. Sie kann mich mal … nicht. Sie wird mich niemals haben können. Selbst wenn ich nicht schwul wäre, diese Art von Mensch widert mich an und hätte null Chancen bei mir.   Ich lasse mich in der Pause von Naruto mitschleifen, sitze an dem Tisch in der Cafeteria, wo ich Zeuge davon werden muss, wie gut sich das frisch zusammengeschlossene Paar versteht. Fast schon übertrieben. Als wollte Naruto, dass ich sehe, wie gut es ihm mit ihr geht. Es löst unbändige Übelkeit in mir aus, doch ich lasse es über mich ergehen. Etwas anderes bleibt mir gar nicht übrig.   Auch am nächsten Tag ist es derselbe Anblick. Ein Anblick, der meinen Magen dazu bringt, zu rebellieren. Kiba fehlt auch immer noch und ist laut einem unserer Klassenkameraden für den Rest der Woche krankgemeldet.   Das ist alles nur seine verdammte Schuld! Hätte er sich nicht eingemischt …           „Kommst du dann später zu mir? So gegen vier?“ Irre ich mich, oder wirkt er nervös? Der Unterricht ist vorbei und wir stehen alleine vor dem Schultor, da Sakura sich schon von uns verabschiedet hat   „Ja …“   „Gut. Ich geh dann mal zum Sport?“   „Ist das eine Frage oder eine Antwort?“ Er lacht, doch es hört sich falsch an.   „Na eine Antwort natürlich! Wir sehen uns später, Sasuke-Cakes!“ Er sprintet davon, während ich brummend zurückbleibe. Auch wenn sich mein Herz darüber freut, endlich wieder die Möglichkeit zu haben, mit ihm alleine zu sein, mein Kopf sträubt sich dagegen.                 „Ist die Musik zu laut?“, fragt er, ohne mich dabei anzusehen. Ich bin hier. Tage nach dem Zwischenfall, der für ihn in Vergessenheit geraten ist. Auch wenn er sich anders benimmt als zuvor in der Schule. Anders als in Sakuras Anwesenheit. Fast mach es den Eindruck, als wüsste er genau, was auf der Party passiert ist, es jedoch verdrängen will.   Allerdings … warum sollte ich mich beschweren? Weil es wehtut? Weil es mich innerlich umbringt, zu wissen, wie es sein könnte? Wie gut es war?   „Nein, ist okay“, antworte ich, obwohl gar nichts okay ist. Absolut gar nichts.   „Heh, gut. Also, womit fangen wir an?“ Er setzt sich zu mir aufs Bett, mit großem Abstand, die Unterlagen zwischen uns ausgebreitet. „Ich würde ja vorschlagen, dass wir das Projekt gliedern. Netzplan erstellen usw.“ Während er redet, beobachte ich ihn.   Ich kann immer noch nicht glauben, dass er zu ihr zurückgegangen ist, obwohl er genau weiß, was zwischen Kiba und ihr passiert ist. Ständig denke ich daran.   „Und am besten übernimmst du die Gliederung. Ich rechne dann die Zeiten aus.“ Als er mich ansieht, überkommt mich das flaue Gefühl von Sehnsucht. Sehnsucht, die man verspürt, wenn etwas in unmittelbarer Nähe ist, man es aber nicht fassen kann. Als wäre etwas zwischen uns, das es mir unmöglich macht, zu ihm durchzudringen.   Er will es auch gar nicht.   „Ist das okay?“   „Ja.“ Nein. Es ist nicht okay. Merkst du nicht, dass mich dieses Spiel hier innerlich aushöhlt? Was muss ich tun, damit du endlich siehst, was ich für dich empfinde?   „Cool!“ Und dein falsches Grinsen macht es nicht besser.     Und doch tue ich das, was er vorgeschlagen hat. Versuche, mich von ihm abzulenken – ihm, der direkt neben mir ist – und die Gliederung zu erstellen. Es ist ein schwieriges Unterfangen, das kaum gelingen will, weil Naruto selbst überhaupt nichts tut. Beobachtet er mich?   „Du hast echt ne komische Schrift.“ Bei dieser Aussage runzle ich die Stirn und blicke von dem Blatt auf in seine Augen. Er hat sich halb über die Unterlagen gebeugt.   „Hab ich nicht“, erwidere ich ruhig, doch er nickt nur und grinst dabei.   „Doch, hast du. Wie ein Arzt. Ist voll schwer, was zu erkennen.“   „Du hattest schon öfter Unterlagen von mir.“   „Jaha, und die meiste Zeit hab ich versucht, deine Schrift zu entziffern.“   „Aha …“ Dieser blöde Idiot. „Warum hast du nie was gesagt?“   „Weil es unhöflich gewesen wäre, schließlich hast du mir deine Notizen gegeben.“ Ich hebe eine Augenbraue an.   Manchmal. Manchmal bist du wirklich seltsam. Seltsamer als ich – obwohl das fast kaum möglich ist. Aber es steht dir. Dieses Verhalten. Leider weiß ich nicht, ob ich dich dafür hassen oder lieben soll.   „Du bist ein Idiot“, seufze ich mit einem Anflug eines Lächelns auf den Lippen und stütze meinen Kopf auf meiner Handfläche ab. Naruto sieht mich nach wie vor an. Doch irgendwie hat sich sein Blick verändert. Wirkt nachdenklicher. Von seinem Grinsen ist nichts mehr zu sehen.   „Was ist los?“, frage ich und zucke im nächsten Moment zusammen, da er sich weiter nach vorne beugt und nach einer meiner Haarsträhnen greift. Diese Geste versetzt mich in eine Art Schockstarre und wirft mich gedanklich zurück zu dem Abend, an dem er mich geküsst hat.   „Deine echten Haare sind viel weicher“, sagt er leise – und bestätigt mir damit, dass er mich angelogen hat. Eine Lüge, die ich bereits vermutet habe, doch sie jetzt offengelegt serviert zu bekommen, hinterlässt ein unangenehmes Gefühl in meiner Magengegend. „Viel weicher als-“ Er unterbricht sich selbst, sieht mich geschockt an. Und dann weicht er zurück. Rutscht nach hinten, blickt mich an, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen.   Du hast es bemerkt, mein Liebster.   „Ich. Ich …“, stammelt er los, während ich mich aufrichte. „Also ich meine, ich hab vermutet, dass die Perücke viel zu borstig war. Ich meine, sie war nicht so glänzend wie dein Haar und-“   „Lass es“, entgegne ich schroff. „Lass es einfach gut sein. Ich verstehe schon. Du bist nicht schwul.“   „Sasuke!“, bricht es aus ihm heraus – er klingt leicht panisch, seine Stimme ist zu hell. „Ich … ich hab nur … ich meine die Perücke!“ Das Lachen, das daraufhin aus mir heraussprudelt, ist nicht mehr aufzuhalten.   Wer ist hier eigentlich lächerlich? Ist es er? Bin ich es? Ist es diese Situation?   Alles. Einfach nur alles.   „Warum lachst du?“, schrillt er, während ich nicht mehr damit aufhören kann. Es ist einfach zu lachhaft. „Sasuke!“ Ich schüttle den Kopf. Merkt er nicht, wie lächerlich das hier alles ist?   Ich verstumme, als er sich auf einmal gegen mich wirft und nach unten drückt. Er sieht wütend aus. Doch entgegen dieser Aktion kann ich nicht anders, als zu grinsen. Er liegt halb auf mir drauf, blickt mich an – und ich grinse. Wie lächerlich …   Das ist die Bestätigung, dass ich nicht normal sein kann. Etwas läuft eindeutig nicht richtig bei mir.   „Hör auf zu lachen“, sagt er mahnend. „Das ist nicht lustig.“ Ich schließe für einen Moment lang die Augen und seufze.   „Doch, das ist es.“   „Und warum?“ Bemerkt er überhaupt, dass er noch immer halb auf mir drauf liegt? Sein Atem streift meine Wange.   „Weil …“ Weil es so ist. Du küsst mich, lügst mich an, verrätst dich. Und dann gehst du zu ihr zurück, obwohl du genau weißt, was passiert ist. Dass du dir selbst vermutlich nur Dinge vormachst. „Es zum Lachen ist“, beende ich meinen Satz und blicke ihm entgegen.   „Ich … ich hab einen Fehler gemacht“, sagt er leise. Seine Worte grenzen schon an ein Flüstern, das sich geradewegs in meine Brust bohrt. Es schmerzt, lässt mein Herz schneller schlagen – mein Magen fühlt sich flau an. „Ich bin nicht schwul … und ich war betrunken.“ Ich drehe den Kopf zur Seite.   „Dann geh von mir runter.“ Meine Stimme klingt emotionslos. Anders, als ich mich fühle. Steht im völligen Kontrast zu den Empfindungen, die sich in mir festsetzen.   „Sasuke …“   „Was willst du von mir hören, Naruto?“   „Sag mir, dass du mir nicht böse bist. Und dass du mich deswegen nicht hasst.“ Er ist so ahnungslos. So verflucht naiv.   „Du bist wirklich ein Idiot.“   „Es ist mir wichtig, okay? Das war ein Ausrutscher … ein Fehler! Du warst verkleidet und … keine Ahnung, ich war gefrustet-“   „Halt endlich einfach die Klappe“, unterbreche ich ihn dunkel und versuche gleichzeitig, mich aus seinem Griff zu winden. Er soll einfach aufhören. Endlich damit aufhören, mich ständig zu verletzen.   „Sasuke, bitte … ich-“   „Was verstehst du daran nicht?“ Wut packt mich – ich schubse ihn grob zur Seite und stehe von seinem Bett auf. „Bist du wirklich so dumm?“, dröhne ich. „Du hast mich geküsst! Und das war kein betrunkener Kuss. Du wolltest es! Und dann gehst du zu ihr zurück, obwohl sie deinen besten Freund fickt? Bist du wirklich so dumm? Hasst du Schwule so sehr? Bist du so engstirnig? Bist du das? Hä?“ Diese Worte brechen aus mir heraus – und er ist daran Schuld. Er frustriert mich. Macht mich hilflos. Er bringt mich dazu, so zu sein. Und es ist mir egal, dass er mich geschockt ansieht. Es ist seine verdammte Schuld!   „Sasuke … ich hab, ich … ich hab nichts gegen Schwule.“ Ich schüttle den Kopf.   „Lügner. Du bist ein elender Lügner.“ Ich greife nach meinem Rucksack, stopfe meine Notizen hinein, ohne ihn weiter anzusehen. Ich will hier raus. Ich muss. „Lass mich damit einfach in Ruhe. Lass es einfach. Sprich nicht mehr darüber, sag einfach nichts me-“ Meine Tirade verstummt, als er mich erneut packt und voller Wucht zurück auf seine Matratze presst. Seine Arme fixieren mich.   „Sei still“, sagt er ruhig, doch sein Blick ist ernst. Allerdings bin ich zu wütend, um darauf Rücksicht zu nehmen. Ich kann nicht mehr still sein. Ich will nicht mehr still sein. Ich habe genug.   „Lass mich los. Und geh von mir runter.“   „Nein.“ Ich greife nach seinem Unterarm, versuche ihn von mir zu drücken, doch er bewegt sich nicht.   „Naruto, ich meine es Ernst. Wenn du nicht willst, dass … wenn du nicht willst, dass ich nie wieder mit dir rede, dann lässt du mich jetzt los.“ Er seufzt. Leise, doch ich höre es. Und dann geht alles viel zu schnell. Seine nächste Aktion lässt mich abrupt innehalten.   Was. Zur. Hölle?   Seine Lippen sind fest auf meine gepresst und während meine Augen vor Schock weit aufgerissen sind, kneift er seine zusammen. Meine Arme werden augenblicklich schlaff, der Träger meines Rucksacks löst sich aus meiner Hand – Naruto lässt meinen Widerstand sterben, einfach so. Mit einem einfachen Streifen von Haut auf Haut. Federleichten Berührungen, als er sich wieder zurückzieht, um mich kurz darauf erneut zu küssen.   Ist das wahr? Entspricht das wirklich der Realität? Habe ich mich so sehr in Rage geredet, dass ich umgefallen bin?   Weshalb?   „Ich bin nicht schwul“, haucht er und ich öffne die Augen, die ich unbewusst geschlossen habe, um seinen Blick zu erwidern. Helles, blaues Funkeln. Feuchte Lippen, keinen Zentimeter von meinen eigenen entfernt. „Aber ich … ich wollte es. Ich wollte dich küssen.“ Bevor ich etwas erwidern kann, küsst er mich ein weiteres Mal. Leidenschaftlicher. Intensiver. Fordernder. Seine Zunge dringt mühelos in meinen Mund, löst ein Feuerwerk in mir aus, das mich so aus der Bahn wirft, dass ich keuchen muss. Seine Finger lösen sich, wandern zu meinem Gesicht, er hält meine Wangen zwischen seinen Händen – er hält mich fest. Und ich? Ich versuche zu erwidern, was er vorgibt. Dieses Tempo, das dafür sorgt, dass mir schwindlig wird.   Würde ich nicht schon liegen, würde ich es spätestens jetzt tun.   Meine Finger verfangen sich in seinem Haar, er keucht, drückt sich mehr gegen mich. Wird wilder. Und ich habe das Gefühl zu zerfließen. Alles fühlt sich heiß an. Mein Puls rast, rauscht in meinen Ohren.   „Fuck“, zischt er leise, und dieses Mal fühle ich mich nicht im Stande dazu, meine Augen zu öffnen. Für einen kurzen Moment verspüre ich die Angst, dass er sich wieder zurückzieht, denn er bewegt sich, doch ich stöhne ein weiteres Mal auf, als ich seine Lippen an meinem Hals spüren kann. Er saugt an meiner Haut, knabbert, leckt und ich werfe intuitiv den Kopf weiter nach hinten, um seinem Mund so mehr Platz bieten zu können. Das hier fühlt sich so gut an. So unbeschreiblich gut.   „Du bist so ...“, haucht er gegen mein Ohr, das er kurz darauf spielerisch zwischen seine Lippen nimmt, „so verflucht scharf. So verdammt sexy, Sasuke …“ Mit einem Ruck drückt er sein Becken nach vorne – ich spüre seine Erregung ganz deutlich – und zwingt mich somit dazu, meine Augen zusammenzukneifen.   Das hier muss ein Traum sein. Naruto ist nicht so. Er würde mir nicht solche Dinge ins Ohr flüstern. Er würde sich nicht immer schneller auf mir bewegen und stöhnen. Das würde er niemals tun. Denn in der Realität, in der wir leben, ist Naruto alles andere als das hier.   „Fuck, ich will …“, keucht er und entfernt sich dann ohne Vorwarnung von mir. Der Druck auf mir verschwindet. Ich höre nur seine angestrengte Atmung und als ich die Augen öffne, darauf gefasst, dass er gleich ausrasten wird, vergesse ich es für einen Moment lang, Luft zu holen. Er zieht sich sein Shirt über den Kopf, atmet immer noch schnell und sieht mich an. Seine Lippen sind geschwollen, seine Haare wirr, seine ohnehin hellen Augen leuchten regelrecht – Gott, er sieht aus wie ein Sexgott. Und dieser Blick. Er ist so intensiv, dass meine Jeans schon alleine von diesem Anblick enger wird.   „Ich … ich will …“, er fährt sich mit der Hand durchs Haar, schüttelt dann den Kopf und dreht sich herum. Wird er jetzt gehen? Mich alleine lassen? Findet er das hier abstoßend? Ich richte mich auf, betrachte seinen muskulösen Rücken, sehe, dass er sich bewegt und habe das Gefühl, dass mein Herz stoppt. Doch nur für einen kurzen Augenblick, denn er verlässt nicht wie erwartet den Raum, sondern dreht den Schlüssel herum.   Hat er uns eingeschlossen?   „Ich will das hier ...“, höre ich ihn sagen. Sein Rücken ist mir nach wie vor zugewandt. „Ich will das hier schon länger.“ Redet er mit mir? Mit sich selbst? „Aber ich weiß nicht, ob ich das kann. Das alles. Ich weiß nicht, ob ich das hinbekomme. Ich war bisher nur mit Frauen im Bett … und … keine Ahnung, seit Kiba mir gesteckt hat, dass … dass es Typen gibt, die auf mich stehen, habe ich darüber nachgedacht.“ Daraufhin schweigt er. Will er, dass ich etwas dazu sage? Er dreht sich auch immer noch nicht zu mir um. „Bei dir … bei dir habe ich oft daran denken müssen. Wie es wäre, verstehst du? Und jetzt“, er schnauft, „nach diesem Kuss … will ich es noch mehr. Das macht mich wahnsinnig. Obwohl ich genau weiß, dass ich nicht schwul bin …“ Mein Herz schlägt immer schneller. Wort für Wort. Silbe für Silbe, und als er sich schließlich zu mir umdreht, habe ich das Gefühl, dass etwas in meiner Brust explodiert.   Ganz langsam kommt er auf mich zu.   „Und da du nicht wegläufst … denke ich, du willst es auch.“   Du weißt gar nicht, wie sehr ich es will. Wie lange ich mir das hier gewünscht habe. Du hast nicht die geringste Ahnung, Naruto Uzumaki.   Meine Augen weiten sich, als er nach meinem linken Arm greift und mich zurück auf sein Bett drückt – in eine Position, in der gezwungen werde, meine Beine auf die Matratze zu legen.   Was tut er? Warum sieht er so ernst aus?   Ich will etwas sagen, doch ich kann nicht.   „Und deshalb“, spricht er leise, während seine Hände über mein Bein streichen, runter zu meinen Füßen, an denen ich noch immer Schuhe trage, „deshalb denke ich, dass wir es tun sollten.“ Mein Mund öffnet sich, als er sie von mir zieht.   Was sollten wir tun? Was meint er damit?   Ich zucke zusammen, als ich seine Finger an meinem Gürtel spüre.   Öffnet er wirklich gerade meine Jeans?   „Sasuke“, sagt er und seine Stimme klingt dabei rauer als zuvor, „sieh mich an.“   Was zur Hölle? Das hier kann nur ein Traum sein. Niemals im Leben ist Naruto so … so … Ein erschrockener Laut verlässt meinen Mund, da er mir einfach auf die Unterlippe beißt.   „Sasuke“, haucht er, während er weiterhin mit einer Hand versucht, meine Hose nach unten zu zerren. „Küss mich endlich. Küss mich und zeig mir, dass du das auch willst.“ Ich schließe ergeben die Augen. Was soll ich dagegen tun? Was würde ich dagegen überhaupt tun wollen? Ich will das hier. Ich will es so sehr, dass sämtliche Nervenenden bis aufs Äußerste gereizt reagieren, bei jeder Berührung, die mich trifft. Jeder Atemzug, der meine Haut streift. Ich bin schwach. Wunderbar schwach in seinen Armen. Und ich küsse ihn. Taste fahrig mit den Händen über seinen makellosen Oberkörper – spüre, wie die Muskeln unter meinen Berührungen zusammenzucken – bis hin zum Bund seiner Hose, wo ich sie kurz ruhen lasse.   Erst jetzt öffne ich wieder die Augen. Blicke geradewegs in seine, die mir signalisieren, dass es okay ist, weiterzugehen. Dass es okay ist, dass ich seine Jeans öffne und sie mit seiner Hilfe nach unten ziehe.   „Fuck … Sasuke, bitte …“ Ich schlucke, als er sich kurz zurücklehnt, um seine Hose samt Shorts komplett auszuziehen. Ich sehe ihn … ganz. Nackt …   Schwindel überkommt mich, als er auch meine Jeans und Shorts von mir zerrt.   „Dein Shirt“, sagt er rau und greift im selbem Moment danach, um es über meinen Kopf zu ziehen.     Wir sind nackt. Komplett nackt. Ich kann nichts dagegen tun, dass Unsicherheit in mir aufsteigt. Er sieht mich. Er mustert mich, betrachtet meinen Körper, der unter seinen Blicken noch wärmer zu werden scheint.   Findet er mich hässlich?   „So verflucht sexy … fuck“, zischt er und wirft sich dann mit einem Mal gegen mich. Er presst mir sämtliche Luft aus den Lungen – und ich habe nicht einmal die Chance zu atmen, da er sofort damit anfängt, mein Gesicht mit Küssen zu übersähen. Seine Lippen streifen meine Wangen, meinen Kiefer, er wandert zu meinem Mund, küsst mich überall und lässt mich alles vergessen.     „Naruto“, stöhne ich halb überfordert, weil mich diese Empfindungen völlig unkontrolliert überrollen.         Ich habe das Gefühl, in Flammen zu stehen. Ich schwitze – wir schwitzen – mein Herz schlägt angestrengt in meiner Brust. Die Musik läuft immer noch leise im Hintergrund, wird jetzt erst wieder bewusst von mir wahrgenommen, da er sich erneut aufrichtet und mich ansieht.   „Bist du … bist du …“, fängt er an, doch presst dann die Lippen aufeinander.   Bin ich was?   „Was meinst du?“, erwidere ich leise.   „Hast du sowas schonmal gemacht?“ Ich blinzle.   Nein. Das habe ich nie. Niemals zuvor habe ich so etwas getan. Mit niemandem.   „Was gemacht?“ Seine Wangen, die vorher schon gerötet waren, bekommen noch mehr Farbe. Er dreht den Kopf zur Seite.   „Mit einem Mann geschlafen …“, murmelt er. Jetzt brennen auch meine Wangen.   Praktisch … praktisch habe ich …   „Ja.“ Schließlich ist es keine komplette Lüge. Zwar war ich es, der mit einem Dildo Erfahrungen gesammelt hat, doch das muss er nicht wissen.   „Okay“, atmet er aus und dreht sein Gesicht dann wieder zu mir. „Okay … und willst du … willst du mit mir … also ich meine …“ Ist er verlegen? Ich weiß nicht, woher mein Mut kommt, doch ich muss leicht grinsen.   „Hast du Gleitgel und Kondome?“ Keine schöne Frage, die ich ihm stelle, denn so muss ich unweigerlich an sie denken, doch es ist nötig.   „Ja …“ Es wird kurz still zwischen uns, wir blicken uns einfach nur gegenseitig in die Augen, ehe er neben sein Bett greift und die oberste Schublade seiner Kommode öffnet.   „Das ist … das ist echt abgefahren“, sagt er. Seine Hände zittern, als er mir das Gel und Kondom reicht. „Ich meine … ich bin … ich weiß nicht, ich bin … wow. Ich weiß nicht. Ich will das … ich will mit dir … wow. Ich kann es gar nicht beschreiben.“ Sein Gebrabbel gibt mir genügend Selbstvertrauen, das Ruder zu übernehmen. Ich richte mich ebenfalls auf, knie mich vor ihn und stoße ihn leicht nach hinten, so dass er eine sitzende Position einnimmt.   „Lass mich machen“, hauche ich gegen seine Lippen, kurz bevor ich mich auf seinen Schoß setze. Seine Hände klammern sich an meine Hüfte.   „Gib mir deine Hand“, sage ich leise. Er sieht mich kurz verwundert an, doch dann tut er, was ich von ihm verlange. Ich verteile Gel auf seinen Fingern – seine Augen werden dabei immer größer – und dirigiere seinen Arm hinter mich. „Massier mich … hier.“   Gott, das fühlt sich so gut an. So verflucht gut.   „Sasuke“, haucht er und hält dann inne. „Wann … wann …-“ Ich schneide ihm das Wort ab, indem ich ihn erneut küsse.   Ich bin bereit. Ich bin mehr als bereit.   Sicher wird es wehtun … doch das tut es immer am Anfang.       Wie surreal …     Ich kann seinen schnellen Puls unter meinen Fingerspitzen fühlen. Sein Herz schlägt genauso fest wie mein eigenes.   Es ist ein unwirkliches Gefühl. Ein wunderschönes, von Glück besessenes Gefühl, das sich in mir breit macht.   Ich habe mit Naruto geschlafen. Ich habe es wirklich getan …   Völlig überraschend. Ohne, dass ich es auch nur im Ansatz vermutet hätte.   Als er sich zurücklehnt, sich auf die Matratze sinken lässt, schmiege ich mich an ihn.   Ich war noch niemals zuvor so glücklich. Ihn zufrieden seufzen zu hören, seine Finger spüren zu können, die über meinen Rücken streicheln …   Wenn ich jetzt sterben würde, dann wäre es der beste Tod, den ich mir nur wünschen kann.   „Wir ruhen uns aus, kay?“, höre ich ihn nuscheln und lächle.   Ja … wir ruhen uns aus. Für jetzt. Am besten für immer. Nur wir beide.   Kapitel 6: ----------- Doch auch schöne Momente finden irgendwann ein Ende. Manche tun es unmittelbar, nachdem man sie erlebt hat und andere ... andere geben einem die Zeit, die Situation zu realisieren. In meinem Fall endet es nicht unmittelbar ... aber wirklich realisieren kann ich dieses Erlebnis auch nicht. Narutos Atem streift über meine Schulter, er schnarcht leise, hört sich fast so an, als würde er schnurren. Ich kann ihn in mir spüren …   Wie fremd, aber gleichzeitig gut es sich anfühlt, hier in seinen Armen zu liegen, ist unbeschreiblich. Wir haben miteinander geschlafen. Einfach so. Obwohl er immer wieder betont hat, dass er … dass er nicht schwul ist.   Warum?   Wenn er kein Interesse an Männern hat, was hat ihn dann dazu bewegt, mit mir zu schlafen? Und er hat mir währenddessen mehrmals gesagt, dass ich ihm gefalle, was überhaupt keinen Sinn ergibt. Er weiß, dass ich kein Mädchen bin. Er hat mich berührt …   „Sasuke?“ Meine Augen weiten sich, als er sich langsam aus mir zurückzieht. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, doch ich spüre das Schlagen seines Herzens. Es schlägt schneller als noch vor einer Minute. Fast genauso schnell wie mein eigenes. „Bist du wach?“ Seine Hand liegt auf meinem Becken, seine Finger drücken leicht zu.   „Ja“, sage ich und höre ihn einatmen.   „Kay …“ Dann wird es still. Allerdings nicht lange. „Uhm … vielleicht … vielleicht sollten wir aufstehen?“ Wenn ich mich jetzt aufrichte, sterbe ich bestimmt vor Scham.   „Sicher?“, erwidere ich leise und spüre bereits, dass mein Nacken wärmer wird. Er sagt darauf nichts. Einzig und allein seine Hand wandert über meine Seite, fährt zu meinem Rücken.   „Ich weiß nicht. Ich meine … kann es noch seltsamer werden?“ Sein Satz endet mit einem leicht nervösen Lachen. Eines, das mich unsicher werden lässt. Obwohl er recht hat. Es kann nicht seltsamer werden … schließlich haben wir …   Langsam richte ich mich auf und steige von ihm runter, vermeide dabei aber, ihm direkt ins Gesicht zu sehen. Ich fokussiere meinen Blick lieber auf sein helles Haar … sein Ohr unterhalb, das selbst in diesem Licht knallrot ist. Auch ihm ist es peinlich.   „Ok, es ist wirklich seltsamer“, sagt er und aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er den Arm über seine Stirn wirft.   „Wenn ihr zwei fertig seid, dann kommt runter, wir müssen reden.“ Meine geweiteten Augen finden die von Naruto, doch er, er sieht nicht nur erschrocken, sondern panisch aus.   „Fuck“, zischt er und richtet sich auf. „Fuck fuck fuck!“ In der Tat. Nicht nur, dass dieses Erlebnis einen seltsamen Beigeschmack hat, nein, ausgerechnet sein Bruder muss uns dabei erwischen.   „Das ist übel. Sasuke … hast du das gehört? Da ist übel. Er wird …“, stammelt er, während er meine Shorts von Boden aufhebt, um in sie hineinzuschlüpfen.   „Naruto … das ist meine.“   „Scheißt drauf“, keift er, während er versucht, sich in sie hineinzuzwängen. Nicht, dass er fett ist. Er ist alles andere als das … doch ich muss zugeben, es sieht gequält aus. „Verdammt, wo ist meine beschissene Hose?“ Wenigstens verändert sich dadurch die Stimmung zwischen uns. Zwar nicht so, wie ich mir vorgestellt habe – auch wenn ich eigentlich an gar nichts mehr denken kann nach diesem Erlebnis – aber immerhin ist es nicht mehr so verkrampft.   „Da“, ich deute mit der Hand auf den Boden wo meine Jeans liegt, „neben meiner Hose.“   Fluchend streift er meine Shorts ab, ehe er sich seine nimmt und sie überzieht.   „Das ist verdammt übel. So verdammt übel“, wiederholt er immer wieder, während er sich eine Jogginghose aus dem Schrank greift und sie anzieht.   Er reagiert über, oder? Vielleicht hat er aber auch recht. Ich weiß es nicht. Mein Verstand tut sich schwer damit, klare Strukturen zu finden, die diese Situation erklären könnten.   Ich finde gar keine Bezeichnung dafür.   „Er weiß es. Er weiß, was wir getan haben.“ Womöglich. Mit ziemlicher Sicherheit. Schließlich waren wir nicht gerade leise.   Ziemlich gestört, dass ich jetzt daran denken muss, wie es sich angefühlt hat, mit ihm zu schlafen, oder? Ich kann es spüren. Alles. Selbst jetzt noch, als er unkoordiniert durch sein Zimmer läuft und vor sich hin schimpft, spüre ich ihn … tief in mir.   „Zieh dir was an! Wenn er meinen Eltern davon erzählt, dann sind wir gefickt!“   Gefickt … dieser Ausdruck. Er hat keinerlei Klasse, und doch beschreibt er genau das, was passiert ist. Er hat mich gefickt. Meinen Körper, meinen Verstand. Vielleicht sogar meine Würde, die betroffen unter dem Nullpunkt verweilt, während ich mich unter Argusaugen anziehe.   „Du wirst nach Hause gehen. Ich rede mit ihm.“ Als wir sein Zimmer verlassen haben – mein Schritt ist alles andere als fest – bugsiert er mich auch schon den Flur entlang und die Treppen nach unten, vorbei an Türen, die alle ausnahmslos geschlossen sind. „Ich werd mich melden.“   Ihm scheint gar nicht bewusst zu sein, wie sich dieser Moment anfühlt. Abgeschoben, weggedrückt und unwichtig zu sein. Genau so fühlt es sich an. Viel zu abrupt.   „Also doch der kleine Entenjunge.“ Als er jedoch die Vordertür öffnet und mich mich beinahe in seinen Bruder schubst, stoppen alle Bewegungen. Ich halte sogar den Atem an. „Ich hab mir schon gedacht, dass ihr sowas versuchen würdet.“ Die Hand seines Bruders landet auf meiner Schulter, hält mich fest. „Und deshalb hab ich gleich hier gewartet. Ab in die Küche mit euch.“ Er schiebt mich zurück ins Haus, mühelos.       Kann mich bitte jemand erschießen? Oder erstechen? Wo ist dieses beschissene schwarze Loch, wenn es gebraucht wird? Und warum spricht niemand?!   Wir sitzen hier. Zu dritt am Küchentisch. Schweigend. Die Augen seines Bruders wandern zwischen uns hin und her, während Naruto mit dem Bein wackelt und auf die Tischplatte starrt. Ich hingegen versuche die hässliche Eieruhr, die auf der Anrichte steht, mit meinem Blick zu fixieren. Sie ist grün. Etwas abgenutzt.   „Dann erzählt mal, wie es dazu gekommen ist.“ Kurzzeitig schließen sich meine Augen. Wie kann er so etwas fragen?   „Kyuubi … bitte. Das ist verdammt peinlich.“ Narutos Stimme klingt hell. „Wir haben nur … es ist nicht so wie du denkst.“   „Was denke ich denn?“   „Dass wir … dass wir schwule Dinge gemacht haben. Aber das haben wir nicht. Wir haben nur für ein Theaterstück geübt.“   „Geübt, wie man schwulen Sex hat? Ihr wart laut genug, Naruto.“   „Bullshit“, zischt Naruto und springt vom Stuhl auf. Erschreckend schnell, so dass ich mich dazu gezwungen fühle, ihn anzublicken. Er sieht wütend aus. „Du hast überhaupt keine Ahnung, also halt die Fresse!“, sagt er laut, und bevor sein Bruder etwas darauf erwidern kann, stampft er aus der Küche. Nur wenig später kann ich hören, wie die Haustür ins Schloss knallt.   Hat er mich gerade wirklich alleine gelassen?   „Also, dann erzähl du mir, wie es dazu kommen konnte, dass mein homophober Bruder mit dir schläft.“ Ich schlucke das schwere Gefühl im Hals herunter, als sich unsere Blicke finden.   Eigentlich geht es ihn gar nichts an. Absolut gar nichts.   „Warum interessiert es dich?“ Er zieht eine Augenbraue in die Höhe.   „Weil ich neugierig bin?“   „Es geht dich nichts an“, erwidere ich trocken und stehe dann, trotz schnellem Herzschlag, auf. „Wenn du irgendwas wissen willst, dann rede mit Naruto.“ Und ich warte auch nicht darauf, dass er mir antwortet. Ich will einfach nur raus. Weg von hier. Dieser seltsamen Situation, die ich nicht einordnen kann, die ich gar nicht einordnen will.         „Sasuke, das Essen ist fertig.“ Ich liege auf meinem Bett, den Blick auf die Wand gerichtet. Seit Stunden liege ich schon hier, zähle sich überschlagende Gedanken, die sich unmöglich ordnen lassen.   Ich habe mit Naruto geschlafen. Sex gehabt. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mit jemandem geschlafen. Mit meinem Traummann.   Es ist so surreal. Nicht greifbar.   „Sasuke?“   „Ich bin gleich unten“, sage ich und räuspere mich dann, da meine Stimme kratzig klingt.   Er hat gesagt, dass er sich melden wird. Doch das wird er nicht, richtig? Er muss es verarbeiten … wir müssen es verarbeiten.         Am nächsten Morgen fühle ich mich gerädert. Völlig erschöpft … und mein Hintern schmerzt. Die Stühle der Schule sind viel zu hart …   Und dabei sitze ich gerade erst fünf Minuten auf meinem Platz.   Kiba fehlt sowie Naruto, doch bei Naruto ist es keine Seltenheit. Und auch als er weitere fünf Minuten später endlich den Raum betritt, mit seiner üblichen Ausrede, wirkt alles wie immer. Mit der Ausnahme, dass er schnurstracks auf seinen Tisch zugeht, sich hinsetzt und mich ignoriert.   Aber das war zu erwarten, oder? Es wäre auch zu seltsam, wenn er mich angesehen hätte … nachdem wir …   Mein Handy vibriert und lässt meine Gedanken innehalten.     'Hey, hast du in der Pause Zeit, um über das Projekt zu sprechen?'   Dass mein Herz schneller schlägt, kann ich nicht verhindern. Er will mit mir reden. In der Pause. Über das Projekt?   'Ja. Bei der Sporthalle?'   'Ok'   Seine Antwort fällt knapp aus, doch das ist okay. Er will mit mir reden, nur das zählt.     Der Unterricht zieht sich in die Länge, und ich hätte nie gedacht, dass ich jemals so denken würde, doch als er vorüber ist und es zur Pause läutet, atme ich erleichtert auf. Naruto ist bereits aufgesprungen und losgestürmt und ich tue es ihm gleich, jedoch mit der Ausnahme, dass ich langsam zusammenpacke und den Raum wie gewöhnlich als einer der Letzten verlasse.   Wir haben fast 30 Minuten Zeit. Ich muss nicht hetzen. Ich kann gar nicht schneller laufen, da mein Kreislauf verrückt spielt. Ihn zu sehen, alleine auf der Bank sitzend, stellt schlimme Dinge mit meinem Organismus an. Zwar blickt er nach unten, selbst als ich vor ihm zum Stillstand komme, doch er sieht ernst aus.   „Hey“, sage ich, um mich bemerkbar zu machen, doch es dauert noch gefühlt zehn Sekunden, ehe er aufblickt.   „Hey Sasuke.“ Mit einem falschen Grinsen auf den Lippen sieht er mich an. Ein Grinsen, das sich unangenehm auf meinen Magen auswirkt.   „Du wolltest mit mir über das Projekt sprechen?“   „Eh, ja … hör mal, wäre es in Ordnung, wenn wir die Aufgaben so aufteilen, dass jeder einen Teil übernimmt? Ich werd die nächsten Wochen ziemlich wenig Zeit haben … und würde dann das, was ich machen muss machen und … dir dann schicken.“ Meine Stirn runzelt sich. Will er mir damit sagen, dass er keinen Kontakt mehr will?   „Du willst also das Projekt abblasen.“   „Nein. Ich hab nur wenig Zeit, um mich in Zukunft mit dir zu treffen … deshalb denke ich, dass es besser ist, wenn wir die Aufgaben festlegen, damit jeder seins machen kann.“   „Es ist aber eine Partnerarbeit.“   „Und?“, erwidert er irritiert. „Wäre nicht das erste Mal, dass sowas passiert.“ Allgemein wirkt er sehr distanziert. Es verletzt mich.   „Schon seltsam, dass du gerade jetzt feststellst, dass du keine Zeit mehr für Treffen hast.“   „Ja … ist aber so. Also geht das? Können wir Aufgaben festlegen? Ich werd auch versuchen, mich mit meinem Teil zu beeilen.“   „Nein.“ Er runzelt die Stirn.   „Wie nein?“   „Nein. Wir haben ein gemeinsames Projekt … und wenn du keine Zeit hast, dann können wir nicht daran arbeiten, fertig.“   „Willst du mich verarschen?“   „Sehe ich so aus?“ Er macht mich wütend.   „Was ist daran so kompliziert, Aufgaben festzulegen?!“, sagt er aufgebracht.   „Was ist daran so kompliziert mir zu sagen, dass du keinen Bock auf mich hast?!“, entgegne ich mit derselben Intensität, weil es mich wirklich trifft, dass er sich so verhält.   „Ok. Gut. Ich hab keinen Bock auf dich. Ich bin nicht schwul und das, was gestern passiert ist war ein Fehler. Ich liebe Sakura und-“ Ich lasse ihn nicht ausreden. Diese Worte, sie sorgen dafür, dass meine Beine mich wegführen. Schnell und weit. Hauptsache weg von ihm.   Wie kann er so etwas sagen? Nachdem was gestern passiert ist, wie kann er nur so etwas sagen?   „Sasuke!“, höre ich ihn laut rufen, doch mein Gehirn denkt nicht daran, meine Füße davon abzuhalten, an diesem Ort zu bleiben. „Bleib gefälligst stehen, wir sind noch nicht fertig!“ Mein Herz pocht rasend schnell in meiner Brust, als er mich plötzlich von hinten am Arm packt und grob herumreißt. Mit geweiteten Augen sehe ich ihn an, spüre den Schmerz in meiner Brust, der mich überkommt bei seinem Anblick.   „Fass mich nicht an“, zische ich defensiv und entziehe mich seiner Hand. Er schnauft.   „Warum haust du ab?!“, fordert er zu wissen, und dann passiert etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte. Meine Faust bewegt sich, ohne dass ich sie aufhalten kann. Findet zielsicher sein Gesicht, seinen Wangenknochen. Und es tut weh. Psychisch und physisch. Die Zeit scheint langsamer zu verlaufen, und gleichzeitig so schnell.   Ich habe ihn geschlagen. Ihm eine Faust verpasst. Und er taumelt. Blickt mich geschockt an, seine Finger an der Stelle, wo meine Knöchel keine fünf Sekunden zuvor getroffen haben.   „Was …“, haucht er. „Hast du … hast du mich wirklich gerade geschlagen?“ Er blinzelt – ich tue es ihm gleich – und dann bricht das Chaos frei. Mit einem Aufschrei stürzt er sich auf mich, ohne dass ich die Situation richtig realisieren kann. Dementsprechend hart ist der Aufprall, mein Rücken schmerzt, doch es ist nichts im Vergleich zu dem Gefühl, als mich seine Faust am Kiefer trifft.   „Du Bastard!“, schreit er und packt mich kurz darauf heftig schnaufend am Kragen. „Warum schlägst du mich?!“ Mit dem brennenden Schmerz meiner linken Gesichtshälfte blicke ich ihm entgegen, unfähig, etwas zu erwidern. „Was ist dein verficktes Problem, hä? Nur weil ich dich nicht will? Weil ich nicht schwul bin?!“   Es ist ein seltsames Empfinden, das mich flutet. Zelle für Zelle. Es erreicht jeden Winkel in meinem Körper, steigt mir zu Kopf und lässt mich klarsehen. Zum ersten Mal seit Jahren.   Ich verstehe es. Das hier. Ich verstehe es. Es bringt nichts.   „Sag endlich was!“, fordert er, sein Griff eisern.   „Es bringt nichts. Du wirst es nicht verstehen, weil du es nicht verstehen willst“, antworte ich, und zwar so, dass an dieser Resignation kein Zweifel bleibt. „Du bist nicht schwul“, wiederhole ich die Aussage, die ich schon unzählige Male von ihm gehört habe. „Aber ich bin schwul. Und auch wenn du mich nicht willst, ich will dich. Ich wollte dich.“ Seine Augen sind weit aufgerissen. Seine Finger lösen sich, doch er sitzt nach wie vor auf meinem Becken. Dass ich es ausgesprochen habe, löst keinerlei Gefühle in mir aus. Ich bin taub. Taub von der Erkenntnis.   „Du …“, haucht er. „Du … willst mich?“ Er klingt vorsichtig. Fernab von der Rage, von der er vor Sekunden noch besessen war.   Ich wollte dich, Naruto. So lange. Viele Jahre. Ich habe dich beobachtet. Fast täglich. Bei jeder Gelegenheit, die sich geboten hat. Ich war fasziniert von dir. Von all den Dingen, gut oder schlecht, ich wollte dich. Doch jetzt … jetzt bin ich mir nicht mehr sicher.   „Ich will, dass du von mir runtergehst“, erwidere ich ruhig, und er bewegt sich tatsächlich, allerdings ohne seine Augen von mir abzuwenden.   Es ist alles gesagt. In meinem Kopf liegen die Karten auf dem Tisch. Er hat sie gesehen. Hat einen Blick drauf geworfen. Doch es ändert nichts. Nichts ändert sich.   „Sasuke …“ Sein Ton klingt versöhnlich, beinahe mitleidig, und als ich mich aufrichte, sehe ich, dass er seine Finger nach mir ausstreckt. Eine Hand, die ich ignoriere. Ich will ihn nicht berühren. Nicht infizieren mit dieser Taubheit.   „Das Projekt ist mir egal. Such dir jemanden, der dir dabei helfen kann.“ Meine Stimme klingt abgeklärt. Klingt genauso wie die Tatsache, dass ein Stück von meinem Herzen gestorben ist.   „Sasuke, ich-“ Diesmal hält er mich nicht auf, als ich ihm den Rücken zudrehe und mich von ihm wegbewege.           „Er ist noch nie vorzeitig aus der Schule nach Hause gekommen, sprich mit ihm. Ich glaube er hat sich geprügelt.“   „Was hat er gesagt?“   „Er hat gesagt, dass er gestürzt ist, aber es sieht nicht aus wie eine Verletzung nach einem Sturz.“   „Seit wann ist er hier?“   „Seit halb elf.“   „Hast du auf seinem Stundenplan nachgesehen?“   „Ja, Sport stand nicht auf dem Plan. Fugaku … ich hab ihn noch nie so traurig gesehen … bitte sprich mit ihm.“   Eigentlich müssten sie wissen, dass ich sie hören kann. Ihr Schlafzimmer liegt neben meinem … die Wände sind nicht besonders dick.   „Ist gut, ich werde mit ihm reden.“   Ich habe keine Lust darauf, zu reden. Weder jetzt noch irgendwann. Ich will einfach nur hier liegen. Liegen und an gar nichts denken. Was unmöglich ist, denn man denkt immer über etwas nach. Ich zum Beispiel denke an das, was heute Morgen passiert ist. An die hässlichen Worte, die er mir entgegengeworfen hat. An den Blick, der sich unweigerlich in meine Netzhaut eingebrannt hat. Ich sehe seine Augen, wann immer ich meine schließe.   „Sasuke?“ Die Stimme meines Vaters zwingt mich dazu, mich vom Bett aufzurichten.   „Ja?“ Er öffnet die Tür und tritt dann in mein Zimmer. Sein abschätzender Blick trifft mich, er kalkuliert, kommt auf mich zu und setzt sich dann zu mir auf die Matratze.   „Was ist passiert?“   „Ich bin gestürzt.“   „Das sieht eher aus, als hätte dich eine Faust getroffen.“   „Ich bin auf der Treppe gestürzt.“ Er seufzt.   „Warum lügst du mich an?“ Ich presse die Lippen aufeinander, werde dadurch an den Schmerz erinnert, der mir physisch zugefügt wurde.   „Ich … ich will nicht darüber reden.“ Er schweigt einen Augenblick lang, greift dann unvermittelt nach meinem Kinn und mustert die geschundene Stelle.   „Passiert so etwas öfter?“ Ich runzle die Stirn, als seine Finger sich von meiner Haut lösen.   „Nein … es ist noch nie passiert.“   Schließlich bin ich nur ein Geist. Jemand, der nicht gesehen wird. Es wäre schon viel früher aufgefallen, wenn das der Fall wäre. Doch es war nie so. Ich war unsichtbar.   „Warum dann heute?“   „Ich kann nicht darüber sprechen …“ Ich will nicht darüber sprechen. Kein Wort will ich darüber verlieren. Es tut weh, daran erinnert zu werden. Und ein Gespräch würde dazu führen, dass diese Sache zu real wird. In meinen Gedanken kann ich wenigstens so tun, als wäre es nur ein schlechter Traum.   „Sasuke, deine Mutter und ich machen uns sorgen … hast du Ärger wegen deine Homosexualität?“ Meine Lippen verziehen sich automatisch und der Blick meines Vaters verändert sich. Natürlich geht er davon aus. Und eigentlich hat er damit auch recht. Nur sind die Umstände ganz anders. Viel verworrener. Völlig absurd.   „Also hast du dich deshalb geprügelt?“, hakt er weiter nach und sieht mich dabei ernst an. Wirkt fast schon so, als würde er gleich von mir verlangen, ihm Namen zu nennen, damit er mich rächen kann.   „Ich habe mich nicht geprügelt.“   „Also hat man dich geschlagen? Wer war es?“   „Dad, bitte … es ist alles okay.“   „Sasuke, wenn du die Schule verlässt und mit einer blauen Gesichtshälfte nach Hause kommst, ist nichts okay. Und jetzt sprich.“   „Ich will aber nicht darüber sprechen“, entgegne ich – und das nicht gerade leise. Warum muss er mich damit nerven? „Ich habe mich nicht geprügelt und es ist auch nicht weil ich auf Männer stehe, ich hatte einfach einen beschissenen Tag und will meine Ruhe.“ Er sieht schockiert aus, aber das ist mir egal.   „Sasuke … nicht in diesem Ton.“   „In welchen denn dann? Ich möchte nicht darüber reden, okay? Ich möchte nicht mal darüber nachdenken, also lasst mich einfach in Ruhe.“ Meine Augen fangen an zu brennen, verräterisch kämpfen sich die Tränen hervor. Ich bin wütend. So verdammt wütend auf diese verschissene Welt. Auf Naruto, auf meine Familie, auf Itachi, der mich im Stich lässt, auf meine Eltern die meinen, sie müssen sich überall einmischen, doch vor allem bin ich wütend auf mich selbst, weil ich mich wie eine billige Hure hingegeben habe. Dass ich auf dieses Spiel hereingefallen bin. Obwohl es hätte klar sein müssen, dass diese Sache zum Scheitern verurteilt ist.   „Sasuke“, sagt mein Vater ruhig. Seine Hand landet auf meiner Schulter. „Ich mache mir wirklich Sorgen … und ich möchte, dass es dir gutgeht.“   „Aber es ändert nicht daran, wenn ich darüber rede, also bitte … lass mich einfach in Ruhe.“ Er seufzt abermals, doch anstatt mich in Ruhe zu lassen, tut er etwas, das mich vollkommen aus der Bahn wirft. Er umarmt mich. Zieht mich zu sich heran und drückt mich an sich.   Verdammt … warum tut es so weh? Warum muss ich flennen, wenn ich es eigentlich gar nicht will?   „Auch wenn du jetzt nicht darüber reden kannst, sollst du wissen, dass deine Mutter und ich immer für dich da sind. Wir lieben dich und wollen, dass es dir gut geht.“ Seine Worte klingen so einfühlsam, dass ich gar nicht anders kann, als die Tränen laufen zu lassen. An seiner Brust halte ich mich fest, rieche sein Aftershave, das mich an frühere, längst vergessene Zeiten erinnert und lasse los.         Eine ziemlich lange Zeit vergeht, in der ich einfach nur dem beruhigenden Herzschlag in seiner Brust lausche. Wir sprechen nicht. Da ist nur seine Hand, die über meinen Rücken streichelt, mich schläfrig werden lässt. Doch irgendwann löst er sich von mir und blickt mir entgegen.   „Du solltest dich ausruhen. Ich werde dich für diese Woche in der Schule entschuldigen.“ Ich kann nur nicken. Bin so überrascht von dieser Aussage, dass ich es zulasse, dass er mich an den Schultern zurück drückt, so dass ich eine liegende Position einnehme. Er steht auf, läuft langsam zur Tür und blickt dann über seine Schulter hinweg zu mir herüber. „Egal was passiert ist, wir sind für dich da.“       Und es stellt sich heraus, dass meine Eltern tatsächlich für mich da sind. Mein Vater hat mich nicht nur für diese Woche entschuldigt, sondern mir angeboten, am Wochenende etwas mit mir zu unternehmen. Nur wir beide. Meine Mutter hingegen umsorgt mich wie eine Henne. Da sie nicht arbeitet, hat sie viel Zeit, um mich zu nerven.   „Geht es dir auch wirklich gut?“   „Ja, Mum.“   „Hast du noch genug von der Salbe?“   „Ja …“   „Und du willst sicher nichts essen? Ich hab noch Auflauf im Kühlschrank.“ Ich verdrehe die Augen. Sie steht neben meinem Bett, das ich die gesamte Woche über nur zum Duschen oder Essen verlassen habe.   „Ich hab keinen Hunger.“ Sie sieht mich besorgt an, doch gibt dann scheinbar auf.   „Okay, dann werde ich jetzt deinen Vater abholen.“ Ich nicke. Ein paar Stunden Ruhe vor ihr werden mir sicherlich guttun. Da mein Dad heute auswärts arbeitet, kann ich mit Sicherheit drei bis vier Stunden einplanen, bis sie wieder hier sind. Genügend Zeit, um mich davon abzulenken, wie beschissen mein Leben ist.     Die erste Stunde verbringe ich damit, in der Badewanne einzuweichen. Nebenbei läuft leise klassische Musik, das Licht ist gedämpft, der Rollladen nach unten gefahren. Das heiße Wasser macht mich müde, versetzt mich in einen angenehm beruhigten Zustand, der allerdings dadurch beendet wird, da es an der Tür klingelt. Und zwar Sturm.   Wer zum Henker stört meine Ruhe? Dass derjenige, der vor der Tür steht, leider Pech hat, da ich nicht aufstehen werde, wird er schon merken. Zwar dauert das penetrante Klingeln noch gefühlte zehn Minuten, doch es geht mir am Allerwertesten vorbei.   Jetzt ist Sasuke-Zeit. Ruhezeit. Zeit, die ich langsam beende, indem ich aus der Wanne steige und meinen Bademantel anziehe. Meine Mutter hat ihren Schlüssel … und wenn etwas wäre, dann hätte man mich angerufen … also muss ich mir keine unnötigen Sorgen machen.       Die Luft, die mir entgegenkommt, als ich die Badezimmertür öffne, ist kühl. Kein Wunder, wenn die Haut feucht ist …   „Sasuke.“ Ich erstarre, obwohl ich mich zeitgleich so sehr erschrecke, dass ich das Gefühl habe, mein Herz bleibt stehen. Verwirrt blicke ich in blaue Augen.   „Naruto?“   „Eh … ja?“   „Wie zur Hölle bist du hier reingekommen?!“ Mein anfänglicher Schock wandelt sich in Wut, und zwar rasend schnell.   „Durch das Wohnzimmerfenster?“   „Was willst du hier? Das ist Hausfriedensbruch!“   „Ich will mit dir reden!“ Obwohl er diesen Satz laut von sich gibt, wirkt er irgendwie … verloren?   „Worüber? Wir haben nichts mehr zu bereden. Wenn um das Projekt geht, dann such dir einen anderen Partner.“ Ich bin mir nicht sicher, weshalb mein Herz noch immer so schnell schlägt, doch eigentlich kann es nur an der Tatsache liegen, dass Naruto wirklich Kontakt zu mir sucht. In mein Haus einbricht, um mit mir zu reden …   „Es tut mir leid“, höre ich ihn sagen. „Es tut mir leid, dass ich so ein Wichser war. Ich war nur so überfordert mit dieser Situation und … es tut mir leid, dass ich dich geschlagen hab und es tut mir leid, dass ich mich verhalten hab wie ein Arschloch und dir gesagt hab, dass ich dich nicht mehr sehen will. Ich will dich sehen … du fehlst mir … und ich, ach fuck it-“ Er unterbricht sich selbst und erschreckt mich, da er mich ohne Vorwarnung gegen die Wand im Flur drückt. „Ich … ich glaub, ich bin ein bisschen schwul.“ Ich blinzle. Was?   „Du bist ein bisschen schwul?“ Träume ich gerade? Warum nickt er … und warum sieht er mich so ratsuchend an?!   „Ja … ich bin ein bisschen … ich weiß nicht, ich muss ständig an dich denken und an das, was wir getan haben … und … keine Ahnung, es macht mich geil?“   „Willst du mich gerade verarschen?“   „Würde ich in dein Haus einbrechen, wenn es so wäre? Ich will mich entschuldigen … und dir sagen, dass ich dich mag … so mehr mag und so“, nuschelt er den letzten Teil seines Satzes und diesmal bin ich mir sicher, dass mein Herz genau aus diesem Grund anfängt, wie wild in meiner Brust zu trommeln. „Ich … ich weiß nicht, was mit mir nicht stimmt, aber ich weiß, dass ich dich vermisse … und ständig daran denke-“   „Naruto“, unterbreche ich seinen Monolog. „Heißt das, du willst mich auch?“   „Ja.“ Meine Beine fühlen sich weich an. Ausgelöst durch dieses kleine Wort, dessen Bedeutung in meinem Verstand härter einschlägt als eine Abrissbirne.   Doch es ist nichts im Vergleich zu dem Gefühl, das von mir Besitzt ergreift, als er mich berührt. Unsere Lippen treffen sich, langsam, vorsichtig, doch sie tun es. Streifen übereinander – meine Finger greifen in den Stoff seiner Jacke – während seine Hände auf meiner Hüfte landen und mich festhalten.   „Genau das“, haucht er, kurz bevor er mich küsst. Leidenschaftlich, hitzig und wild. So fordernd, dass Schwindel entsteht und mich dazu zwingt, meine Finger wandern zu lassen. Seine Jacke fällt zu Boden und seine Hand schlüpft unter meinem Mantel, bringt mich unweigerlich zum Keuchen.   „Warte“, unterbreche ich unseren Kuss, da ich kurz davor bin, die Beherrschung zu verlieren. Meine Gedanken überschlagen sich, während mein Herz danach schreit, mich auf der Stelle von ihm nehmen zu lassen.   Doch ich kann nicht. Nicht jetzt. Nicht so plötzlich.   „Sasuke?“ Seine Stimme klingt leise, fast schon vorsichtig.   Ich will dich. In diesem Moment will ich dich mehr als jemals zuvor, doch ich habe Angst vor den Konsequenzen.   „Ich … ich muss nachdenken.“ Ich bringe Abstand zwischen uns, indem ich zur Seite ausweiche. Er blickt mich getroffen an, doch ich zwinge mich dazu dem Drang zu widerstehen, sofort in seine Arme zu stürmen. Ich darf nicht schwach sein, denn wenn ich schwach bin, dann werde ich verletzt.   „Ich will … ich will nicht, dass es …“ Ich ringe mit den Worten, die in meinem Verstand klar definiert sind, aber nicht über meine Lippen wollen.   „Okay“, sagt er. „Du hast Angst.“ Unbewusst halte ich die Luft an, als er erneut auf mich zukommt. „Ich kann dich verstehen … ich war ein Arschloch … aber das war nicht meine Absicht. Es ist alles nur so … verwirrend? Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, ohne dass es scheiße klingt.“   „Sag es einfach.“ Ehrlichkeit ist schließlich immer besser, selbst wenn sie wehtut.   „Ich bin nicht schwul, okay?“ Da ist er wieder, dieser Satz, dem man kaum noch Glauben schenken kann, wenn man Zeuge davon geworden ist, wie er sein kann. „Aber ich bin … scharf auf dich. Du machst mich geil“, er lässt eine kurze Pause entstehen, ehe er weiterspricht: „Verdammt … das klingt beschissen. Ich meine, du bist ein Kerl, aber ich stehe trotzdem auf dich!“ Blinzelnd verarbeite ich seine Wörter. Es klingt in der Tat ziemlich bescheiden. „Ich meine, ich stehe nicht auf Typen! Wenn ich mir Sai oder Kiba vorstelle, dann bekomme ich das blanke Kotzen! Aber bei dir … bei dir ist es anders. Ich hab mir die Woche schon dreimal einen runtergeholt, während ich an dich gedacht hab!“ Gegen meinen Willen spüre ich Wärme meinen Nacken entlang kriechen. Wie kann er nur so etwas sagen! Laut sagen … dieser …   „Und verflucht, Sasuke, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich war nie schwul … aber jetzt … jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Ich weiß nur, dass ich dich will. Diese Woche hat mich wahnsinnig gemacht!“ Mir fehlen die Worte. Wirklich, sie fehlen mir komplett. Sogar mein Verstand liegt blank, obwohl tausende von Gedanken mein Gehirn überschwemmen. Warum tut er das? Warum lässt er mich mit dieser geschmacklosen Aneinanderreihung von kitschigen Wörtern so schwach werden? „Fuck, das ist so-“ Er grollt, rauft sich die Haare und sieht mich mit einem Blick an, der mich die Luft anhalten lässt. „Sag was“, fordert er dunkel und kommt dann weiter auf mich zu. Wieder befinde ich mich dabei in einer Position, die mir ein Ausweichen erschwert.   „Ich weiß nicht, was du von mir hören willst“, erwidere ich ehrlich und zucke reflexartig zurück, als er seine Hände links und rechts von meinem Kopf gegen die Wand stützt.   „Ich will hören, was du dazu denkst.“   „Ich weiß es nicht.“   „Aber irgendwas musst du denken!“ Irre ich mich oder wird er wütend?   „Was möchtest du von mir hören?“   „Dass du mich immer noch willst!“   „Und dann? Was ändert es?“   „Alles!“ Ich schnaube. Dieser fliegende Wechsel von Emotionen ist anstrengend. Was will er von mir?   „Was ist mit Sakura?“ Er runzelt die Stirn.   „Was hat Sakura damit zu tun?“   „Sie ist deine Freundin? Du hast mir gesagt, dass du sie liebst!“   „Das ist ein völlig anderes Thema!“   „Inwiefern ist es ein anderes Thema? Wenn du mit mir rummachen willst, dann ist sie sehr wohl ein Thema!“   „Sasuke … lass sie einfach da raus.“   „Ist das dein Ernst?“ Er schnauft.   „Mein voller Ernst.“ Sein Gesicht kommt mir näher, doch entgegen meiner Erwartung versucht er nicht mich zu küssen. Seine Wange landet auf meiner, ich spüre seine Lippen direkt an meinem Ohr. „Das betrifft nur uns beide“, sagt er leise. „Ich will herausfinden, was es ist … und dann regeln wir den Rest.“ Unwohlsein macht sich in mir breit. Es klingt so grundverkehrt, dass mein Magen sich verkrampft.   „Also bin ich dein Versuchskaninchen?“, spreche ich schließlich den Gedanken aus. Sein Atem streift mein Ohrläppchen.   „Ich brauche nur etwas mehr Zeit.“ Warum ich mein Gesicht zu ihm drehe, verstehe ich nicht. Und dass unsere Lippen sich kurz darauf treffen, ist noch weniger verständlich. Warum gebe ich nach?   Ich will dich schon so lange. So verflucht lange, Naruto Uzumaki. Du bist das Zentrum. Das Licht, das mich magisch anzieht. Die Sonne, die mich blind werden lässt, je länger ich sie anstarre. Jede Sekunde ein bisschen mehr. Und doch kann ich mich deiner Wärme nicht entziehen. Ich liebe dich. Auch wenn ich weiß, dass du mir womöglich das Herz brechen wirst.   Ich lasse mich von ihm verführen. Von seinen Fingern manipulieren, von diesen Küssen, die mich betrunken machen und mir zeigen, wie machtlos ich bin. Ich kann mich nicht dagegen wehren. Jede Faser meines Körpers ist auf ihn fixiert, verzehrt sich nach ihm. Und er weiß es. Er weiß es ganz genau.   „Sasuke.“ Sein Stöhnen fließt in mein Bewusstsein. Verschluckte Laute, die von meinen Lippen dringen, weil er mich immer und immer wieder voller Leidenschaft küsst. Er ist in mir, bewegt sich, schnell, langsam, mit festen Stößen, die mich dazu zwingen, mich an ihm festzuhalten. Seine funkelnden blauen Augen, sie strahlen. Erwidern meinen Blick und fesseln mich.   „Naruto ...“                 „Naruto! Wie oft hab ich dir gesagt, dass du es andersherum schreiben musst! Du hast die ganze Tinte verschmiert!“   „Heh, sorry Sakura-chan.“   „Sorry Sakura-chan am Arsch. Du weißt genau, dass mein Dad ausrasten wird, wenn er deine Sauklaue sieht.“   „Dann sag ihm, dass du es warst?“   „Er kennt deine Schri- Naruto! Hör auf damit!“     Es ist ein seltsames Gefühl zuzusehen, wie Naruto mit Sakura umgeht. Wie sie beide miteinander umgehen. Hier in der Schulkantine, direkt neben mir.   Diese Austausch macht mich krank.   Sie weiß nicht, was ihr Freund vor drei Tagen in meinem Zimmer mit mir getan hat. Hat nicht den blassesten Schimmer, dass er mehr als nur einmal mit mir geschlafen hat.   „Ahh, Sasuke, hilf mir!“ Er rutscht näher an mich heran und zieht schützend seinen rechten Arm in die Höhe.   „Wehe! Du hast es verdient!“ Und sie kommt ihm nach.   Wieso zur Hölle habe ich zugestimmt, in der Pause hier zu sein? Lag es an dem schwindelerregenden Kuss, den er in der ersten Pause auf der Toilette von mir gefordert hat? An dem Versprechen, am Wochenende etwas mit mir zu unternehmen?   Ich muss verrückt geworden sein.   „Sasukeeee!“ Sein Quengeln lässt mich schnauben.   Dieses Spiel hier … es ist abstoßend. Warum also sitze ich noch hier? Weshalb laufe ich nicht so weit weg, wie mein Verstand es von mir verlangt?   Seine Hand, die auf meinem Bein landet, sorgt für augenblickliche Anspannung der Muskeln. Ist er wahnsinnig?!   „Naruto, ich schwör es dir, du wirst diesen Satz so oft neu schreiben, bis er perfekt ist!“ Seine Freundin ist neben uns! Sie könnte alles sehen! Und er … er hat nichts Besseres zu tun, als mich zu berühren?   Mir stockt der Atem, als er mit seinen Fingern höher wandert.   „Mahhh, okay. Aber lass mich erst ein bisschen chillen, ich hab keine Lust in der Pause zu schreiben.“   „Du hättest es aber dringend nötig, stimmt's, Sasuke?“ Warum spricht sie mich an? Merkt sie nicht, dass ich mich darauf konzentrieren muss, nicht umzufallen?   „Kann sein“, erwidere ich betont ruhig, darum betend, dass ich auch so klinge wie gewollt.   „Wie gemein … ihr seid beide so gemein zu mir“, sagt er gespielt niedergeschlagen, ehe er mir in den Oberschenkel kneift. „Dafür gibt es Rache.“   „Pah, deine Rache ist lahm.“   „Sakura-chan.“   „Ist doch die Wahrheit.“   Wenn sie nur wüsste. Gott, das hier ist so krank.   Ich springe von der Bank auf, als seine Finger über meinen Schritt streifen. Hat er noch alle Tassen im Schrank? Natürlich liegt der komplette Fokus der Gruppe auf mir. Sogar die Schüler an den umliegenden Tischen schenken mir ihre ungewollte Aufmerksamkeit.   „Alles okay, Sasuke?“ Sakura ist die letzte, die mich das fragen sollte. Nichtsdestotrotz antworte ich:   „Ja … ich muss nur auf Toilette.“ Ich ignoriere die skeptischen Blicke und ziehe mich zurück, ohne Naruto oder die anderen noch einmal anzusehen. Ich muss mich abkühlen. Runterkommen von dem Erlebnis, das sich verstörend auf mein Gemüt ausgewirkt hat.   Genau aus diesem Grund steuere ich auch wirklich die Toilette im ersten Stock an.   Weshalb tut er das? Dafür, dass er sich Zeit lassen wollte, geht er ganz schön ran. In unmittelbarer Nähe seiner Freundin, die der Grund ist, weshalb er sich Zeit lassen will. Es ist verdammt verwirrend!   „Sasuke?“ Dass ich nicht alleine bin, stelle ich fest, als ich die Tür zur Toilette öffne. Kiba ist hier, er steht am Waschbecken und sieht mich mit angezogener Augenbraue an.   Toll … warum er? Ausgerechnet er? Narutos ehemaliger bester Freund, der sich heute im Klassenzimmer einen neuen Tisch gesucht hat …   „Hn.“   „Hn? Ist das überhaupt ein Wort? Du siehst aus wie ne Tomate, was ist passiert?“ Ich verdrehe die Augen und laufe an ihm vorbei, um eine der Kabinen zu betreten. Vorsorglich verriegle ich auch gleich die Tür. „Ah, ich verstehe. Wahrscheinlich hat es was mit Naruto zu tun?“ Kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen? „Er und seine Bitch verstehen sich scheinbar wieder gut, huh? Darf ich fragen, weshalb du dir den Stress überhaupt gibst, bei den beiden zu sitzen?“   „Kannst du einfach gehen?“, erwidere ich mental erschöpft. Ich will einfach nur meinen Frieden. Ich …   „Nope.“ Kurz darauf wird es still. So still, dass ich für einen Moment lang vergesse, dass ich nicht alleine bin. Doch Kiba erinnert mich daran, dass ich es nicht bin. „Kannst du dich noch an die Aufnahme erinnern? Die, die ich in deinem Haus gemacht hab? Ich hab sie immer noch …“ Droht er mir schon wieder?   „Was willst du?“, brumme ich und öffne dann die Tür. Er steht an der Wand angelehnt, mir direkt gegenüber.   „Nur ein paar Infos. Wie kommt es, dass er dich küsst und nicht ignoriert? Schließlich hat er doch immer gesagt, dass er nicht schwul ist.“   „Du hast das Gegenteil behauptet, also denk dir einfach deinen Teil.“ Er reißt die Augen auf, seine Lippen sind geöffnet.   „Scheiße! Er ist also doch schwul!“ Ich verdrehe die Augen. Wie kann ein Mensch nur so dumm sein?   „Ist er nicht … denn wie du weißt, hat er eine Freundin.“   „Dann eben bi! Hat er dich nochmal geküsst?“ Wenn er nur wüsste.   „Nein.“ Naruto hat mich nicht nur einmal geküsst. Nicht nur zweimal … er hat viel mehr getan als nur das.   „Aber er meidet dich auch nicht. Also hat er sich rausgeredet?“   „Er war betrunken.“ Kiba lacht.   „Dafür dass er betrunken war, weiß er noch ganz schön viel. Oder was meinst du, weshalb er nicht mehr mit mir redet?“   „Weil du ein Arschloch bist?“ Jetzt grinst er.   „Weißt du was ich glaube? Dass er sehr wohl weiß, was da zwischen euch war. Er überspielt es nur. Und insgeheim findet er dich geil.“ Diesmal muss ich grinsen. Er hat keine Ahnung, wie richtig er damit liegt. Nur ist es nicht meine Aufgabe, ihm das zu sagen.   „Wenn du meinst.“   „Jup. Genau das meine ich. Vielleicht sollte ich die Sache ja auffliegen lassen?“, sagt er und stößt sich dann von der Wand ab, um auf mich zuzukommen. „Wäre doch lustig, wenn die ganze Schule davon erfährt, dass du schwul bist. Dann müsste Naruto handeln. Vor allem, wenn ich erzähle, dass er dich geküsst hat.“ Schnaubend verschränke ich die Arme vor der Brust   „Warum? Was hast du davon?“ Er zuckt mit den Schultern.   „Ein bisschen Action. Es ist so langweilig im Moment, verstehst du?“ Nein, das verstehe ich nicht. Denn für mich ist es alles andere als das.   „Halt dich einfach raus.“   „Raushalten klingt schwer … aber vielleicht überleg ich es mir, wenn du mir einen Gefallen tust.“ Ich runzle die Stirn.   „Vergiss es. Ich kenne deine Gefallen. Ich werde ganz sicher kein zweites Mal ein Kleid für dich tragen.“ Er gluckst.   „Nää, keine Sorge. So hübsch du auch sein kannst, wir alle wissen, dass der Schein trügt.“   „Was willst du?“   „Hmm, wenn du so fragst“, sagt er grinsend. „Ich hab da Probleme mit ein paar Berichten, die ich anfertigen muss.“   „Du willst, dass ich deine Hausaufgaben mache?“   „Exakt.“ Sein Grinsen wird noch breiter.   „Und wenn ich ablehne?“   „Dann wird unser Gespräch über die Lautsprecher laufen.“   „Das ist Erpressung.“   „Ich nenne das ein Geschäft.“ Dieser Typ … am liebsten würde ich ihm ins Gesicht schlagen. Mit einem Stuhl.   „Ich hasse dich.“ Sein Grinsen ebbt langsam ab, doch es verschwindet nicht.   „Ich weiß, aber das ist egal. Hilf mir, damit dein Geheimnis geheim bleibt.“           „Wo warst du?“ Narutos Stimme holt mich aus meinen Gedanken. Ich kann ihm schlecht sagen, dass ich auf der Toilette ein widerwärtiges Arschloch getroffen hab, das mich erpresst, deshalb ziehe ich es vor, ihn anzuschweigen. „Bist du sauer? Tut mir leid … ich wollte dich einfach anfassen.“ Dieser Idiot. „Sie hat mich einfach so extrem genervt …“ Dann mach mit ihr Schluss, du Idiot … „Sasukeee, rede mit mir.“   „Warum bist du überhaupt hier?“   „Weil ich dich sehen wollte.“ Ich habe mich in der Freistunde direkt in die Bibliothek verkrochen, natürlich in der Hoffnung, mich mit Büchern von der Realität abzulenken, doch man lässt mich nicht.   „Wie du siehst bin ich hier.“ Ich höre ihn schnauben, dann spüre ich seine Hand auf meiner.   „Es tut mir leid.“   „Und was genau tut dir leid?“   „Heh. Weißt du, dass du gerade ziemlich weiblich wirkst?“ Ich verdrehe die Augen. „Mir tut leid, dass ich dich ohne Zustimmung befummelt hab. Aber ich hab es gern getan, also tut es mir nur noch halb so leid. Und das wiederum tut mir leid, weil es mir nicht so leid tut wie es sollte und-“   „Naruto … halt einfach die Klappe.“ Er kichert.   „Ist alles gut zwischen uns?“ Gar nichts ist gut … absolut gar nichts. Und ausnahmsweise sind mein Herz und mein Verstand sich in dieser Sache einig.   „Ja.“ Doch lügen ist leichter, als undefinierbare Gefühle zu beschreiben.   „Fein. Kommst du später zu mir? Meine Eltern sind nicht da … und mein Bruder hat 24-Stunden-Dienst. Wir könnten an dem Projekt arbeiten …“ Warum grinst er so? Ah … das Projekt.   „Okay.“ Er sieht sich kurz um, doch außer uns ist niemand hier. Ich habe vorhin zweimal nachgesehen, um auch ja meine Ruhe zu haben. „Sasuke?“ Er blickt mich an. Ein Blick, den ich fragend erwidere. „Darf ich dich küssen?“ Dieser … verdammt. Warum sagt er sowas? Dass mein Herz anfängt, wild in meiner Brust zu trommeln, ist kein Wunder. „Weißt du was? Ich tu es einfach.“ Er beugt sich zu mir und drückt mir seine warmen, weichen Lippen auf. Seine Hand fährt in meinen Nacken und hält mich fest. Ich spüre seine Finger, die über meinen Haaransatz streifen und mich leise seufzen lassen. Dieser Mann … Natürlich nutzt er diesen Umstand aus, um den Kuss zu intensivieren.   Es ist nicht fair, wie schwach ich bin, wenn es um dich geht. Mein Körper gehorcht mir nicht. Ich will mehr, obwohl mein Verstand ganz klar sagt, dass es besser wäre, auf Abstand zu gehen. Wenn ich darüber nachdenke, weiß ich, dass ich verloren habe. Es ist nicht fair …     Als ich später um die vereinbarte Zeit bei Naruto klingle, verspüre ich eine gewisse Aufregung. Wir werden alleine sein … und so wie er heute geklungen hat, wird er mit Sicherheit nicht nur das Projekt bearbeiten wollen.   „Hey Sasuke-Cakes.“ Sein Grinsen ist das erste, was mir auffällt, ehe mein Blick auf seine nackte Brust fällt. „Komm rein. Ich will noch fix duschen, das Training war hardcore.“ Nickend trete ich ein und ziehe mir die Schuhe im Flur aus. Für einen Moment lang hab ich gedacht, dass er … „Nehm dir ruhig was zu trinken, kay? Und mach es dir auf meinem Bett bequem.“ Gegen Ende des Satzes wackelt er mit den Augenbrauen, ehe er mir einen Kuss gibt und dann den Rücken zudreht, um vorzugehen. Dieser Spinner …   Sein Zimmer ist wie immer schlampig geordnet und wieder liegt der dezente Duft von billigen Duftkerzen in der Luft. Entgegen meiner Erwartung liegen Schulunterlagen auf dem Bett, auf dem ich mich niederlasse. Von wegen ich hab eine unleserliche Schrift. Seine ist mindestens genauso schlimm. Eine Feststellung, die mich automatisch zurück zur heutigen Schulpause führt. Ich weiß, dass Sakuras Schrift ordentlich ist. Sauber und akkurat. Sie schmiert nicht. Sie lässt sich Zeit, um Dinge schriftlich zu erfassen. Was sie wohl gerade tut? Ob sie weiß, dass ich hier bin? Mein Blick fällt auf das kleine, schwarze Stück Plastik, das halb unter einem Schnellhefter hervorragt. Es ist sein Handy. Dessen Display blinkt.   Wenn man vom Teufel spricht …   Ich greife danach, ohne bewusst darüber nachzudenken und stelle dann fest, dass sie ihm eine Nachricht geschrieben hat, die ich nicht vollständig lesen kann, da das Display wieder dunkel wird. Ob er einen PIN benutzt? Ich atme ein, ehe ich auf den Knopf drücke, der das Handy zum Leben erweckt.   Er hat keine Sicherung … ich könnte also lesen. Alles lesen. Doch will ich das überhaupt? Ja … ich will. Ich will verdammt nochmal alles wissen.   'Hey Bübü, was treibst du gerade? War das Training ok?'   Das ist die Nachricht, die sie ihm vor weniger als drei Minuten gesendet hat. Tja … er duscht, du Subjekt.   Ich scrolle weiter herunter und ignoriere die Tatsache, dass sie nun sehen kann, dass er online ist.   'Der Blowjob war total geil … ich bin schon wieder geil. Kannst du deinem Dad nicht sagen, dass wir ein Projekt haben oder so? Ich brauch dich T_T!'   Mein Magen fühlt sich flau an. Diese Nachricht ist einen Monat alt. Sie erinnert mich schmerzhaft daran, dass er auch Dinge mit ihr gemacht hat.   'Ich lieb dich Babe! Kann es kaum erwarten, dass deine Eltern endlich weg sind, hehehehehehehe. Zieh dir was Schönes an, kay? Ich hab viel mit dir vor'   Schnaubend lege ich das Handy zur Seite. Liebe … Liebt er sie nach all dem was passiert ist noch immer? Wieder blinkt das Display auf, und wieder ist sie es, der schreibt.   'Bübü? Alles okay bei dir?' Ich deaktiviere sämtliche Benachrichtigungen, ohne dass ich darüber nachdenke und schließe dann den Chat, ehe ich das Handy wieder dahin lege, wo es war. Sicherlich falsch von mir, doch ich möchte nicht, dass sie uns stört. Sie soll wegbleiben. Sich endlich verziehen. Dieses dumme Miststück. Sie macht alles kaputt. Nur wie schaffe ich es, dass sie ihn in Ruhe lässt? Was hat sie denn bitte an sich, das ihm gefällt? Sind es die Blowjobs? Der Sex?   „Awww, ich dachte, du hättest dich bereits ausgezogen.“ Ich zucke ertappt zusammen, da ich gar nicht gehört habe, wie er ins Zimmer gekommen ist. Er steht da, hat nur ein Handtuch um die Hüften …   Ich stehe vom Bett auf, um auf ihn zuzugehen. Er mag Sex, richtig? Er steht drauf, wenn man ihn zum Kommen bringt.   „Sasuke? Was ist los? Du siehst so-“ Ich lasse ihn verstummen, indem ich meine Lippen auf seine drücke und ihn heftig küsse. Wenn das eine Möglichkeit ist, ihn vergessen zu lassen, dass sie existiert …   „Woah … ich hab ja gewusst, dass ich sexy bin, aber dass ich so ne Wirku-“   „Halt den Mund.“ Meine Stimme klingt dunkel, ohne dass ich diesen Umstand bewusst beeinflusse. Ich ziehe ihn nach hinten, drücke ihn auf die Matratze neben seine Unterlagen. Mein Blick streift kurz über das Display seines Handys …   „Was hast du vor?“ Doch dann richte ich meine Augen auf ihn. Was ich vorhabe? Ich werde dir dabei helfen, sie zu vergessen. Dafür sorgen, dass du nur noch mich willst.   Ohne ihm verbal zu antworten ziehe ich sein Handtuch weg und rutsche dann nach unten zwischen seine Beine. Er hat sich auf seine Ellenbogen gestützt, blickt mir mit leicht geöffnetem Mund entgegen.   „Sasuke … was-“ Er verstummt, als ich seinen Schwanz mit meinen Lippen berühre. „Fuck!“ Ja … so werde ich dich dazu bringen, sie endlich zurückzulassen. Ich bin besser als sie. Wir passen viel besser zusammen. Sie ist es nicht wert. Und dass sie dich berührt hat, genau an dieser Stelle, muss berichtigt werden.   Ich fange an zu saugen, benutze meine Zunge, sehe, dass sein Kopf in den Nacken fällt. Mache ich es richtig? Fühlt es sich gut an? Sein Keuchen treibt mich weiter.   „Ah, Sasuke … das ist geil.“   Ich lasse ihn tiefer in meinen Mund gleiten, fahre vor und zurück, versessen darauf, ihn Stöhnen zu hören.   Du brauchst sie nicht. Nie wieder. Du hast mich. Und wenn du mich hast, dann haben wir uns. Das ist alles, was wir brauchen.  Kapitel 7: 5. [Zensiert] ------------------------ Doch auch schöne Momente finden irgendwann ein Ende. Manche tun es unmittelbar, nachdem man sie erlebt hat und andere ... andere geben einem die Zeit, die Situation zu realisieren. In meinem Fall endet es nicht unmittelbar ... aber wirklich realisieren kann ich dieses Erlebnis auch nicht. Narutos Atem streift über meine Schulter, er schnarcht leise, hört sich fast so an, als würde er schnurren. Ich kann ihn in mir spüren …   Wie fremd, aber gleichzeitig gut es sich anfühlt, hier in seinen Armen zu liegen, ist unbeschreiblich. Wir haben miteinander geschlafen. Einfach so. Obwohl er immer wieder betont hat, dass er … dass er nicht schwul ist.   Warum?   Wenn er kein Interesse an Männern hat, was hat ihn dann dazu bewegt, mit mir zu schlafen? Und er hat mir währenddessen mehrmals gesagt, dass ich ihm gefalle, was überhaupt keinen Sinn ergibt. Er weiß, dass ich kein Mädchen bin. Er hat mich berührt …   „Sasuke?“ Meine Augen weiten sich, als er sich langsam aus mir zurückzieht. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, doch ich spüre das Schlagen seines Herzens. Es schlägt schneller als noch vor einer Minute. Fast genauso schnell wie mein eigenes. „Bist du wach?“ Seine Hand liegt auf meinem Becken, seine Finger drücken leicht zu.   „Ja“, sage ich und höre ihn einatmen.   „Kay …“ Dann wird es still. Allerdings nicht lange. „Uhm … vielleicht … vielleicht sollten wir aufstehen?“ Wenn ich mich jetzt aufrichte, sterbe ich bestimmt vor Scham.   „Sicher?“, erwidere ich leise und spüre bereits, dass mein Nacken wärmer wird. Er sagt darauf nichts. Einzig und allein seine Hand wandert über meine Seite, fährt zu meinem Rücken.   „Ich weiß nicht. Ich meine … kann es noch seltsamer werden?“ Sein Satz endet mit einem leicht nervösen Lachen. Eines, das mich unsicher werden lässt. Obwohl er recht hat. Es kann nicht seltsamer werden … schließlich haben wir …   Langsam richte ich mich auf und steige von ihm runter, vermeide dabei aber, ihm direkt ins Gesicht zu sehen. Ich fokussiere meinen Blick lieber auf sein helles Haar … sein Ohr unterhalb, das selbst in diesem Licht knallrot ist. Auch ihm ist es peinlich.   „Ok, es ist wirklich seltsamer“, sagt er und aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er den Arm über seine Stirn wirft.   „Wenn ihr zwei fertig seid, dann kommt runter, wir müssen reden.“ Meine geweiteten Augen finden die von Naruto, doch er, er sieht nicht nur erschrocken, sondern panisch aus.   „Fuck“, zischt er und richtet sich auf. „Fuck fuck fuck!“ In der Tat. Nicht nur, dass dieses Erlebnis einen seltsamen Beigeschmack hat, nein, ausgerechnet sein Bruder muss uns dabei erwischen.   „Das ist übel. Sasuke … hast du das gehört? Da ist übel. Er wird …“, stammelt er, während er meine Shorts von Boden aufhebt, um in sie hineinzuschlüpfen.   „Naruto … das ist meine.“   „Scheißt drauf“, keift er, während er versucht, sich in sie hineinzuzwängen. Nicht, dass er fett ist. Er ist alles andere als das … doch ich muss zugeben, es sieht gequält aus. „Verdammt, wo ist meine beschissene Hose?“ Wenigstens verändert sich dadurch die Stimmung zwischen uns. Zwar nicht so, wie ich mir vorgestellt habe – auch wenn ich eigentlich an gar nichts mehr denken kann nach diesem Erlebnis – aber immerhin ist es nicht mehr so verkrampft.   „Da“, ich deute mit der Hand auf den Boden wo meine Jeans liegt, „neben meiner Hose.“   Fluchend streift er meine Shorts ab, ehe er sich seine nimmt und sie überzieht.   „Das ist verdammt übel. So verdammt übel“, wiederholt er immer wieder, während er sich eine Jogginghose aus dem Schrank greift und sie anzieht.   Er reagiert über, oder? Vielleicht hat er aber auch recht. Ich weiß es nicht. Mein Verstand tut sich schwer damit, klare Strukturen zu finden, die diese Situation erklären könnten.   Ich finde gar keine Bezeichnung dafür.   „Er weiß es. Er weiß, was wir getan haben.“ Womöglich. Mit ziemlicher Sicherheit. Schließlich waren wir nicht gerade leise.   Ziemlich gestört, dass ich jetzt daran denken muss, wie es sich angefühlt hat, mit ihm zu schlafen, oder? Ich kann es spüren. Alles. Selbst jetzt noch, als er unkoordiniert durch sein Zimmer läuft und vor sich hin schimpft, spüre ich ihn … tief in mir.   „Zieh dir was an! Wenn er meinen Eltern davon erzählt, dann sind wir gefickt!“   Gefickt … dieser Ausdruck. Er hat keinerlei Klasse, und doch beschreibt er genau das, was passiert ist. Er hat mich gefickt. Meinen Körper, meinen Verstand. Vielleicht sogar meine Würde, die betroffen unter dem Nullpunkt verweilt, während ich mich unter Argusaugen anziehe.   „Du wirst nach Hause gehen. Ich rede mit ihm.“ Als wir sein Zimmer verlassen haben – mein Schritt ist alles andere als fest – bugsiert er mich auch schon den Flur entlang und die Treppen nach unten, vorbei an Türen, die alle ausnahmslos geschlossen sind. „Ich werd mich melden.“   Ihm scheint gar nicht bewusst zu sein, wie sich dieser Moment anfühlt. Abgeschoben, weggedrückt und unwichtig zu sein. Genau so fühlt es sich an. Viel zu abrupt.   „Also doch der kleine Entenjunge.“ Als er jedoch die Vordertür öffnet und mich mich beinahe in seinen Bruder schubst, stoppen alle Bewegungen. Ich halte sogar den Atem an. „Ich hab mir schon gedacht, dass ihr sowas versuchen würdet.“ Die Hand seines Bruders landet auf meiner Schulter, hält mich fest. „Und deshalb hab ich gleich hier gewartet. Ab in die Küche mit euch.“ Er schiebt mich zurück ins Haus, mühelos.       Kann mich bitte jemand erschießen? Oder erstechen? Wo ist dieses beschissene schwarze Loch, wenn es gebraucht wird? Und warum spricht niemand?!   Wir sitzen hier. Zu dritt am Küchentisch. Schweigend. Die Augen seines Bruders wandern zwischen uns hin und her, während Naruto mit dem Bein wackelt und auf die Tischplatte starrt. Ich hingegen versuche die hässliche Eieruhr, die auf der Anrichte steht, mit meinem Blick zu fixieren. Sie ist grün. Etwas abgenutzt.   „Dann erzählt mal, wie es dazu gekommen ist.“ Kurzzeitig schließen sich meine Augen. Wie kann er so etwas fragen?   „Kyuubi … bitte. Das ist verdammt peinlich.“ Narutos Stimme klingt hell. „Wir haben nur … es ist nicht so wie du denkst.“   „Was denke ich denn?“   „Dass wir … dass wir schwule Dinge gemacht haben. Aber das haben wir nicht. Wir haben nur für ein Theaterstück geübt.“   „Geübt, wie man schwulen Sex hat? Ihr wart laut genug, Naruto.“   „Bullshit“, zischt Naruto und springt vom Stuhl auf. Erschreckend schnell, so dass ich mich dazu gezwungen fühle, ihn anzublicken. Er sieht wütend aus. „Du hast überhaupt keine Ahnung, also halt die Fresse!“, sagt er laut, und bevor sein Bruder etwas darauf erwidern kann, stampft er aus der Küche. Nur wenig später kann ich hören, wie die Haustür ins Schloss knallt.   Hat er mich gerade wirklich alleine gelassen?   „Also, dann erzähl du mir, wie es dazu kommen konnte, dass mein homophober Bruder mit dir schläft.“ Ich schlucke das schwere Gefühl im Hals herunter, als sich unsere Blicke finden.   Eigentlich geht es ihn gar nichts an. Absolut gar nichts.   „Warum interessiert es dich?“ Er zieht eine Augenbraue in die Höhe.   „Weil ich neugierig bin?“   „Es geht dich nichts an“, erwidere ich trocken und stehe dann, trotz schnellem Herzschlag, auf. „Wenn du irgendwas wissen willst, dann rede mit Naruto.“ Und ich warte auch nicht darauf, dass er mir antwortet. Ich will einfach nur raus. Weg von hier. Dieser seltsamen Situation, die ich nicht einordnen kann, die ich gar nicht einordnen will.         „Sasuke, das Essen ist fertig.“ Ich liege auf meinem Bett, den Blick auf die Wand gerichtet. Seit Stunden liege ich schon hier, zähle sich überschlagende Gedanken, die sich unmöglich ordnen lassen.   Ich habe mit Naruto geschlafen. Sex gehabt. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mit jemandem geschlafen. Mit meinem Traummann.   Es ist so surreal. Nicht greifbar.   „Sasuke?“   „Ich bin gleich unten“, sage ich und räuspere mich dann, da meine Stimme kratzig klingt.   Er hat gesagt, dass er sich melden wird. Doch das wird er nicht, richtig? Er muss es verarbeiten … wir müssen es verarbeiten.         Am nächsten Morgen fühle ich mich gerädert. Völlig erschöpft … und mein Hintern schmerzt. Die Stühle der Schule sind viel zu hart …   Und dabei sitze ich gerade erst fünf Minuten auf meinem Platz.   Kiba fehlt sowie Naruto, doch bei Naruto ist es keine Seltenheit. Und auch als er weitere fünf Minuten später endlich den Raum betritt, mit seiner üblichen Ausrede, wirkt alles wie immer. Mit der Ausnahme, dass er schnurstracks auf seinen Tisch zugeht, sich hinsetzt und mich ignoriert.   Aber das war zu erwarten, oder? Es wäre auch zu seltsam, wenn er mich angesehen hätte … nachdem wir …   Mein Handy vibriert und lässt meine Gedanken innehalten.     'Hey, hast du in der Pause Zeit, um über das Projekt zu sprechen?'   Dass mein Herz schneller schlägt, kann ich nicht verhindern. Er will mit mir reden. In der Pause. Über das Projekt?   'Ja. Bei der Sporthalle?'   'Ok'   Seine Antwort fällt knapp aus, doch das ist okay. Er will mit mir reden, nur das zählt.     Der Unterricht zieht sich in die Länge, und ich hätte nie gedacht, dass ich jemals so denken würde, doch als er vorüber ist und es zur Pause läutet, atme ich erleichtert auf. Naruto ist bereits aufgesprungen und losgestürmt und ich tue es ihm gleich, jedoch mit der Ausnahme, dass ich langsam zusammenpacke und den Raum wie gewöhnlich als einer der Letzten verlasse.   Wir haben fast 30 Minuten Zeit. Ich muss nicht hetzen. Ich kann gar nicht schneller laufen, da mein Kreislauf verrückt spielt. Ihn zu sehen, alleine auf der Bank sitzend, stellt schlimme Dinge mit meinem Organismus an. Zwar blickt er nach unten, selbst als ich vor ihm zum Stillstand komme, doch er sieht ernst aus.   „Hey“, sage ich, um mich bemerkbar zu machen, doch es dauert noch gefühlt zehn Sekunden, ehe er aufblickt.   „Hey Sasuke.“ Mit einem falschen Grinsen auf den Lippen sieht er mich an. Ein Grinsen, das sich unangenehm auf meinen Magen auswirkt.   „Du wolltest mit mir über das Projekt sprechen?“   „Eh, ja … hör mal, wäre es in Ordnung, wenn wir die Aufgaben so aufteilen, dass jeder einen Teil übernimmt? Ich werd die nächsten Wochen ziemlich wenig Zeit haben … und würde dann das, was ich machen muss machen und … dir dann schicken.“ Meine Stirn runzelt sich. Will er mir damit sagen, dass er keinen Kontakt mehr will?   „Du willst also das Projekt abblasen.“   „Nein. Ich hab nur wenig Zeit, um mich in Zukunft mit dir zu treffen … deshalb denke ich, dass es besser ist, wenn wir die Aufgaben festlegen, damit jeder seins machen kann.“   „Es ist aber eine Partnerarbeit.“   „Und?“, erwidert er irritiert. „Wäre nicht das erste Mal, dass sowas passiert.“ Allgemein wirkt er sehr distanziert. Es verletzt mich.   „Schon seltsam, dass du gerade jetzt feststellst, dass du keine Zeit mehr für Treffen hast.“   „Ja … ist aber so. Also geht das? Können wir Aufgaben festlegen? Ich werd auch versuchen, mich mit meinem Teil zu beeilen.“   „Nein.“ Er runzelt die Stirn.   „Wie nein?“   „Nein. Wir haben ein gemeinsames Projekt … und wenn du keine Zeit hast, dann können wir nicht daran arbeiten, fertig.“   „Willst du mich verarschen?“   „Sehe ich so aus?“ Er macht mich wütend.   „Was ist daran so kompliziert, Aufgaben festzulegen?!“, sagt er aufgebracht.   „Was ist daran so kompliziert mir zu sagen, dass du keinen Bock auf mich hast?!“, entgegne ich mit derselben Intensität, weil es mich wirklich trifft, dass er sich so verhält.   „Ok. Gut. Ich hab keinen Bock auf dich. Ich bin nicht schwul und das, was gestern passiert ist war ein Fehler. Ich liebe Sakura und-“ Ich lasse ihn nicht ausreden. Diese Worte, sie sorgen dafür, dass meine Beine mich wegführen. Schnell und weit. Hauptsache weg von ihm.   Wie kann er so etwas sagen? Nachdem was gestern passiert ist, wie kann er nur so etwas sagen?   „Sasuke!“, höre ich ihn laut rufen, doch mein Gehirn denkt nicht daran, meine Füße davon abzuhalten, an diesem Ort zu bleiben. „Bleib gefälligst stehen, wir sind noch nicht fertig!“ Mein Herz pocht rasend schnell in meiner Brust, als er mich plötzlich von hinten am Arm packt und grob herumreißt. Mit geweiteten Augen sehe ich ihn an, spüre den Schmerz in meiner Brust, der mich überkommt bei seinem Anblick.   „Fass mich nicht an“, zische ich defensiv und entziehe mich seiner Hand. Er schnauft.   „Warum haust du ab?!“, fordert er zu wissen, und dann passiert etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte. Meine Faust bewegt sich, ohne dass ich sie aufhalten kann. Findet zielsicher sein Gesicht, seinen Wangenknochen. Und es tut weh. Psychisch und physisch. Die Zeit scheint langsamer zu verlaufen, und gleichzeitig so schnell.   Ich habe ihn geschlagen. Ihm eine Faust verpasst. Und er taumelt. Blickt mich geschockt an, seine Finger an der Stelle, wo meine Knöchel keine fünf Sekunden zuvor getroffen haben.   „Was …“, haucht er. „Hast du … hast du mich wirklich gerade geschlagen?“ Er blinzelt – ich tue es ihm gleich – und dann bricht das Chaos frei. Mit einem Aufschrei stürzt er sich auf mich, ohne dass ich die Situation richtig realisieren kann. Dementsprechend hart ist der Aufprall, mein Rücken schmerzt, doch es ist nichts im Vergleich zu dem Gefühl, als mich seine Faust am Kiefer trifft.   „Du Bastard!“, schreit er und packt mich kurz darauf heftig schnaufend am Kragen. „Warum schlägst du mich?!“ Mit dem brennenden Schmerz meiner linken Gesichtshälfte blicke ich ihm entgegen, unfähig, etwas zu erwidern. „Was ist dein verficktes Problem, hä? Nur weil ich dich nicht will? Weil ich nicht schwul bin?!“   Es ist ein seltsames Empfinden, das mich flutet. Zelle für Zelle. Es erreicht jeden Winkel in meinem Körper, steigt mir zu Kopf und lässt mich klarsehen. Zum ersten Mal seit Jahren.   Ich verstehe es. Das hier. Ich verstehe es. Es bringt nichts.   „Sag endlich was!“, fordert er, sein Griff eisern.   „Es bringt nichts. Du wirst es nicht verstehen, weil du es nicht verstehen willst“, antworte ich, und zwar so, dass an dieser Resignation kein Zweifel bleibt. „Du bist nicht schwul“, wiederhole ich die Aussage, die ich schon unzählige Male von ihm gehört habe. „Aber ich bin schwul. Und auch wenn du mich nicht willst, ich will dich. Ich wollte dich.“ Seine Augen sind weit aufgerissen. Seine Finger lösen sich, doch er sitzt nach wie vor auf meinem Becken. Dass ich es ausgesprochen habe, löst keinerlei Gefühle in mir aus. Ich bin taub. Taub von der Erkenntnis.   „Du …“, haucht er. „Du … willst mich?“ Er klingt vorsichtig. Fernab von der Rage, von der er vor Sekunden noch besessen war.   Ich wollte dich, Naruto. So lange. Viele Jahre. Ich habe dich beobachtet. Fast täglich. Bei jeder Gelegenheit, die sich geboten hat. Ich war fasziniert von dir. Von all den Dingen, gut oder schlecht, ich wollte dich. Doch jetzt … jetzt bin ich mir nicht mehr sicher.   „Ich will, dass du von mir runtergehst“, erwidere ich ruhig, und er bewegt sich tatsächlich, allerdings ohne seine Augen von mir abzuwenden.   Es ist alles gesagt. In meinem Kopf liegen die Karten auf dem Tisch. Er hat sie gesehen. Hat einen Blick drauf geworfen. Doch es ändert nichts. Nichts ändert sich.   „Sasuke …“ Sein Ton klingt versöhnlich, beinahe mitleidig, und als ich mich aufrichte, sehe ich, dass er seine Finger nach mir ausstreckt. Eine Hand, die ich ignoriere. Ich will ihn nicht berühren. Nicht infizieren mit dieser Taubheit.   „Das Projekt ist mir egal. Such dir jemanden, der dir dabei helfen kann.“ Meine Stimme klingt abgeklärt. Klingt genauso wie die Tatsache, dass ein Stück von meinem Herzen gestorben ist.   „Sasuke, ich-“ Diesmal hält er mich nicht auf, als ich ihm den Rücken zudrehe und mich von ihm wegbewege.           „Er ist noch nie vorzeitig aus der Schule nach Hause gekommen, sprich mit ihm. Ich glaube er hat sich geprügelt.“   „Was hat er gesagt?“   „Er hat gesagt, dass er gestürzt ist, aber es sieht nicht aus wie eine Verletzung nach einem Sturz.“   „Seit wann ist er hier?“   „Seit halb elf.“   „Hast du auf seinem Stundenplan nachgesehen?“   „Ja, Sport stand nicht auf dem Plan. Fugaku … ich hab ihn noch nie so traurig gesehen … bitte sprich mit ihm.“   Eigentlich müssten sie wissen, dass ich sie hören kann. Ihr Schlafzimmer liegt neben meinem … die Wände sind nicht besonders dick.   „Ist gut, ich werde mit ihm reden.“   Ich habe keine Lust darauf, zu reden. Weder jetzt noch irgendwann. Ich will einfach nur hier liegen. Liegen und an gar nichts denken. Was unmöglich ist, denn man denkt immer über etwas nach. Ich zum Beispiel denke an das, was heute Morgen passiert ist. An die hässlichen Worte, die er mir entgegengeworfen hat. An den Blick, der sich unweigerlich in meine Netzhaut eingebrannt hat. Ich sehe seine Augen, wann immer ich meine schließe.   „Sasuke?“ Die Stimme meines Vaters zwingt mich dazu, mich vom Bett aufzurichten.   „Ja?“ Er öffnet die Tür und tritt dann in mein Zimmer. Sein abschätzender Blick trifft mich, er kalkuliert, kommt auf mich zu und setzt sich dann zu mir auf die Matratze.   „Was ist passiert?“   „Ich bin gestürzt.“   „Das sieht eher aus, als hätte dich eine Faust getroffen.“   „Ich bin auf der Treppe gestürzt.“ Er seufzt.   „Warum lügst du mich an?“ Ich presse die Lippen aufeinander, werde dadurch an den Schmerz erinnert, der mir physisch zugefügt wurde.   „Ich … ich will nicht darüber reden.“ Er schweigt einen Augenblick lang, greift dann unvermittelt nach meinem Kinn und mustert die geschundene Stelle.   „Passiert so etwas öfter?“ Ich runzle die Stirn, als seine Finger sich von meiner Haut lösen.   „Nein … es ist noch nie passiert.“   Schließlich bin ich nur ein Geist. Jemand, der nicht gesehen wird. Es wäre schon viel früher aufgefallen, wenn das der Fall wäre. Doch es war nie so. Ich war unsichtbar.   „Warum dann heute?“   „Ich kann nicht darüber sprechen …“ Ich will nicht darüber sprechen. Kein Wort will ich darüber verlieren. Es tut weh, daran erinnert zu werden. Und ein Gespräch würde dazu führen, dass diese Sache zu real wird. In meinen Gedanken kann ich wenigstens so tun, als wäre es nur ein schlechter Traum.   „Sasuke, deine Mutter und ich machen uns sorgen … hast du Ärger wegen deine Homosexualität?“ Meine Lippen verziehen sich automatisch und der Blick meines Vaters verändert sich. Natürlich geht er davon aus. Und eigentlich hat er damit auch recht. Nur sind die Umstände ganz anders. Viel verworrener. Völlig absurd.   „Also hast du dich deshalb geprügelt?“, hakt er weiter nach und sieht mich dabei ernst an. Wirkt fast schon so, als würde er gleich von mir verlangen, ihm Namen zu nennen, damit er mich rächen kann.   „Ich habe mich nicht geprügelt.“   „Also hat man dich geschlagen? Wer war es?“   „Dad, bitte … es ist alles okay.“   „Sasuke, wenn du die Schule verlässt und mit einer blauen Gesichtshälfte nach Hause kommst, ist nichts okay. Und jetzt sprich.“   „Ich will aber nicht darüber sprechen“, entgegne ich – und das nicht gerade leise. Warum muss er mich damit nerven? „Ich habe mich nicht geprügelt und es ist auch nicht weil ich auf Männer stehe, ich hatte einfach einen beschissenen Tag und will meine Ruhe.“ Er sieht schockiert aus, aber das ist mir egal.   „Sasuke … nicht in diesem Ton.“   „In welchen denn dann? Ich möchte nicht darüber reden, okay? Ich möchte nicht mal darüber nachdenken, also lasst mich einfach in Ruhe.“ Meine Augen fangen an zu brennen, verräterisch kämpfen sich die Tränen hervor. Ich bin wütend. So verdammt wütend auf diese verschissene Welt. Auf Naruto, auf meine Familie, auf Itachi, der mich im Stich lässt, auf meine Eltern die meinen, sie müssen sich überall einmischen, doch vor allem bin ich wütend auf mich selbst, weil ich mich wie eine billige Hure hingegeben habe. Dass ich auf dieses Spiel hereingefallen bin. Obwohl es hätte klar sein müssen, dass diese Sache zum Scheitern verurteilt ist.   „Sasuke“, sagt mein Vater ruhig. Seine Hand landet auf meiner Schulter. „Ich mache mir wirklich Sorgen … und ich möchte, dass es dir gutgeht.“   „Aber es ändert nicht daran, wenn ich darüber rede, also bitte … lass mich einfach in Ruhe.“ Er seufzt abermals, doch anstatt mich in Ruhe zu lassen, tut er etwas, das mich vollkommen aus der Bahn wirft. Er umarmt mich. Zieht mich zu sich heran und drückt mich an sich.   Verdammt … warum tut es so weh? Warum muss ich flennen, wenn ich es eigentlich gar nicht will?   „Auch wenn du jetzt nicht darüber reden kannst, sollst du wissen, dass deine Mutter und ich immer für dich da sind. Wir lieben dich und wollen, dass es dir gut geht.“ Seine Worte klingen so einfühlsam, dass ich gar nicht anders kann, als die Tränen laufen zu lassen. An seiner Brust halte ich mich fest, rieche sein Aftershave, das mich an frühere, längst vergessene Zeiten erinnert und lasse los.         Eine ziemlich lange Zeit vergeht, in der ich einfach nur dem beruhigenden Herzschlag in seiner Brust lausche. Wir sprechen nicht. Da ist nur seine Hand, die über meinen Rücken streichelt, mich schläfrig werden lässt. Doch irgendwann löst er sich von mir und blickt mir entgegen.   „Du solltest dich ausruhen. Ich werde dich für diese Woche in der Schule entschuldigen.“ Ich kann nur nicken. Bin so überrascht von dieser Aussage, dass ich es zulasse, dass er mich an den Schultern zurück drückt, so dass ich eine liegende Position einnehme. Er steht auf, läuft langsam zur Tür und blickt dann über seine Schulter hinweg zu mir herüber. „Egal was passiert ist, wir sind für dich da.“       Und es stellt sich heraus, dass meine Eltern tatsächlich für mich da sind. Mein Vater hat mich nicht nur für diese Woche entschuldigt, sondern mir angeboten, am Wochenende etwas mit mir zu unternehmen. Nur wir beide. Meine Mutter hingegen umsorgt mich wie eine Henne. Da sie nicht arbeitet, hat sie viel Zeit, um mich zu nerven.   „Geht es dir auch wirklich gut?“   „Ja, Mum.“   „Hast du noch genug von der Salbe?“   „Ja …“   „Und du willst sicher nichts essen? Ich hab noch Auflauf im Kühlschrank.“ Ich verdrehe die Augen. Sie steht neben meinem Bett, das ich die gesamte Woche über nur zum Duschen oder Essen verlassen habe.   „Ich hab keinen Hunger.“ Sie sieht mich besorgt an, doch gibt dann scheinbar auf.   „Okay, dann werde ich jetzt deinen Vater abholen.“ Ich nicke. Ein paar Stunden Ruhe vor ihr werden mir sicherlich guttun. Da mein Dad heute auswärts arbeitet, kann ich mit Sicherheit drei bis vier Stunden einplanen, bis sie wieder hier sind. Genügend Zeit, um mich davon abzulenken, wie beschissen mein Leben ist.     Die erste Stunde verbringe ich damit, in der Badewanne einzuweichen. Nebenbei läuft leise klassische Musik, das Licht ist gedämpft, der Rollladen nach unten gefahren. Das heiße Wasser macht mich müde, versetzt mich in einen angenehm beruhigten Zustand, der allerdings dadurch beendet wird, da es an der Tür klingelt. Und zwar Sturm.   Wer zum Henker stört meine Ruhe? Dass derjenige, der vor der Tür steht, leider Pech hat, da ich nicht aufstehen werde, wird er schon merken. Zwar dauert das penetrante Klingeln noch gefühlte zehn Minuten, doch es geht mir am Allerwertesten vorbei.   Jetzt ist Sasuke-Zeit. Ruhezeit. Zeit, die ich langsam beende, indem ich aus der Wanne steige und meinen Bademantel anziehe. Meine Mutter hat ihren Schlüssel … und wenn etwas wäre, dann hätte man mich angerufen … also muss ich mir keine unnötigen Sorgen machen.       Die Luft, die mir entgegenkommt, als ich die Badezimmertür öffne, ist kühl. Kein Wunder, wenn die Haut feucht ist …   „Sasuke.“ Ich erstarre, obwohl ich mich zeitgleich so sehr erschrecke, dass ich das Gefühl habe, mein Herz bleibt stehen. Verwirrt blicke ich in blaue Augen.   „Naruto?“   „Eh … ja?“   „Wie zur Hölle bist du hier reingekommen?!“ Mein anfänglicher Schock wandelt sich in Wut, und zwar rasend schnell.   „Durch das Wohnzimmerfenster?“   „Was willst du hier? Das ist Hausfriedensbruch!“   „Ich will mit dir reden!“ Obwohl er diesen Satz laut von sich gibt, wirkt er irgendwie … verloren?   „Worüber? Wir haben nichts mehr zu bereden. Wenn um das Projekt geht, dann such dir einen anderen Partner.“ Ich bin mir nicht sicher, weshalb mein Herz noch immer so schnell schlägt, doch eigentlich kann es nur an der Tatsache liegen, dass Naruto wirklich Kontakt zu mir sucht. In mein Haus einbricht, um mit mir zu reden …   „Es tut mir leid“, höre ich ihn sagen. „Es tut mir leid, dass ich so ein Wichser war. Ich war nur so überfordert mit dieser Situation und … es tut mir leid, dass ich dich geschlagen hab und es tut mir leid, dass ich mich verhalten hab wie ein Arschloch und dir gesagt hab, dass ich dich nicht mehr sehen will. Ich will dich sehen … du fehlst mir … und ich, ach fuck it-“ Er unterbricht sich selbst und erschreckt mich, da er mich ohne Vorwarnung gegen die Wand im Flur drückt. „Ich … ich glaub, ich bin ein bisschen schwul.“ Ich blinzle. Was?   „Du bist ein bisschen schwul?“ Träume ich gerade? Warum nickt er … und warum sieht er mich so ratsuchend an?!   „Ja … ich bin ein bisschen … ich weiß nicht, ich muss ständig an dich denken und an das, was wir getan haben … und … keine Ahnung, es macht mich geil?“   „Willst du mich gerade verarschen?“   „Würde ich in dein Haus einbrechen, wenn es so wäre? Ich will mich entschuldigen … und dir sagen, dass ich dich mag … so mehr mag und so“, nuschelt er den letzten Teil seines Satzes und diesmal bin ich mir sicher, dass mein Herz genau aus diesem Grund anfängt, wie wild in meiner Brust zu trommeln. „Ich … ich weiß nicht, was mit mir nicht stimmt, aber ich weiß, dass ich dich vermisse … und ständig daran denke-“   „Naruto“, unterbreche ich seinen Monolog. „Heißt das, du willst mich auch?“   „Ja.“ Meine Beine fühlen sich weich an. Ausgelöst durch dieses kleine Wort, dessen Bedeutung in meinem Verstand härter einschlägt als eine Abrissbirne.   Doch es ist nichts im Vergleich zu dem Gefühl, das von mir Besitzt ergreift, als er mich berührt. Unsere Lippen treffen sich, langsam, vorsichtig, doch sie tun es. Streifen übereinander – meine Finger greifen in den Stoff seiner Jacke – während seine Hände auf meiner Hüfte landen und mich festhalten.   „Genau das“, haucht er, kurz bevor er mich küsst. Leidenschaftlich, hitzig und wild. So fordernd, dass Schwindel entsteht und mich dazu zwingt, meine Finger wandern zu lassen. Seine Jacke fällt zu Boden und seine Hand schlüpft unter meinem Mantel, bringt mich unweigerlich zum Keuchen.   „Warte“, unterbreche ich unseren Kuss, da ich kurz davor bin, die Beherrschung zu verlieren. Meine Gedanken überschlagen sich, während mein Herz danach schreit, mich auf der Stelle von ihm nehmen zu lassen.   Doch ich kann nicht. Nicht jetzt. Nicht so plötzlich.   „Sasuke?“ Seine Stimme klingt leise, fast schon vorsichtig.   Ich will dich. In diesem Moment will ich dich mehr als jemals zuvor, doch ich habe Angst vor den Konsequenzen.   „Ich … ich muss nachdenken.“ Ich bringe Abstand zwischen uns, indem ich zur Seite ausweiche. Er blickt mich getroffen an, doch ich zwinge mich dazu dem Drang zu widerstehen, sofort in seine Arme zu stürmen. Ich darf nicht schwach sein, denn wenn ich schwach bin, dann werde ich verletzt.   „Ich will … ich will nicht, dass es …“ Ich ringe mit den Worten, die in meinem Verstand klar definiert sind, aber nicht über meine Lippen wollen.   „Okay“, sagt er. „Du hast Angst.“ Unbewusst halte ich die Luft an, als er erneut auf mich zukommt. „Ich kann dich verstehen … ich war ein Arschloch … aber das war nicht meine Absicht. Es ist alles nur so … verwirrend? Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, ohne dass es scheiße klingt.“   „Sag es einfach.“ Ehrlichkeit ist schließlich immer besser, selbst wenn sie wehtut.   „Ich bin nicht schwul, okay?“ Da ist er wieder, dieser Satz, dem man kaum noch Glauben schenken kann, wenn man Zeuge davon geworden ist, wie er sein kann. „Aber ich bin … scharf auf dich. Du machst mich geil“, er lässt eine kurze Pause entstehen, ehe er weiterspricht: „Verdammt … das klingt beschissen. Ich meine, du bist ein Kerl, aber ich stehe trotzdem auf dich!“ Blinzelnd verarbeite ich seine Wörter. Es klingt in der Tat ziemlich bescheiden. „Ich meine, ich stehe nicht auf Typen! Wenn ich mir Sai oder Kiba vorstelle, dann bekomme ich das blanke Kotzen! Aber bei dir … bei dir ist es anders. Ich hab mir die Woche schon dreimal einen runtergeholt, während ich an dich gedacht hab!“ Gegen meinen Willen spüre ich Wärme meinen Nacken entlang kriechen. Wie kann er nur so etwas sagen! Laut sagen … dieser …   „Und verflucht, Sasuke, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich war nie schwul … aber jetzt … jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Ich weiß nur, dass ich dich will. Diese Woche hat mich wahnsinnig gemacht!“ Mir fehlen die Worte. Wirklich, sie fehlen mir komplett. Sogar mein Verstand liegt blank, obwohl tausende von Gedanken mein Gehirn überschwemmen. Warum tut er das? Warum lässt er mich mit dieser geschmacklosen Aneinanderreihung von kitschigen Wörtern so schwach werden? „Fuck, das ist so-“ Er grollt, rauft sich die Haare und sieht mich mit einem Blick an, der mich die Luft anhalten lässt. „Sag was“, fordert er dunkel und kommt dann weiter auf mich zu. Wieder befinde ich mich dabei in einer Position, die mir ein Ausweichen erschwert.   „Ich weiß nicht, was du von mir hören willst“, erwidere ich ehrlich und zucke reflexartig zurück, als er seine Hände links und rechts von meinem Kopf gegen die Wand stützt.   „Ich will hören, was du dazu denkst.“   „Ich weiß es nicht.“   „Aber irgendwas musst du denken!“ Irre ich mich oder wird er wütend?   „Was möchtest du von mir hören?“   „Dass du mich immer noch willst!“   „Und dann? Was ändert es?“   „Alles!“ Ich schnaube. Dieser fliegende Wechsel von Emotionen ist anstrengend. Was will er von mir?   „Was ist mit Sakura?“ Er runzelt die Stirn.   „Was hat Sakura damit zu tun?“   „Sie ist deine Freundin? Du hast mir gesagt, dass du sie liebst!“   „Das ist ein völlig anderes Thema!“   „Inwiefern ist es ein anderes Thema? Wenn du mit mir rummachen willst, dann ist sie sehr wohl ein Thema!“   „Sasuke … lass sie einfach da raus.“   „Ist das dein Ernst?“ Er schnauft.   „Mein voller Ernst.“ Sein Gesicht kommt mir näher, doch entgegen meiner Erwartung versucht er nicht mich zu küssen. Seine Wange landet auf meiner, ich spüre seine Lippen direkt an meinem Ohr. „Das betrifft nur uns beide“, sagt er leise. „Ich will herausfinden, was es ist … und dann regeln wir den Rest.“ Unwohlsein macht sich in mir breit. Es klingt so grundverkehrt, dass mein Magen sich verkrampft.   „Also bin ich dein Versuchskaninchen?“, spreche ich schließlich den Gedanken aus. Sein Atem streift mein Ohrläppchen.   „Ich brauche nur etwas mehr Zeit.“ Warum ich mein Gesicht zu ihm drehe, verstehe ich nicht. Und dass unsere Lippen sich kurz darauf treffen, ist noch weniger verständlich. Warum gebe ich nach?   Ich will dich schon so lange. So verflucht lange, Naruto Uzumaki. Du bist das Zentrum. Das Licht, das mich magisch anzieht. Die Sonne, die mich blind werden lässt, je länger ich sie anstarre. Jede Sekunde ein bisschen mehr. Und doch kann ich mich deiner Wärme nicht entziehen. Ich liebe dich. Auch wenn ich weiß, dass du mir womöglich das Herz brechen wirst.   Ich lasse mich von ihm verführen. Von seinen Fingern manipulieren, von diesen Küssen, die mich betrunken machen und mir zeigen, wie machtlos ich bin. Ich kann mich nicht dagegen wehren. Jede Faser meines Körpers ist auf ihn fixiert, verzehrt sich nach ihm. Und er weiß es. Er weiß es ganz genau.   „Sasuke.“ Sein Stöhnen fließt in mein Bewusstsein. Verschluckte Laute, die von meinen Lippen dringen, weil er mich immer und immer wieder voller Leidenschaft küsst. Seine funkelnden blauen Augen, sie strahlen. Erwidern meinen Blick und fesseln mich.   „Naruto ...“                 „Naruto! Wie oft hab ich dir gesagt, dass du es andersherum schreiben musst! Du hast die ganze Tinte verschmiert!“   „Heh, sorry Sakura-chan.“   „Sorry Sakura-chan am Arsch. Du weißt genau, dass mein Dad ausrasten wird, wenn er deine Sauklaue sieht.“   „Dann sag ihm, dass du es warst?“   „Er kennt deine Schri- Naruto! Hör auf damit!“     Es ist ein seltsames Gefühl zuzusehen, wie Naruto mit Sakura umgeht. Wie sie beide miteinander umgehen. Hier in der Schulkantine, direkt neben mir.   Diese Austausch macht mich krank.   Sie weiß nicht, was ihr Freund vor drei Tagen in meinem Zimmer mit mir getan hat. Hat nicht den blassesten Schimmer, dass er mehr als nur einmal mit mir geschlafen hat.   „Ahh, Sasuke, hilf mir!“ Er rutscht näher an mich heran und zieht schützend seinen rechten Arm in die Höhe.   „Wehe! Du hast es verdient!“ Und sie kommt ihm nach.   Wieso zur Hölle habe ich zugestimmt, in der Pause hier zu sein? Lag es an dem schwindelerregenden Kuss, den er in der ersten Pause auf der Toilette von mir gefordert hat? An dem Versprechen, am Wochenende etwas mit mir zu unternehmen?   Ich muss verrückt geworden sein.   „Sasukeeee!“ Sein Quengeln lässt mich schnauben.   Dieses Spiel hier … es ist abstoßend. Warum also sitze ich noch hier? Weshalb laufe ich nicht so weit weg, wie mein Verstand es von mir verlangt?   Seine Hand, die auf meinem Bein landet, sorgt für augenblickliche Anspannung der Muskeln. Ist er wahnsinnig?!   „Naruto, ich schwör es dir, du wirst diesen Satz so oft neu schreiben, bis er perfekt ist!“ Seine Freundin ist neben uns! Sie könnte alles sehen! Und er … er hat nichts Besseres zu tun, als mich zu berühren?   Mir stockt der Atem, als er mit seinen Fingern höher wandert.   „Mahhh, okay. Aber lass mich erst ein bisschen chillen, ich hab keine Lust in der Pause zu schreiben.“   „Du hättest es aber dringend nötig, stimmt's, Sasuke?“ Warum spricht sie mich an? Merkt sie nicht, dass ich mich darauf konzentrieren muss, nicht umzufallen?   „Kann sein“, erwidere ich betont ruhig, darum betend, dass ich auch so klinge wie gewollt.   „Wie gemein … ihr seid beide so gemein zu mir“, sagt er gespielt niedergeschlagen, ehe er mir in den Oberschenkel kneift. „Dafür gibt es Rache.“   „Pah, deine Rache ist lahm.“   „Sakura-chan.“   „Ist doch die Wahrheit.“   Wenn sie nur wüsste. Gott, das hier ist so krank.   Ich springe von der Bank auf, als seine Finger über meinen Schritt streifen. Hat er noch alle Tassen im Schrank? Natürlich liegt der komplette Fokus der Gruppe auf mir. Sogar die Schüler an den umliegenden Tischen schenken mir ihre ungewollte Aufmerksamkeit.   „Alles okay, Sasuke?“ Sakura ist die letzte, die mich das fragen sollte. Nichtsdestotrotz antworte ich:   „Ja … ich muss nur auf Toilette.“ Ich ignoriere die skeptischen Blicke und ziehe mich zurück, ohne Naruto oder die anderen noch einmal anzusehen. Ich muss mich abkühlen. Runterkommen von dem Erlebnis, das sich verstörend auf mein Gemüt ausgewirkt hat.   Genau aus diesem Grund steuere ich auch wirklich die Toilette im ersten Stock an.   Weshalb tut er das? Dafür, dass er sich Zeit lassen wollte, geht er ganz schön ran. In unmittelbarer Nähe seiner Freundin, die der Grund ist, weshalb er sich Zeit lassen will. Es ist verdammt verwirrend!   „Sasuke?“ Dass ich nicht alleine bin, stelle ich fest, als ich die Tür zur Toilette öffne. Kiba ist hier, er steht am Waschbecken und sieht mich mit angezogener Augenbraue an.   Toll … warum er? Ausgerechnet er? Narutos ehemaliger bester Freund, der sich heute im Klassenzimmer einen neuen Tisch gesucht hat …   „Hn.“   „Hn? Ist das überhaupt ein Wort? Du siehst aus wie ne Tomate, was ist passiert?“ Ich verdrehe die Augen und laufe an ihm vorbei, um eine der Kabinen zu betreten. Vorsorglich verriegle ich auch gleich die Tür. „Ah, ich verstehe. Wahrscheinlich hat es was mit Naruto zu tun?“ Kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen? „Er und seine Bitch verstehen sich scheinbar wieder gut, huh? Darf ich fragen, weshalb du dir den Stress überhaupt gibst, bei den beiden zu sitzen?“   „Kannst du einfach gehen?“, erwidere ich mental erschöpft. Ich will einfach nur meinen Frieden. Ich …   „Nope.“ Kurz darauf wird es still. So still, dass ich für einen Moment lang vergesse, dass ich nicht alleine bin. Doch Kiba erinnert mich daran, dass ich es nicht bin. „Kannst du dich noch an die Aufnahme erinnern? Die, die ich in deinem Haus gemacht hab? Ich hab sie immer noch …“ Droht er mir schon wieder?   „Was willst du?“, brumme ich und öffne dann die Tür. Er steht an der Wand angelehnt, mir direkt gegenüber.   „Nur ein paar Infos. Wie kommt es, dass er dich küsst und nicht ignoriert? Schließlich hat er doch immer gesagt, dass er nicht schwul ist.“   „Du hast das Gegenteil behauptet, also denk dir einfach deinen Teil.“ Er reißt die Augen auf, seine Lippen sind geöffnet.   „Scheiße! Er ist also doch schwul!“ Ich verdrehe die Augen. Wie kann ein Mensch nur so dumm sein?   „Ist er nicht … denn wie du weißt, hat er eine Freundin.“   „Dann eben bi! Hat er dich nochmal geküsst?“ Wenn er nur wüsste.   „Nein.“ Naruto hat mich nicht nur einmal geküsst. Nicht nur zweimal … er hat viel mehr getan als nur das.   „Aber er meidet dich auch nicht. Also hat er sich rausgeredet?“   „Er war betrunken.“ Kiba lacht.   „Dafür dass er betrunken war, weiß er noch ganz schön viel. Oder was meinst du, weshalb er nicht mehr mit mir redet?“   „Weil du ein Arschloch bist?“ Jetzt grinst er.   „Weißt du was ich glaube? Dass er sehr wohl weiß, was da zwischen euch war. Er überspielt es nur. Und insgeheim findet er dich geil.“ Diesmal muss ich grinsen. Er hat keine Ahnung, wie richtig er damit liegt. Nur ist es nicht meine Aufgabe, ihm das zu sagen.   „Wenn du meinst.“   „Jup. Genau das meine ich. Vielleicht sollte ich die Sache ja auffliegen lassen?“, sagt er und stößt sich dann von der Wand ab, um auf mich zuzukommen. „Wäre doch lustig, wenn die ganze Schule davon erfährt, dass du schwul bist. Dann müsste Naruto handeln. Vor allem, wenn ich erzähle, dass er dich geküsst hat.“ Schnaubend verschränke ich die Arme vor der Brust   „Warum? Was hast du davon?“ Er zuckt mit den Schultern.   „Ein bisschen Action. Es ist so langweilig im Moment, verstehst du?“ Nein, das verstehe ich nicht. Denn für mich ist es alles andere als das.   „Halt dich einfach raus.“   „Raushalten klingt schwer … aber vielleicht überleg ich es mir, wenn du mir einen Gefallen tust.“ Ich runzle die Stirn.   „Vergiss es. Ich kenne deine Gefallen. Ich werde ganz sicher kein zweites Mal ein Kleid für dich tragen.“ Er gluckst.   „Nää, keine Sorge. So hübsch du auch sein kannst, wir alle wissen, dass der Schein trügt.“   „Was willst du?“   „Hmm, wenn du so fragst“, sagt er grinsend. „Ich hab da Probleme mit ein paar Berichten, die ich anfertigen muss.“   „Du willst, dass ich deine Hausaufgaben mache?“   „Exakt.“ Sein Grinsen wird noch breiter.   „Und wenn ich ablehne?“   „Dann wird unser Gespräch über die Lautsprecher laufen.“   „Das ist Erpressung.“   „Ich nenne das ein Geschäft.“ Dieser Typ … am liebsten würde ich ihm ins Gesicht schlagen. Mit einem Stuhl.   „Ich hasse dich.“ Sein Grinsen ebbt langsam ab, doch es verschwindet nicht.   „Ich weiß, aber das ist egal. Hilf mir, damit dein Geheimnis geheim bleibt.“           „Wo warst du?“ Narutos Stimme holt mich aus meinen Gedanken. Ich kann ihm schlecht sagen, dass ich auf der Toilette ein widerwärtiges Arschloch getroffen hab, das mich erpresst, deshalb ziehe ich es vor, ihn anzuschweigen. „Bist du sauer? Tut mir leid … ich wollte dich einfach anfassen.“ Dieser Idiot. „Sie hat mich einfach so extrem genervt …“ Dann mach mit ihr Schluss, du Idiot … „Sasukeee, rede mit mir.“   „Warum bist du überhaupt hier?“   „Weil ich dich sehen wollte.“ Ich habe mich in der Freistunde direkt in die Bibliothek verkrochen, natürlich in der Hoffnung, mich mit Büchern von der Realität abzulenken, doch man lässt mich nicht.   „Wie du siehst bin ich hier.“ Ich höre ihn schnauben, dann spüre ich seine Hand auf meiner.   „Es tut mir leid.“   „Und was genau tut dir leid?“   „Heh. Weißt du, dass du gerade ziemlich weiblich wirkst?“ Ich verdrehe die Augen. „Mir tut leid, dass ich dich ohne Zustimmung befummelt hab. Aber ich hab es gern getan, also tut es mir nur noch halb so leid. Und das wiederum tut mir leid, weil es mir nicht so leid tut wie es sollte und-“   „Naruto … halt einfach die Klappe.“ Er kichert.   „Ist alles gut zwischen uns?“ Gar nichts ist gut … absolut gar nichts. Und ausnahmsweise sind mein Herz und mein Verstand sich in dieser Sache einig.   „Ja.“ Doch lügen ist leichter, als undefinierbare Gefühle zu beschreiben.   „Fein. Kommst du später zu mir? Meine Eltern sind nicht da … und mein Bruder hat 24-Stunden-Dienst. Wir könnten an dem Projekt arbeiten …“ Warum grinst er so? Ah … das Projekt.   „Okay.“ Er sieht sich kurz um, doch außer uns ist niemand hier. Ich habe vorhin zweimal nachgesehen, um auch ja meine Ruhe zu haben. „Sasuke?“ Er blickt mich an. Ein Blick, den ich fragend erwidere. „Darf ich dich küssen?“ Dieser … verdammt. Warum sagt er sowas? Dass mein Herz anfängt, wild in meiner Brust zu trommeln, ist kein Wunder. „Weißt du was? Ich tu es einfach.“ Er beugt sich zu mir und drückt mir seine warmen, weichen Lippen auf. Seine Hand fährt in meinen Nacken und hält mich fest. Ich spüre seine Finger, die über meinen Haaransatz streifen und mich leise seufzen lassen. Dieser Mann … Natürlich nutzt er diesen Umstand aus, um den Kuss zu intensivieren.   Es ist nicht fair, wie schwach ich bin, wenn es um dich geht. Mein Körper gehorcht mir nicht. Ich will mehr, obwohl mein Verstand ganz klar sagt, dass es besser wäre, auf Abstand zu gehen. Wenn ich darüber nachdenke, weiß ich, dass ich verloren habe. Es ist nicht fair …     Als ich später um die vereinbarte Zeit bei Naruto klingle, verspüre ich eine gewisse Aufregung. Wir werden alleine sein … und so wie er heute geklungen hat, wird er mit Sicherheit nicht nur das Projekt bearbeiten wollen.   „Hey Sasuke-Cakes.“ Sein Grinsen ist das erste, was mir auffällt, ehe mein Blick auf seine nackte Brust fällt. „Komm rein. Ich will noch fix duschen, das Training war hardcore.“ Nickend trete ich ein und ziehe mir die Schuhe im Flur aus. Für einen Moment lang hab ich gedacht, dass er … „Nehm dir ruhig was zu trinken, kay? Und mach es dir auf meinem Bett bequem.“ Gegen Ende des Satzes wackelt er mit den Augenbrauen, ehe er mir einen Kuss gibt und dann den Rücken zudreht, um vorzugehen. Dieser Spinner …   Sein Zimmer ist wie immer schlampig geordnet und wieder liegt der dezente Duft von billigen Duftkerzen in der Luft. Entgegen meiner Erwartung liegen Schulunterlagen auf dem Bett, auf dem ich mich niederlasse. Von wegen ich hab eine unleserliche Schrift. Seine ist mindestens genauso schlimm. Eine Feststellung, die mich automatisch zurück zur heutigen Schulpause führt. Ich weiß, dass Sakuras Schrift ordentlich ist. Sauber und akkurat. Sie schmiert nicht. Sie lässt sich Zeit, um Dinge schriftlich zu erfassen. Was sie wohl gerade tut? Ob sie weiß, dass ich hier bin? Mein Blick fällt auf das kleine, schwarze Stück Plastik, das halb unter einem Schnellhefter hervorragt. Es ist sein Handy. Dessen Display blinkt.   Wenn man vom Teufel spricht …   Ich greife danach, ohne bewusst darüber nachzudenken und stelle dann fest, dass sie ihm eine Nachricht geschrieben hat, die ich nicht vollständig lesen kann, da das Display wieder dunkel wird. Ob er einen PIN benutzt? Ich atme ein, ehe ich auf den Knopf drücke, der das Handy zum Leben erweckt.   Er hat keine Sicherung … ich könnte also lesen. Alles lesen. Doch will ich das überhaupt? Ja … ich will. Ich will verdammt nochmal alles wissen.   'Hey Bübü, was treibst du gerade? War das Training ok?'   Das ist die Nachricht, die sie ihm vor weniger als drei Minuten gesendet hat. Tja … er duscht, du Subjekt.   Ich scrolle weiter herunter und ignoriere die Tatsache, dass sie nun sehen kann, dass er online ist.   'Der Blowjob war total geil … ich bin schon wieder geil. Kannst du deinem Dad nicht sagen, dass wir ein Projekt haben oder so? Ich brauch dich T_T!'   Mein Magen fühlt sich flau an. Diese Nachricht ist einen Monat alt. Sie erinnert mich schmerzhaft daran, dass er auch Dinge mit ihr gemacht hat.   'Ich lieb dich Babe! Kann es kaum erwarten, dass deine Eltern endlich weg sind, hehehehehehehe. Zieh dir was Schönes an, kay? Ich hab viel mit dir vor'   Schnaubend lege ich das Handy zur Seite. Liebe … Liebt er sie nach all dem was passiert ist noch immer? Wieder blinkt das Display auf, und wieder ist sie es, der schreibt.   'Bübü? Alles okay bei dir?' Ich deaktiviere sämtliche Benachrichtigungen, ohne dass ich darüber nachdenke und schließe dann den Chat, ehe ich das Handy wieder dahin lege, wo es war. Sicherlich falsch von mir, doch ich möchte nicht, dass sie uns stört. Sie soll wegbleiben. Sich endlich verziehen. Dieses dumme Miststück. Sie macht alles kaputt. Nur wie schaffe ich es, dass sie ihn in Ruhe lässt? Was hat sie denn bitte an sich, das ihm gefällt? Sind es die Blowjobs? Der Sex?   „Awww, ich dachte, du hättest dich bereits ausgezogen.“ Ich zucke ertappt zusammen, da ich gar nicht gehört habe, wie er ins Zimmer gekommen ist. Er steht da, hat nur ein Handtuch um die Hüften …   Ich stehe vom Bett auf, um auf ihn zuzugehen. Er mag Sex, richtig? Er steht drauf, wenn man ihn zum Kommen bringt.   „Sasuke? Was ist los? Du siehst so-“ Ich lasse ihn verstummen, indem ich meine Lippen auf seine drücke und ihn heftig küsse. Wenn das eine Möglichkeit ist, ihn vergessen zu lassen, dass sie existiert …   „Woah … ich hab ja gewusst, dass ich sexy bin, aber dass ich so ne Wirku-“   „Halt den Mund.“ Meine Stimme klingt dunkel, ohne dass ich diesen Umstand bewusst beeinflusse. Ich ziehe ihn nach hinten, drücke ihn auf die Matratze neben seine Unterlagen. Mein Blick streift kurz über das Display seines Handys …   „Was hast du vor?“ Doch dann richte ich meine Augen auf ihn. Was ich vorhabe? Ich werde dir dabei helfen, sie zu vergessen. Dafür sorgen, dass du nur noch mich willst.   Ohne ihm verbal zu antworten ziehe ich sein Handtuch weg und rutsche dann nach unten zwischen seine Beine. Er hat sich auf seine Ellenbogen gestützt, blickt mir mit leicht geöffnetem Mund entgegen.   „Sasuke … was-“ Er verstummt, als er bemerkt, was ich vorhabe. „Sasuke ...“   Ja … so werde ich dich dazu bringen, sie endlich zurückzulassen. Ich bin besser als sie. Wir passen viel besser zusammen. Sie ist es nicht wert. Und dass sie dich berührt hat, genau an dieser Stelle, muss berichtigt werden.     Du brauchst sie nicht. Nie wieder. Du hast mich. Und wenn du mich hast, dann haben wir uns. Das ist alles, was wir brauchen.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)