Fachidiot von JiskahRedHood (Die Schmieden von Dravasuum) ================================================================================ Kapitel 7: ----------- 7. Kapitel Ein Wind zerrte so stark an Philipps Armen und Beinen, dass er das Gefühl hatte auseinander gerissen zu werden. So feste er nur konnte presste er die Augen zusammen aber die hellen Blitze, in allen erdenklichen Farben, nahm er noch immer deutlich war. Mit aller höchster Konzentration gelang es ihm endlich das los zu lassen, was er die ganze Zeit so schmerzlich in seiner linken Hand gehalten hatte, was war es noch gleich gewesen? Er wusste es nicht mehr, aber es zerrte ihn fort von dem was wichtig war. Alles was zählte, war sich an dem anderen Ding in seiner Rechten festzuhalten, dem Stab Morendras. Unter einem Schrei, den er selbst nicht hören konnte, gelang es ihm sich nun mit beiden Händen an dem heiligen Relikt der Ellydren fest zu klammern. Plötzlich wurde alles um ihn herum dunkel, und er befürchtete schon das sein Ende gekommen war, bis er ein Geräusch wahr nahm das er sehr gut kannte, aber schon einige Tage nicht mehr gehört hatte. Das Hupen eines Autos und eine Folge an üblen Flüchen die sich zwei verärgerte Fahrer entgegen warfen. Wörter fielen nach deren Bedeutung ihn Lilly einst gefragt hatte, und er ihr antwortete das sie das besser nicht wissen sollte. Ruckartig öffnete er die Augen und ließ den Blick umher schwirren. Es war dunkel, eher später Abend als mitten in der Nacht, ein Eichhörnchen schnatterte von dem großen Walnussbaum hinunter, und als er den Blick senkte, registrierte er, dass er mit beiden Füßen in den frisch gepflanzten Blümchen seiner Mutter stand. Direkt neben ihrem Heiligtum, dem Gemüsegarten. Sie war Floristin, niemand außer ihr durfte ihren Beeten nahe kommen, schon gar nicht beide Füße hinein setzen und alles verwüsten. Nun gut, etwas um das sich der junge Bursche im Moment keine Sorgen machte. Ihm gegenüber stand Lilly. Ihre Knöchel waren weiß, so feste klammerte sie sich an den Stab Morendras. Ihre Gesichtsfarbe war auch schon mal gesünder gewesen. Die Äste auf ihrem Kopf bildeten sich langsam zurück, genau wie die Blätter und die Ranken die ihren Körper verdeckten. Eilig zog sich Philipp die Sweatjacke aus und legte sie noch gerade rechtzeitig um ihre Schultern, bevor die Blätter gänzlich verschwanden. „Wir... ich bin wieder zu Hause!“ Philipp keuchte vor Erleichterung auf und schloss für einen Moment die Augen. „Danke!“ Lilly antwortete nichts, und schlüpfte durch die Ärmel um den Reißverschluss zuzuziehen. Ein Surren erklang, brachte die kühle Nachtluft um ihn herum zum Schwingen. Dazu, sich Gedanken zu machen was es wohl bedeuten könnte, kam er nicht, schon in der nächsten Sekunde rauschte etwas direkt neben ihm vorbei und bohrte sich tief in das Blumenbeet seiner Mutter. Scharf zog Philipp die Luft ein als er registrierte was da gerade vielleicht zehn Zentimeter neben ihm nieder gegangen war. Er starrte auf das Schwert das er im Flug durch Raum und Zeit los gelassen hatte, und das ihm auf Dravasuum sehr hilfreich gewesen war. Wie benommen taumelte er einige Schritte zurück und trampelte bei der Gelegenheit gleich noch ein paar mehr Blümchen nieder. „Philipp pass doch auf!“ Lilly belegte ihn mit einem finsteren Blick. In seinem Kopf drehte sich alles im Kreis, gerade eben hatte er noch in einer fremden Welt gegen eine Hexenmeisterin gekämpft und nun stand er wieder zu Hause in seinem Garten. Er war nur wenige Tage fort gewesen, aber seine Eltern mussten doch umgekommen sein vor Sorge! Wie von der Tarantel gestochen sauste er um das Haus herum und drückte mehrmals auf die Klingel. Im Ganzen Haus war nicht an einem Fenster Licht zu sehen, niemand kam um ihm die Tür zu öffnen. Endlich fiel ihm ein, das er doch den Schlüssel immer praktischerweise mit einem Schlüsselbändchen an seiner Jeans befestigt hatte. Eilig griff er in seine Tasche, voller Panik ihn in der anderen Welt verloren zu haben, und zog erleichtert den Türschlüssel hervor. Als er in den Flur hinein gestolpert kam sah er schon das rote Licht des Anrufbeantworters blinken. Ohne zu zögern brachte er das kleine Gerät zum Sprechen. Es ertönte die genervte Stimme seiner Mutter. „Hallo Phili! Hör mal, dein Vater und ich bleiben heute noch im Krankenhaus. Louisa geht es blendend, aber die Ärzte wollen noch ein paar Untersuchungen machen um sicher zu gehen. Wir können es selbst kaum glauben das sie nach dem Unfall keinen einzigen Kratzer mehr hat. Dabei sagten sie uns gestern noch...“ Die Stimme seiner Mutter begann zu beben und er erinnerte sich mit einem Schlag wieder was als letztes passiert war. Seine Schwester war bei einem Autounfall angefahren worden und lag im Sterben. Lilly hatte sie geheilt, somit ihr Leben gerettet. Die Stimme seines Vaters erklang, ruhig wie immer, und er sagte nochmal das sie sich morgen sehen werden, und das alles in Ordnung sei. Philipp runzelte die Stirn und rannte weiter die Treppe hinauf, das musste heißen das seit seinem Verschwinden nicht mal ein Tag vergangen war. In seinem Zimmer angekommen, stürzte er direkt auf sein Smartphone das auf dem Schreibtisch lag. Tatsächlich, es war der Abend des Tages an dem er mit Lilly und Xii in den Wald gegangen war um den Stab zu suchen. Der Tag an dem er in die andere Welt gepurzelt war. Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrann seiner Kehle, vorsichtig legte er sein Smartphone wieder zurück auf den Tisch und zog sich die Brille von der Nase. Mit geschlossenen Augen massierte er seine Schläfen. Scharf zog er die Luft ein als er die kleine Beule berührte. Shorana hatte ihn nicht gerade sanft gegen die Steinwand geschleudert, es war ein Wunder für ihn das er sich nichts gebrochen hatte. An seiner Stirn klebte noch immer getrocknetes Blut. Feste presste er die Lippen zusammen und setzte sich die Brille wieder auf, er schollt sich ein Weichei, er selbst war wohl von allen zusammen am wenigsten bei dem Kampf verletzt worden. Lilly! Sie hatte er einfach wortlos im Garten stehen lassen. Philipp wirbelte herum und wäre fast mit ihr zusammen gestoßen. Ihre großen, grünen Augen blickten fragend zu ihm auf. „Ist alles in Ordnung?“ „Ja! Hier ist nicht mal ein Tag vergangen! Was ein Glück. Außer ein wenig Kopfschmerzen geht es mir gut. Und wie sieht es bei dir aus?“ Das Lächeln auf ihren Zügen wirkte müde, aber kein wenig aufgesetzt. Vorsichtig hob sie ihre Hand und berührte seine Schläfe, in ihren Augen spiegelte sich leichte Besorgnis wieder. „Die Wunde sollte ich heilen Philipp, sie schaut nicht gut aus.“ Grob schob er ihre Hand fort und machte eine wegwerfende Bewegung. „Niemals. Du hast heute schon genug Lebenszeit vergeudet! Hätte ich gewusst was du vor hast, hätte ich eher dir den Kopf abgeschlagen anstatt Shorana.“ Sein finsterer Blick ließ Lilly einen langsamen Schritt zurück gehen. Ihre Augen richteten sich auf eine Ecke an der kleinen Treppe, die zu der Galerie hinauf führte, wo sein Bett stand. Dort lehnte sie Morendras an und strich beim Loslassen über das dunkle Holz. „Das war mein Vorhaben. Meine Lebenszeit zu verschenken, nicht sie zu vergeuden. Aber um deinen Zorn vielleicht zu mildern, es kam nicht dazu. Mein Zauber wurde abgebrochen.“ „Aber Shorana war deutlich jünger.“ Lilly nickte und blickte ihn wieder an. „Mein Ziel war sie wieder zu einem Baby zu machen, darauf konzentrierte ich mich. Erst wenn dieses eingetreten wäre, hätte ich meinen Preis bezahlt. Shorana wäre, hätten wir es noch erlebt, in wenigen Minuten wieder gealtert.“ Philipp wirkte sichtlich erleichtert, doch nicht lange, da überzog sein Gesicht erneut ein wütender Schatten. „Deinen Bruder kann ich zwar nicht ausstehen, aber ich muss ihm in dem Punkt zustimmen, dass dein Vorhaben riesiger Mist gewesen wäre. Von eurem Leben in den Wäldern, oder eurer Vergangenheit verstehe ich nichts, aber ich fühle wie groß dein Herzenswunsch ist euer Volk aus dem Exil zu bringen. Das erreichst du aber nicht wenn du Lebensjahre um dich wirfst wie Bonbons an Karneval.“ Lilly antwortete auf seine Worte mit einem Nicken und ließ den Kopf sinken. Mit zitternden Händen fixierte sie irgendeinen Punkt auf dem Teppich seines Zimmers. Kleine Tropfen perlten von ihrem Kinn und fielen zu Boden. Ein lautes Schluchzen brachte ihren Körper zum beben. Seufzend ließ Philipp die Schultern Kreisen und verzog das Gesicht, sein Rücken schmerzte. Er ging auf sie zu und legte eine Hand auf ihre Schulter. Gefühlte Minuten starrte er einfach nur auf ihren gesenkten Kopf. In seinem Verstand schwirrten tausende von Wörtern umher, das sie besser auf sich achten sollte, weil sie wichtig war, er hatte es ja nicht böse gemeint. Nein Moment, eigentlich hatte er es ganz genau so gemeint. Ihr musste mal der Kopf gewaschen werden. Aber so schluchzend wie sie vor ihm stand, tat sie ihm einfach nur leid. Seine Lippen wurden blass, so feste presste er sie aufeinander, ein Freund der Worte war er noch nie gewesen, eigentlich hätte er sie sogar recht gern in den Arm genommen, aber auch damit hatte er es nicht so. „Du siehst schrecklich aus. Nimm am besten ein Bad, danach fühlst du dich wieder besser.“ Lilly schluchzte noch lauter und fiel ihm um den Hals. Sie schlang die Arme so fest um ihn, das er fast das Gleichgewicht verloren hätte. „Alles was ich mir gewünscht habe war Frieden. Dass dieses Leben in Abgeschiedenheit und Furcht wieder endet. Das unsere Völker wieder voneinander lernen, und begreifen das es nicht immer gut ist an der Vergangenheit festzuhalten.“ Ihre Gesicht vergrub sich in dem Stoff seines Pullovers, die sonst so heitere Ellydre nun so aufgelöst zu sehen, brachte sogar sein Eis zum schmelzen und er begann vorsichtig ihren Rücken zu tätscheln. „Nun wird alles wieder besser. Shorana kann niemandem mehr gefährlich werden, und du hast Morendras wieder.“ In seinen Gedanken tauchten die Bilder des Morgens wieder auf. Die starren Augen der Dorfbewohner wie sie zu ihm auf Blickten, der Marktplatz der zu einem Schlachtfeld geworden war. Philipp schloss die Augen und legte seine Arme fester um Lilly, ganz langsam schmiegte er sogar seine Wange in ihr Haar. Nichts was er hätte sagen können, würde das Ende dieses Tages besser machen. Es war ein Tag voller Tod und Zerstörung gewesen. Ein Tag an dem sie viel gewonnen und viel verloren hatte. Minutenlang standen sie so inmitten seines Zimmers, schweigend und sich tröstend, bis Lillys Tränen schließlich versiegt waren. Zögerlich löste sie sich wieder von ihm und wischte sich die letzten Tropfen aus den Augenwinkeln. „Ein Bad würde mir jetzt wirklich gut tun. Bei all der Flüssigkeit die ich verloren habe.“ Philipp sah auf den nassen Fleck seiner Brust und schmunzelte. „Sieht so aus. Ich lasse dir Wasser ein.“ Nachdem beide ihre Kräfte bei einem heißen Bad wieder aufgefrischt, und Philipp eine Kanne Tee für sie gekocht hatte, stockte er kurz als er sein Zimmer wieder betrat. Lilly saß auf dem Boden, gehüllt in bequeme Wäsche die er ihr einmal für die Nacht gekauft hatte, und blätterte angeregt in dem Buch das Shorana gehörte, zumindest bis zu diesem Tag. Stumm ließ er sich neben ihr im Schneidersitz nieder und schenkte ihnen beiden eine Tasse voll ein. „Was steht drin?“ Lilly runzelte tief ihre Stirn und drehte das Buch einmal komplett herum. „Ich weiß es nicht. Wir Ellydren können nicht lesen. Nur eure Schrift kann ich, weil ich sie lernte als ich mir die Eigenschaften deines Gehirns angeeignet habe.“ Zu gut erinnerte er sich an die Kopfnuss die er damals von ihr bekommen hatte. Wenn er an ihre erste Begegnung zurück dachte, bekam er heute noch Kopfschmerzen. „Ihr könnt nicht lesen und schreiben?“ „Nein, wofür denn?“, fragte Lilly ihn mit schief gelegtem Kopf. „Wir kommunizieren mit Wörtern und Pflanzen. Oder mit Tieren, wie Ooku es tat als er Uri in den Hain sandte.“ „Wie reicht dann Uri die Botschaft weiter?“ „Na durch das Bewusstsein. Ähnlich wie wir Xii verstehen können, wenn sie in ihrer Tiergestalt mit uns redet. Nur das wir nicht ihre Stimmen direkt hören. Sie sagen es uns... einfach so.“ Nachdenklich kratzte Philipp sich am Hinterkopf und zog scharf den Atem ein, die Verletzung hatte er fast vergessen. Dann streckte er die Hand nach dem Buch aus und bat Lilly es ihm einmal zu reichen. Es war in schwarzes Leder gehüllt, alle Ecken waren mit filigranen Winkeln aus Silber versehen, an manchen Stellen war es stark abgegriffen. In der Mitte des Buchdeckels ruhte ein schwarzer Edelstein, welcher in das Leder eingefasst war. Zögerlich fuhr er mit dem Finger drüber. Er war kalt und unbedeutend. Irgendwie hatte er etwas anderes erwartet von dem Buch einer Hexe, das es sich von allein aufschlug, Blitze hinaus schossen oder es zumindest eine unheilverkündende Aura aussenden würde. Nichts von all dem traf zu. Es fühlte sich an wie ein ganz normales Buch. Enttäuschend. Dennoch behandelte er es wie ein rohes Ei, als er es aufschlug, irgendwo mittendrin. Es geschah... Nichts. Mit dem Mittelfinger seiner rechten Hand rückte er seine Brille zurecht und betrachtete den Text vor sich. Die Seiten waren gelblich und verschlissen, jemand hatte fein säuberlich Verschiedenes in schwarzer Tinte hinein geschrieben. „Kannst du es denn lesen?“ Lilly luchste neugierig über seine Schulter. Philipp brauchte einen Moment bis er antworten konnte da er ihre Brust durch den dünnen Stoff viel zu gut an seinem Arm spüren konnte. Er räusperte sich und beugte sich noch weiter vor, blätterte einige Seiten weiter. „Leider nein. Diese Schrift existiert bei uns nicht. Mir ist auch keine bekannt die ähnlich ist. Die Schriftzeichen ähneln weder Runen, noch irgendwas anderem was ich schon mal gesehen habe.“ Beim durchblättern stieß er hier und da auf merkwürdige Zeichen die vielleicht doch Runen darstellen könnten. Auch Zeichnungen von grotesken Gestalten oder Pflanzen tauchten auf. Plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper als er eines der Wesen erkannte. Auf einer Seite befand sich eine detaillierte Zeichnung eines Faulvaruls. „Dieses Buch wird wahrscheinlich nichts gutes verheißen.“ Lilly nahm es ihm vorsichtig aus den Händen und betrachtete die Zeichnung. Sie war wirklich identisch mit dem Aussehen eines echten Faulvaruls. „Mein Freund hier hat mir davon erzählt sagte Shorana. Sie klopfte dabei auf den Beutel mit diesem Buch. Hier drin hat sie irgendwas von uns Ellydren gelesen und das sie Morendras mit der Hilfe unserer Seelen befehligen könnte. Ich denke niemand hat etwas dagegen wenn ich es behalte. Vielleicht finde ich ja jemanden der es lesen kann.“ Philipp nickte gedankenverloren vor sich hin als er Lilly dabei betrachtete wie sie das Buch direkt neben Morendras ablegte. „Im besten Fall können dir Xii oder Ooku helfen.“ „Ooku wird rasen vor Zorn und mich gerade einen Kopf kürzer machen wollen.“ Lilly musste sogar leicht lächeln während sie sprach. „Ein Gutes hat die Zeitverschiebung, bis ich mir überlegt habe was ich nach meiner Rückkehr mache, wird seine Wut schon etwas verflogen sein. Dennoch sollte ich mich morgen wieder auf den Rückweg machen, damit nicht zu viel Zeit vergeht.“ Philipp betrachtete den Inhalt seiner Tasse und schmunzelte. „Ich will dich nicht in deinem Enthusiasmus bremsen, aber mir erschien er, als würde er nicht ganz so schnell vergessen können.“ „Er ist ein Stinkstiefel, wie ihr Menschen sagt, aber er meint es eigentlich immer nur gut. Als unser Vater umkam hat er viel Verantwortung für unser Volk übernehmen müssen.“ Wieder trat eine Weile des Schweigens ein, bis jeder seinen Tee ausgetrunken hatte. Philipp dachte über Ookus Worte nach, das Lilly ihm mit ihrer Seele alles zeigen könnte, und er dann verstünde wieso er die Menschen so hasste. Nach langem Hadern blickte er sie aus dem Augenwinkel an. „Kannst du mir zeigen was damals passiert ist? Mit den Menschen. Ich möchte verstehen wieso diese Kluft zwischen euch entstanden ist.“ Ihr Kopf schnellte zu ihm herum, verwundert weitete sie ihre Augen und berührte automatisch ihre Seele. Ein heller Bernstein der direkt unter ihrem Schlüsselbein in die Haut eingebettet und von einen dünnen Kranz Rinde umschlossen war. „Woher weißt du... Ooku?“ Philipp nickte und Lilly blinzelte einige Male. Rasch blickte sie zu Boden, ihre Wangen verdunkelten sich sichtlich in Windeseile. „Was hat er dir darüber gesagt?“ „Eigentlich nur, dass wenn ich es verstehen will, dich fragen soll ob du es mir mit deiner Seele zeigen kannst.“ Fast schon schüchtern blickte sie zu ihm auf und fuhr mit ihren Fingern über den Bernstein. „Der Blick in eine Seele ist etwas sehr intimes. Du tauchst in sie ein, fühlst alles was ich fühle. Da ich dein gesamtes Wesen in mich aufnehme, werde ich auch ebenso einen Blick in deine Seele werfen können. Es ist als würden wir unsere bisherigen Leben vollkommen vor dem anderen darlegen. Du wirst alles über mich wissen und ich alles über dich. Eine Verbindung die nie im Leben wieder getrennt werden kann.“ Philipp entglitt der Henkel seiner leeren Teetasse die er noch in Händen gehalten hatte. Das plumpe Geräusch wirkte viel zu laut in der entstandenen Stille während er sie aus weit aufgerissenen Augen einfach nur anstarrte. „Philipp...?“ Er schüttelte seinen Kopf und rückte die Brille zurecht während er sich laut räusperte. „Das wusste ich nicht. Geht das denn... mit irgendeinem Ritual oder so was einher?“ Auch wenn er um einen festen Ton bemüht war, seine Stimme geriet ins Stocken. Um so nüchterner wirkte ihre Antwort. „Nein, du legst einfach deine Hand darauf.“ Sie tippte beim Sprechen auf ihre Seele. Philipps Herz begann sich plötzlich schmerzhaft in seiner Brust zu verziehen. Gefühle zu zeigen war noch nie sein Fall gewesen, jemandem nun einfach sein gesamtes Leben und seine Empfindungen frei zu legen war da nochmal was ganz anderes. „Kannst du es mir nicht einfach erzählen?“ Gedankenverloren betastete er seine Schläfe und warf dabei einen Seitenblick aus dem Fenster. Die Nacht war klar und überall strahlten erloschene Sterne um die Wette. Jemand umfasste seine Hand, instinktiv zuckte er zusammen und entzog sie ihr ruckartig. Seine Freundin aus einer anderen Welt sah ihn verwundert an. Nach einem kurzen Augenblick streckte sie die Hand wieder aus und ergriff die seine ganz behutsam. Ihre Augen leuchteten nach so langer Zeit, wieder völlig unbesonnen und glücklich, als sich ein warmes Lächeln auf ihre Züge schlich. „Nein. Ich möchte es dir gerne zeigen. Zuerst war ich etwas überrascht über deine Frage. Noch nie habe ich jemandem etwas mit meiner Seele gezeigt. Aber wenn ich es mir genau überlege, würde ich sie vor niemandem lieber offen legen als vor dir.“ Philipps fühlte sich als würde sein Herz gleich kollabieren, so feste donnerte es in seiner Brust. Die ganze Situation überrollte ihn schutzlos, wollte sie ihm damit etwa was ganz bestimmtes sagen? Aber er wusste auch ganz genau das sie oft Dinge sehr merkwürdig ausdrückte, weil sie es einfach nicht besser konnte. Da ihr Menschenfreund nicht antwortete, und sie stattdessen wie ein Reh anstarrte das gerade in zwei grelle Scheinwerfer blickte, nahm Lilly seine Hand und zog sie an sich heran. Philipp erwachte aus seiner Starre als seine Finger schon fast ihre Seele berührten. „Mo... Moment mal! Ganz langsam! Ich weiß nicht ob das jetzt so eine gute Idee ist. Und ob ich das überhaupt will.“ Lilly beugte sich vor und stützte sich mit ihren Händen auf den Knien ab, nachdenklich begutachtete sie den Boden. „In der Tat. Vielleicht sollten wir es nicht hier machen. Wir werden eine Weile lang erstarren, das könnte bei der Rückkehr unbequem sein. Komm, lass uns in dein Bett gehen!“ Ohne auf eine Reaktion zu warten, tänzelte sie zu der kleinen Treppe, welche zu der Galerie hinauf führte. Philipp sprang schon fast panisch auf und versuchte noch nach ihr zu greifen. „Was? Mein Bett? Reden wir hier noch von diesem in die Seele blicken, oder was? Außerdem, was soll das mit der Rückkehr? Sag nicht wir reisen schon wieder durch irgendwelche Welten!“ Ihr Kopf ragte über das Brett das zum Schutz angebracht worden war, damit er beim schlafen nicht versehentlich in die Tiefe purzelte. Ungeduldig winkte sie ihn zu sich hinauf. „So ein Quatsch! Wir bleiben hier, wieso sollten wir denn irgendwo hin reisen?“ Wenn sie glaubte, mit ihm irgendwelche Spielchen zu spielen, hatte sie sich gewaltig geirrt. Fluchend kletterte er in Windeseile die kleine Treppe hinauf, und deutete oben angekommen mit dem Zeigefinger auf sie, während er in geduckter Haltung auf sie zu rauschte. „Jetzt hör mir mal zu! Ich weiß das du meine Fragen mit Absicht ignorierst und so tust als ob du nicht verstehen würdest was ich dir sage, aber so läuft das hier nicht Fräulein!“ Lilly griff nach seinem Zeigefinger und zerrte ihn grinsend auf die weiche Matratze. „Du musst keine Angst haben Philipp. Ich werde dir nicht weh tun. Und wenn es irgendwas gibt was dir peinlich ist, verspreche ich es nicht weiter zu erzählen.“ Direkt vor ihr ließ er sich auf den Knien nieder und versuchte heimlich sie mit seinem Blick zu töten, was leider nicht funktionierte. Grob entriss er ihr seinen Zeigefinger. „Darum geht es doch gar nicht. Du hast selbst gesagt es ist etwas sehr intimes! Schön für dich wenn du bereit bist mir alles von dir offen zu legen, aber wer sagt denn das ich das selbe will?“ Die Klarheit in ihren freundlichen Augen und ihren direkten Worten zogen ihm den Boden unter den Füßen fort. „Du hast zu mir gesagt das es nichts zu bedeuten habe, als du mich im Krankenhaus geküsst hast. Aber du hättest das sicher nicht getan wenn du mich nicht zumindest ein wenig mögen würdest, richtig?“ Ihr Lächeln wurde breiter als sie keine Antwort bekam. „Außerdem hast du heute viel für mich riskiert und dich auf unserer Reise immer für mich eingesetzt. Sogar als wir uns kaum kannten und ich mich als dein Gast eingeladen habe, hast du alles für mich getan und immer dafür gesorgt das ich mich wohl fühle. Wie ich dir für alles jemals danken soll, weiß ich noch nicht. Aber es ist das mindeste dir mein volles Vertrauen entgegen zu bringen und dir alles was ich habe offen zu legen. Du hast dabei nichts zu verlieren.“ Wieder griff sie nach seiner Hand ohne den Blick von seinen starren Augen zu nehmen. Er taxierte sie ganz genau während sein Verstand gerade ihr Gesagtes verarbeitete. Ihre Worte berührten etwas in ihm, das er sicher verschlossen geglaubt hatte, etwas dem niemand mehr zu nahe kommen sollte. Seinem Herz. Das gefiel ihm ganz und gar nicht, und doch wirkte nichts in diesem Moment falsch. Was diese Verbindung zu bedeuten hatte, wusste er nicht, nur das es nicht unangenehm sein könnte, diese Verbindung zu ihr zu haben. Philipp ließ schweigend zu das sie seine Hand an ihre Seele führte und eine ihrer Hände darüber legte. „Fürchte dich nicht vor dem was du siehst, dir kann kein Leid geschehen.“ Das letzte was er sah, war wie sich ihre Augen schlossen. Ein angenehmes Prickeln kitzelte seine Handinnenfläche die auf dem Bernstein unter ihrem Schlüsselbein auflag. Sanftes, grünes Licht hüllte ihn ein, schien ihn an einen anderen Ort zu tragen. Der Geruch von Rauch stieg ihm in die Nase, wurde immer stärker, bis er schließlich ein helles Leuchten inmitten des Grün wahrnahm. Philipp blinzelte einige Male und plötzlich befand er sich in einem dichten Wald wieder. Die Bäume waren riesig, es war nicht auszumachen wie weit sie in den Himmel hinauf ragten. Violette Pilze wuchsen an den Stämmen der Bäume und strahlten ein sanftes Leuchten aus. Von den Baumkronen hingen lange Lianen in die Tiefe die einige Meter über ihm endeten. Obwohl es Nacht war, konnte er alles um sich herum deutlich erkennen. Als sein Blick einen schmalen Pfad vor sich verfolgte, wusste er auch weshalb. Hungrig fraß sich ein Feuer durch den dichten Wald und schlug seine Flammen hoch hinaus. Schreie drangen an sein Ohr und wütende Rufe gellten durch die Idylle. Ohne zu wissen wieso, rannte er in die Richtung aus der das Feuer kam, irgendwas schien ihn dort zu sich zu rufen. Der Geruch von Rauch wurde immer drängender und brannte in seinen Lungen. Die Hitze schlug ihm entgegen als er einem brennenden Baum auswich und auf eine kleine Lichtung stolperte. Wenn man ihn gefragt hätte, ob er noch mehr Grauen an diesem Tag ertragen konnte, hätte er mit Nein geantwortet. Aber da war niemand der ihn gefragt hatte, es bot sich ihm einfach. An ihm rannten Männer und Frauen in schweren Stahlrüstungen vorbei, an ihren Schwertern klebte frisches Blut, und auf ihren Gesichtern spiegelte sich wilde Entschlossenheit wieder. Manche von ihnen zischten so dicht an ihm vorbei, das sie ihn um ein Haar über den Haufen gerannt hätten, aber sie schienen ihn nicht mal zu beachten. Die Menschen stoben durch das Unterholz und schlugen mit ihren Waffen auf alles ein was sich bewegte. Überall hörte er das Schreien von Siegern und das der Sterbenden. Ein blaues Licht erhellte den Wald rings herum und die Soldaten brüllten wild Befehle durcheinander. Jemand schrie Lillys Namen, jemand, dessen Stimme er kannte. So schnell Philipps Beine ihn trugen, rannte er in die Richtung aus der er die Rufe vernommen hatte. Wieder brach ein blauer Feuerball durch das Unterholz und erwischte zwei Männer unweit von ihm. Ihre Schreie bohrten sich in seinen Verstand als sie zu Boden gingen und ihre Körper immer mehr in sich zusammen fielen. Seine Augen weiteten sich, als Xii hinter einem großen Baum auftauchte und einem weiteren Angreifer mit den Klauen das Gesicht zerfetzte. Die Janama atmete schwer, an ihrem Körper klebte überall Blut. Nicht nur ihr eigenes. „Xii!“ Er rief ihren Namen, aber sie hörte ihn nicht. Stattdessen schrie sie immer wieder Lillys Namen und blickte sich panisch um. Fluchend kehrte sie um als ein riesiger Ansturm Menschen auf sie zu kam. Philipp versuchte ihr zu folgen, doch plötzlich begann die Welt um ihn herum sich zu verändern. Alles schwankte und deformierte sich. Der Boden begann zu beben, das Weinen eines Kindes drang an sein Ohr und als er wieder etwas vor sich erkennen konnte, entdeckte er sie sofort. Lilly hockte in einer kleinen Senke, direkt unter den massiven Wurzeln eines riesigen Baumes. Sie konnte nicht älter als sechs oder sieben Jahre alt sein. Bitterlich weinend hatte sie ihre Arme um beide Beine geschlungen und nah an ihren Körper heran gezogen. Zwei Männer in Rüstung eilten mit erhobenen Schwertern heran und stockten als sie das Kind sahen. Auf ihren Gesichtern bildeten sich ein grausames Grinsen, sie flüsterten irgendwas das Philipp nicht verstehen konnte. Mit langen Schritten gingen sie auf Lilly zu, einer von ihnen ließ das Schwert in seiner Hand kreisen. Wut kochte in Philipp hoch, er rannte auf die beiden zu. „Hey! Wagt es nicht ihr etwas zu tun! Sie ist doch noch ein Kind verdammt!“ Doch die Männer schienen stumm für seine Worte zu sein. Philipp erreichte Lilly vor ihnen, er schrie sie an, sie solle doch weglaufen, er versuchte nach ihrem Arm zu greifen, aber seine Hand fasste ins Leere. Natürlich, dies war eine Erinnerung, er war eigentlich gar nicht hier. Einer der Soldaten hob sein Schwert und holte für einen Schwung aus mit dem er das Kind erschlagen wollte, Philipp schlug das Herz bis zum Hals. Plötzlich tauchte ein Schatten vor ihm auf, er musste von der kleinen Erhebung über ihm hinunter gesprungen sein. Schützend ging der Fremde vor Lilly in die Hocke und hob einen Arm zum Schutz über sein Gesicht. Die Klinge des Schwertes grub sich tief in seinen Arm und die beiden Soldaten rissen überrascht ihre Augen auf. Lilly sprang auf die Beine und rief laut. „Papa!“ Der Fremde streckte seine freie Hand nach ihr aus und blickte über die Schulter. „Bleib.“ Das Kind gehorchte. Als er sich mit einem Ruck erhob, holte er mit seinem Arm aus, in dem das Schwert steckte, und schleuderte den Menschen, der es nicht los lassen wollte, somit zur Seite. Philipp trat aus dem Schatten um ihn besser betrachten zu können. Sein Atem stockte. Die Arme von Lillys Vater bestanden, wie einer von Ooku, aus Holz. Auf seinem Kopf thronte ein riesiges Geäst, geschmückt mit vielen grünen Blättern. Fast sein ganzer Körper war mit Rinde überzogen, nur ein Stück seiner Brust war noch frei, und die Hälfte seines Gesichts. Überall an seinem Körper wuchsen Blätter, groß und klein, dazu Moos und sogar einen Pilz meinte er an seinem Arm wachsen zu sehen. Er riss an dem Schwert das sich tief in seine Borke gegraben hatte und zog es heraus. Zähes Harz floss aus der Wunde und tropfte zu Boden. Der zweite Soldat ging mit erhobenem Schwert einige Schritte zurück und spie auf den Boden. Lautes Gebrüll kündigte eine ganze Truppe von vielleicht zwölf weiteren Soldaten an die durch das Unterholz gelaufen kamen. Kleine Erdbrocken rieselten an der Böschung hinunter, Ooku sprang das kurze Stück hinab, hielt sich an einer Wurzel fest und stellte sich neben seine Schwester. Mit Furcht in den Augen schaute er auf den Rücken seines Vaters. Philipp schätzte ihn vielleicht auf ungefähr vierzehn Jahre, sein Körper war noch nicht mit Rinde bewachsen und die Äste auf seinem Kopf waren kaum mehr als kleine Stängel. Der Vater der beiden bäumte sich vor den Soldaten auf und ballte die Hände zu Fäusten. „Ihr seid in unseren Hain eingedrungen um zu töten. Aber an dieser Stelle endet euer Weg. Weiter werdet ihr nicht kommen. Daher sage ich es euch ein letztes Mal im Frieden. Kehrt um, und betretet nie wieder diese Wälder.“ Er erntete als Antwort ein lautes Lachen, und Verhöhnung. Einer der Soldaten gab einen Befehl woraufhin alle anderen ihre Schwerter blank zogen. Langsam drehte der Ellydren seinen Kopf nach hinten und lächelte seine Kinder an. „Ooku, nimm Lilly und geh nach Norden, du findest dort eure Mutter. Dreh dich nicht um, und hör nicht eher auf zu laufen, ehe du dort angekommen bist. Versprich es mir.“ „Aber...“ „Ooku. Versprich es mir.“ Der junge Ellydren nickte und nahm seine Schwester hoch, sie fing sofort wieder an bitterlich zu weinen und streckte ihre kleinen Hände nach ihrem Vater aus. Er schenkte ihr noch ein Lächeln, dann rannten die Soldaten auf sie zu. Ooku riss sich aus seiner Starre und rannte so schnell er konnte die Böschung hinauf. Oben angekommen begann der Boden zu beben und er brach das Versprechen das er eben noch gegeben hatte. Er drehte sich um. Auf eine Armbewegung des Vaters hin, schossen dicke Wurzeln aus dem Boden und pfählten drei der Soldaten augenblicklich. Sie gingen durch die Rüstungen hindurch, als seien sie aus Butter. Einige der Angreifer wichen aus und rannten weiter. Zwei weitere fielen den Wurzeln zum Opfer bis die ersten ihr Ziel erreichten. Der Ellydren duckte sich unter einem Schwerthieb hindurch, und holte ohne zu zögern zu einem Faustschlag aus. Er traf seinen Angreifer mitten ins Gesicht, Philipp konnte genau das Knirschen der berstenden Knochen hören bevor der Soldat mit zerschmettertem Gesicht zu Boden ging. Ooku und Lilly starrten auf das Gemetzel hinab, unfähig einen Ton sich zu geben oder sich zu bewegen. Ihr Vater kämpfte mit allen Mitteln, aber die Übermacht der Menschen wurde ihm zum Verhängnis. Einer von ihnen schaffte es unbemerkt einen Bogen zu laufen und sich hinter ihn zu schleichen. Während der Ellydren den Schwerthieben vor sich auswich, bohrte sich eine Klinge durch seinen Rücken. Ihre Spitze ragte, mit klebrigem Harz versehen, aus seiner Brust wieder heraus. Unter einem Ächzen ging er zu Boden. Ein Soldat der direkt vor ihm stand, zögerte nicht lange und schlug ihm mit einem mächtigen Hieb den Kopf von den Schultern. Triumphierend brachen sie in Jubel aus und frönten schon welche Macht wohl seine Knochen haben würden. Philipp erinnerte sich an die Geschichte die Lilly ihm einst erzählt hatte. Das die Menschen ihr Volk jagten weil sie glaubten der Knochenstaub von Ellydren könnte alle Krankheiten heilen, manche glaubten sogar an das Geschenk des ewigen Lebens. Die Freude der Soldaten wurde jäh im Keim erstickt als plötzlich zwei blaue Feuerbälle auf sie zu rasten und ihrem Leben ein Ende setzten. Ooku stand noch immer an Ort und Stelle, den starren Blick auf den leblosen Körper seines Vaters gerichtet. Jemand packte ihn, und er schrie vor Schreck auf. Xii war schwer verletzt, Blut lief an ihrer Seite hinunter und Philipp konnte eine Stichwunde an ihrem Rippenbogen erkennen. Sie drückte die beiden Kinder an sich und rannte sofort los. Ooku schrie das er bei seinem Vater bleiben wollte und sie ihn wieder los lassen sollte. Beide Kinder sahen über die Schulter der Janama, auf den Kampfplatz wo ihr Vater gefallen war, bis er langsam aus ihrem Blickfeld verschwand. Philipp schloss sich ihnen an. Das Gebrüll in den Wäldern nahm zu, von überall hörte man die Rufe der Menschen und immer mehr Ellydren schlossen sich der Flucht vor der Übermacht an. Sie kamen an einen kleinen Fluss, den man mit einem beherzten Sprung mühelos überwinden konnte. Am anderen Ende des Ufers, in einigen Metern Entfernung, stand eine ganze Schar Ellydren, die Arme ausgebreitet, und jeder summte eine Melodie im gleichen Rhythmus. Eine der Ellydren stach aus der Mitte hervor. Ihr ganzer Körper war vollkommen mit Rinde bedeckt, nicht ein Flecken Haut war mehr zu erkennen. Erst beim zweiten Blick fiel Philipp auf, dass ihr langes Haar aus Gras bestand, welches sich im Wind raschelnd bewegte. Von ihren Schultern fort wachsend, schlängelten sich kleine Äste ineinander. An diesem Geäst fielen dutzende Stränge ab, bis hin auf den Boden. Durch die vielen kleinen Blätter die daran wuchsen wirkte es als würde sie einen Umhang aus Efeu tragen. Ihre gesamte Gestalt hatte etwas erhabenes, unterstrichen wurde es von etwas das sie in ihrer rechten Hand trug. Dem Stab Morendras. Mit einem Ruck öffnete sie die Augen, sie erstrahlen in einem hellen gelb, wie Bernsteine. Plötzlich ging eine Art Druckwelle von ihr aus. Kleine Äste und Blätter wurden rings um sie herum aufgewirbelt. Xii rannte hinter die Reihe Ellydren und setzte die Kinder ab. Sie wollte sich umdrehen und dafür sorgen das noch genug Ellydren die Flucht gelang, und einige Menschen heute für ihre Taten büßen sollten. Sie stockte als jemand ihren buschigen Schwanz mit beiden Armen fest umklammerte. Xii blickte an sich hinab und starrte in die Augen von Lilly, sie waren rot von all den Tränen. „Geh nicht...“ Noch jemand klammerte sich an ihr Bein, als wäre es der letzte Halt in seinem Leben. Xiis Schultern sanken. Ooku drückte sein Gesicht in ihren Schoß und fing bitterlich an zu weinen. Vorsichtig ging sie in die Hocke und wieder drückte Lilly feste ihren Schwanz. „Geh bitte nicht.“ Xii streichelte ihr sanft über den Kopf und zog beide Kinder in eine feste Umarmung, als sie sich auf den Waldboden kniete. Ihre Stimme war weich und voller Fürsorge. „Habt keine Angst. Ich bleibe.“ Die beiden kleinen Ellydren drückten sich an sie und schluchzten bitterlich. Lilly flehte immer wieder das ihr Papa doch wieder aufstehen, und zu ihnen zurück kommen soll. Xii biss sich so feste auf die Unterlippe das sie Blut schmecken konnte, sie hob langsam den Blick zu der Horde Menschen die gerade auf den Fluss zu rannten. Philipp erkannte ihren Blick, mit diesen Augen aus kaltem Eis und purem Hass, hatte sie ihn anfangs auch angesehen. Zu den Füßen der erhabenen Ellydre mit dem Stab Morendras in ihren Händen, bildete sich ein dichter Nebel am Flussufer. Die Menschen sprangen über das Gewässer und rannten mit erhobenen Schwertern in den Nebel hinein. Ihr Ziel, die Ellydren, fest im Blick. Doch statt durch den Nebel hindurch zu gehen, drehten sie sich herum und rannten den Weg wieder zurück den sie gekommen waren. Verwundert sahen sie sich an, versuchten es noch einmal. Das Ergebnis blieb gleich. „Meine Kinder...“, die Ellydre drehte sich um, sah von Gesicht zu Gesicht. „Wir haben heute viel verloren durch die Gier der Menschen. Unsere heilenden Hände waren ihnen nicht Geschenk genug. Doch dies ist unser Heim. Niemals wird auch nur einer von ihnen wieder einen Fuß hinein setzen. Das ist ein Versprechen an euch alle.“ Niemand brach in Jubel aus. Viele sahen einander an, oder weinten um die, die sie verloren hatten. Der Blick der Ellydre traf Xii, sie wirkte sichtlich erleichtert. Stumm blickten sie eine Weile lang an, dann schüttelte Xii den Kopf. Feste klammerte sich die Hand der Ellydre an den Stab Morendras, sie wandte den Blick ab und starrte zurück zu den Menschen die noch immer versuchten einen Weg durch den Nebel zu finden. Sie bat einige von jenen, die mit ihr den Kreis gebildet hatten die überlebenden von hier fort zu bringen. Langsam ging sie zu Xii. Die Kinder blickten zu ihr auf. „Mama!“ Sofort pressten die Beiden sich an sie und weinten noch bitterlicher. „Ihr seid nun in Sicherheit.“ Die Ellydre beugte sich hinunter und küsste sie sanft. Dabei ließ sie eine Hand über ihren Köpfen schweben, violettes Puder rieselte hinab. „Alles wird gut meine Kleinen.“ Nur wenige Sekunden später fielen die Kinder in einen tiefen Schlaf. „Xii bitte passe auf sie auf.“ „Hüterin?“ Xii sah verwundert zu dem Oberhaupt des Waldvolkes auf, doch sie bekam keine Antwort. Als nur noch sie beide mit den schlafenden Kindern zurück geblieben waren, hob die Hüterin eine Hand zu den Baumkronen empor. Leise sprach sie ein paar Worte und plötzlich brach Chaos in den Reihen der Menschen aus. Hunderte von Vögeln taumelten in die Tiefe und stürzten sich auf ihre Beute. Krallen und scharfe Schnäbel fügten tiefe Wunden zu, unter panischen Schreien versuchten die Menschen den Vögeln mit Schwerthieben den Gar auszumachen. „Hüterin! Was habt ihr vor?“ Xii drückte die beiden Kinder an sich und ging einige Schritte vor. In den Augen der Ellydre lag tiefer Schmerz und unendliche Trauer als sie ihr über die Schulter hinweg einen Blick zuwarf. „Ich hole meinen Mann nach Hause. Auch wenn ich nichts mehr für ihn tun kann, ihren Händen will ich ihn nicht überlassen. Und auch keinen anderen den ich noch zu finden vermag.“ Mit diesen Worten rannte sie den kleinen Hügel hinab, auf das Ufer und den Nebel zu. Als sie in die Reihen der Menschen eintauchte, versuchten einige von ihnen sie aufzuhalten, während sie sich noch immer gegen die Attacken der Vögel wehrten. Im Rennen breitete die Hüterin ihre Hände aus, er Efeu ihres Umhanges begann zu blühen und feine Pollen verloren sich hinter ihr. Jeder der sie einatmete ging röchelnd zu Boden und wand sich unter Qualen, in dem verzweifelten Versuch wieder atmen zu können. Plötzlich waberte die Welt um Philipp herum und schien sich wieder zu deformieren. Bilder rauschten an ihm vorbei, viel zu viele als das er sie sich alle merken konnte. Eine tiefe Wärme hüllte ihn ein, berührte sein Herz und jede Faser seines Bewusstseins. Tiefe Zuneigung durchflutete ihn, löste in ihm den Wunsch aus, nie wieder diesen Ort zu verlassen. Er konnte es nicht erklären, er wusste einfach das diese Zuneigung ihm galt, und von wem sie kam. Es schien wie eine Ewigkeit zu sein, das er in dieser Wärme ruhen durfte, zeitgleich auch wie ein viel zu kurzer Augenblick. Sein Körper schwankte und träge drang die Erinnerung zu ihm durch wie er seine Augen wieder öffnen konnte. Er lag mit dem Rücken in den weichen Kissen seines Bettes und sah Lillys lächelndes Gesicht über sich. Sie hielt seine Hand noch immer auf ihre Seele gedrückt. Wie benommen stützte er sich auf einem Ellenbogen ab, nun gab sie seine Hand frei. Keuchend fasste er sich an die Stirn, es kam ihm alles wie ein langer, unwirklicher Traum vor. „Einst lebten wir dicht an den Siedlungen der Menschen. Seite an Seite. Sie respektierten uns, und immer wenn jemand von ihnen schwer krank war, kamen sie in unsere Wälder, um unseren Segen zu empfangen. Niemals verweigerten wir ihnen ihre Bitten. Doch dann bekamen immer mehr Menschen Kenntnis von uns, kamen scharenweise in unsere Wälder. Rodeten, um neues Land für sich und ihre Familien zu schaffen. Einmal kam ein Mann zu uns, seine Frau lag nach einer Fehlgeburt im sterben. Eine Ellydre versuchte sie zu heilen, doch die Frau war dem Tod schon zu nahe. Sie starb, und die Ellydre mit ihr. Der Mann war so wütend das er durch die Dörfer zog und überall erzählte er hätte von uns Medizin aus unserem Knochenstaub bekommen, das ihm ewiges Leben verlieh. Natürlich war es eine Lüge, er wusste nicht mit seiner Trauer umzugehen und sie verwandelte sich in Rachsucht.“ Lilly lächelte Philipp an, doch es erreichte ihre traurigen Augen nicht. „So fing alles an. Über die Zeit machte das Gerücht seine Runde und die Gier wuchs in den Herzen der Menschen. Sie fingen an, uns zu töten als wir ihnen sagten das wir kein ewiges Leben schenken können. Uns glaubten sie nicht. Dann kam der Tag als der König des Landes alle seine Heere zusammen trommelte und die Jagt auf uns eröffnete. Was du gesehen hast, ist nur meine Erinnerung. Nur ein kleiner Teil der Schlacht die in unserer Heimat, dem ewigen Hain tobte. Hunderte meines Volkes fanden in dieser Nacht den Tod. Nicht einmal sechzig von uns überlebten. Wir wollten nicht kämpfen, nicht töten, wir suchten eine friedliche Lösung. Bis es zu spät war. Der Bann der Hüterin, meiner Mutter, besteht noch heute. Niemand kann unseren Hain betreten, wenn wir es nicht wollen. Und wir können nicht hinaus. Außer die Hüterin lässt uns. Was sie nie getan hat, außer als Ooku sich auf die Suche nach mir machte. In all den Jahren haben wir uns nicht erholt, unsere Zahl schrumpft langsam, immer dann wenn jemand seinen Körper an den Symbionten in uns abtreten muss. Ich bin die jüngste unseres Volkes, nach mir gab es keine Kinder mehr. Der Schrecken sitzt zu tief, niemand kann vergessen. Auch wenn es schon über hundert Jahre her ist.“ Ihre Brust hob und senkte sich als sie tief durchatmete, die Augen gesenkt strich sie über eines von Philipps Kissen. „Die Einstellung meines Bruders und Xii teilen viele. Hass hat sich tief in ihnen verwurzelt. Ein Gefühl das unserem Volk früher fremd war, bei den Meisten ist es aber die Angst die sie lähmt. Sie wollen das es so bleibt, aus Furcht alles könnte sich wiederholen.“ Philipp hatte ihr schweigend zugehört. Etwas in seiner Brust war wie zugeschnürt, nun verstand er endlich was Ooku damals gemeint hatte, als er sagte, er würde alles verstehen wenn er in Lillys Seele blickte. Für ihn war es, als wäre er damals, in dieser Nacht, wirklich da gewesen. Er sah den Schrecken in den Gesichtern der Ellydren und die Gier in den Augen der Menschen. „Lilly...“, er setzte sich noch weiter auf und umfasste einen ihrer Oberarme. „Warum um alles in der Welt, wolltest du die Menschen kennen lernen. Ihnen eine zweite Chance geben? Nachdem was sie euch angetan haben! Was sie deinem Vater angetan haben!“ Lilly hob ihren Blick und lächelte ihn wieder an. „Mein Vater lehrte mich das alle Geschöpfe auf der Welt gleich seien. Das niemand von uns unfehlbar sei, und Fehler macht. Er sagte immer, auch als die Menschen begannen uns zu jagen, dass das größte Geschenk sei, was du jemandem machen kannst, die Vergebung seiner Fehler sei. Die Menschen die in unsere Wälder kamen, waren nicht alle grausam, es war nur ein kleiner Teil. Jeden Tag sprach er von dem Glück in ihren Augen, ihrer Freude und ihrem Dank, wenn wir ihnen helfen konnten. Ihm war das immer wichtiger als der Hass und der Gier die sie uns entgegen brachten. Ich liebte meinen Vater sehr, er war mein Vorbild, und seine Worte leiteten mich. Heute noch. Manchmal ist mir, als würde ich seine Stimme hören, das er mir sagt das ich richtig daran tue den Glauben in die Menschen nicht zu verlieren.“ Lilly hob ihren Blick zu dem Fenster in der Dachschräge direkt über ihnen. Der Mond schien so hell das sie kein Licht brauchten um klar zu sehen. „Die Zeit in deiner Welt hat mich die Vielfältigkeit von euch Menschen gelehrt. Morendras hat mich aus gutem Grund hier her gesandt. Auch auf eurem Planeten bekriegen sich die Menschen aus der Gier nach Macht. Aber noch viel mehr kämpfen für den Frieden. Ihr liebt einander wie ich es bei unserem Volk noch nie gesehen habe. Ich will genau Das unserem Volk zeigen.“ Ihre Unterlippe begann zu beben, Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln. Philipp blickte sie schweigend an. Als er nach kurzem Zögern versuchte sie in den Arm zu nehmen, drückte sie ihm eine Hand auf die Brust, um ihn daran zu hindern. Sie sah ihn an, schaffte es die Tränen zu unterdrücken und den Kloß in ihrem Hals hinunter zu schlucken. „Alles habe ich versucht. Mit jedem unseres Volkes habe ich gesprochen aber da ist niemand der so denkt wie ich. Manchmal stehe ich kurz davor aufzugeben, weil ich das Gefühl habe einen Kampf gegen Windmühlen auszutragen. Nachdem was Shorana getan hat, nachdem was ich tat als ich Morendras einfach gestohlen habe, wird es nicht einfacher. Ooku und Xii werden jedem erzählen was geschehen ist, und die Angst und der Zorn werden noch tiefere Wurzeln schlagen. Ich habe Angst zurück zu kehren, weil ich fürchte alles noch schlimmer gemacht zu haben. Das unser Volk mit der Zeit verschwindet und wir nicht einmal mehr als Erinnerung in unserer Welt existieren werden.“ Philipp sah einen Moment mit an wie sie wieder gegen die Tränen kämpfte. Seit der ersten Minute in der er sie damals im Park getroffen hatte, musste sie diese Angst mit sich getragen haben. Die Verzweiflung ihrer Tat wurde ihm mit einem Schlag bewusst. Sie hatte ihn genervt, er wollte sie anfangs immer nur los werden. Irgendwann dachte er sich, er hätte sich an die Nervensäge gewöhnt, doch in seinem Inneren wusste er, da ist noch etwas. Ihre Heiterkeit, ihr warmes Lächeln, ihre unbeschwerte Art hatten ihn aus seinem Schneckenhaus gelockt. Die Zeit die sie verbracht hatten, war ganz angenehm gewesen, auch wenn er das ganze bis heute nicht recht wahr haben wollte. Die ganze Zeit über hatte sie hinter ihrem heiteren Äußeren, all ihre Sorgen versteckt gehalten. Trotz ihrer Gegenwehr, schloss er sie in eine feste Umarmung ein. Lilly gab sich geschlagen, klammerte sich augenblicklich an ihn, und vergrub ihr Gesicht in seiner Schulter. Seine Lippen näherten sich ihrem Ohr, und er begann leise zu flüstern. „Meinst du, du kannst mir etwas versprechen?“ Sie traute sich nicht ihre Stimme zu benutzen, daher nickte sie stumm an seiner Schulter. „So aussichtslos es auch erscheinen mag, ich will das du niemals aufgibst. Verstanden?“ Als sie ihm keine Antwort gab kniff er sie in sie Seite. Lilly zuckte zusammen und klammerte sich noch fester an ihn. Unter einem leisen Glucksen nickte sie wieder. Philipp strich eine ihrer Haarsträhnen zur Seite, er kam ihrem Ohr so nahe, das seine Lippen es fast berührten. Er flüsterte kaum hörbar. „Du solltest gut zuhören, denn ich sage es nur einmal, und das auch nur weil ich dich gar nicht mehr so furchtbar schrecklich finde wie zu Beginn. Ich bewundere dich für deine Stärke, und ich denke wenn du nicht aufhörst an dich zu glauben, wirst du deinen Traum erfüllen können. Ich für meinen Teil glaube fest an dich.“ Lilly lockerte den Griff in dem Stoff seines Pullovers etwas und schluckte laut. Vorsichtig löste sie ihr Gesicht aus der Versenkung an seiner Schulter und sah zu ihm auf. In ihren Augenwinkeln glitzerte es noch immer leicht verräterisch, aber das Lächeln auf ihren Lippen war deutlich zuversichtlicher, endlich erreichte es auch wieder ihre Augen. „Danke.“, hauchte sie ihm leise entgegen während sie ihre Hand auf seine Wange legte. Langsam griff Philipp nach dem Rahmen seiner Brille, zog sie sich von der Nase, und legte sie vorsichtig zur Seite. Lillys Finger strichen an seiner Schläfe entlang. „Ich habe es dich schon einmal gefragt, soll ich das wirklich nicht mal heilen?“ Er grinste und schüttelte nur den Kopf. „Nicht nötig. Alles was mir nahe ist, kann ich klar und deutlich sehen.“ Die Ellydre verstand einfach nicht wieso er sich dagegen sträubte. Für ihn würde es doch eine Erleichterung sein, und für sie wären es höchstens ein paar Minuten die sie dafür von ihrer Lebenszeit hergeben musste. Gedankenverloren grübelte sie noch darüber nach, als eine warme Hand ihre Wange berührte. Bevor sie wusste wie ihr geschah, spürte sie seinen Kuss. Ihr Herz machte einen Sprung, es klopfte wie wild. Sie schloss die Augen und legte beide Arme um seinen Hals. Es war so anders als damals im Krankenhaus, als er sich vor lauter überschwänglicher Freude ganz vergaß, und sie geküsst hatte. Bedeutend sanfter. Viel zu früh lösten sich seine Lippen wieder, den Augenblick wollte sie lieber noch ein wenig auskosten. Nur ein klein wenig. Bevor er sich auch nur einen Hauch von ihr entfernen konnte, reckte sie das Kinn vor und erhaschte wieder eine Lippen. Mit einem Mal war sein Kuss weniger zurückhaltend, ihr Kopf begann sich zu drehen, sie merkte gar nicht wie er seine Arme um ihren Rücken legte und sie langsam auf die weiche Matratze bettete. Nur noch ein klein wenig sagte sie sich, wollte sie den Geschmack seiner Lippen bewahren, die tröstende Wärme seines Körpers dicht bei sich wissen und nur noch einen Augenblick lang all die Bilder des Tages vergessen. Ganz kurz wollte sie noch sein weiches Haar zwischen ihren Fingern spüren, ganz kurz das Gefühl erfahren wie seine Hände über ihre Haut fuhren, verstehen woher dieses Kribbeln kam, und versuchen ihr pochendes Herz wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ganz kurz, sich noch in der Woge verlieren die sein inniger werdender Kuss mit sich brachte. Nur einen kleinen Augenblick noch... Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch das Dachfenster auf die kleine Galerie und begannen ihn durch die geschlossenen Lider zu wecken. Philipp murrte und rieb sich müde die Augen ohne sie auch nur ein klein wenig zu öffnen. Er legte sich den Unterarm über die Stirn und rollte sich auf den Rücken. Das Gefühl seiner weichen Matratze war herrlich, genau das hatte er so vermisst. Wieso hatte er das noch gleich vermisst? Lange musste er nicht überlegen, da fiel ihm ein wo er gestern noch gewesen war, und was er in der fremden Welt alles erlebt hatte. Die Erinnerung des Abends verscheuchte die düsteren Bilder und ersetzten sie mit etwas viel schönerem, sogar ein leichtes Lächeln schlich sich auf seine Züge. Träge rollte er auf die Seite und ließ die Hand über das zerwühlte Laken gleiten. Die Seite neben ihm war kalt und leer. Als hätte man ihn mit einem Eimer Wasser übergossen, schreckte er hoch und war mit einem mal hell wach. Suchend schwenkte er den Kopf hin und her, beugte sich über die Bretter der Galerie und warf einen Blick nach unten, doch Lilly war nirgendwo zu sehen. Unter einem genervten Stöhnen robbte er auf die Treppe zu und polterte hinunter, ihm fiel auf das der Stab Morendras und das Buch von Shorana fort waren. „Ernsthaft jetzt?“ Wütend fuhr er sich durch sein Haar, ihm fiel auf dass das Fenster seines Zimmers offen stand. Skeptisch trat er vor und reckte den Kopf um einen Blick nach draußen zu werfen. „Guten Morgen!“ Philipp kniff die Augen zusammen und beugte den Oberkörper weit aus dem Fenster, die Stimme hatte er schon mal erkannt, jetzt musste er das Fräulein nur noch finden um ihr die Ohren lang zu ziehen. Ein Kichern ließ seinen Blick höher wandern, irgendwas saß da im Walnussbaum vor seinem Fenster, das sie vielleicht von den Umrissen her hätte sein können. „Was machst du denn da?“ „Ich konnte nicht mehr schlafen, da bin ich raus gegangen um dich nicht zu wecken. Erst habe ich dich eine ganze Weile lang beobachtet, aber ich dachte du könntest deshalb wütend werden.“ Lilly saß auf einem der breiten Äste und hatte sich den Stab Morendras über die Beine gelegt. Sie hielt das Buch von Shorana in die Höhe und winkte damit hin und her. „Ich wollte gerade in dem Buch blättern. Da bist du schon aufgewacht.“ Philipp kratzte sich am Hinterkopf und fuhr sich mit der Hand durch sein Gesicht. „Warte da, ich komme raus.“ Wieder hörte er ein Kichern und Lilly trällerte ihm heiter entgegen. „Vielleicht ziehst du dir zuvor aber eine Hose an. Ich meine, seit du an das Fenster getreten bist, kann ich nur noch deinen Nabel sehen, aber vorher...“ „Halt bloß den Mund! Du Früchtchen!“ Er knallte das Fenster zu und zog die Vorhänge zusammen. Erst dann musste er selbst ein wenig schmunzeln und schüttelte den Kopf. Kleidung und Brille waren schnell zusammen gesucht, auf dem Weg nach unten kratzte er sich den Hinterkopf und geriet plötzlich ins stocken. Gestern hatte er dort noch eine dicke Beule gehabt, auch seine Kopfschmerzen waren fort. Eilig hastete er an einen Spiegel der im Flur hing und betrachtete den Bereich seines Haaransatzes, die Wunde war ebenfalls verschwunden. Selbst die blauen Flecken die er davon getragen hatten, ließen sich nicht mehr finden. „Na warte...“ Wütend stapfte er hinaus in den Garten wo Lilly gerade von dem Baum hinunter geklettert kam und den Stab wie auch das Buch in weichen Gras ablegte. „Erst schleichst du dich davon und dann ignorierst du auch noch was ich dir sage! Was denkst du dir eigentlich?“ Verwundert über seinen Zorn blieb die Ellydre wie angewurzelt stehen und legte nachdenklich den Kopf schief. Ihre Lippen hatten noch keinen Ton von sich gegeben als Philipp seinen Zeigefinger auf ihre Nasenspitze drückte. „Tu nicht so! Du hast mich heimlich heute Nacht geheilt.“ Lillys Mundwinkel zuckten amüsiert. „Tut mir leid, ich war die ganze Nacht beschäftigt. Dazu wäre ich gar nicht gekommen.“ Philipp presste die Lippen feste zusammen als er sah wie sie mit einem Grinsen kämpfte. Er stellte sich wieder gerade hin und betastete seinen Kopf. „Aber alle meine Verletzungen sind weg.“ Lilly hob fragend die Schultern und verschränkte die Hände vor ihrem Schoß, ihre Augen richteten sich auf einen Grashalm vor seinen Füßen. „Was ich dir nicht erzählt habe, wenn wir Ellydren älter werden, wird das Blut, welches in unseren Adern fließt, zu Harz. Dieses Harz wirkt wie ein Antibiotikum. Wir müssen also nicht immer Magie benutzen wenn wir heilen wollen.“ Genervt breitete Philipp die Arme aus und versuchte einen Blick in ihre Augen zu erhaschen, aber sie wich ihm immer wieder aus. „Und? Was soll mir das jetzt sagen? Ich erinnere mich nicht dein Blut getrunken zu haben.“ Lilly senkte den Kopf noch mehr, mit einem ihrer Füße zog sie einen Kreis auf dem Boden und schürzte die Lippen als sie wieder gegen ein Grinsen ankämpfte. „Nein. Aber scheinbar, sind noch andere Dinge dazu in der Lage, zu heilen.“ Philipp zog die Stirn in tiefe Falten und hatte langsam genug von ihrem rumgedruckse, dann machte es auch bei ihm Klick. Schweigen legte sich gefühlte Stunden zwischen sie während Philipp, eine durchaus gesunde, Gesichtsfarbe annahm. Lilly lächelte ihn fast schüchtern an und zwickte ihn äußerst feste in den Bauch. „Fast hätte ich vergessen mich bei dir zu bedanken. Für deine Worte meine ich.“ Sie stellte sich wieder gerade hin und strahlte förmlich über das ganze Gesicht. „Das du an mich glaubst, bedeutet mir mehr als du dir vorstellen kannst. Vorhin kam mir ein Gedanke, und ich wusste das ist der Weg den ich gehen möchte.“ Einen großen Schritt ging sie auf ihn zu und ballte beide Hände entschlossen zu Fäusten. „Der Wunsch nach Frieden überall wird vielleicht auf ewig ein Traum bleiben. Aber nichts kann und wird mich davon abhalten einen friedlichen Platz zu schaffen für jeden der die selben Sehnsüchte hat wie ich. Woher man kommt, oder was man ist, soll dort keine Rolle spielen.“ Philipp riss die Brauen in die Höhe und schob seine Hände in die Hosentaschen. „Du willst quasi, eine Art Zuflucht bauen? Habe ich das recht verstanden?“ Das Leuchten in ihren Augen nahm zu, sie nickte eifrig und ging aufgeregt einige Schritte auf und ab. „Noch weiß ich nicht wo, und wie ich das ganze bewerkstelligen soll, aber ich werde es tun. Jeder der einen friedlichen Platz zum leben sucht, soll dort willkommen sein. Vielleicht werde ich die Welt nicht für alle ändern können, auch wenn ich es gern möchte, dann aber für jeden der auf der Suche nach Frieden ist.“ „Ich will dich nicht bremsen, aber was ist mit den anderen. Du hast gesagt viele Ellydren wollen nicht das sich etwas ändert.“ Mit ihrem Zeigefinger deutete Lilly auf Morendras und grinste ihn frech an. „Ihn werde ich behalten. Morendras hat meine Bitten erhört, das können sie nicht ignorieren. Der Legende nach soll Morendras jeden Herzenswunsch erfüllen, also wird er mir auch dabei helfen. Ganz sicher. Irgendwie werde ich damit fertig.“ Ihr Enthusiasmus brachte Philipp zum lächeln, sie schien sich wirklich an ihr Versprechen zu halten. Sie würde nicht aufgeben, das wusste er. „Du bist echt ein Sturkopf, und mittlerweile finde ich das auch gar nicht mehr so schlimm.“ Wie bei einem kleinen Hündchen tätschelte er ihren Kopf und lächelte schief. „Jetzt muss ich erst einmal was richtiges zum Essen haben, und dann machen wir uns Gedanken wie wir dein Vorhaben in die Tat umsetzen.“ Seine Hand steckte er wieder zurück in die Hosentasche, dabei wandte er sich zum gehen ab und fügte noch ein paar Überlegungen an. „Morgen ist Sonntag, ich werde meinen Eltern einfach sagen das wir einen Ausflug machen. Das sollte uns „Drüben“ ein paar Tage Zeit bringen, und dann müssen wir schauen... Bis zu meinen Semesterferien ist es noch etwas hin. Aber so lange können wir nicht warten, in deiner Welt würde zu viel Zeit vergehen.“ „Du wirst mich nicht wieder begleiten können Philipp.“ Ihre ruhigen, fast trockenen Worte trafen ihn wie einen Blitz. Seine Füße verharrten still, nur langsam gelang es ihm sich zu ihr herum zu drehen. „Was?“ Lilly stand nur einen Steinwurf weit entfernt, vollkommen ruhig, die Hände noch immer vor ihrem Schoß gefaltet, auf ihren Lippen lag der Hauch eines sanften Lächelns. „Wenn ich gehe, dann allein.“ Ihr Herz krampfte sich zusammen als Philipp, sichtlich wütend wieder auf sie zu kam und direkt vor ihr stehen blieb. „Das ist jetzt deine Art zu sagen das war´s?! Ist es das?“ Lillys Finger wurden weiß, so feste verschränkte sie diese ineinander. Leicht schüttelte sie den Kopf. „Philipp du hast hier deine Familie, Freunde, deine Vergangenheit, deine Pläne, deine Zukunft. Du kannst das nicht einfach alles wegwerfen.“ In einer herausfordernden Geste breitete er die Arme aus und legte den Kopf etwas schief. „Gar nichts wird hier weggeworfen. Immer wenn ich frei habe kann ich dich doch begleiten, wo soll das Problem liegen?“ Lilly warf einen Blick zurück auf den Stab Morendras, ihre Augen schlossen sich für einen kurzen Augenblick während sie tief Luft holte. „Nur weil die Reise zwischen unseren Welten jetzt dreimal funktioniert hat, heißt das nicht, das ich Morendras beliebig oft darum bitten kann. Zumindest liegt das außerhalb meiner Vorstellungskraft. Philipp, ich weiß ja nicht einmal mit Gewissheit ob ich wieder nach Hause zurück komme...“ Er fluchte innerlich, damals hatte er es besser gewusst. Die Mauer, welche er um sein Herz gebaut hatte, müsste noch viel stärker sein. So stark, das selbst er nicht mehr in der Lage gewesen wäre sie einzureißen. Seine eigene Dummheit schürte seinen Zorn, er fühlte sich wie der letzte Narr. Lilly trat dicht an ihn heran und nahm vorsichtig seine Hand, eigentlich wollte er das sie ihm gar nicht mehr zu nahe kam, aber ein Blick in ihre Augen verriet ihm das auch sie nicht weniger litt als er in diesem Moment. Sie presste kurz die Lippen zusammen, es schien als müsste sie für ihre Worte, all ihren Mut mobilisieren. „Vielleicht war es dumm, was gestern passiert ist. Aber ich bereue es nicht. Nicht einen Augenblick. Ich will das du weißt, das ich nichts lieber erbitten würde als dass du mich auf meiner Reise begleitest. Das der Gedanke mich zerreißt dich nie wieder zu sehen.“ Sie schluckte hart und drückte seine Hand so fest das es fast schmerzte, aber sie wollte um nichts in der Welt wieder vor ihm Schwäche zeigen. „Aber dein Platz ist hier. Ich kann dich dem nicht entreißen. Denk doch nur an deine Eltern, wenn sie dich nie wieder sehen könnten, würde es ihnen das Herz brechen. Hier, in dieser Welt gibt es so Viele die dich lieben. Auf Dravasuum nur eine.“ Sie konnte in seinen Augen lesen, was er ihr sagen wollte, und klatschte ihm schnell die Hand auf den Mund um seine Lippen zu verschließen. „Ich... habe meine Gefühle die ganze Zeit so gut verbergen können, und ich weiß, es gibt wahrscheinlich nichts dümmeres als dich jetzt um etwas zu bitten, aber... kann ich diesen einen Tag noch bei dir bleiben?“ Ganz kurz begann ihre Unterlippe zu beben, aber sie schaffte es, das ihr Lächeln die Oberhand gewann. „Wenn ich gehe... möchte ich das... mich noch viel mehr schöne Erinnerungen begleiten. Bitte.“ Philipp atmete schwer durch seine Nasenlöcher aus, er fand auch dass es das Dümmste war, um das sie jetzt hätte bitten können. Aber noch einen Tag mehr mit ihr zu verbringen, war das Schönste was er sich in diesem Moment vorstellen konnte. Die Gefühle waren da, schon eine ganze Weile, an ihnen würde sich sowieso nichts mehr ändern können. Gerade wollte er ihre Hand zur Seite schieben, als sie wild den Kopf schüttelte. „Nichts sagen! Nicken oder Kopf schütteln!“ Er musste ein Lachen unterdrücken, und zuckte unschlüssig mit den Schultern. Lilly boxte ihn kaum merklich in die Magengrube, schließlich entschied er sich zu Nicken. Erst jetzt ließ sie die Hand von seinem Mund sinken und schlang beide Arme um ihn. „Danke.“ Behutsam streichelte er über ihr Haar und schmunzelte. „Du bist echt bescheuert.“ „Ich weiß. Du auch.“ Stumm verharrten sie noch einen langen Augenblick an Ort und Stelle, alles was die Stille störte war das Rauschen des Windes in den Blättern des Walnussbaumes und ein leises Klackern das plötzlich auftrat. Als Philipp den Kopf hob, sah er dass der Stab Morendras, noch an dem Stamm des Baumes lehnend, begonnen hatte zu zittern als würde der Boden unter ihm beben. „Lilly! Der Stab!“ Verwundert drehte sich die Ellydre nach ihm um und fragte sich was das Zittern von Morendras zu bedeuten hatte. Plötzlich fingen die kleinen und großen Bernsteine die in den knorrigen Stab eingewachsen waren, abwechselnd an zu leuchten. Ein paar Schritte eilte sie auf ihn zu, bis plötzlich der Boden unter ihnen einmal heftig bebte. Die Luft, nur wenige Meter neben Morendras, begann zu flirren als wäre sie glühend heiß. „Lilly, was hat das zu bedeuten?“ Verunsichert wich sie einige Schritte zurück und schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht! So etwas habe ich noch nie gesehen!“ Die flirrende Luft änderte ihre Farben und es schienen sich Formen aus undeutlichen Schatten zu bilden. Ein starker Wind rauschte über sie hinweg und brachte einen vertrauten Geruch mit sich. Es roch nach Wald, Moos und frischen Blumen, unverwechselbar, wie sie ihn nur aus ihrer Heimat her kannte, dem ewigen Hain. Das Bild der merkwürdigen Konturen wurde immer deutlicher und bildete ein Oval. Feste Formen bildeten sich, die Philipps Kinnlade runter klappen ließen. Er starrte geradewegs in eine Art Portal in dem er die Frau aus Lillys Erinnerungen klar erkennen konnte. Ihre Mutter. Und sie war nicht allein. Hinter ihr konnte er schwammig viele Personen ausmachen. Jede sah anders aus, aber keine glich dem menschlichen Äußeren so sehr wie Lilly es tat. Manche hatten eine grünliche Haut, andere hatten keine Haare, nur irgendwelche merkwürdigen Gewächse auf dem Kopf. Bei einer Frau, die eine riesige Rosenblüte auf ihrem Kopf trug, konnte Philipp Dornen überall an ihrem Körper erkennen. Lilly schnappte nach Luft und ging zögerlich einen Schritt zurück. „Hüterin!“ Die Frau lächelte und neigte den Kopf zum Gruß. Ihr Haar aus feinem Gras wog sich raschelnd in der Brise. Zu ihren beiden Seiten traten sehr bekannte Gestalten heran. Eine zuckte nervös mit ihrem buschigen Fuchsschwanz, der andere verschränkte die Arme vor der Brust und zog ein verächtliches Gesicht. Xii und Ooku teilten nicht das sanfte Lächeln der Hüterin. Ganz im Gegenteil. „Mein Kind, endlich habe ich dich gefunden. Oder viel besser, ihn gefunden.“, der Blick der Hüterin richtete sich auf Morendras, der prompt aufhörte zu zittern. Lilly machte einen Satz nach vorn und schnappte sich den Stab, samt des Hexenbuches das sie zu seinen Füßen in das weiche Gras gelegt hatte. Rückwärts ging sie so schnell wie möglich, bis sie dicht an Philipps Seite, einige wenige Meter von dem Portal entfernt, stehen blieb. Ooku bleckte die Zähne und warf einen Arm wütend in die Luft. „Seht ihr, Hüterin? Ich habe euch doch gesagt wie starrsinnig sie ist, und das sie sich mit allen Mitteln wehren wird. Sie ist nicht einsichtig, was man auch sagt.“ Ruhig signalisierte das Oberhaupt der Ellydren ihm, wieder runter zu kommen und schenkte ihm einen kurzen, aber ausdrucksstarken Blick. Er verstummte sofort. Langsam blickte die Hüterin wieder nach vorn zu ihrer Tochter, welche Morendras feste an sich klammerte und sie forschend betrachtete. „Lillaraya, es hat mich viel Kraft gekostet diesen Weg zu öffnen, und ich weiß nicht, wie lange ich es noch kann. Daher bitte ich dich zu mir zu kommen. Xii und Ooku haben mir alles erzählt. Wieso du den Stab genommen hast, und was seitdem geschehen ist. Es ist an der Zeit, den Stab wieder an seinen Platz zu bringen, und deinem Volk zu erklären was du dir dabei gedacht hast.“ Autorität und Macht lagen in jeder ihrer Silben, das sanfte Lächeln war verschwunden und machte einem Ausdruck platz, der keine Widerrede duldete. „Nein. Ich werde Morendras nicht wieder dahin bringen wo ich ihn geholt habe.“ Ein Raunen ging durch die Reihen der Ellydren, einige verfielen sogar kurzzeitig in eine Schnappatmung. Lilly trat einen Schritt vor, nur Philipp konnte erkennen wie leicht ihre Hände zitterten. „Ihr alle werdet wohl schon wissen wieso ich die Menschen aufsuchen wollte, und welche Bitte ich an euch habe. Mir ist auch bewusst das der Großteil von euch denkt ich wäre dem Wahnsinn anheim gefallen und das ihr die Sicherheit des ewigen Hains nicht verlassen wollt. Ich kann euch versprechen, dass das für mich keine Rolle spielt.“ Irrte sich Philipp oder hatte er gerade die Mundwinkel der Hüterin zucken sehen?! Gerade so als müsste sie ein amüsiertes Schmunzeln zurück halten. Hinter ihr wurde Getuschel laut, und viele konnten nur den Kopf schütteln aufgrund von Lillys Starrsinn. „Heute habe ich einen Entschluss gefasst, und ich werde mit allen Mitteln dafür kämpfen das er wahr wird. Mit oder ohne eure Hilfe.“ Sie klemmte sich das Buch von Shorana unter den den Arm und umfasste Morendras mit beiden Händen. Die Hüterin stand starr und ohne Regung da, lauschte stumm den Worten. „Dein Entschluss lautet?“ „Ich werde einen Ort schaffen wo jeder frei sein kann. Wo er das sein kann was er ist. Einen Ort des Friedens. Wo niemand mehr fürchten muss gejagt zu werden, nur weil er ist was er ist.“ Eine der Ellydren trat aus den hinteren Reihen vor, es war jene, der kleine Dornen auf der Haut wuchsen. „Was soll das bringen? Unser Hain ist ein friedlicher Ort für uns. Willst du etwa das wir den Bann brechen? Das wieder Menschen, oder noch viel schlimmeres in unser Heim eindringen?“ Die Ellydre deutete auf Ooku. „Wir wissen von der Hexe, und was sie mit Morendras tun wollte. Du hast ihr den Stab förmlich in die Hände gespielt, Närrin! Glaubst du wirklich wir lassen zu das du aus deinen wahnwitzigen Entschlüssen heraus bestimmst was aus uns wird? Das wir uns auch abschlachten lassen?“ Philipp trat an Lilly Seite und schob langsam seine Hände in die Hosentaschen. „Achte mal ein bisschen auf deine Wortwahl. Lilly hat viel für euch alle riskiert. Sie sagt, dass, seit ihr in eurem Exil lebt, keine Kinder mehr geboren wurden. Also heißt das doch, ihr werdet irgendwann sowieso sterben und verschwinden.“ „Was fällt dir ein!? Du unverschämter Mensch!“ „Mir fällt sogar sehr viel ein. Lilly hat mir gezeigt was in der Nacht damals geschah, deshalb weiß ich ganz gut wie euch zumute ist. Natürlich geht ihr ein Risiko ein, wenn ihr euch der Welt wieder öffnet, und wahrscheinlich könnt ihr neunzig Prozent der Menschen kein Stück trauen.“ Lilly warf ihm über die Schulter einen entrüsteten Blick zu, doch er sah weiter in das hasserfüllte Gesicht der anderen Ellydre. „Als sie mir sagte, sie hat die Hoffnung auf vollkommenen Frieden in eurer Welt, fand ich dass es das Dümmste war, was ich je gehört habe. Es gibt Menschen, die werden ewig an ihrer Meinung festhalten, Menschen die sich niemals ändern werden. Aber ihr doch auch nicht, wenn ich euch so reden höre, oder?“ Sein Blick streifte die Gesichter von Xii und Ooku. „Genau deshalb bewundere ich Lilly. Das es ihr egal ist was ihr denkt, das sie ihren Weg gehen will, selbst wenn sie sich ganz allein gegen euch alle stellen muss.“ Lilly strahlte ihn über das ganze Gesicht an, am liebsten hätte sie ihm für das ein oder andere Wort gegen das Schienbein getreten, aber dass er für sie einstand bedeutete ihr mehr als er sich wahrscheinlich vorstellen konnte. Die Ellydre trat ein paar Schritte vor, ihre Augen brannten vor Zorn, der augenblicklich erlosch, als sie gegen den ausgestreckten Arm der Hüterin lief. Auf ihren Zügen machte sich ein breites und durchaus zufriedenes Lächeln breit. „Dein Vater wäre stolz auf dich Lillaraya. Du kommst ganz nach ihm.“ Totenstille folgte ihren Worten, viele ungläubige Gesichter starrten die Hüterin an, darunter auch Ooku, dessen gesamte Züge entglitten waren. Xii war die einzige deren Augen auf Lilly ruhen blieben, vollkommen ausdruckslos. Die Hüterin sprach weiter als sie sich der ungeteilten Aufmerksamkeit aller sicher sein konnte. „Wenn es das ist was du wirklich willst, dann werde ich dir keine Steine in deinen Weg legen. Du kannst Morendras verwahren und dich von ihm leiten lassen. Ich will sehen was hinter deinen Worten steckt.“, ihr Gesicht wurde Ernst. „Solltest du scheitern, werde ich Morendras wieder an mich nehmen, den Bann um unseren Hain wieder errichten, und niemals wieder aufheben. Egal was kommt. Also liegt es nun bei dir.“ Niemand traute sich auch nur ein Wort zu sagen, aber Philipp konnte das blanke Entsetzen in den Gesichtern vieler Ellydren sehen. Lilly glaubte kaum was sie da hörte, ihr Herz machte einen Sprung vor Glück, sie verbeugte sich vor ihrer Mutter und schloss die Augen. „Danke Hüterin.“ Die Hüterin blickte nun zu Philipp, ein wenig mulmig wurde ihm schon wenn er in ihre klaren Augen aus Bernstein sah. „Was dich betrifft Mensch, hat mir Xii erzählt das du auf meine Tochter acht gegeben hast, und sogar dein Leben für sie riskiert hast. In eurer, und in unserer Welt. Dafür spreche ich dir meinen tiefsten Dank aus.“ Philipp zog beide Brauen in die Höhe und starrte ungläubig zu der Janama hinüber. Diese verzog ihren Mund zu einem überheblichen Lächeln und stemmte beide Hände in ihre Hüften. „Bilde dir darauf bloß nichts ein, leiden kann ich dich dennoch nicht.“ „Das beruhigt mich.“ Philipp musste schmunzeln und sah wieder zu der Hüterin als sie die Hand ausstreckte. Ein seichtes, grünliches Glimmen bildete sich in ihrer Handinnenfläche. Sie führte die Hand an ihre Lippen und pustete sachte das kleine Licht fort, welches sich langsam und träge durch das Portal bewegte. Als es die unsichtbare Barriere hinter sich gelassen hatte, flog es zügig auf Philipp zu. Ooku riss seinen Kopf herum und zischte der Hüterin zu. „Das kann nicht dein Ernst sein! Ihr gebt diesem Menschen...“, sie hob eine Hand und brachte ihren Sohn sogleich zum schweigen. „Stellst du mein Urteilsvermögen in Frage Ooku?“ „Nein... Natürlich nicht...“ „Gut.“ Das Glimmen hielt direkt vor Philipps Brust an, er hob zögerlich die Hand, und das Licht senkte sich auf seine Handinnenfläche nieder. Langsam erlosch das Leuchten und enthüllte ein kleines Samenkorn. Lilly riss überrascht die Augen auf und sprach mit ehrfürchtigem Ton zu ihm, ohne den Samen aus den Augen zu lassen. „Das ist ein Samenkorn von Morendras! Wir haben nur wenige von ihnen in unserem Besitz. Philipp... noch nie hat jemand solch ein Samenkorn von der Hüterin bekommen.“ Philipp blinzelte erst seine Freundin an, dann die Hüterin. Sie erkannte die Frage in seinem Blick und sprach. „Wenn du ihn in fruchtbare Erde bettest, ihn hegst und pflegst, wird ein Baum daraus wachsen. Die Früchte die er tragen wird, können jede Krankheit, jedes Leid heilen. Das ist mein Geschenk an dich. Doch wenn du dich nicht um ihn kümmerst, wird der Baum vergehen. Er kann keine weiteren Samen tragen, also vergiss meine Worte besser nicht. Außerdem wird er bei niemandem Wirkung haben, der nicht von deinem Blut ist. Es ist ein Geschenk an dich, nicht an die gesamte Menschheit.“ Philipp stockte der Atem, dieses Geschenk war das kostbarste was man auf dieser Welt besitzen konnte, dessen war er sich bewusst. „Ich weiß nicht was ich sagen soll. Danke, kann nicht einmal ansatzweise ausdrücken was ich fühle.“ Die Hüterin nickte und schenkte ihm wieder ein Lächeln. „Manchmal bedarf es keiner großen Worte. Du hast auf etwas Acht gegeben was mir mehr bedeutet als mein Leben. Ich kann sehr gut verstehen was du mir sagen möchtest.“ Langsam sah sie weiter zu ihrer Tochter und nickte ihr zu. „Es ist Zeit Lillaraya. Lange kann ich die Verbindung zu Morendras nicht mehr aufrecht halten. Komm.“ Lilly umfasste mit beiden Händen fest den Stab. Seine Bernsteine leuchteten noch immer, aber deutlich schwächer. Eine warme Hand legte sich auf ihren Oberarm. Sie hob den Blick zu Philipps Gesicht. „Darüber hatten wir ja schon gesprochen. Dann sieh zu das dir die Tür nach Hause nicht vor der Nase zugeschlagen wird.“ In Lillys Augenwinkeln bildeten sich Tränen und rollten stumm an ihren Wangen hinab, sie schluckte einige Male bevor sie ihre Stimme wieder fand. „Ich weiß nicht, was Zufall war, oder was Morendras dazu bewegt hat mich an diesen Ort zu entsenden, aber ich bin froh, das ich dich kennenlernen durfte Philipp. Auch wenn ich finde das die Zeit viel zu kurz war, bin ich für jede Minute dankbar die ich mit dir verbracht habe. Versprichst du mir... das du... mich nicht vergisst?“ Sie blinzelte eilig ein paar Tränen fort, die es wagten ihren Blick zu verschleiern. Die es wagten den Blick auf sein Lächeln zu trüben. „Wie könnte ich denn so etwas durchgeknalltes wie dich jemals vergessen. Eigentlich ist es das, was mir Sorgen bereitet.“ Lilly biss sich auf die Unterlippe um ein Schluchzen zu unterdrücken, sie legte Morendras und das Buch vorsichtig auf dem Boden ab. Schwungvoll fiel sie ihm um den Hals und vergrub ihr Gesicht in seiner Schulter. So fest sie konnte klammerte sie sich an ihn, atmete seinen Duft ein, aus Angst dass das Erinnern an ihn irgendwann verblassen könnte. Ihr schien, das es ihm nicht anders gehen musste, so fest wie er sie an sich drückte. Sie spürte die Berührung seiner Lippen an ihrem Ohr, jedes seiner Worte das er ihr zuflüsterte, brannte sich unwiderruflich in ihre Gedanken ein. Keuchend stieß sie einen tiefen Atemzug aus und hauchte leise zurück. „Ich dich auch.“ Hätte er sie nicht behutsam von sich gedrückt, hätte sie den Schritt wohl niemals allein getan. Sie sah zu ihm auf und wehrte sich nicht dagegen als er ihre letzten Tränen mit den Daumen fort wischte. Hinter ihr drängte ihre Leibwache. „Lilly! Beeilt Euch! Das Portal!“ Mit pochendem Herzen stellte Lilly sich auf die Zehenspitzen und küsste Philipp ein letztes Mal. Rasch hob sie Morendras und das Buch auf, und ging einige Schritte rückwärts. Philipp schob beide Hände in seine Hosentaschen, sie sollte nicht merken wie sehr sie zitterten. „Mach deine Sache gut, du Früchtchen, sonst suche ich einen Weg zu dir, nur um dir den Hintern zu versohlen. Versprochen.“ Lillys Lachen erstickte in einem Schluchzen, sie ging rückwärts so schnell sie konnte und schüttelte den Kopf. „Bring mich nicht in Versuchung!“ Sie wirbelte herum und rannte auf das kleiner werdende Portal zu. Mit einem beherzten Sprung schaffte sie es hindurch und wurde von den Armen ihrer Leibwache aufgefangen. Xiis Gesicht begann zu flimmern als sie den Blick auf Philipp richtete. „Wenn es dich beruhigt. Sie wird nicht allein sein. Ich bin zwar nicht begeistert, aber ich werde sie immer unterstützen. Nicht weil ich muss, sondern weil ich will.“ Ooku seufzte erleichtert und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. Genervt verdrehte er die Augen. „Kleine Schwester, du machst echt immer nur Ärger. Da habe ich sowieso keine andere Wahl als auf dich aufzupassen.“ Lilly lächelte den beiden dankbar zu, sie wusste das vor ihr ein steiniger Weg lag. Hinter ihr flüsterten alle Ellydren durcheinander und taten ihre Befürchtungen und ihre Zweifel Kund. Aber sie trug die Zuversicht in ihrem Herzen diese Herausforderung meistern zu können. Sie war nicht allein, da waren ein paar in ihrer Welt die an sie glaubten, und einer, Unzählige Galaxien entfernt, der ebenfalls an sie glauben würde. Mehr brauchte sie nicht. Lillys lächelndes Gesicht, und ihr Arm, mit dem sie ihm so wild zuwinkte, das er befürchtete er würde ihr gleich abfallen, war das letzte was Philipp sah, als das Portal verschwand. Kurz flimmerte die Luft noch an der Stelle wo es aufgetaucht war, dann blieb nichts mehr, nur eine endlos scheinende Leere. Sie war so schnell aus seinem Leben verschwunden, wie sie hinein gepurzelt war. Anfangs hatte er sich nichts mehr gewünscht, als das sie wieder abhauen sollte, nun wollte er nichts mehr, als das sie wieder zurück kam. Er schloss die Augen und atmete einige Male tief durch. Ein Lächeln fand den Weg auf seine Züge. Auch wenn er sich fühlte als hätte sie einen Teil von ihm mit sich genommen, wusste er das sie noch viel mehr zurück gelassen hatte. Er wusste wieder wie wertvoll jede einzige Minute seines Lebens war, und das es zu kurz war, um es weiter mit Videospielen zu vergeuden. Sie hatte ihm wieder gezeigt wie schön es sein konnte die Welt zu erkunden und neues kennen zu lernen. Als er die Hand in seiner Tasche zur Faust ballte, spürte er das Samenkorn darin, er würde etwas aus seinem Leben machen, ein Versprechen das er sich selbst gab. Lilly würde auch nicht aufgeben, genauso wenig wie er. Wenn er doch nur diesen einen Tag noch mit ihr hätte genießen dürfen... Philipps Kehle brannte, fester presste er die Augen zusammen und dann hörte er das Knirschen von Kies. Ein leises Tuckern, gefolgt von dem Geräusch wenn der Motor abgestellt wurde. Er riss die Augen auf und drehte sich langsam herum. Das Auto seiner Eltern parkte gerade in der Einfahrt, als seine Schwester unter ihrem üblichen Gezeter ausstieg. Seine Mutter verdrehte die Augen und schlug die Autotür zu, dann erblickte sie ihren Sohn, der wie angewurzelt mitten im Garten stand. „Phili? Was machst du denn da?“ Sein Vater drückte den Knopf der Zentralverrieglung und das Auto schloss sich unter einem Klacken. Er winkte seinen Sohn heran und grinste. Eine Tüte mit Brötchen klemmte er sich unter den Arm. „Hey! Ich kann ein wenig männliche Unterstützung gebrauchen. Die Mädels machen mich noch fertig. Jetzt soll ich plötzlich Schuld sein das wir die ganze Nacht im Krankenhaus verbringen mussten, ich hätte mich mehr einsetzen müssen. Sagen zumindest die Weiber“ Seine Schwester Louisa und seine Mutter zeterten im Chor. „Diese Betten sind ein Alptraum! Mir tut der ganze Rücken weh.“ Philipp schmunzelte und zuckte mit den Schultern. „Ich vermisse jetzt schon die Ruhe im Haus, ohne euch.“ Das Lachen seines Vaters hallte in der Einfahrt wieder als die beiden Damen wieder das Schimpfen eröffneten. Die drei gingen langsam ins Haus, auch Philipp setzte sich nach kurzem Zögern in Bewegung. Sein Herz würde noch eine Weile wie Blei in seiner Brust liegen, aber er teilte Lillys Worte. Er war froh um jede Erinnerung die er an sie behalten würde. Und diese waren es, die ihm am meisten bedeuteten. Außerdem blieb ihm noch etwas, das Gefühl einer tiefen, tröstenden Verbindung in seinem Herzen. Das musste es sein, wovon sie gesprochen hatte, bevor er in ihre Seele getaucht war. Im Vorbeigehen fiel sein Blick auf das Schwert, das noch immer im Blumenbeet seiner Mutter steckte. Dafür würde er noch ein schönes Plätzchen finden, und ganz nebenbei vielleicht noch eine gute Ausrede was in ihrem geliebten Beet gewütet hatte. Hosted by Animexx e.V. 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