Falsch verbunden von Calafinwe (Fanfic Adventskalender 2015 - 1. Türchen) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Shinoa ging den trostlosen Gang entlang. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, wann sie das letzte Mal diesen Weg genommen hatte. Es musste bereits Wochen her sein. In der letzten Zeit versuchte sie, dem Leutnant Colonel so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Doch dieses Mal konnte sie nicht anders. Guren Ichinose hatte sie zu sich ins Büro zitiert, warum wusste sie nicht. ‚Ob es was mit diesem neuen Kommunikationsteil zu tun hat?‘, fragte sie sich nicht zum ersten Mal. Seit einiger Zeit kursierten Gerüchte in der Moon Demon Company, wonach die Wissenschaftler ein neues Gerät zur Kommunikation entwickelt hätten. Shinoa hatte sich anfangs nicht besonders dafür interessiert und auch die anderen Mitglieder ihres Squads hatten kein großes Interesse gezeigt, als sie es ihnen erzählt hatte. Sie hatte die ganze Angelegenheit ziemlich bald wieder vergessen. Hätte sie der Sache vielleicht mehr Aufmerksamkeit widmen sollen? „Wobei... Mein Squad ist das Unwichtigste überhaupt... Wieso sollten gerade wir diese neuen Geräte bekommen?“, murmelte die junge Frau. Niemand kam ihr entgegen, wie immer in dem Gang, der zu Gurens Büro führte. Zum Leutnant Colonel wollten seit einigen Jahren nie besonders viele Leute. Ganz abgesehen davon gab es jetzt so kurz vor Weihnachten bei weitem Wichtigeres zu tun. ‚Zum Beispiel Geschenke einpacken...‘ Shinoa blieb vor der schweren Holztür stehen, hinter der Ichinoses Büro lag. Es verwunderte sie nicht, dass sie ausgerechnet daran dachte. Die Lilahaarige hatte selbst noch einige Päckchen daheim, die auf Geschenkpapier und Schleifen warteten. Dummerweise war sie nicht besonders geschickt mit filigranen Bastelarbeiten. Vielleicht würde sie Mitsuba bitten, ihr wenigstens bei den Schleifen zu helfen. Dann konnte sie nicht mehr sehen, was genau sie bekommen würde. Shinoa wurde plötzlich aus ihren Gedanken gerissen, als sich die Tür vor ihr öffnete. Hatte sie etwa, ohne es zu bemerken, gegen das Holz geschlagen? Doch statt Guren kam ihr Norito Goshi entgegen, seines Zeichens Mitglied von Gurens Squad und Möchtegernfrauenheld erster Güte. „Hah, Shinoa! Du hier?“ Die junge Frau schob sich unter seinem Arm hindurch und hinein in das großräumige Büro. Schnell schloss sie die Tür hinter sich. Goshis zweideutige Sätze waren hinter dem schweren Holz nicht mehr zu verstehen. Guren seinerseits saß in seinem Schreibtischsessel und hatte seiner Besucherin den Rücken zugedreht. Leise Jazzmusik erfüllte den Raum und hinter dem großen Fenster waren Schneeflocken zu erkennen, die an der Scheibe klebten. Der Leutnant Colonel hatte die Augen geschlossen und Shinoa bisher nicht bemerkt. Sie ließ noch einmal ihren Blick durch den Raum schweifen. Erst beim zweiten Mal nahm sie die kleinen Schachteln zur Kenntnis, die sich hübsch verpackt und mit Schleifchen versehen auf einem kleinen Beistelltisch türmten. Ungefragt ging sie hinüber und sah sie sich genauer an. ‚Die sind aber hübsch eingepackt!‘ Shinoa zweifelte daran, dass Guren sie selbst eingepackt hatte. Wenn sie überhaupt von ihm stammten. Viel wahrscheinlicher war, dass Sayuri sie für ihn verpackt und verziert hatte. Jedes der Pakete war mit anderem Papier versehen, das eine war größer als das andere, aber bei jedem war das eingerollte Geschenkband schmal wie eine Nähnadel. Drei der Geschenke hatten einen kleinen Eibenzweig als Verzierung, die anderen beiden hatten jeweils zwei unterschiedlich große, glänzende Sterne, deren Grundlage wohl aus Pappe bestand. Jedes hatte aber ein Namensschild. Aus dem Augenwinkel fiel ihr auf, dass ihres das kleinste war. Typisch! „Die sind für euch... Zu Weihnachten...“, verkündete Guren. Er hatte sich bisher nicht in seinem Sessel gerührt. Als Shinoa sich zu ihm umdrehte, hatte er die Augen geöffnet und blickte aus dem Fenster hinaus. „Was ist da drin?“, fragte sie. Der Stuhl drehte sich herum. Guren legte in einer theatralischen Geste die Fingerspitzen aneinander. „Diese jungen Leute heutzutage... Ist es noch eine Überraschung, wenn ich dir sage, was drin ist?“, fragte er rhetorisch. „Ich hoffe, ihr freut euch alle darüber... Und jetzt raus mit dir.“ So schnell ist Shinoa noch nie von ihm abgekanzelt worden. Sie ersparte sich aber einen Kommentar, sammelte schnell die Geschenke ein und verließ das Büro.   ***   „Ich finde nicht, dass die besonders hübsch aussehen...“ „Sei still! Deine sind auch nicht schöner“, konterte Mitsuba. Sie und Yūichirō saßen zusammen im Wohnzimmer und packten Geschenke ein. Während die Blondine so umsichtig gewesen war, ihr Geschenk für Yū schon eine Stunde zuvor einzupacken, ohne dass er dabei war, hüllte Yūichirō das Buch, das er für Mitsuba gekauft hatte, nun direkt vor ihren Augen in das bunte Papier. Immerhin wusste sie noch nicht, dass es für sie war. „Überhaupt... schau nur mal, wie viel Klebstreifen du verwendest. Das ist doch viel zu viel.“ „Das Papier soll eben sicher am Geschenk dran sein“, verteidigte sich Yū. „Und die Schleifen auch...“ „Natürlich! Was für einen Sinn hat es denn, Geschenke mit Geschenkpapier einzupacken, wenn es dann herunterfällt und man nichts zum Auspacken hat?“ Die Blondine seufzte nur. In manchen Dingen war Yūichirō einfach nicht von dem abzubringen, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Da machte es dann auch nicht mehr viel Sinn, sachlich mit ihm zu diskutieren. „Mitsuba?!“ Die Angesprochene zuckte zusammen und sah ihrem Kameraden dann ins Gesicht. „Hörst du mir nicht zu?“ „Entschuldige...“ Sie griff nach der Schere, um das Geschenkpapier durchzuschneiden. „Welche der Geschenke gehören denn wem?“, fragte Yū. „Schlag es dir aus dem Kopf, deines ist nicht dabei.“ „Och... Hast du zufällig die Schere?“ Mitsuba reichte ihm den fraglichen Gegenstand und griff dann selbst nach den Klebstreifen. Die Rolle war schon fast aufgebraucht. ‚Und das, obwohl noch nicht alle Geschenke eingepackt sind...‘ Verärgert schüttelte sie den Kopf, wickelte die kleine Schachtel in das Geschenkpapier und riss nun einen noch kürzeren Klebstreifen als sonst ab. Damit würde es schließlich auch halten. In der Pappschachtel befand sich ein edel verziertes Brillenetui, das sie für Kimizuki gekauft hatte. Als Mitsuba damals in dem Laden davor gestanden hatte, meinte sie sich wage daran erinnern zu können, dass er seines verloren hatte. Inzwischen war sie sich gar nicht mehr so sicher. Aber man konnte schließlich auch zwei gebrauchen. Und der Verkäufer hatte ihr netterweise noch ein Putztuch kostenlos dazu gepackt. „Hast du das Klebband?“ „Ja‼“ „Warum bist du denn so aggressiv?“ „Weil du mich ständig in meinen Gedanken unterbrichst... Es wäre im Übrigen nett, wenn du etwas sparsamer mit dem Klebeband umgehst.“ „Ist ja gut. ... Wie soll ich dann das Geschenkband festmachen?“ „Mach einen Knoten rein.“ „Dann muss ich aber mehr davon nehmen.“ „Ja“, meinte Mitsuba frustriert. „Deswegen haben wir doch extra mehr davon gekauft...“ Yūichirō würde wohl heute nicht mehr damit aufhören, lästig zu sein. Wieso nochmal hatte sie sich dazu bereit erklärt, mit ihm die Geschenke einzupacken? Ach ja, Kimizuki wollte ihn nicht in der Küche haben. Jetzt durfte sich die Blondine mit ihm herumschlagen. „Ich hoffe, ihr freut euch alle über die Geschenke...“, meinte Yū. Als er das Buch fertig eingepackt hatte, legte er es vor sich auf den Tisch und sah es prüfend an. ‚Stimmt schon irgendwie... Besonders hübsch ist es nicht...‘, dachte er. Das Klebband war quer über das Buch verteilt und auch das Geschenkpapier hätte man noch bei weitem ordentlicher anbringen können. Die Schleife sah etwas zerdrückt aus, schien aber doch halbwegs gut zu halten. ‚Hätte ich es vielleicht einmal überkreuz umwickeln sollen‘, überlegte der junge Mann. Er zuckte mit den Schultern, griff zur Schere und schnitt das Geschenkband wieder durch. „Was wird das denn jetzt?“, fragte die Blondine kopfschüttelnd. „Das kann man noch hübscher machen!“ „Oh man! ... Denk daran, es ist der Gedanke, der zählt!“ Yūichirō wickelte großzügig das Geschenkband ab. Als er die Länge für angemessen hielt, schnitt er es durch. „Hast du nicht vorhin gesagt, dass die nicht hübsch sind?“ „Damit meinte ich, dass sie nicht hübscher sind als meine...“ „Ach so.“ Yū startete einen neuen Versuch. Er suchte sich die Mitte des Geschenkbandes und legte es quer auf den Tisch. Danach platzierte er das Buch, verknotete das Band einmal und drehte das Ganze um. ‚Jetzt noch einmal verknoten...‘ Fertig war die neue Schleife! ‚Obwohl...‘ „Mitsuba, wie machst du die Kringel in das Band?“ „Warte, ich helf dir...“ Die Blondine ging auf die andere Seite des Tisches und schob Yūichirō zur Seite. Sie separierte eines der Bänder, griff nach der Schere und zog gekonnt mit der Klinge einmal an der Unterseite des Bandes entlang. Als sie es losließ, rollte es sich von selbst ein. „Wow, das ist super!“ Mitsuba reichte Yū die Schere. „Jetzt probier es selber mal aus.“ Yūichirō tat, wie ihm geheißen, schaffte die Aufgabe aber nicht, ohne sich einen kleinen Schnitt am Finger zuzuziehen. „AUA‼“ Er ließ die Schere fallen, wo sie war und achtete gar nicht mehr auf das andere Ende des Geschenkbandes, das er nach etwa der Hälfte durchtrennt hatte. „Du liebes bisschen. Warte, ich hol dir ein Pflaster“, seufzte Mitsuba und zog von dannen.   ***   Nebenan waren Yōichi und Kimizuki damit beschäftigt, Kekse zu backen. Die anderen aus ihrer Truppe hatten ihnen die Aufgabe freiwillig überlassen. Die beiden Mädchen, weil sie schon einmal fast ihre Wohnung beim Kochen abgefackelt hätten. Und Yūichirō naschte üblicherweise recht viel, wenn sie Kuchen backten oder etwas anderes kochten und die Zutaten herumstanden. Eigentlich stand er in der Küche nur im Weg herum, hatte Kimizuki erklärt. Das hatte Yū als Beleidigung aufgefasst und wäre seinem Teamkollegen an den Kragen gesprungen, hätte Yōichi ihn nicht davon abgehalten. Und ihn dabei daran erinnert, dass er noch seine Geschenke einpacken musste. Mit einem frustrierten Seufzen hatte er sich zu dem blonden Mädchen gesellt. Jetzt hantierten die beiden Jungen mit Nudelholz, Backblechen, Ausstechformen und allerlei anderem Gerät herum. Während Kimizuki die Arbeitsplatte für sich in Beschlag genommen hatte und gerade dabei war, die letzte Fuhre für die Spitzbuben auszustechen, saß Yōichi am Tisch und verbrannte sich die Finger dabei, die noch heißen Plätzchen mit Marmelade zusammen zu kleben. Auf einem Tablett, das ebenfalls auf dem Tisch stand, stapelten sich die bereits fertigen Spitzbuben und Vanillekipferl, die sie schon am Vormittag gebacken hatten. „Autsch... Ich bin froh, wenn wir fertig sind“, meinte Yōichi. Er klebte ein Plätzchen zusammen und leckte sich dann die Finger, nachdem er es abgelegt hatte. Ständig ging ihm etwas von der Marmelade daneben! „Das sind jetzt eh die Letzten, dann können wir zumindest schon mal zum Teil sauber machen“, meinte Shihō. Er schob seine Brille auf dem Nasenrücken nach oben, auf der daraufhin etwas Mehl kleben blieb und reihte dann wieder Plätzchen auf das Blech. „Ich finde es nach wie vor faszinierend, wie gut du Kochen und Backen kannst“, schwärmte Yōichi und steckte sich unauffällig eines der Vanillekipferl in den Mund. „Das hab ich gesehen!“, meinte Kimizuki streng. Yōichi zuckte zusammen und sah über die Schulter. „Im Fenster?“, fragte er dann. „Natürlich!“ Der Gescholtene schwieg ertappt. Einige Augenblicke später betrat Mitsuba die Küche und ging zu dem kleinen Schränkchen, das einsam an der Wand hing. „Was suchst du?“, fragte Yōichi neugierig. „Pflaster. Yū hat sich doch tatsächlich mit der Schere in den Finger geschnitten!“ „Du liebes bisschen!“ Kimizuki kicherte leise vor sich hin, während die Blondine das Schränkchen öffnete und in der Haushaltsapotheke wühlte. Yōichi klebte weiter Plätzchen zusammen und der Meisterbäcker öffnete den Backofen, holte ein Blech mit fertigen Keksen heraus und tat zwei andere wieder hinein. „So, das sind jetzt die letzten“, meinte er. Das noch heiße Backwerk wanderte auf den Teller, der vor Yōichi stand. Dieser ließ frustriert die Schultern sinken. „Das nimmt ja kein Ende...“, sinnierte er. „Mehr kleben, weniger naschen, dann wirst du auch schneller fertig!“, mahnte Kimizuki. Mitsuba hatte endlich gefunden, wonach sie gesucht hatte. Triumphierend hielt sie ein großes weißes Stück Pflaster in die Höhe. „Sieht so aus, als müssten wir dringend wieder welche kaufen“, meinte sie und verschwand mit der Beute nach draußen. Nebenan wurde es gleich wieder lauter, als sich Yūichirō mit Mitsuba darüber stritten, wer ihm besser den blutenden Finger verarzten könne. Und ob wirklich das ganze Pflasterstück dafür nötig sei. Kimizuki starrte einige Augenblicke zweifelnd auf die Tür, bevor er Yōichi zur Hand ging. „Diese Kinder werden nie erwachsen...“, meinte er und klebte zwei Plätzchen zusammen. Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht merkte, dass er zwei Böden erwischt hatte. „Das war aber jetzt falsch...“, kommentierte Yōichi. Der Brillenträger sah auf seine Hände und schob sich das Malheur kurzerhand in den Mund. Es folgten noch zwei Deckel mit den obligatorischen Löchern. Mitsuba und Yū schienen sich mittlerweile darauf geeinigt zu haben, wer dem jungen Mann das Pflaster auf die Wunde klebt. Es herrschte andächtiges Schweigen im Wohnzimmer. „Ich finde das schon seltsam, dass die wollen, dass wir Weihnachten feiern“, bekundete Yōichi. Er leckte sich gerade wieder Marmelade von den Fingern. „Du weißt, zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls...“ „Ja... Aber muss man dafür extra einen dekorierten Weihnachtsbaum aus einem Kaufhaus klauen?“ Kimizuki schob sich noch mal ein Plätzchen in den Mund. „Es schadet doch nicht, zwischendurch einmal eine Mission zu haben“, befand er kauend. „In letzter Zeit war es zwischen den Vampiren und der Japanese Imperial Demon Army doch ziemlich still. Besser, wir gehen zwischendrin auf Missionen, bei denen wir wenigstens gegen Reiter der Apokalypse kämpfen müssen. Sonst rosten wir ein.“ „Aber einen Christbaum klauen...“ „Warum? Das Kaufhaus war doch eh nicht mehr in Betrieb.“ „Trotzdem ist es falsch, einfach etwas zu stehlen. Vor allem noch wegen Weihnachten.“ Kimizuki seufzte. Manchmal war auch bei Yōichi wirklich Hopfen und Malz verloren.   ***   Drei Tage später:   „Lass die Finger davon!“, schimpfte Mitsuba. Yūichirō hatte zum dutzendsten Mal nach dem Plätzchenteller gegriffen. Und das, obwohl der Weihnachtsabend noch nicht offiziell eröffnet worden war. Die Geschenke lagen bereits unter dem geklauten Weihnachtsbaum, den Kimizuki tags zuvor noch einmal grob entstaubt hatte. Jetzt blinkten viele kleine Lämpchen zwischen bunt glitzernden Kugeln. Für die Menge an Geschenken war der Baum allerdings zu klein. Stattliche 20 Päckchen stapelten sich unter der künstlichen Tanne. „Wo ist Shinoa?“, fragte Yōichi. „Hat noch was vergessen“, antwortete die Blondine. Yōichi schob den Plätzchenteller unauffällig zur Seite, während Mitsuba auf dem noch freien Sessel Platz nahm. Schweigen fiel über die vier jungen Leute. Nach etwa zwei Minuten stand Yū auf und ging zu dem Baum hinüber. Fasziniert verfolgten seine drei Freunde, wie er sich noch mal hin bückte und die Geschenke anders anordnete. Gerade, als er aufstehen und sein Werk begutachten wollte, kam Shinoa herein. Alle Blicke richteten sich auf sie. „Wie viele Geschenke hast du eigentlich gekauft?“, fragte Yūichirō und deutete mit dem Finger auf die Päckchen, die sich auf ihren Armen stapelten. „Und beschenkst du dich neuerdings selbst?“, fragte Kimizuki. „Die sind nicht von mir, sondern vom Leutnant Colonel“, erklärte die Lilahaarige. „Ach‼“, kam es wie aus einem Munde. Shinoa hatte mit kollektivem Erstaunen gerechnet. Ihr war es letzte Woche nicht anders ergangen. ‚Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben...‘, dachte sie. Als sie Gurens Geschenke entsprechend zugeordnet hatte, gesellte sie sich zu den anderen. „Und nun?“, fragte Yōichi. „Jetzt feiern wir Weihnachten!“, verkündete Mitsuba. Yū kratzte sich am Kinn. „Können wir nicht gleich Geschenke auspacken?“, fragte er ungeduldig. Shinoa ließ den Kopf hängen, stand wieder auf und ging zu dem Weihnachtsbaum hinüber. Sie sammelte die Geschenke ein, die für Yūichirō bestimmt waren und gab sie ihm. Die anderen verfolgten schweigend, wie er sich zuerst das schnappte, das offenbar von Guren war. Rabiat riss er das Papier von der Schachtel, die glitzernden Dekosterne segelten zwischen Geschenkpapier und Band zu Boden. Yū fing an zu mosern, weil die Pappe selbst noch mal mit Klebstreifen versiegelt war. „Meine Güte, was da wohl drin ist...“, wunderte sich Kimizuki und holte eine Schere. Als er zurück kam, hatte sein Freund den einen Klebstreifen bereits abgepult und versuchte nun, den Karton zu öffnen. Yū kämpfte ganze fünf Minuten mit dem Unterfangen, während seine Teamkollegen ihm erstaunt und neugierig dabei zusahen. „Hier...“ Yūichirō griff nach der angebotenen Schere und schnitt den zweiten Klebstreifen durch. In Windeseile hatte er den Deckel von der Kiste gehoben. Ein kleiner Zettel segelte heraus und kam auf seinem Schoss zum Liegen. Darauf stand:   „1. Einschalten 2. Nummer XXX eintippen 3. Auf das grüne Hörersymbol drücken“   „Was ist das denn...?“, fragte er sich. „Ohe“, kam es derweil von Shinoa, „Das sind wohl die neuen Kommunikationsgeräte.“ Yū legte den Zettel auf den Tisch vor sich und griff wieder nach der Schachtel. Er holte ein kleines schwarzes und sehr flaches Gerät daraus hervor, das sicherheitshalber noch einmal mit Plastikfolie eingewickelt war. Als er es auch davon befreit hatte, suchte Yūichirō es nach einem Knopf ab und fand mehrere. Er probierte alle durch, bis Licht den Bildschirm des Gerätes erhellte. Kimizukis Gesichtsausdruck wurde immer skeptischer. „Braucht man neuerdings keinen Satellitenkontakt mehr für die Dinger?“, fragte er in die Runde. „Soweit ich weiß, haben sie’s mit kleineren Satelliten auf den Hochhausdächern auf die Reihe gekriegt...“, antwortete Shinoa. „Aber ich bin auch keine Expertin.“ Sie verfolgten weiter gespannt, was sich auf dem Gerät tat. Geschlagene fünf Minuten musste Yū warten, bis er etwas mit dem Display anfangen konnte. „Und nun?“, fragte Yōichi. „Versuch doch mal, die Nummer einzutippen...“, schlug Mitsuba vor. „... Wenn ich nur wüsste, wie...“ Yūichirō klang ratlos. Er fummelte auf dem Display herum, bis er so etwas wie eine Tastatur zu sehen bekam. Er griff nach dem Zettel mit der handschriftlichen Notiz und tippte die angegebene Nummer ein. Zum Abschluss tippte er theatralisch auf das entsprechende Hörerfeld. „Jetzt musst du es dir ans Ohr halten“, meinte Shinoa. „Nein nicht so, anders herum.“ In dem Gerät tutete es fröhlich vor sich hin. Yū wusste nicht so recht, was ihn erwartete. Erst nachdem der Pfeifton zum sechsten Mal ertönte, tat sich etwas am anderen Ende. „Was is‘?“, fragte eine vertraute Stimme aus dem Apparat. „Guren?!“ „Yūichirō, bist du das? ... Wieso rufst du jetzt schon an?“ „Häh? Stand das nicht auf dem Zettel?“ „... Habt ihr jetzt schon die Geschenke ausgepackt?“ „Natürlich! Es ist doch Weihnachten!“ „Die Geschenke gibt es normalerweise erst am Morgen des 25. Dezember...!“ Während Yū mit Guren telefonierte, sah er seinen vier Mitstreitern immer wieder gespannt in die Gesichter. Er hatte noch nie zuvor in seinem Leben selbst ein Telefonat bewerkstelligt. Yūichirō kam sich furchtbar erwachsen vor. „Wer ist das bei dir?“, fragte er, als er im Hintergrund der anderen Leitung Geräusche hörte. „Geht dich nichts an...!“   ***   Shinya saß auf einem bequemen Ledersessel in der Wohnung seines Freundes Guren Ichinose und hörte mit einem Grinsen dem Gespräch des Leutnant Colonel zu. Dieser kanzelte seinen Schützling gerade mit einem barschen ‚Geht dich nichts an‘ ab. Das Gegacker am anderen Ende der Leitung war für den Weißhaarigen deutlich zu hören. „Mach doch mal den Lautsprecher an...“, meinte Shinya. Guren warf ihm einen eisigen Blick zu. „Warum sollte ich das tun?“, fragte er ihn. „Was is‘?“, kam es derweil aus der Leitung. „Um zu testen, ob die Lautsprechfunktion auch funktioniert... Du willst es doch selber genauso wissen, oder nicht?“ Ichinose brummte, stellte das Telefon dann aber um. Das Getratsche von Shinoas Einheit war nun klar und deutlich zu hören. Shinya grinste spöttisch. „Na, war doch gar nicht so schwer!“, meinte er. „Wer war das?“, trällerte Yūichirōs Stimme aus dem Apparat. „Shinya Hīragi...“, antwortete Shinoa. Guren schwieg mit verschmitztem Gesichtsausdruck. „Wer?“ „Mensch, der Weißhaarige! Den solltest du doch mittlerweile kennen!“, schaltete sich nun auch Mitsuba ein. „‚Der Weißhaarige‘ hört übrigens zu...“, feixte Guren. „Und mit den Geräten werden wir in Zukunft arbeiten?“, fragte Yū weiter. „Ja. Die Geräte heißen übrigens Smartphone.“ „Aha.“ Es klang nicht sehr überzeugt. „Ich glaube, es ist besser, wenn wir das Gespräch an dieser Stelle abbrechen“, befand der Leutnant Colonel. „Ihr habt sicher noch jede Menge anderer Geschenke zum Auspacken.“ „Woher weißt du...?“, fragte Yū. „Nenn es Intuition ... Zum Beenden des Gesprächs musst du auf die rote Hörertaste drücken.“ Shinya verdrehte theatralisch die Augen gen Himmel. „Frohe Weihnachten, euch auf der anderen Seite“, meinte er. „Ah?“ „Jetzt schalt schon ab!“, forderte Shinoa. „Okay.“ Guren und sein Freund starrten abwartend auf das Smartphone. Ob das mit dem Abschalten geklappt hatte? Ichinoses Gerät zeigte an, dass das Gespräch immer noch lief. Prüfend legte er es vor sich auf den Tisch. „Is‘ doch assi...“, kam es wie aus weiter Ferne aus dem Gerät. Yū und seine Freunde schienen es wohl doch nicht geschafft zu haben, das Telefonat zu beenden. „Was meinst du?“, fragte Shinoa. „Dass wir die Dinger für Weihnachten bekommen... Wenn wir die vermutlich eh früher oder später gekriegt hätten.“ „Er macht es sich halt einfach...“, meinte die jüngste Hīragi-Tochter, „So muss er sich nicht groß Gedanken machen, was er schenken könnte.“ „Ob er den Leuten aus seinem eigenen Squad auch solche Geräte geschenkt hat?“, fing nun Yōichi an. Shinya saß mit einem verträumten Grinsen auf dem Ledersessel und überlegte, ob er Gurens Geschenk heute schon auspacken sollte. Sein Freund saß indes grimmig auf seinem Platz und starrte wütend auf das Telefon. „Da muss Sayuri aber viele Geschenke zum Einpacken gehabt haben...“, sinnierte Shinoa weiter. Der Weißhaarige musste sich zusammenreißen, um nicht lauthals loszulachen, während aus dem Apparat nur Schweigen kam. „Er packt die Sachen nicht mal selber ein?“, fragte Yū einen Moment später enttäuscht. „Wie assi...“ „Glaubst du etwa, dass Männer Geschenke so hübsch verpacken?“, fragte Mitsuba rhetorisch. „... Immerhin habe ich mir Mühe gegeben bei der Auswahl der Geschenke....“, gab Yūichirō zu Bedenken. Guren griff wütend nach dem Smartphone und beendete das aufschlussreiche Telefongespräch von seiner Seite aus. Shinya seinerseits brach in schallendes Gelächter aus. „Ja, WIRKLICH assi!“, kommentierte er nur, als er sich wieder etwas beruhigt hatte. Der Leutnant Colonel warf ihm einen tödlichen Blick zu.   ~ FIN ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)