Bratapfelduft von _Risa_ (Fanfic-Adventskalender 2015 (6. Türchen)) ================================================================================ Kapitel 1: Bratapfelduft (One-Shot) ----------------------------------- Wisst ihr wonach Bratäpfel duften? Nach Winter, Kälte und Schnee und dennoch, oder vielleicht deshalb, erinnern sie mich an Wärme und Geborgenheit. An Christkindlmärkte, die man in warme Sachen eingemummelt besucht, wenn man sich an einem frisch zubereiteten Punsch festklammert. Du spürst das Häferl in deinen Händen kaum, nur die Wärme. Du senkst deinen Blick, damit der fruchtig duftende Dampf deine Nase wärmen kann und wenn du ich wärst, so wärst du überglücklich den unscheinbaren, wenig besuchten Stand in einem abgelegenen Eck des Marktes entdeckt zu haben. Denn er verkauft Punsch mit Bratapfelgeschmack. Wieso ausgerechnet diesen? Wenn du ich wärst, würdest du es verstehen. Denn Bratäpfel duften nach dem Haus meiner Großeltern. Für jemand anderen war es bloß nur die abgelegene Hütte am Rand des Wienerwalds, in dem das ältere Ehepaar aus Ex-Jugoslawien lebte, das ihren Besuch stets mit einem Lächeln willkommen hieß und der Nachbarschaft stets einige, günstige Eier verkaufte. Die Hütte war nicht besonders groß, auch nicht schick. Ebenso kannst du dir auch meine Großeltern vorstellen. Einfache Leute mit einem Gemüsegarten und einem kleinen Hühnerstall. Wahre Selbstversorger. Früher, das liegt so weit zurück, das ist beinahe nicht mehr wahr, waren sie Angestellte eines großen Unternehmens gewesen. Erzählt man davon, klingt das sehr mondän, nicht wahr? Sehr weltgewandt und gebildet. Das sind Leute, die haben etwas in ihrem Leben erreicht. Das würde es, wenn ich dir die gesamte Wahrheit verschweige. Meine Großeltern kamen als Gastarbeiter hierher. Erst Opa, zwei Jahre später Oma, mit einem kleinen Kind im Schlepptau. Dieses Kind war mein Vater. Mit Stolz kann man sagen, dass sie sich behauptet haben. Leider dankte ihnen das Leben wenig und so blieben sie Zeit ihres Lebens unterbezahlte Angestellte. Nach ihrer Pensionierung strickte Oma gerne, saß wie aus einem Kinderbuch entsprungen den ganzen Nachmittag über in ihrem fast antiken Fauteuil vor dem Kamin und sah zu wie der Schal mit jeder Masche länger und länger wurde. Mit sanftem Blick betrachtete sie den dicken, alten Kater, der sich vor dem Kamin rekelte. Versetzen wir uns in diese Zeit zurück. Ich tu es gerne. Der Kater ist schon zwanzig Jahre alt und sein zerfleddertes Ohr ist ein Beweis seiner jungen, wilden Tage. Als Kind hast du dir vorgestellt, er wäre unbezwingbar, er wäre früher in einem jeden Revierkampf glorreicher Sieger gewesen, und selbst der Tod hätte Angst vor ihm. Du hast dir immer gewünscht, dass er genauso lange lebt wie deine Großeltern. Deshalb hoffst du, dass diese rüstigen, alten Leute ebenso unbezwingbar sind. Opa ging gerne hinaus, beobachtete die Tiere im Vorstadtgebiet und kümmerte sich – sehr klassisch – um das Holzhacken. Wenn ihr mich fragt, glaube ich, dass meine Großeltern dem Stress ihres Lebens gerne den Rücken kehrten und sich ihre eigene, kleine Idylle aufbauten; den äußeren und inneren Antrieb immer mehr und mehr für ihre Kinder erreichen zu müssen, damit diese nach immer mehr und mehr für deren eigenen Kinder streben können, ablegten. Ihr Gesicht wurde wie das Ohr des Katers durch die Zeit und das Leben gezeichnet. Das hast du an den Sorgenfalten auf ihrer Stirn und ihren faltigen Händen gesehen. Zu Weihnachten wurde dir bewusst, dass sie sich zufrieden vom Stress unserer Zeit abwandten. Zum ersten Advent überlegen sich die meisten Menschen bereits, was sie dem anderen schenken sollen. Wie groß darf es sein? Ist es angebracht? Was werde ich wohl geschenkt bekommen? Wird es denselben Wert besitzen? Hat es einen höheren Wert? Werde ich den anderen dadurch kränken? Von meinen Großeltern bekam ich zu Nikolo nur einen gestrickten, roten Socken mit Nüssen, Mandarinen und einem Bratapfel geschenkt. Ich werde diesen Duft niemals vergessen. Stell dir vor, du öffnest die Schleife deines kleinen Geschenks und dir weht dieser unglaubliche Duft um die Nase. Die Mandarinen, sie riechen süß und ätherisch, doch sie werden vom Duft des Bratapfels überlagert. Er ist in eine glänzende Weihnachtsfolie eingehüllt, die den Schokoladenglanz verstärkt. Stell dir vor, du wickelst ihn, beinahe gierig, aus und die Duftnote, die deine Nase kitzelt, ist eine Komposition aus Frucht und Schokolade. Beides ist süß und schmeckt doch so unterschiedlich. Er erfüllt all deine Sinne mit Wonne. Zum zweiten und dritten Advent werden die Menschen gereizt. Sie rempeln sich gegenseitig an, um als Erstes die preisreduzierte Ware mit der knalligen Schrift auf dem Schild des Warenkorbs, zu ergattern. Sie keifen und sie keppeln über die Politik, ihre Familie, ihren Partner, ihre Freunde, fremde Menschen, die öffentlichen Verkehrsmittel und erst recht über den Winter. Wie kann es der Winter wagen kalt zu sein? Wo gibt es denn sowas? Deine Familie hat sich bereits freitags um vier Uhr, direkt nach der Schule, aus der Stadt beeilt, um das gesamte Wochenende bei den Großeltern zu verbringen. Dort lässt du dich verwöhnen, genießt es, dass es zwar Fernsehen, aber kein Internet gibt, und genießt den Braten. Der wahre Höhepunkt des gemeinsamen Essens, es wird viel gelacht, geblödelt und Anekdoten erzählt, ist das Dessert: Deine Oma serviert deiner Familie einen bezuckerten Teller, der dich an Schnee erinnert, darauf einen ausgehöhlten Apfel, den sie liebevoll mit Vanille und geriebenen Mandeln füllte. Bereits während der Vorspeise hast du immer wieder in die Küche gespäht, da dich der verführerische Duft hineinleitete, doch deine Oma hat dich mit einem Lachen davongescheucht. Zum vierten Advent hast du viele Tränen vergossen. Anstatt die Weihnachtsdekoration, den Zauber der geschmückten Innenstadt und die Anwesenheit deiner Familie zu genießen, warst du tagelang zu Hause und hast für Mathe gebüffelt. Und für Englisch. Für Latein auch, das ist doch klar. Ebenso für Chemie. Ersteres und Letzteres hast du in den Sand gesetzt. In der Weihnachtszeit aggregieren sich die Prüfungen in ein oder zwei Wochen. Hättest du bloß beim Chemietest schon verstanden, was Aggregation bedeutet. Nach der Schule, du bist noch ganz aufgelöst, fährt deine Familie zu deinen Großeltern. Du freust dich auf den Bratapfel und die süßlich-würzige Vanillesauce, die von Mandeln und Zimt abgerundet wird. Leider fängst du dir bei einer Schneeballschlacht eine Grippe ein, also bleibt ihr bis nach Weihnachten. Da es euch so gut bei euren Großeltern gefällt und deine Eltern beide Lehrer sind, bleibt ihr bis zu Silvester. Es sind besinnliche Festtage, die trotz der Tatsache, dass du dich in eine Bazillenschleuder verwandelt hast, genießt. Ihr feiert unter einem bescheiden geschmückten Christbaum, auf dem Schokoschirmchen, echte Kerzen und silberne Kugeln hängen. Zum vierten Advent und zu Weihnachten serviert dir deine Oma deinen geliebten Bratapfel. Mit extra-viel Vanillesauce. Danach wird sie das nie wieder können. Meine Oma starb am vierten Januar und mittlerweile rekelt sich auch der alte, dicke Kater mit dem halben Ohr nicht mehr vor dem Kamin. Mein Opa war am Boden zerstört, er sah aus, als hätte man ihm mit einem Schlag seines gesamten Lebensinhaltes beraubt. Deshalb folgte er ihr nach dem darauf folgenden Weihnachtsfest. Danach duftete die alte Waldhütte deiner Großeltern nie wieder nach Bratapfel und du verstehst, dass es nicht der Bratapfelgeruch war, der dich zu Hause fühlen ließ, sondern die Erinnerungen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)