Nächtlicher Ausflug von KiraNear (~Sugar and Cinnamon~) ================================================================================ Kapitel 1: Nächtlicher Ausflug ------------------------------ Gemurmel kam von der anderen Seite der geschlossenen Türe, doch Sugar musste die Worte nicht verstehen, um zu wissen, was dort beredet wurde. Ein Blick auf die Uhr und aus dem Fenster reichte ihr vollkommen aus. Der Uhrenturm schlug 22 Uhr, der Zeitpunkt, an dem die Jugendlichen in ihrem Alter die Nachtruhe einkehren sollte. Sugar war erst vor einem halben Jahr 16 Jahre alt geworden, und genoss die längere Zeit, die sie vor dem Zubettgehen hatte. Doch wie alle anderen Menschen war auch sie ein Gewohnheitstier, das nach mehr schrie und so kam ihr die zusätzliche halbe Stunde recht bald nicht mehr so lang vor. Wenigstens lag ihr Zimmer am Ende des Flurs und so hatte sie im Gegensatz zu ihren Heim-Mitbewohnern ein paar Minuten mehr. Die sie jedoch meistens ans ausgiebige Abschminken, Musik hören oder schauen von Onlinevideos verlor. Schließlich klopfte es an ihrer Türe und Schwester Lisa schaute vorsichtig herein. Sie war schon lange von ihrem Alter gezeichnet, die Haare weiß und das Gesicht war lange nicht mehr so straff wie in ihrer Jugend. Doch Schwester Lisa erfreute sich an jeden Tag, den sie hatte und teilte dies auch gerne mit ihren Schützlingen. Zwar hatte sie eine strenge Hand, aber auch ein freundliches Herz. So kamen sich keine der Kinder oder Jugendlichen auf Dauer benachteiligt vor.  Sie war jedem wie eine freundliche Großmutter, die dennoch eine autoritäre Ausstrahlung besaß. Zwar hinderte es ihre Schützlinge nicht daran, ab und an über die Strenge zu schlagen, aber ihre Strafen waren stets angemessen. Andere hatten es da nicht so gut, und sie wünschten sich, ebenfalls in die Obhut von Schwester Lisa zu kommen. Doch so gerne sie es auch tun würde, käme sie gar nicht mehr aus der Arbeit heraus und könnte den ihren nicht mehr so viel Zeit und Aufmerksamkeit geben, wie sie es ihrer Meinung nach verdient hatten.   „Hallo, Sugar, meine Liebe. Kann ich für einen Moment hereinkommen oder musst du dich noch bettfertig machen?“ Dass sie sich zu jedem ihrer Kinder, wie sie unabhängig von ihrem Alter her nannte (selbst im Erwachsenenalter waren sie immer noch ihre Kinder), für ein paar Minuten gesellte und mit ihnen redete, war für sie mehr als selbstverständlich. Eine Tatsache, mit der sie noch mehr unter ihren Kollegen und Kolleginnen herausstach. Sugar genoss die Zeit mit ihr, sie konnte sich mit ihr über alles austauschen. Was sie am Tag erlebt, wenn sie Probleme in der Schule oder wenn sie sich wieder mit ihrer Zimmergenossen gestritten hatte. Cinnamon, mit der sich das Zimmer teilte, hatte sich bereits ins Bett gelegt und dort nach wenigen Sekunden eingeschlafen. Cinnamon war schon immer jemand, die sehr viel Schlaf benötigt, selbst als Baby soll sie bereits viel mehr geschlafen haben als andere Babys. „Natürlich können sie das, Schwester Lisa. Kommen sie ruhig rein, aber passen sie auf. Ich glaube, Cinnamon hat einen schönen Traum und ich möchte sie dabei nicht stören.“ Mit einem Blick zum anderen Bett, schlich die Schwester ganz vorsichtig hinein und setzte sich zu der Kleinen ans Bett. Dass sie immer noch den Schlafanzug trug, den sie ihr unter anderem zum Geburtstag geschenkt hatte, nahm sie mit Freude wahr. „Dann werde ich auch nicht so lange bleiben!“, sagte Schwester Lisa leise. „Ich wollte mich nur kurz bei dir erkundigen, bevor ich dich ebenfalls ins Bett schicke. Hast du einen schönen Tag gehabt? Ich hab gehört, ihr habt heute in Hauswirtschaft einen Schokoladenpudding zubereitet. Freust du dich darauf, ihn morgen zu essen?“ Sugar nickte eifrig, war der Hauswirtschaftsunterricht doch einer der wenigen Fächer, die sie wirklich mochte und bei denen sie sich wirklich Mühe gab. So war sie stolz auf den Pudding, den sie unter Aufsicht der Lehrköchin zubereitet hatte. „Das ist schön. Dann hast du ja etwas, auf das du dich freuen kannst. Es geht doch nichts über eine gesunde Portion Vorfreude, die einen durch das Leben und den Tag begleitet. Aber nun geh rasch ins Bett, dann ist die Nacht schneller vorbei, als du schauen kannst.“ Sie stand auf und gab ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn. Cinnamon strich sie lediglich über die Decke, diese bewegte sich nicht und schlief weiter. „Mögen der uns liebende Gott und die beschützten Engel über dich wachen, dir eine angenehme Nacht bescheren und dich vor finsteren Albträumen beschützen.“ Sie alle wussten, wie wichtig Schwester Lisa ihr Glaube war; doch seit Schwester Annika in ihrer Abwesenheit eine Wutrede gehalten hatte, wurde bei sämtlichen anwesenden Hörern ihr Glaube in den Grundfesten erschüttert. Manche sind geblieben und hatten es als Ketzerei angesehen; andere wurden verunsichert und wussten nun nicht mehr, was sie glauben sollten oder nicht. Schwester Lisa fand ihren Frieden und ihr Glück in ihrem Glauben, jedoch ohne ihn an eine dritte Person aufdrücken zu wollen. Aus diesen Gründen hatte die Leitung zusammen mit den Heimbewohnern den Mantel des Schweigens über die Angelegenheit gelegt und ihr gegenüber nicht einer Silbe darüber verloren. Sie wussten, dass ihr Glaube stark war, dennoch wollten sie nicht, dass sie in Gefahr geriet, ihn zu verlieren. Sie befürchteten, dass dabei ein Teil von ihr für immer sterben würde. So schwiegen sie und bekräftigten sie in ihrem Glauben, wenn sie schon ihren eigenen verloren hatten. Wenn er überhaupt vorhanden gewesen war.   „Vielen Dank, Schwester Lisa!“, flüsterte Sugar und drehte sich in ihrem Bett auf die Seite. Diese lächelte nur, löschte das Licht und verschloss leise die Zimmertüre. Man hörte ihre Pantoffeln, als sie den Gang hinunterging, dann war nichts mehr zu hören. Doch Sugar war viel zu wach um jetzt einzuschlafen. Sie musste einfach wissen, ob und wie ihr der Pudding gelungen war, sie konnte nicht bis zum nächsten Tag warten. Darauf wartend, ob die Schwester zu ihr zurückkehren würde, wartete sie ab. Doch auf dem Flur tat sich nichts, und als es nach ein paar Minuten immer noch der Fall war, hörte sie auch schon die Stimme ihrer Freundin von hinten. Sie drehte sich zu ihr um. „Hey, Psst, Sugar! Bist du wach, Sugar?“ Leise zischte ihre klare und feste Stimme durch die Dunkelheit, das war eine der Unterschiede zwischen ihnen. „Klar bin ich noch wach, aber ich dachte, dass du längst schläfst. Oder haben wir dich etwa aufgeweckt?“ Ein Hauch von einem schlechten Gewissen steckte in ihren Worten, aber Cinnamon blieb davon unbeeindruckt. „Mach dir nicht gleich ins Hemd. Ich war schon die ganze Zeit über wach, mittlerweile müsstest du es doch wissen, wann ich wirklich am Schlafen bin und wann ich nur so tue als ob. Tja, das zeigt nur mal wieder, wie gut mein Können ist.“ Selbst sie mochte die Schwester, aber an manchen Abenden gingen sie ihr aus dem Weg. Sie wollte in diesen Momenten lieber nicht mit ihr reden, aus verschiedenen Gründen. Heute war Sugar der Grund dafür. „Gib es doch zu, dir brennt der Pudding unter den Nägeln! Du möchtest doch auch wissen, wie er schmeckt … naja, ist ja nicht so, als könnte ich ihn essen. Blöde Intoleranz!“, maulte sie unterhalb der Zimmerlautstärke vor sich hin, Sugar sah sie mittleidig an. „Schwester Betty arbeitet doch bereits daran, einen guten Pudding mit laktosefreier Milch zu finden, du musst nur ein wenig Geduld haben. Sie will doch auch nur, dass du ihn genauso gut genießen kannst wie wir.“ Cinnamon blieb ihr eine Antwort übrig und so wusste sie nicht, ob ihr das Mädchen überhaupt zugehört hatte. Sie war froh, sie als Zimmergenossin und beste Freundin zu haben. Letzteres war nicht schwer, da sie im Heim, trotz dass sie mit vielen zurecht kam, die einzige Freundin war. Sie hatte das Gefühl, dass Cinnamon die einzige war, die sie zum größten Teil verstand, ihre Gedanken nachvollziehen konnte und teilte. Sie war froh, dass sie sie gleich nach ihrem Einzug vor vier Monaten kennenlernte und nun war sie ein Teil ihres Lebens, wie eine Schwester. Auch war sie froh, dass sie aus der gleichen Gegend wie sie stammte, so hatte sie jemanden, mit dem sie über die alte Heimat sprechen konnte. Eine Heimat, in die sie nie wieder zurückkehren konnten. „Hauptsache, der Pudding ist zuckerfrei, und die Fettpolsterträger sind bedient. Aber die mit ihrer angeborenen Unverträglichkeit, die können ja ruhig noch etwas warten“, neckte sie in einem doppeldeutigen Ton herum, so dass nicht ganz klar war, ob es sie wirklich mitnahm oder ob sie nur so tat. Bei Cinnamon konnte sie das nie so richtig einschätzen, aber genau das mochte sie an ihr. Sie selbst kam sich so gewöhnlich und vorhersehbar vor. „Uff, ich weiß gar nicht, was die Frau sich dabei denkt. Es ist zwar lieb gemeint, wenn sie uns alle zur gleichen Zeit ins Bett schickt“, stöhnt sie, die Augen unter ihren Händen begraben. „Aber wir sind nun mal andere Zeiten gewohnt, da können wir ja nie um die Uhrzeit einschlafen. Wie soll das denn gehen?“ Sugar zuckte nur mit den Schultern. Klar liefen in ihrer Heimat die Uhren anders, jedoch hatte sie sich recht schnell an die neuen Zeiten gewöhnen können. Nur ab und zu, wenn sie viel Energie hatte oder aufgeregt war, fiel es ihr schwer, innerhalb von einer Stunde oder mehr einzuschlafen. Oder aber, wenn sie von Cinnamon wachgehalten wurde. Da sie jetzt keine richtige Müdigkeit verspürte, hatte sie nichts gegen einen kleinen Plausch vor dem Schlaf. „Gewohnheit, es ist nichts als Gewohnheit“, sagte sie nur, als wäre damit alles geklärt. Cinnamon sah zu ihr herüber, verzichtete darauf etwas zu erwidern.   Sie schwiegen eine Weile, dann unterhielten sie sich über die Ereignisse des Tages. Den Heimalltag, in dem sich Sugar langsam zurecht fand; das Essen, das jeden Tag ein wenig besser wurde und Sugars gute Note beim Gedichtaufsagen. Cinnamon fand es nach wie vor lächerlich, „dass jemand in unserem Alter noch Gedichte aufsagen muss“, doch Sugar fand es ganz nett. „Meine Mutter war berühmt für ihre tollen Gedichte“, murmelte sie, dann wurde sie für einen Moment traurig. In der Tat war sie eine sehr berühmte Geschichtenerzählerin gewesen, doch das war einmal. Jetzt konnte sie nie wieder ihren Meisterwerken lauschen. Leise floss eine Träne über ihre Wange, sie wischte sie weg. Cinnamon schluchzte ein wenig, wieder verfielen sie in Schweigen. Beide gingen sie ihren Gedanken nach, beide wollten sie lieber einen Themenwechsel. Doch der heutige Tag war bereits bis zur Genüge durchgekaut; und da Cinnamon keine Bücher las, konnte Sugar auch nicht über den Inhalt des kleinen Wälzers reden, in den sie Tagsüber ihre Nase hineinsteckte, so oft sie es konnte. Zwar hatte sie in ihrer Heimat auch oft gelesen, aber meist waren es entweder die Gedichte ihrer Mutter oder die Werke ihrer Heimatautoren. Hier war sie in einer völlig neuen Umgebung, mit völlig neuen Autoren und ihren Geschichten, was sie wahnsinnig aufregend fand. Cinnamon dagegen begeisterte sich eher für die neuartige Musik, die ihr überall begegnete. Doch da sie noch nicht die richtige „Musikrichtung“ gefunden hatte, experimentierte sie zum Leidwesen der anderen Bewohner mit den verschiedensten Genres. Momentan war sie in ihrer Black Metal Phase, doch die meisten wussten, dass diese meist nur wenige Tage hielten. Und hielten tapfer durch. Sugar dachte sich oft, dass Schwester Lisa ihr Kopfhörer schenken würde, passend in Grün zu ihrem CD-Player. Doch Cinnamons Geburtstag lag noch in weiter Ferne und so mussten sie alle noch eine Weile damit auskommen. „Psst, hey, kleines Täubchen!“, zischte sie leise zu ihr herüber. In Augenblicken wie diesen bereute es Sugar, ihr ihren Kindheitsspitznamen verraten zu haben. „Kannst du auch nicht einschlafen? Mir fällt das gerade voll schwer!“ Sugar verdrehte die Augen. Dass sie sich nicht umdrehen und einfach wegschlafen konnte, war beiden von ihnen klar, doch Cinnamon fühlte sich nicht als Verursacherin dafür verantwortlich. „Nein, kann ich auch nicht.“ „Gut!“, sagte sie, sprang aus dem Bett und kam zu ihr herüber. Sugar sah sie verwundert an, warum sollte es helfen, besser einschlafen zu können, wenn man aufstand und sich bewegte. Diese Momente gab es nicht oft, aber in diesen hatte sie das Gefühl, dass nicht mal sie selbst verstand, was in Cinnamons Kopf vor sich ging. Cinnamon hatte es sich wie so oft neben ihrem Bett bequem gemacht, so wie jetzt auch. „Ich hab nachgedacht, Sugar und ich denke, dass uns eine kleine Tasse Kádh guttun würde. So, wie wir es früher immer als Kinder getrunken haben.“ Sugar wusste ganz genau, wovon die Rede war. Kádh war eine sehr beliebte Methode, um den Kindern das Einschlafen zu erleichtern. Eine kleine Tasse reichte und schon verteilte sich die gewünschte Müdigkeit in den Körpern der kleinen Wesen. Da es ihnen auch sehr gut schmeckte, viel besser als die „Medizin“, die so mancher Quacksalber in seinem knarrenden Laden verhökerte, war die Methode sehr schnell beliebt und verbreitet. „Was meinst du, ob die auch sowas wie Kádh hier haben?“ Erneut verdrehte Sugar die Augen. Manchmal kam es ihr so vor, als hätte Cinnamon ein Gedächtnis wie ein kleiner Goldfisch. Sie wusste nicht, was ein Goldfisch war, aber wenn sie den anderen Jugendlichen glauben konnte, dann war es ein Fisch mit einem minimalen Gedächtnis, der sich partout nichts merken konnte. Sie musste nur Blubb-Laute von sich geben, dann wusste Cinnamon sofort, wovon die Rede war. Ein Kissen kam durch die Dunkelheit geflogen, doch da Cinnamon im Dunkeln blind wie ein Maulwurf war, landete es neben Sugars Bett. Einzig das Geräusch beim Aufkommen auf den Boden verriet es. „Warst du nicht damals in der Hauswirtschaftsstunde dabei, als sie es uns gezeigt hatte?“ „Öhm, nein, war ich nicht. Wie du weißt, meide ich dieses langweilige Fach. Warum sollte ich dann also wissen, was sie dir gezeigt hatte. Und wer von uns hat jetzt das Goldfischgedächtnis?“, fragte sie amüsiert. Sugar liebte dieses Fach, und vertiefte sich so sehr darin, dass sie nie wirklich mitbekam, ob Cinnamon nun dabei war oder nicht. In ihrer alten Heimat hätte man vermutet, dass ihr Talent darin lag, dass sie in der Küche gut zurecht kam. Doch hier sprach man nicht so oft über Talente und so hielt sie sich damit zurück. Immerhin war das nun ihre alte Heimat und sie wollte sich so gut anpassen wie möglich. Sie räusperte sich: „Schwester Lisa hat es uns vergangene Woche gezeigt. Es ist ein Getränk, dass sie hier sehr gerne trinken und das fast wie unser Kádh ist. Sie nennen es hier heiße Schokolade; nur, dass sie hier nichts hinzufügen. Höchstens ein bisschen Sahne, aber das schmeckt nicht so gut, wie es klingt, glaub mir. Aber der Kakao selbst ist sehr lecker. Und mit ein wenig Zimt und Zucker können wir ganz leicht unseren Kádh selbst machen. Ich weiß, wie man die Öfen hier bedient, das wäre also kein Problem. Wenn du mal die Stunde nicht schwänzen würdest, dann könnte ich die Schwester fragen, ob es uns erlaubt wäre, einen zu machen.“ Cinnamon starrte die Decke „Und wann genau hast du die nächste Kochstunde?“ „Mal überlegen … am Freitag hab ich sie wieder.“ „Das ist mir viel zu spät, das ist ja erst in drei Tagen“, nörgelte Cinnamon und  begann mit Sugars weißen Haaren zu spielen. „Ich will aber jetzt einen Kádh. Was bringt es mir, wenn du mir Freitag einen machst, wenn ich jetzt schlafen möchte? Das ist doof …“   Die Locke in ihren Fingern hin- und her drehend, hatte sie auf einmal eine Idee. Von ihrer Genialität ein weiteres Mal überzeugt, grinste sie in die Dunkelheit hinein. „Hey, Sugar“, flüsterte sie ihrer Freundin ins Ohr. „Mir ist da gerade etwas eingefallen und ich denke mal, dass es dir auch gefallen könnte“. Sugar bekam da ihre leisen Zweifel, hörte ihr jedoch aufmerksam zu. „Aber bevor ich dir von meiner Wahnsinnsidee berichte, musst du mir erst noch eine Frage beantworten: Ist die Küche von der Hauswirtschaftsstunde abgesperrt, wenn ihr sie nicht braucht?“ Sugar dachte nach, dann schüttelte sie den Kopf. Als von Cinnamon keine Reaktion kam, verneinte sie. „Nein, soweit ich weiß, steht sie uns jederzeit offen, wenn wir uns Tee oder etwas anderes machen wollen. Zumindest ist es tagsüber so, wie es nachts ist, weiß ich leider nicht. Und, wie lautet nun dein genialer Plan?“ Cinnamon schien das, was sie gehört hatte, zu reichen. Sie stützte sich am Bett ab und schob sich auf ihre Beine. „Na, das ist doch ganz einfach: Wir warten nicht bis zum Freitag. Wir gehen einfach jetzt zur Hauswirtschaftsküche und machen uns einen kleinen Kádh. Die liegen alle ganz brav und fromm in ihren Betten, das wird keinem auffallen, wenn wir uns kurz rausschleichen. Und das ist doch nur für unser Wohl, immerhin können wir danach viel besser einschlafen. Da stimmst du mir doch zu, oder nicht?“ Sugar wusste, warum sie wieder ein ungutes Gefühl dabei hatte, doch da sie ihr nicht so recht in Worte fassen konnte, was genau sie daran störte, schwieg sie. Aus dem Dunkeln griff eine Hand nach der ihren und ehe sie sich versah, stand sie auch schon gemeinsam mit Cinnamon vor der Türe. Sie fühlte sich seltsam bei dem Gedanken, nur mit einem Nachthemd bekleidet durch den Gang zu schleichen. Cinnamon schien sich dagegen gar nicht daran zu stören. „Komm, gehen wir, solange die Nacht noch jung ist“, sagte sie so leise sie konnte, dann öffnete sie die Tür und schob sich und Sugar hindurch. Durch die Fenster schien das Mondlicht, was es für die beiden einfacher machte, sich im Flur zu orientieren. Sugars Haare wurden in ein gespenstisch wirkendes Weiß gehüllt, während Cinnamons Haare noch dunkler wirkten. Kleine Eisblumen hatten sich auf den Fenstern ausgebreitet und gaben den Dielen ein paar schöne Muster, wodurch die Atmosphäre winterlicher, aber auch kälter wirkte. Ihre nackten Füße berührten den kalten Boden, doch die beiden gewöhnten sich rasch daran. Leise, um niemanden zu wecken, gingen sie vorsichtig an den Türen entlang, sahen und hörten sich dabei um. Doch ihre Mitbewohner waren viel zu sehr mit Schlafen beschäftigt, als dass sie sie bei ihrer kleinen Aktion hätten stören können. Etwas, was Sugar nun auch zu gerne tun würde. Leise gähnte sie vor sich hin. Sie wäre am liebsten wieder umgedreht und in ihr Bett gegangen, ließ es aber bleiben. Gegen Cinnamons Sturheit war noch kein Kraut gewachsen und sie wusste, am Ende würde sie nachgeben. Also ließ sie es ganz bleiben und schlürfte hinter ihr her.   Nach ein paar Gehminuten, Gängen und Kurven hatten sie ihr Ziel erreicht. Cinnamon sah sich verstohlen um, dann griff sie zur Klinke und versuchte die Türe zu öffnen. Welche sich leider als verschlossen herausstellte. „Mist!“, fluchte sie leise und begann ein wenig an der Klinke zu rütteln. Doch diese machte keine Ausnahme, verschlossen blieb verschlossen. In ihrer Muttersprache fluchend ließ sie von der Klinke ab. Sugar sah sie hilflos an. „Wie gut, dass ich die Dinger hier immer dabei habe. Dachte mir doch schon, dass es ganz praktisch ist, die auch nachts drin zu lassen“, meinte sie und fischte eine Haarklammer aus ihren Haaren. Unter Sugars fragenden Blicken begann sie, damit im Schlüsselloch herumzustochern. „Weißt du, während du gerade dabei bist, deine Kochfähigkeiten zu verbessern, nutze ich meine Zeit um andere nützliche Fähigkeiten zu lernen. In der Video AG haben wir einen Film gesehen, in dem eine Diebin ein solches Schloss mit einer einfachen Haarklammer aufmachen konnte. Wie, als hätte sie einen Schlüssel dabei. Allerdings muss ich zugeben, dass es im Film viel einfacher aussah …“ Sie probiere noch ein wenig herum, doch auch jetzt gab das Schloss nicht nach. Frustriert steckte sie die Klammer wieder dorthin zurück, von wo sie sie genommen hatte. „Und was machen wir jetzt?“, flüsterte Sugar in die Stille hinein. „Nun, ich würde sagen, ihr verhaltet euch wie zwei brave Mädchen und geht zurück in eure Betten“, kam es von hinten. Sugar und Cinnamon fuhren zusammen. Ein Licht flackerte auf und Schwester Lisa hob eine Laterne hoch, die die beiden augenblicklich blendete. „Wie ich sehe, habt ihr wohl einen kleinen Hunger auf den Pudding bekommen, nicht wahr? Allerdings habt ihr nicht damit gerechnet, dass ich den Raum abschließen würde. Und es wäre mir deutlich lieber, wenn du nichts in das Loch hineinstecken würdest, Cinnamon. Am Ende bricht es ab und dann bekomme ich das nicht mal mehr mit dem Schlüssel auf.“ Cinnamon nickte unmerklich, dann richtete Schwester Lisa wieder ihren Blick auf Sugar. „Nein, wir wollten gar nicht an den Pudding, Schwester Lisa. Der Pudding ist doch für alle da und sie meinten, dass es wichtig wäre, mit anderen zu teilen.“ „Wir sind hier her gekommen, um uns ein wenig Kádh zu machen“, mischte sich Cinnamon in das Gespräch ein. Die Schwester sah sie ahnungslos an, sie wusste in diesem Augenblick als einzige nicht, wovon die Rede war. „Wir wollten uns eine Art Kakao wie in unserer Heimat machen“, erklärte Sugar ihr. „Es ist ein Kakao, den wir mit zwei verschiedenen Milchsorten zubereiten; außerdem kommt noch Zucker und Zimt hinein. In unserer Kindheit haben wir das sehr oft getrunken, das hat uns immer beim Einschlafen geholfen. Da wir heute Nacht Einschlafprobleme hatten, dachte Cinnamon, dass wir uns möglicherweise schnell einen machen könnten …“ Mitleidig sah sie die Mädchen an. Sie konnte gerade mal ahnen, was sie in ihrem kurzen Leben bisher alles mitgemacht hatten und versuchte, ihnen ihr restliches Leben so schön wie möglich zu gestalten. Sie seufzte auf. „Leider kann ich euch keine Ausnahme machen. Jugendliche in eurem Alter müssen ins Bett und die Küche bleibt über Nacht kalt, so sind die Regeln. Es wäre den anderen gegenüber nur unfair, wenn ich jetzt eine Ausnahme machen würde. Das versteht ihr doch, oder?“ Nur widerwillig, Cinnamon mehr als Sugar, nickten sie der Schwester zu. „Na also … wisst ihr was, ich verspreche euch etwas. Wenn ihr jetzt ins Bett geht und fleißig einschlaft, werde ich euch morgen euren Kakao machen. So, wie ihr ihn aus eurer Heimat her kennt. Dann können ihn auch eure Mitschüler probieren. Ich würde ich freuen, dich auch dort zu sehen, Cinnamon“, fügte sie noch hinzu. Diese blies eine Strähne aus dem Gesicht. „Ihr müsst mir nur versprechen, dass ihr auch wirklich zurück geht. In Ordnung?“, dabei hielt sie Sugar die Hand hin. Diese erwiderte das und schüttelte sie. „Ihr seid wirklich brave Mädchen“, sagte Schwester Lisa und streichelte Sugar den Kopf. Dann ließ sie die beiden Mädchen gehen.   Wie versprochen lagen sie wenige Minuten später im Bett und kuschelten sich in ihre Decken. Cinnamon gab keinen Mucks mehr von sich, so konnte sie nicht sagen, ob ihre Freundin nun bereits schlief oder einfach nur schwieg. Sie selbst drehte sie auf ihre Lieblingsposition und dachte an den Kádh, den sie morgen bekommen würde. Sie würde der Schwester zeigen, wie man ihn zubereitet und die anderen würden ihn ebenso begeistert trinken wie sie selbst. Mit einem Lächeln auf den Lippen, den Geschmack von leckerem, warmen Kádh auf der Zunge und der Vorfreude in ihrem Herzen, schlief Sugar schneller ein, als sie wahrnehmen konnte. Na also, dachte sich Cinnamon, drehte sich weg und fiel  ebenfalls in einen tiefen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)