Morgen von Flying-squirrel ================================================================================ Kapitel 7: Butterbrottot ------------------------ Ein trostloser Gerichtssaal. Auf einem Podest sitzt der Richter, vor ihm steht der Angeklagte. An den Seiten Staatsanwalt und Verteidiger. Richter: Ich fasse zusammen: Der Angeklagte gesteht, sich dem Opfer am Sonnabend um etwa 20.25 Uhr in den Weg gestellt und es anschließend mit einem Holzscheit erschlagen zu haben. Er kannte das Opfer nicht. Um 20.46 meldete er sich bei der örtlichen Polizeiwache und zeigte sich an. Sind diese Angaben richtig und vollständig? Angeklagter: Nein. Sie aß ein Butterbrot, ich habe es später aufgegessen. Richter: Nun gut. Angeklagter: Ich wollte das Butterbrot essen. Richter: Dann bitte ich den Staatsanwalt um eine Einschätzung. Staatsanwalt (räuspert sich): Angesichts des Motivs kann man die Tat einen Raubmord nennen. Der Angeklagte hat aus Habgier gemordet, wobei der geringe materielle Wert und die Haltung des Angeklagten auch auf Mordlust hindeuten. Er hat sich das Opfer nur aufgrund eines zufälligen Merkmales ausgesucht. Der Angeklagte steckt nicht in einer finanziellen Notlage und hatte Geld dabei, weshalb er keinen Grund hatte, für ein Butterbrot zu töten. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, das niedere Beweggründe und damit Mordmerkmale vorliegen. Richter: Hat der Angeklagte etwas zu seiner Verteidigung vorzubringen? Angeklagter: Ich wollte das Butterbrot nicht haben. Richter: Warum haben sie das Opfer dann aufgrund des Butterbrotes getötet und das Butterbrot gegessen? Angeklagter: Ich wollte es nicht haben. Ich wollte es essen. Es gehört ihr. Ich habe keinen Grund, ein Butterbrot zu besitzen. Richter: Warum haben Sie sich kein eigenes Butterbrot gekauft, wenn sie Hunger hatten? Angeklagter: Ich hatte keinen Hunger, ich habe kurz vorher gegessen. Ich habe keinen Grund, ein eigenes Butterbrot zu besitzen. Ich wollte es nur essen. Richter (entgeistert): Verstehe ich Sie richtig: Sie hatten keinen Hunger und wollten kein Butterbrot, aber sie wollten eins essen und haben deshalb getötet?! Angeklagter: Nein. Sie kam einfach vorbei und ich habe sie getötet. Dann habe ich das Butterbrot gesehen und wollte es essen. Dann habe ich es gegessen. Richter: Warum haben Sie sie dann getötet? Angeklagter: Weil sie zur Zeit am Ort war. Und ich zur Zeit am Ort war. Und der Holzscheit zur Zeit am Ort war, wie das Butterbrot. Es hat gepasst. Richter: Sie gestehen also, dass sie aus Lust am Mord getötet haben? Angeklagter: Nein. Richter: Aber? Angeklagter: Ich wollte es nicht. Richter: Sie wollten sie nicht töten? Angeklagter: Nein. Ich wollte sie nicht töten, ich wollte sie auch nicht nicht töten. Ich habe sie getötet. Sie hatte ein Butterbrot in der Hand. Ich habe das Butterbrot zu essen gewollt. Ich habe das Butterbrot gegessen. Ich hatte keinen Verlangen und kein fehlendes Verlangen nach ihrer Tötung. Richter (genervt): Eins von beiden wird’s wohl sein. Angeklagter: Wenn ich sage: „Die Straße war dunkel“, dann ist da nur diese Information. Ob ich es will oder nicht, ist nicht wesentlich, ich muss mir darüber keine Gedanken machen und nichts darüber aussagen. Es ist ein +1-1. Warum soll ich die Einsen nicht weglassen? Wenn ich sie aber weglasse, dann ist das kein Hinweis auf eine Eins oder keine Eins. Ich habe mir einfach darüber keine Gedanken gemacht, weiß es auch jetzt nicht, da ist nichts. Richter (seufzt): Nun ja. Es hätte also jeden treffen können, der zur Zeit am Ort war? Angeklagter: Nein. Nur sie war zur Zeit am Ort. Es gab niemand anderen. Richter: Aber sie hätten zu einer anderen Zeit am gleichen Ort jemanden töten können. Es wäre ihnen egal gewesen. Angeklagter: Alles in ihrem Leben hat auf diesen Moment hingeführt. Alles in meinem Leben hat auf diesen Moment hingeführt. Viele, viele Menschen waren daran beteiligt, dass der Holzscheit zur Zeit am Ort war. Das Gleiche gilt für das Butterbrot. Wäre Cäsar als Kind gestorben, dann wären viele Kettenhandlungen anders gelaufen, Kriege wären anders ausgegangen und Menschen wären nicht umgezogen, hätten sich nicht getroffen und keine Familien gegründet, hätten sich anders verhalten und wir würden hier nicht sitzen. Sie können sie nicht austauschen. Es gibt keine Person, die ihren Platz hätte einnehmen können. Richter und Staatsanwalt wechseln Blicke. Beide schauen den Verteidiger an, der nicht aufschaut und Akten ließt. Richter: Mir scheint, Sie verstehen das Prinzip nicht…Unabhängig von historischen Ereignissen, hätten Sie auch eine andere Person umgebracht, einen Mann oder eine andere Frau, wenn Sie ihnen dort begegnet wäre? Angeklagter: Wäre dann auch ein Holzscheit dort an der Ecke gewesen? Richter: Ja. Angeklagter: Und ein Butterbrot? Richter: Das ist nicht auszuschließen. Angeklagter: Aber Sie wissen es nicht? Richter: Das Butterbrot ist, wie Sie schon sagten, scheinbar nicht relevant. Angeklagter: Aber es war da. Richter (aufgebracht): Da war ziemlich viel. Am Ende sogar eine Leiche! Können Sie mir das erklären? Ich denke schon, denn Sie wurden als verhandlungsfähig eingestuft. Also hören sie mit den Spielchen auf und helfen sie uns, diesen Fall aufzuklären. Sie haben einem Menschen sein Leben genommen, seiner Zukunft beraubt! Wissen Sie, wie alt die Frau war? Sie hatte noch ein langes, ereignisreiches Leben vor sich. Aber Sie beenden das alles einfach so, zerstören überdies noch ihr eigenes Leben, gestehen alles und nichts und vergeuden unsere Zeit. Herrgott nochmal! Angeklagter (ernst): Sie können nicht wissen, was gewesen wäre. Mehr noch, es ist stets falsch, denn es ist nicht gewesen. Was nicht gewesen ist, kann nicht gewesen werden und wird nie gewesen sein. Niemand konnte an ihrer Stelle sterben. Sie hatte niemals ein langes, ereignisreiches Leben vor sich, welches über den Moment der Tat hinausging. Ein Quantensprung, ausgelöst von Quantensprüngen, Quantensprünge auslösend. Da ist nichts, was nicht ist, denn was nicht ist, verursacht keine Spuren, ist nicht da, nicht bemerkbar. Ein Gedanke an etwas, was nicht ist, ist unmöglich, denn es ist Ursache des Gedankens und Gegenstand der Betrachtung. Wenn aber etwas ist, dann verursacht es Spuren und ist doch selbst eine Spur, denn es wurde angestoßen, verursacht. Jede Spur ist etwas, also stößt etwas etwas an, angestoßen von etwas, Quantensprünge, uns so wird etwas, etwas großes, etwas, das stetig wächst. Etwas, das gewachsen wurde. Anfang und Ende entziehen sich unserem Verstand, sind es doch Begriffe für eine festgelegte Einheit von Quantensprüngen, die Bestandteil von etwas sind. Ich springe, und ich bin nicht frei, ich war es nie, konnte es nie sein und werde es nie. Aber ich bin nicht unfrei, weil ich mir einen anderen Zustand nicht denken kann, also ist das Wort „frei“ eine Farce. Richter (erschöpft und verwirrt): Worauf plädieren Sie? Angeklagter: Wohin hat die Geschichte geführt? Staatsanwalt: Sie meinen, was auf ihre Tat laut Gesetzbuch steht? Es gibt Mord und Totschlag. Angeklagter: Ich sehe, sie beginnen, mich zu verstehen. Richter: Dann bliebe noch einer. Herr Staatsanwalt? Staatsanwalt: Als abschreckendes Beispiel? Richter: Gut. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)