Die Wölfe 6 ~Die Söhne des Paten~ von Enrico ================================================================================ Kapitel 4: ~Wach auf Enrico~ ---------------------------- „Du verdammter Scheißkerl, wenn du nicht schon halb tot wärst, dann würde ich dir jetzt deinen Arsch aufreizen!“ Bohr Raphael, halt die Klappe! Verschwinde und lass mich zufrieden! Ich bekomme ja nicht mal die Augen auf. Verfluchtes Narkosemittel. Was haben diese verdammten Weißkittel mir da gespritzt? Ich kann nicht mal den kleinen Finger rühren. „Ich schwöre dir, wenn du das getan hast, bring ich dich eigenhändig in den Knast!“ Getan? Was denn getan? „Deine Frau verliert vielleicht ihr Kind und alles nur, weil du wieder irgendwelche Scheiße baust!“ Judy und das Baby? Was ist mit den Beiden?„Was hast du nur schon wieder ausgefressen? In welche Scheiße hast du dich verwickeln lassen!“ Ein fester Griff packt meine Schulter, ein jeher Schmerz durchbohrt mich. Ich will laut aufschreien, doch irgendetwas steckt in meinem Hals. Was hat er überhaupt für ein Problem? Glaubt er ich lasse den Mord an Aaron ungesühnt? Ich hab den Scheißkerl kalt gemach, der ihn ermordet hat, Scheiße nur, dass der sich zu wehren wusste. Die Erinnerung an das Katana, das er mir durch den Unterleib rammte, hämmert durch meinen Kopf. Ich spüre die tiefe Wunde viel zu deutlich. „Kannst du das Morden nicht endlich sein lassen?“, flucht mein Bruder wieder. Nein, kann ich nicht. Der Mann, der mir seit Jahren das Leben zur Hölle gemacht hat, ist tot. Ich habe das Glasdach zerschossen und ihn in die brennende Fabrik darunter stürzen lassen. Er ist verbrannt, wie er einst mich verbrennen wollte. Stolz erfüllt mich, wenn ich könnte würde ich jetzt breit grinsen. Schade nur, dass ich ihn nicht schon früher getötet haben, dann hätte Aaron nicht sterben müssen. Der Anblick des toten Paten in seinem Sessel, flutet meine Gedanken. Seine weit aufgerissen Augen, das lange Schwert, das aus seiner Kehle ragte. Furchtbar! Es ist nur gerecht, das ich Michael eben jenes Schwert ins Herz gerammt habe, bevor er in die Tiefe fiel. Dieser Mord war mehr als überfällig. Mir scheiß egal, was mein Bruder davon hält. „Hast du wirklich Aaron umgelegt? Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Du bist doch schon Pate der Locos! Was willst du denn noch?“ Traut er mir ernsthaft zu, dass ich meinen Schwiegervater auf dem Gewissen habe, den Opa meiner Kinder? Spinnt er jetzt völlig? „Lass gut sein, er kann dich sowieso nicht hören!“ Und ob ich euch höre! Die Hand meines Bruders gibt meine Schulter frei. Ich atme auf, als der Schmerz nachlässt. „Wie geht es Judy?“, will Raphael wissen. „Sie haben ihr ein wehenhemendes Mittel gespritzt, aber ewig werden sie die Geburt nicht hinauszögern können. Es wird zu früh kommen.“ Wieso hat sie denn schon Wehen? Das Kind soll doch erst in acht Wochen zur Welt kommen. Mit aller Kraft zwinge ich meinen Körper zum Gehorchen. Tausend Nadeln bohren sich durch meine Haut. Ich balle meine rechte Hand zur Faust und kralle meine Finger in die Decke, auf der sie liegen. „Raphael?“, ruft Susen gleichermaßen erschrocken, wie überrascht. Ich spüre ihren Blick auf mir, dann auch den meines Bruders. Ihre Schritte kommen näher. Eine warme Hand legt sich über meine geballte Faust. „Enrico?“ Mit aller Gewalt zwinge ich mich dazu, die Augen zu öffnen. Verschwommene Umrisse bilden sich vor mir. Das ernste Gesicht meines Bruders schwebt ganz nah über mir. Grimmig schaue ich zurück. Seine Hand schüttle ich ab und führe sie zitternd zum Mund. Immer wieder fällt sie kraftlos zurück in die Decke. Dieser verdammte Schlauch muss weg, damit ich die Beide zurecht stutzen kann. Immer wieder greife ich nach dem Beatmungsgerät, doch als ich es endlich erreiche, löst Susen meine Hand darum. Sie schüttelt mit dem Kopf und hält mich fest. Eindringlich sehe ich sie an. Ich brauche das Teil nicht, ich kann alleine atmen. Wir liefern uns ein stummes Gefecht. Obwohl sie mich ernst ansieht und sich mein Blick immer wieder trübt, schaue ich auffordernd zurück. Schließlich seufzt sie resigniert und legt selbst Hand an. Langsam löst sie den Schlauch und zieht ihn aus meiner Kehle. Mir wird schlecht, ich muss würgen. Als das Gerät endlich meinen Hals verlässt, beginne ich heftig zu husten. Mein Atem kratzt rau und scharf durch meine Lunge und die gereizte Kehle. Tränen schießen mir in die Augen. Der Hustenanfall erschüttert meinen wunden Körper, krampfhaft greife ich nach der tiefen Wunde über meiner Hüfte und presse mein Hand darauf. Sie zerreißt mit jeder Bewegung meines bebenden Brustkorbs. Ich stöhne gequält. „Du wolltest es so“, meint Susen kalt und schaltet das Gerät ab. Ich sehe sie nur noch verschwommen, immer neue Tränen laufen mir über die Wangen. Mir ist wie ersticken. Hat sie vielleicht doch recht? Geht es nicht ohne diese verfluchte Ding? Nein, ich brauch das nicht, ich schaff das allein. Immer wieder versuche ich tief Luft zu holen und bringe meinen kratzenden Atem tatsächlich unter Kontrolle. Die Tränen blinzle ich weg und fixiere meinen Bruder mit festem Blick. „Arschloch!“, fauche ich ihn heißer an. Er schaut erschrocken und weicht einen Schritt vor meiner Wut zurück. Ich hole noch zwei mal Luft, dann schreie ich, so laut es meine wunden Stimmbänder zulassen: „Ich hab Aaron nicht getötet, du Arsch!“ Raphael schaut unter meinem festen Blick hinweg. „Wer dann?“, will Susen wissen. „Michael, oder einer seiner Handlanger, keine Ahnung!“ „Dann müssen wir das sofort der Polizei mitteilen“, schlägt Raphael vor. Ich schmunzle nur amüsiert. Als wenn ich so was persönliches denn Bullen überlassen würde. „Nicht nötig.“ Ich lächle finster vor mich hin und lege meinen Arm auf meine schmerzende Stirn. Mein Kopf explodiert und trotzdem stimmt mich der Gedanken an Michaels Tod ausgelassen. Mein Bruder mustert meinen zufriedenen Blick einen Moment stumm, dann verhärten sich seine Gesichtszüge. Er tritt wieder ans Bett und packt mich an dem dünnen Hemd, das ich trage. Er zieht mich ein Stück nach oben. „Ahhh!“, schreie ich erschrocken und von neuem Schmerz gepeinigt. Vergeblich versuche ich seine Hände von mir zu lösen. „Spinnst du! Sag mir das du nicht noch einen Mafiaboss umgelegt hast!“ Ernst und eindringlich schaue ich ihn an, das ist meinem Bruder Antwort genug. Er lässt mich los und stößt mich zurück ins Kissen. Ich beiße die Zähne fest aufeinander, um nicht schon wieder schreien zu müssen. Raphael rauft sich die Haare und läuft unruhig im Zimmer auf und ab. „Na wenigstens hast du einmal was richtig gemacht“, murmelt Susen. Erschüttert sieht mein Bruder seine Frau an und auch ich betrachte sie ungläubig. Sie setzt sich auf den Stuhl neben mich und schlägt die Beine übereinander. „Drehst du jetzt auch durch?“, ruft Raphael entsetzt. Susen lehnt sich im Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. „Glaubst du jemandem, wie ihm, hätte man den Mord an Vater nachweisen können? Er hat doch niemals persönlich Hand angelegt. Diese Antwort, ist die Einzige, die diese Kerle verstehen!“ Erstaunt sehe ich Susen an. Eine solche Sicht der Dinge, habe ich ihr gar nicht zugetraut. Das erste Mal überhaupt, sind wir einer Meinung. „Ihr seid doch beide verrückt geworden! Glaubt ihr die lassen das auf sich sitzen?“ Unbeeindruckt sehen Susen und ich ihn an. Die Drachen sollen nur kommen, jedem der noch mal Hand an meine Familie legt, werde ich ebenfalls über den Haufen schießen, so lange, bis von dieser verfluchten Organisation, keiner mehr übrig ist. Mein Bruder schüttelt abwehrend mit dem Kopf, aufgebracht verlässt er das Zimmer. „Ihr seit krank, alle beide!“, faucht er und wirft die Tür nach sich zu. Als er weg ist, atme ich auf. Seine Vorwürfe regen mich noch immer auf. Mein Herz trommelt hart gegen meine Rippen und mein Atem geht viel zu schnell. Immer wieder muss ich husten. Ich bin froh, als es endlich still bleibt und sich mein Puls langsam beruhigt. Susen schweigt, stur sieht sie auf die geschlossene Tür. „Sorry! Ich war nicht da, als es passierte“, presse ich heraus. „Schon gut, ich wusste schon lange, dass es mit ihm einmal so enden wird. Es war nur eine Frage der Zeit“, entgegnet sie kalt. Wieder wird es still. Mir fällt nichts ein, was ich ihr aufmunterndes sagen kann. Auch in mir ist bereits alles kalt. In den letzten Wochen und Monaten, sind so viele geliebte Menschen ums Leben gekommen. Ich habe längst kein Gefühl mehr dafür. Wahrscheinlich holt es mich irgendwann mal ein, wenn ich allein bin, aber jetzt gibt es wichtigeres: „Was ist mit meiner Frau und dem Baby?“, will ich wissen. Susen seufzt und löst die Verschränkung ihrer Arme. Vorwurfsvoll sieht sie mich an, als sie sagt: „Was glaubst du, wie es für meine Schwester war, mit Amy und Rene nach Hause zu kommen, in das ganze Chaos, dass dort tobte? Wegen des Schocks hat sie vorzeitige Wehen bekommen und als dann auch noch das Krankenhaus deinetwegen angerufen hat, ist sie uns zusammen gebrochen.“ Ich schlucke schwer und wende meinen Blick ab, hinaus aus dem Fenster. Seufzend betrachte ich den Verkehr auf der Hauptstraße. „Ich wurde verhaftet, bevor ich etwas unternehmen konnte“, presse ich heraus. Mein Atem beginnt schon wieder zu rasen. Mir ist noch immer schlecht, heiß und kalt wechseln sich in mir ab. Ich presse meine Hand fester auf die Wunde. Mein Arm beginnt zu zittern, ich bekomme das Beben meines Körpers nicht unter Kontrolle. „Warum bist du eigentlich schon wieder auf freiem Fuß? Bist du etwa ausgebrochen?“, will Susen wissen. Ich versuche meinen Atem zur Ruhe zu zwingen und mir vor Susen nicht anmerken zu lassen, dass ich eigentlich gar keine Kraft zum Sprechen haben. „Jester hat scheinbar für mich ausgesagt und ich habe Freunde bei der Polizei. Ich war höchstens drei Stunden eingesperrt“, zwinge ich mich zu antworten. Mein Kopf hämmert unerträglich. Gequält atme ich durch und lege meine Hand auf die Stirn. Mir ist eiskalt und trotzdem läuft mir der Schweiß in Strömen von der Stirn. Ich weigere mich mehr zu sagen und auch Susen schweigt von nun an. Gedankenverloren sieht sie vor sich hin. Ihr Blick ist sorgenvoll auf den Boden gerichtet, die Arme verschränkt sie vor der Brust. „Du und Raphael, ihr kümmert euch doch um Judy und die Kinder, oder?“ „Sicher!“, entgegnet sie knapp. Ich atme erleichtert auf, wenigstens darum muss ich mir keine Gedanken machen. Schlimm genug, dass es Judy und dem Baby so schlecht geht. „Kann das Kind überleben, wenn es jetzt schon kommt?“, will ich irgendwann wissen. „Das wird sich zeigen, wenn es da ist!“, sagt sie lediglich und sieht nicht mal auf. Ich seufze hörbar. Das ist nicht die beruhigende Antwort, auf die ich gehofft habe. Wenn den Beiden etwas passiert, ich könnte mir das nie verzeihen. Ich atme schnelle und ruckartig. Beinah wünsche ich mir das Beatmungsgerät zurück. „Wenn es nach dir kommt, wird es schon durchkommen“, meint Susen auf einmal. Ich schaue sie irritiert an. Sie lächelt versöhnlich und streicht mit ihr über die klammen Haare. „Als wir hier ankamen, hieß es noch, du würdest die Nacht nicht überstehen und jetzt kann man sich schon mit dir unterhalten. Wenn dein Kind nur halb so zäh ist, wie du, dann wird das schon.“ Ich schenke ihr ein dankbares Lächeln. Hoffentlich hat sie recht. Susen erhebt sich, während sie zur Tür geht, dreht sie sich nach mir um. „Ich hol dir was gegen die Schmerzen!“ Erstaunt sehe ich sie an. Ich habe mir so große Mühe gegeben, meinen Zustand vor ihr zu verbergen. Etwas gegen die Schmerzen wäre wirklich schön. Ich nicke ihr dankbar zu. Doch als sie die Tür öffnet und den Raum verlassen will, rufe ich sie noch einmal zurück: „Susen!“ Sie dreht sich um und schaut fragen. „Kannst du nachsehen, ob Toni auch irgendwo hier ist?“ „Du warst wohl nicht allein, auf Rachefeldzug, was?“ Ich schmunzle. „Nein, war ich nicht.“ Er wurde mit mir verhaftet und war auch an meiner Seite, als wir den Mörder Aarons stellten. Ohne ihn, hätte mich Michael mit in den Tod gerissen. Ich kann mich noch viel zu deutlich daran erinnern, wie er stur meinen Arm festgehalten und mich nicht losgelassen hat, obwohl sich eine Scherbe des zersplitterte Glasdaches in sein Bauch gebohrt hat. „Dieser Idiot nimmt seinen Job als Leibwächter viel zu ernst“, murmle ich gedankenverloren und schaue wieder aus dem Fenster. Hätte er doch nur los gelassen, anstatt sich eine solch schwere Verletzung zuzuziehen. Was wenn er schon gar nicht mehr am Leben ist. Dieser dumme Idiot! Heiße Tränen überkommen mich und laufen mir die Wangen hinab. Er war so kalt und ich konnte sein Herz nicht mehr schlagen hören. Ohne ihn, hat es überhaupt keinen Sinn, zu überleben. „Ich sehe nach, ob er eingeliefert wurde“, meint Susen. Ich nicke lediglich und schließe die Augen. Selbst das Heulen ist mir jetzt zu viel. Die Tür wird geschlossen und nimmt alle Geräusche mit sich. Die Stille macht mich schläfrig, doch der zerreißende Druck in meinem Unterleib, hält mich wach. Ich stöhne gequält und werfe den Kopf zurück, die Wunde presse ich noch fester zusammen. Ich beiße mir auf die Unterlippe und sehe sehnsüchtiger zur geschlossenen Tür. Hoffentlich ist Susen bald mit dem Schmerzmittel zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)