Fuchsgeist von JiskahRedHood (Die Schmieden von Dravasuum) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Fuchsgeist Die Jahre kamen, zogen an ihr vorüber, allein um den Zweck zu verfolgen, als verlorene Zeit zu vergehen. Ohne dass etwas blieb. Ohne dass sie ihre Bestimmung gefunden hatte. Wärmende Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach und ein Windhauch trug den Duft des frühen Herbstes mit sich. Das Grün der Bäume, wich bereits einer bunten Farbenpracht, von Rot und Brauntönen. Ein Eichhörnchen, die Backen vollgestopft mit Nüssen, sprang vor ihre Füße und erstarrte. Es blickte hinauf, zuckte nervös mit seinem buschigen Schwanz, und rannte im nächsten Augenblick so schnell es konnte fort. Als fürchte es, jemand könnte ihm seine Ausbeute streitig machen. Sie lächelte. Sehnsucht kam abermals in ihr auf, ein Leben zu führen, welches so unbekümmert war, wie das der Wesen in diesem Wald. Aber so würde es niemals sein. Nie wieder. Sie hatte ihre Gelegenheit vertan. Ein einzelnes Blatt löste seine Verbindung zu dem Baum, an welchem es gehangen hatte, und fiel in kleinen Kreisen hinab. Es landete auf ihrer schwarzen Nasenspitze. Viel zu sehr war sie in ihren Gedanken versunken, als dass ihr der Geruch aufgefallen wäre. Der Geruch eines Menschen. Ein junges Mädchen, vielleicht erst sieben Sommer alt, gefror auf dem schmalen Waldpfad, den sie entlang gegangen war. Vor ihrem Bauch trug sie mit beiden Armen einen Weidenkorb, gefüllt mit Pilzen die sie seit dem Morgen gesammelt hatte. Ihre braunen Augen waren weit aufgerissen, als sie die Gestalt am Wegesrand erblickt hatte. Ein Fuchs, so groß wie ein Wolf, stand zwischen den kniehohen Farnen und drehte langsam den Kopf zu ihr. Das Fell war so leuchtend Orange, dass es nicht natürlich wirkte. Doch waren es viel mehr die Augen, kalt wie Eis, die ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagten. Sie waren so klar, als würde das Wesen ihr direkt in die Seele starren. Schon oft hatte sie Füchse in diesen Wäldern gesehen, daher war sie sich sicher, dies war kein Fuchs. Die Lippen des Mädchens waren einen kleinen Spalt geöffnet und ihr Kinn begann vor Furcht zu zittern. Langsam trat der Fuchs einen Schritt vor, ohne sie aus den Augen zu lassen. Endlich erinnerte sich das Mädchen wieder, wofür ihr der große Schöpfer ihre Beine gegeben hatte. Sie stieß einen gellenden Schrei aus und ließ den Weidenkorb mit den Pilzen fallen. Ihre blonden Zöpfe, die sie sich zu beiden Seiten des Kopfes geflochten hatte, peitschten hinter ihr her, als sie den Waldpfad entlang rannte. Die Füchsin atmete tief ein, und schüttelte den Kopf. Die Menschen abseits der größeren Städte, fürchteten sich vor allem. Sogar vor ihrem eigenen Schatten, wenn gerade nicht geeigneteres in der Nähe war. Sie drehte sich um, wollte ihrer Wege gehen und weiter ziehen. Plötzlich übertönte ein Kreischen die friedliche Stille des Waldes. Ein paar Vögel schreckten auf und flatternden davon. Ihre Ohren zuckten als ein verzweifelte Rufen sie erreichte. Ohne zu zögern, sprintete sie los, in die Richtung, in welche das Mädchen gelaufen war. Schnell wurden die Hilferufe immer lauter, weit konnte es nicht mehr sein. Die Füchsin gelangte, hinter einem dichten Gestrüpp aus allerlei Schlingpflanzen, an eine Böschung die sich ein paar wenige Meter in die Tiefe verlor. Unter ihr befand sich ein See, in welchen das Mädchen bei ihrer Flucht gestürzt war. Die Hilferufe waren verstummt, die Füchsin kniff die Augen zusammen und erkannte einen Arm, der aus dem Wasser auftauchte und ins Leere griff, bevor er wieder zwischen all den Seerosenblättern verschwand. Sie ging rasch ein paar Schritte rückwärts, nahm Anlauf und sprang ohne zu zögern hinab in die Tiefe. Das Wasser empfing sie mit eisiger Kälte, doch sie ließ sich nicht beirren. Unter der Wasseroberfläche riss sie ihre Augen auf, suchte nach den blonden Zöpfen, oder dem gelben Kleid welches das Kind getragen hatte. Mit allen vier Pfoten strampelte sie durch das kalte Nass. Sekunden wirkten wie eine Ewigkeit, bis sie endlich einen Arm vor sich im schummrigen Licht erkennen konnte. Mit ihren Zähnen schnappte sie sich einen Ärmel des Kleides und zog das leblose Mädchen an den Rand des sonst so idyllisch wirkenden Sees. Ihr nasses Fell zog schwer an ihr, es kostete sie einige Mühe an dem glitschigem Gras des Ufers Halt zu finden. Als sie es endlich vollbracht hatte, geriet ihr Herz ins Stocken. Das Mädchen atmete nicht mehr. Ein bläulicher Nebel bildete sich um die Füchsin, hüllte ihren gesamten Körper ein und in den schemenhaften Umrissen ließ sich erkennen wie sich die Gestalt zu verändern begann. Aus Läufen wurden Arme und Beine, und aus der Tiergestalt wurde die eines Menschen. Nicht jedes Merkmal verschwand mit ihrer schnellen Verwandlung. Der bläuliche Nebel verzog sich so rasch wie er gekommen war und offenbarte etwas das weder Tier, noch Mensch war. Arme und Beine waren bis zu den Ellenbogen und Knien mit schwarzem Fell bedeckt. Mitten auf ihrem Haupt, ragten die zwei Fuchsohren hinaus, umrahmt von schwarzem Haar, dessen Enden in ein leuchtendes Rot verliefen. Sogar der buschig, weiche Schwanz war ihr geblieben. In ihrem menschlich wirkenden Gesicht trug sie rote Male auf Wangen und ihrer Stirn. Den Leib verhüllte spärliche Kleidung aus weichem Leder. Geschmückt mit dünnen Bändern und bunten Federn. Neben dem leblosen Mädchen fiel sie auf die Knie, beugte sich über sie, und legte beide Hände auf ihre Brust. Immer und immer wieder stemmte sie sich auf den zierlichen Körper und betete im Stillen, dass es ihr gelingen sollte das Kind zurück ins Leben zu holen. Wieder schien die Zeit still zu stehen während sie ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel schickte. Dabei sollte sie es doch am besten wissen, dass es selten vorkam, dass sie erhört wurden. Nicht so aber an diesem Tage. Ein Schwall Wasser sprudelte zwischen den Lippen des Kindes hervor und sie hustete heftig. Jemand setzte sie auf, strich ihr behutsam die nassen Strähnen ihres Haares von der Stirn und sprach beruhigend auf sie ein. „Gut so. Atme.“ Schwer hoben sich die Lider des Mädchens an, es brauchte einen Augenblick bis sich ihr trüber Blick geklärt hatte. Auf dem Gesicht einer fremden Frau, die ihr einen Arm unter den Rücken geschoben hatte um sie zu stützen, lag ein freundliches Lächeln. Sie erkannte die eisigen, blauen Augen wieder, aber dieses Mal erfüllte es sie nicht mit Angst. Leise ertönte ihre röchelnde Stimme. „Wer... seid Ihr? Ihr habt... mir das Leben...“, ihre Worte brachen ab, als sie neuerlich zu husten begann. „Ruhig. Schon dich.“ Das Mädchen reckte einen Arm in die Höhe, um nach dem Gesicht der Fremden zu greifen, leise flüsterte sie dabei ihre Frage. „Euren Namen...?“ „Ich heiße Xii. Und nun schweig besser still. Du brauchst deine Kraft.“ Kaum verließ die letzte Silbe ihre Lippen, da begann der Körper des Kindes zu zittern und ihre Augen verdrehten sich so weit, dass nur noch das Weiß darin zu erkennen war. Einen Augenblick später erschlaffte der kleine Leib in ihren Armen. Xii weitete die Augen und rüttelte das kleine Bündel durch. „He! Wach auf!“ Ganz dicht brachte sie ihr Ohr an den Mund des Mädchens und starrte dabei auf ihren Brustkorb. Sie spürte einen feinen Lufthauch, und erkannte eine schwache Bewegung. Sie lebte noch, aber wer wusste wie lange. Xii war keine Heilerin, jemand musste dem Kind helfen. Sie erinnerte sich an ein kleines Dorf, welches sie großzügig umgangen hatte, nicht weit von diesem Ort entfernt. Vielleicht wohnte das Mädchen dort und die Menschen würden ihr helfen. Das kleine Bündel in den Armen tragend, eilte Xii so schnell sie konnte durch das Unterholz des dichten Waldes. In ihrer Fuchsgestalt wäre sie mit Sicherheit um einiges schneller gewesen, aber wie sollte sie so das Mädchen tragen? Immer wieder senkte sie ihren sorgenvollen Blick, um sicher zu gehen, dass das Kind noch atmete. Noch war nichts verloren, aber das Leben in ihren Armen wurde von Augenblick zu Augenblick immer schwächer. Die Äste vor ihr lichteten sich, gaben den Weg mehr und mehr frei, bis sie endlich zwischen den letzten Baumreihen, freies Feld erblickte. Schnell, wie kein Mensch zu sein vermochte, brach sie durch das Unterholz und rannte über das saftig, grüne Weideland. Deutlich konnte sie vor sich bereits die kleinen Hütten des Dorfes erkennen. Zäune aus Holz, mehr provisorisch auf die Schnelle errichtet, hielten Kühe, Schweine und Schafe im Zaum. Lediglich die Hühner besaßen die Freiheit sich am Tag in den kleinen Straßen frei zu bewegen. Ein Bauer, wohlgenährt und leicht untersetzt, hockte auf einem kleinen Schemel auf der Kuhweide und molk eines der Tiere. Als er merkte, dass die Tiere unruhig wurden, blickte er suchend umher. Was hatten sie gesehen? Er musste nicht lange suchen um sie zu erblicken. Langsam erhob er sich von seinem Hocker, verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen um die Gestalt besser erkennen zu können und hob die Krempe seines Hutes etwas an. Mit einem Mal stieß er einen lauten Schrei aus, taumelte nach hinten und stürzte über den kleinen Hocker. Unsanft landete er im Gras, die Kuh, welche er eben noch gemolken hatte, erschrak und trat mit beiden Hinterläufen aus. Sie sah lieber zu, dass sie sich in den Schutz ihrer Herde begab und trottete davon. Auch der Bauer kämpfte sich schwer wieder auf und rannte die wenigen Meter zurück in das Dorf. Mit beiden Armen gestikulierte er wild, während er den verdutzt dreinblickenden Mitbürgern zubrüllte, dass ein Dämon auf das Dorf zugerannt kam. Sofort brach blanke Panik unter den Dörflern aus, Frauen kreischten, holten ihre Männer herbei, die sich sogleich bewaffnen sollten. Xii hatte die ersten Häuser erreicht, laut schlugen die Verängstigten die Türen vor ihrer Nase zu, Fensterläden wurden von innen verriegelt, und jeder der sie erblickte, suchte sein Heil in der Flucht. „So wartet doch! Ihr müsst dem Kind helfen! Bitte. Sie ist im Wald in einen See gestürzt.“ Verzweifelt rannte sie weiter, rief den Leuten zu dass sie stehen bleiben sollten, doch niemand hörte auf ihre Worte. Plötzlich kam aus einer Gasse eine Gruppe von Männern angerannt. Stämmige, dürre, junge und alte, alle nahmen sie mit erhobenen Heugabeln, Sensen, Äxten, oder was man sonst auf die Schnelle gefunden hatte, Stellung vor dem vermeintlichen Dämon auf. Xii stockte als sie in die grimmigen Mienen schaute, ein ungutes Gefühl kroch in ihr hoch. Einer der Männer, vielleicht hatte er schon den fünfzigsten Sommer erlebt, zog scharf die Luft ein und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. Dafür hob er seine Heugabel ein kleines Stück höher, als könnte er sich so besser für einem Angriff wappnen. „Das ist kein Dämon ihr Narren. Es ist eines dieser Geisterwesen“, schnarrte er mit dunkler Stimme. Vereinzelte Augenpaare starrten ihn aus dem Augenwinkel an, während sie warteten bis er seinen Satz vollendet hatte. „Das ist eine Janama.“ Leicht verwirrt tauschten die Männer Blicke aus, bis sich einer von ihnen traute, leise seine Frage auszusprechen. „Ja und? Ist das nun besser oder schlechter für uns?“ Der alte Mann kam nicht dazu, die an ihn gerichtete Frage zu beantworten, da hob Xii das leblose Kind in ihren Armen an und ging einen Schritt auf die Männer zu. Ihre Geduld hatte ein Ende gefunden. „Ihr müsst ihr helfen, ihr Mistkerle! Sie stirbt sonst!“ Eine Gruppe von drei weiteren Männern kam um eine Häuserwand geschossen, einer von ihnen riss die Augen vor Schreck weit auf. „Marlie! Meine kleine Marlie! Dieser verdammte Dämon hat mein kleines Mädchen auf dem Gewissen!“ Xii stieß ein wütendes Knurren aus, ihre Oberlippe begann zu zucken und entblößte zwei spitze Eckzähne. Ihre eisblauen Augen richteten sich auf den Mann, welcher ganz offensichtlich ihr Vater zu sein schien. „Noch lebt sie, bald aber aber nicht mehr wenn ihr dämlichen Narren weiter Löcher in die Luft starrt, statt sich um sie zu kümmern!“ In all ihrem Zorn merkte sie gar nicht, dass sich einer der Männer an ihr vorbei geschlichen hatte. Die Präsenz in ihrem Rücken spürte sie erst, als es bereits zu spät war. Grelle Blitze explodierten vor ihrem inneren Auge und ein entsetzlicher Schmerz, in ihrem gesamten Kopf, war das letzte was Xii spürte, bevor die tröstende Finsternis sie empfing, und jegliches Leid von ihr nahm. Sie merkte nicht, wie ihr schlaffer Körper zusammen sackte und man ihr das kleine Bündel aus den Armen riss, oder wie die Männer genau jenen bejubelten, der sich von hinten an sie heran geschlichen hatte, und sie nieder schlug. Ganz vorsichtig hatte der kleine Junge um die Häuserecke gelugt und die Männer dabei beobachtet wie sie die Fremde mit festen Stricken knebelten und davon brachten. Sein Herz donnerte wild in seiner Brust, schließlich kannte er Marlie. Mit ihr hatte er oft gespielt, und da ihre Eltern viele Kühe hatten, brachte sie ihm immer ein Stück Käse mit. Er liebte Käse. Der kleine Junge zog die Kordel, die seine Leinenhose auf den Hüften hielt, fester zu und rannte den Pfad hinab zu dem Haus in dem er aufgewachsen war. Krachend schlug die morsche Holztür gegen die Lehmwand, dass man fast befürchten musste, sie würde aus den Angeln brechen. „Großvater! Großvater!“ Der kleine Junge rannte durch die kleine Stube, die allein durch ein winzig kleines Fenster und das Feuer des Ofens erhellt wurde. Auf der Kochstelle stand ein verbeulter Kessel, in dem eine Gemüsesuppe für das kommende Mahl köchelte. Vor der Wärmequelle saß ein alter Mann, in einer Hand hielt er einen knorrigen Stab, welcher ihm als Stütze diente. Sein Bart war um den Mund herum gelb gefärbt vom Pfeifenrauch und ragte ihm bis auf die Brust. Müde hob er den Kopf, er war eingenickt gewesen, bis sein Enkel hineingestürmt kam. Leise und rau erklang seine Stimme. „Ben, was machst du denn solch einen Lärm? Mein Gehör ist eines der wenigen Dinge, die das Alter mir noch nicht genommen hat.“ Der Junge sprang aufgeregt vor seinem Großvater herum und zog an dessen mitgenommenen Kleidern. „Großvater! Ein böses Wesen ist in unser Dorf gekommen! Es hat Marlie getötet!“ Die Stimme des Jungen zitterte, und brach schließlich bevor sein Körper unter heftigen Schluchzen erbebte. Tröstend legte sein Großvater ihm eine Hand auf den dunklen Schopf und runzelte die Stirn. Sein Blick ging ins Leere, denn sein Augenlicht hatte er vor vielen, vielen Jahren in einem Kampf verloren. „Ein böses Wesen? Kannst du es mir beschreiben?“ Der Junge schluchzte noch immer und wischte sich die Tränen mit seinem Ärmel ab. Es dauerte einen Moment lang bis er seinem Großvater antworten konnte. „Jemand nannte sie eine Janama. Sie sieht aus wie eine Frau, hat aber Ohren und den Schwanz eines Fuchses!“ Die Muskeln des alten Mannes versteiften sich, seine buschigen Brauen zogen sich zur Mitte seiner Stirn hin zusammen. Er sagte nichts. „Großvater, was ist eine Janama?“ Feste schlossen sich seine Finger um den knorrigen Gehstock. Er verlagerte das Gewicht auf seinem Stuhl und lehnte sich ein kleines Stück zurück. „Eine Janama ist ein Geisterwesen. Eine erloschene Seele, die zurück in unsere Welt gesandt wurde. Und zwar von niemand geringerem als von dem namenlosen Verderber höchst persönlich.“ Ben schnappte nach Luft und setzte sich auf den Hosenboden, seine Beine zitterten wie kahle Äste im Wind. Der namenlose Verderber war der Herrscher der Finsternis, der dort lebte, wo kein Sonnenstrahl die Welt mehr erhellte. Jede böse Seele, welcher der Zutritt in das Paradies des Schöpfers verwehrt war, stürzte in sein dunkles Reich, um dort bis ans Ende der Zeit Buße zu tun. Vielleicht hatte er einst einen Namen besessen, doch die Menschen glaubten, wenn sie ihn nannten, würde er sie hören und seinen kalten Blick auf sie richten. Der Großvater senkte den Kopf, zu der Stelle wo er den hektischen Atem seines Enkelsohnes vernahm und fuhr mit seiner Erzählung fort. „Sehr, sehr böse Menschen, die in ihrem Leben viele schreckliche Dinge getan haben, und nicht bereit sind Buße für all ihre Sünden zu tun, werden vom namenlosen Verderber auserwählt. Er schickt sie wieder zurück in unsere Welt, damit sie fürchterliche Taten in seinem Namen verrichten. Wenn die Seele zurück kommt, übernimmt sie den Körper eines Tieres. Daher ihr Äußeres.“ Er ließ einen kurzen Moment verstreichen bevor er seine Geschichte weiter erzählte. „Diese Seelen nennt man Janama. Glaub niemals ihren Lügen, oft tun sie so, als wollten sie dir helfen. In Wirklichkeit aber wollen sie deine Seele verführen und dann wird sie dem Verderber gehören. Auf ewig.“ Zitternd hob der alte Mann seinen Zeigefinger, und schaute hinab auf seinen Enkelsohn, welcher sich noch immer an seiner Kleidung festklammerte, als wäre es sein letzter Halt. Seine matten Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und er verfiel in einen Flüsterton. „Diese Geisterwesen, diese Dämonen, gehören wieder dahin, woher sie kamen. In die alles verschlingende Finsternis.“ Ben kam innerhalb von einem Wimpernschlag wieder auf die Beine und starrte seinen Großvater aus weit aufgerissenen Augen an. Seine kleinen Hände, die sich zu Fäusten verkrampft hatten, begannen zu zittern. „Heißt das man muss sie töten?“ Ein Kopfschütteln begleitete die Antwort, welche der kleine Junge bekam. „Man kann nichts töten, was eigentlich schon tot ist, mein Junge. Dieses Wesen muss in die Finsternis gesandt werden. Mit Gebeten.“ „Aber wird dann auch Marlie wieder wach?“ Traurig bedachte sein Großvater ihn mit seinen blinden Augen, diese Frage konnte er seinem Jungen nicht beantworten, er wusste es nicht, und falsche Hoffnungen wollte er nicht nähren. Ein frischer Lufthauch wehte in die kleine, gemütliche Behausung und ließ den Duft des späten Herbstes hinein. Kaum bemerkte der Blinde das Licht der geöffneten Tür, schob sich ein Schatten davor. Das Schluchzen seines Enkelsohnes erlosch. Eine feste Männerstimme erklang. „Vater? Wir brauchen den Rat der Ältesten.“ „Ben hat mir bereits erzählt, dass wir unbeliebten Besuch bekommen haben“, seufzend erhob sich der alte Mann und strich dabei über den blonden Schopf seines Erben. „Bleib hier und warte auf uns. Es kann spät werden, nimm dir ruhig etwas von der Suppe.“ Bens Vater stützte den alten Mann, um ihn durch die Straßen zu führen. Der Junge wusste wohin sie gehen würden, zu dem Haus der Ältesten. Wenn es etwas zu besprechen gab, versammelten sich dort die weisesten Männer des Dorfes, vor denen jeder Respekt zollte. Ben wartete bis die beiden den Pfad vom Haus verlassen hatten, und hinter einer Häuserecke verschwunden waren. Erst dann rannte er, wie von einer Biene gestochen, aus der Wohnstube. Ein paar Mal wäre er fast gestürzt, so eilig hatte er es. Genau wusste er wo er seine Freunde finden würde, auch ihre Väter hatten sich, mit Heugabeln bewaffnet, dem bösen Geist gestellt. So wie die Ältesten ihr Haus hatten, hatten die Kinder des Dorfes die Scheune des Schafhirten um sich zu treffen. Wie erwartet waren alle seine Freunde schon da, und redeten wild durcheinander. Bis Ben auf die Gruppe von sechs Kindern zu rannte und dabei schnaufte, als wäre er dreimal um das gesamte Dorf geflitzt. Jeder schwieg still und taxierte ihn mit Blicken, Bens Großvater war der Älteste überhaupt, also wusste auch Ben meist schon mehr als alle anderen wenn es Neuigkeiten gab. Die sechs Kinder saßen im Kreis, vier Jungs und zwei Mädchen, Ben fiel vor ihnen auf dem weichen Heu auf die Knie und ließ sich selbst nicht einmal Zeit wieder zu Atem zu kommen. „Ich habe das Geisterwesen gesehen! Es war eine Janama, sagt Großvater.“ Die anderen Kinder bekamen große Augen, eines der Mädchen mit rot gelocktem Haar, presste sich beide Hände auf die Brust und beugte sich vor. „Du hast schon mit deinem Großvater gesprochen, und das Wesen selbst gesehen?“ Die Worte sprudelten aus Bens Mund so schnell hervor, dass seine Freunde ihn manches Mal bremsen mussten, um überhaupt mit zu kommen. Er erzählte ihnen alles was sein Großvater ihm gesagt hatte, natürlich wurden hier und da einige Kleinigkeiten noch mehr in den Vordergrund gehoben oder dramatisiert, damit er vor unsäglichem Wissen nur so strotzte. Das Mädchen mit den roten Locken brach in Tränen aus als es hörte dass ihre beste Freundin Marlie wohl tot sei. Die Kinder brüllten wild durcheinander und wollten Rache für ihre Freundin nehmen. Erwachsene mussten alles immer erst Stunde um Stunde beratschlagen, wer wusste ob sich die Gesandte des namenlosen Verderber bis dahin nicht die Freiheit ergaunert hatte, und bereits auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer war. So beschlossen die Kinder selbst zu handeln, sie stachelten sich mit ihren Zwischenrufen immer weiter auf, und jeder fühlte sich noch heldenhafter bei all den Drohungen welche sie gegen das Geisterwesen aussprachen. Eines der Kinder hatte sogar gesehen, wohin man das Wesen der Finsternis gebracht hatte, nun stand ihnen nichts mehr im Weg. Es stank nach fauligem Heu, Urin und anderen Dingen die ihr in der Nase brannten. Bevor sie wieder ganz bei Besinnung war, spürte sie bereits die entsetzlichen Kopfschmerzen. Blitze zuckten durch ihren Schädel, sie fühlte sich als sei ihr Kopf auf einem Igel gebettet worden. Stöhnend rollte ihr Kopf auf die Schulter. Xii schlug langsam ihre Augen auf. Nach einer Weile klärte sich ihr Blick, und sie konnte die Details ihrer Umgebung trotz der Dunkelheit erkennen. Man musste sie in eine alte Scheune gebracht haben, das Heu auf dem Boden war schon lange nicht mehr gewechselt worden, und zwischen den Brettern, die das Vieh vor der Witterung schützen sollte, klafften große Spalte. Hier und da hatte man begonnen neuere Bretter über die großen Löcher zu nageln, aber auch diese waren schon dabei morsch zu werden. Ein Unterschlupf für Tiere war dieser Platz schon eine Weile nicht mehr. Xii wollte ihre Hand heben, um sich den schmerzenden Kopf zu massieren, als sie sich bewusst wurde, dass man ihre Handgelenke gefesselt hatte. Das leise klirren von Ketten war zu hören, zudem waren ihre Finger taub, so fest hatten sie die Fesseln gespannt. Wütend bleckte sie ihre Zähne und fauchte leise in die Dunkelheit hinein. Oft schon hatte sie auf ihren Reisen Menschen getroffen, die sich vor der Magie fürchteten, aber noch nie hatte man sie so behandelt. Vielleicht auch, weil sie sich noch nie hatte fangen lassen. Sie schalt sich selbst einen Narren, überlistet worden zu sein, von einer Horde Bauern. Feste schloss Xii die Augen und atmete einige Male tief durch. In Gedanken hoffte sie, dass diese Menschen zumindest dem Kind hatten helfen können. Ihre tauben Hände ballten sich zu Fäusten. Schon wieder hatte sie ihre Bestimmung nicht gefunden, wo sie doch schon jahrelang auf der Suche war. Sie wollte sie endlich finden, um schlafen zu können. Für immer. Ohne all die Schreie, die qualvollen Gesichter und die Bilder welche sie heimsuchten sobald sie die Augen schloss. Langsam war sie müde all der Reisen und der Suche. Der Suche nach Vergebung. Bevor sie noch weiter in ihre Gedanken eintauchen konnte, vernahm ihr feines Gehör das Flüstern von mehreren Stimmen. Xii schlug ihre eisblauen Augen auf und taxierte die Tür zu ihrem modrigen Gefängnis ganz genau. In der einsetzenden Abendsonne erkannte sie kleine Schatten die unter dem Türspalt tanzten. Jemand wollte ihr wohl einen Besuch abstatten. Der Türriegel knarzte leise als jemand ihn aus den Angeln hob, noch viel lauter aber war die Pforte selbst, als sie vorsichtig aufgeschoben wurde. Wütendes Geflüster erfüllt die angespannte Atmosphäre. Die Tür schob sich noch ein klein wenig mehr auf, und ein blonder Schopf linste um die Ecke. Sofort zuckte er zurück als er die gefesselte Janama erblickte. „Oh heiliger Vater! Dieses Wesen hat mich angestarrt! Ben! Ist meine Seele jetzt verflucht? Heiliger Vater, es sitzt dort und hat mich angestarrt mit seinen toten Augen. Ben! Hat dein Großvater nichts davon gesagt, dass man ihr nicht in die Augen sehen darf? Was wenn ich nun sterben muss?“ Das panische Geschnatter wurde erst durch eine schallende Ohrfeige unterbrochen. Der junge wimmerte leise und ein Mädchen zischte wütend, zwischen zusammen gepressten Zähnen. „Halt doch mal deine Klappe und beruhige dich! Unsere Väter haben ihr doch auch in die Augen gesehen, und sind die verflucht worden? Wohl nicht! Jetzt reiß dich zusammen!“ Ben flüsterte leise das er am besten vor gehen sollte, schließlich trug er die kleine Öllampe die ihnen in der Finsternis im Inneren Licht spenden würde. Mit schlotternden Knien trat er in die ausgediente Scheune ein, der Rest seiner Freunde folgte ihm zögerlich. Ben hielt das Licht ein wenig höher, Xii konnte die Angst in seinem Gesicht erkennen. Als alle sieben Kinder eingetreten waren, schob der letzte von ihnen die Tür wieder etwas zu, nicht dass sie noch von einem Erwachsenen gesehen wurden, dann hätte es ordentlich was gesetzt. Xii bemerkte etwas in den Händen der Kinder, sie umklammerten es so fest, als könnte es ihnen einen Halt geben. Es waren Steine. Sie atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen, allein durch diese Geste wichen die Kinder alle zusammen einen Schritt zurück und sogen die stinkende Luft ein. „Seid ihr nur zu mir gekommen um mich anzustarren, oder wollt ihr etwas von mir?“ Als würden sie darauf warten, dass irgendwas geschah, ein Fluch der ausgesprochen wurde, oder ein Zauber den sie wirkte, starrten die zitternden Kinder die Fremde einfach nur an. Erst nach langem Zögern, schluckte Ben seine Furcht hinunter und trat todesmutig einen Schritt nach vorn. Seine Stimme bebte vor Aufregung. „Du hast Marlie umgebracht! Dafür musst du bestraft werden hat mein Großvater gesagt!“ Ben kämpfte mit den Tränen. „Marlie war meine beste Freundin, ich werde dir das nie verzeihen. Auch wenn du meine Seele mit in das Reich der Finsternis verschleppst.“ Keines der anderen Kinder traute sich auch nur ein Wort zu sagen. Xiis Stirn zog sich in Falten als sie die dem kleinen Jungen ihr Gehör lieh, dass selbst Kinder schon in der Lage waren solch einen Schwachsinn von sich zu geben, überraschte sie. „Deine Freundin habe ich nicht getötet. Sie stürzte in einen See und ich holte sie heraus. Ich bat die Bewohner dieses Dorfes um Hilfe, aber niemand hörte mich an.“ „Mein Großvater sagte man dürfe dir nicht glauben weil du...“ Seine Worte wurden von einem wütenden Knurren unterbrochen, die Kinder zogen die Köpfe ein und umklammerten noch fester ihre Steine. „Dein Großvater scheint ein alter, dummer Narr zu sein.“ Bens Gesicht wurde rot vor Wut, doch Xii sprach unbeirrt weiter. „Mir ist bewusst welche Lügen über uns erzählt werden weil ihr Menschen euch vor Magie fürchtet. Doch nicht jede Magie bedeutet gleich, dass sie nur Schlechtes zu bewirken vermag.“ Xii riss ihre Augen auf als sie sah, dass der erste Stein geflogen kam. Sie versuchte sich zur Seite weg zu ducken, doch ihre sitzende Position ließ ihr nicht viel Spielraum. Der Stein traf sie an der Schulter und sie musste sich fest auf die Unterlippe beißen um nicht aufzuschreien. Ben hatte ihn geworfen und auf ihren Kopf gezielt. Immerhin konnte er nicht gut zielen. Dennoch, der Stein hatte ihre Haut aufgerissen und eine schmerzende Wunde hinterlassen. „Das war dafür dass du meinen Großvater beleidigt hast!“ Er ließ sich von einem seiner Freunde einen weiteren Stein reichen und trat einen Schritt nach vorn. Wieder zielte er auf ihren Kopf und wieder traf er nur ihre Schulter. „Und das war für Marlie!“ Nun wurden auch die anderen Kinder mutiger und begannen mit ihren mitgebrachten Steinen nach der Janama zu werfen. Nicht jeder Stein traf sie, aber es waren genug schmerzhafte Treffer dabei, die den Zorn in ihr wachsen ließen. Xii bleckte knurrend ihre Zähne, doch die Kinder ließen nicht von ihr ab, ihr wehrloses Opfer verdrängte all die Angst in ihnen. Sie war gefesselt, was sollte sie schon ausrichten? Die Dummheit dieser kleinen Menschen goss Öl in Xiis Feuer, es machte sie wütend, dass sie ein Resultat der Furcht ihrer Eltern waren, und auch sie würden diese Dummheit irgendwann an ihre eigenen Kinder weiter geben. Sie trugen die Sorge vor etwas in den Herzen das sie nicht einmal kannten. Er wäre töricht sich nicht vor Magie zu fürchten, aber man konnte nicht jeden verurteilen dem sie anhaftete. Als sie einst an einem kleinen Dorf, wie diesem hier, vorbei gekommen war, sah sie wie man eine junge Frau an die Fersen eines Pferdes band und ihren Körper so lange hinter sich her schleifen ließ, bis nur noch blutige Fetzen übrig waren. Und weshalb? Weil sie mit der Gabe der Magie geboren wurde. Man musste in solchen Gegenden nicht einmal schlechtes vollbracht haben, um mit dem Makel des Bösen versehen zu werden. Menschen fürchten sich immer vor Dingen die sie nicht begreifen. Xii spürte nicht wie das Feuer ihres Zornes aufloderte und ihren gesamten Körper einhüllte. Zu sehr hatte sie sich ihren Gefühlen ergeben, und diese wollten nun hinaus. Sie stieß einen Schrei aus und das Feuer um sie herum wurde blau. Es schmolz das Metall der Ketten die sie an den Stuhl fesselten, ohne ihre Haut zu verbrennen. Die Kinder erstarrten vor Angst, welche mit einem Schlag wieder all ihre Körperfunktionen lähmte. Ben´s Fingern entglitt die kleine Öllampe und fiel scheppernd zu Boden. Auch wenn es in dem alten Stall modrig roch, und das Heu an manchen Stellen dahin faulte, es war trocken genug um Feuer zu fangen. Endlich kamen die Kinder wieder zu sich und begannen zu schreien. So schnell sie konnten, rannten sie hinaus ins freie, denn die Flammen fraßen sich rasend schnell durch das Heu. Der Geruch des Feuers brannte in Xiis Nase, doch sie realisierte nichts von dem was um sie herum geschah. Stimmengewirr schrie in ihrem Kopf durcheinander, verfluchten sie, auf dass sie niemals Erlösung finden würde, nach allem was sie getan hatte. Sie spürte den Zorn dieser Stimmen und ließ das Gefühl alles bestimmen. Erst als sie den Schmerz an ihren Füßen wahr nahm, riss sie sich von diesen Gefühlen los. Das Heu um sie herum brannte bereits lichterloh und durch den starken Rauch brannte ihre Kehle. Hustend sprang sie auf und blinzelte die Tränen weg. Sie entdeckte die offene Tür und rannte auf sie zu. Stolpernd gelangte sie ins Freie und rang einen Moment lang nach Luft. Als sie sich zu der Scheune umdrehte, stand diese bereits vollkommen in Flammen. Kleine Funken stoben in die Luft und gingen auf die Stroh bedeckten Häuser über, wo sich sogleich neue Glutnester bildeten. Taumelnd ging Xii ein paar Schritte rückwärts, während sie zusah wie das Schicksal seinen Lauf nahm. Eine unbedachte Handlung, und schon brannte alles nieder, was die Bewohner dieser Häuser zum Leben brauchten. Wütende Schreie mischten sich unter das Knacken und Knistern des Infernos. Xii wirbelte herum und sah dass eine Schar Dorfbewohner auf sie zugerannt kam. Das Feuer hatte sich auf noch mehr Häuser ausgeweitet und Schnitt ihr so den Weg ab, sie hatte keine andere Wahl als sich ihren Pfad durch die Meute hindurch zu suchen. Nachdenklich biss Xii sich auf die Unterlippe, sie verachtete diese Menschen, aber sie war keine Mörderin. Niemanden würde sie töten, der nur aus Angst vor dem Unbekannten, versuchte sich zu wehren. Kleine Steinchen wurden aufgewirbelt als Xii voran preschte. Schneller als jeder Mensch es konnte, rannte sie auf die Dorfbewohner los, die mit allerlei Gerätschaften für den Ackerbau bewaffnet waren. Die ersten Reihen gerieten ins Stocken und versuchten abzubremsen, als sie sahen dass jene, die sie jagen wollten, direkt auf sie zukam, statt ihr Heil in der Flucht zu suchen. Einige der Männer rannten ineinander, schafften es aber gerade noch nicht zu stürzen. Im Rennen hob Xii eine ihrer Hände hoch in die Luft, sofort loderte ein blaues Feuer auf, welches ihre gesamte Hand einhüllte. Ein Feuer ohne Hitze. Wirbelnd, schlossen sich die Flammen in ihrer Handinnenfläche, zu einem Feuerball zusammen. Als er bereit war, schleuderte Xii ihn direkt vor die Füße der Männer. Schreiend wichen sie einige Schritte zurück, und starrten auf das dampfende Loch vor ihren Füßen. Xii rannte geradewegs in die Schneise die sich in der Masse der Menschen gebildet hatte und ließ das blaue Feuer in beiden Händen wieder aufflammen, als ein paar mutige Männer mit ihren Heugabeln nach ihr stachen. Xii fauchte laut und drohte den Männern mit ihren flammenden Händen. „Lasst mich durch! Oder ihr werdet mein Seelenfeuer zu spüren bekommen! Es wird euch das Fleisch von den Knochen brennen und eure Seele verzehren.“ Keiner der Bewohner zweifelte an ihren Worten, sie wichen einige Schritte zurück und bildeten einen Durchgang für das gefürchtete Wesen. Xii schlug ihr Herz bis zum Hals, sie hatte nicht gelogen, was die Wirkung ihres Feuers betraf, aber sie wollte sie nicht gegen die Menschen einsetzen. Sie wollte einfach nur fort von diesem Ort. „Macht Platz! Wir erledigen das!“ Wie ein Donnerschlag durchbrach die Stimme eines Mannes das leise Gemurmel der Dorfbewohner. Als sie gehorchten, und zur Seite traten, erblickte Xii sieben Männer die auf sie zuliefen. In ihren Händen befanden sich gespannte Armbrüste und vier von ihnen legten gerade Pfeile an die Sehnen ihrer Bögen. „Die Jäger! Macht ihnen Platz!“ Einer der Dorfbewohner erkannte die nahende Rettung sofort und auch die anderen machten den Männern Platz. Sie waren Einzigen in diesem Dorf, die wirklich Erfahrung darin hatten, jemanden zu erlegen. Jemanden, der auf der Flucht war. Xii´s schluckte schwer, besäße sie ein schlagendes Herz in ihrer Brust, würde es wahrscheinlich donnern vor Anspannung. Plötzlich spürte sie einen entsetzlichen Schmerz in ihrem rechten Oberschenkel, ihr Schrei hallte durch die Abendluft. Das magische Feuer in ihren Händen erlosch, als sie zusammen knickte und auf einem ihrer Knie aufschlug. Fauchend wirbelte sie mit ihrem Kopf nach hinten. Ein übermütiger Bauer hatte sich getraut vorzutreten und ihr mit der Heugabel in den Oberschenkel zu stechen. An seinen Spitzen tropfte rotes Blut hinab. Auch wenn sein Angriff erfolgreich gewesen war, sie erkannte die Furcht in seinen weit aufgerissenen Augen. Zitternd erhob sie sich und fletschte die Zähne in seine Richtung, scharfe Eckzähne kamen zum Vorschein. Ein weiterer Bauer hieb mit seiner Sense nach ihr, doch nun war sie aufmerksamer und rollte sich rasch unter dem Angriff hinfort. „Aus dem Weg jetzt ihr Idioten!“ Noch einmal donnerte die Stimme des Jägers durch die Straße als er seine Armbrust anlegte. Xii wusste das sie nicht länger zögern durfte, sonst war ihr Leben hier beendet. Somit auch ihre Chance, ihre Seele zu erlösen. Sie beugte ihren Oberkörper nach vorn und setzte zu einem Sprung an. Blauer Nebel hüllte ihren Körper ein und ließ nur noch eine verschwommene Silhouette erkennen. Als sie durch den Dunst hindurch brach, landete sie auf vier Pfoten. Xii hatte erneut die Gestalt des Fuchses angenommen, welchen das kleine Mädchen draußen in den Wäldern erblickt hatte. Sofort schlug sie einen Haken und entging so einem Pfeil, den ein Jäger auf sie abgeschossen hatte. Mit diesem Körper war sie wendig und schnell, sie schaffte es in eine kleine Gasse zwischen zwei Hütten abzutauchen, ohne von einem der Geschosse getroffen zu werden. Männer riefen wild durcheinander, Frauen kamen bereits mit den ersten Eimern Wasser angelaufen um dem Feuer Einhalt zu gebieten. Es hatte aufgehört sich auf andere Dächer auszubreiten, aber man hoffte die brennenden Häuser noch retten zu können. Zumindest befanden sich alle Menschen in der Versammlungshalle oder dem Marktplatz. Die Anwesenheit der Janama hatte große Sorge verbreitet, und jeder wollte nicht verpassen wie der Rat der Ältesten über ihr Schicksal richtete. Nun hatte Xii es selbst in die Hand genommen, und war so wahrscheinlich dem sicheren Tod entgangen. Die Wunde an ihrem Oberschenkel schmerzte bei jedem Tritt, es machte sie langsam, aber Xii schöpfte Mut als sie am Ende der kleinen Straße bereits die Felder erkennen konnte. Sie musste anschließend nur noch die schützenden Wälder erreichen, dann konnten die Jäger ihr nichts mehr anhaben. Ihre Flucht trieb sie aus dem Dorf heraus, ihre Krallen gruben sich in weiches Gras, statt platt getretene Erde. Sie verließ den Schutz der Häuser und der schmalen Gassen, einer der Jäger erstarrte und nutzte seine letzte Gelegenheit den Dämon zur Strecke zu bringen. Er spannte die Sehne seines Bogens und legte den Pfeil an. Das Rufen und die wütenden Befehle seiner Mitverfolger hörte er nicht mehr, alles was es für ihn noch gab war sein Pfeil, und seine Beute. Sein Atem stellte sich ein. Sekunden verstrichen. Dann ließ er los. Xii heulte auf vor Schmerz als etwas ihre Sinne vernebelte. Ihre Füße gehorchten ihr nicht mehr, sie stürzte mitten im Lauf und rollte noch einige Meter weiter. Jubel und erstauntes Ausrufen drang an ihr Ohr. Schwer atmend blinzelte sie einige Male, bis sie wieder klar sehen konnte. Die Jäger klopften einem jungen Burschen auf die Schulter, dann rannten sie locker und nicht all zu schnell auf sie zu. Xii hob den Kopf und blickte an sich hinab, zwischen ihren Rippen schaute der abgebrochene Schaft eines Pfeiles heraus. Er musste bei ihrem Sturz abgebrochen sein. Nein, hier und heute wollte sie nicht sterben, sie wollte kein Opfer der Menschen werden. Schwerfällig rappelte sie sich wieder auf und rannte weiter, weiter in Richtung Waldesrand. Ihr Fluchtversuch blieb nicht unbemerkt, sofort spannten die Jäger wieder ihre Bögen und Armbrüste. Xii´s gesamter Körper schmerzte, rebellierte gegen die Anstrengung die sie von ihm abverlangte, aber sie wusste, wenn sie langsamer werde würde, wäre es ihr Verhängnis. Pfeile sausten dicht an ihr vorbei, einer streifte sogar gefährlich knapp ihr Ohr, aber sie schaffte es den Wald zu erreichen. Ihre Verfolger gaben nicht auf, es galt ehrenvoll zurück zu kehren und die frohe Botschaft zu übermitteln, dass man den Dämon getötet hatte. Das würden die Männer sich nicht nehmen lassen. Xii rannte mit letzter Kraft immer tiefer in den Wald hinein, ihre Beine wurden schwerer und versagten schließlich ihren Dienst. Blauer Nebel hüllte ihre Gestalt ein, und sie nahm wieder die Gestalt an, die mehr Mensch denn Tier war. Keuchend rollte sie sich auf den Bauch und zog sich über das weiche Laub das den Boden bedeckte. Kleine Steinchen und Äste stachen in ihre Haut, aber diesen Schmerz spürte sie schon nicht mehr. An ihre Ohren drang das Rascheln der trockenen Blätter als sie von den schweren Lederstiefeln zerdrückt wurden. Die Jäger waren außer Atem, aber ihr Ehrgeiz hatte sie so lange angetrieben, das sie die verwundete Janama schließlich einholen konnten. Xii zog sich immer weiter über den Boden, Schuhspitzen tauchten in ihrem Augenwinkel auf, und schließlich versperrte ein dunkler Schatten ihr den Weg. Ihre Stirn legte sich auf das Laub, Gelächter ertönte, es war vorbei. Die Jäger hatten ihre Beute erlegt. Einer der Männer drehte die Frau mit den Fuchsohren und dem buschigen Schwanz, mit seinem Fuß auf den Rücken. Xii blickte hinauf in ein schadenfrohes Grinsen. „Du Idiot! Geh doch nicht so dicht an sie heran! Wenn sie dich nun verflucht“, ertönte eine atemlose, unsichere Stimme. „Ach, schau sie dir doch an. Der Dämon ist am Ende.“ Der Mann über ihr grinste noch ein wenig breiter und stellte seinen Stiefel auf den abgebrochenen Schaft des Pfeiles, welcher ihr zwischen den Rippen hinaus ragte. Xii schrie auf vor Schmerz und griff nach seinem Bein. Jemand gab ihr einen heftigen Tritt in die Seite. Wieder schrie sie, und rollte sich zusammen als der Mann endlich den Fuß von ihr hinunter nahm. „Na? Willst du nicht um Gnade betteln du Stück Dreck?“ Die Janama presste die Augen zusammen und biss sich fest auf die Unterlippe um nicht vor Schmerz zu wimmern, diese Blöße würde sie sich nicht geben. Nur leise presste sie ihre Worte hervor. „Lieber erteile ich dir die Erlaubnis mich an meinem Arsch zu lecken.“ Stille trat ein. „Was hast du da gerade gesagt?“ Der Mann beugte sich zu ihr hinab und umfasste mit seiner großen Hand ihr Kinn. Mit einem Ruck drehte er ihren Kopf zu sich und zwang sie so in seine wütende Fratze zu blicken. Nun grinste Xii hämisch. „Hast du es auf den Ohren? Waschen könnte Abhilfe schaffen.“ Ihr Grinsen erlosch als seine Faust sie hart ins Gesicht traf. Der Mann tobte und wollte gerade zu einem weiteren Schlag ausholen als jemand seinen Arm packte. Der junge Jäger, welcher ihr den Pfeil zwischen die Rippen gejagt hatte, blickte kopfschüttelnd auf ihn nieder. Seine Stimme war ruhig und ohne Groll. „Wir sollten es jetzt rasch beenden. Unser Dorf wartet, und es gibt viel Arbeit.“ Langsam erhob sich der Mann und befreite sich mit einem heftigen Ruck von dem Griff um seinen Arm. „Spiel dich mal hier nicht so auf Bursche! Es ist vorbei wenn ich es sage.“ Ein anderer Mann legte ihm seine Hand auf die Schulter und atmete tief durch. „Der Junge hat Recht. Wir beenden das nun, und kehren zurück.“ Nun waren zwei seiner Freunde gegen ihn? Das kam für den gestanden Mann gar nicht in Frage. Auch in den Gesichtern der restlichen Jäger konnte er ablesen, dass sie noch immer Furcht vor dem Dämon hatten, und es am liebsten schnell hinter sich bringen wollten. Er bleckte wütend seine Zähne. „Gut ihr feigen Hunde! Aber ich beende es auf meine Art!“ Mit einem Ruck zerrte er Xii auf die Beine und grub seine Faust in ihr Haar. Sie war so schwach, dass sie nicht allein stehen konnte, also zerrte er sie mit sich. Sie presste die Lippen fest aufeinander, konnte jedoch ein Aufstöhnen nicht verbergen. „Was machst du denn da jetzt du Narr?“ Unsicher liefen ihm die Männer nach, aber konnten ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen. Der Jäger zerrte sie auf den Rand eines Abhanges zu und blickte in die Tiefe. Einige Metern unter ihnen verlief ein breiter Fluss entlang. „Zurück mit dir, in die Hölle, aus der du gekrochen bist!“ Mit diesen Worten stieß er Xii hinab in die Tiefe. Sie versuchte noch Halt an einer Wurzel zu finden, aber es gelang ihr nicht, sie rutschte unkontrolliert den Hang hinab und stürzte in den Fluss. „Bist du noch zu retten? Was wenn sie das überlebt und zurück kehrt? Wenn sie dann Rache an uns nimmt, was dann?“ Jener, der seine Ängste aussprach, erntete nur einen kalten Blick. „Du bist ein Narr wenn du denkst, sie könnte es überlebt haben. Auch Dämonen sind nicht gegen alles immun.“ Herausfordernd streckte der Jäger sein Kinn vor, doch sein Freund schüttelte nur resignierend den Kopf. Die Gruppe beschloss dass es das Beste sein würde, wenn sie nun Heim kehrten, und im Dorf erzählten, dass das Wesen aus der Unterwelt tot sei, und keine Bedrohung mehr für sie sein würde. Die Strömung des Flusses riss erbarmungslos an der Janama, sie kämpfte verzweifelt dagegen an, dass ihr Kopf nicht all zu lange unter Wasser geriet. Sie hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren als sie immerzu versuchte der Flut zu entkommen und am Ufer Halt zu finden. Schließlich hatte das Schicksal mit ihr Erbarmen und sie blieb in einer großen Wurzel hängen, welche weit in das Flussbett hinein ragte und mit all seinen Verzweigungen wie ein Köcher wirkte. Mit zitternden Händen hangelte sie sich an der Wurzel in Richtung Ufer. Die Dunkelheit zerrte an ihr, flüsterte verlockend in ihr Ohr, dass sie die Janama alsbald von ihren Qualen erlösen würde, sie müsste nur los lassen. Ihre Krallen gruben sich ins Erdreich als sie ihren Körper aus dem Wasser zog, jeden Zentimeter musste sie sich hart erkämpfen. Als auch ihre Zehen das feuchte Gras unter sich spürten, verließen sie ihre letzten Kräfte. Ihre Arme versagten ihren Dienst. Es war nicht schlimm. Das weiche Gras des Waldbodens bettete ihre Wange so angenehm, und wieder flüsterte die Dunkelheit ihre Verlockungen. Sie wollte nicht dass es vorbei war, dass es so endete. Ein Ende ohne Erlösung. Mit dem Gesicht auf der Seite liegend, schlossen sich langsam ihre Augen. Eine Müdigkeit überrollte sie, so fordernd, dass sie sich ihr nicht widersetzen konnte. Wie im Traum, spürte sie dass eine Hand ihren Kopf berührte und fast schon zärtlich über ihr Haar strich. Es war eine behutsame und kleine Hand, wie die eines Kindes. Auf Xiis Zügen bildete sich ein Lächeln. Entweder war die ewige Verdammnis grausamer als sie dachte, oder sollte der Schöpfer hoch oben doch Erbarmen gezeigt haben? Die kleine Hand betastete ihr buschiges Ohr und zupfte an den feinen Härchen, das mochte Xii gar nicht. Die Berührung der kleinen Hand verschwand, doch kurz darauf spürte sie einen warmen Lufthauch nahe ihres Gesichtes. Es waren Atemzüge. „Wer bist denn du?“ Xii hörte die fremde, weibliche Stimme in weiter Ferne. Wenn sie nicht gekommen war, um sie zu erlösen oder mit in die Dunkelheit zu begleiten, sollte sie gehen. Xii wollte ihre Ruhe haben. Doch die Präsenz erfüllte ihren Wunsch nicht. Sie spürte eine warme Berührung auf ihrem Rücken und ein leiser Singsang erklang. „Ewiglich das Grün, klar und reich dein Atem, wohlbehütet im finsteren Grunde, ruht immerdar dein Garten. Kehre ein, mein Geist ist frei, auf dass es gibt keine Macht, die uns entzwei. Borge mir Leib und Seele nun, kenne den Preis, in deinen Armen werde ich ruhn.“ Xii spürte eine Wärme ihren Körper durchflutete, wie sie ihr die Sonne noch nie hatte schenken können. Diese Wärme ließ der Dunkelheit keinen Raum mehr und verdrängte sie, bis nichts mehr von ihr übrig war. Xii schlug die Augen auf als das Gefühl vollkommen abgeebbt war. Sämtliche Glieder schmerzten als sie ihren Körper zwang sich zu bewegen. Unter einem Ächzen stützte sie sich auf allen Vieren ab, und setzte sich langsam auf. Xii zuckte zusammen als die zarte Stimme neuerlich erklang. „Geht es dir wieder besser? Mehr konnte ich leider nicht für dich tun, ich bin darin noch nicht so gut.“ Neben der Janama hockte ein kleines Mädchen auf ihren Fersen. Xii traute ihren Augen kaum, denn das Kind ähnelte zwar einem Menschen, aber ein paar Details straften diese Annahme Lügen. Der Leib des Kindes war nicht etwa mit Kleidung bedeckt, sondern mit kleinen Blättern und Ranken. Aus ihrem kastanienbraunen Haar, direkt am Ansatz ihrer Stirn, wuchsen zwei kleine Äste empor, geschmückt mit gelben und roten Blättern wie sie auch die Bäume rings um sie herum trugen. Auf den Zügen des Mädchens lag ein müder, aber freundlicher Ausdruck. „Hallo, ich bin Lilly. Kannst du mich verstehen?“ Statt auf ihre Frage zu antworten wich Xii ein Stück zurück und während die das Kind musterte, wurde sie sich dem stechenden Schmerz in ihrem Oberschenkel bewusst. Doch irgendetwas war vollkommen anders als zuvor. Ohne die Fremde aus den Augen zu lassen tastete sie nach der Wunde, die ihr der Jäger verpasst hatte. Der abgebrochene Pfeil war fort, und dort wo die Wunde sein sollte, die er hinterlassen hatte, konnte sie Kruste unter ihren Fingerspitzen fühlen und eine kleine Wölbung. Fassungslos starrte sie an sich hinab, deutlich stachen hier und dort blaue Flecken hervor, die frischen Wunden hatten sich geschlossen, manche waren sogar vollkommen verheilt, und zu ihren Füßen lag der abgebrochene Pfeilschaft. „Wie... wie ist das möglich?“ „Oh! Du kannst doch sprechen! Ich dachte schon...“, das Mädchen konnte ihren Satz nicht zu Ende bringen, da schnitt Xii ihr das Wort ab. „Warst du das? Hast du mich geheilt?“ Sie versuchte aufzustehen, doch ihre Beine fühlten sich weich an und versagten ihren Dienst. Lilly kratzte sich irritiert an ihrem Kinn, die Fremde redete mit ihr, jedoch antwortete sie nie auf ihre Fragen. „Du musst vorsichtig sein, du hast viel Blut verloren. Ja, ich habe dich geheilt, aber ich kann es noch nicht so gut. Die Hüterin sagt wenn ich wachse, kommt das schon noch.“ Xii kniff die Augen zusammen und leckte sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe. „Was bist du?“ Lilly legte den Kopf leicht schief, ihr Blick huschte immer wieder zu den flauschigen Ohren und dem buschigen Schwanz ihres Gegenüber. „Eine Ellydre.“ Xii riss ihre blauen Augen auf und schnappte nach Luft. Kurz war ihr schon der Gedanke gekommen eine Ellydre vor sich zu haben, aber wahrscheinlicher hatte sie es gehalten, vorhin doch gestorben zu sein, und dass dies nun ein Traum war, den man ihr gesandt hatte, um sie zu quälen. „Ich las einst in einem Buch über Ellydren, darin wurden sie als Mythos beschrieben, da es kaum eine Seele gab die euch zu Gesicht bekam. Was tust du denn hier, so ganz allein?“ Lilly erhob sich mit einem kleinen Hüpfer und deutete auf das dichte Unterholz hinter sich. „Du bist doch in unseren Hain gekommen, nicht ich zu dir. Hier wohnen wir, und sind ziemlich lebendig für einen Mythos, findest du nicht auch?“ Kichernd drückte sie sich beide Hände auf den Mund als sie über ihren eigenen Scherz lachen musste. Xii war fassungslos und gar nicht nach Späßen aufgelegt. Ihr Blick schweifte über die Gräser und die hohen Bäume. Sie erinnerte sich von den Ellydren gelesen zu haben dass sie an einem geheimnisvollen Ort mit dem Namen 'Ewiger Hain' leben sollten, doch hier sah es genauso aus wie in jedem anderen gewöhnlichen Wald auch. „Und was bist du?“ Lilly riss die Fuchsdame mit der Frage aus ihren Gedanken. Skeptisch taxierte sie die junge Ellydren, irgendwas stimmte hier nicht. Eben noch hatte man sie gejagt und fast getötet, und nun saß dieses kleine Wesen vor ihr, plauderte fast freundschaftlich mit ihr, und hatte sogar noch ihre schweren Wunden geheilt. „Was willst du von mir? Warum hast du mir geholfen?“ Lilly zog beleidigt eine Schnute, jetzt hatte sie der Fremden so viele Fragen gestellt, ohne auch nur eine Antwort zu bekommen, und dass wo sie doch so neugierig war. Sie traute sich schon nicht mehr zu fragen ob die den buschigen Schwanz einmal umarmen dürfte. „Weil du doch verletzt warst! Was stellst du nur für komische Fragen?“ Xii schnaubte verächtlich. „Du willst mir sagen dass du mich geheilt hast, ohne auch nur einen Hintergedanken zu haben?“ „Ja natürlich.“ Es war die Art und Weise wie Lilly ihr bei dieser klaren Antwort direkt in die Augen sah, die Xii endlich verstehen ließ, dass dieses Wesen lediglich mit dem unschuldigen Herzen eines Kindes handelte. Ein Herz das nicht mit Ammenmärchen, Legenden oder Ängsten genährt wurde. Ganz langsam entspannten sich ihre Schultern. Lilly zupfte an einem der kleinen rötlichen Blätter die an einem der Äste wuchs, die sie auf dem Kopf trug. „Magst du mir jetzt vielleicht erzählen wer du bist?“ „Mein Name ist Xii. Ich bin eine Janama.“ Xii beugte ihren Oberkörper vor und legte beide Hände vor sich auf dem Boden. Sie senkte so weit den Blick dass sie lediglich die Füße von Lilly erkennen konnte. Sie war niemand die sich gern mit Demut vor jemandem verneigte, aber sie erinnerte sich an einen Ehrenkodex, den man ihr auferlegt hatte, als sie diese Gestalt annahm. Doch auch selbst wenn es diesen Kodex nicht gegeben hätte, sie war dem Kind dankbar. Wäre sie gestorben ohne den Sinn ihres Daseins zu erfüllen, wäre ihr keine Erlösung vergönnt gewesen. Nur ewiges Leid und Qualen. „Ich verdanke dir mein Leben. Eine Lebensschuld ist nur durch Ebenbürtiges zu begleichen. Ich werde dich begleiten bis ich meine Schuld erfüllt habe.“ Lilly betrachtete mit großen Augen die Fuchsdame und schob sich nachdenklich den Zeigefinger in den Mund. Die Fremde rührte sich nicht mehr, also musste Lilly wohl irgendwas erwidern. Sie kniete sich vor Xiis gesenktem Kopf und tätschelte ihr Haar. „Ich freue mich dass wir jetzt Freunde sind! Du darfst auch mitkommen in unseren Hain. Aber nur wenn ich mal deinen Schwanz drücken darf ja? Er sieht so flauschig aus.“ Xii hob verwundert ihren Kopf und blickte in das strahlende Gesicht von Lilly. Etwas zögerlich rümpfte sie ihre Nase. „Du willst was? Kommt gar nicht in Frage.“ Sofort entgleisten die heiteren Gesichtszüge der jungen Ellydren und ihre Augen begannen sonderlich zu funkeln. Xii seufzte laut und rollte mit den Augen. „Na schön. Aber nur kurz...“ Frohlockend sprang Lilly auf und klatschte in die Hände. In der nächsten Sekunde umfasste sie den buschigen Schwanz mit beiden Armen und schmiegte ihre Wange daran. „Oh wie weich!“ Xii fragte sich, auf was sie sich eingelassen hatte, aber als sie das glückliche Kind betrachtete das sein Gesicht in ihr Fell drückte, bildete sich auch auf ihren Zügen der Hauch eines Lächelns. Nach all den Grausamkeiten die sie heute erfahren hatte, tat es ganz gut wenn sie jemand nicht aufgrund ihres simplen Daseins verurteilte. Vielleicht würde sie in diesem Hain ja auch jenen finden, der mit ihrem Schicksal verbunden war. Jener, der in der Lage war sie zu erlösen. Nachdem sie sich durch einen beherzten Schwanzwedler von der Ellydre befreit hatte, erhob sie sich. Noch fühlten sich ihre Beine schwach an, aber sie war in der Lage einen kleinen Marsch zu absolvieren. „Lass uns gehen, ich will diesen Ort hinter mir lassen.“ Lilly wollte ihre neue Freundin unbedingt den anderen Ellydren vorstellen, und ließ sich kein zweites Mal bitten. Nachdem sie einige Schritte vor gelaufen war, und bemerkte dass die Fuchsdame noch nicht ganz mit ihrem Tempo mithalten konnte, schlenderte sie an ihrer Seite entlang. Immer wieder warf sie der schweigenden Xii neugierige Blicke zu. Diese seufzte schließlich laut. „Was möchtest du fragen?“ Sofort sprudelte Lilly mit ihrer ersten Frage los. „Was ist denn eine Janama?“ Xii warf ihr einen forschenden Blick aus dem Augenwinkel zu. Ihre Antwort kam erst nach langem Zögern. „Oft werden wir als Geister bezeichnet. Unsere Seelen lebten einst ein anderes Dasein. Erinnerungen an mein letztes Leben habe ich nicht, nur eines blieb. Der Grund wieso ich wieder her gesandt wurde. Es gibt eine Schuld die auf meinen Schultern lastet, ich weiß dass ich sie wieder gut machen muss.“ Lillys Augen wurden groß und ihre Schritte langsamer. „Ha? Soll das heißen du hast mal etwas böses gemacht?“ Xiis Blick richtete sich auf den Weg vor sich. „Ja.“ „Und du erinnerst dich nur an dieses Böse, sonst nichts? Nicht einmal wer du warst?“ „Richtig.“ Lilly senkte den Kopf, so etwas konnte sie sich gar nicht vorstellen. „Und jemand gibt dir eine Gelegenheit das wieder gut zu machen? Wer ist das denn? Er muss ja ganz schön stark sein.“ „Auf diese Frage darf ich dir keine Antwort geben. Selbst wenn ich wollte, die Worte kämen nie über meine Lippen. Es ist wie ein Bann.“ Lilly schob sich wieder ihren Zeigefinger in den Mund während sie überlegte. Erst nach langem Zögern stellte sie die Frage, die ihr so sehr unter den Nägeln brannte. „Was hast du denn Böses gemacht?“ Als hätte Xii bereits mit dieser Frage gerechnet, kam ihre Antwort sofort, und begleitet von einem eisigen Hauch in der Stimme. „Darüber will und werde ich nicht reden.“ Lilly runzelte die Stirn, dem Mädchen rauchte ganz schön der Kopf. „Aber darfst du dann sagen was du machen musst, um das Böse wieder gut zu machen?“ „Das weiß ich selbst nicht. Ich weiß nur, dass ich eine Aufgabe zu erfüllen habe. Welche es ist, mit wem sie zu tun hat, oder was ich genau dafür tun muss, weiß ich nicht. Ich muss suchen bis ich es gefunden habe.“ Ihre Stimme bekam einen bitteren Unterton, den Lilly allerdings nicht bemerkte. „Wie merkst du denn dann wenn es soweit ist? Also wenn du wirklich getan hast, was du tun musstest?“ „Ich sterbe.“ Lilly blieb mit einem Ruck stehen, ihr Unterkiefer erschlaffte. Mit großen Augen starrte sie zu Xii hinauf. Plötzlich begannen ihre Lippen zu beben und Tränen flossen ihre Wangen hinab. „Aber Xii! Das ist doch nicht richtig! Wenn man etwas gutes tut, darf man doch nicht als Belohnung sterben!“ Die Janama betrachtet das kleine Mädchen, dass diese so schnell von dem Schicksal einer Fremden ergriffen war, wunderte sie. Langsam ging sie vor Lilly in die Hocke und legte ihr die Hände auf die bebenden Schultern. „Für mich wäre es eine Erlösung. Tag und Nacht quälen mich die Erinnerung an meine Taten. Flehen, Schreie und Tränen bilden ein Echo in meinem Geist das ich niemals los werde. Außer ich sterbe, dann findet meine Seele ruhe.“ Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. „Hör nun auf zu weinen. Nicht immer bringt der Tod nur Schlechtes. Außerdem schenke ich so dem Wesen, dessen Körper ich borgte, wieder sein Leben.“ Lilly rieb sich mit ihren kleinen Fäusten die Augen um die Tränen fort zu wischen. „Was meinst du denn damit?“ Xii tippte sich an die Ohren. „Meine Seele wurde wieder in diese Welt gesandt, aber ich hatte keinen Körper mehr. Also musste ich mir einen borgen. Das kann bei jeder Janama unterschiedlich sein. Meine Seele übernahm den Körper eines Fuchses. Wenn ich sterbe, gebe ich ihn wieder frei, und schenke dem Fuchs sein Leben zurück.“ Lilly Augen glänzten noch immer als sie zu Xii hinauf blickte. Alles verstand sie nicht, von dem was sie ihr sagte, aber sie verstand dass ein Ende für Xii ein neuer Anfang bedeutete. Sie fiel ihrer neuen Freundin fest um den Hals. „Ich verspreche, dir bei deiner Suche zu helfen, und dich ganz viel von den bösen Erinnerungen abzulenken Xii!“ Noch nie hatte sie jemand umarmt. Erst hatte sie sich gegen die Berührung wehren wollen, stattdessen aber legte sie ihre Arme ebenfalls um den kleinen Körper von Lilly. Irgendwie mochte sie dieses Kind. Behutsam drückte Xii das Mädchen wieder von sich und erhob sich um ihren Weg fortzusetzen. „Jetzt ist aber Schluss mit so viel Sentimentalitäten. Lass uns weiter gehen.“ Lilly rannte ihr eilig nach um sie wieder einzuholen und zupfte an dem transparenten Tuch, welches Xii als eine Art Umhang trug. „Trägst du mich? Vielleicht ist das ja schon die gute Tat, die du machen musst.“ Xii senkte den Blick. Beide mussten grinsen. „Du bist gar nicht so dumm wie du aussiehst. Dennoch, vergiss es.“ So war es denn dass die Janama Xii auf die kleine Ellydre Lilly traf, und beide zusammen ihren Weg fortsetzten, so verschieden sie auch waren. Manches Mal sollte ihr Pfad steinig sein, aber ihre Freundschaft wuchs mit jedem Schritt und jedem Stolpern. Und wer weiß, vielleicht treffen wir die Beiden ja eines Tages wieder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)