Nacht 146 - Familie von _Delacroix_ ================================================================================ Nacht 146 - Familie ------------------- Dunkle Flötenklänge erfüllten den Raum, übertönten leises Geflüster und ließen ihr Herz noch schwerer werden. Kougyoku ließ von der Blume ab, die sie gerade in dem Gesteck auf dem Tisch hatte platzieren wollen. Es kam ihr unwirklich vor, zwischen all ihren Halbschwestern zu sitzen. Sie hatte nie eine besondere Beziehung zu einer von ihnen aufbauen können, doch sie wusste, das lag in erster Linie an ihr selbst. Als sie jünger gewesen war, hatte sie sich nie getraut, das Wort an eine von ihnen zu richten. Nicht einmal an Kouyou, die fast ihr Alter hatte. Neugierig spähte sie über die Blumen hinweg. Dort drüben, auf der anderen Seite des Tisches diskutierte Kourin gedämpft mit Kouyou, die heute noch viel kleiner wirkte als sonst. Hätte man sie nebeneinander gestellt, man hätte Kougyoku sicher für die Ältere gehalten und das nicht nur weil sie auch ohne den Haarknoten auf ihrem Kopf, ein gutes Stück größer war als ihre Halbschwester.   Ein Stück weiter überprüften Koura und Kousa gegenseitig ihr Make-Up. Die Zwillinge trugen unterschiedliche Haarnadeln, vermutlich dem aktuellen Trend ihrer neuen Heimat entsprechend. Trotzdem hätte Kougyoku nicht sagen können, welche von ihnen welche war. Koa dagegen hatte sie sofort erkannt. In dem Maße, in dem das Haar ihres Halbbruders Kouha länger geworden war, war ihres im letzten Jahr kürzer geworden, fast so, als wollte sie mit ihm die Plätze tauschen. Kourin blickte auf und Kougyoku starrte eilig zurück in ihr Gesteck. Selbst heute, nach all den Jahren, hatte sie noch Angst davor, ihren Halbschwestern in die Augen zu schauen. Dabei hätte sie ihnen doch so gerne all ihre Fragen gestellt. Die Musik wurde trauriger und Kougyoku wagte einen vorsichtigen Blick in die andere Richtung, wo ihre älteste Halbschwester nach wie vor auf der Flöte spielte. Kougyoku wusste nicht viel über Kouren. Nur das sie fast zehn Jahre älter war als sie und sich ihren Bambusflöten verschrieben hatte. Judar hatte ihr erzählt, dass sie einmal so wütend auf ihn geworden war, dass sie ihn mit dem Instrument geschlagen hatte und den Gedanken fand Kougyoku unheimlich. Sie wusste, dass eine Herrscherin sich durchsetzen können musste, aber sie hätte es nie gewagt Judar-chan zu schlagen. Nicht mit einem Musikinstrument. Wobei, sie hatte da ohnehin kein Talent.   Plötzlich erklang ein Lachen und ließ Kougyoku zusammenzucken. Es war warm und weich, dennoch klang es furchtbar fehl am Platze. Kourin und Kouyou verstummten, Koa starrte finster zu den Zwillingen hinüber und Kouren ließ prompt ihre Flöte sinken. „Kousa-chan“, durchschnitt ihre Stimme die Luft, „zeig ein wenig Respekt vor unserem Vater.“ Kougyoku schauderte, während ihre Halbschwester dunkelrot anlief. „Verzeihung, Schwester“, antwortete Koura an ihrer Stelle. Kouren erlaubte sich ein Schnauben, dann setzte sie erneut ihre Flöte an die Lippen. Kougyoku atmete auf. Für den Bruchteil eines Augenblicks hatte sie einen Streit erwartet. Bruder Kouen wäre sicher sauer gewesen, hätte er von einem Streit erfahren und Bruder Koumei wahrscheinlich auch. Es kam selten vor, dass ihre Familie komplett zusammenkam, dafür war sie zu groß und zu zerstreut. Das es heute passierte, war ein Zeichen. Ein Zeichen für den Kaiser und für seine Gattin, die gleichzeitig auch die Mutter ihrer Cousins und Cousine war. Ein Zeichen, dass sie zusammen hielten, egal wie nah oder wie fern sie einander waren und egal was für eine Tragödie auch passierte. Ihre Familie war halt anders als andere, aber sie konnte mit Stolz behaupten, dass sie einzigartig war. So einzigartig, wie man es von der kaiserlichen Familie halt erwartete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)