Corpse Battle von UrrSharrador (Ein Shikamaru Nara-Krimi (zum Miträtseln)) ================================================================================ Kapitel 4: Falsehood/Fallacy ---------------------------- „Was wurde Ihnen denn gestohlen?“, fragte Temari. „Ein Shuriken“, sagte Nigishima-sensei. „Kein, kein gewöhnlicher. Ein Wurfstern speziell für Blitz-Ninjas. Man kann ihn mit Blitz-Chakra aufladen und ihn somit unter Strom setzen – jedenfalls ist, ist er weg.“ Shikamaru seufzte. „Es tut uns leid, Nigishima-san, aber wir sollen einen Mordfall aufklären. Alles, was nicht direkt damit zu tun hat …“ „Es hat damit, damit zu tun!“, behauptete der Sensei. „Wir haben festgestellt, dass das hier vielleicht eine, eine internationale Angelegenheit ist, oder? Und die Spezialwaffen anderer Länder zu stehlen, das passt, das passt doch zu so einem Täter, nicht?“ „Mendokusai. Wir kümmern uns darum, sobald wir den Mörder haben. Das hat momentan Priorität.“ Warum hatte Shikamaru nur das Gefühl, sein Ruf als Denkmaschine würde ihm immer mehr lästige Aufgaben einbringen? Er sehnte sich nach Konoha zurück, nach einer Wiese, auf der er liegen, und nach Wolken am Himmel, die er beobachten konnte. Nigishima schien nicht erbaut, aber dann meinte er: „Gut. Ich, ich hoffe, dass das nicht mehr zu lange dauern wird.“ Damit ging er.   „Sasaro-kun“, begann Temari mit dem nächsten Verhör, als das lässige Genie bei ihnen saß. „Du kanntest nicht zufällig das Opfer?“ Shikamaru hatte sich eine Schale mit dem geschmacklosen Tee gemacht und versuchte sich damit wachzuhalten. Er hätte nie gedacht, dass es so anstrengend war, ein paar Genin zu befragen. Er überließ das Sprechen mehr und mehr Temari und begnügte sich damit, alles, was er hörte, durch die Zahnräder in seinem Gehirn laufen zu lassen. „Nö. Kein Stück.“ Sasaro kaute mal wieder Kaugummi und schien sich zu langweilen. „Hast du irgendwas beobachtet, was ihn betrifft? Hat er zum Beispiel mit deiner Teamkameradin gesprochen oder mit Takki? Du scheinst dich ja gut mit ihr zu verstehen.“ „Geht so“, meinte er. „Nö, könnte nichts dergleichen sagen.“ Ähnlich auskunftsfreudig war er auch über die zweite Runde der Prüfung. Nichts, was in dem Sandsturm geschehen war, schien ihn irgendwie beeindruckt zu haben. Sie hätten mit den Blitz-Genin gekämpft und „dann halt wieder aufgehört“. Temari war anzusehen, dass sie es anstrengend fand, die Lässigkeit in Person zu befragen, und sie beendete die Sache schneller als bei den anderen. „Eine letzte Frage. Als du gestern Nacht mit Takki durch die Gänge des Turm gelaufen bist, was habt ihr anschließend getan?“ „Sie meinen, nachdem Sie uns zusammengepfiffen haben? Wir sind wie brave Lämmer auf unsere Zimmer gegangen.“ „Wirklich?“, fragte Temari lauernd. „Aye doch.“ „Takki hat uns aber etwas anderes erzählt.“ Shikamaru unterdrückte den Impuls, überrascht aufzusehen. Er fragte sich, was Temari mit dieser Behauptung bezwecken wollte. „So? Was denn?“, fragte Sasaro. „Ich würde gern deine Version davon hören. Also, was habt ihr getan, bevor ihr euch getrennt habt?“ Das Genie zuckte mit den Schultern. „Hey, es war ihre Idee. Und ihr Kissen. Ich hab ihr gerade noch ausgeredet, Rokken zu erschrecken. Immerhin war der nach seinem Kampf ja ziemlich hinüber. Da blieb eben nur mehr Anji.“ Interessant, dachte Shikamaru und nahm sich vor, Temari vielleicht im Anschluss ein Wort der Anerkennung für ihre Finte zu spendieren. Wenn er sich sicher sein konnte, dass sie keine nervige Antwort parat hatte. „Und was genau habt ihr mit dem Kissen und Anji gemacht?“ „Wir haben versucht, das Gesicht drauf noch ein bisschen gruseliger zu machen. Dann haben wir’s über seine Tür gehängt. Mit Ninjadraht und ‘nem Kunai. Den Draht haben wir ‘n bisschen angeritzt und dann mit dem Türknauf verbunden. Das Ding sollte ihm in die Hände fallen, sobald er die Tür aufmacht. Es war ja finster, vielleicht hätte er’s vorher nicht bemerkt.“ „Im Fallenstellen habt ihr schon mal Chunin-Niveau“, bemerkte Temari trocken. „Tja, lustig war’s. Auch wenn’s umsonst war.“ Sasaro zuckte wieder grinsend die Achseln. „Wieso umsonst?“ „Naja, ich hab mich schon gefreut, als ich ihn am nächsten Tag so richtig laut schreien gehört hab. Dachte, es hätte voll funktioniert. Aber nachdem ihr die Leiche gefunden habt, hab ich bei seiner Tür nachgesehen, und das Kissen hat immer noch oben gehangen.“ Shikamaru horchte auf. „Das Kissen war noch dort? Und der Draht?“ „Ungerissen. Ich hab’s dann selbst ausprobiert. Wie ich die Tür geöffnet hab, ist’s runtergefallen. Keine Ahnung, wie Anji da vorbeigekommen ist.“ Shikamaru tauschte einen bezeichnenden Blick mit Temari. „Ich gehe davon aus, nach dem Streich mit dem Kissen seid ihr schlafen gegangen? Takki in ihr Zimmer und du in deins?“, fragte er. „Aye. War ja nur’n harmloser Scherz.“ „Du kannst gehen.“ Sie wartete, bis er draußen war. Dann sagte Temari: „Anji hat uns belogen. Von wegen, er war die ganze Nacht in seinem Zimmer. Er hat es nicht einmal betreten.“ „Es könnte auch sein, dass sie ihm nur etwas anhängen wollen. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, warum“, gab Shikamaru zu bedenken. „Du meinst Sasaro und Takki?“ Er nickte. „Gut“, schnaubte sie. „Dann überprüfen wir das einfach ganz professionell. Ich will ab sofort nichts als die nackte Wahrheit.“ Sie verschoben Kyokos Befragung auf später und suchten Drescher-Takki noch mal auf. Als Shikamaru sie mit Sasaros Aussage konfrontierte, stöhnte sie etwas von „Plappermaul“, gestand dann aber, mit ihm den Streich ausgeheckt zu haben. Ohne Widerworte gab sie ihnen das Kissen. Zehn Minuten später hatte Konoe es untersucht. Es war bei der ganzen Aktion etwas schmutzig geworden, weswegen es ein Leichtes war, Fingerabdrücke darauf zu finden. Schließlich sagte die Heilerin: „Es sind eure Fingerabdrücke darauf, die von Sasaro-kun und die von Takki-san. Die von Anji-kun fehlen auf jeden Fall. Ich habe doppelt nachgeprüft.“ „Danke“, sagte Shikamaru und ließ das Kissen vorerst in Konoes Obhut. „Dann knöpfen wir uns mal den Hauptverdächtigen vor.“   Sie fanden ihn in der Eingangshalle des Turms, wo der Boden sanft unter dem dröhnenden Generator vibrierte. Es war mal wieder ziemlich stickig hier, als ob der Sturm die Hitze draußen gar nicht ausreichend aufwühlen könnte. Reis-Anji stand an einem der Fenster und sah in das gelbbraune Wirbeln hinaus. Er hatte etwas zwischen den Lippen, das verdächtig nach einer Zigarette aussah. „Genin in deinem Alter sollten nicht rauchen“, sagte Temari, und er zuckte zusammen. „Tut mir leid, ich …“ Er verstummte und schnippte den Glimmstängel nach draußen in den Sturm. „Wir müssen reden“, sagte Shikamaru ernst. Anji zuckte die Achseln. „Hören Sie, es wird nicht wieder vorkommen. Ich hab mir nur gedacht … wissen Sie, unser Sensei … Ach, was soll’s.“ Er seufzte schwer. „Von mir aus können Sie mich bei meinem Sensei verpetzen. Aber er raucht auch immer, wenn ihm was durch den Kopf geht.“ „Ich fürchte, hier geht es um etwas Schwerwiegenderes als das“, sagte Shikamaru. „Wir wissen, dass du heute Nacht nicht in deinem Zimmer warst.“ Anji erstarrte. „Wie bitte?“, murmelte er dann. „Du warst heute Nacht irgendwo im Turm unterwegs. Deine Tür war bis zum Morgen versiegelt. Nachweislich“, sagte Shikamaru. „Leugne erst gar nicht“, fügte Temari hinzu. „Versiegelt? Aber wie … Scheiße“, seufzte Reis-Anji, stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und raufte sich die Haare. „Vom Regen in die Traufe, was? Ich hätte mich nie für diese Prüfung melden sollen.“ „Bereust du außerdem vielleicht noch was anderes? Einen Mord zum Beispiel?“ „Ich habe Manjo-san nicht umgebracht!“, fuhr er auf. „Was hast du dann heute Nacht getrieben?“, fragte Shikamaru. Wieder seufzte er. „Ist es verboten, ein wenig herumzuspazieren? Muss man sich unbedingt in seinem Zimmer einsperren lassen?“ „Es ist verboten, uns anzulügen“, sagte Temari. „Und Genin sollten in fremden Ländern auch versuchen, brav zu sein.“ „Zum Kotzen“, murmelte Anji. „Was hast du gesagt?“ „Zum Kotzen! Das Land hier! Der Sturm! Ich hab mich kurz in meine Kammer gelegt und festgestellt, dass ich bei dem Säuseln und Rascheln nie einschlafen könnte! Also bin ich ins Arztzimmer neben der Arena gegangen. Hab gehört, es gibt dort Betten, und da war es ruhiger.“ „Und warum hast du dann nichts dergleichen erwähnt, als wir dich gefragt haben?“, wollte Temari wissen. „Was sollte ich denn sagen? Ich konnte nicht einschlafen, meine Mama ist auch nicht hier und meinen Teddybären hab ich vergessen, also bin ich herumgewandert und hab einfach woanders gepennt?“ „Zum Beispiel“, sagte Shikamaru ruhig. Reis-Anji stöhnte. „Ihr macht mich fertig.“ „Ich muss dich daran erinnern, dass du der Hauptverdächtige bist. Das Mordopfer hat in deinem Land randaliert. Du hättest von uns allem am ehesten ein Motiv. Und du hast kein Alibi.“ „Das hatte ich doch vorher auch nicht!“ Wenn er wollte, konnte Anji also richtig bockig sein. Er war wohl trotz allem noch weit entfernt vom Erwachsenwerden. „Die Ermittelnden anzulügen macht dich aber auch nicht gerade weniger verdächtig“, klärte ihn Temari auf. „Schön, dann verhaften Sie mich“, rief er resigniert aus. „Sie haben’s ja ohnehin auf den armen, einzelgängerischen Ausländer abgesehen. Verhaften Sie mich und machen Sie der Sache ein Ende – aber ich sag’s immer wieder, ich war es nicht!“ „Reg dich schon ab“, murmelte Shikamaru und kratzte sich am Kopf. „Wir wollen hier alle so wenig Stress wie möglich. Du bleibst also dabei, dass du nichts gehört oder gesehen und vor allem nichts getan hast?“ Anji nickte grimmig. Seufzend wandte sich Shikamaru an Temari. „Lassen wir’s noch einmal gut sein? Er hat nur an einem anderen Ort geschlafen. Es ist ja nicht so, als wäre das jetzt ein unmittelbares Indiz, dass er der Mörder ist.“ Temari verzog wenig überzeugt das Gesicht, gab dann aber nach. Sie schärften Anji ein, sich in Zukunft genau zu überlegen, was er ihnen erzählte, dann ließen sie ihn allein. Als sie die Treppe ansteuerten, überkam Shikamaru das Gefühl, dass irgendetwas in der Eingangshalle nicht stimmte, aber er kam nicht darauf, was.   „Die sind alle so stur und kindisch, dass es kaum zum Aushalten ist“, beschwerte sich Temari, als sie wieder in ihrem Befragungszimmer saßen. „Warst du früher anders? Als du noch in der Blüte deiner Jugend standest, wie Lee es ausdrücken würde?“, fragte er. „Das will ich jetzt dezent überhört haben“, sagte sie. „Und ja, ich habe mich nicht bemüht, mich durch Falschaussagen selbst als Mörder abzustempeln.“ „Weil es zu unserer Zeit keinen solchen Mord gab“, brummte Shikamaru. „Nur eine Invasion, fällt mir gerade ein.“ „Erinnere mich bloß nicht daran“, sagte sie trocken. „Statt hier alte Geschichten aufzuwärmen, sollten wir lieber weitermachen.“ Kyoko kam ein paar Minuten zu spät, obwohl sie auf dem Rückweg bei ihrem Zimmer vorbeigeschaut hatten. Allgemein machte sie einen etwas verträumten Eindruck. Das lange, orangerote Haar trug sie heute offen, sodass noch mehr von ihrem Gesicht versteckt war, als der dunkle Rollkragenpulli ohnehin schon erledigte. Sie musste fürchterlich darunter schwitzen. Kyoko aus dem Reich des Wasserfalls war ein ganz anderes Kaliber als das Genie Sasaro. Sie antwortete auf jede Frage knapp und präzise, was sicher daran lag, dass sie so wenig wie möglich sprechen wollte. Ihr Blick kreiste oftmals durch den Raum, wurde wie eine Motte von der Lampe angezogen, nur zu Temari und Shikamaru sah sie niemals. Ihre Stimme war so leise, dass der Kragen ihres Pullovers die Hälfte ihrer Worte verschluckte. Shikamaru und Temari mussten öfters nachfragen, aber schließlich hatten sie alle Antworten erhalten: Kyoko hatte weder mit Manjo gesprochen noch ihn in jener Nacht gesehen. Sie war zur Tatzeit in ihrem Bett und hatte geschlafen. Sasaro könne das wahrscheinlich nicht bezeugen, weil er immer sehr fest schlafe und dabei so laut schnarche, dass er damit eine Explosion übertönen könne. Und Kyoko konnte ihnen auch nichts Genaueres zu dem Kampf im Sandsturm erzählen. Sie sprach etwas ausführlicher davon als Sasaro, aber es ging in ihrer Erzählung eher darum, wie sie sich selbst gefühlt und was sie gedacht hatte. Shikamaru war schon felsenfest davon überzeugt, dass in dem Sturm rein gar nichts Ungewöhnliches vorgefallen war und er sich die Mühe sparen könnte, als sie schließlich meinte: „Es hat mich überrascht, dass Igawa-kun so stark war. Selbst Sasaro hatte Mühe, mit ihm fertigzuwerden. Er würde es nie zugeben, aber ich glaube, er wurde ziemlich in die Enge gedrängt. Hätte Igawa-kun nicht beschlossen, den Kampf abzubrechen … Ich weiß nicht, wie er ausgegangen wäre.“ „Würdest du sagen, er ist stärker, als ein Genin sein dürfte?“, fragte Temari. „Oh ja“, sagte das Mädchen leise. „Aber das muss er ja.“ „Wieso?“, fragte Temari verwirrt. „Na, weil das hier die Chunin-Prüfung ist. Wenn er nicht stärker wäre als ein Genin, wie könnte er dann antreten und hoffen, sie zu bestehen?“ Shikamaru seufzte. „Ich muss es wohl jedem Einzelnen von euch erklären, was? Hier werden nicht allein die Qualitäten eurer Jutsus bewertet. Es geht um ganz andere Dinge, die …“ Sie wirkte, als würde sie nicht mehr zuhören, also brach er nur seufzend ab. „Danke, Kyoko-san. Falls wir noch etwas wissen wollen, melden wir uns bei dir. Eine Sache noch“, sagte er, als sie schon aufstand. „Mir fällt gerade noch etwas ein: Warum hast du dich eigentlich aus der Prüfung zurückgezogen? Du bist mit ein paar Wunden im Turm angekommen, aber soweit ich weiß, waren die eher oberflächlich und Konoe-san hat dich im Arztzimmer behandelt. Du hättest zur dritten Prüfung ohne Weiteres antreten können, aber du bist freiwillig ausgestiegen.“ Kyoko zupfte unbehaglich am Saum ihres Pullovers. „Das ist, weil … Ich glaube nicht, dass ich gut genug bin. Ich war nur dabei, um … das Team zu füllen.“ „Erklär mir das genauer.“ „Es ist so …“, sagte sie zögerlich. „Ich bin so etwas wie das Nesthäkchen in unserem Team, verstehen Sie? Ich verstehe mich gut mit den anderen und alles, aber … sie kämen auch ganz gut ohne mich zurecht. Ich bin ihnen immerhin keine Bürde mehr, so wie es am Anfang gewesen ist, aber … in der Wüste habe ich es auch nur geschafft, weil Sasaro auf mich aufgepasst hat. Wenn ich einem anderen Shinobi in einem Einzelkampf gegenüberstehe … und wenn der so gut ist wie die Blitz-Ninjas … Das habe ich mich nicht getraut.“ Shikamaru nickte verständnisvoll und entließ sie. „Was hältst du davon?“, fragte er Temari, ehe sie den letzten der Genin, Rokken, hereinbaten. „Ein plausibler Grund, würde ich sagen. Es kommt öfters vor, dass jemand mehr aus … Gewohnheit oder wegen der Einteilung zu Beginn in einer Gruppe ist und selbst nicht viel auf die Reihe bekommt. Vor allem, wenn es noch alles Genin sind. Oder findest du es merkwürdig?“ „Hm“ brummte er. „An mir nagt da nur eine unschöne Erinnerung. Weißt du noch, bei unserer Prüfung? Da hatte sich Kabuto eingeschlichen, als Genin von Konoha, obwohl er ja alles andere als ein Genin war. Er hat die Prüfung im Wald des Todes mitgemacht und dann auch gemeint, er würde die dritte Prüfung lieber nicht versuchen wollen.“ „Du meinst, Kyoko tut nur, als wäre sie so schwach, und kann in Wahrheit einen Jonin umbringen?“, fragte Temari ungläubig. „Sie ist erst dreizehn!“ „Sie ist angeblich dreizehn. Sie könnte ein Jonin sein, der ein Verwandlungsjutsu angewendet hat.“ „Die ganze Zeit, seit der ersten Prüfung?“, fragte Temari stirnrunzelnd. „Ein mächtiger Jonin“, ergänzte Shikamaru. „Denkbar wäre es.“ „Hm.“ Temari ließ sich das durch den Kopf gehen. „Dann werfen wir auf dieses Nesthäkchen wohl besser ein Auge.“   Rokken war immer noch ein wenig blass, obwohl Konoe gesagt hatte, er würde von seinem kurzzeitigen, unfreiwilligen Quecksilberkonsum keine bleibenden Schäden davontragen. Sie hatte ihn schließlich schnell behandelt – und bei einem Sensei wie Iwamoto wagte es der Körper des Genin wahrscheinlich gar nicht, ernsthaft vergiftet zu werden. Als er bei der Tür hereingekommen war, hatte sich Shikamaru mal wieder in Erinnerung rufen müssen, dass dies Rokken der Felsenschieber war. Trotz seiner beeindruckenden Fähigkeiten hatte er es immer noch nicht geschafft, sich sein Gesicht zu merken: etwas schmal und, wie erwähnt, blass, mit braunen Haaren und dem Stirnband von Sunagakure dort, wo es hingehörte. Seine Kleidung war erdfarben und ein wenig abgerissen. Und er wirkte irgendwie betrübt. „Also, Rokken“, übernahm Temari wieder das Ruder, „du kanntest Manjo, oder?“ Rokken nickte. Wenigstens einer. „Er war mein großes Vorbild“, gab der Genin dann niedergeschlagen zu. „Wieso das?“, fragte Temari eine Spur zu scharf. „Du fragst dich, was so Vorbildhaftes an ihm gewesen sein soll?“, mutmaßte Shikamaru und erntete dafür einen giftigen Blick. „Als ich noch auf der Akademie war, ist er mal für einen Lehrer von uns eingesprungen, der krank war“, berichtete Rokken. „Manjo-san war damals noch ein Chunin, aber er war wirklich ein guter Lehrer. Er hat uns einige Kniffe gezeigt, wie wir unser Chakra besser unter Kontrolle bringen können.“ „Kann ich mir gar nicht vorstellen“, brummte Temari. „Sicher ist ihm die Coolness aus allen Löchern getropft.“ „Nach dem Unterricht ist er auf eine Mission gegangen. Er hatte uns davon erzählt. Ich war neugierig, was für Missionen man als Chunin so bekommt. Unser bisheriger Lehrer hat uns immer erzählt, dass wir uns erst mal darauf konzentrieren sollen, Genin zu werden, und dass wir da vor allem den Leuten aus dem Dorf helfen sollen …“ „Und Manjo-san hat dich so fasziniert, dass du ihm gefolgt bist?“, fragte Shikamaru. Rokken machte sich klein. „Ich weiß, dass es eine Riesendummheit war. Und ich wurde danach auch bestraft. Aber sie sind hierher gegangen, Manjo-san und sein Team. In diese Wüste. Ziemlich am Rand, als ich schon umkehren wollte, hat ein Riesenskorpion sie angegriffen … Sie haben ihn gut bekämpft, aber Manjo-san hat ihn erledigt. Ab da hab ich mir gewünscht, so zu sein wie er.“ „Es spricht nicht gerade für die Fähigkeiten dieses Teams, wenn sie nicht mal merken, dass ein Akademie-Schüler sie verfolgt“, sagte Temari. „Was?“, fragte sie, als Shikamaru sie missmutig ansah. „Sie haben mich auch bemerkt“, meinte Rokken. „Sie sagten hinterher, sie wollten gerade nach mir rufen, als der Skorpion kam. Naja, Manjo-san hat dann gemeint, es wäre ja keine so große Sache, und ich solle nachhause laufen.“ „Ich dachte, man hätte dich bestraft?“ „Ja, aber …“ Rokken leckte sich über die Lippen. „Das waren meine Eltern. Weil ich so spät heimgekommen bin.“ „Hast du danach auch manchmal mit Manjo geredet?“, fragte Shikamaru. „Wann immer ich ihn getroffen habe. Ich war ja sozusagen sein Fan. Aber allzu häufig sind wir uns nicht über den Weg gelaufen. Und er schien sich eigentlich nie daran zu erinnern, wer ich bin“, meinte Rokken und klang wieder ein wenig betrübt. „Kein Wunder“, sagte Temari. „Dafür hattest du wohl das falsche Geschlecht.“ Shikamaru stieß sie nur nicht an, weil es ihm zu anstrengend war und außerdem nichts bringen würde. Außerdem war es wirklich nicht schwierig, Rokken zu vergessen. „Ich hab mir vorgenommen, ihn zu übertreffen“, sagte der Felsenschieber schließlich. „Irgendwann wären wir Teamkameraden, hätten eine Menge Spaß zusammen, er würde wissen, dass es mich gibt, und ich würde ihm irgendwann sagen, dass er mich inspiriert hat.“ Er lachte leise. „Das war zumindest eine Zeitlang mein Plan. Irgendwann war mir das nicht mehr so wichtig, aber weitertrainiert habe ich trotzdem noch so fleißig. Man kann also sagen, es ist zum Teil Manjo-san zu verdanken, dass ich der Shinobi geworden bin, der ich heute sein darf.“ Endlich mal ein Genin, der stolz auf sich war, obwohl er aus dem Turnier ausgeschieden war. „Kommen wir zu heute Nacht“, sagte Temari. Rokken nickte. „Ich war zur Tatzeit in meinem Zimmer. Ich habe im Krankenzimmer geschlafen und das Abendessen verpasst, wie Sie vielleicht bemerkt haben. Um halb zehn hat Konoe-san mich für eine letzte Untersuchung geweckt. Dann hat sie gemeint, sie würde gern abschließen, also bin ich in mein Zimmer gegangen und habe dort weitergeschlafen.“ Rokken war in der Wüste nicht auf die anderen anwesenden Teams gestoßen, also fragten sie ihn stattdessen, was er von ihnen hielt. Er schien Reis-Anji nicht besonders gut leiden zu können, Drescher-Takki ebenfalls nicht. Er bewunderte Igawa, weil der ihn in einem fairen Kampf besiegt hatte, und war auf das Finale gespannt. Die Wasserfall-Ninjas könne er nicht richtig einschätzen, aber Kyoko wirke nett und Sasaro anstrengend. „Warte mal“, sagte Shikamaru, als Temari ihn hinausschicken wollte. „Wird das jetzt zur Angewohnheit, dass wir zwischen Tür und Angel noch eine letzte Frage klären?“, fragte sie belustigt. Shikamaru ignorierte sie. „Du hast gesagt, Konoe-san hätte dich im Arztzimmer geweckt, weil sie absperren wollte. Das Arztzimmer liegt doch neben der Arena, oder?“ Rokken nickte. „Und sie wollte ganz sicher das Arztzimmer absperren?“ „Ja. Wegen der Medikamente.“ Shikamaru begann zu schwitzen, und das lag ausnahmsweise nicht an der drückenden Hitze. „Und du weißt nicht zufällig, wann sie es wieder aufgeschlossen hat?“ Der Felsenschieber zuckte mit den Schultern. „Wer hat überhaupt alles einen Schlüssel für das Arztzimmer?“, fragte Shikamaru Temari. „Die Prüfer aus Sunagakure“, sagte sie. „Ich hab auch einen.“ „Danke, du kannst gehen“, sagte Shikamaru zu Rokken, der sich verbeugte und das Zimmer verließ. „Wenn das Arztzimmer seit gestern, halb zehn, verschlossen ist …“, überlegte Shikamaru. „Wie kam dann Reis-Anji, der ja darin geschlafen hat, am Morgen hinaus?“, führte Temari den Gedankengang zuende. „Hätten Rokken und Konoe ihn nicht außerdem gesehen?“ „Nicht unbedingt“, sagte sie. „Es gibt vier Betten dort, mit Vorhängen. Wenn Anji seinen zugezogen hat, ist er ihnen vielleicht nicht aufgefallen. Selbst ein Jonin wie Konoe prüft nicht ständig die Umgebung.“ „Ich würde sagen, wir rupfen unser Hühnchen mit ihm noch ein bisschen weiter“, brummte Shikamaru.   „Du hast fünf Sekunden, um uns zusagen, wo du heute Nacht wirklich warst“, sagte Temari unfreundlich. Reis-Anjis Mund klappte auf. „Ich hab’s Ihnen doch schon gesagt, ich war im Arztzimmer.“ „Das Arztzimmer war aber über Nacht abgeschlossen.“ Nun wurde Anjis Miene zornig. „Hören Sie, wollen Sie mir hier was anhängen? Ist das alles eine Farce, um das Reich der Reisfelder noch weiter zu demütigen? Ich war dort und habe geschlafen! Und als ich am Morgen aufgestanden bin, war die Tür unversperrt!“ „Wie spät war es, als du dort angeblich in ein Bett geklettert bist?“ „Keine Ahnung. Dieser Felsenschieber, Rokken, war noch dort. Zumindest waren bei einem Bett die Vorhänge zugezogen. Ich hab das am anderen Ende des Raums genommen.“ „Und auch den Vorhang zugemacht?“ „Klar. Er sollte mich ja nicht unbedingt sehen, wenn er aufwacht. Am Morgen war er dann fort. Warum verdächtigen Sie nicht ihn?“ „Schon gut. Danke.“ Shikamaru winkte ihn wieder hinaus. Trotzig blieb Anji noch einen Augenblick stehen, dann ging er. Shikamaru lehnte sich seufzend zurück und betrachtete den Sandsturm durch das Fenster. „Wenn das alles stimmt, hat Anji plötzlich ein perfektes Alibi.“ „Aber wie kommt er aus einem Arztzimmer, das doch eigentlich abgeschlossen ist?“ „Ganz einfach“, sagte Shikamaru bedeutungsvoll. „Durch die Tür.“ „Sehr witzig.“ „Jemand muss sie wieder aufgesperrt haben. Und es kommen nur ein paar Leute dafür infrage.“ Er zählte sie an den Fingern ab. „Die Prüfer aus dem Reich der Winde sind du, Gaara, Konoe-san und Manjo.“ „Ich hab nichts damit zu tun“, sagte sie. „Was sollte ich im Arztzimmer? Ich bin nach dem Aufstehen in die Kantine gegangen. Gaara ist auch dorthin gekommen. Er war es garantiert auch nicht.“ „Konoe-san war im Morgenmantel, als Anji sie geweckt hat“, erinnerte sich Shikamaru. „Sie wird kaum mitten in der Nacht die Vorräte im Arztzimmer prüfen, das sie selbst abgeschlossen hat, und dann wieder ins Bett gehen. Bleibt nur noch einer.“ „Macho-Manjo?“, fragte sie zweifelnd. „Nie im Leben. Er hasst Ärzte. Hat sie gehasst“, verbesserte sie sich. „Woher hatte er den Sake?“ „Selbst in den Turm geschmuggelt. Wir können ja Konoe fragen. Oder glaubst du, Schnaps darf in Suna in keiner Arztpraxis fehlen?“ „Hätte ja sein können. Also, um halb zehn sperrt Konoe den Raum ab und schickt Rokken in sein Zimmer. Laut ihrer Aussage hat Manjo in ihrem Zimmer auf sie gewartet. Sie haben geredet, er hat getrunken, bis sie ihn rausgeworfen hat. Dann ist er uns in den Gängen über den Weg gelaufen.“ Shikamaru massierte sich die Nasenwurzel. „Denkst du, er hat einen Abstecher ins Arztzimmer gemacht, bevor er zu Iwamoto-senseis Tür gegangen ist?“ „Kaum“, schnaubte sie. „In seinem Zustand hätte er dort gar nicht hingefunden. Nein, im Ernst, glaubst du das wirklich? Er war gerade auf Aufriss. Wenn er nicht direkt zur nächsten Frau im Turm gewatschelt ist, wohin sonst?“ „War ja auch eher eine rhetorische Frage“, seufzte Shikamaru. „Also bleibt nur eine Möglichkeit. Derjenige, der das Arztzimmer wieder aufgesperrt hat, war der Mörder.“ Temari starrte ihn an. „Verdammt, du hast recht“, ächzte sie. „Der Mörder hat den Schlüssel von Manjo genommen und wollte dann irgendwas im Arztzimmer. Er muss Handschuhe oder etwas Ähnliches getragen haben, als er die Leiche untersucht hat.“ Shikamaru überlegte. „Vielleicht war das der wahre Grund für den Mord. Der Täter wollte etwas von euren Vorräten.“ „Da ist absolut nichts Besonderes in dem Zimmer“, meinte Temari verdattert. „Aber wenn etwas fehlt …“ „Wir sollten das überprüfen“, sagte Shikamaru und sprang auf. „Das heißt doch aber auch, dass der Mörder den Raum betreten hat, während Anji darin geschlafen hat“, sagte Temari, während sie ihm zur Tür folgte. Shikamaru öffnete und prallte fast mit dem Weißen Blitz zusammen. „Ich, ich, Entschuldigung“, sagte dieser. „Nicht jetzt, Nigishima-sensei“, sagte Shikamaru unwillig. „Wegen meines, meines Shuriken …“ „Wir kommen schon noch dazu, bitte lassen Sie uns einfach unsere Arbeit machen.“ Shikamaru und Temari hängten den Blitz-Sensei auf dem Gang ab und suchten Konoe, die in einem der Büros ein Medizinbuch wälzte. Überrascht hörte sie sich die neue Theorie an und ging dann sofort mit ihnen in das Arztzimmer, dessen Tür tatsächlich nicht versperrt war. Nicht nur das – sie stand sperrangelweit offen. „Dabei bin ich sicher, dass ich abgeschlossen habe“, murmelte Konoe und strich sich eine rötliche Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie betraten den Raum. Nur das Bett, in dem Rokken geschlafen hatte, war zerwühlt; Reis-Anji hatte die Spuren seiner geheimen Nächtigung wohl gut kaschiert. Konoe öffnete Schränke und riss Schubladen heraus, verglich den Inhalt von Ampullenkästchen mit handschriftlichen Tabellen. Schließlich sagte sie: „Die Flaschen mit dem Desinfektionsmittel. Die fehlen. Sonst nichts.“ „Wie viele?“, fragte Temari. „Alle.“ „Alle?“ „Es waren acht Stück, eine davon halb leer.“ „Hm.“ Shikamaru kratzte sich am Kinn. „Wozu sollte der Mörder Desinfektionsmittel brauchen?“ „Zum Desinfizieren?“, scherzte Temari. „Von etwa fünftausend Wunden? Ich habe keinen Schimmer. Allmählich glaube ich, unser Mörder ist ein Idiot.“ „Das gibt mir auch zu denken.“ „Wirklich?“ Sie sah ihn verblüfft an. „So ernst habe ich es nämlich nicht gemeint.“ „Denkt dran, der Mörder war geschickt genug, Manjo zu töten, ohne eine Spur zu hinterlassen. Außerdem muss er ein geübter Shinobi sein. Und jetzt stiehlt er Desinfektionsmittel aus dem Arztzimmer und schließt noch nicht mal die Tür wieder ab? Noch dazu hat er alle Flaschen mitgehen lassen. Wenn er, warum auch immer, so etwas stehlen wollte, würde er dann nicht nur eine oder zwei nehmen? Oder das Mittel sogar vorher umfüllen, damit niemandem auffällt, dass etwas fehlt? Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, war die Tür weit offen. Es ist, als wollte der Mörder, dass wir den Diebstahl bemerken. Anders kann ich mir diesen Anfall von Leichtsinn nicht erklären.“ Er wandte sich zu Konoe um. „Womit desinfiziert ihr hier denn eigentlich?“ „Mit einer Lösung, die zum größten Teil aus hochprozentigem Alkohol besteht“, sagte die Iryonin. „Also von wegen, hier gibt es nichts Hochprozentiges“, murmelte Shikamaru Temari zu. „Du hast von Sake gesprochen“, erwiderte sie schnippisch. Shikamarus Verstand arbeitete mal wieder auf Hochtouren, und das, obwohl er selbst noch gar nicht wusste, wohin er mit seinen Überlegungen wollte. „Ich vermute, so eine Flasche Desinfektionsmittel ist leicht entflammbar?“ „Und wie“, sagte Konoe. „Es gab sogar einmal eine Art … Anschlag, bei dem es eine Rolle gespielt hat.“ „Stimmt, ich erinnere mich“, sagte Temari. „Das war zu der Zeit, als Gaara noch nicht vollständig als neuer Kazekage etabliert war. Ein Nicht-Ninja, der nicht mit ihm einverstanden war, hat einen Lappen in so eine Flasche gestopft, ihn angezündet und die Flasche auf Gaara geworfen. Sie ist regelrecht explodiert.“ „Hm. Was ist dann passiert?“ Temari zuckte mit den Schultern. „Gaaras Sand hat ihn natürlich beschützt. Und der Täter wurde verhaftet.“ „Was wurde aus ihm?“ „Nichts. Gaara hat mit ihm geredet und ihn freigelassen. Um Wohlwollen zu signalisieren, wie er sagte.“ Shikamaru kratzte sich am Kinn. „Man könnte das Desinfektionsmittel also als Brandbeschleuniger oder sogar als Waffe einsetzen. Womit wir wieder bei der Attentatstheorie wären.“ „Aber der Mörder ist ein Jonin-Klasse-Ninja“, erinnerte Temari ihn. „Er müsste gar keine Verwendung für Flaschenbomben haben.“ „Das finden wir schon noch heraus. Konoe-san, du solltest das Zimmer hier verschließen. Und wir beide sehen uns nochmal Manjos Leiche an. Gaara muss uns die Erlaubnis geben, den versiegelten Raum zu öffnen.“ „Muss das sein?“, fragte Temari stirnrunzelnd. „Leider. Es nervt mich zwar tierisch, aber …“ Shikamaru seufzte, ehe er weitersprach. „Nachdem uns Reis-Anji schon mit Halbwahrheiten gequält hat, will ich Gewissheit. Ich will sichergehen, dass Manjo seinen Arztzimmer-Schlüssel nicht mehr hat und wir deshalb davon ausgehen können, dass der Mörder ihn gestohlen hat. Oder hast du nachgesehen, was in seinen Taschen war, Konoe-san?“ Die rothaarige Kunoichi schüttelte den Kopf. „Ich habe mir seine Wunden angesehen und seine Haut und Kleidung untersucht – aber nicht die Taschen. Das hielt ich für unnötig.“ „Naja, war es bis jetzt wohl auch.“ Shikamaru kratzte ich am Kopf, während sie das Arztzimmer verließen. „Nigishima-sensei wird sich freuen. Vielleicht finden wir ja sogar seinen heißgeliebten Shuriken bei Manjo, obwohl ich das nicht glaube.“   Gaara erlaubte ihnen widerwillig, das Siegel vom Leichenraum zu lösen. „Es ist nicht unbedingt notwendig, oder?“, meinte er zunächst, aber Shikamaru konnte ihn davon überzeugen, dass er andernfalls nicht wagte, eine Schnur aus all seinen Gedankengängen zu knüpfen, die zur Wahrheit führte. Als er, Temari und Konoe den Flur betraten, der zu Manjos vorläufig letzter Ruhestätte führte, lehnte Igawa-kun dort an der Wand und winkte ihnen erfreut zu. „Shikamaru-san!“, rief er laut. „Ich seh dich ja, kein Grund, so laut herumzubrüllen“, murmelte Shikamaru. Ob seine Nerven ein wenig angeschlagen waren? Vermutlich. Igawa lief auf die drei zu. „Nigishima-sensei hat gesagt, ich soll nochmal mit Ihnen reden, wegen dem Shuriken. Er sagt, dass vielleicht Manjo-san …“ „Schon gut, dein Sensei bekommt, was er will. Wir lösen das Siegel und sehen uns die Leiche nochmal an“, sagte Shikamaru. Er sah sich um, aber der Weiße Blitz war nirgends zu sehen. „Allerdings wollen wir nicht auf ihn warten. Weißt du zufällig auch, wie sein Shuriken aussieht?“ Igawa nickte. „Also darf ich dabei sein, wenn Sie die Leiche nochmal untersuchen?“, fragte er eifrig. Der Junge liebte es wohl wirklich, Detektiv zu spielen. „Meinetwegen. Aber fass nichts an“, sagte Shikamaru. Ein klein wenig mochte er ihn ja, aber eigentlich waren alle Genin vor allem eins: anstrengend. Fast feierlich bauten sie sich vor der Tür der Leichenkammer auf. Die Siegel-Banderole klebte noch ordentlich an ihrem Platz. Konoe formte ein Fingerzeichen, berührte das Papier und nickte. „Es ist noch aktiv.“ Mit einer raschen Bewegung riss sie das Siegel herunter. „In Ordnung. Du kannst aufschließen.“ Shikamaru fischte den Schlüssel, den Gaara ihm anvertraut hatte, aus seiner Tasche, drehte ihn im Schloss herum und hörte das schwere Klicken. Dann drehte er den Knauf und zog die Tür auf. Igawa drängte sich neben ihn, um neugierig durch den Spalt zu spähen. Und dann war es, als würden sie in bodenlose Finsternis stürzen. Das Einzige, was Shikamaru daran hinderte, erschrocken zusammenzuzucken, war das kalte Metall des Türknaufs, um das er noch die Hand geschlossen hatte. Er stand noch hier, am Ende dieses Korridors vor der Leichenkammer, und er hörte auch die anderen nach Luft schnappen. Erst diesem Gedanken folgte die simple Feststellung, dass es nur das Licht war, das fort war, nicht etwa er selbst. Sämtliche Lampen in dem Gang waren tot. „Der Strom ist ausgefallen.“ Er hörte Konoe nach etwas kramen, dann ein Knacken. Ein orangefarbener Schimmer durchbrach die Finsternis und malte riesige Schatten. Die Kunoichi hatte einen Leuchtstab geknickt. „Das gefällt mir aber gar nicht“, murmelte Shikamaru. „Der Generator ist eben altersschwach“, meinte Temari. „Mag ja sein, aber gerade jetzt …“ Ein mulmiges Gefühl eroberte Shikamarus Magengegend. Die Tür zum Leichenzimmer war immer nur erst einen Spalt geöffnet, aber sie war offen – er würgte den Gedanken ab. Als könnte Macho-Manjos Geist im Dunkeln durch diesen kleinen Spalt herausschlüpfen und sie verfluchen oder etwas in der Art. Lächerlich. Dennoch sagte er: „Konoe-san, leuchte doch bitte in den Raum. Wir durchsuchen Manjo-san einfach im Halbdunkel. Ich bin dagegen, dass wir jetzt zum Generator laufen.“ „Genau. Irgendjemand wird ihn schon reparieren“, sagte Temari. „Wenn du gestattest, Igawa-kun?“ Sie schob den Genin zur Seite und zog die Tür zur Gänze auf. Der Türrahmen war wie ein schwarzer Rachen, der sie verschluckte. Dann folgte ihr Konoe in den Raum und die Schatten veränderten sich. Plötzlich war es Shikamaru, als würde die Luft zum Atmen hier im Flur knapp. Er beeilte sich, den beiden Frauen zu folgen, und Igawa betrat den Leichenraum als Letztes. Schon bevor Konoe etwas sagte, nährte sich Shikamarus Unwohlsein von dem hellen Tuch, das auf der Bahre lag. Noch ehe er in dem spärlichen Licht Genaueres erkennen konnte, überkam ihn das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Das Tuch war auf Macho-Manjos Gesicht gelegen, als sie den Raum verlassen hatten, aber nun lag es irgendwie … tiefer. „Er ist weg“, murmelte Konoe plötzlich. Ihre Stimme bebte. Immerhin war ihre Hand mit dem Leuchtstab ruhig. „Das kann doch nicht sein!“, stieß Temari aus. Shikamaru glotzte ebenfalls auf die Bahre und fühlte sich übertölpelt. Sie war leer. Die Bahre, mit der Iwamoto-sensei und Nigishima-sensei die Leiche hergetragen hatten, war leer. Das Tuch lag am Kopfende. Von der Leiche fehlte jede Spur. „Durchsuchen wir den Raum“, sagte Shikamaru, der sich plötzlich wieder an Geister erinnerte, und zog die Tür hinter sich zu. „Er muss da sein! Der Raum war die ganze Zeit versiegelt!“ „Er ist doch wohl nicht … rausgegangen?“, fragte Igawa kleinlaut. „Als es finster wurde … und die Tür einen Spalt offen war?“ „Durch den Spalt hätte kein Mensch gepasst“, sagte Temari scharf, als müsste sie sich vor allem selbst überzeugen. „Außerdem war er tot“, fügte Konoe hinzu. „Keiner könnte eine solche Wunde überlebt haben.“ Die Kammer war nicht sonderlich groß. Konoe leuchtete in jede Ecke, aber der Raum war genauso kahl wie vorher, als sie ihn noch nicht als Leichenabstellplatz benutzt hatten. Nur brauner Felsen, ein wenig porös und rissig, fensterlos. Leer. Shikamaru glaubte zu spüren, wie etwas in seinem Kopf in den Leerlauf ratterte. Als wäre ein Zahnrad aus der Maschinerie seines logischen Denkens herausgesprungen und er verstünde plötzlich nicht mehr die simpelsten Umstände. Sie hatten Macho-Manjos Leiche eindeutig hier hereingebracht. Sie hatten sich auch nicht etwa in der Tür geirrt. Der Schlüssel hatte gepasst, und alle anderen wussten schließlich auch, dass es dieser Raum gewesen war! Und Manjo war eindeutig tot gewesen. Konoe hatte den Raum versiegelt und das Siegel war noch aktiv gewesen, als sie die Banderole wieder entfernt hatte. Noch dazu war abgeschlossen gewesen. Shikamaru hatte den Schlüssel zu dem Raum gehabt, und er hatte ihn die ganze Zeit bei sich getragen. Und dennoch war die Leiche aus dem Raum verschwunden. Aus einem Raum mit stabilen Felswänden, aus dem nur eine Tür hinausführte, die nachweislich nicht geöffnet worden war. Wie war das möglich? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)