Corpse Battle von UrrSharrador (Ein Shikamaru Nara-Krimi (zum Miträtseln)) ================================================================================ Kapitel 6: Cloth/Closed ----------------------- „Wie hast du eigentlich rausgefunden, dass Rokken nicht der Täter ist?“, fragte Temari, während sie noch einmal gründlich den Leichenraum unter die Lupe nahmen. „Da gibt’s mehrere Gründe. Es war einfach zu leicht, seine Schuld zu schlussfolgern.“ Shikamaru deutete auf das weiße Tuch, das auf der Bahre lag. „Das da zum Beispiel haben wir Manjo aufs Gesicht gelegt. Wenn Rokken wirklich ein Stockwerk tiefer gestanden wäre und die Felsen geöffnet hätte, damit die Leiche hinunterfällt, warum ist dann das Tuch hier liegen geblieben? Und die Bahre? Wenn, dann hätte er von einem angrenzenden Raum die Wand aufklappen lassen und die Leiche per Hand hinaus zerren müssen. Das wäre wiederum sehr umständlich. Würde er so weit gehen, nur damit Tuch und Bahre hier liegen bleiben können? Unwahrscheinlich. Außerdem gibt mir dieser Stromausfall zu denken. Ist es nicht ein gewaltiger Zufall, dass es gerade in dem Moment finster wird, in dem wir die Tür öffnen wollen?“ „Muss wohl so sein“, meinte Temari. „Ich weiß schon, du glaubst, jemand hätte den Generator sabotiert. Aber der steht im Erdgeschoss im Eingangsbereich, und das hier ist der zweite Stock. Ein Saboteur könnte unmöglich sehen, wann wir hier die Tür aufmachen.“ „Wir befragen Iwamoto-sensei noch dazu“, beharrte Shikamaru. „Aber das ist ja noch gar nicht alles. Denk mal von der anderen Richtung her: Die Leiche aus diesem perfekten abgeschlossenen Raum zu schaffen, macht automatisch Rokken verdächtig.“ „Stimmt. Sogar ein Möchtegerndetektiv wie Igawa hat das sofort herausfinden können“, überlegte Temari. „Nehmen wir also an, Rokken wäre in Wahrheit ein Jonin und der Mörder. Nur, und wirklich nur, wenn Konoe-san bei der Untersuchung der Leiche etwas übersehen hätte, das unweigerlich auf ihn hindeuten würde, macht es Sinn, dass er die Leiche verschwinden lassen will. Wir sind ganz flugs darauf gekommen, dass nur er den verschlossenen Raum hätte öffnen können. Hätte er das wirklich getan, müsste er um das Risiko gewusst haben.“ „Du meinst also, weil Rokken es als Einziger getan haben könnte, ist er automatisch unschuldig?“ Sie schnaubte. „Eine sehr gewagte Aussage. Niemand außer Rokken hätte die Leiche fortschaffen können, daran ist nun mal nichts zu rütteln.“ „Genau. Und deshalb überlegen wir jetzt, wie es trotzdem hätte geschehen können.“ Ein letztes Mal maß Shikamaru die Kammer mit einem Blick. Sie hatten nichts Verdächtiges gefunden, genauso wenig wie beim ersten Mal. Als sie auf dem Flur unterwegs zu Iwamotos Quartier waren, sagte er: „So etwas wie unseren verschlossenen Raum hier gibt es manchmal in Krimis. Meistens wird zwar das Opfer darin umgebracht, aber das Prinzip ist dasselbe: Es geht um unerklärliche Verbrechen. Kurenai hat mir mal von den Krimis erzählt, die sie gelesen hat, und …“ „Weil du selbst Lesen viel zu anstrengend findest, musst du also auf ihre Erfahrungen zurückgreifen?“, fiel Temari ihm ins Wort. „Darum geht’s jetzt nicht. Nach dem, was ich von ihr gehört habe, gibt es, rein logisch betrachtet, drei Möglichkeiten, wie man so einen verschlossenen Raum aufbrechen kann. Erstens, es ist gar kein verschlossener Raum, sondern sieht nur so aus. Wenn zum Beispiel irgendwo ein Ersatzschlüssel existiert, mit dem man hineinkann, oder wenn das Schloss nicht richtig sperrt. Die Kammer mit unserer Leiche war ein perfekt abgeschlossener Raum, so viel können wir jedoch sagen. Abgesperrt und dazu versiegelt.“ „Und die anderen zwei Möglichkeiten?“ „Zweitens, das Verbrechen, in unserem Fall das Verschwinden der Leiche, fand statt, bevor der Raum zu einem abgeschlossenen Raum wurde. Das ist ebenso unmöglich, weil wir mit eigenen Augen Manjo in der Kammer liegen gesehen haben, ehe wir sie versiegelt haben. Und drittens, das Verbrechen fand erst statt, nachdem der Raum schon nicht mehr abgeschlossen war.“ „Du meinst, jemand hat die Leiche verschwinden lassen …“ „… als wir bereits die Tür aufgesperrt und das Siegel gelöst hatten und durch den Stromausfall abgelenkt waren, ja.“ „Aber es ist doch trotzdem unmöglich, oder? Die Tür war nur einen Spalt geöffnet. Kein menschlicher Körper hätte da durchgepasst, und schon gar keiner, der noch dazu eine Leiche trägt. Außerdem war es nur ein paar Sekunden lang wirklich dunkel. Konoe hat doch danach gleich ihren Leuchtstab gezückt.“ Shikamaru kratzte sich im Genick. „Um ehrlich zu sein, ist mir der Gedanke gekommen, Manjos Geist könnte sich ganz einfach verflüchtigt haben, sobald die Tür offen war.“ „Blödsinn.“ „Leider. Sonst hätten wir vielleicht schon die Lösung.“ Temari überlegte. Shikamaru fiel auf, dass sie dabei mit dem Zeigefinger gegen ihre Wange piekte. „Aber heißt das nicht, dass keine dieser drei Möglichkeiten zutrifft? Ist es dann nicht wirklich ein perfektes Verbrechen, das bis auf Rokken niemand verüben könnte?“ „Nicht ganz. Die Bücher, die Kurenai gelesen hat, waren für Nicht-Ninjas geschrieben. Uns Ninjas steht noch eine vierte Möglichkeit offen.“ „Jutsus“, murmelte Temari. „Nein, Tauschjutsus.“ Er nickte. „Nigishima-sensei, der Weiße Blitz, drängt sich hier förmlich auf. Er hat ein eigenes Tauschjutsu konzipiert, das es ihm erlaubt, sogar unbewegliche Objekte miteinander zu tauschen. Warum sollte es nicht auch mit einer Leiche funktionieren? Er muss nur sein Chakra darauf aufbringen, hat er gesagt.“ „Ich verstehe. Und Nigishima-san war einer derjenigen, die Manjo in die Kammer getragen haben. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, ihn mit seinem Chakra zu markieren.“ „Richtig. Trotzdem ist diese Theorie voller Lücken. Erstens kann es Zufall gewesen sein, dass er die Leiche getragen hat. Zweitens – warum sollte er uns überhaupt so bereitwillig von seinem Tauschjutsu erzählen, wenn er so eine Farce abziehen will? Und drittens, und das ist das Hauptproblem …“ „Drittens liegt nichts in der Kammer, womit er die Leiche getauscht hätte“, beendete Temari seinen Satz. „Ich bezweifle stark, dass es mit Luft oder irgendetwas Gasförmigem funktioniert. Was ist mit dem Tuch? Könnte er Leiche samt Tuch mit einem anderem Tuch getauscht haben?“ „Allein vom Aussehen her würde ich sagen, dass es dasselbe Tuch ist wie das, das wir auf Manjos Kopf gelegt haben. Wir könnten es Konoe untersuchen lassen; ich bin mir sicher, dass wir darauf Hautschuppen oder Haare von Manjo finden. Nein, auf mich wirkt es so, als wäre die Leiche unter dem Tuch weggezaubert worden. Oder getauscht, ohne etwas dafür zum Tausch zu verwenden.“ Ein Taschenspielertrick also oder ein zweifelhafter Handel, bei dem jemand übers Ohr gehauen wurde. Und Shikamaru hatte das Gefühl, dass dieser Jemand im Moment noch sie beide waren. Sie waren vor Iwamoto-senseis Zimmer angekommen. Auf ihrer Tür prangte immer noch der Blutfleck und erinnerte an die grausige Tat. Die Kunoichi schien sich daran nicht zu stören; sie war in ihrem Zimmer, als sie vorsichtig klopften. „Was gibt es?“, fragte sie unfreundlich. „Wir hätten ein paar Fragen zu der Sache mit dem Generator“, sagte Temari. Es war vermutlich besser, wenn eine Kunoichi aus ihrem Land mit Iwamoto redete. Die Miene von Rokkens Lehrerin war eisig kalt. „Wozu? Ihr habt euren Mörder doch schon. Hört schon auf, jeden Stein dreimal umzudrehen.“ Sie wollte die Tür schließen, doch Temari schob ihren Fuß in den Rahmen. „Wir ermitteln weiter, weil wir versuchen Rokkens Unschuld zu beweisen.“ „Oder eher seine Schuld, nehme ich an.“ „Ist er schuldig oder nicht?“, schaltete sich nun Shikamaru ein. Iwamoto sah ihn lange an, als überlegte sie, ob er einer Antwort würdig war. „Ich bin mir sicher, dass er unschuldig ist.“ „Dann werden wir höchstens entlastende Beweise finden. Sagen Sie uns bitte, was Sie wissen.“ Mit einem Schnauben schlug Iwamoto-sensei die Augen nieder. „Na schön.“   Sie erlaubte ihnen, sich zuerst Rokkens Zimmer anzusehen. Viel gab es dort nicht: Außer dem Bett und seiner Ninjaausrüstung hatte er keine persönlichen Gegenstände dabei. Alles wirkte unverdächtig. „Meinst du, wir finden die Leiche irgendwo im Turm?“, fragte Temari. „Müssen wir theoretisch, immerhin kann wegen des Sturms keiner den Turm verlassen.“ „Du klingst nicht überzeugt.“ „Bin ich auch nicht. Der Täter scheint unerklärliche Rätsel zu lieben. Also nehme ich einfach mal an, dass wir die Leiche nicht finden können, obwohl sie eigentlich irgendwo hier sein müsste.“ Shikamaru wusste gar nicht, ob nicht nur Trotz oder Resignation aus ihm sprachen. „Alles in Ordnung“, seufzte er schließlich und sie traten wieder in den Flur zu Iwamoto-sensei, die mit verschränkten Armen gewartet hatte. „Ein Verdächtiger braucht wohl keine Privatsphäre?“, fragte sie kühl. „Die Kammern hier sind sowieso mehr Gefängniszellen. Ein Bett und rissige Felsen reichen nicht aus, um irgendetwas Privates zu beschützen“, sagte Shikamaru grimmig. „Wussten Sie übrigens, dass Manjo-san Rokken-kuns Vorbild war?“ Sie schürzte die Lippen. „Er hat es ein- oder zweimal erwähnt, ja.“ Als Nächstes brachte sie die beiden zum Generator im Erdgeschoss. Wieder hörte man hier den Lärm des Sturms ohrenbetäubend laut. Vor den Fenstern wirbelten immer noch Sandkörner herum; ohne die Deckenlampen wäre es sicher ziemlich düster gewesen. Iwamoto öffnete die Tür zum Raum mit der klobigen, alten Maschine, die wieder brav vor sich hin surrte. Eine Schriftrolle steckte in einer Öffnung und glühte bläulich; sie speiste den Generator mit Chakra. Iwamoto öffnete eine metallene Abdeckung, die nicht einmal angeschraubt war. „Dieses Kabel hier hat gefehlt“, sagte sie und deutete auf ein dickes, grünes Ding. „Es verbindet die Stromquelle mit dem Stromkreis im Turm. Der Generator hat weitergearbeitet, aber die Lampen haben keine Elektrizität mehr bekommen.“ „Was heißt das, es hat gefehlt? Es hat nicht jemand durchgeschnitten oder so?“ „Gefehlt heißt gefehlt. Es war nicht mehr da.“ „Kann man es denn einfach so rausziehen?“ „Es hat Stecker an beiden Enden. Seht ihr?“ Iwamoto-sensei zog ruckartig an einem Ende des Kabels und riss damit einen der kleinen, weißen Stecker heraus. Einen halben Herzschlag später wurde es dunkel. Man konnte etwas schaben hören, dann hatte die Kunoichi das Kabel wieder angeschlossen und das Licht ging wieder an. „Das andere Ende funktioniert genauso.“ „Ziemlich einfach, den Strom abzustellen“, bemerkte Shikamaru, als sie wieder in den Eingangsbereich traten. Iwamoto schloss die Tür hinter sich, aber es schien keinen Schlüssel zu geben. Dann zuckte die große Frau mit den Schultern. „Der Generator wurde in Sunagakure zusammengebaut und musste mit dem vorhandenen Stromnetz hier verbunden werden. Außerdem ist es ganz praktisch, dass man das Kabel so schnell wechseln kann. Es schmort immer mal wieder durch.“ „Kein Wunder, bei der Hitze“, murmelte Shikamaru. In der Generatorkammer war es besonders heiß und stickig gewesen, aber selbst hier im Eingangsbereich des Turms war es nur unwesentlich angenehmer – und das, obwohl der Sandsturm nur wenig Sonnenlicht durchließ. Vielleicht funktionierte er ähnlich wie ein Backofen. Shikamaru warf einen Blick auf das Thermometer neben der Tür. „Das Ding da ist auch kaputt“, stellte er trocken fest. „Sicher ist es sogar für ein gewöhnliches Thermometer zu heiß. Vielleicht solltet ihr wirklich ein digitales benutzen.“ „Weil wir ja eben festgestellt haben, dass elektronische Geräte hier so fehlerfrei funktionieren“, spottete Temari. Shikamaru wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ich hoffe nur, wir können den Fall bald lösen und das Turnier beenden. Ich konnte letzte Nacht schon kaum schlafen, und irgendwann schmilzt mir noch mein Nervenkostüm weg.“ „Schlafmangel ist das Einzige, was ihn zur Weißglut bringen kann“, erklärte Temari Iwamoto-sensei, die die Aussage mit einem eisigen Blick quittierte.   „Das Kabel hat also gefehlt“, rekapitulierte Shikamaru, als er und Temari wieder allein in der Kantine saßen und sich zwei Schüsseln mit Reisbrei und Hühnerfleisch gefüllt hatten. Das ständige Umherlaufen und Denken machte dann doch hungrig. „Das heißt, jemand hat es absichtlich rausgerissen, damit der Strom ausfällt“, sagte sie. „Was aber nicht heißt, dass der Stromausfall uns gegolten hat.“ „Aber es ist sehr wahrscheinlich.“ „Richtig.“ Temari drehte ein Fleischstückchen mit ihren Stäbchen um. „Lass uns überlegen … Iwamoto-san hat ein Alibi. Reis-Anji auch, nachdem er im verschlossenen Arztzimmer geschlafen hat, das der Mörder erst nach Manjos Tod wieder geöffnet hat.“ Sie lächelte gequält. „Falls er nicht auch aus einem geschlossenen Raum verschwunden ist.“ „Anji-kun und Iwamoto-san also“, meinte Shikamaru. „Du hast recht, sie können den Mord nicht begangen haben. Aber warum denken wir eigentlich, dass der Mörder gleichzeitig derjenige war, der die Leiche zum Verschwinden gebracht hat?“ Sie sah ihn verdutzt an. „Ich dachte, das wäre klar? Hast du nicht auch so bei Rokken argumentiert?“ „Ich habe da allerhand argumentiert, damit die anderen endlich Ruhe geben“, sagte er bitter. „Wer sollte es sonst gewesen sein?“ „Gute Frage. Es war nur eine spontane Idee von mir. Mir ist eingefallen, dass Nigishima-sensei von einem Diebstahl berichtet hat. Dann dachte ich mir, da wir ja mehrere Verbrechen aufzuklären haben, gibt es vielleicht auch mehrere Täter.“ „Das vereinfacht die Sache nicht gerade“, stellte sie unglücklich fest. Er seufzte. „Du sagst es.“ Eine Weile aßen sie still, aber Shikamaru meinte, die Zahnräder hinter Temaris Stirn genauso schnell rattern zu hören wie seine eigenen. „Irgendetwas haben wir übersehen“, meinte sie dann. „Irgendetwas Gravierendes.“ Shikamaru drehte ein Fleischstückchen in seinem Reis um und bemerkte, dass er wohl unbewusst angefangen hatte, Temari zu imitieren. „Wir müssen drei Fragen beantworten“, sagte er dann. „Das Wer, das Warum und das Wie. Wer hat die Leiche verschwinden lassen? Das ist der Kernpunkt. Wie und warum hat er das getan? Wenn wir eines dieser Rätsel lösen, können wir vielleicht auch die anderen beiden beantworten. Also erst mal, warum? Warum hat jemand die Leiche verschwinden lassen? Was ist das Motiv?“ „Da fallen mir einige Dinge ein“, meinte Temari. „Vielleicht mag unser Verschwindibus Rokken einfach nicht und wollte es ihm in die Schuhe schieben. Oder es ist, wie wir anfangs dachten, und Konoe hat bei der Untersuchung etwas Wichtiges übersehen, das er verbergen will.“ „Mir fällt sogar noch eine Möglichkeit ein“, sagte Shikamaru. „So kommen wir also nicht weiter. Dann überlegen wir, wie die Leiche zum Verschwinden gebracht wurde. Nachdem wir glauben, dass ein Jutsu mit im Spiel war, können wir den Verdächtigen sicher entlarven, wenn wir draufkommen.“ „Das sagst du so leicht.“ Shikamaru ließ die Geschehnisse seit gestern Abend Revue passieren. Wer konnte es getan haben? Wer hätte etwas davon, wenn die Leiche auf eine so unerklärliche Weise verschwand, dass es schon wieder spektakulär war? Nur der Mörder? Sie hatten eine Menge Befragungen durchgeführt. Hatte einer der Genin eine Bemerkung fallen gelassen, die sie weiterbrachte? Dabei haben wir ihm gezeigt, wie gut wir sind! Er würde es nie zugeben, aber ich glaube, er wurde ziemlich in die Enge gedrängt. Wenn die Ermittlungen noch länger dauern, wäre mir das eigentlich ganz recht. Warum sollten wir hier sonst überhaupt mitmachen?  „Ich hab’s“, sagte er plötzlich, noch immer in seine Schüssel starrend. „Damit meinst du nicht zufällig das letzte Fleischstückchen in deinem Brei?“, fragte Temari vorsichtig. „Nein, unseren Verschwindibus. Warte.“ Er überschlug noch einmal die Möglichkeiten, setzte den schattenhaften Figuren in seinem Kopf, die mit dem Fall zu tun hatten, nacheinander verschiedene Gesichter auf. „Nein. Alles.“ „Alles? Lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!“ „Ich habe das Verschwinden und den Mordfall aufgeklärt.“ Fast hätte er gelacht. „Was für eine Ironie.“ „Dann erleuchte mich schon endlich“, sagte sie aufgeregt. Shikamaru schwieg sie eine Weile an. Er witterte seine Chance, ihr ihre ständigen Neckereien heimzuzahlen. „Bist du sicher, dass du nicht selbst darauf kommen willst?“ „Ja, bin ich. Jetzt sag schon!“ „Versuch es wenigstens. Es war wohl bei dieser Konstellation unausweichlich, dass die Leiche versteckt werden würde. Aber für uns ist es ungemein praktisch.“ „Hör auf in Rätseln zu sprechen“, knurrte sie. Als er nicht weiterredete, seufzte sie ergeben. „Okay. Warum ist es für uns so praktisch?“ „Weil man, wenn man weiß, wer die Leiche versteckt hat, auch ganz leicht auf den Mörder kommt.“ „Also waren der Mörder und der Verschwindibus wirklich nicht derselbe?“ „Wenn meine Theorie stimmt, nicht. Ich könnte mich zwar immer noch irren, aber ich finde meine Hypothese ganz schlüssig.“ Temari seufzte wieder. „Ich geb’s auf. Du bist ja so unglaublich schlau. Ist es das, was du hören willst? Sag’s mir schon endlich!“ „Alles?“ Sie überlegte kurz. „Nur, wie die Leiche verschwinden konnte“, entschied sie dann. „Fürs Erste.“ Wie er vermutet hatte, war sie zu stolz, um gleich die ganze Lösung anzunehmen. Shikamaru sagte es ihr. Hinterher lehnte sich Temari auf dem Stuhl zurück und stieß einen Pfiff aus. „Kein übler Trick“, stellte sie fest. „Eigentlich hätte ich mir denken können, dass das nicht einer allein abziehen könnte.“ Sie zögerte. „Verstehe. Deswegen können sie also nicht Manjos Mörder sein.“ „Genau. Sie haben keinerlei Motiv.“ „Bist du ganz sicher? Wir könnten das Motiv nur noch nicht in Erfahrung gebracht haben.“ „Das gilt aber für alles“, sagte Shikamaru. „Überall in unseren Schlussfolgerungen können sich Irrtümer verstecken, weil wir einfach nicht genug Informationen haben. Zum Beispiel könnte Gaara ein Jutsu besitzen, das darauf spezialisiert ist, Leichen in einem geschlossenen Raum einfach so zum Verschwinden zu bringen. Oder auch du oder ich.“ „Da ist was dran“, murmelte sie. „Konzentrieren wir uns auf das, was wir wissen, und stellen anhand davon unsere Schlussfolgerungen auf.“ „Aber wie kommen wir dann zu unserem Mörder?“ Shikamaru schob seine halb leere Schale zur Seite. „Angenommen, ich ermorde dich“, begann er. „Du weißt, wie man mit einer Frau spricht“, stellte sie fest. „Meinetwegen, dann nehmen wir an, du bringst mich um“, sagte er unwillig. „Dann ist da noch jemand – irgendjemand, nehmen wir einen Unbeteiligten. Chouji.“ Sein bester Freund fiel ihm als Erstes ein. „Chouji deichselt irgendwas, um den Mord Rokken in die Schuhe zu schieben. Schließlich fällt, wenn die Leiche aus einem geschlossenen Felsenraum verschwindet, automatisch der Verdacht auf den Felsenschieber. Warum würde Chouji ihm also einen Mord anhängen wollen, den du begangen hast?“ „Ich würde sagen, weil wir zusammenarbeiten“, sagte sie. „Oder weil wir beide Rokken nicht mögen.“ „Möglich. Vergiss aber nicht, dass es kurzfristig beschlossen wurde, die Leiche fortzusperren. Es war also nicht von Anfang an euer Plan.“ „Hm. Und wenn wir, Chouji und ich, eben unsere Chance gewittert haben, ihm eins auszuwischen? Oder wenn wirklich was an der Leiche übersehen wurde?“ „Wenn Chouji Rokken in unserem Szenario eins auswischen wollte – meinst du, er würde so ein Risiko eingehen? Immerhin, wenn die Ermittler doch noch draufkommen, was wirklich mit meiner Leiche geschehen ist, läuft er Gefahr, in einen Mordfall verwickelt zu werden. Obwohl er, was den Mord angeht, unschuldig ist. Als Ninja hat man doch ganz andere Methoden, jemandem eins auszuwischen – und vergiss nicht, dass Rokken ein vierzehnjähriger Genin ist.“ „Okay“, meinte Temari. „Dann das, was wir die ganze Zeit über schon vermutet haben. Konoe hat irgendetwas an der Leiche übersehen.“ „Das kann ich auch entkräften.“ „Und wie?“ „Indem wir uns jetzt die Leiche holen und sie Konoe erneut zum Untersuchen geben.“ Temari starrte ihn mit großen Augen an.   Sie brauchten trotz allem fast eine Stunde, um Manjos Leiche zu bergen. In aller Heimlichkeit wickelten sie ihn in eine Decke und brachten ihn Konoe. Das Transportieren der Leiche war sogar weniger eklig als gedacht, obwohl sie gerade gegessen hatten. Immerhin waren sie Shinobi und an den Tod gewöhnt. Es war nicht angenehm, aber Shikamaru hielt es für angebracht, jeden Zweifel auszuräumen, und den Mörder zu fassen war wichtiger, als sich die Hände sauber zu halten. Die Iryonin aus Sunagakure staunte nicht schlecht. „Wo habt ihr ihn her?“, rief sie aus. „Wir haben doch gesagt, wir suchen ihn“, erwiderte Shikamaru kurz angebunden. „Sei so gut und führe noch mal eine gründliche Untersuchung durch.“ „Gern, aber ich glaube nicht, dass irgendetwas anderes als bisher dabei rauskommt“, meinte sie und betrachtete zweifelnd den Körper. „Eher weniger.“ „Tu es trotzdem, bitte. Und sieh auch nach, ob sich seit dem letzten Mal etwas geändert hat – neue Fingerabdrücke oder so.“ Konoe zuckte mit den Schultern. Da sie eigentlich Rokken bewachen sollte, der in seinem Gefängnis im Sand immer noch wie ein begossener – und sehr apathischer – Pudel aussah, transportierten Shikamaru und Temari die Leiche erst in den Untersuchungsraum. Um Manjos sterbliche Überreste nicht nochmal alleine zu lassen, ging dann nur Temari Konoe holen und blieb selbst bei Rokken. Shikamaru gesellte sich zu ihr, während die Iryonin mit der neuerlichen Untersuchung begann. „Lästig, ständig auf Nummer sicher gehen zu müssen“, meinte er. „Sollten wir nicht eigentlich Gaara um Erlaubnis fragen, ehe wir seine Wache austauschen?“ Temari winkte ab. „Er ist immer noch mein Bruder, Kazekage hin oder her. Mein jüngerer Bruder. Ein paar Schritte ohne seine Zustimmung werde ich da ja wohl tun dürfen.“ Über eine Stunde blieb Konoe in der Untersuchungskammer. Mittlerweile war es Abend geworden. „Egal, was Konoe sagt“, erinnerte Shikamaru Temari, „das Argument, dass sie etwas übersehen hat, kann man immer bringen. Wenn aber sonst alles an meiner Theorie schlüssig ist, sollten wir den Mörder damit konfrontieren.“ „Ist ja gut“, murmelte sie. Konoe kam schließlich erschöpft wieder in die Arena zu Rokkens Gefängnis. Jener hatte während Temaris und Shikamarus gelegentlicher Gespräche immer wieder mit hoffnungsvollem Blick aufgehorcht, sich aber keine Frage zu stellen getraut. „Bevor ihr fragt“, begann Konoe, „die Leiche ist jetzt wieder allein in der Kammer. Aber wenn ich bis jetzt nichts gefunden habe, finde ich auch künftig nichts mehr. Und es weiß doch gar niemand, dass ihr sie gefunden habt, oder?“ „Demnach hast du also nichts Besonderes an der Leiche entdeckt?“, fragte Shikamaru. „Nichts“, bestätigte sie seufzend. „Warum auch immer Rokken die Leiche versteckt hat, ich kann nichts finden, das auf ihn hindeutet. Oder auf einen der anderen – oder überhaupt auf etwas Neues.“ Rokken öffnete den Mund, schwieg aber weiterhin aufmerksam. „Dachte ich mir“, nickte Shikamaru. „Hatte er den Schlüssel zur Arztkammer dabei?“ „Nein. Der fehlt.“ „Das hab ich mir auch gedacht.“ „Wie schön, dass du neuerdings unter die Hellseher gegangen bist“, schnaubte Temari. „Was hat das jetzt zu bedeuten?“ „Es festigt meine Theorie. Stell dir einen schlauen Mörder vor, der Desinfektionsmittel aus dem Arztzimmer stehlen will. Ich jedenfalls würde Manjos Leiche den Schlüssel abnehmen, ins Arztzimmer gehen, die Flaschen mitnehmen, das Arztzimmer wieder zusperren und der Leiche den Schlüssel wieder zustecken. Dann könnte jeder der Dieb sein, beziehungsweise würde man nicht so schnell vermuten, dass überhaupt etwas fehlt, wenn die Tür nicht sperrangelweit offen steht.“ „Also wollte der Mörder, dass man den Diebstahl bemerkt? Den Verdacht hast du ja schon mal geäußert.“ „Genau. Kannst du dir auch denken, warum?“ Konoe hatte dem Wortwechsel schweigend zugehört. „Wieso sagt ihr ständig der Mörder und der Dieb? Ich dachte, Rokken wäre es gewesen?“ „Nur eine wilde Theorie von mir“, winkte Shikamaru ab. „Mach dir keine Gedanken. Danke für deine Mithilfe. Wir lassen von uns hören, wenn es etwas zu verkünden gibt.“ Er marschierte wieder Richtung Kantine, wo es zu der Zeit noch ruhig war, und Temari folgte ihm. Konoe blieb ratlos vor Rokkens Gefängnis stehen und schüttelte den Kopf. „Denk an Manjo“, sagte Shikamaru, als sie wieder allein waren. „Wir müssen wieder unsere drei Fragen klären. Warum sollte ihn jemand töten wollen?“ „Das hatten wir schon“, murmelte Temari. „Wir haben einige Motive gesammelt. Zum Beispiel Rache. Manjo hat im Land der Reisfelder randaliert.“ „Der Einzige aus diesem Land ist Anji, und der hat ein Alibi“, widersprach Shikamaru. „Das ihm, wohlgemerkt, der Mörder selbst versehentlich verschafft hat.“ „Ich weiß, ich zähle ja nur die Motive auf“, meinte sie gereizt. „Als Nächstes Neid. Er hat sich einiges zu Schulden kommen lassen, ist aber trotzdem kürzlich Jonin geworden.“ „Was die anderen Jonin aus Sunagakure verdächtig macht“, nickte Shikamaru anerkennend. „Was noch?“ „Eifersucht oder Liebe wäre noch ein Motiv. Manjo war ein als Casanova getarnter Macho und hat regelrecht gebrochene Herzen gesammelt.“ „Fällt dir noch was ein? Stell dir wieder vor, du hättest mich umgebracht und Chouji würde es Rokken in die Schuhe schieben. Welchen Grund hättest du gehabt, mich zu töten?“ „Und bei der Sache sollen die Flaschen mit der Desinfektionslösung eine Rolle spielen?“ Temari runzelte die Stirn. „Der Mörder wollte, dass man den Diebstahl bemerkt“, wiederholte Shikamaru. „Genauso wie er wollte, dass die Leiche im Flur schnell gefunden wird. Denk dran, dass Chouji in unserem kleinen Spiel versucht hat, jemand anderem den Mord in die Schuhe zu schieben. Vielleicht war das ja gar nicht das erste Mal, dass so etwas vorgekommen ist.“ Temari hob staunend die Augenbrauen. „Du meinst …“ „Richtig. Die Leiche ist nicht verschwunden, weil an ihr noch Hinweise auf den Mörder zu finden waren. Sie verschwand einzig um des Verschwindens willen; damit Rokken verdächtigt wird. Es ist doch ebenso möglich, dass Manjo nur getötet wurde, damit es einen Mord aufzuklären gibt. In unserem Vergleich: Du hast mich umgebracht, um Chouji etwas anzuhängen. Und Chouji hat das erkannt und lässt die Leiche verschwinden, damit wiederum Rokken wie der Täter aussieht.“ Temari stieß einen Pfiff aus und lachte dann leise. „Ganz schön fies von mir. Also glaubst du, dass Chouji und ich keine Verbündeten sind? Wegen dem Flaschendiebstahl, oder?“ „Genau.“ „Okay, aber wenn mein Motiv ist, Chouji in die Bredouille zu bringen, wie konnte Chouji dann dahinterkommen, wenn wir … wenn die Ermittelnden das selbst noch nicht vermutet haben?“ „Das ist genau der Punkt“, sagte Shikamaru zufrieden. „Diejenigen, die in diesem Fall verstrickt sind, wissen mehr als wir beide, die Ermittelnden. Wo könnten sie diese zusätzlichen Informationen erlangt haben?“ Temari begriff sofort. „Während der Prüfung in der Wüste, als unsere Kameras ausgefallen waren.“ Sie legte angestrengt die Stirn in Falten. Gleich war sie bei der Lösung angekommen. Shikamaru beschloss, ihr noch einen kleinen Schubser in die richtige Richtung zu geben. „Denk daran, wo wir hier sind. Und warum wir hier sind. Wir haben schon etliche Aspekte unserer Situation aufgeworfen. Das hier ist ein internationales Treffen, eine perfekte Gelegenheit für ein Attentat oder für das Ausspionieren anderer Nationen, ein Wettbewerb zwischen den Ninjadörfern, ein abgeschiedener Ort, um verhasste oder aufdringliche Kollegen loszuwerden – aber vor allem ist es eins. Die Chunin-Prüfung.“ Und da hellte sich Temaris Miene auf, und ohne nachfragen zu müssen, wusste er, dass sie verstanden hatte. Er stand energischer auf, als er sich selbst und seinen müden Knochen zugetraut hätte. „Komm jetzt. Wir trommeln alle zusammen und sagen ihnen, dass wir das Rätsel gelöst haben.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)