Unseen Souls von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 9: 9 ------------ Es war die richtige Wahl, sich einfach niederzulegen und all die Gedanken bewusst in einer Kammer zu verschließen. Ich stellte mich taub und blind und bevor ich mich versah, öffnete ich die Augen und hatte die Nacht überstanden. Blinzelnd wandte ich den Kopf auf dem Kissen, spähte vorbei an Timcanpy, der sich flatternd neben meinem Bett bewegte und hin zum Fenster. Es musste die nahe Morgendämmerung sein und ein Ächzen entrann mir, als ich mich aufsetzte und mir das Gesicht rieb. Sofort ließ sich Tim auf meinem Kopf nieder und schlug dort mit den Flügeln, während ich in den Raum spähte. Der Schlaf kam so unerwartet wie alles in meinem Leben. Er passte sich an, sozusagen. An die Tatsache, dass es keine Routine gab und mich Träume oft vor meine persönlichen Grenzen stellten. Es war alles eins. Heute hatte mich niemand in den Träumen aufgesucht. Niemand war mir tückisch gefolgt, um sich zu zeigen, sobald ich die Augen schloss und mich von der Realität löste. Glück. Ein müdes Grinsen zog an meinen Lippen. Mehr war es nicht. Die ruhigen Nächte wurden zu Raritäten, die ich doch nicht zu schätzen wusste, wenn ich die Müdigkeit dennoch spürte. Als wären es nur wenige Augenblicke gewesen und viel zu kurze, um zu neuen Kräften zu finden. Ich schöpfte tiefen Atem und kam auf die Beine. Frische Luft. Ich mochte die kühlen Brisen des Winters vor allem am Morgen und so suchte ich sie mir, verließ das Zimmer und fand den kleinen Hinterausgang der Herberge. Chaoji schien noch zu schlafen, bei Kanda und Tiedoll war ich mir nicht sicher und als ich nach der Klinke der Tür griff, ließen mich verwirrende Erinnerungen innehalten. Ich hatte etwas erlebt in der vergangenen Nacht und in einem Rahmen, der eigentlich geheim zu bleiben hatte. Ich war eingedrungen in diese Vertrautheit, in diese Intimität und niemand wusste es. Sie hinterließen Tatsachen und Wahrheiten, die ich nie vergessen würde. Träge öffnete ich die Tür, die in den verschneiten Garten der Herberge führte. Sofort blinzelte ich unter der Kälte, atmete die Luft ein, die fast im Hals schmerzte und trat hinaus in das matte Licht der vereinzelten Lampen, die den Rest der Nacht begleiteten. „Guten Morgen.“ Abrupt ließ mich die bekannte Stimme wach werden und Tiedoll erkennen. Ich schien nicht der einzige Liebhaber dieser kalten Stunden zu sein. Neben mir saß er auf einer Bank, gehüllt in seinen Mantel und grüßte mich mit einem warmen Lächeln. Mit demselben, das er Kanda gestern geschenkt hatte? Ich hatte das Bild nicht vor Augen. „Guten Morgen.“ Ich schloss die Tür und regte die Schultern. Den Mantel mitzunehmen, wäre kein Fehler gewesen. „Habe ich Sie gestört?“ „Nicht doch. Diese Stunden sind noch schöner, wenn man sie gemeinsam verbringt. Setz dich doch zu mir. Hast du gut geschlafen?“ Auf der Bank war noch Platz und ich zögerte nicht, bevor ich ihm Gesellschaft leistete. „Warten Sie auf den Sonnenaufgang?“, erkundigte ich mich, während ich mich zurechtrückte und damit schien ich ins Schwarze getroffen zu haben. Irgendwann lernte man den Marshall doch etwas kennen. „Von hier aus hat man einen herrlichen Ausblick.“ Seine Hand deutete auf die entfernten, schwarzen Umrisse der Berge, hinter denen sich bereits ein kaltes, farbloses Licht erhob. „Ich sitze jeden Morgen hier und genieße es. In wenigen Minuten ist es soweit.“ Seine Hand vergrub sich wieder im Mantel und ich streckte die Beine von mir und suchte mir noch die richtige Bequemlichkeit. Es waren lediglich Kontraste, die mich umgaben. Ein weißer, schneebedeckter Boden, auf dem die schwarzen Umrisse der Steine und Stämme lasteten. Ein farbloses Bild und auch das Hoffnung spendende Licht hinter den Bergen änderte nichts daran, dass es ernüchternd war. Grau erstreckte sich der Himmel über uns und ich schluckte, als ich auch ihn mit den Augen durchforstete. Die Luft war kühl und rein, doch ich schenkte dem wenig Beachtung, war wieder und immer noch viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Und neben mir auch mit der Tatsache, dass ich mich nicht gut fühlte. Etwas schien nicht zu stimmen. Irgendetwas rief ein dumpfes, ernüchterndes Gefühl in meinem Inneren hervor. Es zu definieren war schwierig aber während ich neben dem Marshall saß, führte ich es auf all das zurück, was mich derzeit bewegte. Die Wärme und Vertrautheit, die Kanda zuteilwurden und die ich nur gedämpft von anderen Menschen wahrnahm. Irgendetwas hinderte sie daran, auch zu mir zu dringen. Vermutlich brachen sie sich an der von mir erbauten Blockade, die ich seit langem nicht mehr unter Kontrolle hatte. Die Worte, die in dem harmonischen Schein des Feuers gefallen waren, selbst sie waren so herzlich, wie ich es wohl nicht zustande gebracht hätte und so liebenswürdig Tiedoll auch mit mir sprach und für wie selbstverständlich er es auch nahm, neben mir zu sitzen, es war doch anders. Als ich mir sein Gesicht betrachtete, stellte ich mir die Frage, ob es auch gestern so ausgesehen hatte. Welche Mimik hatte das herzliche Gespräch begleitet? Wie hatte er Kanda gemustert und was hatte dieser dabei gefühlt? Kapitulation auf ganzer Strecke und so schloss ich mich wieder den Beobachtungen des Marshalls an. Ich konnte nicht dringen in die Bande, die den Umgang der beiden miteinander bestimmte. „Schneit es bei euch auch so unablässig?“, erkundigte sich Tiedoll und riss mich zurück in die Gegenwart, in der ich viel zu still neben ihm saß. „Ich habe es gerne, wenn der Schnee nachts fällt und mich am nächsten Tag mit seinem Glanz überrascht. Der Winter ist etwas Herrliches, nicht wahr?“ „Der Sommer ist auch nicht schlecht“, erwiderte ich. „Das stimmt.“ Neben mir regte sich der Marshall. „Den letzten Sommer haben Chaoji und ich in Belgien verbracht. Weißt du, was für herrliche Seen es dort gibt?“ „Ich war schon öfter dort“, antwortete ich und Tiedoll stieß ein seltsames Seufzen aus. Die Reaktion überraschte mich aber ich stellte keine Fragen. Natürlich nicht. Die ersten Strahlen der Sonne drangen über die finsteren Bergspitzen, fielen direkt zu uns und blendeten unsere Augen. Tief atmete ich ein, faltete die Hände auf dem Bauch und betrachtete mir die kahlen Äste der nahen Bäume. Sie wurden in diesen Monaten so hässlich. Die Zweige krümmten sich wie Totenfinger auf dem weißen, reinen Untergrund der Umgebung. Sie anzuschauen hatte keine gute Wirkung und abrupt beendete ich die Beobachtung, als neben uns die Tür klickte. Es war Kanda, der zu uns trat und er machte nicht den Anschein, gerade erst aufgestanden zu sein. Es hätte nicht zu ihm gepasst, ganz anders seine Miene, die voll und ganz der Gewohnheit entsprach. Während Tiedoll ihn begrüßte, befasste ich mich nur damit, ihn zu mustern. Leise schloss er die Tür hinter sich. „Ich habe gerade mit Komui telefoniert.“ Wandte er sich an mich? Ja, er sah mich an. So wie er es immer tat, während ich nicht hörte, wovon er sprach. Gerade jetzt, wo ich ihn vor mir sah, fiel es mir auf. So wie ich ihn kannte, erschien es mir völlig abwegig, dass seine Stimme so mild über seine Lippen kommen konnte und sich sein chronisch nachdrückliches Gesicht so entspannte. „Also was sitzt du da noch?“ Plötzlich wies er mit einer Kopfbewegung zurück ins Haus. „Wir müssen los.“ „Was hast du gesagt?“ Ein Zucken ging durch Kandas Miene, seine Lippen pressten sich zu einem schmalen Strich und plötzlich sah er aus, als hätte ich ihn beleidigt. Ich hatte nicht zugehört und er war niemand, der etwas zweimal sagte aber bevor sich dieser Schlamassel vollends entwickeln konnte, seufzte Tiedoll. „Meine Güte, Yu, es kann doch nicht so eilig sein, dass Allen nicht einmal mehr Zeit für ein Frühstück hat.“ Es war unklug von Tiedoll, die Frage so zu formulieren, dass er von Kanda erwartete, Rücksicht auf mich zu nehmen und das war keine Kunst, die dieser gern beherrschte. Wenn überhaupt. Ebenso keine Kunst, die ich mochte. „Schon in Ordnung.“ Diese Peinlichkeit konnte man auch umgehen und so machte ich mich daran, auf die Beine zu kommen. Der Weg, der Kanda und mich wer weiß wohin führte, würde sicher die Gelegenheit bieten, sich um den Hunger zu kümmern. Man fand überall etwas, um sich den Magen vollzuschlagen, doch kaum stand ich, da erhob sich dieses Murren. „Wenn du etwas essen willst, mach es jetzt sofort.“ Die Worte kamen überraschend. Eher für mich als für Tiedoll, denn der gab sein gemütliches Fleckchen mit einem Mal auch auf. „Lasst uns zusammen frühstücken“, meinte er guter Dinge und Kandas nächstes Brummen klang wie eine Zustimmung. Keine von der begeisterten Sorte aber ich hatte mit weitaus mehr Unzufriedenheit und Kritik gerechnet und sah ihn kurz darauf wieder im Haus verschwinden. Das war es? Seit wann war er so leicht zu überreden? „Es gibt doch nichts Besseres als ein gemeinsames Frühstück.“ Somit trat auch Tiedoll zurück in das Haus und obwohl er mich mit sich winkte, blieb ich noch für wenige Momente stehen. Eine seltsame Situation. Zu seltsam, vor allem, da ich im Mittelpunkt stand. Ich kam nicht um ein irritiertes Kopfschütteln, bevor ich nach der Klinke griff. Selbstverständlich hatte ich es nicht gern, wenn man Rücksicht auf mich bezog und mich darstellte wie einen Menschen, der sie brauchte. Es waren Dinge, vor denen ich mich sträubte, nur hier und jetzt gab es eine Sache, die mich durch ihren seltsamen Verlauf von dieser Entwicklung ablenkte. Man nahm Rücksicht auf mich, doch was mir durch den Kopf zog, war die Tatsache, wer Rücksicht nahm. Ich folgte Tiedoll zur Gaststätte und tat es mechanisch, während mich eine Vermutung eiskalt erwischte. Meine Schritte gerieten ins Stocken, meine Augen verloren Tiedolls Rücken und eine finstere Regung bekam meine Gesichtsmuskeln zu fassen. Lag es an der letzten Nacht und an dem, was Kanda dort sah? Machte ich für ihn den Anschein, so gebrechlich zu sein, dass ich nicht ohne Frühstück auf die Beine kam? Nein, unmöglich. Welcher Teufel ritt mich nur, dass ich plötzlich Kandas Verhalten von mir abhängig machte? Wie vermessen. So war ich nicht. Ich versuchte nicht mehr daran zu denken und mich auf das Frühstück zu konzentrieren. Während Chaoji ein Brötchen mit einem zu stumpfen Messer bearbeitete, stieg vor Tiedoll weißer Dampf aus einer Tasse Kaffee. Vor Kanda dampfte eine Tasse Tee, während er auf seine Bestellung starrte, ohne sich durchringen zu können, sie anzurühren. Ich ließ es mir schmecken. Obwohl auch ich nicht jede meiner Bestellungen genau zu definieren wusste, aß ich sie einfach und war nicht unzufrieden. Auch Kanda kostete irgendwann, was ihn dazu brachte, sich den Rest des Frühstücks mit seinem Tee zu befassen. Seine Kräfte schienen unerschöpflich und auch wenn er nichts aß, so wusste ich doch, dass ich mich während der folgenden Mission auf seine Stärke verlassen konnte. Kompromisslos. Ich hielt inne und kratzte mit der Gabel über den Rand des Schälchens. Ich wusste nicht einmal, was für eine Mission es war. Ich hatte nicht zugehört und wahrscheinlich war es meinem Kollegen egal. Das Nachhaken würde zu einem weiteren Niedergang der Stimmung führen aber ich kam wohl nicht drum herum. Ich ging keinen Weg, ohne mein Ziel zu kennen. So ging das Beisammensein mit Tiedoll und Chaoji zu Ende. Das letzte heitere Gespräch wurde geführt, zum letzten Mal tauschten wir uns aus und da das Innocence schon am gestrigen Tag den Besitzer wechselte, gab es nach dem Frühstück keine Gründe mehr zu bleiben. Ein letztes Mal betrat ich dieses unangenehme Zimmer und traf die wenigen Vorkehrungen, bevor ich in das Erdgeschoss zurückkehrte. Es roch nach Aufbruch. Chaoji erwartete mich und wir wechselten die letzten Worte, bis Kanda und Tiedoll zu uns stießen. Es machte den Eindruck, als hätten auch sie miteinander gesprochen und welcher Art diese Unterhaltung war, konnte ich mir allmählich vorstellen. Für Kanda waren es wohl die letzten freundlichen Worte für die nächsten Tage. Sein Pensum war ausgeschöpft und ich würde bekommen, was übrig blieb. Seine Miene verhieß Unglück aber es tangierte mich nicht, da ich Hoffnungen dieser Art nie hatte. Mich erwartete das Gewohnte, als ich mich von Tiedoll verabschiedete, Chaoji ein letztes Mal umarmte und dann hinter Kanda die Herberge verließ. Wir gerieten in das Gedränge der Straßen. Mit dicken Mänteln und Schuhen trotzten die Bewohner der Stadt der Kälte. Die eisigen Temperaturen hielten keinen von seiner Arbeit ab und während der Schnee unter den Sohlen der Menschen knirschte, stiegen über ihren Köpfen die weißen Dämpfe der Atemzüge auf. Leises Stimmengewirr begleitete uns auf unserem schweigsamen Weg und oft drifteten meine Augen zur Seite, gelockt von seltsamen Geräuschen. Läden wurden geöffnet, Lieferanten zogen hölzerne, mit Waren beladene Karren durch enge Gassen. Gerüche, Worte. Ich schenkte einigen Beachtung, während ich die Kapuze mit der Hand sicherte. Das Wetter war auch heute gnadenlos. Sogar in diesen engen Straßen erreichte der Wind uns schonungslos und suchte sich die kleinsten Ritzen, um durch die Uniform zu dringen. Wir hielten uns lange auf einer dicht begangenen Straße und bogen dann in eine Gasse. Der Gestank von Abfällen zog uns entgegen, wir hatten uns unter einem Fensterladen zu ducken und nach wenigen Schritten freute ich mich schon auf die weite, weiße Ebene. Zu gewissen Zeiten nahm ich es lieber mit einer verlassenen Steppe auf als mit Straßen, in denen sich das Leben viel zu hochkonzentriert tummelte. Straßen, in denen mir Blicke begegneten und insgesamt zu viele Eindrücke, obwohl ich mich nach dieser Nacht nicht mehr so müde fühlte. „Irkutsk.“ Als wir die unberührte, weiße Fläche einer Wiese betraten, meinte ich, Kandas Stimme zu hören. Sie erhob sich abrupt und sofort spähte ich zu ihm. „Bitte?“ Ich tat gut daran, zu ihm aufzuholen. So fand ich mich neben ihm ein und sah die Kopfbewegung, mit der er geradeaus wies. Ohne mich anzusehen. „Wir gehen nach Irkutsk.“ Und ich begriff es, glaubte zumindest, es zu tun, so überraschend es auch war. Er erklärte es mir wirklich ein zweites Mal und ich war umso aufmerksamer und dankbar in diesem Interesse. „Wir gehen dort Gerüchten nach, die unter den Bewohnern der Stadt kursieren.“ Kandas Stimme war wie eh und je aber in diesen Momenten störte ich mich wenig daran. Gerade weil ich es ihm zugetraut hätte, mir den Inhalt der Mission bis zu dem Augenblick zu verschweigen, an dem ihm keine andere Wahl blieb. Hier zwang ihn niemand und das wusste ich zu schätzen. „Wenn sie stimmen, wurden Akuma in einem abgelegenen Viertel gesichtet.“ Mehr musste nicht gesagt werden und er tat es auch nicht. Er befreite seinen Fuß aus einem versteckten Gewächs und unter einem tiefen Atemzug blickte ich wieder auf das glitzernde, weiße Meer, das wir mit unseren Stiefeln durchschnitten. „Danke.“ Ich sagte es leise, doch war mir sicher, dass er es hörte. Inmitten des Windes, der uns hier ungehindert erreichte. Er antwortete nicht. In nicht weiter Ferne erspähte ich die annähernd schwarzen Stämme eines etwas verloren erscheinenden Waldes. Es war nur eine kleine Ansammlung von Bäumen auf dieser Steppe aber ich sah sie schon einmal. Wir gingen den Weg, den wir gekommen waren und geradewegs zur Haltestelle. Eine schneidige Böe erfasste uns, presste uns die Mäntel flatternd um den Leib und ließ mich die Arme verschränken. Wir überquerten einen Hügel, sahen bald vor uns ein breites, eingeschneites Tiefland und mussten herausfinden, dass in der Nacht nicht wenig Schnee gefallen war. An manchen Stellen reichte er uns bis zu den Knien und es geschah oft, dass wir innehielten, weil einer von uns sich in den verborgenen Gewächsen verfangen hatte. Auf diese Weise wurde sogar so ein Weg zu einer Belastung. Als auch der Wind weiterhin zunahm, stopfte ich Tim unter meinen Mantel. Als es bald darauf erneut zu schneien begann, war auch die Sicht sehr eingeschränkt. Fünf Meter, weiter reichten unsere Augen in dem Gestöber nicht aber wir blieben der Richtung treu. So durchquerten wir das Tiefland und es war nicht still zwischen uns, weil uns der drängende Wind ohnehin die Stimme geraubt hätte. Selbst bei bestem Wetter wären wir wohl schweigsam gewesen, weil ich immer noch nachdenklich war und meiner Umgebung bald nicht mehr viel Beachtung schenkte. Fast blind sanken unsere Füße durch den Schnee, bald gerieten wir in einen wahren Sturm und hatten unsere Augen mit den Händen vor dem Schneegestöber zu schützen. Angestrengt zog ich den Fuß aus dem Schnee, setzte ihn vor, sank wieder ein und zerrte gleichzeitig am Mantel, der sich irgendwie in meinen Beinen verfangen hatte. Es war beschwerlich und ärgerlich. Wieder befreite ich den Fuß, machte einen weiten Schritt, sank durch die Schneedecke und fand nicht den rechten Halt auf dem Boden. Ich rutschte um ein Stück und starrte sofort hinab, nebenbei nach der Kapuze tastend. Das nächste Mal testete ich den Boden noch aufmerksamer und wieder, ich rutschte zur Seite und tippte mit dem Fuß auf den Untergrund. Ein See, doch in dieser klirrenden Kälte dürfte das Eis unter uns dick genug sein. So fand ich mich wieder neben Kanda ein und kam nicht umhin, mich umzublicken. Zur einen Seite, zur anderen, doch überall umgab uns nur dieses undurchdringliche Gestöber. In unseren Ohren pfiff der Wind. Alles wirkte normal, doch mein Körper folgte seiner Intuition, als er sich umwandte. Unter unseren Füßen erstreckte sich Wasser, über unseren Köpfen tummelte sich das weiße Nichts und doch wurde ich von einem Moment auf den nächsten unruhig. Kaum hatte ich mich nach vorn gewandt, da starrte ich schon wieder zur Seite und an Kanda vorbei. Er spähte zu mir, doch von festen Zweifeln konnte ich noch nicht sprechen. Ein Bauchgefühl, mehr war es nicht, also entging ich seinem fragenden Blick, tastete nach Tim und starrte bald schon wieder zu Boden. Es waren meine Sinne, die mich so handeln ließen. Meine Sinne, die für mich überlebensnotwendig waren und denen ich zu vertrauen hatte. Etwas stimmte an diesem Ort nicht aber ich könnte es nicht in Worte fassen. Ich musste es jedoch auch nicht. Mein Blick genügte Kanda. Wieder starrten wir zurück und quälten uns noch wenige Schritte, bis wir stehenblieben. „Ich sehe nichts!“, kam ich einer Frage zuvor und musste schreien, um ihn in dem Sturm zu erreichen. Durch seine Miene fuhr eine misstrauische Regung, bevor er sich abwandte. Auch ich hasste das Ungewisse und das Gefühl, auf seltsame, unbekannte Art ausgeliefert zu sein. Hinter uns? Über uns? Der Wind erschwerte uns jeden Atemzug, die Sicht zog sich weiterhin zu und plötzlich drang Knacken an unsere Ohren. Unter uns! Das Eis brach. Wir bewegten uns um einen Schritt, traten nach vorn, nur um auch weiterhin von dem Knacken begleitet zu werden. Es klang wie das Brechen morscher Knochen. Dumpf, allgegenwärtig und unsere Blicke sprachen von ein- und demselben, als sie sich trafen. Es war unmöglich, dass dieses dicke Eis inmitten eines klirrend kalten Winters brach. Wir taten noch einen Schritt, die Aufmerksamkeit auf den Boden nagelnd, alarmiert und erwartungsvoll. Mit einem Mal erhob sich das Knacken stärker. Es geschah in unserer Nähe und urplötzlich und kaum hatten unsere Augen nach diesem Punkt gesucht, wurde die Atmosphäre von einem lauten Krachen durchbrochen. Es geschah zu plötzlich und erschrocken fuhr ich herum, als der Boden unter Kandas Füßen schier explodierte. Donnernd riss es die Eisschollen auseinander, eisig peitschte das Wasser in die Höhe und ihm blieb nicht einmal die Möglichkeit, sich mit einem Sprung zu retten und inmitten des aufstiebenden Eises sah ich seine Gestalt blitzschnell einbrechen. Zu schnell für sein Gewicht, doch nicht zu schnell für mich. Es war seine Hand, die mir entgegenfuhr und sofort hatte ich sie mit der linken umklammert. Mit einmal Mal fiel mein Herz aus dem gewohnten Rhythmus, mit einem Mal wurden wir gefordert und als gäbe es keinen Schnee, der mich stoppte, wurde ich selbst unweigerlich zu dem Loch gezogen. Schlitternd rutschte ich über das Eis, doch stemmte mich sofort dagegen. Ich spürte es. Es war nicht nur Kanda, den ich hielt. Es war ebenso jemand, der von unten an ihm zog und erst als das eisige Wasser bis zu seiner Brust schwappte, fand ich Halt. Ein Ächzen drang an meine Ohren, kalt der Schnee in meinen Mund und kurz war es ein blindes Ringen. Fest stemmte ich die Füße auf den bislang noch sicheren Boden. Es war weiteres Knacken, das uns umgab, doch gehörte meine Konzentration derzeit nur Kanda und der Kraft, die ich brauchte, um ihn über der Wasseroberfläche zu halten. Jemand schien mit ungeheurer Kraft an ihm zu zerren und kaum dass mein Auge zu reagieren begann, schnellte Kandas Hand zu Mugen. Sein Körper schrammte über die Eisschicht, als man ihn zur Seite zog und mit einem Ruck noch tiefer hinab und mein lautes Keuchen wurde vom Wind verschluckt, als ich meinen Griff verfestigte. Ich befürchtete, ihm die Hand zu brechen, doch weniger Kraft durfte ich nicht wagen und entgegen dem Zug, der unter Wasser auf ihn einwirkte, schaffte ich es dennoch, ihn wieder höher zu ziehen. Schneidig hatte Mugen bereits die Scheide verlassen und wenn auch matt, deutlich erkannte ich den hellen Schein der Akumaseele. Dort, gar nicht weit unten und genau an der Stelle, zu der Kanda das leuchtende Katana hinab stieß. Es war eine erschreckende Präzision dafür, in welcher Situation er sich befand und mit einem Mal spürte ich, wie er um einiges leichter wurde. Man ließ von ihm ab und mit einem Ruck zerrte ich ihn aus dem Wasser. Eisig schwappte es über meine Stiefel und kaum dass Kanda halbwegs sicheren Boden unter den Füßen hatte, stemmte er sich in die Höhe. Er war nass von Kopf bis Fuß und kaum hatte er sich dem Loch zugewandt, schoss pfeilschnell ein Schatten ins Freie. Ein Level 3! Kandas Reflexe waren ihm kaum unterlegen. Kaum entkam die Kreatur einem kraftvollen Hieb, schoss in einem riesigen Sprung gen Himmel und verlor dabei einen Teil ihres Beines. Ächzend blickte ich ihr nach und auch Kanda entrann ein geräuschvoller Atemzug, als sich erneutes, dumpfes Knacken um uns erhob und wir es sofort zu deuten wussten. Es verging keine Sekunde, da fuhren wir herum und rannten. Fort von dem Ort, an dem uns die Akuma überlegen waren. Ein solcher Schauplatz wäre fatal und ich hoffte, dass sich der See unter uns nicht zu weit erstreckte, als das Eis zu all unseren Seiten in die Höhe geschleudert wurde. Stiebend erreichte uns das eisige Wasser, als sich weitere Level 3 ins Freie kämpften und wir ihnen bald auszuweichen hatten. Zwei, drei, vier, fünf. Keuchend blickte ich um mich, bekam den linken Handschuh mit den Zähnen zu fassen und riss ihn von meiner Hand. Wir rannten beinahe blind, fanden uns mit einem Mal in einer prekären Lage wieder, in der wir rutschten, schlitterten und uns in dem dichten Schneegestöber zu einem Ufer durchzukämpfen hatten. Nur knapp gelang uns das Ausweichen, als das Eis direkt vor uns explodierte. Kanda schlitterte zur Seite, dicht rutschte auch ich an dem Loch vorbei und fast spürte ich den kalten Luftzug des Akuma, der neben mir in die Höhe schoss. Wir erreichten uns nicht. Sein Hieb verfehlte mich wie ihn die messerscharfen Klingen meiner Hand. Wir stoben aneinander vorbei und fast ohrenbetäubend brach das Eis auch an all den Stellen, an denen die Akuma wieder hinab kamen. Der gesamte See brach auf. Das Knarren und dumpfe Dröhnen holte uns ein, zwang uns zu noch größerer Hast und nur knapp gewannen wir den Wettlauf mit den Kreaturen, bevor wir mit einem letzten Sprung das Ufer erreichten. Weich erstreckte sich das Gras unter dem Schnee. Wir sanken ein und waren von nun an endlich bereit zurückzuschlagen. Was für ein Hinterhalt. Weiß umhüllte mich der Mantel meines Innocence’, ließ mich mit der Umgebung verschmelzen und kaum fuhren Kanda und ich herum, da trafen wir mit dem Feind aufeinander. Nur kurz sah ich Kandas Bewegung. Seine Hand, die sich ins Leere streckte und unter einem gleißenden, blauen Licht ein zweites Schwert umschloss. Schneidig entstand es unter seinem Griff und kaum setzte er sich in Bewegung, stieß auch ich mich ab. Mit einem Sprung weit hinauf und mein Innocence ließ mich dabei so leicht werden, als wäre ich selbst ein Fragment des Windes, das vernichtend auf die Akuma niederstieß. Das Leuchten des anderen Innocence ließ mich die Bewegungen der Schwerter erahnen, als ich hinabstürzte, ungebremst auf einen Akuma stieß, der selbst zum Sprung angesetzt hatte. Krachend trafen wir aufeinander und genauso gnadenlos durchstießen die Krallen meiner Hand den schwarzen, dürren Körper, schmetterte ihn hinab zu Boden und mich auf ihn. Sicher stemmte ich die Stiefel auf seinen Leib, als wir aufschlugen und das laute Knacken seines Körpers ließ mich sofort von ihm ablassen. Ein letztes Zucken durchfuhr den Leib, bevor ich die Krallen aus ihm riss, mit einem Sprung zurücksetzte und mich vor dem Angriff des nächsten in Sicherheit brachte. Es war ein Gefecht ohne Überblick, ohne Koordination. Der Schnee verstärkte sich, als würde er uns hassen. Er erschwerte uns die Sicht und gestaltete jeden Angriff der Akuma noch überraschender. Sie waren in der Überzahl und Kanda und ich stets mit mehreren Gegnern beladen. Wirbelnd fuhr ich herum, tauchte unter der heranstürzenden Gestalt eines Akuma hindurch und packte noch in derselben Bewegung mein linkes Handgelenk. Nur eine kurze Berührung, bis ich die Verformung meines Körpers spürte, die Verhärtung meines Armes, bis meine Hand den Schwertgriff umfasste und ich die Waffe aus meiner Schulter riss. Ein gezielter Seitenhieb entgegen eines Schattens, der abrupt aus dem Gestöber auftauchte und krachend wurde auch dieser Körper von der Wucht meines Schwertes erfasst und zur Seite geschmettert. Wenn die Akuma den Schnee als ihren Vorteil ansahen, waren sie meinem Auge unterlegen. Ich spürte sie, sah sie weitaus eher, als sie mich und kaum versenkte ich die Klinge meines Schwertes in dem nächsten Körper und nagelte ihn an den Boden, da erfassten meine Augen einen weiteren Schatten, der mich unglücklich überraschte. Nur beiläufig stemmte ich den Fuß auf den Kopf des Akuma und zog das Schwert ins Freie. Es war keine dürre Gestalt, deren Schatten sich dort manifestierte. Es war der klobige runde Körper eines Level 1! Sofort stieß ich mich ab, sah die Mündungsfeuer inmitten des Schnees aufblitzen und duckte mich unter den ohrenbetäubenden Schüssen. Über meinen Kopf zischten sie hinweg, auch neben mir vorbei und dem Level 1 blieb keine Möglichkeit, erneut zu schießen, da fraß sich meine Klinge durch ihn. Dumpf gingen die beiden Körperhälften in den Schnee nieder und als ich einen Satz zurück machte, stand ich Rücken an Rücken mit Kanda. Leicht trafen wir aufeinander, als sich die Explosionen erhoben. Weiß beschlugen unsere Atemzüge in der klirrenden Luft, bevor wir auseinanderstoben und kaum hatte ich zwei Schritte getan, da erhob sich schon die nächste Explosion inmitten des Gestöbers. Wie viele es waren, konnten wir nicht einschätzen, auch nicht, ob es bei den Level 3 blieb oder ob uns noch etwas Schwerwiegenderes erwartete. Wir kämpften uns durch, hatten auf unsere Reflexe zu bauen, mit denen wir abrupten Angriffen aus dem weißen Nichts auswichen und die Augen zu jedem Zeitpunkt überall hatten. Kraftvoll durchschnitt die Klinge meines Schwertes den Schnee, nur knapp entkam die nächste, schwarze Kreatur dem Hieb und sofort setzte ich ihr nach. Ein Sprung, bis wir erneut aufeinandertrafen und ich mich unter ihrer Klaue hinweg duckte. Dumpf erhob sich mein weißer Mantel unter einer schneidigen Böe, peitschte dem Akuma entgegen und ein kurzer Moment genügte mir, um herumzufahren und ihm einen Arm abzutrennen. Lose schleuderte er davon, hielt den Akuma jedoch nicht vom nächsten Angriff ab und kaum nahm ich neben mir die Bewegung eines weiteren Level 3 wahr, erhob sich das Leuchten der beiden Schwerter. Kanda erwischte ihn von der Seite und nur kurz hatte ich dem zu Boden gehenden Körper auszuweichen, bevor ich auf meinen Gegner traf, seine Klaue auf das Blatt meines Schwertes treffen ließ und ihn mit einer präzisen Bewegung aus dem Gleichgewicht brachte. Schlitternd rutschte Kanda an mir vorbei, als ich auch diesen Körper mit einem Hieb durchtrennte. Kandas Haar peitschte gegen meine Schulter und der Akuma, der ihm auf den Fersen war, hatte hektisch meiner Klinge auszuweichen, während Kanda bereits in das Schneegestöber zurücksprang. Angestrengt versuchte ich meinen Atem zu kontrollieren, als ich den Griff des Schwertes sicherer umfasste und dem Akuma mit einem weiten Satz folgte. Strauchelnd bewegte sich die Kreatur nur noch auf einem Bein und fast hatte ich sie erreicht, da stemmte ich abrupt die Fersen in den Schnee und wich zurück. Mit einem Mal und aus heiterem Himmel war es eine riesige, weiße Hand, die von oben durch das Gestöber drang. Lange Finger, die den Körper des Akuma umschlossen wie Spielzeug und ihn im Boden versenkten. Mit offenem Mund starrte ich nach oben und auch wenn ich es nur undeutlich sah, ich erkannte die weiße, monströse Gestalt, die sich über uns neigte. Das Innocence des Marshalls! Ich fuhr herum, sah einen weiteren Schatten durch den Schnee flüchten und setzte mich in Bewegung. Ihn und Chaoji an unserer Seite zu haben, machte jede Sorge zunichte. Mit einem Mal stand es besser und kurz erfassten meine Augen auch Chaojis Gestalt. Mit bloßen Händen warf er sich einem Level 1 entgegen und schickte ihn mit einem kraftvollen Schlag gen Boden. Ich eilte weiter, stets von dem Schatten der weißen Gestalt verfolgt, die über das Schlachtfeld wachte sowie über uns. Ein runder Schatten neigte sich in meinen Weg, von überall her drangen die dumpfen Schüsse zu mir und diesen einen erwischte ich im Rücken. Ein kraftvoller Schlag riss ihn aus meiner Quere und warm drängte sich der Druck der Explosion in meinen Rücken, als ich einen weiteren Level 3 vor mir erspähte. Es konnten nicht mehr viele sein. Vermutlich würde es ein kurzer Kampf bleiben und nur knapp entkam mein nächster Gegner meiner Klinge. Er rutschte zur Seite und schon folgten ihm meine Augen, als er in die Höhe sprang. Sofort ging auch ich in die Knie, sofort auf die Verfolgung konzentriert und nur kurz erfassten meine Augen die pfeilschnelle Bewegung eines Schattens, der durch den Schnee stob und mich innerhalb einer Sekunde erfasste. Es war der Körper eines Level 3, der zu mir geschleudert wurde. Mit einer Schnelligkeit, gegen die meine Reflexe verloren. Nur ein Zucken durchfuhr meine Miene, bevor der Körper in seiner Wucht auf mich traf und mich vom Boden riss. Krampfhaft hielt meine Hand das Schwert umklammert, als ein dumpfes Zucken meinen gesamten Körper durchfuhr und ich durch den Schnee geschleudert wurde. Mein Hals knackte, für wenige Sekunden drang kein Laut mehr an meine Ohren und dann war es mein lautes Ächzen, als die Wucht meines Körpers gestoppt wurde. Dumpf schlug ich gegen einen steinernen Hügel. Der Aufprall nahm mir den Atem, mit der letzten Wucht schien ich mich zu überschlagen und rutschte über das Gestein hinweg in den Schnee. Als mein Gesicht in das kalte Weiß eintauchte und mein Mund vergeblich nach Luft rang, verlor ich kurz jedes Gefühl für meinen Körper. Mein Gesicht verzog sich vor Schmerz und nur stockend begann ich mich dann zu bewegen, die Hand vom Griff meines Schwertes zu lösen und nach Halt zu suchen. Luft. Ich schaffte es kaum, das Gesicht aus dem Schnee zu heben und endlich nahm meine Lunge wieder Sauerstoff in sich auf. Ein Röcheln begleitete mein Ringen und sofort atmete ich aus und kam nicht um ein trockenes Husten. Mit einem Mal drang der Krawall des Kampfes wieder zu mir. Ganz in der Nähe entlud sich eine Explosion, als ich benommen in beide Richtungen blinzelte. Es war Verbitterung, unter der ich mich zu weiteren Bewegung zwang, die Hand in den Schnee stemmte und mich in eine aufrechte Haltung kämpfte. Es ließ sich kaum atmen und verkrampft versenkte ich die Finger im Stoff meiner Uniform. Es fühlte sich an, als wären meine Rippen zertrümmert. Sie knirschten und ächzten unter jeder Bewegung und nur kurz überzeugte ich mich davon, dass sich kein Akuma in meine Nähe verirrt hatte. Zusammengesunken blieb ich kauern, biss die Zähne zusammen und rang um die alte Kontrolle. Ich hatte sie noch nicht ganz zurück, da tastete ich schon wieder nach meinem Schwert. Wenigstens meine Beine gehorchten mir, während das Schwert mit einem mal umso schwerer zu sein schien. Ich zog es durch den Schnee zu mir, noch immer bissen meine Zähne aufeinander und entgegen dem Streik meines Körpers, schaffte ich es trotzdem, mich aufzurichten. Ich stemmte das Schwert in den Schnee und zog mich hinauf. Es war still. Nur das leise Pfeifen des Windes erreichte mich. Noch einmal biss ich die Zähne zusammen und nutzte die Abschirmung des Schnees, um erneut nach meinen Rippen zu tasten. „Geht es euch gut?“ Nur leise erhob sich Tiedolls Stimme. Er war in der Nähe und unter der Gewissheit, dass der Kampf wirklich vorbei war, löste ich die Hand von meinen Rippen und ballte sie zu einer Faust. Natürlich ging es mir gut. Mein Gesicht zuckte voller Gram und fast argwöhnisch zog ich das Schwert zu mir, setzte es an meine Schulter und ließ es sich zum Arm formen. Noch während meine schwarze Hand aus dem Nichts entstand, versuchte ich mich in einem Schritt. Er wankte, meine Knie waren weich aber das war etwas, das sich unterdrücken ließ. „Allen?“ Jetzt war es Chaoji, der nach mir rief und ich erlaubte mir ein letztes Keuchen. Eine kurze Unachtsamkeit. Wie hasste ich mich für diesen Moment, während ich zu Chaoji und Tiedoll stapfte. Ich akzeptierte nicht, dass ich mich von meinem Weg abbringen ließ und als ich kurz darauf drei Gestalten inmitten des Schnees ausmachte, hoffte ich, einen Anschein zu erwecken, der keine Sorgen hervorrief. Mein Körper richtete sich auf und als ich Chaojis Gesicht sah, hob ich nur die Hand. Es war alles in Ordnung. Natürlich war es so und niemand würde dem widersprechen. „Willst du wirklich nicht meinen Mantel?“ Während Chaoji mir entgegenkam, musterte Tiedoll die gefrorene Uniform Kandas. Auch mir fiel auf, wie bleich sein Gesicht war und wie blau seine Lippen. Auch seine verspannte Haltung könnte niemandem entgehen, genauso wenig wie seine abgrundtief schlechte Stimmung. „Allen, alles in Ordnung?“ Chaojis Atem fiel aufgeregt und sobald Kanda Tiedolls Sorgen von sich gewiesen hatte, wandte sich dieser auch mir zu. „Was für ein Glück, dass wir fast denselben Weg hatten“, meinte er seufzend. „Wir sind noch rechtzeitig gekommen.“ „Wir müssen immer damit rechnen, dass in unserer Nähe etwas passiert“, fügte Chaoji hinzu. Mustern tat er mich nicht. Die Frage schien von selbst beantwortet. Natürlich, denn ich war so wie immer. „Wir kehren in die Herberge zurück“, entschied Tiedoll daraufhin und bedachte Kanda mit einem Nicken. „Er muss sich aufwärmen und ich werde mich bei Komui melden.“ So hielten wir uns nicht viel länger auf dem Schlachtfeld auf. Der letzte Qualm der rauchenden Kadaver der Akuma würde in wenigen Momenten vom schweren Schnee erstickt werden. Die Gegend umgab uns gleißend hell und doch verlassen und wie verlorene, schwarze Punkte bewegten wir uns erneut in diesem weißen Nichts. Ächzend versuchte Chaoji etwas Ordnung in seine Kleidung zu bringen, während Tiedoll letzte Blicke in die Runde warf. Seine Besorgnis fiel knapp jedoch umso aufmerksamer aus und nach einem kurzen Umherschauen schien er zufrieden und schlug den Rückweg ein. Der feste Schnee knackte unter unseren Stiefeln, haltlos sanken wir ein und taten gut daran, auf den nahen Weg zuzusteuern. In zielstrebigen Schritten zog Kanda an mir vorbei und ich legte größten Wert darauf, ihm schnell genug beizukommen und auch meinen Atem zu beruhigen. Zu tiefe Luftzüge nahm mein Körper nur schwer auf. Die Rippen schienen sich dagegen zu wehren und im Schutz, den ich als letzter der Gruppe genoss, tastete sich meine Hand über die Stellen, die taub waren. Druck auf sie auszuüben war keine kluge Entscheidung und das kurze Zucken meines Gesichtes ließ sich nicht vermeiden, bevor ich die Hand sinken ließ. Es konnte nicht schlimm sein. Meine Bewegung wäre nur eingeschränkt, wenn ich diese Einschränkung zuließ. Ich konnte weiter gehen und als würde ich mir diesen Gedanken einverleiben wollen, bis ich selbst fest von ihm überzeugt war, schluckte ich wieder und wieder gegen den Schmerz, der mir bis in den Kopf stieg. Mein Körper fühlte sich an, als hätte jedes Gelenk einen Schlag abbekommen. Selbst die Schritte brachten meinen Brustkorb zum Knirschen, doch meine Unaufmerksamkeit entschuldigte nicht, einen Kameraden im Stich zu lassen. Nein, etwas Derartiges hatte ich nicht vor und die Tatsache, dass Kanda mit sich selbst zu tun hatte, ließ mich zuversichtlicher werden. Er hatte es nicht bemerkt. Niemand hatte das. Nun kam es einzig und allein darauf an, wie sehr ich mich selbst im Griff hatte. Es war mir noch nie schwer gefallen, innere Vorgänge auch in genau diesem Inneren zu versiegeln und mich so zu zeigen, wie ich einfach nicht war. Bisher hatte ich auf die Art und Weise überlebt und mich davor bewahrt, in Rollen zu fallen, die mir nicht gefielen. Es war kein langer Fußweg, bis wir das Dorf erreichten und in die alte Herberge traten. Uns erwartete die Wärme im Inneren des Hauses und befreit ächzte Chaoji unter der verlorenen Last der klirrenden Kälte. Auch ich empfand den Moment, als ich die Tür hinter mir ließ, als angenehm und klopfte mir die Stiefel ab, bevor ich den dreien durch den Flur zum kleinen Aufenthaltsraum folgte. Chaoji schien der unerwartete Kampf angestrengt zu haben und während Tiedoll an dem Raum mit den Sesseln und dem Kamin vorbeizog, um Komui zu kontaktieren, sank er sofort in eines der Polster. Für mich war es nur eine kurze Verlockung und letzten Endes beließ ich es dabei, mich auf eine der breiten Armlehnen zu setzen, die Beine von mir zu strecken und die Arme vor der schmerzenden Brust zu verschränken. Und so warteten wir. Kanda war schnell versorgt worden. Durch die Fürsorglichkeit der Wirtin hatte er es nun in einer trockenen Hose, mit einer Decke und einer Tasse Tee in einem Sessel bequem. Er saß im Schneidersitz, zog sich die Decke um den Oberkörper und blies über die dampfende Oberfläche seines Tees, während die Uniform in der Nähe des flackernden Kamins hing. Leicht zerzaust und offen schlängelten sich die langen Strähnen seines Haares über seine Schultern. Aber er sah besser aus. Sein Gesicht und seine Lippen hatten wieder eine Farbe, die nicht besorgniserregend war und auch um seine Stimmung stand es etwas besser. Vermutlich wünschte er sich nur, die Uniform würde schnell trocknen, damit wir uns wieder auf den Weg machen konnten. Leise tickte die Wanduhr, Kanda nippte an dem Tee und Chaoji seufzte. „Das ist nicht das erste Mal, dass uns so etwas passiert“, verriet er und es war nur verständlich, denn die größte Sicherheit, in Kämpfe verwickelt zu werden, gab es, wenn man mit einem Marshall unterwegs war. Wie abwechslungsreich ihre Wege waren, ließ sich nur vermuten aber letztlich wurde Chaoji auf diesen Reisen mit genau dem konfrontiert, was er bald jeden Tag erleben würde. „Beim letzten Mal ist es passiert, als wir China erreichten.“ Er rieb sich die Wange. „Und jetzt wieder. Irgendwie haben wir damit gerechnet, also waren wir aufmerksam.“ Während ich schwieg, zog Kanda an der Decke und vergrub sich in ihr. Was soeben passiert war, hatte uns Zeit gekostet und flüchtig spähte ich zur Uhr. „Habt ihr es so eilig?“, kommentierte Chaoji meine Regung. „Wir müssen nach Russland“, antwortete ich und sofort nickte Chaoji. „Dort war ich erst einmal.“ Sofort begann er davon zu erzählen und ich hätte ihm auch zugehört, hätte ich nicht plötzlich diese unangenehme Aufmerksamkeit gespürt. Kanda musterte mich über die Tasse hinweg. „Tiedoll und ich waren ins Minsk“, nahm ich Chaojis Erzählung nur noch halbwegs wahr, begegnete Kandas Blick viel eher mit erwartungsvollem Unwissen. Ich wusste nicht, worauf er aus war, warum er jetzt schon wieder so reagierte und es vergingen nur wenige Augenblicke, bevor ich es herausfand. „Du kannst hingehen, wo du willst“, fiel er Chaoji ins Wort und ließ diesen verstummen, „aber du gehst nicht mit mir nach Russland.“ „Wie bitte?“ Ich befürchtete etwas und erwiderte seine Musterung bitter. Mit verschränkten Armen blieb ich sitzen und bot, da war ich mir sicher, einen gestärkten und neutralen Eindruck. Irritiert spähte Chaoji von einem zum anderen und Kanda zeigte sich herzlich wenig beeindruckt. „Glaubst du, ich habe Lust, einen Verletzten mitzuschleppen?“ „Einen Verletzten?“ Warum ich mich in diesem Moment als der Erstaunte aufspielte, wusste ich nicht. Scheinbar war es ohnehin zu spät, ohne dass ich es verstand. „Du weißt, was ich meine“, sagte er dazu nur und beschäftigte sich wieder mit der Tasse. „Niemand verlangt von dir, Verantwortung zu übernehmen“, erwiderte ich ohne zu bemerken, dass ich mich wie jemand benahm, der sich durch wenige Worte gekränkt fühlte und ertappt. „Ich trage sie selbst.“ Wir standen in permanentem Blickkontakt. Niemand von uns flüchtete oder gab nach. Im Grunde fiel es mir schwer, nachdem er mir knallhart vor Augen führte, dass jede Anstrengung, etwas zu verbergen, sinnlos war. Er konnte nichts gesehen haben und die Tatsache, dass dem doch so war, stürzte mich nicht nur in Unglauben sondern auch in maßlose Verbitterung. Er versuchte mich in die Rolle zu drängen, vor der ich mich am meisten scheute, sah meine Gesellschaft vielmehr als Gefahr an, die folgende Mission scheitern zu lassen. Dass er mich durchschaut hatte und dass es ihm so leicht fiel, war ebenso schmerzhaft wie die Wunden, die ihn zu solchen Worten bewegten. Mit einem Mal saßen wir in dieser beklemmenden Lage, in dieser angespannten Atmosphäre und während Chaojis Augen mich überrascht nach Verletzungen absuchten, löste ich mich von der Armlehne. „Ich glaube nicht, dass du es bist, der meine Verletzung am besten einschätzen kann.“ „Du kannst es offenbar auch nicht, als muss es jemand übernehmen.“ Sofort und gnadenlos bekam ich die Antwort und in schierer Empörung löste ich die Arme von der Brust und suchte nach Worten. „Du wirst mir keine Hilfe sein. Ich habe keine Zeit und keine Lust, mich um deine Gebrechen zu kümmern, also such dir eine Mission, mit der ich nichts zu tun habe.“ „Du…“, abrupt bissen meine Zähne zusammen. Mit einem Mal war ich wirklich wütend und dabei nur so verletzt und gekränkt. Was das anging, waren wir uns so ähnlich, dass es an Gnadenlosigkeit grenzte! Er hätte doch genauso reagiert, wenn jemand versucht hätte, ihn zu befürworten! Ihn zurückzuhalten war ein Unmögliches und jetzt verlangte er von mir, ihm ohne Widerrede zu gehorchen? Er registrierte meine Wut und meine Abneigung aber es interessierte ihn nicht. Genauso finster erwiderte er meinen Blick. Und es schien alles gesagt zu sein. Er war sicher in seinem Entschluss und genauso starrköpfig wie ich. Mindestens. Das Knarren der Bodendielen brachte die wuterfüllte Atmosphäre mit einem Mal zum Erliegen und erst als Tiedoll im Durchgang erschien, lösten sich unsere Blicke voneinander. Während Kanda sich dem Marshall zuwandte, versuchte ich meine Verstimmtheit vor ihm zu verbergen und suchte mit einem tiefen Atemzug Entspannung. Und wieder. Das Stechen ließ mich fast zusammenzucken und brachte mich dazu, es zu verdammen. Als wolle es mir vor Augen führen, dass Kanda mit jedem Wort Recht hatte! „Ich habe mit Komui telefoniert.“ Tiedoll faltete seine Handschuhe und klemmte sie unter den Gürtel. „Er hat entschieden, wie es weitergeht. Chaoji und ich ziehen unserer Wege und Kanda geht nach Russland.“ Die Fassung bröckelte aus meinem Gesicht, während Kanda nicht einmal erstaunt zu sein schien. Mein Mund regte sich stumm aber ein Wort bekam ich nicht hervor. Auch nicht, als Tiedoll mich erreichte und seine Hand vorsichtig auf meine Schulter traf. „Komui möchte, dass du zurückkommst und dich auskurierst.“ Das konnte doch nicht wahr sein. „Du bist wirklich verletzt?“ Chaoji trat an mich heran aber ich nahm ihn gar nicht wahr. Nicht nur Kanda, auch Tiedoll hatte es bemerkt? Die Hand des Marshalls rutschte von meiner Schulter. Ich blieb entrüstet stehen und war so bloß gestellt wie selten zuvor. Nur kurz spähte ich zu Chaoji, bevor ich Tiedoll mit Kanda flüstern sah. Ich fand mich in einer Lage wieder, wie ich sie hasste. Mir waren die Hände gebunden und gegen meinen eigenen Unwillen stand jetzt nicht mehr nur Kandas Contra, nein, es war Komuis Befehl. Nicht zuletzt der des Marshalls. Tatsachen, denen ich nicht widersprechen konnte. Es gab keine Möglichkeiten, dem Folgenden zu entgehen und letztes Endes senkte ich nur den Kopf und rieb mir den Nacken. Kanda würde also alleine gehen und das in eine andere Richtung als ich. Ich hatte zurückzukehren, abzubrechen, was ich hier begann und ich verlor nicht mehr viele Worte, bevor ich mich wenig später von Tiedoll und Chaoji verabschiedete und Kanda noch immer in diesem Sessel sitzen sah. -tbc- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)