Expecto Patronum von _Delacroix_ (Türchen Nr. 9) ================================================================================ Expecto Patronum ---------------- Xanders Robe raschelte, als er sich gegen ihn lehnte. Es war ein leises Geräusch, kaum lauter als das ferne Knistern des Kamins, doch in Ryomas Ohren war es unüberhörbar. Sein Freund blickte in sein Buch, las ein weiteres Mal die Passage, die sie schon so oft zusammen gelesen hatten und runzelte dabei die Stirn, fast als würde der Text auch nach all der langen Zeit noch neue Fragen aufwerfen. Xanders blonde Locken kitzelten seine Wange, doch er schien es gar nicht zu bemerken. Seine ganze Konzentration lag auf dem Text. Eben jenem Text, den er nicht noch einmal hätte lesen können, selbst wenn er es gewollt hätte. Nicht so, nicht jetzt, nicht wenn alles Andere so viel interessanter zu sein schien. Ein schlanker Finger strich über das Pergament und blieb schließlich verheißungsvoll auf einer Stelle liegen. „Es kommt offensichtlich in erster Linie auf die Erinnerung an“, erklärte Xander und alles was ihm dazu einfiel, war ein knappes Nicken. Xander hätte auch behaupten können, für den Zauber brauche man ein Stück vom Weihnachtsbraten. Er hätte es anstandslos geglaubt. Braune Augen lösten sich vom Pergament und warfen ihm einen fragenden Blick zu. Er wusste, was Xander jetzt hören wollte, auch ohne das er sich auf ihre Recherche konzentriert hatte.   „Versuchen wir es“, flüsterte er, obwohl er eigentlich nichts lieber getan hätte, als genauso sitzen zu bleiben. „Glaubst du wirklich, dass wir es schaffen können?“ Er nickte. In Wahrheit war er sich kein bisschen sicher. Der Patronus-Zauber war einer der schwierigsten Schutzzauber überhaupt und nur wenige Erwachsene brachten einen zustande. Aber sie hatten recherchiert, fast zwei Monate lang und jetzt, in den Weihnachtsferien, hatten sie endlich die Gelegenheit, all die Theorie einmal in der Praxis zu versuchen. Sie konnten es tun. Jetzt und hier. Sie konnten einen richtig echten Patronus beschwören und das ganz ohne, dass ihnen neugierige Klassenkameraden auf die Zauberstäbe starrten. Neben ihm richtete sich Xander auf. Seine Finger fuhren nervös über die roten Ärmel seines Umhangs. „Willst du anfangen?“ Ryoma schüttelte den Kopf. Xander war es, der alle kleinen Einzelheiten über den Zauber in sich aufgesogen hatte, wie ein Schwamm. Er war es, der ihre Recherche vorangetrieben hatte, während seine Gedanken nur um die Frage gekreist waren, ob der sanfte Geruch nach Pinie wohl von Xanders Shampoo kam. Wenn einer von ihnen den Zauber fertigbringen konnte, dann würde es wohl Xander sein.   Dieser erhob sich umständlicher als nötig. „Was wenn es eine Hummel ist?“, wollte er wissen.   Ryoma blickte starr durch ihn hindurch. Niemals würde Xanders Patronus etwas so nerviges wie eine Hummel werden. Es war gar nicht klar, ob es überhaupt etwas werden würde, aber wenn, dann würde sein Freund sicher etwas anderes bekommen. Einen Löwen vielleicht. Ja, ein Löwe würde zu ihm passen.   Xander schluckte, bevor er seinen Zauberstab zückte. Er hielt ihn fester als sonst, vermutlich um seine Nervosität zu überspielen und nervös war er, das sah er ihm an der Nasenspitze an. „Egal was es wird, es wird etwas besonderes sein“, versuchte Ryoma ihn zu beruhigen, während Xander mitten im Gemeinschaftsraum Stellung bezog.   Einen Moment lang stand er einfach nur auf dem dicken, roten Teppich zwischen den gemütlichen Ohrensesseln, dann schloss er die Augen. Sein Zauberstab tanzte, so wie er es bei den Trockenübungen im Schlafsaal immer getan hatte, wenn er nachts auf seinem Bett gesessen und den Spruch geübt hatte. [LEFT]Nur dieses Mal war echte Magie im Spiel. Magie, die langsam immer dicker zu werden schien und sich schließlich in silbernem Rauch entlud. Glänzende Fäden waberten durch die Luft, unkontrolliert, undefiniert, aber doch faszinierend schön.[/LEFT] [LEFT]Die Wolke stieg nach oben, schien sich schließlich auf eine Höhe einzustellen und begann dann ihre Form zu verdichten. Langsam, viel zu langsam für seinen Geschmack, wurde sie dichter und dichter. Xander stieß ein angestrengtes Seufzen aus.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Merlin, er machte das gut.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Ryoma schluckte. Xander hatte den Spruch intensiv geübt und schien jetzt die Früchte seiner Arbeit zu ernten. Er selbst würde bestimmt nicht so erfolgreich dabei sein. Er würde keine leuchtende Wolke erzeugen, die sich dehnte und formte und immer mehr so wirkte, als wollte sie gleich – Der Nebel explodierte.[/LEFT] [LEFT]Feinste Silberteilchen rieselten auf sie hinab und mitten drin galoppierte ein silbernes Pferd.[/LEFT] [LEFT]Xander starrte und er war sich sicher, er starrte auch.[/LEFT] [LEFT]Natürlich hatten sie davon gelesen, von dem Moment in dem der Zauber schlicht erfolgreich war, doch es selbst zu sehen, in dem Funkenregen zu stehen, das war etwas ganz besonderes.[/LEFT] [LEFT]„Du hast es geschafft!“, brachte er irgendwo zwischen Staunen und Starren heraus und für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte er ein Lächeln im Gesicht seines Freundes zu erkennen.[/LEFT] [LEFT]Die Anspannung schien von ihm abzufallen, während sein Patronus langsam verblasste. Er hatte es wirklich geschafft. Aber das hieß auch...[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Der Zauberstab wog schwer in seiner Hand, fast als wollte er ihn daran erinnern, was nun vor ihm lag, aber Ryoma wusste, er hatte keine Chance. Gut, er kannte die Worte und die Bewegungen hatte er auch gefühlte tausend Mal gesehen, aber immer, wenn es um den Kern des Zaubers gegangen war, war er dezent abgelenkt gewesen.[/LEFT] [LEFT]Abgelenkt von blonden Locken und den feinen Nuancen, die sich immer dann in Xanders Stimme mogelten, wenn er voll und ganz in seinem Studienobjekt aufzugehen schien. Ryoma strich über das Holz seines Zauberstabs. Hätte er nur einmal auf das geachtet, was Xander vorgelesen hatte, er würde sich jetzt nicht so verloren fühlen.[/LEFT] [LEFT]Am liebsten hätte er gar nicht erst versucht den Zauber zu sprechen, wäre zurück zum Tisch gegangen und hätte seinen Kopf in den Büchern vergraben. Doch wenn er aufsah, sah er Xander. Seinen erfolgreichen, hoffnungsvollen Xander und er wusste, er kam aus der Sache nicht mehr heraus.[/LEFT] [LEFT]Er würde es versuchen müssen, ganz egal wie gering die Erfolgsaussicht auch war.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Ryoma hob den Zauberstab. Das Wichtigste beim Patronuszauber war die Erinnerung. Xander hatte das gesagt, also war es vermutlich richtig. Sie hatten nie darüber gesprochen, was für einen Gedanken sie nutzen wollten, also hatte er auch nie genauer darüber nachgedacht. Jetzt aber musste er denken und das am allerbesten schnell.[/LEFT] [LEFT]Gute Erinnerungen hatte er viele:[/LEFT] [LEFT]Da war jene Nacht vor langer Zeit, wo er mit dem Kopf im Schoß seines Vaters eingeschlafen war. Da war der Tag, an dem Takumi ihm gesagt hatte, er wolle so wie er nach Gryffindor.[/LEFT] [LEFT]Da war das zarte Ryoma seiner jüngsten Schwester, das er nie vergessen würde.[/LEFT] [LEFT]Hinokas erstes Quidditchspiel, Takumis erstes O in Zauberkunst ...[/LEFT] [LEFT]Und vor allem war da -[/LEFT] [LEFT]Stumm blickte er zur Seite, wo Xander jede seiner Bewegungen verfolgte.[/LEFT] [LEFT]In den letzten sechs Jahren war er zu seinem besten Freund geworden. Xander wusste, was er mochte, er wusste, was er hasste, und im Gegenzug dazu wusste er, ganz egal, ob er den Zauber jetzt vermasseln würde, Xander würde bei ihm bleiben. Er würde mit ihm schimpfen, weil er nicht genug geübt hatte, doch dann würde er das Buch nehmen und ihm zum geschätzten neunzigtausendsten Mal den Text vorlesen, damit er seinen Fehler suchen konnte.[/LEFT] [LEFT]Er würde zu ihm halten, selbst wenn er es nie schaffen würde, egal ob sein Patronus ein Flubberwurm oder vielleicht auch ein dreibeiniger Eisbär war; Xander würde das nicht stören.[/LEFT] [LEFT]Ryomas Zauberstab sauste durch die Luft. Die Bewegungen waren eckig, weniger elegant als die seines Freundes, aber Eleganz war nie so wirklich sein Ding gewesen. Vielleicht war seine Vorstellung deshalb weniger eindrucksvoll, aber das Gefühl in seiner Brust war stark.[/LEFT] [LEFT]Eines der Stärksten, das er kannte.[/LEFT] „Expecto Patronum!“, befahl er, deutlich lauter als Xanders Befehl es gewesen war und zunächst geschah erst einmal nichts. Ryoma starrte an die Decke. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Doch dann, dann waren da silberne Fäden, eine Wolke, die sich stark zusammenschob und eine ungeahnte Wärme. Mit großen Augen sah er zu, wie das silberne Gebilde sich bewegte, kleiner wurde und kleiner, bis – Bis es schließlich genug zusammengeschrumpft zu sein schien. „Ist das -“, hörte er Xander fragen und er spürte, wie ihm das Blut in die Ohren schoss. Sein Patronus... Von allen Tieren auf der Welt, war es ausgerechnet - „ein Hummer?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)