Am seidenen Faden von Hotepneith (Der Jubiläumskrimi Lord Sesshoumarus) ================================================================================ Kapitel 1: Der Brief -------------------- Sakura war gerade damit beschäftigt eine Salbe herzustellen, als ein Diener des Schlossherrn eintrat. Sie sah höflich auf. Der Mann reichte ihr einen Brief. „Für dich, Sakura-san.“ Sie war fast zu überrascht ihn zu nehmen. Seit sie Lord Sesshoumaru aus dem Takaeda-Schloss mit hierher genommen hatte, hatte ihr niemand außer Leutnant Sato geschrieben, nun, um ehrlich zu sein, auch früher nicht. Aber der Ermittler des Shogun hatte ihr doch erst vergangene Woche geschrieben, dass er eine landesweite Vorschrift für Mordfälle plane? „Danke“, meinte sie jedoch automatisch. Als sie allein war trocknete sie sich die Hände ab, ehe sie ihn öffnete. Zu ihrem gewissen Erstaunen kannte sie die Absenderin. Hitomi war ebenso wie sie selbst vor zwei Jahren Dienerin im Schloss des Fürsten Takaeda gewesen, eine der Wenigen, die mit ihr geredet hatten. Nun, dachte sie, wenn sie sich recht erinnerte, war Hitomi sicher das Mädchen gewesen, das am ehesten ihre Lage nachvollziehen konnte, stammte sie doch ebenfalls aus ihrem zerstörten Heimatdorf. Sie war die Tochter des damaligen Ortsvorstehers gewesen. Was wollte sie nach doch zwei Jahren? „Liebe Sakura, du wirst dich nach solch einer langen Zeit wundern von mir zu hören, aber ich habe neulich erst durch Zufall erfahren, dass du nun Heilerin am Hofe des Inu no Taishou lernst. Ich hoffe, du hast es besser … gut getroffen. Fürst Takaeda hat mich verheiratet. Wie du dich gewiss entsinnst, wird im Schloss selbst die Seide der Spinnen des Waldgebirges zu Stoffen gewebt, die die mächtigen Dämonen kaufen, darunter auch dein Herr, aber im so genannten Weberschloss auch gewöhnliche für menschliche Kunden. Ich bin nun die Ehefrau des Aufsehers der Weberei dort, Tsuyoshi. Das Weberschloss liegt im Osten des eigentlichen Schlosses, hart am Rande der Berge. Der Herr ist Lord Masao, wie du dich vielleicht erinnerst, ein Halbbruder Fürst Takaedas. Ich … ich weiß nicht, wie ich das schreiben soll. Wenn es dir irgend möglich ist, bitte um die Erlaubnis, mich besuchen zu dürfen. Ich möchte dich nicht in Schwierigkeiten bringen, aber bitte, komm. Hitomi.“   Sakura ließ den Brief sinken. Das klang sehr geheimnisvoll … Nein, eher fast verzweifelt. Sie dachte nach. Ihr Leben im Takaeda-Schloss war nicht gerade einfach gewesen, aber Hitomi war die Einzige gewesen, die ihre Verletzungen nach Strafen versorgt hatte, ihr geholfen hatte. Was da wohl los war? Aber sie erhob sich nur, um hinüber in den großen Raum zu gehen, in dem ihr Lehrer, der berühmte Heiler Neigi, gerade einen Patienten versorgte, einen Dämon, der Kampfverletzungen aufwies. Die Beiden blickten kurz auf, aber da sie höflich neben der Tür knien blieb, sprach Neigi sie erst an, nachdem er seinen Patienten behandelt und entlassen hatte. „Nun, meine Schülerin?“ Sie neigte den Kopf. „Ich bekam gerade diesen Brief, mein Lehrer. Bitte, ratet mir.“ „Gib ihn mir.“ Der dämonische Heiler ließ sich nieder, wartete, bis sie vor ihm kniete und den Brief übergab. Er las ihn, dann blickte er auf. „Was ist deine Meinung, Sakura?“ Was wollte er wissen? „Hitomi stammte aus meinem Dorf. Sie … Ich kenne sie solange ich zurückdenken kann.“ „Übertreibt sie gern?“ „Nein. Das tat sie nie.“ „Aber sie war deine Freundin?“ „Ich stehe in ihrer Schuld, verehrter Lehrer.“ Neigi, der wusste, wie schwer sie es bei den Takaedas gehabt hatte, nickte ein wenig. „In diesem Fall solltest du den Herrn um die Erlaubnis bitten sie besuchen zu dürfen.“ Zumal es bei der menschlichen Fürstenfamilie auch und gerade um die Seide ging, die dieser selbst trug. „Meine Genehmigung hast du.“ Sakura neigte erneut den Kopf. „Ich danke Euch.“ Sie nahm den Brief zurück. Also hatte sie ihr Eindruck nicht betrogen, dass da etwas anderes als ein harmloser Besuch hinter dieser Bitte stecken würde. Was wohl Hitomi wollte? Aber sie ging hinüber in das eigentliche Schloss und ließ sich auf die Audienzliste setzen.   Als sie nach einer Stunde Wartezeit in das Arbeitszimmer des Hausherrn geholt wurde, war sie fast zu überrascht um sich ordnungsgemäß zu verneigen und niederzuknien. Nur die jahrelange Übung verhinderte, dass ihr ein fataler Fehler unterlief. Denn nicht der mächtige Hundefürst saß auf dem Platz des Schlossherrn, sondern sein Sohn. Und Lord Sesshoumaru war nicht sonderlich nachsichtig bei Verstößen gegen die Höflichkeit. Sie blickte schweigend zu Boden. „Was ist?“ Nun ja, freundlich war etwas anderes. Aber sie wusste, wie widerwillig er solche Audienzen gab. „Ich bitte Euer Lordschaft um die Erlaubnis das Schloss für einige Tage verlassen zu dürfen. Ich möchte eine Freundin bei dem Takaeda-Clan besuchen.“ „Neigi?“ „Mein Lehrer erteilte mir bereits sein Einverständnis, Lord Sesshoumaru.“ Wo der Gebieter wohl hin war? Aber das war letztlich gleich. In seiner Abwesenheit hatte er schon öfter seinem Sohn das Recht übertragen alle Dinge für ihn zu regeln. Früher oder später würde dieser ja auch der Herr des Westens sein. „Du hast dich zuerst an ihn gewandt.“ Sakura kannte ihn gut genug, um in dem ruhigen Satz eine Drohung zu hören. Hastig verneigte sie sich tiefer und drückte die Stirn auf die Holzdielen. „Ich … ich bat ihn um seinen Rat.“ „Also erfolgt der Besuch nicht ohne Grund.“ „Ich bekam einen Brief.“ Da er wortlos die Hand ausstreckte, rutschte sie mit geneigtem Kopf vor um ihn ihm zu geben. Er las ihn, während sie angestrengt zu Boden starrte. Das sah nicht so aus, als ob sie reisen dürfte. Vielleicht sollte sie den Herrn bitten, wenn er zurück war … Obwohl das Lord Sesshoumaru sicher nicht gefallen würde. Andererseits würde er nie etwas gegen den Willen seines Vaters unternehmen, das wusste sie wohl besser als sonst ein Mensch im Schloss. „Neigi gab dir die Erlaubnis.“ Ohne aufzublicken antwortete sie: „Ja, Lord Sesshoumaru.“ „Warum?“ Interessierte ihn wirklich die Ursache oder wollte er nur einen Grund für die Ablehnung finden? Gleich. Er hatte das Recht zu fragen und sie die Pflicht zu antworten. „Ich sagte ihm, dass ich in Hitomis Schuld stehe.“ „Du hast vier Tage.“ „Danke, Lord Sesshoumaru.“ Das war überraschend und erfreulich. Sie nahm den Brief zurück und steckte ihn hastig ein, ehe sie sich noch einmal tief verneigte. „Vielen Dank.“   Er sah ihr nachdenklich hinterher. Schon einmal hatte die Seide der Spinnendämonen Ärger bedeutet. Und, obwohl der Brief nur von einem Menschen geschrieben war, zeigte er doch, dass in der Weberei, zumindest in der, in der für menschliche Kunden gearbeitet wurde, etwas nicht in Ordnung war. Sakura war klug genug ihn zu informieren, falls ihr etwas eigentümlich vorkam, da war er sicher. Ein Dämon aus dem Vorzimmer kam herein und verneigte sich tief, ohne natürlich so unhöflich – oder lebensmüde – zu sein, den Erbprinzen anzusprechen. „Was?“ „Wünscht Ihr der Strafe zuzusehen?“ Oh, er hatte zuvor ja ein Urteil gesprochen. „Das interessiert mich nicht. – Der Nächste.“ Wie Vater das nur aushielt mit diesem ewigen Aufmarsch an Bittstellern? Er selbst wäre viel lieber durch die Wälder gestreift als hier zu sitzen. Aber natürlich war er der Stellvertreter, wenn der Fürst auf Reisen war, etwas, das ihm zugegeben doch schmeichelte, bedeutete das doch Zutrauen in ihn.   Sakura war ein wenig erstaunt, als ihr Lehrer sie vor ihrem Zimmer, nun, Kämmerchen, erwartete. „Ich habe einen befreundeten Dämon gebeten dich mit Hilfe eines Portals zu den Takaedas zu bringen, meine Schülerin,“ erklärte er. „Das beschleunigt deine Reise. Der mächtige Inu no Taishou gab dir doch die Erlaubnis?“ Er hielt ihr seine Reisetasche für Heiler entgegen. „Lord Sesshoumaru erteilte sie mir. – Ich danke Euch, verehrter Lehrer.“ Sie nahm das Köfferchen. Es waren natürlich nicht alle Medikamente darin, über die ein Heiler verfügte, aber es war doch eine Art Notfallpaket, und sie war sicher der erfahrene Neigi hatte es für Menschen zusammengestellt. Der Heiler schien überrascht, schwieg aber dazu. Der Fürst war ihm keine Rechenschaft schuldig, wann er das Schloss verließ. „Falls es sich nicht um … um rein menschliche Angelegenheiten handelt, solltest du mich oder Lord Sesshoumaru davon in Kenntnis setzen.“ Sie nickte. Darum waren die beiden Dämonen also so beunruhigt, dass sie sie reisen ließen. Sie erinnerten sich wohl gut an das Giftattentat, dass der damalige Haushofmeister der Takaeda, Yakuma, mit Hilfe der Seide durchgeführt hatte. Nun, sie selbst nahm nicht an, dass noch einmal jemand so töricht sein würde, aber Dämonen verstanden weniger von Menschen. „Ich ... Darf ich noch rasch einpacken?“ Natürlich keine Ersatzkleidung, diese besaß sie nicht, aber wenigstens einen Kamm würde sie noch in das Köfferchen schieben. „Beeile dich.“ „Ja, mein Lehrer.“ Sie lief davon.   Nach Hitomis Beschreibung fand sie sich kurz darauf im Osten des Takaeda-Schlosses wieder. Sie bedankte sich höflich bei dem Dämon, der sie herbegleitet hatte, ehe sie sich umsah. Sie war zwei Jahre nicht hier gewesen, aber natürlich entsann sie sich der Lage des so genannten Weber-Schlosses, wo die Nebenlinie der Takaedas lebte. Etwas irritiert bemerkte sie, dass der Dämon nicht wieder verschwand. „Habe ich etwas versäumt?“ fragte sie entschuldigend. „Mein Auftrag lautet bei dir zu bleiben, bis du Nachricht hast.“ Er wollte ihr nicht sagen, dass es ihn mehr als verwundert hatte, zuerst eine Bitte von Neigi und dann gleich noch einen Befehl des Erbprinzen an die Heilerschülerin zu bekommen. Offensichtlich hatte sie hier einen Auftrag. Überdies war es sicher kaum anzuraten ihr selbst als Dämon unhöflich zu begegnen. Lord Sesshoumaru hatte gewisse gesonderte Anschauungen über tödliche Beleidigungen. Und Sakura genoss, das wusste schließlich jeder, die persönliche, spezielle, Gunst des Prinzen. Das Menschenmädchen nickte und sah sich erneut um. Ein Stück entfernt entdeckte sie ein ummauertes Geviert, aus dem sich Dächer erhoben. Das war das Weberschloss. Wie hieß nur der Prinz, der das hier leitete? Nach über zwei Jahren hatte sie doch einiges vergessen oder eher verdrängt. Hitomi hatte es erwähnt, ah ja, Masao. Er war der älteste Halbbruder Fürst Takaedas. Hm. Wenn Hitomi hierher verheiratet worden war, musste ihr Ehemann auch ein Abkömmling der fürstlichen Familie sein, wenngleich ein entfernter. So wanderte die junge Heilerschülerin in diese Richtung, in dem Wissen, von den Augen eines Dämons verfolgt zu werden. Aber sie war Ärgeres gewohnt. Am Tor standen vier Samurai, nicht verwunderlich, wusste sie doch, wie sehr Fürst Takaeda darauf achtete seine Seidenherstellung zu bewachen. Überdies lebten hier seine Geschwister und deren Familien. Die Wachen versperrten ihr prompt den Weg, wie es ihre Pflicht war. „Zu wem willst du, Heilerin?“ Sie wollte lieber vorsichtig bleiben. Der Brief, der sie hergeführt hatte, war so geheimnisvoll. Und offensichtlich erkannten die Samurai sie nicht. Nun, wer von den Kriegern hatte sich auch um eine kleine Dienerin geschert, zumal drüben im Hauptschloss. Überdies hatte sie sich in den letzten Jahren doch auch verändert, war erwachsener geworden. „Jemand namens Hitomi forderte mich an. – Mein Name ist Sakura. Ich bin die Schülerin von Neigi-sama, des Heilers des mächtigen Inu no Taishou.“ Und jeder im Takaeda-Clan wusste, dass man den Hundefürsten als einen der besten Kunden des Herrn nicht verärgern sollte. Der Sprecher der Samurai nickte denn auch nur ein wenig. „Du hast selbstverständlich die Erlaubnis deines mächtigen Herrn, Sakura.“ „Selbstverständlich. Und meines Lehrers.“ Sie konnte sich nicht entsinnen, dass sie je ein Mitglied des Takaeda-Clans so höflich angesprochen hatte. Aber natürlich war sie nun in einer anderen Position, die sie dem Inu no Taishou, und vor allem Lord Sesshoumaru verdankte. „Nun, so bleibt mir nur zu sagen, dass du Hitomi nicht hier finden wirst. Sie ist im Schloss drüben. Fürst Takaeda ließ sie verhaften.“ „Oh!“ War das etwa das Problem, das Hitomi befürchtet hatte? „So hat sie ein Vergehen begangen?“ „Sie hat ihren Mann ermordet.“ Ach du je! Das konnte sie nicht mit dem Mädchen, das sie gekannt hatte, in Verbindung bringen. Sie dachte eilig nach. „Nun, so werde ich in das Schloss gehen. Mein Befehl lautet an sie und wenn ich ihn nicht ausführe ...“ Sie musste nicht weitersprechen. Kein Herr liebte nachlässig umgesetzte Aufträge und würde ohne zu zögern strafen. Der Sprecher der Samurai nickte auch nur. „In diesem Fall wende dich an unsere Kameraden am Tor, damit sie dir Audienz bei unserem Herrn beschaffen. Du wirst warten müssen.“ „Selbstverständlich. Vielen Dank.“ Der reiche und mächtige Fürst Takaeda wäre kaum für eine Heilerschülerin zu sprechen, zumindest nicht ohne Wartezeit. Anders sähe das nur bei Lord Sesshoumaru aus, mit dem hatte der edle Fürst ja schon Erfahrungen gesammelt. Aber, dachte sie dann resignierend, der Hundeprinz würde sich kaum um eines angeklagten Mädchens willen in ein Menschenschloss begeben, in dem ihn zu allem Überfluss der Neffe des Fürsten damals tätlich angegriffen hatte. Tamahato hatte das sogar überlebt – und alle im Raum, sie eingeschlossen, die Selbstbeherrschung des Dämonenprinzen bewundert. Dennoch, was blieb ihr schon anders übrig. So kehrte sie zu ihrem in Distanz wartenden Begleiter zurück. „Ich muss in das eigentliche Schloss gehen. Hitomi ist unter Mordverdacht verhaftet worden. Bitte teile das Lord Sesshoumaru mit. Ich werde sehen, was ich in den vier Tagen meines erlaubten Hierseins für sie tun kann.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)