Humanity von hYdro_ ================================================================================ Kapitel 3: Empathie ------------------- Es schüttete aus Eimern, als er aus dem Fenster sah, die Teetasse an seine Lippen setzte und ein paar Schlücke nahm. Die düsteren Wolken verdunkelten die ganze Umgebung so sehr, dass man meinen könnte, es wäre Nacht und nicht erst früher Nachmittag. Sasori saß am Schreibtisch in seinem Büro und schlürfte wie gewohnt seinen Grüntee, ging nebenbei ein paar Dokumente durch, überprüfte sie auf seine Richtigkeit. Doch sein Blick schweifte wieder zum Fenster nach draußen. Eigentlich hatte er sich gedacht, dass er morgen, an seinem freien Tag, wieder auf die Suche gehen könnte, doch wenn sich das Wetter bis dahin nicht bessern würde, würde er es wohl doch sein lassen. Schließlich hatte er keine Lust, sich durchnässt längere Zeit draußen aufzuhalten. Und bis er fündig werden würde, wonach er gesucht hatte, konnte es schon ein Weilchen dauern. Zudem er jetzt dank seiner Nachlässigkeit letztes mal, noch eine Spur vorsichtiger sein musste, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, Spuren zu hinterlassen und ungewollt noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch der Drang in seinem Inneren, der ihn dazu anspornte sein persönliches Projekt schnell voranzutreiben, ließ sich nicht ignorieren. Dann würde er es sich vielleicht doch noch anders überlegen und sich trotz schlechter Wetterverhältnisse auf die Suche nach einem neuen Testobjekt begeben. Wer weiß, vielleicht würde er sogar jemanden finden, der seine Erwartungen so sehr entsprach, dass er sie sogar dazu auserwählen würde, sie seiner Sammlung hinzuzufügen. Er trank den letzten Rest aus seiner Tasse und stellte sie auf den Schreibtisch, bevor er sich erhob und aus seinem Büro schritt. Zeit wieder an die Arbeit zu gehen. ♦︎ Er war gerade dabei den Mageninhalt des Mannes, der tot auf seinem Seziertisch lag, nach brauchbaren Hinweisen oder Auffälligkeiten zu untersuchen, als die Tür nicht gerade sanft aufgestoßen wurde. «Was für ein Schweißwetter, un.» Verwundert blickte er auf, direkt auf die Gestalt des blonden Reporters von gestern. Er war von oben bis unten klitschnass, seine blonden Haare hingen ihm schwer und strähnig ins Gesicht, die hellbraune Lederjacke die er trug, hatte ihn kaum vorm Regen schützen können – zumal es Sasori schleierhaft war, wie man sich erst für dieses unvorteilhafte Kleidungsstück entscheiden konnte, wenn man doch wusste, was für ein Wetter draußen herrschte. Seine Kleidung darunter hatte auch ordentlich was abbekommen und als er ein paar Schritte nach vorne machte und seine ebenfalls nasse Tasche auf den Boden klatschte, hinterließ er eine regelrechte Schneckenspur aus Regenwasser. «Was machst du denn schon wieder hier?!», fragte er scharf, weil er nicht verhindern konnte, dass ihn Deidaras ganze Erscheinung wütend machte. Er wollte gar nicht erst anfangen aufzuzählen, worüber er sich alles an diesem Auftritt aufregte. Diesem schien sein Missfallen entgangen zu sein, denn er grinste ihn breit an und zog sich nebenbei die Jacke aus und warf sie zu seiner Tasche. «Hab doch gesagt, dass ich wiederkomme.» «Wenn es so gewesen wäre, wüsste ich das. Außerdem habe ich jetzt keine Zeit, deswegen kannst du gleich wieder gehen.» Und am besten gleich für immer weg bleiben, hätte er am liebsten noch hinzugefügt. Sasori wand sich wieder dem großen Spülbecken zu, in dem er bis eben die unverdauten Reste des Magens untersucht hatte. Er wühlte weiter darin herum, benutzte einige male den Spülschlauch der von der Decke hing, um sich mehr Sicht zu verschaffen. Als er von Deidara keine Erwiderung vernahm, blickte er erneut zu ihm. Dieser stand mit dem Rücken zum ihm gewandt an einem der Waschbecken, die hier im Raum zahlreich zu finden waren und besah sich in dem Spiegel, der darüber befestigt war. Er zerrte an seinem Haargummi, welches durch die Nässe nur schwer aus seinen Haaren zu lösen war. Die blonde Haarpracht viel ihm auf die Schultern, er strich sich die Strähnen, die normalerweise sein linkes Auge verdeckte, beiseite und fuhr sich mehrmals mit den Fingern durch die Haare, um wohl halbwegs wieder Ordnung in diese zu bringen. Sasori musste jetzt, da er Deidaras Gesicht das erste mal ganz, ohne störende Strähne in seinem Spiegelbild sah, feststellen, dass er ein sehr symmetrisches und ebenmäßiges Gesicht hatte. Die feinen Züge, die gerade kleine Nase, die schmalen Lippen sowie die großen, azurblauen Augen, schmeichelten seinem Antlitz und kamen seiner Vorstellung von Perfektion schon ziemlich nahe. Ihre Blicke trafen sich kurz im Spiegel, ehe sich der Blonde die Haare wieder ordentlich zusammenband und sich zu ihm umdrehte. «Ich hab doch noch ein paar Fragen, un.» Desinteressiert wandte sich Sasori wieder von ihm ab. «Ich glaube du hast mich bereits genug ausgefragt und meine Antworten sollten auch zufriedenstellend gewesen sein. Ich habe noch viel zu tun, deswegen…» Er ließ den Satz offen stehen, wusste aber, dass man das nicht missverstehen konnte. Deutlicher konnte er nicht werden und er hoffte, kein drittes mal wiederholen zu müssen, dass der Blonde hier unerwünscht war. «Kein Problem, lassen Sie sich von mir nicht stören. Gehen Sie einfach gewohnt Ihrer Arbeit nach, schließlich brauchen Sie ja nur Ihren hübschen Mund um mir zu antworten», sagte dieser und setzte sich mit seinen Unterlagen neben ihn auf die Arbeitsfläche, doch nicht ohne ihn mit einem schelmischen Grinsen zu bedenken. Sasori war genervt von diesem Typen, der einfach nicht verstand, oder viel eher nicht verstehen wollte, dass er jetzt keine weiteren Fragen beantworten würde. Dennoch ließ er keine Gefühlsregung nach Außen dringen, sondern behielt seine monotone Miene aufrecht. Außerdem erschien es ihm sinnlos, diesen sturen Esel von seinem Vorhaben abbringen zu wollen, weswegen er schließlich nachgab. «Dann frag.» «Gut, un. Wie ich gelesen habe, haben Sie schon bei mehreren Fällen, bei denen die Ermittlungen der Kriminalpolizei ins Stocken geraten waren, den entscheidenen Hinweis geben können, um sie wieder voranzubringen oder sogar den Schuldigen zu fassen. Wie haben Sie das angestellt?» Wenigstens war die Frage dieses mal sachlich und nicht wieder eine, die ihm zu persönlich erschien. Ehe er sich anfing zu erklären, sammelte er das kleine Häufen, welches einmal einen Magen dargestellt hatte, ein und trat mit diesem zu der Leiche, legte es wieder in den geöffneten Brustraum. «Beinahe jede Leiche eines Mordopfers gibt Hinweise preis, die zur Fassung des Täters führen. Faserspuren auf der Haut, DNA-Spuren oder die Ermittlung der Tatwaffe durch die Wunden, sind die Gängigsten. Doch es gibt noch so viele Dinge mehr, die einem Aufschluss darüber verschaffen können, wie es zum Tode gekommen ist. Nur fallen einem diese versteckten Hinweise vielleicht nicht auf Anhieb auf oder man stempelt sie zu voreilig als unwichtig ab. Man muss nur um Ecken denken können und wissen, wo man suchen muss.» «Und weshalb schaffen Sie das und andere Rechtsmediziner nicht, un?» Ein Lächeln schlich sich auf Sasoris Züge, ehe er wieder zu dem Blonden trat und sich die Gummihandschuhe auszog, um die Erkenntnisse der Untersuchung auf einem Formular festzuhalten. «Ich versuche mich in den Mörder hineinzuversetzen und überlege mir dann, was ihn dazu getrieben hat oder was er gefühlt hat, um so herauszufinden, wie er womöglich vorgegangen ist.» «Ah, wie heißt diese Fähigkeit nochmal?» Der Blonde kniff nachdenklich die Augen zusammen. «Antipathie?» «Kognitive Empathie», verbesserte Sasori ihn, konnte nicht verhindern, ein Ansatz eines Schmunzelns durchblicken zu lassen, da Deidara es mit etwas völlig anderem verwechselt hatte. Dieser kritzelte wieder etwas auf seinen Notizblock, ehe er ihn zögerlich ansah. «Das passt irgendwie nicht zu Ihnen.» «Warum?» «Ich dachte immer, dass nur diejenigen diese Gabe haben können, die offen gegenüber seinen eigenen Emotionen sind, weil sie dann auch besser die der anderen deuten können…», wieder kaute er auf dem hinteren Teil seines Bleistiftes herum und bedachte ihn mit einem abwertenden Blick. «…und wenn ich Sie mir so ansehe, würde ich Sie nicht gerade zu den gefühlvollen Typen zählen.» Sasori zuckte nur gleichgültig mit den Schultern, war mal so großzügig und überhörte diesen frechen Ton, den der Blonde angeschlagen hatte. Zwei Stunden und etliche Fragen später, hatte er es geschafft Deidara endlich loszuwerden. Zurück in seinem Büro ließ er sich auf den Stuhl fallen und wollte, bevor er nach Hause ging, noch einiges an Papierkram erledigen. Doch beim hin und her ordnen von Dokumenten fiel ihm auf, dass einige Papiere nicht dort waren, wo er sie zuletzt hingelegt hatte. Er hatte da eine pedantische Ordnung, die wohl von der Logik her nur ihm schlüssig war und die jetzt zweifellos nicht mehr intakt war, weil seine ganzen Akten durcheinander lagen. Und in solchen Dingen irrte er sich nie. Als ob jemand etwas in Eile gesucht hätte und am Schluss das ganze einfach zu Stapeln zusammengebauscht hatte, ohne die ursprüngliche Ordnung wiederherzustellen. Verärgert zog er seine Augenbrauen zusammen. Es gab nur eine logische Schlußfolgerung und die war die, dass jemand in seinen Sachen rumgeschnüffelt hatte und das gefiel ihm gar nicht. Und ihm fiel kein Grund ein, weshalb jemand hier vom Personal so etwas hätte tun sollen. Die einzige Person, der er es zutrauen würde, war dieser verdammte Bengel von Reporter. ♦︎ Schweißgebadet schreckte er aus seinem Schlaf auf. Seine Atmung war beschleunigt, eine unangenehme Kälte schien sich in seinem gesamten Körper auszubreiten, welche ihn beinahe frösteln ließ und das obwohl er doch noch extra vor dem Schlafengehen das Fenster zugemacht hatte. Schwerfällig richtete er sich in seinem Bett auf, fuhr sich durch seine zerzausten Haare. Er hatte schon lange nicht mehr von früher geträumt und er hatte gedacht, dass er diesen Abschnitt seines Lebens endlich hinter sich gelassen hatte. Dem war wohl doch nicht so. Seine Kleidung klebte vom Schweiß unangenehm an seiner Haut, was er einfach nur als widerlich empfand. Ein weiterer Punkt, der seine Abneigung gegen die Menschlichkeit nur noch bestärkte. Kurz schloss er die Augen, wollte diese Bilder in seinem Kopf und diese wiederkehrenden Erinnerungen aus seinem Gedächtnis verbannen, was ihm jedoch nicht sonderlich gelang. Die Stille in dem Raum schien ihn erdrücken zu wollen, kein einziger Laut war zu vernehmen und verdeutlichte nur noch mehr, dass er alleine war. Niemand war da, der ihn von seiner Vergangenheit hätte ablenken können und für einen kurzen Augenblick bedauerte er das. Wobei er wiederum im nächsten bereute, erst so etwas gedacht zu haben. Warum war es bloß so still? Es gab Momente, an denen es ihn schier in den Wahnsinn trieb. Diese Stille, die ihn zu verschlucken drohte, bis nichts mehr um ihn herum war, bis er sich vollends isoliert in der Dunkelheit wiederfand. Angekettet an diese eiskalte Finsternis, die sich langsam in seine Glieder schlich, bis hin ins Knochenmark und ihn am ganzen Körper frösteln ließ, bebend und zitternd nichts dagegen unternehmen konnte, nicht davor fliehen konnte. Auch wenn er noch so laut schrie. Fahrig fuhr er sich über Gesicht, schob dann die Decke beiseite und trat auf seinen nackten Füßen aus dem Bett. Er verabscheute sich selbst für diese schwachen Momente, die ihn jedes mal wie ferngesteuert durch sein Haus gehen ließ, bis er sich in seinem sterilen Kellerraum wiederfand. Das Licht wurde angeschaltet, wobei er kurz die Augen zusammenkneifen musste, da es ihn blendete. Zielsicher durchquerte er den Raum, bis er hinten auf der rechten Seite bei einer unscheinbaren Tür stehen blieb. Diese wurde geöffnet und auch hier wurde das Licht angeschaltet. Der Raum war klein, die massiven, grauen Betonwände erinnerten an einen Bunker. Dennoch war die Räumlichkeit hübsch hergerichtet. An der gegenüberliegenden Wand stand ein schwarzes Ledersofa auf dem zwei Personen saßen, davor ein gläsernes, niedriges Tischchen, auf dem sich vier gefüllte Teetassen und einige andere Sachen befanden. Auf der linken Seite stand ein kleiner Tresen, der in die Mitte des Raumes verlief und vor dem ein paar Hocker standen, wo sich eine weitere Frau befand. Der Dunkelgrüne Teppich und die paar Kunstgemälde, die an den Wänden hingen, rundeten das ganze ab und verliehen dem Raum eine warme Atmosphäre. Er hatte es extra für sie hergerichtet. «Ich hab wieder von damals geträumt», sagte er tonlos und trat aufs Sofa zu und ließ sich neben den beiden anderen auf diesem nieder. Er wandte sich zu der Person neben sich, besah sich ihr hübsches Gesicht, welches im Profil zu ihm stand. Er streckte die Hand aus, legte sie sanft auf ihre Wange, die sich kalt, glatt und leicht ledrig unter seinen Fingerspitzen anfühlte und drehte ihr Gesicht vorsichtig zu sich. «Und ich frage mich, ob es jemals aufhört?», fuhr er monoton weiter, strich ihr eine Strähne ihres langen, seidigen Haars hinters Ohr. Ihre ausdruckslosen grünen Augen starrten tot geradeaus, direkt in seine. Und auch wenn er wusste, dass kein Leben mehr in ihr stecke – in keinen von ihnen – fand er trotzdem, dass sie dadurch kein Fünkchen ihrer Schönheit eingebüßt hatten. «Doch ich weiß, dass ihr nicht so seid wie sie. Ihr werdet mich nicht verlassen.» Ein seichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Sie würden ihm niemals antworten können, doch das machte nichts. Er fühlte sich wohl, wenn er hier bei ihnen in diesem Raum war, wenn er sich ihnen anvertrauen konnte. Sie verstanden ihn und was das Wichtigste war, war, dass sie diese Kälte, diese Einsamkeit aus seinem Inneren vertrieben. Sie waren sein Hoffnungsschimmer, das Licht in der Finsternis, an welches er sich verbissen klammerte. «Ihr werdet bei mir bleiben. Bis in die Ewigkeit.» Hier war er glücklich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)