Wintergeddon von Schwarzfeder (1. Türchen FF-Adventskalender 2016) ================================================================================ Kapitel 1: Tee und Kekse ------------------------ ~*~ Als ich eine Woche vor Weihnachten nach Hause komme, bin ich nicht nur schwer bepackt sondern auch durchgefroren. Den ganzen Weg zur Post laufen zu müssen und dann mit riesigem Carepaket meiner Familie wieder zurück, war eine dumme Idee. Wirklich. Dabei mag ich den Winter nicht einmal. Und dann ist auch noch der Briefkasten überlaufen, weil wieder keiner der anderen es für nötig hielt ihn zu leeren? Tolle Kiste. Schwer bepackt erklimme ich die Stufen nach oben und hoffe, dass Marie wieder da ist und mir eine ihrer genialen Teekreationen machen kann. Allerdings empfängt mich dunkle Stille, als ich die Wohnungstür aufmache und meine Hoffnungen zerschlagen sich. Anscheinend keiner da. »Du hast da was verloren!« Wenn ich ein Weichei und schreckhaft wäre, hätte ich wohl geschrien. Doch da ich es nicht bin, bleibt mir nur kurz das Herz stehen, bevor ich mich umdrehe und sehe, wie ein Junge auf der anderen Seite auf einen Brief auf der Fußmatte deutet. Das Paket mit der Werbung und den Rechnungen in den Flur stellend hebe ich den flachen Ausreißer auf und sehe wieder zu dem Jungen. Ich kenne ihn. Nicht seinen Namen, aber ihn. Er ist der Bruder von Nina, die zum Anfang des Wintersemesters gegenüber eingezogen ist und eine Wohnung die bis dato immer als WG genutzt wurde von da an nur allein bewohnt. »...Danke«, sage ich schlicht und grinse schief. Er nickt nur und senkt wieder den Blick. Nicht sehr überraschend. Seit ich ihn das erste Mal traf ist er nicht sehr mit seiner mitteilsamen Art aufgefallen. Es ist eher so, dass er das was Nina von sich gibt mit Schweigen kompensiert. »Alles okay?«, frage ich dann, als mir klar wird, dass er vor der Tür hockt und das anscheinend schon länger, denn er zittert leicht und hat neben sich seine Tasche und eine leere Flasche Wasser stehen. Er nickt nur, weshalb ich nicke. »Dann...schönen Abend noch«, murmle ich und schließe die Tür nun wirklich hinter mir. Sehr komisch. Den Gedanken letztendlich von mir schiebend lege ich die Post auf den Küchentisch und mache mir einen Kaffee zum aufwärmen, bevor ich anfange das Carepaket aus zu packen. Da meine Eltern dieses Jahr zu meinen Großeltern nach Schweden gefahren sind damit meine kleinen Geschwister sie kennen lernen können, bin ich dieses Jahr Weihnachten allein hier. Obwohl, wirklich allein auch wieder nicht. Marie hat geschworen mir was von ihrem vegetarischem Weihnachtsessen mit zubringen, wenn sie am 25. wieder zurück kommt. Und Gabriel ist überzeugter Verfechter eines nicht kommerziellen Weihnachtens, weshalb er den Tag wie jeden anderen verbringen und mir aufopferungsvoll Gesellschaft leisten will. Ich bin zwar immer noch überzeugt, dass er einfach zu pleite für Geschenke ist und keine Lust auf seine Verwandtschaft hat, aber weil ich so nicht allein bleiben muss, ist es mir egal. Niemand sollte Weihnachten völlig allein sein. Als ich grade überlege mir noch eine zweite Tasse zu machen, wird die Tür geöffnet und Marie poltert in die Wohnung. Ich lass die Tasse stehen und gehe in den Flur, wo sie ihre Taschen fallen lässt und angestrengt ächzend beide Hände ins Kreuz drückt. »Wenn ich sie nicht alle so lieben würde...«, brummt sie und schenkt mir dann ein Lächeln. »Ich frag mich eh, wie du es bezahlen kannst wirklich allen etwas zu schenken!«, bemerke ich und helfe ihr aus ihrem bunten Mantel, bevor sie sich die Mütze vom Kopf zieht und ihren rosa-gefärbten Haarschopf zum Vorschein bringt. »Ne, dieses Jahr bekommen nur die Kleinen und meine Eltern was. Ich freu mich ja, dass die alle Kinder kriegen, aber im Moment bin ich noch arme Studentin. Da kann ich nicht meiner ganzen Familie was schenken. Überleg mal, das wären...elf Kinder, fünf Geschwister mit Partner und meine Eltern«, erklärt sie schlicht und sortiert irgendwas an den Tüten. Ich lehne mich gegen die Wand und seh nur zu. »So, ich räum die eben weg und dann mach ich uns Tee, okay? Und ist das Paket jetzt endlich angekommen?« Mit einem zufriedenen Grinsen nicke ich und schlendere langsam zurück in die Küche. Unsere Küche ist nicht nur der größte Raum in der Wohnung sondern auch der einzige Gemeinschaftsraum, was mich allerdings nicht groß stört. Ich bin das von zu Hause gewöhnt und halte mich deshalb lieber hier auf als in meinem Zimmer. »Hast du schon mal eine Rückmeldung von ihnen bekommen? Wie war die Familienzusammenführung?«, fragt Marie, als sie wieder in die Küche kommt und ich neige den Kopf hin und her. »Sie sind gut angekommen und die Kurzen sind ganz begeistert von dem ganzen Schnee. Philipp hat sich zwar ‘ne Erkältung eingefangen, aber du kennst ihn ja. Sowas hält ihn nicht auf. Da wäre Lea vernünftiger, aber es geht ihnen gut und meine Großeltern sind wohl ganz begeistert«, erkläre ich und suche die gemalten Bilder und Fotos aus dem Karton raus, der neben mir auf dem Boden steht. Ein Großteil der Sachen werde ich lieber bei mir aufbewahren, als in Gabriels Reichweite. »Ist ja süß, Milch oder Sahne?« »Wenn schon denn schon, oder?«, gebe ich zurück und bemerke, dass drei Tassen auf der Arbeitsfläche stehen. »Kommt noch jemand?« »Hmm? Oh, nein, der ist für Momo«, erklärt sie schlicht, als ob damit wirklich alles klar wäre. Ich verstehe nur Bahnhof. »Momo!?« »Ja.« »Wer ist Momo?« Marie sieht mich für eine Sekunde völlig verdutzt an und schnaubt dann mit einem strafenden Blick, weshalb mir klar wird, dass ich wieder irgendetwas unhöfliches gesagt haben muss, auch wenn mir das alles andere als bewusst ist. »Na Moritz! Ninas Bruder? Der arme Junge sitzt da und wartet sehr offensichtlich auf sie, aber wollte nicht mit rein kommen«, belehrt sie mich und ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Er sitzt da immer noch?« »Ja, tut er. Ich hab keine Ahnung warum. Eigentlich dachte ich, dass Nina noch verreist ist. Aber vielleicht kommt sie heute wieder?« Nachdenklich lehne ich mich zurück und starre nachdenklich das Foto von dem Schneemann an, den Philipp und Lea gebaut haben. »Sie ist schon lange weg, oder?«, frage ich dann und muss unwillkürlich an den Tag denken, als ich sie das letzte Mal gesehen habe. Das war irgendwann im November. Sie stieg in ein Taxi, während der Fahrer einen großen Koffer in den Kofferraum packte. Weil es so gegossen hat, bin ich nur schnell ins Haus und hab am Briefkasten schon wieder an andere Dinge gedacht. Seit dem bin ich ihr nicht mehr über den Weg gelaufen. »Schon seit Ende November. Sie hat nur kurz gefragt, ob ich ihre Post rausholen kann, aber sonst nichts weiter erzählt. Vielleicht besucht sie ihren Freund oder so?«, erklärt Marie und gießt den Tee auf, weshalb die Küche sich langsam mit dem Duft dieser flüssigen Köstlichkeit füllt. Ich bin nie ein Teetrinker gewesen. Ich fand es eher lächerlich Tee anstatt Kaffee zu trinken. Doch dann zog Marie ein. Mir ein abgelenktes Grinsen verkneifend, atme ich tief durch. »Naja, wenn sie heute wieder kommt? Ich frag mich nur, warum der Kurze dann keinen Schlüssel hat. Ich mein, sie wohnt ja allein da und die beiden scheinen sich ja gut zu verstehen.« »Keine Ahnung. Aber ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren ihn da so lange sitzen und frieren zu lassen. Übrigens, wenn er in einer Stunde immer noch da sitzt, dann hilfst du mir ihn hier rein zu holen, okay? Und wenn du ihn dir über die Schulter wirfst«, erklärt sie und nimmt eine der drei Tassen hoch, die sie grade fertig gemacht hat und geht zur Tür. Kurz bin ich versucht auf zustehen und mir meine einfach selbst zu nehmen, doch Marie ist bei Tee mehr als eigen, weshalb ich einfach sitzen bleibe und warte. Zwar dauert es einen Moment, doch ich komme noch zu meinem Tee und einer ausgelassenen Diskussion über Geschwister, Kinder und Beziehungen. Marie kocht grade Abendessen, während ich etwas lustlos in einer der Pflichtlektüren für mein Semester rumblätter, als es verhalten an der Tür klopft. Verdutzt sehe ich zu ihr, weshalb sie nur die Schultern zuckt und Anstalten macht die Käsesauce im Stich zu lassen. Ich stehe auf und halte sie davon ab, bevor ich in den Flur gehe und die Wohnungstür öffne. Moritz, wie ich seit heute weiß, steht davor und streckt mir mit leicht bläulichen Fingerspitzen die Tasse entgegen. »Danke«, sagt er leise und schielt mich durch seine dunklen Haare an. Langsam bekomme auch ich Gewissenbisse. Wie kann man seinen Bruder so lange in der Kälte sitzen lassen? Ich bin zwar auch erst seit zwei Jahren großer Bruder, aber es hat nicht lange gedauert, die Zwillinge, die meine Eltern zur Pflege aufgenommen haben, ins Herz zu schließen. »Klar, gern«, meine ich und schiele zu seinen Sachen, die noch neben der Wohnungstür stehen. Kurz stehen wir schweigend vor einander, bevor er mir zu nickt und sich anscheinend wieder hinsetzen will, weshalb ich schwer seufze und nach seinem Handgelenk greife. »Hey, nimm dein Zeug und komm rein, okay? Das ist echt arschkalt und Marie macht Nudeln mit Käsesauce. Du hast doch bestimmt Hunger, oder?« Ich komme mir etwas aufdringlich vor, weil unsere Interaktionen sich an einer Hand abzählen lassen und wir auch kaum ein Wort dabei gewechselt haben, eben weil Nina das Reden jedes Mal übernommen hat, aber ihn weiter da sitzen zu lassen, bring ich auch nicht über mich. Moritz scheint überrumpelt, doch bevor er ablehnen kann, knurrt sein Magen vernehmlich und ich muss lachen. »Siehst du? Du kannst deiner Schwester ja einen Zettel an die Tür kleben, damit sie Bescheid weiß und solange hier warten«, erkläre ich, lasse ihn zwar los, aber schiebe ihn einfach selbst rein, bevor ich eben rüber husche und seine Sachen nehme und wieder zurück geh. Jetzt im Licht kann ich noch viel besser sehen, dass Moritz nicht wirklich rein kommen wollte und sich unwohl fühlt, aber manche Leute muss man einfach zu ihrem Glück zwingen. Marie lugt in den Flur und grinst breit, als sie Moritz entdeckt. Sie zwinkert mir zu und widmet sich dann ganz mütterlich dem überforderten Jungen, während ich seine Tasche neben den Schuhschrank stelle. »Zieh dich aus, das Essen ist gleich fertig, ja? Und wenn du möchtest, dann mach ich dir gern noch einen Tee, Momo«, sagt sie und hilft ihm sehr bestimmt aus der Jacke. Der Kurze scheint sich in sein Schicksal zu fügen, denn er gehorcht einfach und während ich eine kurze Nachricht auf einen leeren Briefumschlag schreibe und mit einem der Weihnachtssticker von Nuri, die sie benutzt hat um ihre Weihnachtspost zu verzieren kurz noch mal rüber gehe, kümmert sich Marie um unseren unverhofften Besuch. Als ich zurück komme, zieht er sich grade bunte Stricksocken von Maries Oma an, während Marie ihm erklärt, dass er wirklich nicht stört und wir ihm nichts tun. Moritz scheint es zwar nicht ganz zu glauben, nickt aber folgsam, bevor ich mich wieder auf meinen Platz auf der Bank und so neben ihn fallen lass. Ich wusste schon immer, dass es stille und schweigsame Leute gibt, doch Moritz ist der Erste, den ich so kennen lerne. Lea ist zwar auch stiller als ihr Zwillingsbruder, aber längst nicht so auf den Mund gefallen wie Moritz. Denn während Marie ihn bewirtet und in ihrer Art bemuttert bekommen wir erst wieder ein Wort von ihm zu hören, als Marie ihm eine zweite Portion Nudeln anbietet. »Nein, danke«, sagt er leise und legt umsichtig das Besteck auf den Teller. Seine Finger sind nicht mehr so blau angelaufen. Das ist zwar ein Anfang, aber weiter als das ist er noch nicht aufgetaut. Ich verkneife mir ein schweres Seufzen, während Marie nur sanft lächelt und mir noch eine zweite Portion Nudeln auftut. Erst als der Abwasch fertig ist und Marie sich für ihr abendliches Telefonat mit ihrem Freund entschuldigt, kommt wieder eine, wenn auch kleine Reaktion von ihm. Ein leises, »Danke«, weil Marie uns beiden noch einen Tee gemacht hat. Zumindest das lässt sich festhalten. Er ist sehr höflich. Weil ich bezweifle eine Unterhaltung mit ihm führen zu können, krame ich mein Buch hervor und blättere wieder drin rum. Ich kann ihn schlecht allein hier sitzen lassen und einfach zu warten, bis er vielleicht etwas sagt ist schlicht dämlich. Es ist eine Weile still und fast habe ich vergessen, dass er neben mir sitzt, als er doch endlich etwas sagt. »...du kannst schwedisch?«, fragt er leise und für einen Moment überrascht verharre ich, bevor ich ihn ansehe und schief grinse. »Offensichtlich, oder?«, frage ich schmunzelnd, merke aber sofort, dass es die falsche Antwort war, denn er nickt nur und senkt wieder den Kopf. Nun seufze ich doch und wuschele ihm etwas rabiat durch das dunkle Haar. Er blinzelt verdutzt und ordnet sich mit fragendem Blick die Haare. Menschen können wirklich so unterschiedlich sein. »Guck nicht so, du kannst ruhig Fragen stellen. Ja, ich kann schwedisch. Zum einen, weil meine Mutter und meine Großeltern Schweden sind und weil ich es studiere. Neben Englisch«, erkläre ich dann und hoffe, dass er drauf anspringt. Er nickt zwar nur, aber nach kurzem Schweigen stellt er noch eine Frage. »Sind alle deine Großeltern Schweden? O-Oder nur von deiner Mutter?« Kurz bin ich etwas verwirrt, dann wird mir klar, was ich gesagt habe und schüttele, das Buch schließend, den Kopf. »Nein, nur Mütterlicherseits. Aber die Eltern von meinem Vater leben beide nicht mehr. Die waren beide aber Deutsche« »Oh. Das tut mir leid«, sagt er leise und ich lächle leicht. »Schon gut. Mein Opa ist schon lange tot. Ich kann mich leider nicht wirklich an ihn erinnern und meine Oma ist vor 10 Jahren gestorben. Ich hab es längst verdaut. Es ist zwar schade, aber so ist das einfach. Was ist mit dir?«, frage ich dann, damit dieser Austausch nicht abstirbt. Allerdings zuckt Moritz nur die Schultern. Kurz ist es wieder still. Ich befürchte schon, dass er wieder nichts sagt, als er doch den Mund aufmacht. »Die leben zwar noch, aber ich kenne sie kaum«, gibt er zu und ich blinzele überrascht. »Wie kommt‘s?« »Von meinem Vater die Eltern kommen aus Stuttgart und leben auch da. Und Mamas Eltern kommen aus Dresden und wohnen auch halt da«, erklärt er und ich nicke nur. Stuttgart und Dresden. Interessante Mischung. »Und ihr besucht sie nicht oft?«, frage ich und er schüttelt nur den Kopf, bevor er ihn senkt und gar nichts mehr sagt. Falsche Frage. Nun ist es wirklich lange still und ich überlege was ich sagen oder fragen kann oder ob ich weiter lesen soll. Irgendwie ist das etwas anstrengend. »...mein Vater ist Kardiologe. Er ist viel unterwegs wegen Vorträgen und sowas und Mama macht viele Sachen für Flüchtlinge und Entwicklungshilfe und sowas«, erklärt er unerwartet und ich sehe ihn wieder an. »Das ist bestimmt scheiße, oder?«, frag ich, nachdem ich mir das durch den Kopf haben gehen lassen. Erst sieht er mich völlig überrascht an, bevor er schief grinst. »…du bist der Erste, der das nicht cool findet«, sagt er darauf und ich lache leise. »Naja, es ist schon cool und bestimmt auch wichtig, aber wenn dein Vater so oft unterwegs ist? Und wenn deine Mutter sich so engagiert ist sie bestimmt auch öfter mal unterwegs, oder? Und deine Schwester wohnt hier, dann bist du doch alleine, oder?«, erkläre ich und er sieht mich einfach nur an, bevor er nickt und wieder den Kopf senkt. »Es ist wirklich scheiße«, gibt er zu und ich seufze nun doch vernehmlich, »Sie haben sich ewig nicht mehr gesehen und vor zwei Monaten getrennt, weil sie sich nicht so oft sehen und deshalb ist es grade noch viel ätzender.« Nun bin ich es, der schweigt. Das ist ein echt harter Brocken. Kurz muss ich an die Zeit denken, als meine Eltern eine Krise hatten und alles danach aussah, dass sie sich trennen. Es war schrecklich. Doch dann starb Oma und obwohl das noch viel ätzender war, hat es bei meinen Eltern irgendwie dafür gesorgt, dass sie sich zusammen gerauft haben und seitdem eine fast schon kitschig harmonische Beziehung führen. »Dann ist dieses Weihnachten wohl wirklich kein...schönes Weihnachten, was?«, frage ich nach einer Weile und lehne mich zur Seite, den Inhalt meines Carepaketes noch einmal begutachtend. Meine Großeltern haben mir Süßigkeiten geschickt und irgendwie möchte ich den Kurzen aufmuntern. »Naja, es wäre nicht wirklich was Neues, ehrlich gesagt. Oft ist nur Mama da, weil Papa irgendwo anders sein muss und wenn sie auch nicht da ist, sind Nina und ich allein und es ist etwas seltsam Weihnachten zu feiern, wenn man nicht kochen kann und deshalb Pizza bestellt«, gibt er zu und blinzelt die Kekse an, die ich ihm vor die Nase schiebe. »Gibt’s die nicht bei Ikea?«, fragt er und ich lache, bevor ich ihm sacht gegen die Stirn schnippe. »Schon vergessen? Halber Schwede! Und Ikea ist auch schwedisch. Ich weiß es nicht, aber die sind von meiner Oma, also original!«, erkläre ich stolz und er greift mit einem leisen »Danke« zu. Ich fühl mich ein bisschen besser. Moritz hoffentlich auch. »Ich kann auch nicht wirklich kochen und dieses Jahr sind meine Eltern bei meinen Großeltern mit meinen kleinen Geschwistern. Ich konnte nicht mit, also werde ich dieses Jahr wohl auch Pizza bestellen oder so. Gabriels selbstgekochtes Essen ist nämlich lebensgefährlich«, erzähle ich dann freigiebig und nehme mir auch einen Keks. »Nina hat immer gekocht, als sie noch zu Hause war«, erzählt er am Keks mümmelnd und kurz geht mir durch den Kopf, dass Moritz irgendwie knuffig aussieht. Wie ein Hamster. Ich mag Hamster. »Und jetzt?« »Bestell ich was oder esse in der Praxis. Eine Kollegin macht öfter mal was für alle.« »Praxis?« »Tierarztpraxis, ich lerne da.« »Echt? Ist ja cool! Dann solltest du dich mal mit Marie unterhalten, sie studiert nämlich Veterinärmedizin!« »Ich weiß, sie hat ein Praktikum gemacht, als ich da angefangen hab.« »Ach echt? Darf sie dich deshalb Momo nennen?« Marie hat mir nie etwas davon erzählt. Ich bin etwas beleidigt. Sie erzählt mir sonst doch auch so viel. »Sie fand das passender als Moritz«, erklärt er und zieht die Nase kraus, »Seit dem nennen mich da alle so.« »Magst du es nicht?« Er zuckt wieder mit den Schultern, weshalb ich wieder lache. »Ich bin 20, da ist so ein Spitzname peinlich, find ich«, gibt er zu und ich frage mich kurz ob Marie etwas in den Tee gemischt hat, weil er so viel redet und ich den Spitznamen sehr wohl sehr passend finde, konzentriere mich aber wieder auf das Gespräch. »Naja, es geht peinlicher oder einfallsloser. Ich find ihn eigentlich ganz okay. Mich haben sie in der Schule immer Matze genannt, da gefällt mir mein richtiger Name besser.« »Ich find Mathis auch schöner«, gibt er offen zu und ich bin überrascht, dass er weiß wie ich heiße. Ich hab mich ihm nie vorgestellt. Vielleicht hat Marie gepetzt? Höchst wahrscheinlich. Mir schleicht ein Lächeln auf die Lippen. »Danke«, sage ich, weshalb er stockt und mit den Schultern zuckt, und den Kopf soweit senkt, dass ich etwas irritiert stumm bleibe. Schon wieder etwas Falsches? Mir fallen seine Ohren ins Auge und ich verstehe. Sie sind knallrot und wieder muss ich lachen. Er ist rot geworden? Wegen einem Danke? Irgendwie ist das niedlich. Er muss ein heimlicher Hamster sein. »Also ist dieses Weihnachten für dich wohl echt scheiße, was? Was hältst du davon, wenn du einfach her kommst?« »...Wieso?« »Na weil deine Schwester hier ist und ihr dann rüber kommen könnt? Pizza kann man überall hin bestellen.« »...aber Nina ist bei ihrem Freund und seiner Familie. So wie im Moment auch.« Leise brummend, verziehe ich das Gesicht. »Dann musst du erst Recht kommen! Weihnachten allein ist richtig scheiße, egal ob man dran glaubt oder nicht. Oder ist deine Mutter da?« Er schüttelt leicht den Kopf. »Sie ist irgendwo in Afrika, bis Februar.« »Den ganzen Winter allein? Das ist ja echt übel.« Wieder zuckt er die Schultern und ich möchte ihn schütteln. Ist es ihm wirklich egal, oder ist er zu sehr dran gewöhnt? »Okay, dann lass ich dir gar keine andere Wahl als zu kommen. Weihnachten kommst du her und Sylvester von mir aus auch und generell. Kannst gerne nach der Arbeit vorbei kommen und bei Marie Tee schnorren«, entscheide ich brummig und stehe auf um einen der Zettel zu holen, die wir sammeln und sonst immer für die Einkaufslisten nutzen. »...warum machst du das?« Die Frage kommt scheu, irritiert und leise und als ich Moritz wieder ansehe, kann ich nicht anders als nun selbst mit den Schultern zu zucken. »Ich kann nicht anders, bin einfach so. Außerdem bist du sympathisch und ich brauche etwas moralische Unterstützung wegen Marie und Gabriel. Nuri ist bis März in England.« Das ist nur vorgeschoben. Ich weiß selbst nicht warum, aber den ganzen Winter allein bleiben? Allein die Vorstellung macht mich ganz kirre. Niemand sollte dauerhaft alleine sein und erst Recht nicht im Winter. Selbst wenn er beim nächsten Mal wieder so lange so einsilbig bleiben sollte, ist mir das lieber als diese furchtbare Vorstellung. Meine Handynummer auf den Zettel schreibend lege ich ihn vor Moritz hin und setze mich wieder, bevor ich mir zur Belohnung der guten Tat einen Keks nehme. Moritz blinzelt die Nummer einfach nur an und wieder ist es eine Weile still. Dann greift er langsam den Zettel, faltet ihn sorgfältig zusammen und steckt ihn ein. Als er mich ansieht liegt ein Lächeln auf seinen schmalen Lippen und steckt mich an. Ebenfalls lächelnd schiebe ich ihm wieder die Keksschachtel hin, weshalb er beherzt zu greift. Zwar ist es wieder still, aber diesmal nicht so angespannt und während ich den Keks weiter knabber, nehme ich sehr gern das leise, »Danke« von Moritz an. Vielleicht hab ich ihn überrumpelt, aber auch wenn ich diese schweigsame Person neben mir grade erst kennen lerne, gefällt mir der Gedanke ihm Weihnachten eine kleine Freude machen zu können. Und auch wenn es nur eine persönliche Katastrophe ist, die ich vielleicht abgewendet habe, komme ich mir ein bisschen vor wie ein Held. Ein Held der Wintergeddon abgewendet hat. Bei dem Gedanken möchte ich mich in meinem Tee ertränken und bin froh, dass Marie wieder in die Küche kommt und sich mal wieder lautstark und doch rettungslos verliebt über ihren Freund beschwert, während sie sich zu uns setzt. Aber auch wenn der Gedanke maßlos übertrieben ist, so bin ich heimlich doch froh, dass er heute auf Nina warten muss und ich ihn rein geholt habe. Und während Moritz sich noch einen Keks nimmt und Marie aufmerksam zuhört, freu ich mich plötzlich auf Weihnachten. ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)