Die Suche von Crevan (www.die-suche.net) ================================================================================ Kapitel 3: Heldentaten, die man nicht allein vollbringen kann ------------------------------------------------------------- Ein tiefes, entnervtes Ausatmen entkam Anna's heiserer Kehle, als sie unweit einer Anhöhe nahe Blandare auf der Lauer lag. Sie saß hinter einem mannshohen Felsen am Rand eines lichten Tannenwaldes, zwischen stacheligen Himbeersträuchern und dürrem Gebüsch. Die Kriegerin kniff die Augen zusammen, als sie sich hinter dem Gestein hervor lehnte, um besser in die Ferne spähen zu können. Sie trug all ihre Ausrüstung bei oder an sich: Die lederbesetzte Hose, Rüstungsteile, Waffen und den Rucksack, der befüllt war mit allerlei nützlichen Dingen, von denen sie geglaubt hatte sie gleich noch zu brauchen. Die Dornen der kargen Beerensträucher am Waldesrand hatten ihre Wange zerkratzt und ein paar vertrocknete Blätter hingen der Hexerstochter in den braunen Haaren. Ihre Knie waren schmutzig, weil sie durch den Dreck hatte krabbeln müssen, und ihre Stiefel waren unangenehm klamm. Es war noch früh, nachts hatte es ein wenig geschneit. Die Nässe des frischen Schnees hing an der Kleidung der hockenden Frau, kroch ihr beißend in Kragen und Ärmel. Doch sie störte sich nicht daran, denn ihre Sinne waren zu angespannt, als dass sie sich von eisiger Kälte hätte durcheinanderbringen lassen. Anna's verengte Augen hingen nämlich auf dem rostbraunen Gabelschwanz, der nicht weit von hier die Flügel in den Himmel streckte. Er war der gefürchtete 'Drache' und Ziegendieb, auf den in Blandare eine hohe Belohnung ausgesetzt worden war; ein Reptil, so hoch, wie ein sehr großes Pferd, mit klauenbewehrten Pranken und weiten Schwingen. Und mittlerweile war es Anna auch klar, warum das geschuppte Tier so ungewöhnlich oft Nutztiere der örtlichen Bauern riss: Es nistete hier. Und es hatte drei Junge, die so aussahen, als seien sie bereits so alt, dass sie bald flügge werden würden. Eine prekäre Situation. „Verdammt.“, flüsterte Anna genervt in sich hinein und duckte sich wieder hinter ihre Deckung, lehnte sich mit dem Rücken voran an den unebenen Stein. Ihr Atem stieg in der Kälte als weißer Dunst auf, als sie die Luft entnervt ausstieß. Anna richtete den Blick gedankenverloren in die Leere vor sich, biss sich auf die Unterlippe und schlug die Augen nieder. Ein einziger Gabelschwanz wäre kein allzu großes Problem für sie gewesen. Sie hätte sich damit zwar ganz schön abgemüht, doch sie war sich sicher, dass sie es geschafft hätte den berüchtigten Schafsdieb zu töten. Ein Gabelschwanz mit Nachwuchs war jedoch etwas ganz Anderes. Solch einer war weit aggressiver, als seine Artgenossen, beschützte seine Brut mit allen Mitteln und war unglaublich launisch. Außerdem konnten auch die kleineren Echsen im Nest ganz schön beißen und mit den Schwänzen zuschlagen. Kurzum: Die Situation gestaltete sich also, milde ausgedrückt, als gar nicht so einfach. Die negativ überraschte Novigraderin hatte es mit vier, anstatt mit nur einem, Schuppentier zu tun. Mit drei kleineren und mit einem großen. Das war schlecht. Nein, es wäre nahezu unmöglich all die Tiere zu töten. Schließlich war die Abenteurerin nur eine gewöhnliche Monsterjägerin und keine Mutantin, wie Balthar und die anderen ihrer Zunft. Sie konnte sich nicht einfach ein paar giftige Hexertränke in den Rachen kippen, Mutagene nutzen und dabei glauben, sie könnte es mit vier geflügelten, fauchenden Untieren gleichzeitig aufnehmen. Anna war nur eine normale Frau. Sie müsste sich also etwas einfallen lassen, wenn sie den ‘Drachen-Auftrag’ schaffen wollte. Etwas unglaublich Gutes. * „Du musst mir helfen.“, Anna stemmte sich die behandschuhten Hände abwartend in die Hüfte, als sie vor Felsen trat und ihn ansah, als dulde sie keine Widerrede. Der angesprochene Mann, der soeben in aller Ruhe beim Mittagessen in der Taverne gesessen hatte, sah die Kurzhaarige etwas irritiert an. Er ließ den hölzernen Löffel sinken, schob die Schüssel mit dem herrlich duftenden Gemüseeintopf darin etwas von sich. Er wirkte nicht überzeugt, doch sprach sich auch nicht gleich gegen Anna's direkte Forderung aus. Der Mann atmete einmal flach durch. Es schien ihm nicht zu gefallen beim Essen gestört zu werden, dennoch blieb er ruhig. „Wobei?“, wollte der Dunkelhaarige langsam und mit einem Funken Argwohn in der Stimme wissen. Noch immer sah er angeschlagen aus, denn der Kampf gegen die Endriaga Halmars war gerade einmal zwei Tage her und er hatte sich noch nicht gut genug erholen können. Unter seinem etwas schräg sitzenden Kragen blitzte ein heller Verband hervor und sein eines Auge war nach wie vor unschön unterlaufen. „Ich will vier Flugechsen töten. Gabelschwänze, um genau zu sein.“, eröffnete die selbstsichere Alchemistin sogleich und der Sitzende verschluckte sich daraufhin beinah an seiner eigenen Spucke. Er musste sich am Tischrand festhalten, doch die stehende Frau ignorierte dies schlicht. „Etwa zwei Meilen von hier nistet einer davon. Er hat drei Junge, die schon recht groß sind. Alleine schaffe ich das nicht.“, erzählte Anna stöhnend und ließ es sich kaum anmerken, dass es ihr denkbar schwer fiel ihre Schwäche zuzugeben. Die stolze Reisende fixierte Felsen weiterhin durchdringend und so, als erwarte sie umgehend Hilfe. So war sie eben: Stur. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann strebte sie dem auch hartnäckig entgegen. Dies war mitunter auch der Grund, weswegen sie heute alleine durch die raue Weltgeschichte reiste und unermüdlich nach einer ganz bestimmten Sache suchte; warum sie Kaer Morhen verlassen hatte und nie wieder dorthin zurückwollte. „Du sagst mir also, dass du vier Drachen töten willst und dass ich dir dabei helfen soll.“, wiederholte Felsen zögerlich und als glaube er nicht, was hier gerade geschah. Er mutete an, als wisse er nicht, ob er lachen oder schimpfen sollte und sein Unterton klang düster. „Es sind keine Drachen, sondern Gabelschwänze. Aber ja.“, erwiderte Anna klugscheißerisch. Bevor der skellische Kämpfer am Tavernentisch den Kopf ungläubig schütteln konnte, redete sie schon weiter: „Ich habe mit dem Bauern gesprochen, der den Auftrag an das Schwarze Brett genagelt hat. Mit Lars Filharven. Und ich habe ihm klar gemacht, dass ich eine höhere Bezahlung haben möchte. Schließlich geht es um vier Tiere, nicht um eines. Nur ein richtig guter Hexer könnte das alleine schaffen.“ „Und?“, seufzte Felsen brummig und schielte wieder zu der Entschlossenen hoch. Er schien sich dessen unsicher zu sein, ob Anna nur zu stolz war, um aufzugeben, oder ob sie dem Wahnsinn verfiel. In seinen Augen musste sie absolut lebensmüde sein. „Achzig Silber und ein Pferd sollen die Belohnung sein.“, meinte die Frau in der Jacke mit den Längsstreifen und vergrub die Hände tief in den Taschen. Eine hohe Bezahlung für eine große Sache war das, wovon sie hier redete. Sie lächelte knapp. „Die Gabelschwänze bedrohen die Existenz des Bauern. Er wird bald keine Schafe und Ziegen mehr haben, wenn sich niemand um die hungrigen Echsen kümmert. Und dann werden sie weiterziehen, um den nächsten Bauernhof zu überfallen. Vielleicht greifen sie dann sogar Menschen an. Darum will mir der gutmütige Bauer geben, was er kann, sollte der große Gabelschwanz mitsamt seinem Gelege verschwinden. Sein Nachbar legt noch etwas Geld mit drauf, hat er gemeint. Und ich bin mir sicher, diese Typen geben noch ein weiteres Pferd her, wenn wir nur hartnäckig genug darauf bestehen. Du kannst doch reiten? Na? Willst du einen Beutel Silber und ein Pferd?“, ein erwartungsvolles Grinsen zerrte an den Mundwinkeln Annas, als sie auf den sitzenden Felsen hinabsah. Der Mann, wiederum, starrte finster-nachdenklich in seine halb leer gelöffelte Eintopfschüssel und fuhr sich mit der Zunge unzufrieden über die obere Zahnreihe. Sie beide schwiegen. Dies so lange, dass die ungeduldige Anna beinah schon kehrt gemacht hätte, um wieder zu gehen. Doch dann blickte der Skelliger endlich auf, holte mutig Luft und verkündete in einem entschlossenen Ton: „In Ordnung. Ich werde dir helfen.“ Die Alchemistin aus dem Norden hielt verblüfft inne und ihre Züge lichteten sich, als sie allmählich realisierte, dass ihr Bekannter gerade versprochen hatte, sie zu unterstützen. Dass er ihr helfen und die halbe Belohnung für den Gabelschwanz-Auftrag kassieren wollte. Das war großartig! Anna konnte nicht anders, als wie ein Honigkuchenpferd zu strahlen und sie ließ sich Sekunden später schon hastig auf dem Platz gegenüber von Felsen nieder. Tief holte sie Luft, um wie ein Wasserfall zu reden. „Also gut. Wir brauchen einen Plan und zwar einen guten. Die Lage ist nämlich verzwickt und richtig gefährlich.“, die Vagabundin stützte die Unterarme, die in schlichten, beschlagenen Armschienen steckten, auf den Tavernentisch und lehnte sich Felsen ein Stück weit entgegen, um jenen eindringlich anzusehen. Ihre Worte überschlugen sich beinahe. „Vier Gabelschwänze sind kein Zuckerschlecken. Zwar sind drei von den Viechern noch jung, doch das ändert nichts daran, dass sie dennoch ganz schön groß sind. Ich habe sie heute mit eigenen Augen gesehen.“, merkte die Frau mit den kurzen, braunen Haaren an. Mit den Fingern tippte sie etwas unruhig auf der fleckigen Tischplatte vor sich herum. Der Blick ihres Gegenübers hing abwartend auf ihr und bestimmt fragte sich Felsen jetzt schon was zum Geier er hier eigentlich tat. Er räusperte sich leise, hatte wohl eine trockene Kehle, und fasste mit der Hand, die in einem fingerlosen Handschuh steckte, nach seinem Metkrug. Seinen Eintopf rührte er nicht mehr an. Womöglich war ihm der Appetit darauf vergangen. „Wie groß sind die jungen Viecher genau?“, wollte der Inselbewohner mit vorsichtiger Neugier im Ton wissen. „So groß, wie Pferde.“, sagte Anna und verzog das Gesicht kritisch. „Und das Muttertier?“, hakte Felsen mit böser Vorahnung nach und nahm einen Schluck seines widerlich süßen Getränkes. Bemerkenswert, dass er sich den hausgemachten Met der 'Holzfällerin' hinunterkippen konnte, ohne das Gesöff mit viel Saft oder Wasser zu vermischen, um es bekömmlicher zu machen. So, wie es Anna zum Beispiel getan hätte. Sie hasste zu klebrigen Süßkram und trank Met daher recht selten. Lieber hatte sie starken Wein oder dunkles Bier. „Der ausgewachsene Gabelschwanz... hm...“, fing die Hexerstochter an und klaubte in ihren Gedanken nach einem ungefähren Größenvergleich. Sie wiegte den Kopf abschätzend, als sie zur staubigen Zimmerdecke sah und gab einen grüblerischen Laut von sich. Der recht belebte Schankraum war heute wieder voll, niemand schenkte den beiden Abenteurern Aufmerksamkeit. „So groß wie… zwei... oder drei Pferde?“, entkam es ihr unsäglich lasch. Welch ein toller, unsagbar kreativer Vergleich! Etwas Besseres war der Schwertkämpferin natürlich nicht eingefallen. Ein wenig betreten lächelte sie Felsen zu, der die Stirn runzelte und die Augenbrauen zusammenzog, um Anna ratlos anzustarren. „Hoch oder lang?“, fragte er. „Äh, etwa drei lang, eins hoch.“, kam es als Antwort und Anna kam sich ziemlich dämlich vor, als sie dies aussprach. Sie musste nach einer kleinen Pause leise lachen und fuhr sich mit der Hand beiläufig über den Nasenrücken. Das tat sie immer, wenn sie sich unsicher oder bescheuert vorkam. Felsen aber, der fand die verzwickte Situation offenbar gar nicht lächerlich. Er nickte nämlich langsam, ernst, und man konnte ihm ansehen, dass ihm die Gedanken nur so durch den Schädel rasten. Den Blick leicht senkend kratzte sich der Mann nachdenklich am Kinn und sah gedankenvoll in seinen halbvollen Methumpen. Zwischen den Fingern ließ er jenen ein wenig kreisen. „Wir brauchen einen Plan...“, wiederholte er die Worte seiner novigrader Kumpanin mit gesenkter Stimme und so, als spräche er mit sich selbst “Einen wirklich guten Plan.” Anna nickte überflüssigerweise. Dann schwiegen sie beide erneut eine Weile und es war überraschenderweise keine unangenehme Stille, die am Tisch herrschte. Es kam doch zu oft vor, dass man Leuten gegenübersaß und einander anschwieg, weil man einfach nicht wusste, was sagen. Oder weil man sich unschlüssig war. Wenn dies passierte, fing man schnell damit an sich geknickt zu fühlen. Man glaubte daran schuld zu sein, dass keiner etwas erzählte und umso länger dies andauerte, desto quälender wurde das nagende Schuldgefühl. Es senkte sich auf einen nieder, wie Sand im Regen, machte einem die Schultern schwer und die Lippen staubtrocken. Jedenfalls empfand Anna dies immer so. Felsen anzuschweigen fühlte sich aber nicht so an. Ganz und gar nicht. Die Frau am Tavernentisch konnte es sich gar durchaus vorstellen den ganzen Abend einfach nur still mit jenem zusammen zu sitzen und sich ein paar Krüge Bier zu genehmigen. Vielleicht hätten sie ja ab und an knappe Worte gewechselt. So, wie 'Der Typ da hinten stinkt bis hierher.', 'Hast du den Arsch der Magd dort gesehen?' oder 'Ich hol uns noch mehr zu Trinken'. Ja, es fühlte sich irgendwie so an, als kenne Anna Felsen schon seit einer Ewigkeit. Komisch, nicht? Dabei hatten sie sich erst vor wenigen Tagen kennen gelernt und die eigenbrötlerische Anna war nicht unbedingt bekannt dafür schnell Bindungen aufzubauen. Im Gegenteil. Sie war jemand, der sich lieber penibel von anderen Menschen, Elfen oder Zwergen fernhielt. Alleine konnte man konzentrierter und losgelöster arbeiten. „Gibt es irgendwelche Dinge, die Gabelschwänze nicht mögen?“, fragte Felsen irgendwann und durchbrach damit das unerwartet angenehme Schweigen mit drängendem Ton. Voller Erwartung sah er seine Gesprächspartnerin an. „Hm? Wie, nicht mögen?“, wollte Anna wissen, obwohl sie sich denken konnte, was ihr Gefährte, der noch nie gegen eines der besagten Biester gekämpft hatte, meinte. „Na, Schwächen und so.“, meinte der Skelliger unbeholfen und sah die Frau, die ihm gegenüber herumlungerte, erwartungsvoll an. Seine Hände lagen an seinem Trinkkrug. „Jemand wie du kennt sich doch sicher mit diesen Drecksbiestern aus.“, vermutete Felsen dann noch und traf damit den Nagel auf den Kopf. Anna erwiderte dessen Blick nahezu stolz, straffte die schmalen Schultern derweil kaum merklich. Die Kriegerin räusperte sich leise. „Tue ich.“, bestätigte sie. „Also?“ „Solange Gabelschwänze am Boden sind, kann man sie relativ leicht niederzwingen. Sie können zwar ganz schön beißen und mit den Schwänzen schlagen, doch wenn man schnell genug ist und gut zuhacken kann, dann ist es möglich-“, weiter kam Anna erstmal nicht, denn Felsen unterbrach sie mit einem abfälligen und kurzen Auflachen. „'Relativ leicht'...“, wiederholte er die Worte der Novigraderin abermals und schenkte ihr einen hintergründigen Blick “Ja. Ist klar.” „Ja… ja, wie auch immer.“, schnaubte Anna pikiert und setzte ihre aufklärende Ansprache fort. Sie hob dabei drei Finger in die Luft, direkt vor Felsen's Nase, und fing mit ihrer Aufzählung an. „Drakonidenöle. Benetzt man sein Schwert damit, dann ist der Kampf gegen einen Gabelschwanz effektiver. Die Öle brennen in den Wunden dieser Echse so sehr, dass sie davon abgelenkt wird und strauchelt. Ja, sie wirken, wie Säure.“, die wissende Frau nahm einen ihrer drei Finger runter. Damit zeigte sie Felsen nurmehr zwei. Sie standen für die übrigen Optionen, die man äußerst wirkungsvoll gegen den Feind einsetzen könnte. „Kartätschen. Man nennt sie auch Bienenstockbomben, weil sie bei der feurigen Explosion kleine, silberne Schrapnelle in alle Windrichtungen schleudern. Sie sind gegen so ziemlich alles recht effektiv... Gabelschwänze mögen sie also auch nicht. Und auch deren Nester lassen sich gut damit zerstören, nehme ich an.“, sagte Anna, als habe sie dies auswendig gelernt. Als rattere sie hier gerade die Aufzeichnungen irgendeines Kodexes herunter, der aus detaillierten Monstereinträgen und Kampftechniken gegen eben jene bestand. „Kannst du mir folgen?“, hakte sie kurz nach, musterte den lauschenden Felsen durchdringend und machte den Blick etwas eng. Jener nickte und sah sein Gegenüber weiterhin aufmerksam an. Anna ließ den zweiten Finger sinken. Einer blieb. „Aard.“, war die dritte und arkane Option, die in den Büchern über Ungeheuer und Monster stand und im Kampf gegen geflügelte Wesen half. Doch sie war auch eine, die die beiden Anwesenden nicht einsetzen könnten. Denn weder Anna, noch Felsen, waren magisch begabt. Der Hexerstochter, die manchmal schneller redete, als sie nachdachte, wurde das erst jetzt gewahr. Und anstatt Luft zu holen, um neunmalklug weiter zu sprechen, senkte sie einfach ihre erhobene Hand, die spätestens zu diesem Zeitpunkt keine Finger mehr zeigte. Anna klappte die Lippen zu, verstummte mit einem Mal. Sie versuchte nicht betroffen auszusehen, doch einer ihrer Mundwinkel zuckte entnervt. Sie war keine Hexerin. „Aard?“, fragte Felsen irritiert und zog die Brauen zusammen „Was ist denn ein Aard?“ „Äh. Ein Zeichen, das Hexer sprechen. Eine Art Beschwörung von Kräften der Luft.“, erklärte die Kurzhaarige und wollte nun eigentlich nicht noch genauer auf die Thematik der grundlegenden Magielehre eingehen. Sie versuchte nicht allzu kleinlaut zu klingen. Felsen geradeaus in die dunklen Augen zu sehen, fiel ihr zunehmend schwerer, denn jener nahm doch an, Anna sei eine Mutantin. Die Kriegerin unterdrückte den Drang sich den Nasenrücken unwohl berührt reiben zu wollen. „Und was macht dieses 'Zeichen'?“, der unwissende Skelliger sprach das letzte Wort aus, als rede er von irgendeinem übernatürlichen Unsinn. Als glaube er nicht so recht an das, was sein Gegenüber erzählte. Dennoch: Die hartnäckige Neugier wich nicht aus seinem durchdringenden Blick. „Es... naja, ist eine Art Stoß. Unsichtbare Energie, die man anruft und die sich dem Feind entgegenwirft, wie eine brettharte Wand. Wie ein richtig fester Schubs.“, klärte Anna auf und hoffte inständig darauf, dass Felsen nicht weiter nachfragen würde. Sie wollte dem stichelnden Gesprächsthema aus dem Weg gehen, plapperte daher schnell weiter und griff ihre anderen beiden Möglichkeiten ungeschickt wieder auf. „Gegen den Gabelschwanz würde ich Kartätschen und das besagte Öl empfehlen. Erstere habe ich. Zwei Stück. Und für das Öl müssten wir noch Zutaten zusammentragen. Dann kann ich es mischen.“, sagte Anna und lächelte etwas nervös. Sie spielte mit einem losen Faden an ihrem gesäumten Ärmel herum, zwirbelte ihn zwischen Daumen- und Zeigefinger. Oh, hoffentlich sprach sie der Landsmann nun nicht noch einmal auf die Hexerzeichen an. Sie hatte nämlich herzlich wenig Lust darauf darüber zu reden und in dem Zug viel zu spät zu erklären, dass sie keine Hexerin war. Sie wollte Felsen ihre misslichen Umstände nicht darlegen, das Thema verspätet aufgreifen und damit gar noch als Schwindlerin dastehen. Anna war keine Betrügerin. Was sie aber war, das war frustriert. Genervt, weil sie eben kein Aard wirken konnte und weil sie zu verschlossen war, um sich darüber bei einem neuen Gefährten auszuweinen. Warum hätte sie dies auch tun sollen? Die Wege der beiden Abenteurer würden sich demnächst so und so wieder trennen. Da war nicht viel Platz für vertrauliche Gespräche. Anna’s Geschichte ging Felsen nichts an. Mittlerweile hatte die nervöse Novigraderin den Faden zwischen ihren kalten Fingern zu einem kleinen Knäuel gerollt. „Hmm. Es ist also Magie.“, sagte Felsen verschwörerisch grinsend und nun war er es, der sich Anna ein Stück weit entgegen lehnte, als erhoffte er sich, die vermeintliche Hexerin würde ihm aufregende Geheimnisse aus Kaer Morhen zuflüstern. Dass jene das Thema gerade eben wechseln hatte wollen, ignorierte er. „Ha. So etwas will ich mal sehen. Zeigst du es mir?“, fügte er auch noch erwartungsvoll lächelnd hinzu. Oh je. „Felsen? Öl. Wir werden Drakonidenöl mischen!“, korrigierte Anna nachdem sie sich mental wieder gefasst hatte und sich auffallend überzogen räusperte. Selbst ein Blinder hätte gemerkt, dass sie dem Thema 'Aard' verbissen aus dem Weg gehen wollte. Gerade, da war sie eine schlechte Schauspielerin. „Wir brauchen Mutterkornsamen und Hundetalg. Von den Samen doppelt so viel, als von dem Talg. Verstanden?“, sagte Anna schnell, packte beherzt an Felsen’s Krug und zog das Gefäß an sich heran, um einen tiefen Schluck daraus zu nehmen. Der Straßenkämpfer ließ sie. Er sah der zerfahrenen Anna aufmerksam zu und Melitele sei Dank fragte er nicht noch einmal nach, bohrte nicht weiter in der ihm unbekannten Wunde seiner abwehrenden Kollegin herum. Abwartend linste die Kurzhaarige über den Rand des Humpens, während ihr der widerlich klebrig-süße Geschmack nach schlechtem Honigwein an den Lippen hing. Felsen hakte nicht weiter nach. * Es vergingen vier Tage, bis Anna und Felsen die Köpfe wieder zusammensteckten. Und dieses Mal taten sie dies nicht im Schankraum des Gasthauses Blandares, sondern in einem stickigen Tavernenzimmer im Obergeschoss des Gebäudes. In einem, das sie sich seit gestern teilten. Ja, sie hatten ihre beiden Einzelräume aufgegeben, um zusammen einen Gästeraum zu beziehen, in dem zwei Betten standen. Er war beinah so klein, wie die Einzelzimmer es waren, dafür aber auch viel billiger, wenn man sich die Miete teilte. Das kam den beiden selbsternannten Gabelschwanzjägern sehr recht, denn nun mussten sich Anna und Felsen nicht mehr gezwungenermaßen unten, zwischen all dem Lärm der Betrunkenen und dem Gestank nach verschwitzten Skelligern mit muffigen Pelzmänteln, treffen. Jetzt, da konnten sie einfach im Bett bleiben und ihre Mission planen. Dies buchstäblich. Schließlich gab es im beengenden Doppelzimmer mehr Bettliegefläche, als staubigen Boden. Es glich schon fast einer größeren Abstellkammer. „Wir haben das Öl, wir haben die Bomben und wir sind wieder einigermaßen gut ausgeruht.“, zählte Anna auf, während sie auf ihrer schmalen, kratzigen Matratze herumlag, die mit plattgelegenem Stroh gefüllt war. Ihre Füße hingen, in den dreckigen Stiefeln steckend, von der Kante der Schlafgelegenheit und baumelten leicht, während die Alchemistin rücklings lag und mit hinter dem Kopf verschränkten Armen an die vertäfelte Decke des Raumes sah. Felsen saß im Schneidersitz auf seinem mindestens genauso harten und kleinen Bett herum und rubbelte mit dem naturfarbenen Ärmel an etwas Dreck, der an seiner grünen Tunika klebte. Er schnaubte genervt, befeuchtete sich den Ärmelsaum großzügig mit Spucke und versuchte die braune Bratensoße damit aus seinem schönen Gewand zu bekommen. Es klappte natürlich nicht. „Du hast deine Axt und eine Armbrust, ich mein Schwert. Man könnte auch meinen Silberdolch verwenden, doch dafür müssten wir ziemlich nah an die Tiere herankommen. Ich sage also: Mein Stahlschwert mit dem Öl daran sollte reichen. Du kannst auch etwas davon für deine Axt haben, wenn du willst.“, sinnierte Anna weiter. Sie drehte ihrem Kumpan den Kopf zu. „Das Problem sind nur die drei kleinen Gabelschwänze. Wir wissen nicht, wie sie reagieren werden. Entweder, sie bleiben verängstigt im Nest oder sie imitieren ihre Mutter und wollen uns als Kauspielzeug missbrauchen. Das müssen wir bedenken. Sie sind ein bemerkenswertes Risiko.“, seufzte die Braunhaarige und schlug die Augen einige Herzschläge lange nieder. Stille. Als Felsen nichts sagte, richtete sich die Frau allmählich auf, setzte sich hin und maß den Kerl mit abwägenden Blicken. Sie brummte genervt und beobachtete, wie sich Felsen mit dem Fingernagel an dem Dreck auf seiner Tunika herumkratzte. Ein wertvoll anmutender Ring steckte an seiner Hand. Das Schmuckstück war golden und sah aus, wie eine gewundene Schlange, die sich um den Ringfinger des Schlägers legte. Bestimmt hatte er das Ding beim Spielen gewonnen. „He! Hörst du mir überhaupt zu?“, wollte Anna mit einem Mal schnippisch wissen und taxierte den Kerl, der den Fleck auf seinem Rock noch immer eingehend beäugte. Der dunkelhaarige Skelliger blickte unbeeindruckt auf. „Ja, tu ich.“, versicherte er und entweder log der gewitzte Kerl oder er hatte wahrhaftig die Fähigkeit dazu absolut abwesend auszusehen, obwohl er ganz genau lauschte. Anna hoffte einfach einmal auf Letzteres, sonst wären sie beide im anstehenden Kampf gegen den Drakoniden aus Blandare verloren. „Und ich habe einen Vorschlag.“, setzte Felsen seinen Worten locker nach, lächelte schmal. „Welchen?“, wollte Anna wissen und in ihrem Unterton schwang Skepsis mit. Zwar war ihr neuer Bekannter ein versierter Mann, doch ab und an hatte er auch einen großen Hang dazu zu fantastisch zu denken. Erst gestern hatte er vorgeschlagen eine Vogelscheuche auf eine Mistgabel zu spießen und damit schreiend auf den Gabelschwanz des Dorfes zuzulaufen. Dies in der Hoffnung, die besagte Echse würde die Strohpuppe für einen echten Menschen halten, jenen fressen und sich dabei die rostige Mistgabel durch die Kehle rammen, daran ersticken. Es war ein sehr absurder Gedanke. „Wir haben deine Kartätschen. Wir haben meine Armbrust.“, fing der anwesende Skelliger an und ließ endlich von seiner Tunika ab, die reichlich bestickt war und davon zeugte, dass Felsen einmal recht viel Geld besessen oder einen Wohlhabenden überfallen haben musste. Denn das Kleidungsstück war schön und gut verarbeitet, Goldfaden zierte es an ein paar Stellen und die Schnallen der Schließen sahen teuer aus. Kein einfacher Straßenkämpfer könnte sich solch ein Meisterwerk der Schneiderkunst leisten. „Kartätschen und Armbrust, ja. Das habe ich vorhin auch schon gesagt. Du hast also nicht zugehört.“, maulte Anna gespielt beleidigt, war jedoch nicht wirklich böse. Sie war nämlich zu froh, dass sie in Felsen einen kurzzeitigen Begleiter gefunden hatte, der ihr helfen wollte. Wie könnte sie ihm gegenüber also schnell aus der Haut fahren? „Jaja, lass mich mal ausreden, Hexerin!“, beschwerte sich der Schönling und rückte sich dann den Kragen zurecht. Ein brauner Fellüberwurf umspielte jenen und ließ die Schultern des eigentlich eher zierlichen Mannes breiter wirken, als sie waren. Die Leute dieses Landes mochten zottelige Felle. Lag wohl an den winterlichen, skellischen Temperaturen. „Also, wir haben die Bomben und die Armbrust. Ich habe da auch noch ein dünnes Seil in meinem Gepäck.“ „Worauf willst du hinaus?“ „Der Bäcker nebenan hat große Holztröge, in denen er seinen Teig anmischt. Hast du die gesehen? Darin könnte man baden, so breit sind die!“, sagte Felsen begeistert und lächelte schief. Dabei breitete er die Arme aus, um die Ausmaße der besagten Wannen ächzend anzudeuten. Er schaffte es kaum. „Ja...?“, entgegnete Anna unschlüssig und sah aus, als hätte sie nun am liebsten in den wirren Kopf ihres eigenartigen Zimmergenossen geblickt. Leider vermochte sie so etwas aber nicht, denn sie war keine Zauberin. „Hör zu. Also: Wir befestigen die Kartätschen in solch einer Wanne, drehen sie um. So, dass die Öffnung nach unten zeigt. Du weißt schon. Dann binde ich ein Seil an diesen Trog und einen Bolzen an das andere Ende vom Seil. Während ich das tue, schleichst du um das Nest des Gabelschwanzes herum, wartest mir gegenüber auf der anderen Seite des Platzes. Dann schieße ich den Armbrustbolzen, an dem das lange Seil der explosiven Wanne befestigt ist, über die Wiese. Du schnappst dir das Seil, sobald es bei dir gelandet ist und ziehst damit die Wanne vor die Echsen. Jene werden davon aufgescheucht werden. Ziemlich wütend werden sie auf dem Holztrog herumpicken, -schlagen und -beißen. Und dann... dann lassen wir das Ding hochgehen. Bumm! Es wird die Drachen verwunden und völlig durcheinander bringen. Diesen Moment können wir dann nutzen, um-“ „Ernsthaft?“, Anna unterbrach den hoffnungsvollen Felsen in seinem utopischen Plan vier Gabelschwänze mit einer präparierten Teigwanne in die Luft zu jagen, glucksend. Und sie wusste nicht, ob der Idiot dies ernst meinte oder ob er sie veralbern wollte. Das wusste man bei Felsen oftmals nie so recht, denn er beherrschte Sarkasmus und Ironie, wie sonst niemand. Er war äußerst redegewandt und konnte wahre Begebenheiten so schildern, dass niemand an sie glaubte. All das stand dafür, dass der Mann es eigentlich faustdick hinter den Ohren hatte und nicht immer so dumm war, wie er sich ab und an gab. Er war also nicht nur ein Faustkämpfer, oder? War er vielleicht ein Betrüger und Schwindler, der einen Decknamen benutzte, um sich zu schützen? Irgendein Schurke, der Skellige dringend verlassen musste, weil er irgendetwas verheerendes Angestellt hatte? Was war bloß sein Geheimnis? Warum wollte er weg von hier und weswegen verriet er nicht, wie er hieß? „Was denn? Ich will mich nur konstruktiv einbringen.“, grinste der Inselbewohner breit und zuckte die Achseln. „Ja, sehr konstruktiv, wirklich.“, stöhnte die Frau entnervt, doch kam nicht umhin, dass ein belustigtes Schmunzeln an ihren Lippen zog. Ungeheuer mit Schrapnell-Trögen töten? Na klar. Oh, wenn Balthar, Vadim und Jaromir das gehört hätten... „Hast du schon einmal daran gedacht Bänkelsänger zu werden, Felsen? Deine überzogenen Balladen über explosive Wannen und todbringende Strohpuppen wären in aller Munde.“, witzelte Anna. „Ich überleg's mir.“, grunzte der Axtkämpfer amüsiert. * Der Plan der beiden Lebenslustigen stellte sich am Ende nicht als besonders komplex heraus. Und das, trotz aller wahnwitzigen Überlegungen seitens Felsen. Anna und er hatten sich keine wahnsinnigen Strategien ausgedacht, keine Vogelscheuchen auf Mistgabeln gespießt oder Bomben in Teigwannen versteckt. Es war viel simpler: Anna hatte ihrem Kollegen ihre zwei Kartätschen in die Hände gedrückt und ihm erklärt, wie jene funktionierten. Sie hatten ausgemacht, dass der zähe Mann die drei kleinen Gabelschwänze ablenken und jene somit im Schach halten sollte. Schließlich waren die Jungtiere nicht sonderlich erfahren und würden sich im Notfall von Schrapnellbomben durcheinanderbringen oder verletzen lassen. Und während der skellische Straßenkämpfer mit den kleinen 'Drachen' tanzen dürfte, würde sich Anna wagemutig den großen vornehmen. Sie hatte schließlich schon ein, zwei kleinere Gabelschwänze erlegt und wusste in etwa, was sie tat. Ihr waren diese Echsen bekannt und sie hatte ein wenig Ahnung, wenn es darum ging, diese Biester zu Fall zu bringen. Ja, und wenn sie mit dem rot-braunen Muttertier fertig wäre, würde sie zu Felsen eilen und sich mit ihm zusammen auf die jungen Gabelschwänze, die sich hoffentlich nicht so sehr wehren würden, wie ihre Mutter, stürzen. Simpel. Eigentlich. Anna zurrte ihren ledernen Schwertgurt fester, nachdem sie aus ihrer lockeren Schlafkleidung geschlüpft war, um ihre volle Montur anzulegen. Felsen wartete geduldig vor der Tür. Seit sie beide zusammen ein Zimmer bezogen hatten, war es zum unausgesprochenen Gesetz geworden, dass der Eine den Raum verließ, wenn sich der Andere umziehen wollte. Ein wenig Privatsphäre musste schon sein, fand die verbohrte Anna. Und ihr neuer Kumpan im Kampf gegen blandarer Monster hatte dies auch ohne jegliche Widerworte oder Kritik akzeptiert. Er war keiner dieser hirnlos-lüsternen Kerle, denen es darum ging einer Frau so viel als möglich weg zu starren. Es hatte den gelassenen Skelliger all die Tage über nicht interessiert der Novigraderin näher zu kommen, als nötig und er hatte auch nie anzügliche, obszöne und frauenverachtende Bemerkungen von sich gegeben. Das, obwohl die harten Schlafgelegenheiten der zwei Gefährten kaum eine Elle weit voneinander entfernt standen. Gestern Abend hatte Anna Felsen zudem angeheitert einen Arm um die Schultern gelegt, um schunkelnd feuchtfröhliche Lieder über Ziegen und deren Vierbeiner-bumsende Hirten zu singen. Richtig eng hatte sie das getan, denn wenn sie betrunken war, wurde sie oft zu anhänglich. Trotzdem hatte der hübsche Faustkämpfer die Finger von ihr gelassen und dem lallenden, wankenden Elend darauf folgend auch noch in das Bett geholfen. Die Hexerstochter fühlte sich in Felsen's Gegenwart also wohl und ebenbürtig, nicht wie ein Stück Fleisch oder eine billige Hure. Angenehm war das. Sehr. Man konnte sich ‘gefahrlos’ etwas gehen lassen. Anna hatte den gewagten Entschluss sich zusammen mit einem Halbfremden ein Zimmer zu nehmen, um Geld zu sparen, bisher also nicht bereut. Und abgesehen davon tat die ungewohnte Gesellschaft gut. Die umherziehende Novigraderin war in den letzten zwei Jahren sehr oft unheimlich einsam gewesen. Das hatte das Leben auf der Straße eben so an sich. Und nun, da wurde es Anna gewahr, wie sehr sie es vermisst hatte jemanden um sich zu haben, mit dem sie ab und an über Triviales reden oder etwas trinken konnte. „Haben wir alles?“, wollte Felsen mit in die Seite gestemmten Händen wissen, als Anna schließlich zu ihm auf den Gang trat, dessen knarzender Boden gesäumt war mit dicken, fleckigen Teppichen. Sie trug dabei ihre wattierte Jacke und eine leichte Rüstung, bestehend aus einer Kettenweste, Kniekacheln und Armschienen. Der Skelliger hatte indes einen ledernen Kürass über seinen grünen Gehrock mit dem Pelzkragen gezogen. Felsen trug Schild und Axt bei sich, Armbrust und Bomben. Anna hatte nur ihr Bastardschwert, den langen Dolch und eine kleine Tranktasche, in der sich fünf Glasphiolen befanden, dabei. In der einen schwappte frisch gemischtes, zähflüssiges Drakonidenöl, das sie zeitnah noch brauchen würde. In den anderen Fläschchen befanden sich gewöhnlichere Dinge, die man auf langen Reisen benötigte und die man schlecht einfach so in einen Rucksack stecken konnte: Zu dünne Salbe, etwas Pflanzenöl zum Kochen, Salz und Pfeffer. Manch einer glaubte wohl, die burschikose Alchemistin mit dem Wolfsmedaillon trüge an ihrem Gürtel wichtige Tinkturen und Tränke bei sich, doch dem war nicht so. Sie konnte mit solchen Dingen nämlich wenig bis gar nichts anfangen, obwohl sie durchaus imstande war einige von ihnen zusammen zu panschen. Höchstens schwache Gifte setzte sie neben Waffenölen gelegentlich ein, um Feinde niederzustrecken, mehr nicht. „Ja. Hab alles.“, antwortete Anna auf die Frage ihres Kumpanes knapp und warf ihm einen fragenden Blick zu. Es war ein stummes 'Gehen wir?'. Felsen nickte zustimmend. Der Schrei des großen, rot-braun melierten Gabelschwanzes hallte durch das weitläufige Tal, als sich das ölbenetzte Stahlschwert der Frau aus dem Norden in seine Flanke grub. Anna hielt den lederumwickelten Griff des Schwertes in beiden Händen, stemmte sich mit dem ganzen Gewicht auf die Waffe, trieb die Klinge somit tiefer und hebelte sie nach unten, um die frische Wunde weiter aufzureißen. In ihrem Gesicht lag ein finsterer, konzentrierter Blick und ihr Atem ging schwer und stoßweise. Das Ungeheuer knickte ein, hielt sich nur noch mit einem Bein aufrecht und schlug wie wild mit den häutigen Schwingen, wirbelte Dreck und Schneeflocken auf. Es reckte den schuppigen Hals, krähte einen zornigen Protest und wollte mit gebleckten Fängen nach der Novigraderin schnappen. Gerade noch so wich sie vor den messerscharfen Zähnen des Echsenwesens zurück, riss ihr Schwert dabei mühsam aus dem Körper des Tieres und stolperte beinah rückwärts. Kurz mit dem freien Arm rudernd fand die Frau ihr Gleichgewicht schnell wieder und duckte sich unter dem schlagenden, dornenbesetzten Schwanz des Drakoniden fort. Ihre schmalen Augen funkelten im wilden Kampfesrausch. Wieder breitete das Biest die ledrigen Schwingen aus, flatterte, kam wankend auf die Beine und machte Anstalten Anlauf nehmen zu wollen. Es ging zwei Schritte, hinkte beachtlich und setzte dann flügelschlagend los. Dieser verzweifelte Sprung sah lächerlich aus; wie ein Hüpfer eines Vogels, der es nicht schaffte auf Anhieb loszufliegen. Die schlagenden Flügel wirbelten pulvrigen Neuschnee umher und peitschten jenen der Kriegerin am Platz entgegen. „Oh nein!“, grollte Anna im wissenden Befehlston und der Schweiß machte ihr die Stirn ganz nass. Blut klebte ihr an der Seite, denn vorhin, da hatte der Gabelschwanz sie hart mit einer der gebogenen Krallen erwischt. Egal. Ja, gerade eben war das unbedeutend. Sie durfte den Fokus nicht verlieren und musste ihren Auftrag unbedingt erledigen. Mühsam blinzelte sie sich den aufgewirbelten Schnee aus den Augen. „Du bleibst schön hier, du Mistvieh!“, bellte die Kurzhaarige dann bestimmend und hastete dem Gabelschwanz, der schnarrend mit den Flügeln schlug, nach. Bestimmt wollte sich das rasende Tier in die Lüfte erheben, um daraufhin wie ein Raubvogel auf seine Feindin herab zu stoßen und nach ihr zu schnappen. Gabelschwänze waren berüchtigt dafür pfeilschnell vom Himmel zu schießen, um ihre Beute zu packen, mitzuschleifen und dann von unglaublicher Höhe fallen zu lassen, um ihr alle Knochen zu brechen. Pah! Nicht mit Anna! Die Frau hatte schon zu der Echse aufgeschlossen, holte weit aus und hob mit aller Kraft zu. Sirrend schnitt ihre scharfe Klinge, die vor dunklem Waffenöl schmierig schimmerte, durch die Luft. Wieder ein gellendes Kreischen. Eine der ledrigen Häute der Flügel des Gabelschwanzes riss auf. Das Monster fuhr zu der viel kleineren Angreiferin herum und schnappe abermals mit den langen Zähnen nach ihr. Noch einmal, immer wieder, und seine Fänge klappten hörbar in die Leere. Er grölte wütend und so laut, dass es einem nur so in den Ohren klingelte. Anna hatte Mühe damit genug Abstand zu dem Biest zu bekommen und bemerkte nur beiläufig und im Augenwinkel, wie Felsen gerade zwei der kleinen Gabelschwänze am Rand anbrüllte. Er warf eine der Kartätschen, es knallte, ein Gabelschwanz-Junges jaulte, etwas Schweres kam vernehmbar hart am Boden auf. Der große Gabelschwanz heulte verärgert, warf seine Aufmerksamkeit herum und wendete sich aberplötzlich Felsen zu, der keuchend vor einer der kleinen Echsen stand, die sich unnatürlich zuckend am Boden wand und krampfte. Die anderen beiden kleinen Biester waren vor dem gefährlichen Mann zurückgewichen und zischten ihm scharfe Drohungen entgegen, reckten die Hälse und bleckten die spitzen Zähne. Anders als das Muttertier, das nun drauf und dran war, den Käferschubser den Kopf abreißen zu wollen, übten sie sich nur in lauten Drohgebärden. Zum Sprung bereit und mit stinkendem Geifer vor der Schnauze ging ‚Mama Gabelschwanz‘ jetzt auf den unvorbereiteten Skelliger los. Anna schrie eine Warnung und Felsen fuhr alarmiert herum, doch zu spät. Der gespaltene Schweif des großen Drakoniden traf den Mann in der grünen Tunika von links, dass es nur so schepperte. Man sah, wie er seine Waffe verlor und sein runder Schild aus Holz und Metall flog im weiten Bogen zur Seite; genauso, wie auch Felsen beinah geschleudert worden wäre. Ja, beinah. Denn anstatt sich einfach wuchtig treffen und fort werfen zu lassen, hatte sich der Axtkämpfer reflexartig an dem schlagenden Schwanz der riesigen Echse festgekrallt, die ihn von ihren Jungen hatte fortwehen wollen. Eine Tatsache, die den großen, grollenden Drakoniden ganz schön irritierte. Verärgert und zornig fauchend drehte das Tier den bulligen Kopf, um zu dem Mann zu starren. Felsen hatte die Arme um die geschuppte Rute geschlungen, um nicht meterweit fort bugsiert zu werden, und er schrie überfordert. Anna schlug die freie Linke über dem Kopf zusammen, als sie das sah, und wollte dem nun unbewaffneten Felsen zu Hilfe eilen, brüllte dessen Spitznamen warnend. Oh, was machte er da bloß? Warum klammerte er sich an den Schwanz des Drakoniden, der Depp? Er sollte Abstand zu seinem rasenden Gegner gewinnen und zwar rasch! Die rot-braune Riesenechse, der ‚Drache‘ von Blandare, hob keifend den Schwanz. So, als hole sie damit aus, um ihn samt Felsen gen Grund schnellen zu lassen. Ja, der Gabelschwanz wollte seinen Feind so am schneeverwehten Grund zerschmettern. Doch so weit kam es nicht. Anna wusste ja nicht, ob ihr neuer Kumpan der Inseln irrsinnig fähig war oder einfach nur enormes Glück hatte, als sie beobachtete was passierte: Noch in der ruckartigen Aufwärtsbewegung des Drakoniden-Schweifes ließ der Skelliger das lange Gliedmaß los, verlor den Halt. Die Fliehkraft tat ihr Übriges; der Krieger flog durch die Luft und es schien, als vergehe die Zeit dabei irrsinnig langsam. Anna weitete die Augen und hörte sich den Straßenkampfnamen ihres Verbündeten rufen. Jener schrie überwältigt und kehlig auf, fasste planlos in die Leere und landete auf dem Rücken des Gabelschwanzes. Ein Stück weit rutschte er daran hinab, schaffte es indes aber zwei hornige Stacheln zu erfassen, die dem Tier aus der Wirbelsäule ragten. Wie ein widerspenstiges Pferd begann der Schafsdieb Blandares daraufhin zu buckeln und mit den Flügeln zu schlagen. Er sprang, bäumte sich auf, krähte böse. Anna stockte in ihrem Tun und ihr Kopf arbeitete auf Hochtouren. Geistesgegenwärtig setzte sie sich gleich in Bewegung und versuchte den chaotischen, eigentlich wirklich komischen Moment auszunutzen, indem sie den planlosen ‚Drachenreiter‘ auf dem Gabelschwanz erst einmal ignorierte. Sie blendete den armen Felsen gezwungenermaßen aus, umfasste ihre Waffe fest und stob nach vorn, dem steigenden Ungeheuer entgegen. Das Adrenalin in ihrem wallenden Blut drängte sie voran, machte ihr die Sinne scharf und den Blick ganz eng. Das Blut rauschte in ihren Ohren und ihre Lungen fühlten sich wie zugeschnürt an. Die 20-Jährige keuchte, als sie vor dem sich aufrichtenden Echsenwesen ankam, sich vom Boden abstieß und mit dem Schwert voran gegen den entblößten Bauch des Tieres laufen wollte. Anna streifte den wütenden Gabelschwanz jedoch nur. Leider. Denn das verärgerte Schuppentier, das von Felsen mehr als nur irritiert und durcheinander gebracht wurde, warf sich des Mannes wegen zur Seite. Es wälzte sich herum, in der Hoffnung den klammernden Menschen damit abzuwerfen. Das Monster schaffte dies auch und kam sehr schnell wieder auf die Beine. Es trat nach dem aufgebrachten Skelliger, der nun nach Atem ringend am harten Boden lag. In dem Moment glaubte Anna, es sei aus mit ihrem Kollegen. Ja, wirklich. Der Kerl war gerade von einem Drakoniden abgeworfen und halb von dessen massigen Körper überrollt worden. Und nun sauste der breite, krallenbewehrte Hinterlauf des Untieres auf ihn zu. Die Novigraderin brüllte etwas Unverständliches, in ihrem Blick lag für wenige Atemzüge lang panische Angst. Angst davor diejenige zu sein, die den widerlichen Tod des ungewöhnlichen Straßenkämpfers mit dem dümmlichen Grinsen zu verschulden hatte; das Ableben einer zufälligen Bekanntschaft, eines engen Bekannten, vielleicht sogar eines potentiellen FREUNDES. Doch, oh, es kam ganz anders, als befürchtet: Felsen rollte sich gerade noch rechtzeitig zur Seite, um dem verheerenden Tritt des Gabelschwanzes zu entkommen. Er rappelte sich auf die Knie, fiel beinah wieder hin, wollte sich auf die schmerzenden Füße raffen. Anna’s weite Augen wanderten unstet. Ihre Hand legte sich an die Lederscheide ihres Dolches. Dann reagierte sie einfach nur noch und wie instinktiv: Sie schleuderte dem Gabelschwanz ihren geschliffenen Silberdolch entgegen. Da sich das Biest viel zu hektisch und unvorhersehbar bewegte, wurde es verfehlt, doch egal. Denn es reichte, dass ihm die silbern aufblitzende Waffe klackernd vor die Füße fiel. Erschrocken machte der Drakonid dadurch nämlich einen überwältigten Satz zurück, tänzelte aufgescheucht, verfehlte den benommenen Felsen nur sehr knapp und wendete den großen Kopf knurrend herum. Die geschlitzten Augen des Monsters, das sein Nest mit dem Leben verteidigte, trafen abermals auf Anna. Es waren heikle Sekunden, in denen Felsen wertvolle Zeit gewann, um aufzustehen und sich wieder etwas zu sammeln. Die zwei noch lebenden Junge des Gabelschwanzes schnatterten im Hintergrund, doch griffen nicht an. Doch vielleicht würden sie das noch. Man durfte also keine Zeit verlieren und die Novigraderin am Platz lief los, um das Schwert erneut gegen ihren großen, geschuppten Gegner zu erheben. „Scheiße!“, fluchte sie jedoch keinen Atemzug später schon. Sie hatte das große, verärgerte Tier daran hindern wollen loszufliegen, obwohl sie gehofft hatte, dass dies mit dem einen angerissenen Flügel so und so nicht mehr funktionieren würde. Die sonst so schlaue Alchemistin hatte sich aber gewaltig geirrt. Denn soeben erhob sich die Echse hektisch flatternd in die kühlen Lüfte. Die Schwingenschläge gingen etwas unkontrolliert, doch das änderte nichts daran, dass das verwundete Biest meterweit hochstieg. Es regnete ein paar vereinzelte Blutstropfen. Der Blick der Hexerstochter folgte dem Gabelschwanz in böser Vorahnung und sie nahm eine abwartend-defensive Stellung ein, drehte den Kopf, um das Ungeheuer auch weiterhin im Sichtfeld behalten zu können. Jenes begann lauernd über dem Platz zu kreisen und dies war schon längst keine bloße Drohung mehr. Der rostbraune Gabelschwanz ging in die gefährliche Offensive über und wollte die beiden Menschen, die so viel kleiner waren als er, töten. Dafür, dass einer von ihnen eines seiner Junge erlegt hatte. Es war klar, dass er die Peiniger seiner Brut auch dann rachsüchtig verfolgen würde, würden sie die Flucht ergreifen. „Felsen!“, Anna sah sich hektisch nach dem Mann um, der ächzend angelaufen kam. Er humpelte dabei leicht und biss die knirschenden Zähne zusammen, reckte das Kinn stur und gab seinen Schmerzen nicht nach. Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch stand. „Armbrust!“, forderte die Novigraderin viel herrischer, als sie es gewollt hatte. Sie war eben ziemlich aufgebracht. Und das, wiederum, würde sie später noch ärgern. Ihr Verhalten war gerade alles andere als souverän und noch nie hatte sie die Kontrolle über ein Ungeheuer so schnell verloren, wie heute. Ja, sie war nicht konzentriert genug gewesen und hatte sich ihres Begleiters wegen ablenken und einschüchtern lassen. Ihr war beinah das Herz stehen geblieben, als Felsen vorhin vom Gabelschwanz niedergewälzt worden war und dieses lähmende Gefühl klang noch immer nach. Anna’s feuchte Hände zitterten stark und sie wusste: Balthar wäre gerade nicht stolz auf seine Ziehtochter gewesen. Der Hexer hätte verächtlich ausgespuckt und sie getadelt. Jedwede Bindungen besaßen in seinen Augen schließlich kaum wert und fesselten einen bloß; dies hatte er früher immer gepredigt. Anna presste die Lippen bei dem Gedanken grimmig zusammen und sah sich nach ihrem skellischen Kollegen um. Ohne sich zu beschweren oder nachzufragen hatte sich Felsen seine Armbrust vom Rücken geschnallt, stellte sie mit dem Schaft senkrecht vor sich und trat mit einem Fuß auf den Bügel der alten, doch massiven Waffe, um sie zu stabilisieren. Mit den behandschuhten Händen, an denen zähes Drakonidenblut klebte, erfasste er schnell die Sehne, spannte sie und ließ sie im Abzug einrasten. Mit fahrigen Fingern fummelte er einen grün-blau gefiederten Bolzen aus seinem Hüftköcher. Zitterte auch er ein wenig? „Was… was soll ich machen?“, stöhnte der aufgewiegelte Mann fast schon verzweifelt, als er seine schön geschnitzte Schusswaffe lud, und man hörte, dass er genauso abgekämpft sein musste, wie Anna selbst. Doch noch könnten sie sich keine Pause gönnen. „Wenn er auf uns zufliegt, dann schießt du!“, entkam es der blutenden Kurzhaarigen und sie warf einen prüfenden Seitenblick zu ihrem Kumpan hin. Der Kerl war dreckig, seine dunklen Haare wirr und er stand ziemlich schief. Doch er legte die Armbrust ohne zu Zögern an, zielte und wartete schwer atmend und schwitzend ab. Sekunden vergingen ohne, dass der Gabelschwanz die weiten Schwingen anlegte, um in den Sturzflug überzugehen. Er zog nur seine Kreise, behielt die zwei Kleinen Menschen im Auge und fauchte zornig, wartete auf eine gute Gelegenheit zuzuschlagen. Und dann, endlich, setzte die verwundete Echse zum Angriff an. Der Wind ließ die zusammengelegten Flügelhäute nur so flattern, als der Gabelschwanz mit blinder Wut und gefährlich aufgerissenem Maul auf die beiden Menschen zustürzte. Wie ein riesengroßer Vogel schoss er vom Himmel herab und seine Gegner blieben eisern an Ort und Stelle stehen, erwarteten ihn tapfer. Die Anstrengung dem Drang wegzurennen zu widerstehen, war immens. Anna glaubte, ihr rutsche das Herz gen Grund und sie stöhnte gehetzt, als sie die gesamte Situation und die Entfernung des nahenden Monsters zu messen versuchte. Ein Fehler und sie und Felsen würden gleich sterben. „Jetzt!“, schrie die Alchemistin und ihre Rechte umklammerte ihren Schwertgriff fest. Felsen betätigte den Abzug seiner Armbrust sofort und der Bolzen sauste pfeifend durch die Luft. Das Geschoss schnellte dem aggressiven Drakoniden entgegen und traf jenen tatsächlich frontal in den Hals. Der Gabelschwanz krächzte laut auf, zappelte, fiel. Anna schrie einer alarmierenden Ahnung wegen auf und gestikulierte an Felsen gerichtet und mit scheuchender Handbewegung zur Seite. “Weg!”, blaffte sie “Weg, weg!” Die beiden Abenteurer hasteten ziellos fort und dem fallenden Monster damit aus dem Weg. Donnernd krachte jenes einen Herzschlag später schon auf den Boden, schlug dabei beinah einen Purzelbaum, und blieb für wenige Augenblicke lang benommen schnaufend liegen. Momente, die Anna nutzte, um sich im Fortlaufen umzuwenden und wieder zu dem Tier zu rennen, so schnell sie nur konnte. Ohne zu zögern hob sie, dort angekommen, kampfschreiend zu und stieß der Bestie die lange Klinge zwischen die Rippen. Noch ein Brüllen, das Sirren eines weiteren skelliger Armbrustbolzens. Das Biest zuckte, einmal, zweimal. Eines seiner Beine strampelte unkoordiniert und wühlte die weiche Erde und den Schnee unter sich auf. Ein nasser Atemzug durch geblähte Echsen-Nüstern, ein kraftloses Krächzen. Dann erschlaffte der Leib des kritisch versehrten Gabelschwanzes, der sich beim Sturz aus dem Himmel das Kreuz gebrochen hatte, langsam. Für immer. Doch der gefährliche Kampf war noch nicht vorbei, denn nach wie vor waren zwei der vier Gabelschwänze übrig. Zwar waren es kleine, dennoch waren sie nicht zu unterschätzen. Nun waren sie es, die schnarrend, schimpfend und beißend auf Anna und Felsen zu sprangen. Sie maßen ihrem toten Muttertier nicht besonders viel Aufmerksamkeit zu, konzentrierten sich eher auf die gehetzte Anna und ihren ziemlich überforderten Begleiter, der in dieser Sekunde seine letzte Schrapnellbombe zündete. „Zurück!“, bellte jener heiser, warf die Kartätsche und ohne überhaupt einen Wimpernschlag lange über diese herrische Forderung nachzudenken, wendete sich die Hexerstochter ab und lief davon. Felsen tat es ihr gleich, erhob die Arme schützend über den eingezogenen Kopf. Es knallte ordentlich, die übrigen Geschuppten schrien gellend und warfen sich herum. Irgendetwas stach plötzlich im Bein der Novigraderin und ließ sie taumeln, einen Schritt nach vorne stolpern. Kartätschen, die es bei ihrer Explosion in alle Himmelsrichtungen zerriss, waren eben unberechenbar und deren Silbersplitter schnitten scharf. Schmerzerfüllt kniff die getroffene Monsterjägerin eines ihrer Augen zusammen und zischte einen leisen Fluch. Was wenige Herzschläge später folgte, war ein erneutes, schwerfälliges Aufnehmen des Kampfes gegen die zwei letzten, blutenden Gabelschwanz-Junge. Felsen schaffte es seine fallengelassene Waffe wieder an sich zu nehmen und schlug brüllend nach einem der Drakoniden. Anna stieß mit dem Langschwert zu, trat auf einen geschuppten Schwanz, drehte sich und traf braune Schuppenhaut. Blut im Schnee, gurgelnde Echsengeräusche, Aufstampfen, Fallen. Geflatter, Gezucke, tiefes Schnauben. Und dann… dann wurde es endlich still. Nurmehr der kalte Wind gähnte und schien die vier toten Gabelschwänze auf der Anhöhe vor Blandare zu verspotten. „Urgh…“, war das einzige, das Felsen kurz nach dem erbitterten Kampf einfiel, als er sich rücklings in den flachen Neuschnee fallen ließ. Vor wenigen Augenblicken erst hatte er sich dessen versichert, dass alles nicht-humanoide ringsum verendet war. Und nun plumpste er auf den Boden und blieb laut und erleichtert seufzend liegen; mit ausgestreckten Armen und geschlossenen Augen, durchgeschwitzt und mit dunklem Echsenblut besudelt. Die stark hinkende Anna ließ sich ebenso neben ihrem skelliger Gefährten nieder. Sie legte ihr rot beschmiertes, nach Öl stinkendes, Schwert neben sich, öffnete sich den hohen Kragen der Jacke und atmete tief durch. Ein paar ihrer kurzen Haarsträhnen klebten ihr feucht an der Stirn und sie bekam kein Wort heraus, fasste sich erschöpft an die pochend schmerzende Seite. Ein leiser, halbgarer Fluch verließ ihre Kehle, die vom vielen Herumschreien ganz rau und trocken war und sie wagte es kaum sich im Sitzen zu krümmen. Oh, Scheiße, waren all ihre Rippen noch ganz? Hoffentlich. Es fühlte sich zwar nicht so an, aber man sollte das Hoffen ja nie aufgeben. Leise murrend betastete die Frau den Rand ihrer frischen Wunde, die die Kralle des Schafsdiebes Blandares gerissen hatte. Jene war nicht allzu tief, so schien es. Melitele sei Dank. “...Hjaldrist.“, atmete der völlig fertige Straßenkämpfer, der rücklings neben Anna lag, dann ganz plötzlich und seine Begleiterin sah auf. Sie lenkte den leicht glasigen Blick wirr zu jenem hin und zog die Augenbrauen weit zusammen. Was hatte Felsen eben gesagt? “Was?“, wollte sie wissen. “Mein Name.“, erklärte der Skelliger, der ein Bad und ein paar dicke Bandagen mehr als nur nötig hatte, und öffnete die dunklen Augen wieder. Ermüdend und entnervt drehte der blutbesudelte Krieger der Hexerstochter den Kopf zu, um sie anzusehen. “Ich heiße Hjaldrist.” “Oh.“, meinte Anna nun trocken, als sie verstand, und sie blinzelte verwundert “Achso.” “Das war echt gut.”, setzte der Kerl seiner kurzen Vorstellung noch müde grinsend nach. “Tse.”, schnaufte die sitzende Alchemistin amüsiert und musste den Kopf langsam und ungläubig schütteln “Ein Gabelschwanz hat dich fast zu Brei verarbeitet und du findest das gut?” “Ey… abgesehen davon haben wir’s dem doch ziemlich gegeben. Wir haben unsere Aufgabe erledigt.” “Hm.” Felsen, nein, ‚Hjaldrist‘, hob eine Faust an und hielt sie der Frau neben sich auffordernd entgegen. Wieder runzelte die Novigraderin unschlüssig die Stirn und betrachtete die ihr gezeigten, leicht blutigen Knöchel fragend. Ein irritierter Laut verließ ihre Lippen. Was sollte das hier werden? “Hä?”, machte sie. “Du musst mit deiner Faust dagegen hauen, Idiotin...“, brummte der Skelliger gespielt tadelnd und atmete noch immer ganz unregelmäßig. Er sah mies aus, doch lächelte schon wieder. Na, immerhin. “Ah...“, murmelte die entrückte Kurzhaarige, die die beschriebene Geste bisher nicht gekannt hatte, betreten. Sie war manchmal eben noch immer etwas weltfremd, hatte in der Vergangenheit weder Freunde außerhalb von Kaer Morhen besessen, noch viel auf unterschiedlichste Grußformen gegeben. Sie ballte die behandschuhte Rechte locker und boxte damit herzlich gegen die Faust ihres unglaublich erledigten Kampfgefährten. Man musste ihr dies nicht weiter erklären, denn sie ahnte, was der leichte Schlag von Faust gegen Faust hieß. Ja, wahrscheinlich machte man das unter Freunden so. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)