Die Suche von Crevan (www.die-suche.net) ================================================================================ Kapitel 19: Lila ---------------- Am späten Abend waren die beiden Vagabunden zurück an der Jaruga, um dem Fluss gen Sodden zu folgen. Noch immer waren sie schweigsam, doch hatten das Schlimmste nun wenigstens hinter sich. Sie müssten nach vorn blicken, nicht wahr? Tote kamen nicht zurück und das Leben ging weiter. So war es nun mal. “Was machen wir heute Nacht?”, Anna’s Stimme durchbrach die ungemütliche Stille und Rist sah fragend auf. “Es wird dunkel und Apfelstrudel ist heute mit dem Zelt und all den anderen Sachen abgehauen…”, erklärte die Frau ihre Frage sogleich. Sie könnten also kein richtiges Lager aufschlagen, hatten keinen Proviant, keine Feuersteine und kein Geld. Oh, und sie hatten nach ihren letzten Aufträgen in Rogne doch so viele Münzen in den Rucksäcken gehabt! Die Kurzhaarige wollte gar nicht darüber nachdenken, was sie sich davon hätten leisten können. “Wir finden ihn schon wieder. Pferde kommen doch meist früher oder später zu einem zurück.”, hoffte Hjaldrist “Lass uns heute noch bis nach Sodden gehen. So weit kann es ja nicht mehr sein und ich bin nachts lieber in Stadtnähe, als in der Wildnis unterwegs,” Die Frau aus Kaer Morhen nickte, war jedoch nicht besonders optimistisch und seufzte entnervt. Sie sah erst wieder auf, als sich wenig später Hufgetrappel, Lampenscheppern und das Knarren von großen Wagenrädern näherten. Anna sah sich flüchtig um, als der Wagen mit der daran angebrachten Öllampe immer näher kam. Dies langsam und so, als habe es dessen Besitzer nicht sonderlich eilig. Gediegen trieb der Mann mit dem Strohhut am Kopf und dem blonden Vollbart im Gesicht den knarzenden, fast leeren Karren dann auch an den Abenteurern vorbei. Er hob den Hut im stummen Gruß und fuhr weiter. Das aber nur mehr für wenige Fuß. “Hoo!”, machte der ältere Mann am lederbezogenen Bock des alten Wagens dann und die Hexerstochter sah, wie er die Zügel seines braunen Warmbluts straffzog. Das Pferd mit dem buschigen, weißen Fell an den Füßen schnaubte, beutelte den Kopf und blieb stehen. Der Fremde wandte sich auf seinem Platz sitzend um, um abwartend zu den Zweien zu blicken, die zu Fuß gingen. “Wohin seid ihr unterwegs, junge Leute?”, fragte der Kerl nicht ohne einen skeptischen Ausdruck im Gesicht zu haben. Denn jeder, der Anna und Rist gerade gesehen hätte, hätte sich wohl seinen Teil gedacht. Sie hatten blau geschlagene Visagen und keinerlei Gepäck - außer ihren Waffen, verstand sich. Die dunklen Augen des Bauern wanderten kurz an den Reisenden runter und wieder hoch. Er zog eine Augenbraue in die Höhe und kaute auf einem Weizenhalm herum. Der Schein seiner rostigen Lampe fiel ihm auf das Gesicht. “Sodden.”, gab Anna knapp zurück und blieb, beim Wagen angekommen, stehen. Hjaldrist tat es ihr gleich. Sein blaues Auge war dick zugeschwollen und er versuchte angestrengt zu blinzeln. “Zu Fuß?”, wollte der Fremde mit dem Hut wissen “Das ist noch ein ganz schön weites Stück. Etwa sechs Meilen. Und es ist schon dunkel.” Anna schwieg auf diese offensichtliche, ausgesprochene Tatsache einfach. Widerworte fand sie eben keine und eine Zustimmung wäre überflüssig gewesen. Der Fremde musste schmunzeln. Es war ein freundlicher Ausdruck. “Ihr seht ganz schön mitgenommen aus. Wenn ihr wollt, ja, dann könnt ihr auf meinem Wagen mitfahren. Ich bin zufälligerweise nach Sodden unterwegs.”, bot der Bauer lieb an und die argwöhnische Giftmischerin taxierte ihn eingehend. Das Angebot dieses Bärtigen war sehr nett, wirklich. Es erschien wie ein glücklicher, zu guter Zufall. Dennoch musste sich die Frau wundern. Denn welcher normale Mensch fuhr im Dunkel, allein und unbewaffnet durch die Gegend? “Nun? Kommt ihr?”, fragte der Karrenbesitzer mit den Lachfalten in den Augenwinkeln nach “Keine Angst, ich verlange nichts dafür. Aber der Ehrlichkeit halber gestehe ich, dass ich beruhigter wäre, wenn ich Zwei, wie euch bei mir hätte.” “Wie?”, Anna verstand nicht so ganz und auch der matte Hjaldrist runzelte die Stirn tief. “Na, ihr habt Waffen. Und dafür, dass ihr mich im Ernstfall beschützt, nehme ich euch mit nach Sodden. Mein Angebot an euch ist also nicht so ganz uneigennützig.”, sagte der sonnengegerbte Kerl frei heraus und räusperte sich. Er wirkte dezent nervös dabei. Rist warf seiner Freundin einen bedeutsamen Blick zu und jene zuckte zögerlich mit den Schultern. Dann nickte sie und richtete die Aufmerksamkeit auf den Landwirt zurück. “Gut. Danke…”, entkam es ihr und sie trat vor, um auf den hölzernen Karren zu steigen. Die Ladefläche war so gut wie leer. Nur ein einsames Fass und etwas Weizen für das große Arbeitspferd befand sich darauf. Anna setzte sich, Rist kam neben sie und der Ältere mit dem Strohhut lächelte zufrieden. “Warum seid ihr überhaupt so spät unterwegs? Nachts ist es auf den Straßen nicht besonders sicher.”, wollte die neugierige Trankmischerin wissen und setzte sich etwas bequemer hin. Mit dem Rücken voran lehnte sie sich an das Fass, das schwer mit irgendeinem Gut befüllt zu sein schien. “Tjaja…”, schnaufte der Bauer und nuschelte dabei des Halmes in seinem Mund wegen. Er gab seinem Pferd die Zügel. Mit einem Schnalzen der Zunge trieb er es an und der ganze Karren setzte sich gemächlich ächzend in Bewegung, begleitet von dem leisen Quietschen der eingedellten Laterne. “Ich hatte bei meinem Schwager in Dillingen Geschäfte zu erledigen. Auf halbem Weg zurück gab es aber Probleme. Ein Troll hat die Straße versperrt und niemand wagte sich zu weit in seine Nähe. Es hat ewig gedauert, bis jemand kam, der ihn vertrieben hat. Daher wurde es spät.” Anna’s Miene wurde ein Stückchen weit finster. Denn als der Blonde von Leuten sprach, die sich des besagten Trolls angenommen hätten, musste sie unweigerlich an die Greifen denken. An Veit, diesen Hurensohn. Sie fragte nicht weiter. “Und Ihr lebt in Sodden?”, hakte sie stattdessen interessiert nach. “In einem kleinen Vorort der Stadt, ja. Denn IN der Stadt wäre für meine Weizenfelder kaum Platz.”, lachte der gutmütige Bärtige mit dem langen Halm aus Stroh zwischen den Zähnen “Aber ihr werdet ja sehen. Mein Name ist übrigens Benjamin Bruck. Freut mich sehr.” Die drei, Benjamin, Rist und Anna, kamen auf dem alten Wagen mit den knarrenden Rädern nicht allzu weit, bis der Bauer sein Pferd wieder zügelte. Oder eher: Zügeln MUSSTE. Die Hexerstochter, die auf der Ladefläche des Holzkarrens lehnte, sah fragend auf. Gleichzeitig stieß sie Hjaldrist, der neben ihr lehnend eingenickt war, mit dem Ellbogen an. Sofort schreckte der Skelliger hoch und die Stimme eines Fremden tönte durch die Sommernacht. “Halt!”, maulte der “Wegzoll!” Anna murrte wissend und wandte sich, um sich hoch zu hieven und im Lampenschein über Ben’s Schulter zu lugen. Der Mann mit dem Strohhut wurde äußerst unruhig und stotterte. “Wegzoll?”, fragte er naiv “Hier… hier gab es nie einen Wegzoll zu entrichten. Und ich befahre diese Straße schon seit… seit zehn Jahren!” “Heut gibt’s aber Wegzoll!”, keifte der dreiste Typ vor dem Wagen. Er saß auf einem braunen Pferd, das Anna nur zu bekannt vorkam: Apfelstrudel. Hinter ihm standen drei weitere Männer in den Rüstungen der nilfgaarder Armee. Woher sie die auch immer hatten, denn selbst ein Blinder hätte bemerkt, dass diese dreckigen Halunken keine Soldaten Emhyrs waren. Anna verzog das Gesicht wenig begeistert, als ihre Augen an den schief montierten Schulterplatten des Anführers der Bande hängen blieben. Die Panzer hingen nur deswegen so schräg, weil er seine Halsberge, an der sie mit ledernen Riemen befestigt waren, verkehrt herum trug. Oh, herrje. Auch Rist hatte mittlerweile realisiert, was lief. Er war zu Anna gekommen, stützte sich leicht auf ihre Schulter und sah ebenso nach vorn, um die Wegelagerer zu taxieren. Er stutzte heftig, als er sein Pferd erkannte, das die Schurken gefunden haben mussten. Doch er fasste sich schnell wieder. “Was für Idioten.”, hörte die Alchemistin ihren Kumpel murmeln. Dann erhob der Undviker auch schon hastig die Stimme. “He!”, blaffte er “Lasst uns vorbei oder ihr könnt was erleben! Ach, und lasst uns den Gaul da!”. Der mit der verkehrten angelegten Halsberge zuckte zusammen und sah von Benjamin fort, hin zu Rist und seiner Freundin mit der geröteten Nase. Letztere wusste nicht, ob sie böse dreinsehen oder lachen sollte. Da erhob sich Hjaldrist schon, selbstbewusst wie eh und je, und sprang vom Karren. Normalerweise, da hätte er es wohl nicht so eilig gehabt. Doch die falschen Nilfgaarder hatten sein Reittier und damit sicherlich auch all sein Gepäck. Würden sie abhauen, dann wäre beides wieder verloren. Anna hörte, wie der zitternde Landwirt, der die Zügel verkrampft festhielt, erleichtert aufatmete. “Oh, euch hat die Große Mutter geschickt…”, wisperte Benjamin dankbar in sich rein. “Was? Willst du Ärger, Bürschchen?”, maulte der falsche Nilfgaarder mit cintrischem Akzent weiter. An dem Rucksack, den einer seiner Typen trug, leuchtete eine gespenstisch grüne Lampe. Anna’s Laterne. Sie war ihr schon längst aufgefallen. “Nein, aber ihr bekommt gleich welchen!”, konterte Hjaldrist. Hinter ihm kletterte nun auch die Frau aus Kaer Morhen vom Holzwagen und zog augenblicklich das Stahlschwert. Herr Halsberge gab sich aber wenig beeindruckt und lachte schadenfroh, ließ seine gelben Zähne blitzen. Auch seine Kollegen grinsten dämlich. “Ein halbstarker Junge und ein Mädel in Männerkleidung. Wie bedrohlich!”, schmunzelte der Bandit, machte dann wieder ein ernstes Gesicht und deutete mit dem Kinn in die Richtung der zwei Abenteurer “Los, Jungs! Haut denen noch ein paar blaue Augen! Und zerschlagt die Räder des Karrens!” Hjaldrist und Anna warfen sich einen kurzen Blick zu. Und dann stürzten sie sich den Angreifern brüllend entgegen. Stahl klirrte, Schneiden ächzten gegeneinander. Irgendjemand fiel rüstungsscheppernd zu Boden, ein Anderer fluchte laut. Man sah, wie Anna das Schwert im Halbkreis herum schwang und wie Rist’s Axtblatt verheerend niedersauste. Bis zu den Wagenrädern kamen die überheblichen Wegelagerer nicht einmal mehr. Und auch ihre falsch getragenen, gestohlenen Rüstungsteile halfen ihnen nicht viel, denn die erfahrenen Abenteurer wussten genau, wo sie hinschlagen oder stechen mussten. Obwohl Anna und Rist noch immer geschafft waren und wie getreten aussahen, dauerte es keine fünf Minuten, da war der mit der Halsberge tot, einer seiner Leute verletzt, der andere bewusstlos geschlagen und der verbliebene Bandit ergab sich soeben. Er bettelte um sein kümmerliches Leben, als er sein gestohlenes Schwert wegwarf und sich auf die Knie fallen ließ. Benjamin kam aus dem Starren und Staunen nicht mehr heraus. Er betrachtete die Szenerie sprachlos. Hjaldrist ging sofort zum scheuenden Apfelstrudel und erwischte ihn am Halfter, zerrte daran und versuchte das Pferd zu beruhigen. Anna stand derweil vor dem, der panisch bettelte und sah entnervt auf ihn hinab. “Hört auf mit dem Geflenne.”, schnaubte sie “Das ist ja erbärmlich.” Sie trat das Langschwert des Gauners, das unweit am Boden lag, aus der Griffweite des Fremden mit dem gestohlenen, schwarzen Torsopanzer. “Und schafft den Dreck hier aus dem Weg, sonst fahren wir mit dem Wagen drüber.”, die Kurzhaarige zeigte auf den reglosen Toten, den stöhnenden Verletzten und den Ohnmächtigen. Sofort erhob sich der kreidebleiche Mann nickend, stolperte beinah und lief um sein Leben, anstatt seinen zwei übrigen Kollegen zu helfen. Feigling. Anna sah ihm abschätzig nach und hielt es für vergeudete Zeit diesem Narren hinterher zu hetzen. Sollte er doch rennen. Denn er hatte eh keinen der beiden Rucksäcke der Novigraderin und des Skelligers. “Oh Mann.”, fiel es Hjaldrist dazu nur noch ein. Er hatte sich, mit seinem Pferd am Zügel, genähert und kam neben seine Freundin. Sie seufzte ungläubig und schüttelte den Kopf. “Aber immerhin haben wir unsere Sachen wieder.”, grinste der Jarlssohn schmal und Anna nickte zufrieden. Sie hoffte, dass tatsächlich noch alles da sei. Besonders ihre gefüllten Trankfläschchen mit dem lilafarbenen, bitteren Absud, den sie in Oxenfurt penibel und lange angerührt hatte. Jener beinhielt seltene, teure Kräuter und es wäre nicht nur deswegen schade um ihn gewesen. Denn Anna hatte nämlich noch vor ihn zu einer passenderen Zeit und an einem gelegeneren Ort zu trinken. * Der weitere Weg gen Caed Myrkvid verlief mehr oder weniger ruhig. Eine ganze Woche hatten Anna und Rist damit zugebracht zu reisen. Dazwischen hatten sie immer wieder einmal gerastet. Dies entweder in kleinen Dörfern oder aber einfach nur in ihrem Zelt. Anfangs hatte sich dies seltsam angefühlt. Ohne Lin, der die kleine Gruppe immer begleitet hatte, hatte es so angemutet, als fehle irgendetwas. Es war so still gewesen, so leer. Doch mit der Zeit hatten sich die beiden Vagabunden daran gewöhnt wieder nur zu zweit zu sein. Zu zweit, mit ihren Pferden. Ja, tatsächlich hatte Anna in Sodden ein Schnäppchen gemacht. Sie hatte sich für einen Bruchteil der Pferdepreise in Cintra eine Schimmelstute gekauft. Grund dafür war nicht etwa das Alter des Tieres oder eine Behinderung gewesen, sondern das recht eigene Wesen des Vierbeiners, den Anna liebevoll auf den Namen ‘Salamireserve’ getauft hatte. Die sture Stute war nämlich bissig und eigensinnig. Sie trat auch gern einmal aus oder bockte, wenn man sich auf sie setzen wollte. Und daher hatte deren früherer Besitzer Schwierigkeiten damit gehabt sie zu vermitteln. Anna, der war dies nur gelegen gekommen. Leider. Denn schon nach einem Tag der Reise hatte die Frau beschlossen den Gaul eigenhändig zu Salami zu verarbeiten sobald sie ihn nicht mehr benötigte. Tja. So gerne hatte sie ihr neues Pferd, das bereits ein paar Mal gefährlich nach ihr geschnappt hatte... Abgesehen davon hatten Hjaldrist und seine Kumpanin auf ihrem Weg nach Toussaint zwei Hexeraufträge erledigt. Den einen mit Bravour, den zweiten mit mehr Glück, als Verstand. Der erste war ein Kikimoren-Auftrag in Riedbrune gewesen. Die motivierten Abenteurer hatten vier der besagten Rieseninsekten den Garaus gemacht, deren Nest grölend und lachend in die Luft gejagt und dafür kein schlechtes Geld kassiert. Die zweite Aufgabe hatte darin bestanden ein Rudel Bargeste aus einer verlassenen, nebelverhangenen Villa am Rande Belhavens zu verscheuchen. Aus einer Villa mit vielen eingestürzten Treppenhäusern und morschen Böden, wohlgemerkt. Anna hatte sich während der Bargest-Jagd - bei einem Sturz aus zwei Metern - einen Knöchel dermaßen verstaucht, dass sie nun, drei Tage später, noch immer stark hinkte und es daher nicht wagte den Caed Myrkvid zu betreten. Denn man wusste ja nie, welche Kämpfe darin auf einen warteten. Außerdem war der dunkle Forst an manchen Stellen zu Pferd sicherlich so unzugänglich, dass man zu Fuß wandern müsste. Das war ungünstig für jemanden, der nicht schmerzfrei auftreten konnte. Und daher hatten sich die Monsterjäger in der ‘Grünen Libelle’ nahe des Flusses Sans Retour eingemietet. Hier hatten sie den Caed Myrkvid nahezu vor der Nase. Es war frustrierend. Und Anna langweilte sich zu Tode. “Vielleicht sollten wir zuerst nach Beauclair reiten und dort nach dem Alchemisten fragen, mit dem du sprechen willst…”, schlug Hjaldrist vor “Zumindest müsstest du dort nicht durch einen Wald laufen und kämst zu Pferd vor jede Haustür… denke ich. Ich habe nämlich gehört, dass dort alle Straßen penibel gepflastert sind.” Die Hexerstochter sah auf, als ihr Begleiter sie ansprach. Es war später Nachmittag und Rist war erst vor wenigen Minuten vom Markt in Belhaven zurückgekommen. Der Jarlssohn hatte ein paar Kleinigkeiten besorgt: Nüsse, Süßkram und neue Hemden. Anna hatte den heutigen Tag im Gegenzug lesend und die Zeit mit Häkeln totschlagend auf dem Zimmer verbracht. Und sie hatte hin und her gedacht, eine kleine Glasphiole zwischen den Fingern rollend. Das Fläschchen, das mit einem lila Absud gefüllt war, lag noch immer auf ihrem abgegriffenen Nachttischchen. “Hmmm…”, machte die Monsterjägerin, die in leichter Hose und luftigem Hemd herumlungerte, und ihre müde Miene nahm etwas Nachdenkliches an. Sie hob den Blick etwas und sah gedankenvoll vor sich hin. Das saubere Tavernenzimmer mit den zwei Betten darin war relativ geräumig. In einer der Ecken gab es einen alten, hölzernen Tisch, der an einen Kleiderschrank grenzte, den Rist und Anna bereits in Beschlag genommen hatten. Auf einer mickrigen Kommode lag zur Zierde ein Spitzendeckchen, wie sie alte Mütterchen liebten. Und auf diesem weißen Deckchen stand eine kitschige Vase mit frischen Blumen. Die verhältnismäßig junge Wirtin des Gasthauses war sehr bemüht und bestückte ihre Mietzimmer jeden Mittag mit einem kleinen, frischen Strauß aus ihrem eigenen Garten. Ihr Mann stand ihr in dieser Motivation in Nichts nach und kümmerte sich mit Eifer um Speis und Trank. Selten hatte Anna in einer einfachen Taverne so gut gegessen, wie hier. “Ich weiß ja nicht.”, meinte die seufzende Novigraderin nun zur Antwort. Rist hängte seinen Mantel über einen der Stühle, die da vor dem Tisch im Raum standen, und setzte sich wohlig seufzend. Er war lange unterwegs gewesen. “Wir verschwenden hier nur Zeit.”, meinte der Undviker richtig “Nicht, dass wir es eilig hätten, aber immerhin würdest du nicht tatenlos herumsitzen müssen, wenn wir gen Beauclair reiten.” Anna nickte, denn sie verstand, was ihr Freund meinte. Und dennoch wollte sie zuerst lieber nach den Druiden sehen, als in die Hauptstadt zu reisen. Denn irgendetwas sagte ihr, dass sie mit den Mistelschneidern mehr Glück hätte, als mit einem Trankmischer in Beauclair, von dem sie noch nicht einmal den genauen Namen kannte. Ja, und eventuell kannten die Druiden ihn ja sogar. Oder? Ob er überhaupt noch lebte? “Ich hätte noch eine weitere Idee.”, meinte Anna nach ein paar Momenten des bedächtigen Schweigens. Ihr Kumpel, der sich die Stiefel von den Füßen zog, sah fragend auf. “Wir bleiben noch etwas. In ein, zwei Tagen ist mein Fuß sicher wieder in Ordnung.”, fing die selbstsichere Frau aus Kaer Morhen an “Und in der Zwischenzeit, naja, nehme ich das, was ich da in Cintra gebraut habe.” Rist hob die Brauen. Sein Blick fiel sofort auf das Fläschchen auf Anna’s altem Nachtkästchen. “Ich habe darüber nachgedacht. Ich trage es nun schon seit fast zwei Wochen mit mir herum und überlege, wann ich es denn am besten trinken sollte.”, gab die Kurzhaarige zu und fühlte sich ein wenig dämlich dabei. Sie wusste auch nicht so recht wieso. Vielleicht, weil sie nach wie vor befürchtete, ihr bester Freund könnte sie doch noch als hoffnungslose Spinnerin betrachten. Das wollte sie nicht. “Im Caed Myrkvid sollte ich das jedenfalls nicht tun. Ich habe keine Lust darauf, dass die Druiden mich zu neugierig betrachten oder irgendetwas passiert, womit ich ihre Wut auf mich ziehe.”, setzte Anna ihren Monolog fort. Rist fiel ihr nun feixend ins Wort. “Meinst du, du verwandelst dich diesmal in einen Drachen und fackelst ihnen ihre geliebten Bäume ab?”, grinste er. Die Kämpferin mit dem schmerzenden Fußgelenk musste leise lachen. “Nein… aber dennoch weiß man ja nie, was passiert.”, antwortete sie und das Schmunzeln war dabei noch immer nicht aus ihrem erhellten Gesicht gewichen. Sie setzte sich etwas gerader hin, stellte die Beine vor das Bett und streckte die steifen Knie ein wenig. Ihr rebellierender Fußknöchel steckte in einem dicken Verband, den sie zweimal täglich wechselte, um sich Salbe auf das leicht geschwollene Gelenk schmieren zu können. “Ach, erzähl.”, schnaufte der Jarlssohn. Anna kratzte sich betreten am Hinterkopf. “Und in Beauclair will ich auch nicht herumexperimentieren. Daneben werden wir dort so und so sehr damit beschäftigt sein unseren Alchemisten zu suchen. Außerdem sind die Tavernenzimmer dort sicherlich sehr viel teurer, als hier. Meinst du nicht?”, schätzte Anna. Sie sah vorsichtig zu ihrem Freund hin, der ihr aufmerksam zuhörte. “Also… nachdem ich gerade mehr oder weniger nichts machen kann und wir eh nur darauf warten, dass mein Knöchel wieder verheilt ist, könnte ich das hier also schlucken.”, sie deutete auf die Phiole, die mit einem Trank aus verdammt seltenen Kräutern gefüllt war. Es war keine ganze, angepasste Kräuterprobe per se. Nur wieder ein Hundertstel eines Teils davon. Anna wollte wie immer wissen, wie weit sie gehen könnte und wie viel sie von dem Gift vertrug. Und sollte es gut laufen, dann könnte sie demnächst mehr davon nehmen und immer weiter gehen. Nun, da kein Druide, der Tiertransformationen liebte, in den Brauprozess involviert gewesen war, war sie optimistisch. In einen Fuchs würde sie sich sicherlich nicht wieder verwandeln. Und auch in kein anderes Geschöpf. Dessen war sie sich sicher. Hjaldrist starrte das Trankfläschchen noch immer skeptisch an. Er gab einen nachdenklichen Laut von sich, fuhr sich über das unrasierte Kinn. Und am Ende nickte er langsam. Anna’s Mundwinkel wurden von einem erleichterten Lächeln gekitzelt. “Immerhin kannst du mit deinem Knöchel nicht so schnell weglaufen, sollte irgendetwas Ungeahntes passieren. Das macht mir die Sache leichter.”, stimmte der Mann grinsend zu. Er war zwar ein wenig nervös, das sah man, doch es lag ihm mittlerweile fern Anna in ihre wichtigen Kräuterproben-Pläne hineinreden zu wollen. Und mit dem Vorhaben, das sich mit den besagten Plänen verschränkte, warteten sie heute bis nach dem Abendessen. Nachdem der Absud, den Anna in Cintra zusammengemischt hatte, alles andere als magenfreundlich war - oder sie dies annahm -, hatte sie vor einer guten halben Stunde ein paar belegte Brote und etwas Haferbrei mit Honig verputzt. Und nun saß sie wieder auf ihrer Bettkante und hatte ihr wertvolles Fläschchen in der Hand, auf das sie die vielen letzten Tage über so gut aufgepasst hatte. Sie entkorkte es und warf ihrem Freund, der wiederum auf seinem Bett direkt gegenübersaß, einen bedeutungsvollen Blick zu. Hjaldrist nickte, hatte eine ernste Miene aufgesetzt. Dann trank die Novigraderin. Doch nur die Hälfte der zähen, lila Flüssigkeit. Äußerst bitter lief der Frau das dicke Zeug die Kehle hinab und ließ sie angewidert erschaudern. Sie murrte unzufrieden, steckte den kleinen Korken wieder in ihr Glasfläschchen und legte den Rest des Trankes fort. Ein schaler Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus und machte ihn staubtrocken, der Magen der Frau fühlte sich für einen Moment so an, als ziehe er sich zusammen. Einen Herzschlag lang glaubte Anna sogar, sie müsste sich übergeben. Sie würgte einmal trocken. Doch dann war es auch schon wieder vorbei und sie blinzelte überfordert. Ruhig flackerten zwei Lampen, die ein warmes Licht in den Raum warfen und ein sanftes Orange an die Wände malten. Es wurde allmählich dunkel draußen. “Alles gut?”, hörte man Rist kritisch fragen. Die tranige Kurzhaarige sah daraufhin auf und nickte zögerlich. Ja… es war gut. Ihr war schon gar nicht mehr übel und ihre Eingeweide schienen sich wieder zu entspannen. Sie bekam bloß einen ziemlich großen Durst und ihre Zunge klebte sich staubtrocken an ihren Gaumen. “Äh.”, entkam es ihr “Hast du Wasser da?” Hjaldrist runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf und erhob sich ohne, dass Anna ihn erst darum bitten musste. “Ich hole welches.”, versicherte er “Und du bleibst schön hier sitzen, verstanden? Rühr dich bloß nicht weg.” Anna nickte geduldig und sah dem Skelliger im grünen Rock dann nach, als er unter dem Knarren des Holzbodens den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss. Sie atmete flach durch, sah zurück in das gemütliche Gästezimmer und fixierte wahllos einen Punkt auf dem abgetretenen, grünblauen Teppich. Dabei versuchte sie sich auf das zu konzentrieren was sie fühlte. Die verrückte Trankmischerin wollte nachvollziehen können, was ihr lila Absud mit ihr tat und wie er sie veränderte. Wenn er denn überhaupt etwas bewirkte, verstand sich. Denn mich Pech würde gar nichts geschehen. Leise schnaufte die Kurzhaarige, fasste sich prüfend an die trocken gewordenen Lippen und befühlte mit der Zunge den gefühllosen Gaumen. Sie schlug die braunen Augen nieder, lauschte und versuchte in sich zu hören. Sie hatte einen fürchterlichen Durst. Ihr Magen war ein wenig flau; so, wie nach einer durchgezechten, langen Nacht mit wenig Essen. Aber ihr war nicht schlecht. Sie war nicht einmal besonders aufgebracht und fühlte sich erstaunlich… normal. ZU normal für ihren Geschmack. Ungeduldig tippte Anna mit dem Finger neben sich auf der alten Matratze herum, öffnete die Augen wieder, verengte sie prüfend, sah um sich. Nichts. Sie fühlte nichts. Sollte sie ob dem frustriert werden? Hatte der Trank etwa nicht funktioniert? Oder käme noch etwas? War sie zu erwartungsvoll? Mist, verdammter… sie hasste es zu warten. Die ungeduldige Anna schnaubte pikiert und ließ sich langsam zurück, auf ihr Bett, sinken. Ihre Beine mit den nackten Füßen baumelten nach wie vor von dessen schmaler Kante. Und sie fixierte die altmodisch getäfelte Zimmerdecke, als suche sie dort oben nach irgendetwas. Hm. Erstaunlich. Dort gab es gar keine Spinnennetze. In allen anderen Gasthauszimmern, die sie je behaust hatte, hatte es die immer gegeben. Manchmal mehr von ihnen, manchmal weniger. Und- Anna zog die Brauen leicht zusammen und stockte auf einmal. Sie spürte urplötzlich, wie sie aus unerfindlichen Gründen aufgeregt wurde. Langsam aber sicher, da beschleunigte sich ihr Herzschlag. Es trieb ihr etwas Adrenalin ins Blut. Nicht so viel, dass sie gar hibbelig oder entrückt wurde, doch genau so viel, dass sie sich fühlte wie… na, als wie, wenn sie sich enorm auf irgendetwas freute. Noch immer starrte sie der spärlich beleuchteten Decke entgegen und wurde zunehmend nervöser. Ihre Stimmung kippte merklich: Von einfacher, unbegründeter Vorfreude in eine seltsam ähnliche, speziellere Richtung. Oh ja, ‘speziell’ traf es gut. Anna atmete tief und kontrolliert aus, als sie spürte, wie drängende Wärme ihre Lendengegend erfüllte und ihr den schwirrenden Kopf leichter machen wollte. Dieses Gefühl stichelte heftig, wuchs an. Und an dem Punkt, an dem die so abrupt erregte Frau begriff, was gerade mit ihr passierte, verkniff sie sich ein verhaltenes Fluchen. Sie blinzelte wie benommen, setzte sich sofort wieder hin und wurde unruhiger. Die Knie zusammenpressend stützte sie sich auf einem ihrer Oberschenkel ab und atmete noch einmal tief durch, als helfe ihr dies gegen das stichelnde Pulsieren in ihrem Unterleib. Tat es aber nicht. Und als Hjaldrist in diesem - man möchte meinen eher ungelegenen - Moment wiederkam, zuckte Anna zusammen, wie ein Einbrecher, den man auf frischer Tat ertappt hatte. Sie sah vorsichtig auf und beobachtete, wie der ruhige Undviker einen metallenen Krug auf dem Zimmertisch abstellte. Leise seufzend schüttete er daraus etwas in einen mitgebrachten Tonbecher. Anna’s Blick sank derweil einen Deut weit und sie biss sich fest auf die Unterlippe. Die Lüsternheit, die immer stärker in ihr aufwallte, beutelte ihren Geist und ließ ihr das Herz bis zum Hals schlagen. Es wühlte sie auf, machte ihr die Finger fahrig. Die Frau ruckelte unwohl auf ihrem Platz herum, als ihr die Hitze im Schritt die leichte Schlafhose, unter der sie für gewöhnlich nichts trug, feucht machte. Und wieder sah sie befangen auf, als sie plötzlich einen Becher vor die Nase gehalten bekam. “Da.”, meinte Hjaldrist gutmütig und drückte ihr das Ding in die Hand, ehe er weiter kommentierte “Der Schankraum ist schon wieder rappelvoll. Die haben gerade eben einen Typen rausgeworfen, der eine Schlägerei mit einem Bänkelsänger anzetteln wollte. Das nur, weil der Schund über diesen Emhyr gesungen hat.” Anna hörte ihrem gesprächigen Freund kaum zu und trank lieber schnell ihr Wasser aus. Ziemlich steif saß sie da, die Beine mittlerweile übereinandergeschlagen und mit glasigem Blick. Sie glaubte, sie werde noch wahnsinnig und hielt an sich, um nicht noch zu keuchen und sich damit zu verraten. Ja, normalerweise, da begrüßte man es doch, wenn man wuschig wurde, wie Nachbar’s Köter. Man holte sich dann jemanden, mit dem man dem nachgehen konnte oder kümmerte sich alleine darum. Es war eine angenehme Sache, so oder so. Aber nicht jetzt. Nicht, wo diese ungewollt künstlich erzwungene Hitze im Unterleib dermaßen plötzlich und heftig kam, dass es einem beinah schwindelig wurde. Und nicht, wo einem der beste Kumpel vor der Nase herumstand und damit anfing ziemlich forschend drein zu sehen. Oje... “Hm? Was ist?”, wollte Rist wissen und die benebelte Anna öffnete die Lippen, um etwas zu sagen. Doch sie schwieg. Sie bekäme gerade wohl wenig Vernünftiges heraus. “Willst du noch etwas zu trinken?”, fragte der Mann nach, als spräche er mit einem Kind, und nahm den Tonbecher seiner Freundin wieder an sich. “Nein…”, murmelte die arme Novigraderin bloß. Sie wusste nicht, wie sie aussah, doch offenbar löste ihr Ausdruck in dem anwesenden Undviker zuerst irritierte Besorgnis und dann eine eigenartig morbide Faszination aus. Anna’s Blick wanderte an dem Krieger in der grünen Tunika runter und wieder hoch, sehr langsam. Und unweigerlich kam ihr dabei in den Sinn, dass sie noch nie mit einem Mann geschlafen hatte. Sie hätte im Normalfall auch nicht daran gedacht, denn sie hatte Besseres zu tun, doch in diesem Moment trieb sie ihre angefachte Fantasie dazu sich zu fragen, wie dies wohl sei. War es sehr viel anders als ein Mädel flachzulegen? Tat es weh? Hatten Kerle überhaupt eine Ahnung davon, wie man Frauen richtig anzufassen hatte oder achteten sie beim Sex nur auf sich selbst? Anna befeuchtete sich die trockenen Lippen flüchtig mit der Zunge, suchte schwer atmend Blickkontakt. War Rist eigentlich schon immer so hübsch gewesen? Ja… ja, war er. Sie hatte sich das schon sehr oft gedacht. Aber nicht SO wie gerade eben. Die Miene der Frau verrutschte etwas, wurde ziemlich angetan und eingenommen. Sie hob die Finger zögerlich an, fasste nach vorn und erwischte den Stehenden dann am Handgelenk. Sanft und gleichzeitig bestimmend zog sie daran und machte damit unmissverständlich klar, dass sie wollte, dass der Dunkelhaarige zu ihr kam. Jetzt. Einfach so. Und in ihrem Kopf, da waren sie schon sehr viel weiter. Man sah ihr diese Gedanken auch an, so eindeutig lüstern, wie sie gaffte. Hjaldrist stutzte ob dem heftig, wirkte etwas überfordert und gab seiner überreizten Kollegin erst einmal nicht nach. Stattdessen blieb er einfach stehen und musterte Anna eingehend, ehe sein Blick allmählich verriet, dass er längst verstanden hatte, was hier geschah. Er hätte deswegen beinah ungläubig gelacht. Doch er verkniff es sich und fing augenscheinlich damit an mit sich zu hadern, nachzudenken, abzuwägen. Angestrengt. Jedenfalls sah er Anna genau so entgegen. Doch die aufgewühlte Trankmischerin ließ ihn nicht los, dachte nicht einmal daran. Die zwingende Wollust, die sie gepackt hielt, wurde fast unerträglich, verwehrte ihr mittlerweile längst das klare Denken und die abwehrende Einstellung gegenüber Männerkörpern. Eine Einstellung, wegen der Rist sonst stets das Zimmer verlassen musste, wenn sich Anna umziehen wollte. Oder eine, wegen der sie den Skelliger für gewöhnlich behandelte, wie einen großen Bruder: Völlig platonisch, ohne jegliche Hintergedanken. Doch, oh, Hintergedanken, die hatte sie nun. Und was für welche. Sie war beinah soweit jene auch schamlos auszusprechen und den unschlüssigen Hjaldrist direkt darum zu bitten ihr den mickrigen Rest des erweichten Hirns aus dem Kopf zu bumsen. Dass er ein Mann war? Egal. Dass Anna keine Erfahrung mit den selbigen hatte? Einerlei. Alles, was gerade zählte, war diese fieberhafte, berauschende Erregtheit in ihren Lenden und das warme, feuchte Gefühl zwischen ihren Schenkeln. Daher holte sie mit gläsernen Augen Luft für eine derbe Bitte. Rist aber, der schüttelte schnell den Kopf und bedeutete ihr damit bloß die Klappe zu halten. Dann kam er neben sie auf die Bettkante. Im ersten Moment, da glaubte die enttäuschte Anna, er würde sich abwenden und sie ermahnen oder eine Idiotin zu schelten. Doch nein, stattdessen saß er der Hexerstochter nun zugewandt da und sah ihr gespannt abwartend entgegen. War das… ein Angebot? In ihrem fragwürdigen Zustand fasste die unruhige Novigraderin es einfach als eines auf; als Gelegenheit, die sie beim Schopfe packen MUSSTE. Sie beugte sich dem Undviker also entgegen ohne die braunen Augen zu schließen, legte den Kopf einen Deut schräg und kam ihm so nah, dass sie seinen warmen Atem im Gesicht spüren konnte. Dann war da auf einmal seine Hand in ihrem Nacken. Sie erschauderte schon ob dieser simplen Berührung sehr und sah, wie der Krieger deswegen ungläubig schmunzeln musste. Und dieses schiefe Lächeln in dem schönen Gesicht reichte aus, um die ohnehin schon so niedrige Hemmschwelle der ergriffenen Frau in die tiefsten Abgründe zu schubsen. Sie schlug die Lider nieder und küsste Rist ohne sich zurückzuhalten so innig, als habe sie jahrelang auf diesen Moment gewartet. Ausgehungert tat sie das und hätte der bedrängte Skelliger sie nicht etwas im Zaum gehalten, hätten Zähne bestimmt auf Zähne geschlagen. Er öffnete die Lippen und ließ es positiv überrascht seufzend zu, dass ihm die Novigraderin die Zunge in den Mund schob. Der Viertelelf spielte dieses verquere Spielchen mit; bereitwilliger, als es sich eine nüchterne Anna jemals gedacht hätte. Nur jetzt, da sann die stürmische Kurzhaarige kaum darüber nach, wie sich ihr bester Freund wohl gerade fühlen mochte. Es war ihr nämlich einerlei. Ohne von seinen verlockenden Lippen abzulassen, kam sie auf seinen Schoß und riss ungeduldig an seinem weißen Hemd, zwängte ihn zurück und beugte sich über ihn. Und der Jarlssohn ließ es geschehen. Es war für die Jüngere ungewohnt beim Küssen einen kratzigen Dreitagebart und raue Lippen anstatt eines dick geschminkten Mundes zu spüren, doch es war kein schlechtes Gefühl. Im Gegenteil, denn es machte sie nur noch neugieriger. Und, diese Nebensächlichkeiten beiseite, war das hier doch am Rande so, als würde man mit einer Frau schlafen. Ja, es war für Anna nichts Neues. Sie war oft genug mit irgendwelchen Mädchen in der Kiste gelandet und hatte dabei auch Spaß gehabt. Genauso, wie jetzt. Erstaunlich, wie leicht es ihr fiel sich nun an einen Mann zu drängen und ihn völlig herrisch für sich zu beanspruchen. Jedenfalls bis zu dem Punkt, an dem sie ihm die Hand gen Schritt schob. Als fiele ihr da ein ausschlaggebendes Detail ein, das sie ihres leichten Kopfes wegen vergessen hatte, hielt sie inne, als sie mit den Fingern an den ledernen Gürtel des Dunkelhaarigen stieß, und sah unsicher auf. Doch ehe sie sich selbst fragen konnte, ob sie weitermachen und was sie am besten wie tun sollte, schien ihr einfühlsames Gegenüber - oder in diesem Fall eher: ‘Gegenunter’ - zu verstehen. Rist’s Augenbrauen wanderten hoch und ihn schien eine glasklare Erkenntnis zu überkommen. Seine stechenden Augen betrachteten Anna für wenige schwere Atemzüge lang nachdenklich forschend. Doch dann nahm er plötzlich und wie selbstverständlich die Zügel in die Hand. Er erwischte die Kurzhaarige impulsiv an der Taille, dränge die hitzige Frau neben sich und kam über sie. Als erfülle ihn indessen dieselbe Lust, wie seine Freundin, gab er sich keine Blöße mehr und fasste unter Anna’s weites Hemd, als seine weiche Zunge deren Hals suchte. Sie keuchte, als sie gleichauf sanfte Fingerspitzen an der warmen Haut spürte; Berührungen, wie sie irgendwie nicht zu dem Hjaldrist, den sie bisher gekannt hatte, passten. Sie zerging förmlich unter dessen Händen, deren Haut vom vielen Kämpfen rau war. Und überaus willig ließ sie alles zu, was Rist da tat, krallte sich an seinem Oberteil oder den dunklen Haaren fest. Der schwere Atem des Mannes an ihrem Ohr tat den Rest, ließ sie wohlig erschaudern und aufseufzen. Sie dachte nicht einmal nach, als Rist ihr schließlich die lockere Hose von der Hüfte zog. Sie half gar mit, trat sich das Kleidungsstück energisch von den Füßen und zerrte den Undviker wieder in einen verlangenden Kuss, nachdem sie die Beine für ihn breitgemacht hatte. Sie spürte seine weiche Zunge an den Lippen und wie sein Ellbogen, mit dem er sich neben ihrem Kopf abstützte, die Matratze etwas niederdrückte. Anna öffnete die Augen halb und sah, wie Rist die seinen geschlossen hielt. Sie wusste nicht so recht wieso, doch sie musste verstohlen in den innigen Kuss hinein grinsen. Vielleicht, weil sie erkannt hatte, dass der undviker Krieger hieran Gefallen zu finden schien. Womöglich aber auch, weil sie ihn so kinderleicht dazu gebracht hatte mit ihr zu schlafen. Ihr wölfisches Schmunzeln erstarb jedoch schnell und wich einem überwältigten Blinzeln, als sie Momente später schon Finger im feuchten Schritt spürte, die genau wussten, was sie taten. Erst einen, dann zwei. Sie rieben sich an ihr und entlockten Anna ein verhaltenes Stöhnen. Sie tauchten tief in sie ein und die Hexerstochter tat geräuschvoll kund, dass ihr geschickter Kumpel damit am richtigen Weg war. Es war kurios. Denn obwohl die Braunhaarige in ihrem Leben noch mit keinem Mann geschlafen hatte, ertappte sie sich dabei mehr von dem spüren zu wollen, der hier auf allen Vieren über sie gebeugt war. Ja, die Angst vor dem Unbekannten wurde zu drängender Neugier und die Furcht vor Schmerzen von der Lust weggeblasen. Anna drückte das Kreuz durch und sich damit ihrem kurzhaarigen Freund entgegen. Sie sah, wie er die Augen ob dem aufschlug, um sie prüfend anzusehen. Rist zog die Hand zwischen den Beinen der Frau zurück, doch zögerte. Ahnte er etwas? Ja, ob er vermutete, dass die Giftmischerin noch keinen Mann gehabt hatte? Wahrscheinlich. Und dass er nicht sabbernd über die willige Anna herfiel, sondern sich gerade Gedanken zu machen schien, sprach für ihn. Es war fast schon niedlich und die schwer atmende Alchemistin unter ihm glaubte den Undviker in dem Moment abgöttisch dafür zu lieben. Oh, der Trank, den sie in Cintra zusammengepanscht hatte, war wirklich gut. Die Beine um Hjaldrist’s Hüfte schlingend zwängte sie sich dessen Lenden in einer stummen, doch direkten Aufforderung entgegen. Und ihr Herz schlug ihr bis zur Kehle, als sie dabei spürte, wie dem anderen die Hose längst zu eng war. “Mach…”, bat sie selbstsicher und dem Mann mit dem betörten Blick entkam etwas, das sich anhörte, wie ein leises, amüsiertes Lachen. Anna grub die Hände fest und überwältigt in das Laken, als Rist wenig später in sie eindrang. Und zwar genauso, wie sie es verlangt hatte: Nicht mehr mit den Fingern. Sie atmete tief ein und spürte, wie ihr ein bisher unbekannter, stechender Schmerz an der Wirbelsäule entlang nach oben jagte. Sie hielt den Atem überfordert an und verspannte sich, doch ließ gleich wieder locker, als der erregt seufzende Skelliger über ihr einfach weitermachte und sich ein viel stärkeres Gefühl über die vage ziehende Pein legte. Eines, das die unglaubliche Leidenschaft in ihr weiter anfachte, ungeduldig war und ihr vollkommen zu Kopf stieg. Eines, das ihr eine Gänsehaut über den gesamten Körper jagte. Ein schwaches Rot hatte sich auf ihre Wangen gelegt und Anna sah ihrem Freund voller besinnungsloser Begierde im Blick entgegen, als sie seine ganze, harte Länge in sich spürte. Rhythmisch, immer wieder. Es war seltsam, wie nah sie sich ihm dabei fühlte und das nicht nur körperlich. Und sie wollte mehr davon, bat den Westländer atemlos darum bloß nicht aufzuhören. Anna und Rist liebten sich in dieser Nacht, als hätten sie jahrelang mit niemandem geschlafen. Und sie taten es, als müssten sie sich für all die kommenden Jahre daran sättigen. Als hätten sie nie wieder die Gelegenheit auf Sex. Hjaldrist’s achtsame Hände führten, lehrten. Und seine unerfahrene Kumpanin ging verlangend darauf ein, forderte ihn wie im Rausch und das so geräuschvoll, wie das Kopfende des Bettes, das bei jeder festen Bewegung von Rist’s Hüfte an die vertäfelte Wand stieß. Der triebgesteuerten Anna war es indes egal, dass man sie hörte. Es war ihr einerlei, dass es ihr bester Kumpel und Bruder im Geiste war, mit dem sie sich zwischen den Laken wälzte. Gerade, da war das alles nichtig. Als Anna am nächsten Morgen erwachte, war es bereits hell im lauschigen Zimmer. Die Sonne schien zwischen den Vorhängen hindurch und warf warme Strahlen auf den Zimmerboden. Schlaftrunken seufzte die Frau, blinzelte und gähnte. Sie wollte sich langsam aufrichten und sich die Augen reiben, doch konnte nicht. Denn da war ein fremder Arm, der sie festhielt. Augenblicklich erstarrte die erschrockene Novigraderin und war sofort hellwach. Perplex weitete sie die Augen und ihr Kopf arbeitete auf Hochtouren. Sie musste gar nicht erst hinter sich sehen, damit sie die verstörend anregende Erinnerung an den gestrigen Abend wieder einholte. Sie rührte sich kein Stück weit, spürte einen ruhigen, warmen Atem im Nacken und einen Körper, der eng an ihren Rücken geschmiegt dalag. Bei ihr. In ihrem schmalen Bett. Ach du- Ach du Scheiße! Die Kurzhaarige hatte völlig auf das Atmen vergessen, als sie so dalag und realisierte, dass die keine Hose trug. Auch ihr Hemd saß schief und war ihr bis zum Kinn hochgerutscht. Sie war quasi nackt. Doch gerade dies störte sie in dieser heiklen Sekunde am wenigsten. Oh, bei Melitele! Sie sah vorsichtig an sich runter und erblickte die Hand, die da über der Bettdecke an ihr lag. Was… was sollte sie nun machen? Wenn sie Rist wecken würde, dann… dann wäre er wach! Und wenn er wach wäre, dann würde er sie sicherlich auf gestern ansprechen, verdammt! Anna atmete ganz tief durch, einmal, zweimal, doch es half nur wenig. Sie fühlte sich aufgelöst, doch ermahnte sich leise flüsternd selbst dazu einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht zu verhalten, wie eine frisch gevögelte Jungfrau. Also… im Grunde und in gewisser Art und Weise war sie das ja, aber- Anna zuckte zusammen, als der dösige Undviker hinter ihr irgendetwas brummte und sie losließ, um sich umzudrehen. So, dass er mit dem Rücken zu ihr lag. Sie linste zögerlich hinter sich, rückte ein Stück weit von Hjaldrist fort. Und dann richtete sie sich endlich auf. Dies über sich selbst den Kopf schüttelnd und auf einem verheißungsvoll feuchten Fleck auf dem Bettlaken sitzend, über den sie nicht genauer nachdenken wollte. Sie erschauderte unzufrieden und rutschte mit dem Hinterteil etwas zur Seite. “Scheiße, Mann…”, wisperte sie in sich rein und fuhr sich mit einer Hand über das überforderte Gesicht. Was sollte sie jetzt bloß machen? Warum hatte Rist gestern nur mitgemacht? Und was würde es aus ihrer Freundschaft machen? Würde es etwas ändern? Das wollte sie nicht! Wie beschämt grub die arme Frau das Gesicht an ihre Hände und seufzte verhalten. Am liebsten wäre sie just einfach im Erdboden versunken, doch leider war sie weder ein Maulwurf, noch eine Zauberin. “Hey…”, als Hjaldrist, der offenbar ebenso wach war, Anna ansprach, nahm die Novigraderin die Hände sofort von ihrem etwas geröteten Gesicht. Hatte sich dieser Arsch etwa nur schlafend gestellt? Und als sie zu dem Liegenden hin lugte, sah auch er her. Er wirkte noch dezent zerstört, denn die Nacht war lang gewesen. Sein Blick war aber verhältnismäßig wach und aufmerksam. “Das war komisch.”, endete der ehrliche Skelliger seine knappe, trockene Zusammenfassung der vergangenen Stunden dann auch gleich. Anna sah ihm teils überrascht, teils unbeholfen entgegen. Doch schnell mischte sich in diesen Ausdruck ein Funke der Erleichterung. Zudem störte sie sich noch immer nicht daran, dass sie hier verdammt knapp bekleidet saß. Denn, oh, Hjaldrist hatte gestern doch eh alles gesehen. Das auch noch von allen möglichen Blickwinkeln. Und angefasst hatte er es auch. “Ja… schon…”, hüstelte die Kurzhaarige leise und schaffte es nicht so recht dem Blick ihres Kumpels standzuhalten. Denn, ja, es war ziemlich ‘komisch’ gewesen, was sie getan hatten. Im Nachhinein gar befremdlich, eigenartig und falsch. Doch insgeheim, so viel musste sich Anna eingestehen, hatte es ihr gefallen. Rist war beachtlich gut im Bett und das musste man ihm lassen. Wie viele Frauen er wohl schon gehabt hatte? Sicherlich einige. “Lass uns das nicht nochmal machen.”, sagte der Mann weiter und es klang mehr nach einer Frage als nach einer Bitte. Anna nickte schnell und spürte, wie ihr ein zentnerschwerer Felsbrocken vom Herz fiel. Sie musste schwach lächeln, als sie sah, dass der lockere Undviker schon wieder dabei war in gewöhnlicher Manier zu schmunzeln. “Mhm. Das machen wir nicht wieder.”, versicherte sie und ihre Unsicherheit erschien gleich wie weggeblasen. Ja, die Sache von heute Nacht würde nichts an ihrer Freundschaft ändern. “Das war dein Erstes Mal.”, stellte Rist dann noch ganz dreist fest, als sei er sich dessen zu hundert Prozent sicher. Anna fühlte sich, als hätte er ihr gerade ein dickes Brett vor den Kopf geschlagen. Und genauso sah sie ihn nun auch an. “Was? Nein!”, empörte sie sich und die Worte entkamen ihr dabei auffallend schnell. “Hm. Echt nicht?”, wollte er skeptisch wissen und hörte nicht damit auf dämlich-wissend zu grinsen. “Nein.”, murrte Anna stur. Doch sie wusste, dass ihr Freund ihr nicht glaubte. Dafür kannte er sie und ihre Marotten einfach zu gut. Und natürlich witzelte er deswegen gleich weiter. “Ach so? Dann bist du also von der devoten Sorte. Stehst du drauf unterbuttert zu werden? Das hätte ich mir ja nicht gedacht, so, wie du am Anfang-” Weiter kam der viel zu offene Undviker aber nicht, denn Anna drückte ihm das Kissen hastig in die Visage, als wolle sie ihn mit dem daunengefüllten Stoffpolster ersticken. Und ganz, ganz kurz dachte sie tatsächlich daran dies zu tun. Nachdem Anna später ein wenig steif in den gemütlichen Schankraum gekommen war - und ihr leicht humpelnder Gang war nicht nur ihrem beleidigten Knöchel zuzuschreiben -, ließ sie sich bei Rist nieder, der schon längst an einem der kleinen Tische saß und in einen dampfenden Teebecher pustete. Der Mann sah über den Rand seines tönernen Trinkgefäßes auf und es war nach der vergangenen Nacht ein wenig seltsam ihm entgegen zu sehen. Denn auch, wenn Anna mittlerweile über dieses Gefühl hinweg war sich absolut betreten zu fühlen, hatte sie noch immer gewisse Bilder vor dem geistigen Auge. In diesen Bildern von vor einigen Stunden hatte ihr Freund sie auch angesehen. Aber nicht so, wie er es gerade tat - etwas müde und abwartend - sondern mit mitreißender Begierde im Blick. Lustvoll, ungezügelt und manchmal auch so seltsam sanft. Die Erinnerung daran machte Anna ein wenig unruhig, doch sie ließ es sich nicht anmerken. Stattdessen versuchte sie eine bequemere Sitzposition einzunehmen und lehnte sich seufzend zurück. “Bin ich müde…”, entkam es ihr, um die seltsame Stille zu brechen und ohne, dass sie davor so recht darüber nachdachte. Denn es gab schließlich einen guten Grund dafür, dass sie heute alles andere, als ausgeschlafen war. Und dieser verdammte Grund saß ihr gerade gegenüber und grinste schief in sich hinein. War da gar ein Funke Triumph im Blick des Skelligers? Also echt! Die pikierte Anna wollte schon genervt seufzen, da nickte ihr der Jarlssohn zu, als wolle er etwas hinter oder bei ihr andeuten. Irritiert verengte die Frau die braunen Augen, linste fragend über die Schulter zurück. Doch der Dunkelhaarige deutete auf Anna selbst. “Du hast da was.”, bemerkte er und die Angesprochene richtete die Aufmerksamkeit auf den Schönling zurück, der gar nicht mehr damit aufhörte äußerst belustigt zu schnaufen. “Was?”, fragte sie misstrauisch. Und daraufhin tippte sich Hjaldrist an den Hals. Genau an die Stelle, an der sein Gegenüber einen beachtlichen, roten Fleck hatte. Sofort verstand Anna und starrte wie ertappt, zog den Kopf etwas ein und fummelte sich den Kragen höher. So, als wolle sie den Knutschfleck an ihrer dünnen Haut verbergen. Wie ein kleines, dummes Mädel fühlte sie sich dabei und rollte mit den Augen. “Wie gemein...”, kommentierte sie vorwurfsvoll. Schließlich hatte sie den Nacken ihres besten Freundes heile gelassen. “Was dann? Gestern hat es dir noch gefallen.”, gluckste der Undviker schelmisch. Er war manchmal wirklich unglaublich! “Rist!”, maulte Anna protestierend und ein älteres, ziemlich genervt wirkendes Paar, das unweit saß, starrte böse her. Waren wohl die Zimmernachbarn. Obwohl sie nicht mehr die Jüngsten zu sein schienen, waren sie sicherlich nicht schwerhörig und hatten in der letzten Nacht mitgehört. Oh Mann... “Was gibt’s zu essen?”, fragte die Novigraderin dann nach einem betroffenen Räuspern, bevor ihr Kumpel auf die Idee kommen könnte irgendwelche anstößigen Witze zu machen. Es sah nämlich so aus, als wäre er drauf und dran dies zu tun. Also zog sie nun einen klaren Schlussstrich und wechselte das Thema. Zum Glück ging Hjaldrist auch darauf ein. “Rührei mit Speck. Hab schon für dich mitbestellt.”, meinte er und stellte seinen Teebecher auf den abgegriffenen Tisch. Anna nickte im stummen Dank. “Wie geht es deinem Knöchel?”, wollte der Undviker dann gleich wissen und die Giftmischerin wippte unter dem Tisch einmal kurz prüfend mit dem bandagierten, dick eingesalbten Fuß. Sie lächelte zufrieden. “Besser. Ich bekomme den Fuß mittlerweile wieder in den Stiefel…”, versicherte sie und war heilfroh darüber “Ich glaube, wir könnten auch heute schon wieder los und müssen nicht bis morgen warten.” “Hmm. Sicher?”, der Dunkelhaarige runzelte die Stirn tief und zeigte sich kritisch. Doch Anna nickte selbstsicher. Zwar tat ihr das Fußgelenk noch etwas weh, doch sie konnte wieder auftreten. Außerdem wollte sie nicht noch länger tatenlos herumsitzen. Sie musste dringend an die frische Luft. “Der Caed Myrkvid ist recht nah. Wenn man hinter dem Gasthaus auf den Hügel geht, kann man ihn schon in der Ferne sehen.”, erzählte Rist wissend. Er war die letzten Tage über oft draußen gewesen, während Anna sich kaum aus dem Tavernenzimmer gerührt hatte. Er hatte die Gegend sicherlich ein wenig erkundet und sich Belhaven angesehen. “Die Leute der Gegend warnen übrigens davor dorthin zu gehen. Sie sind der festen Überzeugung, dass dieser Wald der sichere Tod ist.”, schmunzelte der tollkühne Skelliger, der sich nicht viel um das dämliche Panikmachen der Kleingeistigen scherte. Er war mutig und mochte Herausforderungen. “Der Tod?”, grinste Anna, als die blonde Schankmagd herankam und ihnen beiden das Frühstück servierte. Erst an diesem Punkt angekommen realisierte die Novigraderin, wie hungrig sie war. Ihr flauer Magen hing ihr in den Kniekehlen und grummelte so laut, dass man hätte glauben können, hinter der schmalen Tavernenbank säße ein knurrender Wolf. Die Frau ächzte erleichtert, als sie zur Gabel griff und ihr der Duft der riesigen Portion Rührei mit Speck und Zwiebeln in die Nase stieg. Sie bemerkte gar nicht, wie die Tavernenbedienstete in dem schlichten Kleid Rist schöne Augen machte und sich dann mit puterrot angelaufenen Wangen umdrehte, um geschäftig von Dannen zu ziehen. “Japp, der Tod.”, erzählte Hjaldrist weiter und hatte es mit seinem Essen nicht ganz so eilig, wie Anna “Man munkelt, dort gäbe es einen Baum, der auf zwei Beinen herumläuft und alles erschlägt, das den Caed Myrkvid betritt.” “Oh.”, machte die Kurzhaarige unbeeindruckt und der Sarkasmus in ihrer Stimme war kaum zu überhören “Und ich dachte, die Druiden dort seien blutrünstige Hinterwäldler und Kannibalen. Aber wenn es nur ein Baum ist, der spazieren geht, ist ja alles in Ordnung.” Rist musste heiter lachen und steckte sich einen Happen Ei in den Mund, zog die Stirn kraus und gestikulierte knapp in die Richtung seiner Freundin. “Gib mir mal das Salz rüber.”, bat er mit vollem Mund nuschelnd, bevor die Frau ein kleines Fläschchen aus ihrem gut gefüllten Trankgürtel zog. Sie schob es ihm hin und der dankbare Undviker nickte anerkennend. Er bemerkte die Blicke der drei Leute am Nebentisch nicht, die ihn äußerst eigenartig musterten, als er das Glasfläschchen entkorkte und etwas von dem weißen, körnigen Gewürz daraus auf sein fettiges Essen rieseln ließ. Tja. Anna hatte sich hinsichtlich der Alchemie zwar sehr weiterentwickelt, doch das hatte nichts daran geändert, dass sie noch immer Salz und Pfeffer am Gürtel trug. Denn sie liebte Essen. Und nichts war schlimmer, als eine Speise, die zu schwach gewürzt war. So etwas ruinierte einem doch den Tag. Erst recht, wenn man sich auf einer langen, anstrengenden Reise nur von Trockenfleisch und zähem Brot ernährt hatte und zum ersten Mal wieder etwas Warmes zwischen die Kauleisten bekam. “Ein laufender Baum also, hm?”, meine Anna dann wieder etwas ernster. Sie runzelte die Stirn, während sie aß und nachdachte und tippte sich mit dem Ende ihres Bestecks gedankenverloren an das Kinn. “Es gibt Sagen, in denen solche Wesen vorkommen. Oft werden sie darin auch ‘Ent’ genannt. Aber außerhalb irgendwelcher Märchen habe ich noch nie von ihnen gehört, geschweige denn welche gesehen. Es gibt verwunschene Bäume, ja. Aber die laufen nicht herum.”, sinnierte die Ungeheuerjägerin, deren dickes Bestiarium in Kaer Morhen keine ‘lebenden’ Bäume aufgewiesen hatte. Oder hatte sie es schlichtweg vergessen? Nein. Das konnte nicht sein. “Sollte es dort also irgendein besonders starkes Waldwesen geben, dann könnte es zum Beispiel ein alter Waldschrat sein. Vielleicht gibt es aber auch Dryaden. Oder Kobolde, die Fremden Streiche spielen. Wir werden ja sehen. Bereiten wir uns einfach gut vor, dann wird uns schon nichts passieren.”, schlug die Kurzhaarige vor. “Du bist ja wirklich optimistisch.”, lächelte Rist schief. “Naja. Nur, weil sich ein paar Leute aus Belhaven wegen einer Sagengestalt im Wald in die Hosen scheißen, heißt das nicht, dass ich dem Forst auch fernbleibe.”, sie zuckte mit den Schultern und sah dann verstohlen neckend zu ihrem Kumpel auf “Oder hast du etwa Angst?” Hjaldrist hob eine Augenbraue an und lehnte sich, mit Rührei am Löffel, lässig zurück. “Nein.”, sagte er dabei unbeeindruckt. “Gut.”, lächelte die Novigraderin “Ich hätte mir ja Sorgen um deinen Kopf gemacht, wenn.” Der Undviker schnaubte amüsiert und winkte die von ihm angetane Schankmagd mit den Zöpfen erneut herbei, um noch eine Kanne Tee zu bestellen. Schwarztee. Der Mann trank den immer nur dann, wenn er der Müdigkeit wegen nicht in die Gänge kam. Anna beäugte ihn und versuchte dabei nicht leise wissend in sich rein zu lachen. Dass ihr Kollege so locker und gleichgültig mit der Tatsache umging, dass sie beide gestern zusammen im Bett gelandet waren, machte es auch der Frau - langsam aber sicher - leicht ebenso erheitert darüber denken zu können. Es war ihr nicht einmal mehr wirklich peinlich oder dergleichen. Vor einem Tag wäre dies noch undenkbar gewesen. “Und was ist mit den Druiden?”, warf Rist noch ein. Anna hielt inne und gab einen nachdenklichen Laut von sich. “Was soll mit ihnen sein?” “Du solltest meinen Onkel und die Spinner aus Gedyneith nicht unbedingt als Norm für solche Leute ansehen.”, riet der erfahrene Skelliger ernster und die Frau aus dem Norden hörte skeptischen Blickes zu “Adlet ist ein Eremit. Und die Druiden Ard Skelligs sind sehr mit dem normalen Volk verbandelt.” “Du meinst, die Druiden im Caed Myrkvid könnten tatsächlich feindselig sein?”, hakte Anna nach und fand diesen Punkt nun, wo sie darüber nachdachte, nachvollziehbar. Gut, dass ihr Freund ihn angesprochen hatte. Der Viertelelf, der in seinem Leben bestimmt immer wieder einmal mit dem Druidenvolk zu tun gehabt hatte, nickte langsam. “Sie leben recht abgeschieden. Und ich kann mir denken, dass sie mit der Außenwelt nicht ganz so viel zu tun haben.”, schätzte Rist und streute sich noch etwas Salz auf sein Essen. “Hm, ja, logisch.”, stimmte seine beste Freundin zu. Dann schwiegen sie eine kurze Weile, um zu essen und vor sich hin zu grübeln. “Wir zerstören im Wald einfach nichts, gehen Auseinandersetzungen mit den Tieren aus dem Weg. Und wenn wir uns den Mistelschneidern nähern, dann zeigen wir ihnen sofort, dass wir in Frieden kommen?”, schlug Anna unschlüssig vor, nachdem sie ihren Teller hungrig geleert hatte. “Wir heben die Arme in die Luft und laufen mit guter Miene in ihren Hain?”, fragte Hjaldrist nach. “Ja. Oder?” “Hm. Naja. Ja, viel mehr können wir wohl kaum machen. Wird schon gutgehen.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)