Und den Fluch im Kielwasser... von Tsutsumi ================================================================================ Kapitel 3: "Mann über Bord!" ---------------------------- ...Und den Fluch im Kielwasser... Autor: Tsutsumi Teil: 3/? Titel: "Mann über Bord!" Warnung: OOC, sappy, Shounen Ai "Mann über Bord!" Als er zwischendurch zu Bewusstsein kam, schaukelte das Boot, gluckerte im Wasser. Er konnte sich nicht bewegen, konnte nicht um Hilfe rufen, konnte nicht... Sein Kopf schmerzte furchtbar und seine Kleider waren zwar getrocknet, doch stanken noch immer nach dem Rum. Seine aufgeplatzte Lippe starrte wahrscheinlich im Wind, der ihr einen hauchdünnen, unsichtbaren Salzfilm aus dem Meer überzog. Alles tat weh... Der Rücken, die Beine, der Kopf, die Augen. Von oben blendete die heiße Sonne der Karibik, brannte unermüdlich nieder auf seine Haut, so dass auch sie begann, wehzutun. Will konnte die Augen nur einen Spalt breit öffnen und starrte hoch in den blauen, leeren Himmel. Er starrte in die Sonne bis er nichts mehr sah, so unbarmherzig mit sich selbst. Es war doch eh alles vorbei... Alle waren sie weg. Elizabeth...Sein Schatz... Giselle, der hässliche nuschelnde Barmann aus Tortuga...ja selbst den Governeur und Commodore Norrington würde er nie wiedersehen. Und Jack... Jack Sparrow wohl auch nicht... Will ächzte verzweifelt. Suchte mit letzter Mühe in seinem schmerzenden, pochenden Kopf nach dem Bild des Piraten. Versuchte, diese schwarzen Augen nochmal zu sehen, sie zu betrachten und zu bewundern, wie er es einst insgeheim getan hatte. Doch es ging nicht, die nächste Ohnmacht griff um sich. Will Turner versuchte noch, den Kopf zu heben, sich aufzusetzen, doch kaum dass er dieses vorhatte, wurde ihm wieder schwarz vor Augen. Und das letzte, was er spürte, war seine ausgetrocknete Kehle... Dieser Durst... Er verfiel in einen Zustand irgendwo neben Ohnmacht und Dösen. Es war seltsam... Er hörte das Gluckern des friedlichen Meeres um sich herum, konnte das sanfte Schaukeln des Bootes immer weiterspüren. Als ob sich sein Körper ausruhe und sein Geist, seine Seele noch immer wach waren und alles hörten. Spürten. Es war immer dasselbe. Leises Gluckern, wenn sich die kleinen Wellen am Holz des Ruderbootes brachen. Sonst nichts. Will hatte nie gedacht, dass das Meer so still sein konnte. So ruhig und friedlich. Und so einsam. Jetzt, genau in diesem Augenblick, schien es sein einziger Freund zu sein. Es schaukelte sanft sein Boot an, als wolle es ihn in den Schlaf wiegen, ihn zudecken mit seinem salzigen, frischen, obstigen Geruch, als würde es ihm ein leises Liedchen vorsingen. Es war wie eine Mutter...Mutter...Mutter... Plötzlich stand sie vor ihm, beugte sich über ihren kleinen Jungen, strich ihm sanft durch das Haar und erzählte von seinem braven Vater, der weit fort von der Heimat durch die Karibik segelte. Der an ihn, den kleinen Will dachte. Und sie sang ihn in den Schlaf, genauso sanft und leise wie das Meer. Sang wie ein Vogel, wie der Wind und wie die Sterne zusammen. Und Will spürte, wie sein Kopf taub wurde. Konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen... Die Sonne wollte ihn umbringen... Warum beschützte ihn die See nicht? Warum legte sie nicht eine schützende Welle über ihn, so dass der Sonnenstich nicht noch schlimmer wurde? Kümmerte es sich nur um sich selbst? Dachte es nur an sich und gab vor, sanft zu sein? Es hatte ihn schon einmal gerettet, hatte ihn schon einmal auf dünnem Holz treiben lassen... War damit sein Bonus erloschen...? Wartete es heimtückisch, bis ihn die Hitze, der Durst, der Kummer umbrachten...? Ja... Dieses Meer dachte nur an sich selbst... an sich und seine tiefe, dunkle Seele. Will versank in kurzem, unruhigen und traumlosen Schlaf. Hörte im Geist Möwen kreischen, die in Wirklichkeit gar nicht da waren. Es war zuviel Salz...zuviel Sonne... Zuviel Hoffnungslosigkeit... Irgendwann schreckte sein Geist auf, war wieder erwacht. Horchte aus dem ohnmächtigen Körper. Konnte Geräusche hören, die nicht vom Meer herrührten. Wie ein Knarren. Wie Menschenstimmen... "Mann über Bord!!" Er sah Elizabeth als kleines Mädchen vor sich. Sah, wie sie seine nassen Haare streichelte, ihn beruhigte. Ging es nun wieder von vorne los? Hatte er eine zweite Chance bekommen? War er wieder acht Jahre jünger, auf der Suche nach seinem Vater? Will spürte wieder, spürte, wie etwas am Boot zog, kräftig. Er fühlte, wie ihn etwas Starkes packte, ihm unter die Arme griff und hochhob. Doch er konnte nicht mehr zuordnen, wo genau in seinem Leben er sich befand. Sein Kopf tat nicht mehr weh, er war heiß geworden und groß fühlte er sich an... So ekelhaft groß. War da Elizabeth? War sie da? Dann wieder Holz an seinem Rücken. Fühlte sich hart an. Würde sie wieder durch seine Haare streicheln? Will zwang seinen Körper, aufzuwachen, trieb sich dazu, das Bewusstsein halb wiederzuerlangen. So viele verschiedene Dinge huschten ihm durch den Kopf und er konnte sie nicht zuordnen. Der Esel in der Schmiede... Elizabeth in ihrem dünnen Mieder, Mister Gibbs, der von Unglück sprach, kreischende Möwen im Wind, das letzte Schwert, das er geschmiedet hatte, bunte Blumen, die er in England gesehen hatte, Kornfelder, gefällte Bäume, seine Mutter, Jack Sparrow, der sich niederbeugte und grinste, der ihm einen Krug Milch anbot, Giselle, die ein Baby wickelte... Die Bilder wurden immer schneller, wurden immer diffuser und immer verrückter und dann hatte Will das Gefühl, das ihm schwindlig wurde. In seiner Kehle staute es sich und er bekam keine Luft mehr, musste husten, röcheln. Bis ihn etwas auf die Seite drehte. Seine Würggeräusche dröhnten in seinen Ohren, er konnte wieder Luft holen, spürte sein warmes, Erbrochenes neben sich. Doch er spürte, wie er die Augen wieder halb aufbekam, spürte, wie ihn wer zurück auf den Rücken drehte. Er hörte einzelne Worte, doch konnte nichts mit ihnen anfangen... Wenn es Piraten waren, würden sie ihn jetzt wahrscheinlich auslachen und ins Wasser schmeißen... Sollten sie doch, es war sowieso alles verloren... Und wenn es die Marine war...? Eines von Norringtons Schiffen? Das Bild, das seine dunklen Augen erhaschten, war unscharf und zu hell. Zuviel Sonne. Er konnte kaum etwas sehen... Konnte kaum hören... Und doch schaffte er es, den schmerzenden Mund zu öffnen, schaffte es, sich mit der Hand in irgendeinem Ärmel festzukrallen. "B...Bitte...helft...mir...!" Wieder Stimmen. Wieder einzelne Worte. Irgendetwas von "Hitzschlag" und "Muss gekühlt werden" und "Bringt ihn..." Doch er spürte, wie nun auch sein Geist müde geworden war. Er redete sich mit dem letzten bisschen Verstand, das er hatte, ein, dass er nun in Sicherheit war, der arme, elende Schmied und Pirat... Er glaubte, noch eine Stimme zu hören, die seinen Namen rief, die ihm nahe kam, doch das musste ein Traum sein... Ein Traum aus dem Meer... Will ließ sich fallen...und er sank tief...tief, bis auf den Grund seiner Existenz. <> Weich...warm... Und sein Kopf tat wieder weh! Will spürte zuallererst etwas Weiches und den Schmerz gleichzeitig. er wünschte sich einen Moment die Ohnmacht zurück, wünschte sich, nicht mehr zu leben. Doch dieser Impuls war nur von kurzer Dauer und verließ ihn wie der Schrei einen Alpträumenden verlässt. Seine Augen waren schwer wie Blei. Stille. Er hörte wieder nur das Knarren von Holz und spürte ein Schaukeln, verfluchte innerlich alle Schiffe und Boote auf dieser Welt. Und doch war er noch am Leben, und doch weilte er noch hier auf dieser Welt. Im nächsten Moment spürte er etwas, das sich auf seine Stirn legte. Kühl und warm zugleich. Haut...eine Hand... Er zwang die Augen auf. Zuerst konnte er gar nichts sehen, nur verschwommene Punkte und Farbflecken. Doch je schärfer das Bild wurde, desto ungläubiger sah er in die Welt hinaus. Über ihn hatte sich eine farbige Frau gebeugt, mit zerzaustem Haar und dunklen, geheimnisvollen Mandelaugen. "...du...?" presste er ungläubig heraus. Das durfte nicht wahr sein!! "Aye, ich!" entgegnete sie, halb belustigt. "Was denkst du, was die gesamte Crew gesagt hat, als wir dich aus dieser Nusschale gezogen haben!" Will blinzelte, nahm den Raum, in dem er lag, nur nebenbei wahr. Es war dunkel hier. Das tat gut, endlich musste er nicht mehr diese heiße unerbittliche Sonne auf sich spüren. "Ich bin...Ich bin..." stotterte Will. Sein Kopf pochte noch immer unerträglich, er versuchte, sich aufzusetzen und merkte erst jetzt, dass er in einem Bett lag. "Bin...ich...?" fing er noch einmal von vorne an. Doch sie ließ ihn nicht ausreden, drückte ihn an den Schultern wieder auf's Kopfkissen herunter; "Ja, du bist auf der Black Pearl, ganz richtig! Und jetzt bleib liegen, Will Turner, du hast einen Hitzschlag, einen Sonnenbrand und Fieber!" Er lag wieder, doch seine Augen waren unmerklich größer geworden. Nein! Er hatte es geschafft! Er hatte die Pearl gefunden! Er hatte...! Er hätte weinen können vor Freude. "Annamaria, ich muss Jack sprechen, sofort!" sprudelte es aus ihm heraus. "Ich brauche seine Hilfe, verdammt, ich habe dieses Schiff so lange gesucht, ich bin auf Tortuga versauert, Annamaria! Wo ist Jack, wo ist..." Im nächsten Moment schaute er in den Lauf einer Pistole. Und erstarrte. "So, Schmied, jetzt nimmst du deine Zähne mal wieder zusammen! Ich hasse Kerle, die immer nur reden!" Sie rollte mit den Augen, steckte die Pistole wieder weg und zog die weißbezogene Bettdecke wieder höher, bis an Wills Hals, strich den Bezug glatt. Will, eingeschüchtert von ihr, wagte es nicht, sich zu regen. " Erstens: Du musst gar nichts, du bist krank und solltest erstmal schlafen! Zweitens: Erteilt hier der Captain die Befehle und keine Landratte, die sich hierher verirrt hat und uns das Deck versaut hat, ich hoffe du weißt, wovon ich rede!" Sie war immer lauter geworden, geradezu hysterisch, hob mit jedem Punkt, den sie benannte, einen Finger. "Und drittens bist du unser Gefangener, und wie du selbst als Schmied wissen dürftest, haben die noch weniger zu sagen als die gewöhnlichen Landratten!" Will starrte die Frau perplex an. Er kannte sie. Aber nicht so. Und der Gedanke daran, dass diese Piratin nur wie alle anderen auf der Black Pearl war, erschreckte ihn. Verdammt, er hatte ein Piratenschiff gesucht, und konnte man sich mit Captain Jack Sparrow überhaupt einigen, wenn der keinen Profit bei der Sache sah? Unsicher blinzelte Turner Annamaria an. "Gefangener?" wiederholte er verblüfft. "Aye!" Sie beugte sich runter. "Gefangener!" Ihre schwarzen Augen funkelten bedrohlich. "Immerhin bist du der Verlobte einer Governeurstochter!" Sie richtete sich wieder auf, zeigte auf einen kleinen Tisch, der neben dem Bett stand. "Da steht Wasser, falls du Durst hast. Schlaf und ruh dich aus, Will Turner!" Will stürzte den Inhalt der weißen Kanne herunter, spürte, wie wieder Leben durch seine Kehle rann. Nicht mehr erhofftes Leben. Und doch war er wie zerschlagen nach dem Gespräch mit der Piratin. Vielleicht gab es doch keine Hoffnung mehr. Vielleicht würde er Jack den Spaß nehmen, indem er nicht mehr mit sich handeln ließ. Dabei war es klar gewesen, dass er nur wieder "Druckmittel" sein würde, allein bei Jack Sparrow, diesem hinterhältigen und verruchten Mann, der für sein Leben gern Intrigen zu spinnen und sich dabei ins Fäustchen zu lachen schien. Will seufzte leise, setzte sich nun doch wieder auf, linste zur Doppeltür, aus der Annamaria hinausstolziert war. Nach dem Trinken tat sein Kopf nicht mehr so sehr weh, doch er hatte noch immer Durst und verzehrte sich nach mehr Wasser... Doch sein Stolz war es, der ihm verbot, nach draußen zu gehen und um mehr zu betteln. Jack Sparrow würde sich auch so früh genug über ihn lustigmachen! Vorsichtig setzte Will einen Fuß aus dem Bett, den nächsten hinterher. Als er aufstand, wurde ihm schwindlig, alles drehte sich um ihn herum und er fiel zurück auf das Bett. Sein Kopf dröhnte wieder. Er keuchte, strich sich einzelne verirrte Strähnen seiner Haare aus dem Gesicht und versuchte es noch einmal. Mit wankenden Schritten tapste er zum anderen Ende der Kajüte, schaute aus dem Fenster. Er konnte die Spur des Kielwassers sehen, die die Pearl hinter sich ließ. Wie kleine Fahrtrinnen von Eselskarren... Wie Fußspuren. Wohin fuhren sie? Will lehnte sich an das wunderbar kühle Fenster, legte die Stirn, hinter der es hämmerte, ab und starrte auf das Meer. Was sollte er jetzt machen? Wie sollte er Jack dazu bringen, ihn zur Isla de Muerta zu bringen? Und vor allen Dingen, wie sollte er ihm klarmachen, dass der ihm helfen musste, einen Fluch aufzuheben...von dem er nicht wusste, wie er ihn aufhob? Will schluckte, seufzte und atmete einmal tief ein und aus. Aber er musste es schaffen...Für Elizabeth...für sich selbst... Nur wie...wie...? "Du solltest dich wieder hinlegen!" sprach es plötzlich hinter ihm. Will fuhr erschrocken herum, die Augen geweitet, das Herz halb stehengeblieben. Da stand er! Die schwarzen, geschmückten Haare wie immer leicht zerzaust, gebändigt von dem roten Tuch und dem Hut, auf den der Mann immer so stolz gewesen war. Die Augen so dunkel wie eh und je. Der Körper steckte noch immer in alten, leicht verdreckten Sachen und auch der Gang des Captains dieses Schiffes war der gleiche. Ein leichtes Schwanken, das er sich auf See angewöhnt haben musste, das er jedoch bei jeder Gelegenheit übertrieb. "Denn wenn wir nach Backbord drehen, liegst du in meinem Nachtmahl, und das willst doch nicht, oder, William Turner?" Will schaute zögernd nach rechts. War es schwer, den Blick von Sparrow zu lösen, klebte er jedoch gerade an dem, was er erhaschte. Einen kleinen Tisch voller Essen. Und Trinken! Warum hatte er das nicht früher gesehen?! Er schluckte unwillkürlich, sah die Weinkanne, die Rumflasche, den Wasserkrug. "Ich würde nicht fallen..." entgegnete er, ohne Jack anzusehen. "Und das weißt du!" Will spürte den Schwindel wiederkommen, er zog ihn vom Fenster weg und so versuchte er, sich mit aller Kraft dagegenzulehnen. Sein Blick glitt zurück zu Jack, der neben dem Bett stand und ihn abschätzend musterte. "Natürlich weiß ich das." sagte der Pirat rauh und für einen Augenblick hatte Will das Gefühl, dass der Mann ihn durchbohrte mit seinen dunklen, geheimnisvollen Augen. Nur für einen Sekundenbruchteil, so dass Will selbst nicht sehen oder spüren konnte, was er dachte...was er denken könnte. "Nun denn..." sagte Jack, lief in wogendem Schritt auf den jungen Mann zu und wechselte in einen interessierten Gesichtsausdruck. "...was führt denn einen jungen Governeurssohn nach Tortuga...?" Er grinste. "Hat die liebe 'Lizbeth dich rausgeworfen? Hast du ihr nicht mehr gefallen?" Kurz vor Will blieb er stehen, grinste keck daher wie ein kleiner Junge. "Oder hab ich doch Recht gehabt mit dem Eunuchen?" Will spürte den Blick des Mannes auf sich, der langsam tiefer und tiefer kroch, dem letzten Worte folgend. Ihm war noch immer schwindlig und so musste er sich an einem Stuhl festhalten, um nicht doch zu fallen. "Wir haben noch nicht geheiratet." presste er zwischen den Zähnen hervor. "Dazu gab es noch keine Gelegenheit!" "Ach, wie das?" Jack lief langsam und bedächtig zum Essenstisch und begann, in einer Obstschüssel herumzukramen, sortierte Äpfel, Birnen, Orangen und Bananen. Will wusste nicht, ob der Pirat wirklich interessiert war an seiner Geschichte. Er spürte, wie ihn die Anstrengung, das Verkrampfen in Jacks Gegenwart die Energie entzog. Er wollte eigentlich nur schlafen... "Jack..." sagte er langsam, stützte sich auf den Stuhl ab. "Ich bin verflucht!" "Ja, das ist mir auch schon oft passiert!" plapperte der Captain mit toternstem Gesicht, während er einen rotbäckigen Apfel streichelte, dann weglegte und dasselbe mit einer Birne tat. "Aber glaub mir, Will, wenn du sie einmal hast, hast du sie immer und irgendwann verzeiht dir jede!" Will spürte, wie es schwarz um ihn herum wurde, mehr und mehr. Er hatte sich übernommen, spürte die Haut brennen, spürte den Kopf halb zerplatzen. "Verdammt, ich rede von einem wirklichen Fluch! Vom Fluch des Aztekengoldes!" knurrte er mit letzter Kraft. Und dann konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten, spürte sich stolpern, es war wie ein Zeitsprung. Plötzlich war da etwas, das ihn hielt. Will blinzelte. Jack... "Wir wussten doch beide ganz genau, dass du fallen würdest, William Turner!" sagte Sparrow, raunte es ihm geradezu ins Ohr, während sich seine Arme stütztend um Wills Oberkörper gelegt hatten. Der junge Mann fühlte die Nähe des Piraten, es war eine seltsame, fast unheimliche Gegenwart, die er nie zuvor so intensiv gespürt hatte. Eine Gegenwart von Stärke. Von Kraft. Und von Geheimnissen... Benommen blinzelte er noch einmal, hob den Kopf und konnte Jack direkt in die Augen sehen. Sofort wurde ihm heiß und kalt zugleich... Sie waren nicht schwarz. Schwarz war nur ihr Rand, rauchig, tief und beeindruckend. Aber diese Augen selbst...waren dunkelbraun. Wie glitzende Schätze, die im ewigen Schatten lagen, wie in einem tiefen Meeresgraben. Sie wirkten nur schwarz, wenn man nicht genau hinsah. Wenn man zu weit weg war. Und sofort hatte Will das Gefühl, einen Blick in eine unendliche Tiefe erhascht zu haben... Als ob er einen Teil der Geheimnisse dieser Welt ergründet habe. Jacks Augen glänzten...und schienen sich sofort mit einer zweiten, unsichtbaren Haut zu überziehen, die ihn nicht weiterließ. Sein Herz schlug wild... Das Fieber? "Geh da zurück!" raunte Sparrow, nickte in Richtung Bett. "Weil du es bist, setzen wir dich in Tortuga wieder ab, wir haben gedreht." Er ließ Will los, ließ ihn allein zum Bett zurücktaumeln und dort hinauffallen. Das weiße, weiche Bettzeug nahm Turner freundlich wieder in Empfang. "Tortuga?" wiederholte Will misstrauisch. "Aber ich dachte, ich sei dein Gefangener und du würdest den Governor erpressen wollen!" Jack setzte den Hut ab, legte ihn auf den Tisch, ehe er sich daran auf einem Stuhl niederließ, die Beine hochlegte und übereinanderschlug. Noch immer diese Birne in der Hand. "Also wenn du das wünschst, können wir das gern so machen!" sagte er, schaute über die Schulter zu Will und grinste, dass die Goldzähne in seinem Gebiss glänzten. "Nur werde ich dich am Ende nicht loswerden, weil sich dein netter Schwiegerpapa nicht drauf einlassen wird! Denn der hört ja nur auf seinen ach-so-geliebten Commodore!" Will spürte das Grinsen auf sich, lag jetzt wieder auf dem Bett. Sein Kopf brachte ihn halb um. "Und selbst wenn die reizende Ms. Swann ihren Papa und diesen schmierigen Kerl überreden kann, ich habe in die nächsten Wochen keine Schießerei mit der halben Royal Navy geplant!" Er biss von der Birne ab, schmatzte laut. "Das ist auch nicht nötig!" entgegnete Will. Versuchte, sich aufzusetzen und kämpfte innerlich gegen den dröhnenden Kopf an. "Du musst mich zur Isla de muerta bringen!" Der Pirat reagierte nicht. Er saß einfach da, den Rücken halb dem Mann im Bett zugewandt und aß seelenruhig weiter. Will spürte, wie ihm die Luft scheinbar etwas steckenblieb in der Kehle. "Jack, ich bin wirklich verflucht! Es geschah vor genau sieben Wochen, nachdem ich dieser verdammten Fluch über Barbossas Mannschaft aufgehoben habe! Der Mond schien und dann...dann..." Er starrte auf die Bettdecke, verkrampfte die Hände. "...dann sah Elizabeth plötzlich genau so aus wie Barbossa und die anderen im Mondlicht... Ich...ich konnte nicht mehr sehen, wie sie wirklich aussah. Genauso erging's mir mit der halben Bevölkerung von Port Royal seither, wen ich einmal im Mondlicht gesehen habe, muss ich immer so sehen!" Tiefe Verzweiflung schwang in Wills Stimme mit, durfte er sich nun endlich dem einzigen mitteilen, der genau wusste, wovon er sprach. Der sich vielleicht denken konnte, was er alles hatte erdulden müssen bisher. Will hatte niemandem daheim etwas davon erzählt. Hatte Elizabeth nichts gesagt, aus Angst, dass sie sich würde Sorgen machen. Hatte Norrington gegenüber kein einziges Wort erwähnt. Hatte nur immer so getan, als sei alles in Ordnung, doch das Blut war ihm in den Adern gefroren, wenn ihn Elizabeth küsste und er nur ihren kalten, verknöcherten Kiefer spürte, ihr totes Herz durch die Rippen sehen konnte und ihre Finger bei jeder zärtlichen Berührung knackten. Ja, er hatte gehofft, dass es weggehen würde. Wie ein Spuk...oder eine Krankheit. Doch nichts dergleichen war geschehen, stattdessen hatte er den Zusammenhang mit dem Mond erkannt, hatte nachts in der Schmiede aus Wut heißes Eisen zerhauen, hatte sich den Kopf zermartert, hatte versucht, alles zu ignorieren. Denn diese Menschen lebten doch. Elizabeths Herz war nicht tot, es schlug doch! Und ihre braunen, hübschen Augen schwammen nicht formlos in ihren Höhlen. Will hatte nichts dagegen tun können. Er hatte ein Boot gestohlen in der Nacht, hatte sich auf den Weg nach Tortuga gemacht, in der Hoffnung, Jack dort wiederzufinden. Er hatte all seine Hoffnungen in den wundersamen Kompass des Piraten gelegt, der nicht nach Norden zeigen konnte, wohl aber zur Todesinsel. Und vielleicht würde er nur dort erfahren, wie er diesen Fluch bekämpfen konnte. "So, ist das so?" meinte Jack endlich, schaute seine Birne an. Er wirkte nicht sonderlich interessiert. "Heißt das, die süße Elizabeth ist wieder zu haben?" Er grinste, drehte sich zu Will um. "Und du auch?" Der schmerzende Kopf benebelte Wills Verstand. Wenn er eben, als er aufgewacht war, noch gedacht hatte, dass er aufstehen und einfach wieder losstürmen können würde, brachte ihn das jetzt wieder zur Besinnung. "Ich bitte dich!" sagte er, fasste sich an die pochende Schläfe. "Du musst mir helfen! Du kannst mich jetzt nicht einfach wieder nach Tortuga schicken!" Das Bett unter ihm drehte sich. "Ich weiß, wer schon einmal auf der Isla de muerta gewesen ist, findet sie auch wieder, ich aber habe keinen Kompass dafür!" Der Pirat stand langsam wieder auf, legte die angebissene Birne zurück in die Schüssel. Seine Hände griffen nach Wasserkrug und einem verzierten, goldenen Becher. Es war still in der Kajüte, so still, dass das Geklimper von Jacks Haarschmuck sehr laut wirkte. Der Mann stolzierte zum Bett herüber, ließ sich nieder neben Will und schaute ihn ganz genau an. "Also damit du eines weißt!" sagte er mit rauher Stimme, während er aus dem Krug Wasser in den Becher eingoss. "Ich bin Pirat, nein Piratenkaptän! Und Piraten sind dafür bekannt, dass sie vogelfrei sind, dass sie sich nicht sagen lassen, was sie zu tun haben und wohin sie zu segeln haben. Piraten sind dafür bekannt, dass sie plündern und morden und alles in Brand stecken." Er fuchelte leicht mit dem Becher herum. "Sie sind aber nicht dafür bekannt, dass sie einem dahergelaufenen Mann helfen, sein Weibsbild wiederzubekommen, klar soweit?" Und damit ließ er den Becher langsam zu Will gleiten, der sich kaum noch halten konnte und bereits gegen die nächste Ohnmacht kämpfte. Turner griff nach dem Becher, leerte ihn gierig und spürte, wie das erfrischende Nass seine Kehle streichelte. Er setzte den Becher wieder ab, griff nach dem Krug in Jacks anderer Hand und setzte ihn an den Mund. Trank, wie er noch nie getrunken hatte. Und mit jedem Tropfen kehrte mehr Besinnung zu ihm zurück. Dann fühlte sich sein Bauch aufgebläht an. "Jack..." Er hielt den Krug mit beiden Händen auf dem Bett fest. "Es geht um Elizabeth, es geht um mein Leben! Es geht darum, dass ich nicht unter Toten weilen muss, die gar nicht tot sind! Habe ich dir nicht auch geholfen, dein Schiff wiederzubekommen? Dein Leben?" "Das ist eine sehr egoistische Einstellung, Will!" hielt Sparrow ihm vor. "Du hättest mir doch nie geholfen, wenn deine Elizabeth nicht auf der Pearl gewesen wäre, ebensowenig wie ich dir geholfen hätte, wenn du nicht Stiefelriemens Sohn gewesen wärest! So sieht es aus, klar soweit?" Er grapschte nach dem Krug, erhob sich und lief zum Tisch zurück, um das Geschirr wieder wegzustellen. "Es war eine reine Zweckgemeinschaft, mit Abmachung versteht sich, und dass du so etwas unglaublich Blödes wie mich vom Galgen wegholen würdest, ist nun mal ein Ausnahmefall gewesen!" Die dunklen Augen funkelten, während der Captain sprach, den Kopf dabei schieflegte und mit den Händen wild gestikulierte. Es hatte etwas Lächerliches an sich, und gerade das ließ Will die Hoffnung verlieren, dass er sich mit diesem Mann würde einigen können. "Und nun kommst du daher, William Turner, Piratenhasser und Landläufer, Teil einer Zweckgemeinschaft, und meinst, in mir den vertrauten, vermissten Freund zu finden, der dir einfach hilft, ohne den geringsten eigenen Vorteil?" Das in die schwarzen Haare eingeflochtene Metall und Holz klimperte noch immer leise und Jack hatte sich vor dem Bett aufgebaut, schaute geringschätzig auf den Kranken herab mit den kühlen schwarzen Augen, die kein Licht in sich zu lassen schienen. Will keuchte kurz. Was sollte das? Was sollte er nun tun, sagen? Er hatte es doch von Anfang an gewusst. Er hätte doch den Commodore fragen sollen. Er hätte doch besser den Governor um Hilfe anbetteln sollen, Elizabeth und die anderen. Die hätten die Todesinseln schon gefunden, irgendwann, irgendwo! Warum nur hatte er sich auf diesen dummen Plan eingelassen, Jack um Hilfe zu bitten, den Piratencaptain der Black Pearl?! Nun saß er hier, krank, ermattet und verspottet von selbigem, wusste nicht, wie er vorzugehen hatte. Neben Jack fühlte er sich klein, winzigklein und hilflos. Und er hasste dieses Gefühl... Dieses Gefühl, alleingelassen zu sein vom Rest der Welt... auf einem Stück Brett im Ozean zu treiben, mit der kranken Hoffnung, ihm würde doch noch jemand helfen. Nur darum hatte er sich immer selbst helfen wollen... Die Kopfschmerzen ließen ihn die Augen zusammenkneifen, es war ein plötzliches Durchzucken von einer Schläfe zur anderen und mit einem fühlte er seine gebrannte Haut glühen. Er stöhnte leise, ließ sich nach hintenüber fallen, auf das Kopfkissen, das leise raschelte. Dieser verdammte Hitzschlag! Vor seinen Augen tanzten kleine bunte...nein...weiße Punkte, als er sie wieder öffnete. Vielleicht sollte er doch aufgeben...Dieser Gedanke wuchs stetig in ihm und eine neue Müdigkeit ergriff Besitz von ihm. Und dann Jack Sparrow. Der ihn von oben einfach anschaute. Wie ein kleines Ausstellungsstück, wie Gold, das er rauben wollte. Ein nachdenklicher, dunkler Blick, genauso undurchsichtig wie das Meer. Dieser Vergleich fiel Will erst jetzt ein. Er schnappte nach Luft, konnte die Augen kaum offenhalten. War so müde... "Wenn es dir bloß um den eigenen Vorteil geht..." murmelte Will, den Blick von unten auf Sparrow gerichtet. "...wieso hast du mich dann überhaupt aus dem Boot ziehen lassen...?" Das Bild verschwamm erneut. Seine Augen ließen ihn im Stich. "...warum hast du mich dann nicht treiben lassen...wenn ich dir ohnehin nichts nütze...?" Er konnte sie nicht mehr offenhalten. Der Schlaf, die Ohnmacht, oder was auch immer das war, zog ihn herunter. Und das letzte, was er spürte, war eine Hand, die sich sanft auf seine Stirn legte...die auf seine Wange herunterstrich...und dort verharrte... To be continued... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)