Timeline Disturbance von Ikeuchi_Aya ================================================================================ Kapitel 1: "To be or not to be" ------------------------------- Und nun tief einatmen... die Arme heben und dabei die Handinnenflächen langsam zueinander führen, bis sie sich berühren. Ausatmen, den Fuß gegen die Innenseite des Knies lehnen und die Arme vor der Brust halten. Einatmen... ausatmen... einatmen... ausatmen... Sehr gut.   Meine Gedanken hielten sich auf meinen Atem konzentriert und auf nichts anderes: Ich stellte mir vor und versuchte zu fühlen, wie der Sauerstoff in jede einzelne Einheit meines Körpers drang und bis in die kleinste Zelle zu durchströmen vermochte. Wie mit dem Ausatmen alles Schlechte hinausgesogen wurde – jede Verspannung, jeder schlechte Gedanke, jedes schlechte Gefühl, das es mir erschwerte ruhig und gesonnen zu bleiben. Wie mit dem Einatmen alles Gute in mir Platz finden würde – die Gelassenheit, Stärke, Energie, Wohlbefinden. Diese Sitzung war längst überfällig gewesen. Meine Woche hatte sich trotz schleppenden Beginns als recht anstrengend entpuppt. Jetzt, wo die Sonne wieder hervorkam und es auf den Frühling zuging, machten viele Leute bei unserem Eisladen Halt, der frisch in die neue Saison startete. Ich hatte nun bereits zur Mittagszeit eine Menge zu tun und meine sonst so ruhigen, mitunter von Putzen gefüllten Frühschichten, waren recht geschäftig. Aber ich tat es gern. Es machte mir wirklich Spaß, verschiedene Eisbecher zu kreieren, mit den älteren Leuten zu schnacken und den Kindern ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Neben dieser Arbeit waren die Tage allerdings auch mit einer Menge Amtsgänge verbunden, denn leider brachte mir der Eisverkauf zwar Freude, aber nicht genügend Geld... und zu guter Letzt stand dann auch noch mein lang geplanter Urlaub an. Unser geplanter Urlaub.   Der Doctor und Rose Tyler in London. Mal wieder.   Ich musste schmunzeln, als ich für eine Sekunde meinen Atem vergaß und mir stattdessen vorstellte, dass wir in zwei Tagen bereits in Englands Hauptstadt wären und es uns einfach nur gut gehen lassen würden. Natürlich ein wenig die Oxford entschlang schlendern, aber ebenso die Aussicht auf Primrose... ah, verdammt! Zurück zu einatmen und ausatmen! Ich löste meine jetzige Haltung, wechselte mein Standbein, wiederholte die Übung. Daraufhin in einem langen Atemzug zum Boden hockend, fanden meine Knie auf dem weichen brombeerfarbigen Teppichvorleger Platz. Ich schob meine Arme ausgestreckt immer weiter vor - wie ein Hund, der gähnte und sich zu strecken gedachte. Dann legte ich die Stirn auf den Boden und spürte, wie sich meine Wirbelsäule unter der Dehnung mit leichten Schmerzen bemerkbar machte.   Einatmen... ausatmen... besser.   Die Haltung wurde angenehmer und ich schloss die Augen, ganz und gar auf diesen Moment fixiert. Als dann aber nach ein,zwei gefühlten Minuten langsam meine Schultern zu spannen drohten, wusste ich, dass der Augenblick gekommen war, wo ich aufhören sollte. Mit der Zeit hatte ich gelernt, auf meinen Körper zu hören und überschritt die Grenzen nur noch selten. Ich wollte mich aufrichten, als mit einem Mal etwas in meiner Magengegend zu stechen begann und mich zusammenzucken ließ. Nur eine Sekunde, nicht mehr, aber es reichte, mich aus meiner gerade erlangten Ruhe und Achtsamkeit zu bringen. Erneut stach es, diesmal länger. Ich kniff die Augen noch mehr zusammen und löste eine Hand vom Boden, um sie an die schmerzende Stelle zu legen. Was war das? Ich hatte doch weder Schweinefleisch noch japanische abgelaufene Süßkartoffelchips gegessen, dass sich da was bemerkbar machen konnte? Jetzt doch der Blinddarm? Quatsch! Ich sollte nicht so hypochondrisch wie sämtliche weibliche Verwandtschaft mütterlicherseits denken. Mein Blinddarm war okay! Doch noch ehe ich Zeit zum tieferen Grübeln hatte, wurde die Stille meines Wohn- und Schlafzimmers von maschinenartigen Geräuschen erfüllt. Ein rhythmisches, aber hektisch schnelles Piepen drang an mein Ohr, gefolgt von zischenden Geräuschen, als würde eine Dampflok neben mir halten. Fingen die jetzt etwa allen Ernstes da draußen an, Äste und Gebüsch abzusägen? Zuzutrauen wäre es der Truppe des Landschafts- und Gartenamts durchaus. Ob um halb acht morgens oder dreizehn Uhr mittags... warum also nicht auch zu sechzehn Uhr? Dennoch irritierte mich die Soundkulisse ein bisschen. Es klang weder nach Laubpustern, noch nach Sägen oder andere Gerätschaften, die ich in zwanzig Jahren meines Hierlebens kennengelernt hatte. Zumal die Geräusche auch noch sehr persistierend und monoton waren. Wie automatisch laufende Maschinen, bei denen der Mensch keine Hand anlegen musste, um ihnen eine persönliche Note zu verleihen. Ich wollte die Augen öffnen, blinzelte, doch kniff ich sie sogleich wieder zu, als mich ein grelles, blaues Licht blendete. Schützend eine Hand vor die Lider hebend, murrte ich in meinen nicht vorhandenen Bart: „W-Was!?“ Der Schein, welchen ich durch meine geschlossenen Augendeckel wahrnehmen konnte, wurde mit einem Mal weniger und ich versuchte es erneut. Diesmal erfolgreich. Ich konnte meine Augen öffnen, ohne Gefahr zu laufen, erneut geblitzdingst zu werden und erwartete dabei... ja, was? Zumindest, dass ich in meinem Zimmer war. Dort, wo ich bis eben noch meine Yoga-Übungen vollzogen hatte. Dass ich nicht... an einem Ort war, der mich an meinen Verstand zweifeln ließ. Dass ich nicht jemanden in die Augen sah, der mich mehr als nur an meinen Verstand zweifeln ließ. „Eh?“ Ich war zu sehr aus der Bahn geworfen, als dass mir etwas schlaueres über die Lippen hätte kommen können. Mein Gegenüber, mein Blender, hatte sich meiner kurzzeitig abgewandt und ließ seine Hände mit einem Klaps neben sich auf dem mir nur zu bekannten Schaltpult fahren, welches in der Mitte des Raumes stand, der gewiss nicht mein Wohnzimmer war. Zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern, dass es jemals jene Farben und runde Form besessen hätte. Der mehr oder weniger Fremde gab ein genervtes Stöhnen von sich und sah dann mit einer Grimasse gen Decke, „Nargh, das ist doch nicht dein Ernst oder? Das ist nicht wirklich dein Ernst?“ Nun blinzelte ich absichtlich. Einmal. Zweimal. Nein... Er war immer noch da. Sie war immer noch da. Und ich... mittendrin. Vor Überraschung auf meinen vier Buchstaben sitzend, ließ ich meinen Blick langsam schweifen. Nur ein bisschen. Keine blauen bzw. weißen Wände, kein Bett, keine IKEA-Ausstattung und auch kein Blick nach draußen auf meinen kleinen Balkon. Stattdessen... metallene Wandverkleidungen mit Aussparungen im konvexen Bullaugen-Design, hier und da mir unerklärliche Rohre, ein fester Boden, eine weiße Tür, … Die Stimme des schlanken Mannes im braunen Nadelstreifenanzug, zu dem er helle Chucks trug, erfüllte ein weiteres Mal den Raum: „Du weißt genau, dass das noch nie Gutes bedeutet hat!“ Wieder gab er dem Pult einen Klaps, „Noch nie!“ Nach einer kurzen Weile der Stille, schien er zu resignieren und sich seinem Schicksal zu beugen. Das war einfach nur verrückt.   Ein Traum!   Es musste einer dieser Träume sein, in denen ich wusste, dass ich träumte. Wie nannte man das? Luzides Träumen, oder? Der Mann mit den kurzen braunen, stachelig gestylten Haaren drehte sich zu mir um und wir starrten uns für schiere zehn Sekunden einfach nur in die Augen. Seine linke Augenbraue blieb dabei skeptisch hochgezogen, während die rechte nach unten drückte. Er kam mir schlussendlich näher, immer noch nichts sagend, hockte sich vor mich hin. Unsere Nasenspitzen konnten sich fast schon berühren. Seine rechte Hand hebend, deutete er mit dem schraubenzieherähnlichen Gegenstand, welcher er in jener hielt, auf mein Gesicht, so dass wieder dieses grelle Licht erschien und zudem auch noch von einem signifikanten Sound begleitet wurde, den ich ebenso gut kannte, wie den Fremden vor mir. „Hören Sie auf damit!“, lehnte ich mich aus dem Lichtkegel, der mir helle Punkte vor den Augen tanzen ließ und verzog dabei das Gesicht. Wenn es ein Traum war, konnte ich auch mit demjenigen hier reden, der angeblich vor mir stand: dem Doktor. „Interessant“, murmelte er daraufhin und verweilte in seiner hockenden Pose, steckte aber seinem Überschallschraubenzieher in sein Jackett, wo er ihn wohl hervorgeholt hatte. Er hielt seinen Kopf leicht zur Seite gewandt, ließ mich aber keinesfalls unbeobachtet. Nicht einmal für einen kurzen Moment. Und wenn dies eben bedeutete, dass er nicht blinzeln durfte, dann war dem so. Don't blink. Ich kannte diesen Blick. Er versuchte aus meiner Person zu lesen, mich zu begreifen, in seinem Kopf nach etwas zu kramen, dass auf jemanden wie mich zutraf. Wo ich herkam, wer bzw. was ich war und was ich hier zu suchen hatte. „Was... ist interessant?“, konnte ich mir nicht klemmen nachzuhaken, war ich in meinen Träumen doch weitaus offensiver als in der Realität, wenn es darum ging, dass ich direkt vor David Tennant gestanden hätte. Es war eine Chance. Eine hervorragende Chance. Wann würde ich sonst dem zehnten Doktor wieder begegnen? Ich hatte nicht oft das Vergnügen, in solche nächtlichen Fan-Episoden zu stecken. Noch weniger in Tagträumen. „Oh, an sich schon allein die Tatsache, dass Sie hier in der TARDIS erschienen sind. Vielleicht auch, dass Sie auf mich nicht so wirken, als würden Sie sich besonders darüber erschrecken. Von Ihrer Kleidung ganz abgesehen. Wie nannte sich das nochmal? … Yoga? Ja, doch. Das ist ab den 2000ern sehr modern geworden. Wissen Sie eigentlich, dass Sie mit Ihrer letzten Haltung den Gott der Eremetha anbeten? Ein sehr undankbares Volk, die jedem Nichtgläubigen einen Kopf kürzer machen und als Delikatesse verkaufen. Sehr barbarisch. Aber das ist natürlich nicht weiter problematisch, solange Sie sich nicht auf deren Planeten Styraxalia befinden.“ Meine Augenbrauen zogen sich nach oben. Ja, das war der Doktor. So fix wie seine Gedankengänge hin- und hersprangen, wie er ganz direkt sprach und kein Blatt vor dem Mund nahm... und mich ganz offen auf meine unpassende Sportkleidung hinwies, die mir erst jetzt wieder ins Gedächtnis kam: kurze graue schlabbrige Shorts und ein einfaches T-Shirt in Khaki mit goldenem... Betty Boop-Motiv. Prima. Gut, dass es ein Traum war und es nicht noch peinlicher als sowieso schon werden konnte. Hoffentlich. „Okay“, gab ich nur kurz angebunden von mir und das auch ein bisschen zu hoch im Vergleich zu meiner normalen Stimmlage. „Okay?“, wiederholte er und sah mich fast schon etwas ungläubig an. „Ja, okay.“ Mehr als annehmen konnte ich die Situation und seine bisherige Meinung über mich schließlich nicht. Zumal unsere Konversation so zu nichts führen würde... Vielleicht sollte ich das Aufeinandertreffen etwas voranbringen? Und wenn er der Annahme war, dass ich in seinen Augen zu unüberrascht war, konnte ich doch offenlegen, was ich wusste? Ein bisschen? „Sie sind der Doktor, das ist die TARDIS, mein Name ist Alexandra und das hier ist ein verdammt guter Traum!“ Perfekt. Zwar nicht das, was ich als Selbstpräsentation darzubieten hatte, aber er hatte ein paar Eckdaten. Ich stand auf und merkte, dass sich all meine entspannten Muskelpartien gerade wieder zu verspannen drohten. Ich ließ ein wenig die Schultern kreisen und begann dann, mich richtig umzusehen. Die Augen des Doktors verengten sich ein klein wenig, als er sich ebenso wieder erhob. „Welches Jahr?“, fragte er mich daraufhin kurz und knapp. „2017.“ „Wo kommen Sie her?“ „Berlin, Deutschland. Erde.“ „Ihr Alter?“ „28.“ „Wie sind Sie hierher gekommen?“ „Keine Ahnung... Es... ist ein Traum?“ Das war meine Erklärung. Ich war dummerweise während meiner Sportübungen eingeschlafen und landete daraufhin in der TARDIS. „Ein Traum?“ Der Doktor schien jetzt erst recht überrascht. Es klang so, als hätte er mit allem anderen gerechnet: Dass ich mich beamen konnte, teleportieren, digitalisieren, mir irgendwelche Partikelchen den Weg gewiesen hätten oder was auch immer – aber nicht, dass ich über meine ungewollte Tagruhe hierher gefunden hätte. Inzwischen war ich zum Schaltpult gegangen und hatte dieses näher betrachtet. Die Anordnung der Knöpfe, Schalter und Hebel hatte für mich auch aus dieser Perspektive keinen Sinn. Man musste wohl einfach wissen, wie man das Ding steuerte, um es zu verstehen. Neugierig wie ich war, wollte ich aber dennoch wissen, wie es sich anfühlte. Ich wollte einmal die Oberfläche berühren, die der Auslöser war, dass es den Doktor in neue Galaxien, Welten und Zeiten schickte. „Halt, nicht anfassen! Bloß nichts anfassen!!“, ermahnte mich der Timelord selbst aber klar und deutlich genau jenes zu tun, war an meine Seite geeilt und ergriff blitzartig mein Handgelenk, um es auf Sicherheitshöhe zu heben, damit ich nirgendwo rankäme. „Ich... wollte nur gucken?“ „Gucken mit den Augen. Anfassen mit den Händen. Ihre Hand-Augen-Koordination funktioniert anscheinend nicht ganz?“ Ich zog eine Schnute und blickte zur Seite. Für einen Traum wurde mir nicht gerade viel Freiheit gelassen. „Wie kommen Sie darauf, dass dies ein Traum sei?“, wiederholte er ein weiteres Mal, aber jetzt eindeutig leiser und beinahe Silbe für Silbe. „Wie... kommen Sie darauf, dass dies kein Traum sei?“, stellte ich als Gegenfrage und sah ihm vorwitzig in die Augen. Zumindest für den ersten Moment. Als ich merkte, dass er mir kein Lächeln schenkte, kein Grinsen oder sonstiges, sondern mich einfach nur sehr ernst betrachtete, spürte ich den Anflug eines kalten Schauers, welcher meine Nackenhaare aufstellen ließ. Okay, das war neu. Dass ich zu frieren begann, kannte ich noch nicht. „Alexandra, Sie sind hier in der TARDIS. Sie sind einfach vor meinen Augen hier in der TARDIS erschienen.“ „Ja, weil ich beim Yoga eingeschlafen bin.“ „Fühlt es sich für Sie wie ein Traum an?“ „Wie sollte ich sonst hierher gelangen?“ Ich wartete eigentlich nur regelrecht auf den Moment, welcher mich mit einem Mal zum Bad Wolf Bay brachte und wo ich mit meinem Doktor entlang spazierte. Das hatte ich schon einmal. „Sie sind in der TARDIS erschienen. Ohne jegliches Zutun.“ Der Doktor sprach noch ein wenig langsamer und er ließ mein Handgelenk wieder los. „Wir befinden uns nicht auf der Erde, sondern mitten im Weltraum und Sie sind hier erschienen.“ Ich spürte, wie die gedrückte Stelle meines Handgelenks langsam wieder an Gefühl gewann, da er dieses losließ. Ich spürte aber ebenso, was mir der Doktor versuchte klarzumachen: Mein Erscheinen war nichts, was der Logik entsprach. Nichts, was er mit all seinen Erfahrungen und seinem jetzigen Wissen erklären konnte. Meine Anwesenheit passte nicht ins Schema. Mein Puls drückte sich gegen meine Adern, begann kräftig nach Unterdrückung der Blutzufuhr zu arbeiten. Auch das war ein neues Traumgefühl. Zumal ich mich nicht dran erinnern konnte, jemals etwas wie Druck, Schmerz oder andere Dinge in einen jener Träume gefühlt zu haben? Nein, irgendwas stimmte hier wirklich nicht. „Okaaay...“, zog ich mein Lieblingswort in diesem Traum in die Länge und atmete tief durch. „Und wo... sind wir gerade genau?“ Die Worte kamen mir nicht mehr so vorwitzig über die Lippen wie am Anfang unserer Begegnung. Ich hörte mich selbst ziemlich kleinlaut sprechen. Fast schon etwas... ängstlich. Der Doktor atmete hörbar aus und wandte sich dann dem Schaltpult zu. Er betätigte den einen Schalter, betätigte einen weiteren und drückte diesen und jenen. Er behielt seine Aufmerksamkeit auf die Steuerzentrale der TARDIS gerichtet, als er weitersprach: „Um ganz genau zu sein, befinden wir uns in der irregulären Galaxie Yedaeos VII. Bis ihr Menschen diese entdeckt, werden Sie aber schon längst zehn weitere Nachkommen haben. Da ich aber nicht annehme, dass Ihnen das besonders helfen wird: Wir befinden uns am Rand des Sonnensystems im Jahre 2267.“ Nein, auch das machte es nicht besser. Mir wurde immer mulmiger im Bauch und ich fühlte mich von Sekunde zu Sekunde befangener. Meine Magenmuskeln zogen sich zusammen, kontrahierten und führten zu einem weiteren stechenden Schmerz. Was war hier nur los? Was war mit mir los? „Vermutlich habe ich gerade echt Magenschmerzen und mein Hirn spielt mir nette Bilder vor, dass ich das nicht im Schlaf durchleben muss“, redete ich mit einem gezwungenen Lächeln, „Und da ich Ihrer Meinung nach vollkommen wach und real bin, habe ich vermutlich so etwas wie die Raum-Zeit-Linie durchbrochen?“ „Sagen Sie es mir?“, gab der Doktor schlicht von sich und warf mir einen skeptischen Blick zu, „Was haben Sie getan? Nein, falsch, das habe ich gesehen. Aber was haben Sie getan, bevor Sie hier gelandet sind? Tatsächlich nur Yoga?“ „Nur Yoga. Ich habe die Augen geschlossen, entspannt und mehr nicht.“ „Haben Sie irgendetwas anderes in Ihrer Umgebung wahrgenommen?“ „Eh... nein... alles ganz normal.“ „Ich meine... auch anders in letzter Zeit?“ „Keine Monster, kein Paradoxon, keine Daleks und keine Cybermen oder sonstige Vorkommnisse, die nicht in meine Welt gehören, falls Sie das meinen.“ Ups. Das war ein weiteres Mal zu viel des Guten gewesen. Aber meine Unwissenheit ging mir langsam echt auf den Keks. Da plapperte ich schon mal mehr als ich wollte. Ein stummer Seufzer überkam meinen Lippen, da ich bemerkte, wie mich der Doktor mit Misstrauen betrachtete. Ich begann langsam zu befürchten, dass sich aus meinem Traum ein Albtraum entwickelte. Wäre auch nicht das erste Mal. Konnte dies der Doktor erkennen? Oder kam es mir nur so vor, dass seine weiteren Worte sanfter wirkten? „Keine Sorge, ich werde Sie zurückbringen.“ „...“ „Das ist kein Problem. Mit den exakten Daten sollte die TARDIS Sie wieder schnellstens zurückbringen können.“ Klang nach einem simplen aber funktionsfähigen Plan. So funktionsfähig und doch ließen mich die Klauen der Angst nicht los, sondern bohrten sich tiefer in meine Schultern, an welche sie sich klammerten. Warum? Ich würde bald aufwachen, das Gefühl würde wieder vergehen und im Nachhinein würde ich mich ärgern, dass ich nachgegeben hatte. Was war daran also verkehrt? Es lag gewiss nicht am Doktor. Er war so, wie ich ihn über die Serie kennengelernt hatte: Redete über irgendwelche wissenschaftliche Dinge, die sich mein menschliches Gehirn vielleicht gerade einmal in Ansätzen vorstellen konnte. Und sorgte sich mehr um sein Umfeld, als er wohl sollte. Geistesabwesend nannte ich ihm meine Adresse und ebenso das Datum samt Zeit, wann ich das letzte Mal in meinem Zimmer gesessen hatte. Ich konnte ihm dabei zusehen, wie er die TARDIS zu konfigurieren schien, um jenes Ziel – mein Zuhause – anzusteuern.   Mich fröstelte es. Dies lag aber nicht nur an meinen Gedanken und Befürchtungen, sondern auch an meiner zu dünnen Kleidung, durch die sich jetzt jeder Luftzug zu ziehen schien. Die Arme vor der Brust verschränkend, biss ich mir zitternd auf die Lippe. Es waren vielleicht erst fünf Minuten vergangen, aber in Anbetracht dessen, dass es doch sonst immer so schnell zu gehen schien, wenn der Doktor mit der TARDIS reiste, kam es mir wie eine Ewigkeit vor. Meine Muskeln begannen mit jeder weiteren Sekunde stärker zu arbeiten und ich konnte das Zittern nicht mehr kontrollieren, das mich ereilte. Ich mochte es nicht, unhöflich zu sein und andere in ihrem Tun zu unterbrechen. Schon gar nicht wollte ich nerven, aber noch weniger Lust hatte ich, dieses Kältegefühl zu erdulden. Weil es eben verdammt unangenehm war und weil es den Traum nur umso lebendiger erschienen ließ. „E-Entschuldigen Sie“, machte ich mich somit bibbernd bemerkbar und wiederholte dies noch einmal, weil ich entweder zu leise und undeutlich gegen die dröhnenden Geräusche der TARDIS gesprochen hatte oder sich mein Gegenüber einfach zu sehr in Konzentration befand, als dass er mich bemerken würde. Doch falsch gedacht: „Sprechen Sie, ich höre zu.“ „Ehm... w-wie lange... glauben Sie, werden wir brauchen?“ „Nun, eigentlich nicht lange. Ihre Koordinaten scheinen ihr nur ein paar Probleme zu bereiten.“ Ich zog skeptisch beide Augenbrauen nach oben und versuchte, nicht mehr als nötig darüber nachzudenken, sondern bei meiner eigentlichen Absicht hinter der Frage zu bleiben: „W-Wäre es... dennoch vielleicht möglich, dass ich... mir etwas zum A-Anziehen leihen könnte? I-Irgendetwas... warmes?“ Der Doktor sah fast schon ein bisschen erstaunt auf. Wohl nicht wegen meiner Bitte, sondern weil ich ganz genau Nun mehr sah der Doktor fast schon ein bisschen erstaunt auf. Nicht wegen meiner Bitte, sondern weil ich ganz genau zu wissen schien, dass er einen Kleidervorrat besaß – ob für Männer oder für Frauen. Dass die TARDIS nicht nur ein Reisegefährt war, sondern noch vieles, vieles mehr. Unsere Blicke begegneten sich so für einen Moment, ehe er dann aber noch einen letzten Hebel umlegte und vom Pult abließ. „Folgen Sie mir.“ Ich nickte und tat wie mir geheißen. Er ging zielstrebig voran, die kurze der beiden Treppe hinauf. Hinter der Tür lagen die Korridore, die in das weitere Innenleben der TARDIS führten. Ich musste zugeben, dass mir dieses nach der Episode mit Clara und dem elften Doktor nicht mehr ganz geheuer war und ich mich seitdem immer wieder gefragt hatte, wie sicher die TARDIS überhaupt war? Aber das war nichts, was ich den Doktor an dieser Stelle fragen könnte. Wie River Song es ausdrücken würde: Spoilers. Die Korridore waren zumal auch noch weitaus düsterer als in jeder Folge. Ich war zwar neugierig und wäre hier und da gewiss gerne abgebogen, aber zum einen war mir ein warmes Shirt und eine lange Hose wichtiger und zum anderen... würde ich mich hier nicht alleine rumtreiben. Mal wieder typische Serienlogik, wie die Begleiter des Doktors in allen Situationen so seelenruhig hatten bleiben können... Ich könnte es definitiv nicht. Ob hier, ob auf einen Planeten, der am Rand eines schwarzen Loches gar nicht zu existieren hatte oder ob von Angesicht zu Angesicht mit einer Horde Daleks. Was mich auf eine weitere Frage brachte... der Doktor war allein unterwegs. Keine Rose, keine Martha, keine Donna. Wo genau – seine Zeitlinie betreffend – befand ich mich? In einer Phase, in welcher keine der Begleiterinnen an seiner Seite waren? Die Abenteuer, die er zwischenzeitlich erlebt hatte, waren nie ausreichend beleuchtet worden. Oder war es es gar irgendwo mittendrin? Ich legte den Kopf schief, versuchte etwas mehr als nur von der Rückansicht seiner Statue zu gewinnen, ohne dass er merkte, dass ich ihn regelrecht anstarrte. Aber zu spät – als hätte er es in diesem Moment geahnt, blieb er urplötzlich stehen und drehte sich zu mir um, so dass ich wie eine Kerze hochschreckte. So unschuldig wie möglich dreinschauend, hoffte ich tatsächlich, dass ich ihn damit ablenken oder gar überzeugen könnte. Aber der Doktor wäre nicht der Doktor, wenn er sich von so einer Kleinigkeit hätte beirren lassen und schien mich ein weiteres Mal ins Verhör nehmen zu wollen. Ohne Vorwarnung mit der Tür ins Haus fallend: „Kennen Sie die Oods?“ „Die... sind ziemlich... Ood?“, konnte ich mir diesen schlechten Witz nicht verkneifen, erreichte damit aber eher noch das Gegenteil von meiner gewollt Mein Name ist Hase und ich weiß von nichts Taktik. „TARDIS?“ „Time and relative dimension in space?“ „Der Doktor?“ „Das sind Sie. Ein über 900 Jahre alter Timelord.“ Bamm. Das war eine Antwort zu viel. Lügen wäre aber genauso schlecht gewesen, oder? Der Doktor trat noch einen Schritt näher heran, seine Augenbrauen zusammengezogen und seine Lippen zu einer geraden Linie geschlossen. „Woher wissen Sie all diese Dinge?“ Gute Frage. Einfach für mich zu beantworten, aber ob er dies glauben würde? Nun... er vermutlich noch am ehesten?! Ich wollte zu einer Erklärung ansetzen oder zumindest zu etwas, was dem gleichen könnte, doch meine Nase war da anderer Meinung unterbrechen zu müssen, in dem sie mit einem Mal kribbelte und schließlich zu einem großen Niesen überleitete. Ich schaffte es gerade noch so, die Hände über den Mund zu legen, um peinliche meterweise Nasensekretschleuderung zu vermeiden Verdammte Kälte. Zumindest sorgte diese Unterbrechung dafür, dass der Doktor selbst sich wieder darauf besann, was wir hier in den Korridoren der TARDIS wollten. Wieder voranschreitend, machten wir kein weiteres Halt, bevor wir unser Ziel nicht erreicht hatten: ein weiterer Raum, der mich staunen ließ, weil er noch viel umfassender war als ich ihn mir vorgestellt hatte. Meine Augen wurden größer, als wir durch die sich automatisch öffnende Metalltür traten und ich nun mitten im begehbaren Kleiderschrank des Doktors stand. In Christmas Invasion hatte man zwar bereits einen Blick erhaschen können und auch in dem ein oder anderen Comic... Allerdings war dies nichts im Vergleich dessen, wenn man direkt in jenem stand. Die Kleiderstangen waren gefüllt mit Mänteln, Jacketts, Westen, Hemden und Hosen und reichten über mehrere Etagen. Eine Wendeltreppe führte abwärts und gab noch mehr Auswahlmöglichkeiten an Accessoires wie Hüte, Schals und Handschuhe. Alle Epochen, Muster, Stoffe und Farben. Ein Traum für jeden, der Mode mochte. Ein Traum für jeden, der selbst gerne nähte oder sich kostümierte. Und natürlich ein Traum für jeden Whovian. „Das... ist eine beachtliche Menge“, musste ich fast schon ehrfürchtig von mir geben und berührte einen Mantelärmel aus hellbraunem Leder, strich behutsam über die Oberfläche. Ich liebte es. Vielleicht... könnte ich einfach hierbleiben, während der Doktor mich nach Hause brachte? Es gab so viel zu sehen und zu entdecken! Ohne es selbst zu bemerken, formte sich ein Schmunzeln auf meinen Lippen. Doch... ich liebte es hier wirklich. Und dann war da auch noch der Geruch, wie man ihn aus Vintage-Läden kannte: Etwas verrucht, etwas moderig, Spuren aus Zeiten. „Relikte und Souvenirs verschiedener Jahre und Orte“, gab der Doktor als Antwort, als wir schließlich den Grund erreichten und nun mehr vor einer weiteren Kleideretage standen – hier aber allesamt weiblicher Natur. Damenschuhe, Röcke, Kleider, … es wunderte mich nicht mehr, dass keine der Begleiterinnen des Doktors einen Reisekoffer brauchten... hier war ja alles, was nötig war! „Suchen Sie sich etwas aus. Sie müssen vielleicht ein bisschen suchen, aber es sollte etwas in Ihrer Größe vorhanden sein.“ Der Timelord steckte die Hände in die Hosentaschen und wenn ich mich nicht täuschte, wirkte er zum ersten Mal seit meines Auftauchens minimal amüsiert darüber, dass ich – die Fremde in seiner TARDIS – normale menschliche Begeisterung und Überraschung zeigen konnte. Ich bedankte mich und begann zunächst die beiden längeren Kleiderstangen zu durchsuchen. Ich hatte nicht viele Ansprüche, aber die Größe war etwas, was ich auf jeden Fall zu beachten hatte und so holte ich des öfteren ein Kleidungsstück hervor und steckte es gleich wieder weg als ich sah, dass es zu klein war. Die unterschiedlichen Stile sprachen für sich – viktorianische Zeit, 50er, 80er, goldene 20er und jene, die ich nicht zuordnen konnte. Vielleicht aus der Zukunft? Und dann... stolperte ich über eine kurze blaue Jacke, die ich nur allzu gut kannte. Es war jene, welche Rose damals in der Idiot's Lantern Folge zu ihrem rosa Kleid getragen hatte. Sofort spielten sich die Bilder der Folge vor meinem geistigen Auge ab und ich musste ein weiteres Mal daran denken, dass ich nur zu gerne wissen wollte, warum der Doktor in diesem Moment allein war... Die Jacke behielt ich zwischen den anderen Kleiderstücken gesteckt, doch wandte ich meinen Kopf über die Schulter. Vorsichtig sag ich zum Doktor, suchte seinen Blick. Er schien gerade aber selbst mit einem alten bunten Schal beschäftigt zu sein, so dass ich ihn ansprechen müsste, wollte ich seine Aufmerksamkeit. „Doktor...“, brachte ich diese zwei Silben nur sehr leise über die Lippen, während ich mich wieder der Kleidersuche zuwandte und dabei dann auch tatsächlich eine rote Bluse mit blauem Tartanmuster und ein schwarzes Top zum Drunterziehen fand, die mir passen sollten, „Sie... reisen alleine, oder?“ Seine Antwort kam verzögert, als ein schweres „Ja“ seinen Mund verließ. Nicht gut. Der Doktor wirkte an sich immer sehr gefasst. Trotzdem war einem als Zuschauer oft genug der Blick hinter dieser Maske gewährt bekommen. Und gerade beim Zehnten erlebte man nicht nur einmal die bei ihm aufkochenden Emotionen oder die inneren Kämpfe, die er zu führen hatte, wenn er in den Verlauf von Geschehnissen nicht einschreiten durfte, allerdings mit sich haderte, es nicht doch zu tun. Oder auch der Verlust von Menschen, von seinen Begleitern. Es hatte mir jedes Mal als Tenth-Liebhaberin das Herz brechen lassen, wenn sich der Doktor wieder in solcher Lage befand. Dieser Blick von Reue, Kummer, Leid und Vorwissen über das, was anstand, welchen man in seinen Augen ablesen konnte. Erfahrungen, die man niemanden wünschte. Ich empfand nie Mitleid für die Menschen um mich herum. Mitgefühl ja, aber kein Mitleid. Für mich ein erheblicher Unterschied. Doch ausgerechnet für den Doktor musste ich aber revidieren: Er tat mir sehr wohl leid. Weil er der Einzige seiner Art war. Seit einer viel zu langen Zeit. Weil er immer wieder Personen verlor, die an Wichtigkeit gewannen. Weil er auf Grund seiner Einsamkeit, seiner Furcht und den untergrabenen Gefühlen letzten Endes Fehler beging. Fehler, von denen ich bereits wusste, die er allerdings nicht kommen sah. Es war seltsam, mehr als der Doktor zu wissen. Wann er regenerieren und zum elften Doktor werden würde. Dass er Abenteuer mit Amy Pond und Rory Williams zu bestreiten hätte. Oder dass er schließlich als bei uns bekannte Grumpy Cat die E-Gitarre schwingen und mit Clara Oswald reisen würde. Das machte es für mich aber nur noch schlimmer und ich biss mir auf die Unterlippe, um mich daran zu erinnern, dass ich ihm nichts sagen durfte. Mochte es meinetwegen auch ein verdammt realistischer Traum sein – davon ließ ich mich nicht abbringen – so wollte und konnte ich weder unsensibel mit meinen Fragen vorpreschen noch Wahrsagerin spielen. Das mag jetzt seltsam auf dich wirken, aber ich war auch der Typ Mensch, der noch beim Fall aus dem Bett daran denkt, sich steif wie ein Brett zu machen, damit die Wirbelsäule nicht so leidet. Wirklich. Ein Vieldenker. Oftmals zu viel. Und zu viel an andere. Mir waren die Belange und Gefühle dieser nämlich (bis auf weniger Ausnahmen) immer wichtiger als meine eigenen Wünsche und Ziele. Und so wollte ich auch nicht an den alten Wunden des Doktors rühren, die durch ungehobeltes Nachfragen meinerseits aufreißen könnten. „Das mag für Sie unmöglich klingen, aber... ich weiß deswegen so viel über Daleks, Cybermen und... über Timelords, weil ich in meiner Welt die Serie verfolgen konnte.“ Meine Hände fuhren langsamer über die einzelnen Kleidungsstücke, genauso wie ich nach den rechten Worten suchen wollte, bevor ich sie aussprach. „Bei mir Zuhause sind Sie... ist das, was Sie erleben eine TV-Serie. Doctor Who. Ihre Geschichte, Ihre Zeitlinie wurde mehr oder weniger geschrieben und verfilmt. Und deswegen... kenne ich mich etwas aus.“ Ich blieb bei einer dunkelgrauen Hose hängen, welche mir ins Auge gefallen war, hielt sie mir an die Hüfte und behielt sie sogleich in der Hand. Nun brauchte es noch Schuhe. Ich ging weiter, während ich nach weiteren Erklärungen für meine Situation suchte, „Deswegen... ist mir die TARDIS nicht unbekannt und ebenso wenig sind es die Oods.“ Mich hinhockend, musste ich mit meinem Arm etwas im Schuhhaufen kramen, fand dann aber schwarze bequeme Stiefel. Ging doch. „Alles sehr unglaubwürdig, ich weiß, und auch nicht von Relevanz, aber...“ „Nun, ich glaube Ihnen.“ Ich sah überrascht über diese Unterbrechung auf und ließ dabei fast den einen Schuh fallen. Verwundert blinzelnd, drehte ich meinen Kopf über die Schulter, um zu meinem Gegenüber zu sehen, „Sie glauben mir?“ „Warum sollte ich Ihnen nicht glauben?“ Der Doktor sah mich ganz unvermittelt an, hatte nun wieder die Hände in den Hosentaschen zu stecken. Aus seiner Mimik konnte ich nicht lesen, was er gerade wirklich dachte oder fühlte, aber seine Worte klangen keineswegs belustigt oder amüsiert. Er sprach vollkommen ernst, „Wir haben keine weiteren Anhaltspunkte, dass Ihre Geschichte nicht wahr ist. Ich für meinen Teil habe Sie hier lebhaft vor mir, real, aber Sie denken, sie befänden sich in einem Traum. Für Sie ist dies nicht Realität, für mich schon. Ich kann Sie erst dann eines besseren belehren, wenn Sie zu Hause bei sich aufwachen, oder?“ Ich konnte nur stumm nicken. Natürlich hatte der Doktor eine plausible Antwort parat. Keiner von uns beiden konnte das Gegenteil von der Behauptung des anderen beweisen, solange dies nicht eintrat. Entweder wachte ich auf oder ich wachte nicht auf. Wobei ich nicht erpicht darauf war, das zweiteres Szenario sich bewahrheitete. Wo ich zu Beginn noch dachte, dass ich just lustigen Hirngespinsten folgen könnte, wollte ich gerade nämlich nur eins: nach Hause. „Sie können sich hier umziehen, ich warte oben auf Sie.“ Der Doktor drehte sich um, um die restlichen Treppen wieder hinaufzusteigen. „Doktor“, brach es mir heraus, wollte ich doch endlich wissen, wo genau ich mich befand. „Donna Noble“, sprach er erneut, bevor ich weiterreden konnte, „Ich... habe Donna wieder nach Hause gebracht.“ Damit ließ er mich allein. Für geschlagene drei, vier Minuten blieb ich an derselben Stelle stehen und sah ihm nach, wie er aus meinem Sichtfeld verschwand und versuchte dann meine Gedanken zu ordnen. Donna also... Meine Mundwinkel senkten sich merklich und ich stieß angespannt die Luft aus. Das bedeutete, dass er tatsächlich wieder allein unterwegs war. Er hatte Rose mit seinem Ich der menschlichen Metakrise im Paralleluniversum abgesetzt und Donna das Gedächtnis gelöscht und bei ihrer Mutter und ihrem Großvater verabschiedet. Allein und... kurz davor eine Reihe Fehler zu begehen, die man von ihm so nicht kannte. Ehe er auf den Mars reisen würde, ehe er die Oods und auf den Master treffen würde. Nicht viel Zeit. Ich begann mich umzuziehen und stieg dann langsam die Treppe hinauf, mit meinen Sportklamotten in den Händen. Wir befanden uns also im Jahr 2009. Zumindest wenn es um Donna ging. Musste ich noch etwas wissen? Irgendetwas? Mein Kopf schien wie leer zu sein. Ich versuchte darüber nachzudenken, aber selbst die einfachsten Events aus diesem Jahr fielen mir nicht mehr ein. Ich wusste, wo ich selbst damals gestanden hatte. Was ich erlebt hatte. Aber... die Welt? Was war mit der? War Obama bereits Präsident oder immer noch Bush? Irgendwann war doch auch Michael Jackson gestorben, oder? Oben angekommen erwartete mich der Doktor wie versprochen. „Ich hatte das Gefühl, dass Ihnen die Gänge der TARDIS nicht sehr geheuer sind“, sagte er, als wir gemeinsam zurück zur Hauptzentrale gingen. „Dunkle Gänge sind allgemein nicht meins“, murmelte ich ausweichend, „Das letzte Mal... als ich in einem Gruselkabinett war, hat uns niemand mehr zu erschrecken versucht, weil ich aus Versehen einem des Personals meinen Ellbogen in den Magen rammte. Reflex.“ Der Doktor warf mir einen skeptischen Blick zu, schwieg sich dazu allerdings aus. „Keine Sorge, passierte seitdem nie wieder“, versicherte ich mit hilflosem Lächeln und sagte dann ebenso keinen weiteren Ton. Dass meine Klappe immer dann selbstständig wurde, wenn es darum ging, sich in peinliche Situationen zu manövrieren... In der Steuerzentrale wieder angekommen, überprüfte der Timelord augenblicklich die Zielkoordinaten und ließ dann den letzten Hebel, den er zuvor runtergezogen hatte, wieder hochfahren. Ob das vielleicht so etwas wie ein Autopilot war, den er so ein- und ausschalten konnte? „Sie... meinten vorhin, dass meine Koodinaten Schwierigkeiten bereiteten?“ „Ein wenig“, stimmte er zu, „Ihre Geschichte würde dies allerdings erklären.“ „Paralleluniversum?“ „Vielleicht. Unmöglich wäre es nicht.“ Seine Gesichtszüge formten eine Grimasse und er wog kurz den Kopf von links nach rechts, „Nar... es ist zugegebenermaßen unheimlich, wenn jemand mehr über Sie weiß als Sie selbst. Werde ich in Zukunft rothaarig?“ Natürlich. Als ob nichts anderes wichtiger wäre. Trotzdem musste ich ein wenig schmuzeln. „Spoiler.“ „Habe ich mir gedacht. Also dann... wollen wir ins Jahr 2017?“ Ich nickte und trat näher an seine Seite. „Trauen Sie sich zu, diesen Hebel zu halten? Er springt gerne aus seiner Position“, deutete der Doktor mit dem Zeigefinger auf das schwere schwarze Ding direkt vor mir. Ich blickte hinab, sah den Hebel und legte meine Hand um diesen. Also doch kein Autopilot? „Nehmen Sie beide Hände. Sie werden Ihre Kraft brauchen.“ „In Ordnung.“ Begeisterung konnte ich gerade nicht aufbringen. Meine Hoffnung lag darin, das alles gut würde und ich in fünf Minuten wieder in meinem Bett oder meinetwegen auch auf meinem Teppich aufwachen würde. Bitte, bitte, bitte... „Also dann... 2017, allons-y!!“ Als wäre dies der Startruf gewesen, begann die TARDIS unter der manuellen Steuerung des Doktors zu ruckeln und ich stemmte meine Füße fest in den Boden, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Gar nicht so einfach. Das letzte Mal, dass der Erdboden unter meinen Füßen so geruckelt hat, war damals im Vergnügungspark, eine Simulation eines abstürzenden Fahrstuhls. Jahre her und ich hatte es auch nicht vermisst. Nun verstand ich auch, warum der Doktor meinte, dass es all meine Kraft bedürfte... ja, allerdings. Ich hielt den Hebel mit aller Kraft nach oben gedrückt, denn ich spürte, wie er in die andere Richtung ausscheren wollte. So nicht, mein Freund! So nicht. Keine Ahnung, was passierte, wenn ich losließ, aber ich wollte das auch nicht ausprobieren. Hin- und hergeschleudert werdend, pustete ich die Luft aus. „Das ist ja noch schlimmer als gedacht!“, musste ich ziemlich laut rufen, damit meine Stimme die Geräusche der TARDIS übertönen konnte. „Finden Sie? Ohne dieses Ruckeln würde etwas fehlen!“, warf der Doktor ein und zog einen weiteren Schalter nach unten. „Jedem das Seine.“ Die TARDIS musste sich nicht wie ein aufgebrachtes Pferd aufführen, aber das behielt ich besser für mich. Und dann, mit einem letzten großen Schunkeln, riss es uns beide zu Boden, bis unser Gefährt sich beruhigte und eine friedliche Stille zu vermitteln vermochte. Es zischte und dampfte und sowohl der Doktor als auch ich mussten uns erst einmal wieder angestrengt aufraffen. Ich rieb mir die Stirn, da ich mit dieser auf das unangenehme Bodengitter gelandet war und setzte mich langsam auf. Zum Glück keine Schürfwunde oder ähnliches, wie ich ertastete. Alles okay. Mir taten nur die Knochen weh, aber das war wohl normal. Oh... und ein bisschen übel war mir auch. „Wir... sind also da?“ „Ja, allerdings. Der 12. März 2017. Erde. Berlin. Willkommen zurück. Sie haben Ihren ersten Flug gut gemeistert.“, verkündete der Doktor und war inzwischen auf mich zugekommen, um mir mit einer dargereichten Hand aufzuhelfen. Ich ließ mich hochziehen und lächelte erleichtert. „Ich danke Ihnen, Doktor.“ Er erwiderte das Lächeln nicht, nickte mir nur zu und deutete dann auf die weiße Tür, die den Ausgang markierte. Mein Herz fing unweigerlich schneller zu schlagen an. Ob es funktioniert hatte? Ich zweifelte nicht an den Fähigkeiten des Doktors, wohl aber an meine Träume. Doch fiel mir da auf, dass ich ja nun mehr geliehene Kleidung trug und die eigentlich gleich zurückgeben sollte? Obwohl, erst waschen, dann zurückgeben? Aber das wäre ja gar nicht machbar? Hirn, hör auf zu denken! Er winkte ab, als ich an meiner Bluse zupfte und ein entschuldigend zu ihm sah. Gut, bei diesem Kleiderschrank kein Wunder, dass er auf zwei, drei Stücke verzichten könnte. Doch ich zögerte ein weiteres Mal die TARDIS zu verlassen. „Wenn ich jetzt hier durchgehe... wach' ich auf und der Traum ist vorbei“, bemerkte ich und verzog den Mund zu einer schmalen Linie, „Darf ich... einen Wunsch äußern?“ Der Doktor sah mich einfach nur anhörend an, so dass ich fortfuhr: „Darf ich Sie umarmen?“ Ich war kein Umarmungsmensch, aber wenn ich schon einmal hier war, wollte ich wenigstens eine Abschiedsumarmung. „Es ist ja nur ein Traum.“ Unangenehmer konnte es mir gerade nicht mehr werden, aber da musste ich durch. „Nicht für mich“, erwiderte er erst ganz trocken, ließ mich mit diesen drei Worten Tatsache straucheln. Dann aber fast schon amüsiert mit den Schultern zuckend, breitete er seine Arme ein wenig aus. Ich trat einen Schritt vor, umarmte den Traumdoktor und konnte mir nicht verkneifen zu sagen, dass er mein Lieblingsdoktor war. Nichts, was er verstehen würde, aber für mich von Wichtigkeit. Wir lösten uns voneinander und er ging die letzten drei Meter voran, legte die Hand an den Griff der Tür der TARDIS. Ich ließ noch einmal meinen Blick durch diese schweifen, ehe ich folgte. Der Lichtspalt, der sich nun beim Öffnen der Tür ergab, ließ mich in das warme Licht der Nachmittagssonne sehen, welche meine Wohnung erhellte. Zumindest glaubte ich das. Vielleicht so die ersten fünf Zentimeter. Denn sobald er mir die Tür der TARDIS richtig öffnete, stockte mir der Atem und ich starrte jemanden entgegen, der gewiss weder von mir eingeladen war, noch zu meiner Wohnung passte: Ein Hüne von Gladiator, welcher mir mit Schwert und Schild entgegen starrte und genauso wenig glauben konnte, wen er da vor sich sah. „Ehm... das... ist nicht... mein Zuhause?“ Der Doktor warf nun ebenso einen Blick nach draußen und augenblicklich zogen sich seine Gesichtsmuskeln zu einer ungläubigen Grimasse zusammen: „Was?“ „Eh... ich... bin mir ziemlich sicher?“ „Was?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)