Hanarezu ni soba ni ite von Flokati ================================================================================ Kapitel 2: Der Abend des Grand Prix Final, Barcelona (Teil 2) ------------------------------------------------------------- „Du erlaubst?“ „Klar. Keine Interviews mehr? Leiste Yuuri doch kurz Gesellschaft, ich muss noch einmal zur Rezeption.“ entgegnet Viktor, beinahe schon wieder so ungezwungen wie immer. Er schlängelt sich an Chris vorbei in den Flur, winkt noch einmal, schließt die Tür und ist verschwunden. Als sich Chris zu mir umdreht, sehe ich in seinem Gesicht plötzlich Züge von ernster Besorgnis... und Eifersucht? „Sag' mal...“ beginnt Chris und ich ahne schon, warum er hier ist. „Ich dachte, das mit der Verlobung sei ein Witz. Ein Scherz. Aber ich wurde ständig darauf angesprochen; ob ich etwas dazu sagen könnte, dass mein langjähriger Konkurrent Viktor Nikiforov und Katsuki Yuuri sich verlobt haben und soll ich dir was sagen? Dass du dir Viktor für ein Jahr reserviert hast, ist eine Sache, aber ihn den Rest seines Lebens für dich beanspruchen zu wollen und gleichzeitig von Rücktritt zu sprechen, schlägt dem Fass den Boden aus.“ Ich stehe da wie angewurzelt. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. „Versteh' mich nicht falsch.“ erklärt er sich schnell beim Anblick meines schockierten Gesichts. „Mir ist egal, was Viktor an dir findet; das Einzige, was mich interessiert, was es für ihn für Konsequenzen hat. Ich hab es dir in China schon gesagt. Während du in Japan mit eurer Liaison ein einigermaßen sorgenfreies Sportlerleben haben kannst, steht für Viktor einiges mehr auf dem Spiel. Er ist Russe, ein Aushängeschild seiner Nation. Was meinst du passiert, wenn rauskommt, dass er mit seinem Schüler ein Verhältnis eingegangen ist?“ Ich schlucke. Über Viktors sexuelle Orientierung war in der Vergangenheit debattiert worden, aber eindeutige Fotos oder Statements hat es nie gegeben. Viktors Outfits auf dem Eis hatten die Spekulationen immer wieder angefacht, aber letztendlich blieben es Spekulationen. Die Stimmen verstummten vollständig, als er seine langen Haare gegen den jetzigen Kurzhaarschnitt eintauschte und über das Thema war seitdem auch nie wieder diskutiert worden. „Was ich sagen will,“ reißt mich Chris' Stimme aus meinen Gedanken zurück, „Er wird Probleme bekommen, wenn er in Russland sein Comeback trainieren will. Die sind im kalten Russland nicht ganz so locker drauf wie hier im warmen Europa. Viktor ist nicht nur dein Idol und seine Fans werden ihn nicht teilen wollen, egal mit wem. Ich hoffe sehr, ihr habt den Russen in den Vorentscheiden nur halb so offensichtliches Bildmaterial geliefert wie den Chinesen.“ In meinem Kopf explodiert gerade alles. Viktor würde Probleme bekommen? Wegen mir? Mir schießen die Tränen in die Augen, mein Herz pocht schmerzvoll. Mein Gehirn durchspielt alle Erinnerungen, die in Russland passiert sind. Doch so sehr ich mich bemühe, mich nur auf den Cup of Russia zu konzentrieren, mischen sich die Bilder mit allen Erinnerungen seit Peking. In Peking hat er mich zum ersten Mal geküsst. Direkt nach meiner Kür und jeder hat es gesehen. Kein Fotograf war darauf vorbereitet gewesen, keine Kamera hatte es im richtigen Winkel einfangen können; aber was blieb, waren die Bilder von uns auf dem Eis, er über mir, mit einem Lächeln, das niemals das eines Trainers an seinen Schützling hätte sein können. Die Presse hatte sich darauf gestürtzt wie die Geier auf das Aas und Phichit’s Sieg war schnell zur Nebensache geworden. Viktor hatte zwar sofort allen Spekulationen die Luft aus den Segeln genommen, denn er war er und er konnte es sich leisten. Doch während er so erfrischend unschuldig und fröhlich die wildesten Erklärungen in die Mikrofone der Reporter abgab; erklärte, dass es ganz normal sei, jemanden zu küssen, der Lob verdient habe, bemerkte ich etwas, dass ich zuvor noch nicht in der Lage gewesen war, voneinander zu unterschieden: Viktor log und zog eine Show ab, dass sich die Balken bogen. Er wusste, dass alle an seinen Lippen klebten und dass sie alles glauben würden, was er ihnen erzählte, solange es nur ihre Neugier befriedigte. Es erfüllte mich mit peinlich berührender Glückseligkeit, als ich begriff, dass ich einen Viktor kannte, der anderen verborgen blieb. Nur ich war wie kein anderer in der Lage, den öffentlichen von dem privaten Viktor zu trennen. Dieser eine Moment nach meiner Kür hatte alles geändert. Der Kuss hatte keinerlei Konsequenzen nach sich gezogen. Auch in Russland war nichts passiert. Viktor hatte mich schon vorgewarnt, also hatten wir Acht gegeben, nicht gleichzeitig dasselbe Zimmer zu betreten oder zu verlassen. Und dann die Sache mit Makkachin. Viktor war nur kurz zurück in Russland. Wir hatten nicht mal Zeit, etwas anderes zu sehen außer dem Hotel und der Eishalle. Ich kann deswegen nicht begreifen, was Chris mir gerade prophezeit. "Yuuri, krieg dich wieder ein." entgegnet er mit irritiertem Blick. "Und heul nicht rum." Noch bevor ich etwas darauf sagen kann, kehrt Viktor zurück. Offensichtlich hat er problemlos ein Einzelzimmer buchen können. Seine entspannten Züge halten jedoch nur so lange, wie es für ihn dauert, zu realisieren, dass ich Tränen in den Augen habe. Dass er selbst mich in China zum Weinen gebracht hat, macht ihm auch heute noch immer mal wieder ein schlechtes Gewissen, auch wenn es letzendlich zu meinem ersten, wirklichen Erfolg und irgendwie auch zu unserer Beziehung geführt hat. Aber noch viel schwerer scheint es zu wiegen, wenn andere meine Tränen verursachen. Und Chris ist nicht irgendjemand, er und Viktor kennen sich seit Jahren und kommen gut miteinander aus. Schnellen Schrittes kommt er zu mir, die Tür fliegt ins Schloss und er nimmt mich in Arme; nicht wie sonst um seine Zuneigung auszudrücken, sondern (und mir schießt sicher wieder Blut in die Wangen) um mich zu beschützen. "Was hast du ihm gesagt?" "Ich wollte ihm nur die rosa Brille abnehmen." Dem Schweizer ist die Situation sichtlich nicht ganz geheuer. Er starrt auf den Boden. "Dass er so sensibel ist, konnte ich nicht ahnen." "Das beantwortet meine Frage nicht." "Ich hab gesagt, dass eure Beziehung, Verlobung, was auch immer, für dich zum Problem werden kann. Das ist auch nicht ganz ohne Hand und Fuß." verteidigt sich der Blonde, dazu gestikulierend. "Diese Ringe wären besser ein Scherz geblieben." "Yuuri trifft keine Schuld." "Was soll dann dieser Zirkus von wegen Verlobung?" ereifert sich Chris. "Der kleine Thailänder ist so überwältigt von der Vorstellung, sein Freund könnte sein Idol Viktor Nikiforov heiraten, dass es alle seine Twitterfreunde wissen! Und deren Freunde und mittlerweile das ganze Netz!" Meine Augen weiten sich, der Griff von Viktors Armen wird stärker. Phichit war es... er hatte ohne Böses zu wollen seiner Freude Luft gemacht und damit versehentlich eine Lawine losgetreten. Er war schon im Restaurant so euphorisch gewesen... es schnürt mir die Kehle zu. „Was ich gesagt habe, ist allein meine Verantwortung.“ entgegnet Viktor in einem sehr kühlen Ton. „Ich werde diesen Ring nicht abnehmen und Welt kann denken, was sie will. Solange Yuuri die Wahrheit kennt, ist mir alles andere egal.“ „Ich kann nicht glauben, was ich höre, Viktor! “ entfährt es Chris, die Hände über dem Gesicht zusammenschlagend. „Merde alors, wo ist der Viktor, den ich kannte? Seit Beginn der Saison erkenne ich dich kaum wieder, du schwänzelst nur noch um ihn herum; Yuuri hier, Yuuri da. Merkst du eigentlich noch, wie du rüberkommst? Auf diesem Chinafoto liegst du ihm nackt um den Hals, dann küsst du ihn und on top kreuzt ihr keine zwei Monate später mit Ringen an den Fingern auf und von Verlobung ist die Rede!“ „Was ist dein Problem, Chris?" „Mein Problem? Du hast dir dieses Jahr für nichts den Arsch aufgerissen! Er redet von Rücktritt, haut einen Weltrekord raus, aber steckt dir einen Ring an den Finger! Er will doch gar nicht mehr! Lass' ihn und komm zurück auf's Eis, Viktor!“ Wamm! Es vergehen einige Sekunden, in denen sich keiner von uns rührt. Aber der Abdruck von Viktors Hand auf Chris' Wange leuchtet immer klarer. In Viktors Augen steht die blanke Leere, als er realisiert, was er gerade getan hat. Ich traue mich nicht mich zu bewegen. Selbst wenn ich nicht geschockt wäre, hätte ich nicht gewusst, was ich hätte tun können. Chris fängt sich wieder und streicht sich über die malträtierte Wange, aber er lächelt. „Viktor, bon dieu. Ich wollt‘ nur rausfinden, wie wichtig er dir wirklich ist. Aber dass du mir gleich eine scheuerst...“ Chris wirkt irgendwie amüsiert, dann seufzt er. „Wie soll ich das Veilchen gleich beim Bankett erklären? Am besten tauche ich erst gar nicht auf.“ Er wendet sich zum Gehen, bleibt aber dennoch an den versteinerten Augen meines Beschützers hängen. "Die Welt wird einen neuen Viktor zu sehen bekommen. Auch wenn der neue Viktor dir nicht ähnlich sieht." sagt er und betrachtet seinen langen Rivalen mit merkwürdig verträumten Blick. "Ich habe keinen Zweifel an der Echtheit dieser Verlobung - und dieses kleine Geheimnis ist bei mir sicher." Um seine Aussage zu untermalen, legt er einen Finger geheimnisvoll auf seine Lippen und lächelt abermals. Dann nimmt er einen zweiten hinzu und wirft Viktor einen Luftkuss entgegen. "Schade, Viktor." flirtet der Schweizer zum Abschied. "Pass gut auf deinen petit ami auf. Ich seh dich nächstes Jahr." Chris ist eben doch kein so schlechter Kerl, denke ich mir. Dennoch ist mir Viktor gerade wichtiger, dessen Blick immer noch glasig ist und weiterhin ins Leere geht. Dass er die Kontrolle verloren hat, scheint ihn mehr erschreckt zu haben als den Betroffenen selbst. Ich drücke ihn ein bisschen fester an mich. Zwar weiß ich noch nicht, welcher Film in seinem Kopf gerade läuft, aber ich fühle mich seltsam stark, es mit seinem Kopfkino aufzunehmen. Viktor vergräbt sein Gesicht zwischen meinen Hals und meiner Schulter, ich spüre den warmen Atem und bin erleichtert. Er braucht Nähe und Halt und den kann ich ihm geben. Ich beginne, seinen Rücken zu streicheln und ein scheues Lächeln huscht über meine Lippen. Den Rücken streicheln... etwas, das nur ich weiß. Niemand sonst weiß, wie sehr das Viktor gefällt. Bemerkt habe ich es, als er in unserem Onsen die Reinigungsrituale der anderen japanischen Badegäste beobachtete. Einige Gäste schrubben sich die Rücken mit den bereitliegenden Bürsten, bevor sie ins Wasser steigen. Nach einer Weile versuchte es Viktor selbst, verlor aber schnell die Lust daran. Es schien ihn zu stören, es selbst machen zu müssen und das war der Moment, in dem ich ins Spiel kam. Seinem Hundeblick konnte ich natürlich nichts entgegensetzen, aber als er mit anbot, es mir gleichzutun (was ich zunächst wehement ablehnte), wusste ich zumindest, dass er dankbar dafür war, auch wenn er es nicht sagte. Seitdem kraule ich seinen Rücken, wenn er angespannt ist. Er lässt sich dann vollkommen fallen. Einmal so sehr, dass er sitzend und über den Rand unseres Onsen liegend mit dem Gesicht auf den Steinen eingeschlafen ist. Den Abdruck der Steine hatte er den ganzen Abend über noch als große, rote Flecken im Gesicht. Selbst Makkachin schien das Missgeschick seines Herrchens zu feiern und sich prächtig darüber zu amüsieren. Gefeiert hatte auch die Netzgemeinde, dank Yukos Drillingen bestens mit Fotos versorgt. „Yuuri...“ Das Kraulen hilft, wusste ich's doch. Ich muss innerlich grinsen, dass ich mittlerweile den einen oder anderen Magic Trick kenne. Viktor richtet sich auf, sein Blick ist wieder klar und fokussiert. „Bitte mach dich fertig, ich bringe meine Sachen nach oben. Dann muss ich sofort schauen, ob ich Chris noch erwische. Wir treffen uns in einer halben Stunde unten an der Rezeption.“ „Gut.“ entgegene ich und lasse los, beobachte noch still wie Viktor beginnt, seine Habseligkeiten zusammenzusuchen, bevor ich mit einem etwas sehnsüchtigen Blick ins Bad steige. ----------- Eine gute halbe Stunde später sitzen wir im Taxi zum Bankett. Der Plan: Ein bisschen früher als Yurio auftauchen, kurz interviewt werden, und mit dem Erscheinen des Siegers nach drinnen verschwinden können. In der Theorie versprach es zu funktionieren, doch Viktor hat die Rechnung ohne Yurios Bockigkeit gemacht – denn das kleine Monster lässt alle mächtig warten und so stehen Viktor und ich erneut im Kreuzverhör der Reporter. Bereits zum zweiten Mal an diesem Abend werde ich Zeuge, wie Viktor sich geschickt wie ein Wiesel aus allen verfänglichen Fragen winden kann. Ich muss mir Mühe geben, mir nicht anmerken zu lassen, wie beeindruckt ich davon bin, die Tatsachen so zu verbiegen zu können, dass sie ein völlig anderes Bild ergeben. Er schafft es, dass die Presse letztendlich die Aussage schluckt, dass die Ringe Glücksbringer sind. Ein für Europäer ungewöhnlicher Freundschaftsbeweis, der in Japan üblich ist, um sich zu bedanken, wenn man davon ausgeht, die betreffende Person die nächste Zeit nicht mehr zu sehen und sich dennoch verbunden zeigen möchte. Da ich über meinen Rücktritt und Viktor über sein Comeback nachgedacht haben, schiebt Viktor dies als Untermauerung der These direkt hinterher. Das tut er so perfekt, dass ich erst viel später bemerkte, dass zu dem Zeitpunkt, an dem wir die Ringe tauschten, noch keiner von uns ein Wort über Rücktritt oder Comeback dem anderen gegenüber verloren hatte...! Chris erscheint wie angekündigt nicht zum Bankett. Zumindest erinnere ich mich nicht daran, ihn eintreffen gesehen zu haben und ich mache mir gedanklich eine Notiz, Viktor später noch zu fragen, ob er mit Chris hatte reden können. Meine Aufmerksamkeit gilt erst einmal dem Ausfindigmachen von Phichit, um ihm die Schuldgefühle zu nehmen und ich bete, dass Yurio mit seinem Eintreffen nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Schließlich erscheint der Blondschopf gut eine halbe Stunde zu spät, aber wie aus dem Ei gepellt und seinen Trainern im Schlepptau, die vor Stolz beinahe platzen. Yurio selbst sieht eher so aus, als würde er gleich anderweitig platzen, weil er den Zirkus langsam satt hat. Viktor nutzt den Moment, greift nach meinem Arm und zieht mich nach drinnen. Dort begrüßt uns das spanische Personal sehr freundlich und wir bewegen uns durch die Rezeption eines größeren, wesentlich nobleren Hotels mit dunklem Holzdekor, weißen Vasen und Marmorboden. Im Vergleich zum Trubel draußen ist es hier fast gespenstisch still. Eine angenehme Atmossphäre von Austausch und Unterhaltung erfüllt den Bankettraum, in dem sich bereits viele der anderen Teilnehmer, Trainer und Begleitpersonen, sowie Vertreter und Mitglieder des Grand Prix und verschiedener Sportkomitees aufhalten. Viktor zieht an meinem Jarkett und lässt mich wissen, dass der glatzköpfige ältere Mann mit tiefen Gesichtszügen und Rauschebart am hintersten Tisch der russische Botschafter in Spanien ist, den man zur Feier von Yurios und dem sechsten russichen Sieg in Folge bei einem Wettbewerb wohl spontan eingeladen hat. Was er mir eigentlich damit sagen will ist, dass wir uns, solange er hier ist, besser am Riemen reißen und keinen Blödsinn machen sollten. Das heißt noch einmal mehr im Klartext, dass es keinen Alkohol für mich gibt. Was ich mir gerade schwierig vorstelle, sollte der Botschafter auch mit Viktor sprechen und feiern wollen, denn der Champus auf dem Tisch musste dem Vodka bereits weichen und Russen in Feierlaune können Viktors Erzählungen nach gar nicht genug Vodka an ihre Mitmenschen verteilen. Das kann ja heiter werden. Ich frage mich, wie lange es dauern würde, Viktor mit Vodka betrunken zu machen. In China war er betrunken gewesen, aber ich erinnere mich kaum, was er an diesem Tag alles getrunken hatte. Aber wenn ich es mir so überlege, eine ganze Menge. Immerhin hat er Celestino-sensei unter den Tisch getrunken und das, obwohl er bereits im Flugzeug zu seinem Essen Alkohol bestellt hatte. Beim Hotpot muss ihm dann dieser chinesische Schnaps in der letzten Trinkrunde den Rest gegeben haben. In Gedanken versunken bemerke ich nicht, wie Viktor von dem Botschafter an den Tisch gewunken wird. Noch bevor ich aufschließen kann, stehen bereits zwei kleine Gläser des klaren Kartoffelschnaps für uns bereit. „Vitya, du Teufelskerl!“ begrüßt ihn der Botschafter höchst erfreut und klopft ihm kräftig auf die Schulter. Wow, denke ich. Teufelskerl ist ja nett. „Kaum machste den Abflug um die japanische Witzfigur zu trainieren, denken alle in Russland, dein Genie hat dich überschnappen lassen und dann haust du beim Finale mit deinen Choreos sowohl zwei neue Weltrekorde, als auch Gold und Silber raus. Als Läufer biste weg – und trotzdem ganz oben mit dabei, das kann nur das Werk des Teufels sein!“ Gut, dass er dabei lacht. Japanische Witzfigur. Immerhin gehen ein Weltrekord und Silber auf mich! „So groß war mein Beitrag gar nicht.“ antwortet Viktor, beinahe bescheiden. „Yuuri und Yurio haben diese Rekorde alleine vollbracht. Schließlich hatte ich nicht vor, mich selbst zu schlagen.“ „Lass die Bescheidenheit weg, Vitya. Hier, stoßen wir an! Der Kurze neben dir auch!“ Da ist er schon, der Vodka in meiner Hand. Viktor gibt mir mit einem resignierenden Bilck zu verstehen, dass ich wenigstens diesen einen aus Höflichkeit mittrinken muss. Was sagt man da schnell nochmal? „Nostrovje!“ Und runter mit dem Zeug. Kaum ist das Glas leer, nimmt Viktor es mir auch ab. Sicher ist sicher. Aus dem Augenwinkel heraus entdecke ich Phichit. Da ist er ja endlich! „Yuuri? Kannst du uns vielleicht einen Moment allein lassen?“ schlägt just Viktor vor, als hätte er meine Gedanken gelesen. Oder er will mich vom Vodka fernhalten. So ganz sicher bin ich mir da nicht gerade, im Zweifelsfall einfach beides. Ich empfehle mich, erhalte noch den festesten Händedruck, den ich je erlebt habe und überlasse die Russen ihrer Siegesfeier. Yurio hat es auch endlich nach drinnen geschafft und Otabek Altin ist bei ihm. Zusammen schleifen Lilia und Yakov die beiden in Richtung des Botschafters. Ob es an Otabek liegt oder nicht, sei mal dahin gestellt, aber Yurio sieht um einiges zufriedener aus noch gerade eben. Als ich Phichit erreiche, sehe ich auch Celestino-sensei. „Phichit-kun!“ „Yuuri!“ Er wirkt extrem verunsichert. Ich kann die Schuldgefühle von seiner Stirn ablesen. „Hey, Yuuri.“ begrüßt mich Celestino-sensei und reicht mir die Hand. „Ich gratuliere. Ich wollte dir schon vor der Halle gratulieren, aber Viktor und du seid ja noch ewig dadrin geblieben, da waren wir schon weg. Ein so brilliantes Ergebnis hätte ich nie von dir erwartet. Ich muss sagen, ich hätte auch nicht darauf gewettet, dass Viktor zum Coach taugt, aber offensichtlich wusste er, wie er mit dir umgehen muss.“ „Ja, auch meinen Glückwunsch, Yuuri.“ nuschelt Phichit und schüttelt meine Hand, allerdings sehr unbeholfen. Ich kann sehen, wie der Tweet ihn quält. „Es muss sich super anfühlen, einen Weltrekord gelaufen zu sein.“ „Eigentlich denke ich darüber gar nicht so nach, wenn ich ehrlich bin.“ erwidere ich. „Der Lauf war zu emotional, als dass das Ergebnis eine Rolle spielt.“ „Du bist viel zu bescheiden, Yuuri!“ poltert Celestino. Dann senkt er seine Stimme. „Aber emotional war es allemal. Was ist durch deinen Kopf gegangen? Ich habe dich und Viktor die ganze Saison noch nie so demotiviert erlebt, wie heute morgen. Es sah fast aus, als wärt ihr in eine Sackgasse gelaufen. Ihr hattet Streit, nicht wahr?“ Ich beiße mir auf die Lippen. Ja, hatten wir. Aber das würde hier niemanden etwas angehen. Celestino legt den Arm um meine Schulter und beugt sich zu mir runter. Ich wende den Blick ab, aber mein ehemaliger Trainer fährt fort: „Ich kenne dich gut und lange genug, Yuuri. Viktor kann Außenstehende leicht mit seinem Charisma täuschen, aber diejenigen, die dich kennen, sehen die Dinge anders.“ „Alles ist gut.“ bringe ich hervor. „Wir haben unsere Entscheidungen getroffen. Wir sind im Reinen.“ „Heißt das, ihr trennt euch etwa?!“ Phichit schaut mich fassungslos an. Ich schüttele langsam den Kopf. „Nein, er bleibt mein Trainer, aber Viktor wird nächste Saison auch wieder mitlaufen. Ich glaube, er will seine Rekorde zurückholen... Gewinnen traut er sich aber nicht zu, sagt er.“ „Kann er ja auch nicht!“ entfährt mein Freund und ihm schießt Farbe ins Gesicht. „Ich lass euch mal alleine, Jungs. Ihr habt was zu klären.“ Celestino klopft uns gleichzeitig zum Abschied auf die Schultern und geht. Phichits Ausdruck hat sich nicht verändert. Er sieht mich besorgt an. „Yuuri, er kann dir doch keine Hochzeit nach einer Goldmedaille versprechen, wenn er sie selbst gewinnt!“ „Das hat er nur so gesagt.“ beschwichtige ich mit unsicherer Stimme. „Was Viktor der Presse erzählt hat, ist nicht gelogen. Ich wollte einen Glücksbringer haben und mich bei ihm bedanken. Mehr nicht.“ Phichits Besorgnis wandelt sich in Fassungslosigkeit: „Meinst du das ernst, Yuuri?“ Irgendwie muss ich lächeln. Diese Art von Antworten ist selbst er nicht unbedingt von mir gewohnt. „Da ist wirklich nicht mehr dran.“ wiederhole ich und sehe ihm direkt in die Augen. „Hast du noch alle Latten am Zaun?!“ Phichit bricht es ohne Vorwarnung aus ihm heraus. „Yuuri, bist du blind oder ein Arsch?!“ Ich zucke zusammen bei seinem letzten Wort. „Jeder kann sehen, dass Viktor dich liebt und du vermittelst den Eindruck, davon gar nichts zu mitzubekommen! Du steckst ihm einen Ring an den Finger, der ‚nur ein Glücksbringer‘ sein soll und sprichst nur einen Tag später von Rücktritt und das, obwohl das Finale noch nicht mal vorbei ist! Was meinst du, wie er sich dabei fühlt? Dafür, dass er einmal dein größtes Idol war, Yuuri, interessiert dich seine Gefühlswelt erschreckend wenig!“ Ich stehe da wie vom Blitz getroffen. Hält Phichit mir gerade eine Standpauke? Ich glaube, ich habe einen Knoten im Hals... Für eine Weile sagt keiner von uns ein Wort. Phichit macht sich offenbar wirklich Sorgen, aber ich kann es gerade gar nicht verarbeiten. Erst recht nicht, dass er mir vorwirft, dass mir Viktor egal ist. Aber je länger die Stille anhält, desto mehr reift in mir die Erkenntnis, dass er Recht hat und mein Verhalten falsch war. Und dass ich mir dessen schon viel länger bewusst bin, als mir lieb ist. Ich hatte es ausgeblendet, hatte es nicht an mich rankommen lassen wollen. Wollte nicht zu viele Emotionen investieren, um nicht zu sehr zu enttäuschen. Dabei habe ich nur versucht, mich selbst nicht zu enttäuschen und mir eingeredet, ich würde Viktor nicht enttäuschen wollen, um mich für ihn besser zu fühlen. Doch für Viktor hatte sich gar nichts besser angefühlt. „Yuuri, du bist kein schlechter Mensch!“ Phichit kann mein Schweigen nicht hinnehmen. „Und ich will nicht glauben, dass dir Viktor völlig egal ist. Deine Performances sprechen eine andere Sprache. Er bedeutet dir doch mindestens genauso viel wie du ihm, also hör auf, dich vor ihm zu verstecken und eure Beziehung an deinen sportlichen Erfolg zu knüpfen! Hat Viktor je gesagt, er würde nicht mehr dein Trainer sein oder nicht mehr bei dir bleiben wollen, sollte er nächste Saison wieder aktiv laufen?“ Mir fährt es eiskalt den Rücken runter und der Knoten in meinem Hals verdoppelt sich schlagartig. „Hast du ihm je eine Chance gegeben, mit dir über die Zeit nach dem Grand Prix zu reden? Oder stand schon immer für dich fest, dass es mit dem Finale enden wird und du Viktor mit gebrochenem Herzen nach Russland zurück schickst, egal wie es ausgeht?“ Meine Hände ballen sich zu Fäusten, das Blut schießt mir in den Kopf. Ich werde wütend auf Phichit, weil er Recht hat. Weil er ausspricht, was ich an meinem Verhalten nicht wahrhaben wollte. Ich habe Viktor keine Chance gelassen und immer nur an den Grand Prix gedacht, alles darauf ausgerichtet und nicht in Betracht gezogen, dass es auch ein anderes 'Danach' geben könnte, als dass alles zum Alten zurückkehrt. Ich hatte die Entscheidung, Viktor als meinen Trainer zurücktreten zu lassen, bereits in Moskau getroffen, zwei Wochen vor dem Finale. Ich komme mir vor wie der größte Idiot... Phichit kommt einen Schritt näher zu mir und legt seine Hand auf meine Schulter. „Yuuri.“ er spricht jetzt in einem mitfühlenden Ton. „Es tut mir so Leid, dass ich das mit den Ringen ins Netz gestellt und euch in Bedrängnis gebracht habe. Ich hätte erst noch einmal nachfragen sollen.“ Seine Worte kommen von so fern her. In Gedanken bin ich nur bei Viktor. Es tut mir leid. Ich will ihn sehen, jetzt sofort. Ich stehe auf, aber Phichit stellt sich vor mich. Sein Stimmt klingt so, wie es sein Gesicht vermuten lässt. Voller Sorge und Anteilnahme. „Yuuri, bitte hör mir zu. Ich kann deine Entscheidung nicht beeinflussen, aber sei fair. Wenn du ihn nur hinhälst, ist das grausam für ihn...“ „Phichit...“ Seltsamerweise kann ich noch reden, auch wenn der Kloß droht, mich zu ersticken. „Ich...“ „Schon gut, Yuuri.“ unterbricht er mich. „Ich sehe schon, dass ich dich wachrütteln konnte. Lass' es uns gut sein lassen und stattdessen lieber deinen Weltrekord feiern! Auf dem Rückflug nach Japan morgen hast du alle Zeit der Welt mit Viktor zu reden. Er wird dir nicht weglaufen.“ Ich fühle mich unglaublich erleichtert und ein Lächeln huscht über meine Mundwinkel. „Danke, Phichit.“ „Sehr gut!“ sagt er und klatscht enthusiastisch in die Hände. Dann hat er in Windeseile sein Handy in der Hand. „Ich brauche nämlich ein Foto mit einem glücklichen Weltrekordhalter!“ lacht er mir entgegen, als er die Kamera einschaltet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)