Hanarezu ni soba ni ite von Flokati ================================================================================ Kapitel 5: Die Tage bis Neujahr, Hasetsu. ----------------------------------------- Die nachfolgenden Tage vergehen schneller als mir lieb ist. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass ich bis Weihnachten sowas wie Ferien haben würde. Zumindest hat Viktor nur abgespeckte Trainigspläne erstellt, was für mich ein eindeutiges Zeichen für Freizeit war. Wie sehr ich mich doch täuschte. Viktor und mir ist es derzeit kaum möglich, einen Tag ohne einen anderen Termin zu verbringen. Es gibt Anfragen für diverse Radioprogramme, Zeitschriftenartikel und Auftritte im Fernsehen. Ich komme mir unendlich blöd vor, als ich diesbezüglich meinen Argwohn äußere und Viktor mir neckend bewusst macht, wie dumm der Gedanke eigentlich war, denn er meinte: „Was hast du denn gedacht, Yuuri? Du brichst den Weltrekord des ewigen Siegers, deines Trainers und Fast-wie-Verlobten und denkst, das interessiert niemanden?“ Natürlich. Natürlich hat Viktor die ganzen Anfragen erwartet. Daher auch dieser kleine Trainingsplan. Er weiß ganz genau, wie der Hase nach einem Podestplatz im Finale läuft. Es ist das übliche Brimborium, dass er nach jedem Sieg mitgemacht hat und welches an mir als stetem Verlierer immer vorbei gegangen war... Als die Anfragen schon nach nur vier Tagen zu unübersichtlich werden, bietet uns Minako-sensei ihre Hilfe an. Sie sortiert und koordiniert die Termine und achtet penibel darauf, dass Viktor und ich nur von ihr als seriös erachtete Formate zusammen besuchen. Die Klatschtermine (und davon gibt es viel mehr, als ich mit je hätte ausmalen können) lehnt sie direkt ab, um uns unsere Privatssphäre zu sichern. An ihrem zweiten 'Arbeitstag' eröffnet sie uns, dass wir als Werbegesichter für den Weihnachts-TV-Spot einer in Japan beliebten Männerpflegeserie angefragt worden sind. Während Viktor das Ganze mit einem netten Nicken abtut und mit Minako-sensei bereits über die Inhalte der Anfrage redet, brauche ich noch etwas Zeit, den Schock, dass mein Gesicht überall im Land auf den großen Kanälen gesendet werden soll, zu verarbeiten. Mir schwirrt der Kopf, wenn ich lese, dass neben dem Werbespot im Fernseh noch eine Printkampagne in so ziemlich jedem landesweiten Magazin geplant ist, von der hohen Gage mal abgesehen. Ich wende mich nervös wieder dem Gespräch von Viktor und Minako-sensei zu und bin sogleich irritiert, dass Viktor die Vergütung zu niedrig findet und das obwohl sein Anteil schon wesentlich höher angesetzt ist als meiner. Prompt frage ich nach dem Warum und ernte nur einen irrtierten Blick mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich könnte mich fast selbst ohrfeigen für diese dämliche Frage. Während ich lediglich das Deo des besagten Pflegesets promoten soll, möchte der Kunde Viktor für das dazugehörige Duschgel vor der Kamera sehen und das natürlich ohne Kleidung. Abgesehen davon hat Viktor mit 1,80m Körpergröße, den graublonden Haaren, dem schönen Gesicht und den türkisblauen Augen schon zu Jugendzeiten neben dem Sport immer wieder gemodelt und das ein oder andere Magazincover und Werbeplakat geziert. Nicht selten habe ich früher mit Yuko am Computer gesessen und nach genau diesen Fotos gesucht, die es nie bis in die japanischen Medien geschafft hatten, da die meisten davon nur nationale, russische Kampagnen begleiteten. Der Erfolg unserer Suchaktionen war aber offenbar nicht ganz so glorreich, wie ich bisher angenommen habe, denn als Viktor beginnt aufzuzählen, für wen, was und für wieviel er bereits vor der Kamera gestanden hat, halte ich kurzzeitig die Lust an. Ich erinnere mich sogar selbst daran, dass Viktor auch schon für große Labels im Rahmen von Fashionevents auf dem Eis performt hat und fühle mich, als hätte ich erst jetzt wieder verstanden, wer seit geraumer Zeit mit mir das Bett teilt... Wenn ich ihm den Antrag gemacht habe, würde ich gerne mal einen Blick auf sein Konto werfen, nur um dann tot umzufallen. Jedenfalls jubele ich innerlich, dass er vergessen hat, dass er mir eine Rechnung für seine Trainigsstunden schreiben wollte. Bei Gelegenheit und besserem Kontostand würde ich ihn vielleicht daran erinnern. Auf der Wunschliste von Anfragen stehen bei Viktor selbst überraschender Weise Gameshows ganz oben. Er hat schon den Sommer über die ein oder andere Sendung verfolgt und als tatsächlich die ersehnte Anfrage kommt, ist er kaum zu bremsen. Als ich ihn frage, warum er ausgerechnet darauf so abfährt, antwortet er, dass japanische Gameshows auch in Russland den Ruf haben, die beklopptesten der Welt zu sein und dass er das einfach spannend findet. Na dann, viel Spaß, Viktor. Den Auftritt verfolgen wir live im Fernsehen und ganz Japan erliegt an diesem Abend endgültig dem Charme des ‚Russen mit den blauen Augen‘. Viktor hat sichtlich Spaß und er passt perfekt zu genau dieser Art von japanischen Unterhaltungsformaten, auch wenn man ihm deutlich ansieht, dass er außer den Spielregeln nicht viel versteht. Als die Sendung vorbei ist, wünschen wir uns mit Lachtränen in den Augen, Viktor hätte noch ‚Beat Takeshi‘ miterleben können. Mit all den Terminen verabschiede mich schließlich niedergeschlagen von dem Gedanken, vor Weihnachten auch nur einen ruhigen Tag verbringen zu können, aber immerhin rentiert sich so der Anzug, den Viktor mir zum Geburtstag geschenkt hat. Ich habe auch kaum Zeit, mir über den versprochenen Antrag Gedanken zu machen und die offensichtlichsten Szenarien wie Weihnachten, Geburtstag und Neujahr bin ich schon mehrfach durchgegangen und habe sie alle verworfen. Dass er bereits weiß, dass es einen Antrag geben wird, macht die Sache nicht einfacher. Eigentlich nur komplizierter. Er müsste mit den Gedanken komplett woanders sein, um die Möglichkeit des Antrags in genau diesem Moment ausgeblendet zu haben. Da er allerdings Gefallen daran findet mich zu foppen, weil er schon den Ring, aber noch keinen richtigen Antrag bekommen hat, fällt es mir schwer glauben, dass er selbst nicht ständig daran denkt. Und wenn ich ehrlich bin, will ich auch nicht mehr lange warten. Viktors Rückflug nach St. Petersburg ist für den 4. Januar fest gebucht und es ist immer noch nicht geklärt, ob ich ihm nachziehe oder nicht und wenn ja, wann. Dazu kommt, dass Viktor in den letzten Tagen sehr viel mit Yakov telefoniert hat und die Gespräche bereiten mir zusätzlich Kopfzerbrechen. Yakov hält nichts davon, dass Viktor nur drei Monate nach Russland kommen will. Ginge es nach ihm, müsste Viktor die komplette neue Saison in St. Petersburg verbringen. Sollte Viktor also Yakovs Anweisung Folge leisten, wäre es am einfachsten, ich würde mit ihm nach Russland gehen. Die Möglichkeit haben wir natürlich durchgesprochen und mir wurde versichert, dass das alles kein Problem sei: Die Wohnung wäre groß genug, das Essen in Russland wunderbar und der Verkehr lebensgefährlich, aber ganz ok, wenn man sich mal dran gewöhnt hat. Aber ehrlich gesagt, ist mir bei dem Gedanken, im russichen Lager zu trainieren, am unwohlsten. Auch wenn Viktor als Trainer streng sein kann, so ist er doch immer noch Viktor mir gegenüber geblieben. Yakov und Lilia sind da garantiert eine ganz andere Hausnummer... es wäre mir wesentlich lieber, wenn wir für uns trainieren könnten, so wie diese Saison, auch wenn es ein sehr egoistischer Gedanke ist. Viktor hat immerhin wegen mir seit fast einem Jahr nicht mehr für Wettkämpfe trainiert, also wäre es nur fair, wenn ich ihn in der nächsten Saison ähnlich unterstütze und ihn bei dem Trainer trainieren lasse, den er sich wünscht. Yakov hat ihm sogar schon einen Trainingsplan geschickt und wenn ich mir den so anschaue, merke ich, dass auch ein Viktor Nikiforov trotz seines Genies und Talents einiges an Training investieren muss, um seine Leistungen abzurufen. Der Plan klingt wie Folter. Viktor hat bei meinem schockierten Gesicht nur gelacht und gemeint, dass das alles halb so wild sei. Ich hoffe einfach mal, dass er Recht hat. Aber der Gedanke, dass es wirklich konkret werden könnte, nach Russland zu ziehen, bestärkt mich, Viktor den Antrag noch vor seinem Abflug auf japanischem Boden zu machen. Wenn in Russland erst einmal alles neu für mich ist, hätte ich dafür sicher erst einmal keine Nerven. Ich muss mir also bald was einfallen lassen, sonst bleibt keine Zeit mehr. Und dann ist bald Weihnachten. Und Viktors Geburtstag. Ob dieser Terminmarathon je ein Ende haben würde? Minako-sensei hat uns den 25. Dezember bisher erfolgreich freigehalten, damit wir zumindest an diesem Tag verschnaufen können. Meine Mutter steckt schon mitten in den Vorbereitungen und versucht über das Internet herauszufinden, ob Viktor so etwas wie einen Lieblingskuchen hat, den sie bei unserer Stammkonditorei in Auftrag geben kann, ohne Viktor selbst fragen zu müssen. Mein Vater ist bemüht, über unsere Großhändler an russischen Vodka und Snacks zu kommen. Dass sich beide so ins Zeug legen, macht mich überaus glücklich. Viktor gehört für sie schon zur Familie, genauso wie Makkachin. Ich bin mir zwar sicher, dass die Ringe nichts damit zu tun haben und dass meine Eltern dasselbe auch so getan hätten, aber sicherlich bekräftigt es sie in ihren Entscheidungen, Viktor wie ein Familienmitglied zu behandeln. Ich kann zwar ab und zu die argwöhnischen Blicke meines Vaters spüren, wenn wir uns spät abends mit Makkachin unter dem Kotatsu reinrollen, lesen, versuchen uns gegenseitig Russisch und Japanisch beizubringen, einfach nur dösen oder Fernseh schauen, aber im Grunde ist er glaube ich froh, dass ich jemanden habe, der auf mich aufpasst und dafür sorgt, dass es für mich nach vorne geht. Unser Geschenk für Viktor hat ebenfalls einige Zeit und Nerven gekostet. Materielle Dinge würden kaum Sinn machen, da er das, was er braucht, bereits besitzt und hier in Japan auch nur ein Teil seiner kompletten Habe ist und somit das Risiko, etwas doppelt oder gar unpassendes zu kaufen, einfach zu groß ist. Außerdem hat der Ring ein Loch in meinen Finanzen hinterlassen und mein Preisgeld aus dem Grand Prix sowie die Gagen aus den Interviews und Werbespots würden zum Großteil für den Umzug nach Russland und den Lebensunterhalt dort draufgehen, sollte es wirklich dazu kommen. Es wäre mir einfach zu unangenehm, wenn Viktor alle Kosten für mich übernehmen müsste, gerade weil ich weiß, dass er es auch tun würde. Also stellen meine Familie und ich an einem langen Abend ein Fotoalbum mit Fotos von ihm und Makkachin aus dem letzten Jahr zusammen. Auf die letzten beiden Seiten schreibt meine Mutter mit etwas Übersetzungshilfe von Mari und mir zum Abschluss noch das Rezept für Katsudon, sodass er sich in St. Petersburg selbst daran versuchen kann. Die nötigen Zutaten bekommt er in einem Körbchen zu dem Album dazu. Ob er es wirklich ausprobiert, kann ich beim besten Willen nicht abschätzen, aber abgesehen davon hat Yakovs Trainingsanweisung auch eine speziell auf Viktor zugeschnittene Diät beinhaltet, was heißt, dass auch für ihn Katsudon nur noch zu besonderen Gelegenheiten drin ist. Ein bisschen tut er mir schon leid deswegen, aber Mari sagte zu mir, dass wenn ich wegen ihm nach Russland ziehen und er mich bei Laune halten wollen würde, es doch das Mindeste sei, dass er mir mein Lieblingsgericht anbieten könne. Diese eine Ausnahmeregelung müsste doch auch bei einem russischen Trainer drin sein können. Ich musste lachen und fand den Gedanken gar nicht so schlecht, aber ich bin mir sicher, dass Yakov uns diesen Wunsch nicht erfüllen würde. Es scheint auch eine glückliche Fügung zu sein, dass Yakov bereits so früh angefangen hat, Viktor Anweisungen zu geben, denn nur einen Tag nach dessen Geburtstag eröffnet uns Minako-sensei, dass Viktor und ich zum Neujahrsschaulaufen, einer Exhibition im Eiskunstlauf im 1st Gymnasium Ice Rink in Tokyo am 2. Januar eingeladen worden sind. Wir haben uns entschieden, zu diesem Anlass 'Hanarezu soba ni ite' überarbeitet als Paar unter dem Titel 'Duetto' zu performen. Viktor hat nach dem Entschluss sofort mit einer Schneiderin aus Russland telefoniert und für mich ein passendes Outfit zu seinem in Auftrag gegeben und ich bete, dass alles noch glatt geht und wir uns nicht mit der Zeit verschätzt haben, denn auch zum Trainieren der Performance bleibt nicht viel Zeit und unser Trainingspensum hat sich schlagartig erhöht. Wir proben jetzt jeden Tag bis Neujahr von früh bis spät im Hasetsu Ice Castle an den Hebefiguren, die einige der Sprünge in der Kür ersetzen sollen und die perfekt koordiniert werden müssen. Da kommt es uns zugute, dass wir beide die Kür auswendig kennen und zumindest darauf keine Zeit mehr verwendet werden muss. Viktor ist während des Trainings auch überraschend kritisch mit sich selbst und er redet oft wie Yakov daher. Wenn ich die Ähnlichkeit nicht schon vorher bemerkt hätte, wäre ich wohl sehr irritiert darüber, aber so hat es etwas amüsantes und beinahe niedliches an sich. Schade, dass Yakov das nicht sehen kann, denn ginge es nach dem russichen Trainer, könnte man meinen, Viktor habe seit der letzten Weltmeisterschaft keine Schlittschuhe mehr angehabt, was aber natürlich nicht stimmt. Auch Viktor ist in der Lage mein diesjähriges Kurzprogramm und die Kür fehlerfrei zu laufen. Es sind seine Choreografieren, die er nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch entworfen hat und unzählige Male mit mir durchgegangen ist. Ich sehe also nicht im Geringsten, dass er fast ein Jahr lang pausiert hat. Und ich spüre, dass er wieder mit der gleichen Ausdrucksstärke, dem gleichen Elan und der gleichen Leidenschaft läuft wie früher. Er scheint seine Tiefphase gänzlich überwunden und neue Energie gewonnen zu haben. Die Faszination, die er kreiert, fesselt mich und mein Herz klopft wie verrückt, wenn ich ihm zusehe... jede Bewegung passt, erzählt eine Geschichte voller Emotionen, zieht mich in seinen Bann und lässt mich nicht mehr los. Es gibt nichts auf der Welt, was mich glücklicher macht, als ihn wieder eislaufen zu sehen. Und ich weiß ganz genau, wann und wo ich ihm die Frage stellen will, auf die er so sehnsüchtig wartet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)