The GSA Conference 2017, Cologne von abgemeldet (Kurzgeschichte) ================================================================================ Kapitel 1: The Conference ------------------------- German Superhero Alliance Conference Ich könnte mich jetzt lang und breit darüber auslassen, wie und warum eine Versammlung der Vereinigung jener Deutschen mit Superkräften, die sich zu Helden erklärt haben, in englischer Sprache betitelt wird, wo es doch fast ausschließlich darum gehen wird, sich von den anderen Superhelden-Vereinigungen aus den USA, aus Japan, Südafrika, Skandinavien, Indien, Südkorea, Brasilien, und so weiter abzugrenzen. Ich lass es lieber. Höre den Vorträgen und Diskussionen zu, besuche die Convention und die Fantreffen. Ich bin praktisch neu hier, eher ein Besucher als ein Teilnehmer, jedenfalls kein Held. Aber ein Mensch mit Superkraft. Niemand, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Welt vor finsteren Gefahren und außerirdischen Seesternen zu beschützen und die anderen Superhelden-Vereinigungen auszustechen. Ich bin einfach nur ein Zivilist. Ein Zivilist mit sehr kurzem Weg zur Arbeit. Während ich so über die Veranstaltung schleiche beobachte ich die echten Helden in ihren aufwändigen Kostümen. Mal mehr mal weniger comichaft, mal mehr mal weniger praktisch und durchdacht, mal mehr oder weniger von Sponsoren designt. Eine faszinierende Modenschau der außergewöhnlichen Art. Masken sind jedoch kaum zu sehen, die meisten Superhelden machen diesen Job Vollzeit, es besteht kein Grund, ihre Identität zu schützen. Sie haben keine Geheimidentität wie die Comic-Superhelden. Beinah alle haben Logos irgendwo an ihren tollen Outfits, manche elegant und unauffällig, farblich abgestimmt und kaum zu erkennen. Aber wirklich nur wenige. Die meisten haben die wohlbekannten Symbole internationaler Firmen leicht einsehbar auf ihr Dress genäht, wie früher höchstens Sportler. Ein Schriftzug auf der Brust, einer auf dem Bauch, einer auf dem Hintern, einer am Revers. Bei den Frauen natürlich auch auf den Oberschenkeln und dekorativ aufs tief ausgeschnittene Dekollete gepinselt. Wenigstens genieren die sich nicht, wenn man ihnen draufstarrt, wo man draufstarren soll. Ein Typ kommt auf mich zu. Sein Anzug ist rotgold, mit Über-Unterhose und blau gehaltenem Equipment, Gürtel, Handschuhe, Stiefel, usw. Das Cape ist auch blau. Die derzeit angesagte Länge reicht bis an die Knöchel, mit verlängerten Enden, die gerade so auf dem Boden schleifen, weit geschnitten, damit es beim Gehen auseinanderweht. Er hat kein eigenes Symbol auf der Brust, das haben eh nur noch wenige, aber zwei sehr aussagekräftige Logos am Stehkragen. Das hat sich nämlich auch nicht geändert. Während Männer außer Händen und Gesicht keine Haut zeigen, und manchmal nicht mal das, denn Handschuhe haben sich allgemein durchgesetzt und Masken sind wie gesagt teilweise immer noch vertreten, tragen Frauen meist nur Bodys oder Bikini-artige Zweiteiler, die mehr Haut zeigen als verdecken. Der Traum der Fanboys. Unfair, wenn man bedenkt, dass diese neumodischen Stoffe feuerfest, kugelsicher und was noch alles sind. Jedenfalls steht jetzt dieser Typ vor mir. Ich rede, bevor er reden kann „Ganz schön mutig, dir Mac und den King beide an den Kragen zu päppen. Machst du nicht auch Cornflakes?“ Der Kerl grinst von einem Ohr zum anderen. Seine Zähne sehen aus, wie vor zwei Minuten erst gebleicht. Seine ansonsten perfekte Fondation hat nur am rechten Ohr einen kleinen Rand und seine Haare sind erst vor kurzem gefärbt worden. Seine Kopfhaut hat noch mahagoni-farbene Flecken. Als er den Mund aufmacht, merke ich, dass ich in diesem Moment gerade weniger einen Superhero vor mit habe, als viel mehr einen Fan. „Mann, bist du’s wirklich? Dieser Teleporter, der da in D-Dorf die Kinder aus dem Feuer geholt hat. Oh Mann, ich hab so gehofft, dass du kommst. Insgeheim natürlich, ich bin ja auch aus anderen Gründen hier. Reporting und Sponsoring und so. Aber dich hier zu treffen, einen echten Superhelden, is’ schon krass. Ich hätt’ auch so gern Superkräfte. Wenn ich’s mir aussuchen könnte, würd’ ich wohl auch Teleportation nehmen. Oh Mann, ich hab mich noch garnicht vorgestellt. Entschuldige, wo bleiben meine Manieren? Man kann ja nicht davon ausgehen, dass alle einen kennen bei der Masse an Superhelden, gell? Ich bin The Judge Smite. Du kennst mich vielleicht von der Cornflakes-Packung, haha. Tust du, hast du ja schon gesagt. Aber bald bin ich auch im Fernsehen, Werbung für den King. Hat das bessere Angebot gemacht. Haha! Darf ich dir die Hand schütteln? Würdest du mir vielleicht ein Autogramm geben? Oder deine Superkraft mal vorführen, das wär’ echt zu cool.“ Er sagt das alles runter wie auswendig gelernt, als wollte er es schnell hinter sich bringen. Als komme seine Zunge seinen Gedanken kaum hinterher. Seine Stimme überschlägt sich überraschenderweise nicht, dafür rattert er das alles komplett ohne Betonungen runter, als wären Satzzeichen nie erfunden worden. Etwas verdattert erkenne ich den Namen The Judge Smite heraus und den Wunsch, mit die Hand zu schütteln. Ein Handschlag wie ein toter Fisch, aber so viel ehrliche Freude in seinen, ebenso wie seine Stimme, völlig tonlosen braunen Augen. „Freut mich, Judge. Ich hab schon von dir gehört.“ Ich hab die Cornflakes schon mal gegessen. „Mein Gott, ich weiß noch nicht mal deinen superhero name.“ „Dirk.“ Das Grinsen fällt ihm aus dem Gesicht. Wirklich. Ich kann sehen wie es samt den silberweißen Zähnen auf den Boden fällt und in tausend Teile zerspringt. Natürlich nicht sofort. Aber nach einer Sekunde, da sein Hirn die Information und meinen extrem trockenen Ton verarbeitet hat. Man fragt nicht nach dem superhero name, das gilt in der Branche als unhöflich. Man geht davon aus, dass alle einen kennen. Aber The Judge Smite hat recht, in der Realität gibts dafür einfach zu viele Superhelden. Deswegen hat er sich auch vorgestellt. Aber wenn man mal gefragt wird, antwortet man ehrlich. Immer. Er kann davon ausgehen, dass ich es ernst meine. Als das bei ihm ankommt, zerspringen seine Vorstellungen von mir mitsamt seinem Lächeln auf den Boden. Dreckiger Messefußboden, der von den vielen Capes, die noch die Vorjahreslänge haben, gewischt wird. Er weiß nicht, was er sagen soll, also springe ich ein. „Was machst du hier? Nimmst du an den Podiumsdiskussionen teil?“ „Neinnein. Ich bin für den Channel hier, mach ’n Report über die Conference und das Drumherum. Die Convention und so. Die Fans, das Feeling und so.“ „Also nicht über die Themen der Diskussion?“ „Äh, nö. Mehr so über die Fanscene.“ „Es wird über die Atomwaffen der Nordkoreaner diskutiert und über das Giftgas des Kalifats. Über das Eingreifen der Aliances in globale Krisen im Allgemeinen. Über den Streit der American Meta League und des United States Hero Corps und über Präsident Trumps Frisur. Die Notwendigkeit der Vermarktung des Superheldentums. Das sollte dich doch interessieren. Du spielst den Mac und den King gegeneinander aus.“ „Ja schon.“ Er will sich vor dem Kerl, den er eben noch angehimmelt hat, wahrscheinlich nicht blamieren. Er fasst sich an den Kragen mit den beiden Logos ungeachtet all der anderen auf seinem Dress. Klein und unauffällig wie Anstecknadeln. „Aber das interessiert doch niemanden. Die Leute wollen wissen, wie viele Millimeter über den Nippeln Golden Breaths Ausschnitt endet, oder wie viele Kätzchen der große Blaue vom Baum gerettet hat. Die Politik, die Probleme, dafür sind die Öffentlich-Rechtlichen da. Das ist nix für unsere Zielgruppe.“ Rechtfertigung beendet, Gegenangriff folgt. „Und du zählst dich scheinbar nicht zur Community. Du hast große Fähigkeiten und nutzt sie nicht. Das alte Power-and-Responsibility-Thema. Das ist doch auch was zum Diskutieren.“ „Da hast du recht. Aber du bist hauptsächlich ein Werbegesicht. Du bist Superheld um Sponsoren zu ziehen, oder? Für dich ist das ein Job. Ich hab zufällig eine Superkraft, aber kein Interesse daran, in der Öffentlichkeit zu stehen. Was weißt du schon, was ich wirklich so tagtäglich Heldenhaftes leiste, wo ich doch dafür sorge, dass es nicht in der dünnen Zeitung mit den großen Buchstaben steht. Verstehst du, was ich meine?“ Und nun entscheidet sich sein Charakter. Und der Kerl, der Judge Smite fällt durch. „Ne, versteh ich nicht. Mann, da hast du diese geile Fähigkeit. Du könntest Millionen machen mit der Werbung und dem Sponsoring. Wie könnte jemand keine Aufmerksamkeit wollen? Aber ich krieg wohl kein Interview mit dir?“ Zumindest das hat er verstanden. „Nein. Tut mir leid deine Zeit verschwendet zu haben. Hat mich sehr gefreut, dich kennen zu lernen. Machs gut.“ Ich zappe weg, den Gefallen tue ich ihm noch. Soll er meine Fähigkeit doch einmal erleben. Ich zappe nur etwa zwanzig Meter weg, lass mich von ihm wieder entdecken und zappe dann erneut. Von der Begegnung muss ich Moe erzählen. Wo steckt der nur? Moe ist das, wofür sich in der Cape-Community der Begriff „Alfred“ eingebürgert hat. Kein Sidekick, sondern ein Unterstützer, meistens auch Mitbewohner, der das Equipment und die Technik besorgt, die Informationen liefert, den Haushalt macht und dem erschöpften Helden nach getaner Arbeit ein Sandwich bringt, das der nicht anrührt. Aber ich bin ja kein Held, also ist Moe auch nicht mein Alfred, auch wenn auf uns fast alle der eben genannten Kriterien zutreffen. Wir wohnen zusammen, arbeiten zusammen und er hat diese App entwickelt, ohne die ich vollkommen aufgeschmissen wär. Teleportation als Superkraft ist schön und gut, aber die Leute stellen sich das sehr viel einfacher vor, als es ist. Es ist nicht einfach, nicht sicher und auch nicht ungefährlich. Ich kann grundsätzlich nur an Orte zappen, die ich sehe oder die ich schon kenne. Da kann ich unter Umständen auch jemanden mitnehmen, auch wenn ich das allgemein nur sehr ungern mache. Moe hat sich inzwischen damit abgefunden und nimmt die Bahn zur Arbeit. Unbekannte Orte sind gefährlich. Ohne die exakten Koordinaten und besonders die Höhe über NN gänzlich unmöglich, sonst lande ich in einer Wand oder im Boden. Autsch. Und schwierig, da wieder rauszukommen. Ganz abgesehen davon weiß ich ja auch nie, was mich erwartet. Einfach so an Orten aufzutauchen kann verständlicherweise zu Schwierigkeiten führen. Leute, die sich erschrecken, neigen zu unkontrollierbaren Reaktionen. Überraschend viele schlagen um sich. Und treffen sehr oft. Hier auf der Conference nicht. Die Besucher sind regelrecht begeistert, die routinierten Superheros, die das siebentausendste Autogramm kritzeln, schauen nicht mal hoch, während ich herumzappe. An den paar Ständen, an denen ich meinen Moe vermutet hätte, ist er nicht. Toll. Aber wenigstens hat Moes Zapp-App das komische Format des digitalen Veranstaltungsplans akzeptiert und gibt mir auf den halben Zentimeter präzise Koordinaten, damit ich sicher zwischen den Leuten landen kann. Zwar bin ich noch nie in einem anderen Menschen gelandet, aber ich halte es für möglich. Die App zapft Karten, Street View, Überwachungskameras und Satelliten an, um zu den Koordinaten Informationen zu liefern. Und anders herum, zu einem konkreten Ort die passenden Koordinaten. Sehr praktisch. Unfassbar praktisch. Und Moe hat das freiwillig gemacht, nur um rauszufinden, ob ers kann. Ich könnt ihn küssen, so dankbar bin ich für diese App, jedes mal aufs Neue, wenn ich sie benutze. Mit genügend Informationen und zwei, drei Versuchen kann ich wirklich an jeden Ort der Welt zappen. Es ist nicht einfach, nicht ungefährlich. Wenn ich jemanden mitnehme dreht es ihm mindestens den Magen um, von Schwindel über Krampfanfälle bis zum plötzlichen Herztod ist schon alles dabei gewesen, vor allem bei unzureichender Vorbereitung des Mitreisenden. Aber trotzdem ist es schon ziemlich cool, ein Teleporter zu sein. Da ich Moe nicht finden kann, versuche ich, zu ihm zu zappen. Wir wissen inzwischen, dass ich nur Orte anvisieren kann, keine Personen. Das haben Moe und ich in unzähligen Versuchen rausgekriegt. Aber manchmal schaffe ich es, Objekte anzuvisieren. Ein ganz bestimmter Gegenstand, den ich sehr gut kenne. Nichts, was es hunderttausend mal in derselben Ausführung auf der Welt gibt. Etwas Einzigartiges. Moes Halskette zu Beispiel, die kenn ich in- und auswendig. Ich stelle sie mir vor, visualisiere sie, wie es so schön heißt, und zappe sie an, in einem Meter Abstand. Mal schauen ob es funktioniert. Moe schaut etwas irritiert, immerhin hab ich ihn im Publikum eines Vortrags über die spirituelle und religiöse Bedeutung der Superhelden gefunden. Moe, der nie wirklich zugeben will, wie religiös er wirklich ist, der den Namen eines Cartoon-Tavernenbesitzers dem seines Propheten vorzieht. Mohammed, mein Alfred, der Informatiker und Geek, mit dem Bart, der als hipster durchgehen würde, würde Moe nicht so nach Araber aussehen. Dabei ist er in dritter Generation Deutscher und seine Familie stammt aus Marokko. „Wie hast du mich gefunden?“, fragt er und zwingt sich, vom Vortrag wegzuhören. „Ich hab deine Halskette anvisiert.“ „Cool. Das hat beim ersten Mal geklappt? Sehr gut, Mann.“ Er knufft mich an. „Du ahnst ja nicht, wen ich gerade getroffen hab. The Judge Smite. Den von der Cornflakes-Schachtel, weißt du noch? Die wir mal gekauft haben, weils sonst nichts gab.“ Moe lacht und zwirbelt seinen Schnauzer. „Ich erinnere mich. Den gibt’s wirklich?“ „Ziemliches Bürschchen. Geschminkt und alles. Und ’n Händedruck wie ein toter Fisch.“ „Glaubst du nicht, die Leute nach Händedruck zu beurteilen ist in der Generation Internet irgendwie nicht mehr angebracht?“ „Aber der Kerl will doch ’n Held sein.“ „Nein, der Kerl will auf Cornflakes-Schachteln.“ Moes Analyse ist wieder mal so messerscharf präzise, wie gnadenlos ehrlich. Er kramt kurz in seinem Messe-Stoffbeutel und holt ein kleines, gelbes Büchlein heraus. „Hier, schau mal. Das hab ich vom Wahre-Helden-Stand, wo du nicht hinwolltest. Sammlung von Aphorismen und philosophischen Texten über die Wahren Helden.“ Ich schlag das Büchlein auf und lande prompt bei Nietzsche. Ein Aphorismus über „das Heroische“. Kenn’ ich schon. „Nach dem ist keiner von denen ein Held, aber das weißt du ja. Der Held ist selbstlos, sucht keine Aufmerksamkeit oder Belohnung oder Geld. Nach dem bist du der einzige Held auf dieser ganzen Conference.“ „Also nichts, was wir nicht schon wissen.“ Darüber wurden ganze Comicreihen geschrieben. „War gratis.“ Moe schiebt das Büchlein weder ein. Er macht deutlich, dass er lieber weiter dem Vortrag lauschen möchte, also troll ich mich. Die Vortragende ist eine der wenigen muslimischen Superheldinnen. Vermutlich aus Afghanistan, genau weiß man das nicht. Sie ist eine derjenigen, die ihre Identität schützen. Sie trägt einen weißen Turban mit integrierter Augenmaske, sehr schick. Ein Mann aus dem Publikum steht unvermittelt auf und kommt über den Mittelgang zwischen den Stuhlreihen nach vorne. Auf halber Strecke zieht er eine Pistole aus dem Jackett und schießt auf die Vortragende. Ob er trifft, weiß ich nicht, ich schaue nicht nach, sondern visiere einen Punkt einen Meter über und etwa einen halben Meter seitlich von ihm an, dann springe ich von der Tribüne, auf der ich mit Moe stehe. Die Energie meines Sprungs bleibt beim Zappen erhalten und so lande ich einen mächtigen Superman-Punch, bevor der Mann noch ein weiteres Mal schießen kann. Eigentlich bevor irgendjemand der vielleicht 300 Anwesenden blickt, was überhaupt passiert. Bevor dieses panische Schreien losgeht, das ich so hasse. Ich weiß, dass mein Punch sitzt, bevor ich mich davon überzeugen kann. Ich habe das schon oft genug gemacht. Ich schaue zu White Turban, die hinter dem metallenen Rednerpult in Deckung gegangen ist. Der berühmte Oberarm-Streifschuss. Sogar das ist ein Klischee. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)