The End of a Dream~ von Kuri-muff (a Sunpô no Gâdian Story) ================================================================================ Kapitel 1: Das Ende eines Traumes~ ---------------------------------- Liebes Tagebuch, dies wird vermutlich mein letzter Eintrag. Darum halte ich es für wichtig an dieser Stelle zu erklären wie alles begann und warum das hier mein letzter Eintrag wird. Ich werde alles aufschreiben was mir grade in den Sinn kommt, darum könnte es etwas durcheinander werden. Eine Welt mit nur einem Mond. Das war die erste Beschreibung, die Ren uns damals von der Erde gab, der Welt um die, die Dimensionen kreisen. Ein Ort den wir Wächter beschützen, selbst wenn wir ihn noch nie gesehen haben. Damals gab es im Schloss der Wächter außer Ren nur Aiko und mich. Aiko hatte man als Kleinkind vor den Toren des Schlosses abgelegt. Ich weiß nicht einmal ob sie sich überhaupt noch an ihre Eltern erinnert. Ich habe sie auch nie danach gefragt. Mein Weg ins Schloss sah anders aus. Ich lebte vorher mit meinem Vater, einem Straßenkünstler, zusammen. Wir blieben nie lange an einem Ort und zogen von Dorf zu Dorf. Ab und an besuchten wir auch die Hauptstadt vor den Toren des Wächterschlosses. Das alte Gemäuer wirkte damals kalt und fremd auf mich. Felswände hatten in meinen Augen etwas von einem Gefängnis. Ich war es gewohnt unter freiem Himmel zu schlafen. Natürlich blieb es nicht aus, dass wir im Winter oder bei schlechtem Wetter auch Unterkunft in einer Herberge suchten. Aber es war nicht der einzige Grund aus dem ich das Schloss nicht mochte, es war auch der Blick den mein Vater diesem Gebäude zuwarf. Ich konnte nie recht deuten was es war, dass in seinen Augen lag. War es Sorge? War es Wut? Oder sahen sie vielleicht sogar ein klein wenig traurig aus? Jedenfalls liebte ich unser Leben. Ich hatte schon immer das Bedürfnis neue Orte zu erkunden. Meinem Vater hatte ich erzählt, dass ich irgendwann Orte entdecken werde die noch keiner kennt und ich wäre dann die erste die sie gesehen hätte. Wenn es draußen gewitterte, ich hatte schon immer große Angst vor Blitzen und Donner, dann erzählte er mir Abenteuergeschichten. In diesen Geschichten entdeckte ich die ungewöhnlichsten Orte. Sogar ganz andere Welten. Genau an diese Geschichten musste ich auch denken, als Ren uns von der Erde erzählte. Leider sind Freude und Leid meist eng miteinander verwoben, noch ein Zitat von Ren. Und so war es auch bei unserer ersten Begegnung. An jenem Tag hatte mein Vater seine Staffelei in der Hauptstadt aufgestellt und bot Passanten an sie zu zeichnen. Er konnte wirklich wunderschön Malen. Da ich dieses Talent nicht geerbt hatte unterstützte ich ihn auf andere Weise. Ich breitete auf einer kleinen Decke direkt neben der Staffelei meinen Verkaufsstand auf. Dort präsentierte ich meine neusten Kreationen. Ich konnte mit 10 Jahren natürlich noch nicht nähen, aber es gefiel mir aus Holzperlen und Steinen Schmuck und Accessoires zu fertigen. Ich hatte die schönsten Steine aus allen Regionen dieser Welt gesammelt. Auch wenn der Bedarf nach meinen gebastelten Werken eher gering war, war ich sehr stolz auf mein eigenes Geschäft. Das tolle an der Decke war, dass sie aus Lammfell und daher sehr weich war. Wenn ich müde wurde legte ich mich zu meinen Steinen auf die Decke, rollte mich etwas zusammen und schlief. Ich wusste ja, dass ich keine Angst davor haben musste, das etwas passiert, weil mein Vater direkt neben mir stand. Wenn es draußen schon recht frostig war, deckte er mich mit seinem Mantel zu. An diesem Tag war ich ebenfalls auf meiner Decke eingeschlafen. Als ich meine Augen wieder einen Spalt öffnete erkannte ich, dass mein Vater offensichtlich einen neuen Kunden hatte. Ein junger Mann mit langen grünen Haaren, ruhigen hellgrünen Augen und einem entspannten Lächeln. Ren. Er betrachtete eine der Zeichnungen, die mein Vater an der Rückseite der Staffelei angebracht hatte. Es war eine Zeichnung von mir, auf dieser war ich allerdings noch ein paar Jahre jünger. Vielleicht 3 oder 4 Jahre alt. „Ihre Zeichnungen sind sehr schön. Man erkennt sofort, dass es nicht bloß Abbildungen von Menschen sind. Sie zeichnen mit Ihrem Herzen. Darum sind es keine leeren Hüllen“, merkte er nach ein paar Minuten an und blickte von der Zeichnung zu meinem Vater. „Dieses Portrait liegt mir tatsächlich besonders am Herzen. Darum kann ich es Ihnen leider nicht verkaufen, falls sie daran interessiert seien sollten. Aber ich könnte Sie zeichnen? Dafür nehme ich bloß 10 Münzen“, entgegnete mein Vater freundlich. Es gab noch ein Bild das mein Vater nie verkaufen würde. Er stellte es nicht einmal an seinem Stand aus. Es war ein Bild meiner Mutter. Das einzige Portrait das noch von ihr existierte. Ich war noch ein Baby als meine Mutter starb, daher erinnere ich mich nicht an sie. Aber ich habe manchmal von ihr geträumt. In meinen Träumen sah sie so aus wie auf dem Gemälde. Ich stellte mir gerne vor wie sie mich in den Arm nahm oder mit mir zusammen Steine suchte. Eben in sämtlichen Situationen die ich mir mit einer Mutter vorstellen konnte. Es kam auch vor, dass ich Tagsüber etwas vor mich hinträumte, wenn ich die Kinder im Dorf zusammen mit ihren Müttern sah. Tagträume sind für mich ja nichts Ungewöhnliches. Ich hätte meine Mutter gerne persönlich gekannt. Aber ich war nicht unglücklich. Mein Vater erzählte mir oft Geschichten von ihr. Sie war eine Traumdeuterin. Viele Menschen kamen zu ihr um sich Träume, die ihnen besonders ungewöhnlich erschienen deuten zu lassen. Außerdem konnte sie Dinge aus den Sternen lesen. Das hatte ihr ihre Großmutter beigebracht und sie wollte ihr Wissen gerne irgendwann an mich weitergeben. Mein Vater hat mir viel erzählt, aber nie wie sie gestorben ist. „Es ist wichtiger die Person so in Erinnerung zu behalten wie sie gelebt hat“, sagte er immer. Wenn er sonst über meine Mutter sprach wirkte er für einen Witwer erstaunlich glücklich, doch sobald es um ihren Tod ging nahm sein Gesicht einen ernsten und traurigen Ausdruck an. Vielleicht war das der Grund aus dem ich nicht weiter nach harkte, obwohl ich sehr neugierig bin. Doch ich sollte bald erfahren wieso sie wirklich gestorben war. Ren nahm das Angebot meines Vaters gerne an. Er setzte sich auf den Hocker vor der Staffelei und drehte sein Profil zu meinem Vater. Seine Hände ruhten in seinem Schoß. Mir viel sofort auf, wie leicht es ihm gefallen war genau die richtige Haltung anzunehmen. Normalerweise musste mein Vater den Kunden immer noch ein paar Anweisungen geben. Jedenfalls viel mir das direkt nach seinen Socken auf. Er trug einen grünen und einen roten Socken. Außerdem waren ein paar der Knöpfe an seinem Jackett falsch zugeknöpft. Ich blickte noch etwas verschlafen zu meinem Vater auf, während er begann zu zeichnen. Damit den Kunden während des Modellsitzens nicht zu langweilig wurde unterhielt mein Vater sich meistens mit ihnen. Doch dieses Mal war es genau andersherum. Es war Ren, der das Gespräch suchte. Er sprach sehr freundlich. Ab und an brach er mitten in der Erzählung ab und musste noch einmal kurz überlegen was er noch gleich sagen wollte. Seine Art erschien mir als Kind etwas komisch, auf eine gute Weise. Ich war zwar müde aber ich wollte dem Fremden unbedingt weiter zuhören. Er war selbst Künstler und die Beiden redeten eine Zeit lang über Kunst und Malerei. „Sie reisen also gemeinsam mit ihrer Tochter durch das Land? Das ist sicher recht aufregend. Ein gemeinsames Abenteuer“, sagte Ren und blickte lächelnd in meine Richtung. Ich hatte das Gefühl er würde nicht bloß in meine Augen, sondern direkt in mein Innerstes sehen. Es war ein ähnliches Gefühl, wie das wenn man etwas anstellt hat und dabei erwischt wird. Aber im Gegenteil zu diesem Gefühl, war es nicht unangenehm. Es waren bloß ein paar Sekunden in denen sich unsere Blicke trafen ehe Ren sich wieder meinem Vater zu wand. Aber innerhalb dieser wenigen Sekunden wurde der Mann vor mir für mich von einem Fremden zu einem Vertrauten. Wenn ich es nicht besser wüsste würde ich sagen er hat mich verzaubert. Aber diese Fähigkeit hat nichts mit seinen Begabungen als Glaubenswächter zu tun. „Ja. Es ist tatsächlich so etwas wie ein gemeinsames Abenteuer. Aber das hat nichts mit unseren Reisen zu tun. Haben sie Kinder?“, fuhr mein Vater das Gespräch fort. „Nein. Das hat sich leider nie ergeben“, schüttelte Ren den Kopf. „Ich denke jedes Kind ist ein Abenteuer“, während er sprach ruhte der Blick meines Vaters auf mir und er lächelte sanft: „Man erlebt wie sie sprechen und laufen lernen und immer größer werden. Es ist ein niemals endendes Abenteuer. Und das allerschönste von allen. Ich wünsche Ihnen, dass sie es selbst irgendwann erleben dürfen. Sie wirken wie ein sehr aufgeschlossener Mensch. Ist es möglich, dass sie selbst ein Reisender sind?“ Ren schmunzelte leicht und schüttelte wieder seinen Kopf: „Bloß im Geiste mein Körper ist dagegen sehr gebunden.“ Er hatte schon immer eine sehr eigenartige Art sich auszudrücken. „Es ist wichtig, dass ich hier bin. Ich lebe für meine Aufgabe. Aber versteht das bitte nicht falsch. Es ist nicht so, dass ich an ihrer Kette liege, eher eine Umarmung aus der man sich nicht lösen möchte“, beendete Ren seine Antwort. Okay er war ein ziemlich schräger Vogel, aber irgendetwas faszinierte mich schon damals an diesem Mann. „Das muss wirklich eine besondere Aufgabe sein?“, stellte mein Vater fest. „Ich denke jeder Mensch hat eine besondere Aufgabe. Meine ist nicht besonderer als Ihre Aufgabe als Künstler, oder Vater. Allerdings ist sie für ein paar Welten und Dimensionen sehr wichtig. Ich bin der Wächter über die Dimension des Glaubens“, erklärte Ren ruhig. Dieser letzte Satz löste etwas in meinem Vater aus. Er nahm die Zeichenkreide vom Papier und seine Miene verhärtete sich. „Das Portrait ist fertig. Sie sollten jetzt gehen“, sagte er knapp und händigte Ren die Zeichnung aus. Ich war sehr verwundert über dieses Verhalten. Mein Vater war eigentlich ein sehr freundlicher und offener Mensch und bis vor ein paar Sekunden schienen die Beiden sich noch blendend zu verstehen. Hatte das etwas damit zu tun, dass der Fremde ein Wächter war? Darüber war ich mindestens genauso erstaunt. Ich wusste, dass das Schloss die Residenz der Wächter war. Darum stellte ich sie mir groß und königlich vor. Mit schwerem Goldschmuck, breiten Schultern und Zepter. Außer seiner Größe entsprach Ren nichts davon. Er war eher schmächtig, besaß weder Zepter noch Gehstock und trug auch keinen Schmuck. Er trug über seinem vanillegelben Hemd ein gemustertes Jackett und dazu eine schwarze Hose mit violetten Nadelstreifen. Seine langen Haare hatte er mehr schlecht als recht mit einem schwarzen Band zusammengebunden. Die Schleife hatte sich allerdings zur Hälfte schon wieder gelöst. Dass er ein Künstler war sah man ihm an, an seinem zerknautschten Hemdkragen klebte sogar noch etwas blaue Farbe, aber ein Wächter? Darauf wäre ich nie gekommen. Ren wirkte fast genauso irritiert wie ich als ihm das Bild unsanft in die Hand gedrückt wurde. Er lächelte trotzdem während er die Zeichnung betrachtete. „Sie sind sehr talentiert“, äußert er sich ruhig und blickte von dem Bild zu meinem Vater. Er griff in seine rechte Hosentasche, dann in die linke und anschließend in die Taschen den Jacketts. Erst als er dort nicht fand was er suchte schien im etwas einzufallen und er zog an einem Band um seinem Hals einen Brustbeutel aus seinem Hemd hervor. „Ich bewahre mein Geld gerne dort auf wo ich es nicht verlieren kann“, sagte er und nahm eine Hand voll Münzen aus seinem Portemonnaie. Selbst ohne nach zu zählen erkannte ich gut, dass es weit mehr war als mein Vater von ihm gefordert hatte. „Das ist zu viel“, stellte dieser daher etwas forsch fest. „Ach wirklich? Schon gut. Es entspricht dem Wehrt den ich für angemessen empfinde. Einen schönen Tag noch“, entgegnete Ren bloß lächelnd, winkte und drehte sich um. Er rollte das Bild vorsichtig im Gehen zusammen, zog das Band aus seinen Haaren und band dies sorgfältig darum. Ich beobachtete jeden seiner Schritte bis er in der Maße verschwand. Unter einem seiner Schuhe klebte noch das Preisschild. „Steh auf Mäuschen“, die Stimme meines Vaters klang bestimmt und er schüttelte mich etwas. Ich gähnte ein wenig verschlafen und setzte mich hin. „Was ist denn los Papa?“, fragte ich noch immer etwas verwirrt. Er wirkte so nervös. „Wir reden später darüber Kleines. Jetzt müssen wir erst einmal los“, erklärte mein Vater während er hektisch seine Zeichenutensilien zusammenpackte und zwischendurch immer wieder nervös in die Richtung blickte, in die Ren gegangen war. Mir blieb also nichts Anderes übrig als aufzustehen und meinen Schmuck ebenfalls einzupacken. Zwischendurch fragte ich immer wieder was los sei, auch ob der Fremde etwas damit zu tun hatte, aber mein Vater antwortete nicht. Er blieb einfach stumm. Als wir alles zusammengepackt hatten nahm er meine Hand und lief mit mir zur Stadtgrenze. Wir liefen so schnell, dass ich zwischendurch meine Brille festhielt aus Angst sie könnte runter fallen. „Wohin gehen wir?“, fragte ich und blickte mittlerweile ebenfalls etwas nervös zu ihm hoch. Normalerweise liebte ich es zu Reisen, aber das alles kam mir komisch vor. Wir blieben sonst mindestens 3 Tage in der Hauptstadt manchmal sogar eine Woche, wenn die Nachfrage besonders groß war. Aber es war nicht einmal ein Tag vergangen, der Markt war noch im vollen Gange und das ungewöhnliche Verhalten meines Vaters verunsicherte mich. Doch auch dieses Mal erhielt ich keine Antwort. Mein Vater schien so sehr in Gedanken vertieft zu sein, dass ich mir nicht einmal sicher war ob er mich überhaupt hörte. Wir liefen bis es dunkel und meine Beine müde wurden. Ich konnte kein Stück mehr gehen und setzte mich auf den Boden. „Luchia?“, mein Vater blieb ebenfalls stehen als er bemerkte, dass ich nicht nachkomme. „Entschuldige Mäuschen. Leg dich ruhig schon einmal etwas hin. Ich schlage hier unser Lager für die Nacht auf“, sprach er ruhig und hockte sich neben mich. „Morgen früh werde ich dir all deine Fragen beantworten, aber es ist besser, wenn du dich jetzt ein wenig ausruhst“, meinte er lächelnd und streichelte mir über die Haare. Das war wieder der Vater, den ich kannte. Dieser Gedanke beruhigte mich. Ich nickte und gehorchte. Es war wirklich ein anstrengender Tag und ich schlief noch an der Stelle ein, an der ich mich hingesetzt hatte. Den Traum dieser Nacht werde ich wohl nie vergessen. Ich stand in einem unendlich großem Raum, es gab keine Wände. Überall um mich herum schwebten kleine Lichter, wie eine Abbildung des Nachthimmels. In mitten dieser Sterne stand meine Mutter. Sie trug das selbe nachtblaue Kleid wie auf dem Portrait meines Vaters. In jedem meiner Träume trug sie dieses Kleid. Doch dieses Mal war etwas anders. Sie war von dem selben Licht umgeben wie die kleinen Sterne, als wäre sie selbst ein Teil des Firmaments. „Mama“, ich ging auf sie zu und streckte meine Hand nach ihr aus. Doch je näher ich ihr kam umso weiter entfernte sie sich von mir. „Luchia. Mein geliebtes Kind. Wir können uns noch nicht wiedersehen“, die Stimme meiner Mutter klang freundlich und ihr Blick war wohlwollend, dennoch lief eine Träne an ihrer Wange hinab. „Es gibt noch eine wichtige Aufgabe und Menschen die auf dich warten. Aber irgendwann werde ich dich in meine Arme schließen“, es zeichnete sich ein sehnsüchtiges Lächeln auf ihren Lippen ab. „Wir werden uns alle wieder sehen“, sie öffnete ihre Hände, die sie zuvor geschlossen vor ihrer Brust hielt. Dicht über ihren Händen schwebte nun ein weiteres Licht. Meine Mutter betrachtete den hellen Stern mit einem liebevollen Blick und küsste ihn zärtlich. Der Stern wurde immer heller und nahm langsam eine andere Gestalt an. „Papa?“, überrascht sah ich zu meinen Eltern die sich umgeben von Licht innig in den Armen lagen. „Es tut mir leid Mäuschen“, hörte ich die Stimme meines Vaters als er traurig in meine Richtung blickte. Das Licht das die Beiden umgab wurde noch heller und obwohl ich mich dagegen sträubte musste ich meine Augen schließen. Ich wollte nicht wegsehen, denn irgendwie wusste ich, wenn ich meine Augen öffne würde werden Beide verschwunden sein. „Papa!“, rief ich laut als ich meine Augen wieder öffnete und mich in der Dunkelheit der Nacht wiederfand. Mein ganzer Körper zitterte. Ich setzte mich auf, sah mich um und zuckte etwas zusammen als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte. „Du bist nicht alleine“, flüsterte eine Stimme, die mir bekannt vorkam. Doch ich konnte sie erst zuordnen als ich mich umdrehte und in zwei ruhige grüne Augen blickte. Ich erkannte Ren als den Mann, der sich von meinem Vater zeichnen ließ und auf den er so ungewöhnlich reagiert hatte. Sofort sah ich mich suchend nach meinem Vater um. Ohne meine Brille konnte ich nicht besonders gut sehen, im Dunkeln war es sogar noch schwieriger etwas zu erkennen. Aber ich bemerkte eine weitere Person, die ein paar Meter von uns entfernt auf den Boden hockte. „Wie sieht es aus?“, wand sich Ren der anderen Person zu. Die angesprochene Gestalt hob etwas vom Boden auf und zog es sich über die Hand. „Du willst wirklich so eine Auskunft vom Tod persönlich? Das traut sich nun wirklich nicht jeder zu Fragen. Ich fürchte wir haben schon zu lange Kontakt“, es war ein Mann, in seiner Stimme lag eine gewisse Ironie und...das war auf keinen Fall die Stimme meines Vaters. Ein weiterer Fremder. Und anders als Ren wirkte seine Anwesenheit sehr beunruhigend und einschüchternd auf mich. Zu allem Überfluss lief er nun auch noch genau auf mich zu. Mein Körper begann wieder zu zittern. „Er hat es hinter sich“, fügte der Mann seiner Antwort in einem ruhigeren Ton hinzu. Ren nickte ihm zu: „Danke Akaya“. Akaya stand nun genau neben Ren. Aber das ich ihn nun besser erkannte beruhigte mich keinesfalls. Seine roten Augen wirkten in der Dunkelheit gefährlich wie die eines Raubtieres und diese dunklen roten Flecken an seiner Kleidung, war das etwa Blut. Mit seinen weißen Haaren wirkte er in der Nacht fast wie ein Geist. „Ich hau dann mal ab. Die Drecksarbeit ist erledigt, den netten Onkel zu spielen überlasse ich dir. Onkel Akaya ist zwar ein höllisch lustiger Spielgeselle, aber die meisten Kinder rennen schreiend weg sobald ich ihnen den Trick zeige bei dem der Daumen wie abgehackt aussieht. Dabei bekommt den niemand so gut hin wie ich“, er beendete seinen Satz mit einem Schmunzeln. Dieser Tick ist wirklich höllisch und es sieht wesentlich realer aus als der normale Daumentrick. Wir mussten ihn alle einmal über uns ergehen lassen. Ich bin ohnmächtig geworden, Aiko hat sich auf Akayas Schuhen übergeben und ihm danach gegens Schienbein getreten und Krähe hat so laut geschrien, dass man es sicher noch auf der Erde hören konnte, ich glaube sie nimmt Akaya das immer noch übel. Aber am putzigsten war Moes Reaktion. Sie ist in Tränen ausgebrochen und sofort los gerannt um einen Arzt zu holen. Niemand reagiert gut auf diesen Tick, aber Akaya versucht es trotzdem immer wieder. Ob er es bei den Neuen auch noch ausprobiert? Chiyo und Manabu blieben bis jetzt soweit ich weiß verschont. Das hängt sicher damit zusammen, dass Akaya sich ungern im Schloss blicken lässt. „Soll ich ihn mitnehmen?“, fragte Akaya dann mit einem ernsteren Gesichtsausdruck. „Ja. Ich halte es für besser, wenn sie ihn nicht in diesem Zustand sieht. Danke Akaya“, antwortete Ren ruhig und nickte wieder. Dieser Satz riss mich aus meiner Schockstarre und ein ungutes Gefühl beschlich mich. Ihn? Sprachen sie da etwa über… „Papa!“, dieses Mal klang mein Ruf eher wie ein Flehen. Und ich sagte mir in Gedanken während ich aufsprang und auf die Stelle zu lief an der Akaya gehockt hatte: „Bitte sein nicht tot! Bitte sei nicht tot!“. Doch meine Gedanken antworteten leise: „Er ist tot“. Ren hielt mich fest und schloss mich von hinten in seine Arme. „Bitte du möchtest das nicht sehen. Vertraue mir“, seine Stimme war nicht so ruhig wie zuvor, es lag Sorge in ihr. Akaya stellte sich neben uns „Lass sie los Ren. Ich weiß ja wie gerne du den lieben Onkel spielst. Aber der Mann hat verdient, dass sie sieht wie sehr er für sie gekämpft hat. Es wundert mich, dass er mit den Verletzungen so lange durchgehalten hat, selbst als es schon vorbei war hat sein Körper noch weitergekämpft. Sie sollte das in seinem Andenken bewahren“. Als Ren mich langsam los ließ fügte der Todeswächter noch hinzu: „Außerdem weißt du genauso gut wie ich, dass sie als Wächterin noch viel schlimmere Dinge zu Gesicht bekommen wird“. Sobald Ren mich losgelassen hatte lief ich weiter. Meine Augen weiteten sich als ich die Leiche auf dem Boden sah. Dieser Tote sah aus wie mein Vater. Aber ich konnte meinen Vater einfach nicht in dem leblosen Körper erkennen. Es lag nicht an dem vielen Blut, oder den Verletzungen. Es lag daran, dass diese Person nicht atmete, sie schnarchte nicht und seine Hände waren nicht so warm wie die meines Vaters. Tränen stiegen in meine Augen. Ich kniete mich neben ihn und umschloss seine große Hand mit meinen Händen in der Hoffnung, dass sie dadurch wärmer würden. Aber das wurden sie natürlich nicht. „Papa…Papa…“, das flüsterte ich immer wieder. Nicht um ihn zu rufen und auch nicht in der Hoffnung, dass er mir antworten würde. Ich musste es einfach sagen. Es war in diesem Moment ein Reflex wie das Atmen. Ich wusste das mein Vater nicht mehr hier war. Er war nun bei meiner Mutter. Ren sagte nichts. Er legte die Lammfelldecke über meine Schultern und setzte sich neben mich. Wir saßen sehr lange einfach nur da. Er drängte mich nicht dazu auf zu stehen oder etwas zu sagen, sondern blieb einfach an meiner Seite. Es war ein gutes Gefühl nicht ganz allein zu sein. Ren erklärte mir später, dass mein Vater und ich von Wesen angegriffen wurden die es auf meine Kräfte abgesehen hatten. Mein Vater hatte gekämpft um mich zu beschützen. Akaya und Ren kamen leider zu spät. Sie konnten die Wesen zwar besiegen, doch meinen Vater hatte es schlimm erwischt. Als Todeswächter konnte Akaya erkennen, dass seine Zeit bereits abgelaufen war. Er befand sich in einem Todeskampf, den er nur noch verlieren konnte. Darum nutzte Akaya seine Kräfte um ihn zu erlösen. Ich wusste vorher nicht einmal, dass mein Vater überhaupt kämpfen konnte. Naiv wie Kinder in dem Alter sind, habe ich ihm geglaubt, als er mir erzählte, dass er das Schwert an seinem Gürtel nur bei sich trug um Räuber und Wegelagerer abzuschrecken. Wie oft hatte mein Vater mich wohl schon vor solchen Wesen beschützt? Ich wusste ja nicht einmal, dass ich die Kräfte eines Wächters besaß. Ren wusste auch hierfür eine Erklärung. Mein Vater wollte mich vor meinem Schicksal als Wächterin beschützen. Es ist eine große und gefährliche Aufgabe die auf den Wächtern lastet und es gibt viele dunkle Mächte die ihnen nach dem Leben trachten. Und so wurde mir auch bewusst wieso mein Vater nie über den Tod meiner Mutter sprach. Vermutlich starb sie so wie er selbst, um mich vor jemandem zu schützen der mich töten wollte. Es scheint so etwas wie das Schicksal von uns Wächtern zu sein. „Sie sind nicht für dich gestorben, sie haben dir das Leben geschenkt. Auf solch ein Geschenk muss man gut achtgeben“, das hatte Ren damals zu mir gesagt. Und ich hatte eigentlich beschlossen mir das zu Herzen zu nehmen und danach zu leben. Mit einer Ausnahme. Ich würde meine Aufgabe als Wächter annehmen und mich damit einer großen Gefahr aussetzen. Aber mein Vater kann mir dafür keine Vorwürfe machen. Er und meine Mutter hatten es mir schließlich vorgelebt, für das zu kämpfen, das ich unbedingt beschützen möchte, selbst wenn man dafür den Tod riskierte. Ich bin damals freiwillig mir Ren mitgegangen er hat mich nie zu etwas gezwungen und mir immer meine Freiheiten gelassen. Das Schloss war für mich kein Gefängnis. Er gab mir zu verstehen, dass ich überall hingehen konnte wo ich hingehen wollte, allerdings würde ich mein Leben in unnötige Gefahr bringen, wenn ich in die Welt ziehe ohne mich verteidigen zu können. Daher verbrachte ich ein paar Jahre im Schloss in denen mir Ren beibrachte mit meinen Kräften umzugehen und wie man einen guten Tee zubereitet und ich mit den Soldaten zusammen die allgemeine Kampfpraxis lernte. Ich habe es meinen Ausbildern nicht grade einfach gemacht. Oft habe ich verschlafen, oder bin bei einer langen Erklärung fast eigeschlafen. Mit Ren war es anders. Er erzählte mir oft Geschichten aus der Vergangenheit. Ein paar davon erinnerten mich an die Abenteuergeschichten meines Vaters. Doch das aufregende an diesen war, dass sie alle wirklich passiert waren. Als ich gut genug mit meinen Kräften umgehen konnte zog ich viel durch die Welt. Ich wollte Orte sehen, die noch kein Mensch vor mir gesehen hat und die Habe ich gefunden. Doch irgendwie zog es mich immer wieder ins Schloss zurück. Das hat sich bis heute nicht geändert und das hätte es auch sicher in der Zukunft nicht. Ich liebe es Rens Tee zu trinken und mir seine Geschichten anzuhören. Nirgendwo fühle ich mich so wohl wie bei ihm. Vielleicht hätte ich diese Momente noch öfter genießen sollen? Ich bereue meine Reisen nicht. Sie waren spannend und so konnte ich die Welt für Ren mit entdecken. Es ist so wie er es damals sagte, er kann sich aus der Umarmung nicht lösen. Selbst wenn er gerne etwas Anderes sehen würde, das Schloss würde er niemals verlassen. Trotzdem…ich hätte gerne noch so einen schönen Moment genossen. Wenn ich meine Augen schließe kann ich es mir zumindest vorstellen. Wir sitzen zusammen an einem Tisch im Schlossgarten. Der Duft des Tees steigt mir bereits in die Nase während Ren diesen einschenkt. Er lässt die Tasse mit seinen Partikeln zu mir schweben und ich nehme sie an. Vielleicht bekomme ich Ren dieses Mal dazu etwas mehr über sich selbst zu erzählen? Ob es stimmt, dass er bereits die ersten Wächter kannte? Selbst Akaya konnte mir diese Frage nie beantworten. Oder er wollte es nicht. Ren hat immer viele Geschichten erzählt, aber ich weiß kaum etwas über ihn selbst. Schade, dass ich ihn nicht mehr fragen kann. Wieder zu meiner Vorstellung. Und wenn er mir eine Geschichte aus seinem Leben erzählt hat, dann sage ich im wie wichtig er mir ist. Ich sage ihm, dass ich mich in ihn verliebt habe. Dass er der Mensch ist den ich beschützen möchte. Wenn ich etwas wirklich bereue, dann dass ich ihm das nie erzählt habe. Und Ai würde ich sagen, dass sie recht hatte. Wahrscheinlich hat sie es schon lange gewusst. Aber ich würde es ihr trotzdem sagen. Ich habe immer ein wenig darüber geschmunzelt wie sie von der Liebe geschwärmt und von dem einen Menschen erzählt hat für den man alles geben würde. Ich glaube ich habe damals so etwas zu ihr gesagt wie: „Und zu mir sagst du ich wäre eine Träumerin“. Aber grade jetzt würde ich alles geben um Ren noch ein letztes Mal zu sehen. Seine Wärme zu spüren und den Duft aus Teekräutern und Farbe wahr zu nehmen, der immer an ihm haftet. Ich hätte ihm gerne von diesem Ort erzählt. Ja, ich habe sie tatsächlich gefunden die alte Wächter Stadt. Liebes Tagebuch, falls du dich jetzt fragst woher ich weiß, dass ich heute sterben werde. Ich habe vorhin wieder von meinen Eltern geträumt. Es war der Selbe Ort mit den Sternen und sie waren von dem selben Licht umgeben. Doch dieses Mal sagte meine Mutter: „Luchia. Mein geliebtes Kind. Heute werde ich dich in meine Arme schließen“. ~Es war einmal ein Mann, der träumte er sei ein Schmetterling. Er flatterte durch die Lüfte und fühlte sich so frei und unbeschwert, dass der Mann dachte, er sein in Wahrheit ein Schmetterling. Aber als er erwachte, stellte er fest, dass er doch kein Schmetterling sondern nur ein Mensch war.~ Yuko (xxxholic) ~Ich weiß nicht, ob ich ein Mann bin, der träumte, ein Schmetterling zu sein, oder ob ich ein Schmetterling bin, der träumt, ein Mann zu sein.~ Dschuang Dsi (taoistischer Philosoph) Kapitel 2: Rens Traum~ ---------------------- Eine leichte Brise. Nicht kalt aber auch nicht schwül. Ich spüre die Wärme der Sonne auf meiner Haut. Ist es wirklich die Sonne? Es ist keine brennende Wärme. Sie ist sehr zurückhalten. Ähnlich der Wärme, die man in der körperlichen Nähe eines anderen Menschen wahrnimmt. Nicht das bedrängende Gefühl einer Menschenmasse, sondern einer einzelnen bestimmten Person, in deren Nähe man sehr gerne ist. Die Brise trägt einen Duft mit sich der einen Hauch von Frühlingsblüte und den Geruch von frischem Gras beinhaltet. Es ist kein starker Duft, wirklich nur ein Hauch, so dass man ihn grade soeben wahrnimmt. „Ren“, eine vertraute Stimme dringt an mein Ohr. Erst jetzt kommt mir der Gedanke meine Augen zu öffnen. Meine Augenlider schlagen so schnell und plötzlich auf, dass das helle Licht der Sonne mich eigentlich blenden müsste. Doch ich werde sanft von ihrem Licht empfangen und kann mit meinem Blick sofort meine Umgebung erkunden. Ich stehe auf einer Wiese, die der im Garten des Wächterschlosses sehr ähnlich sieht. Die gesamte Umgebung ähnelt dem Schlossgarten. Man könnte auf den ersten Blick sogar annehmen dies sei genannter Garten und doch unterscheidet diesen Ort etwas. Etwas von großer Wichtigkeit. Ich kann nicht in Worte fassen was dieses Etwas ist. Doch es hat damit zu tun, dass dieser Ort viel zu Vollkommen für die Realität ist. Ich träume also. Während ich meinen Blick schweifen lasse entdecke ich auch endlich die Person, deren Stimme ich sofort erkannt habe. Luchia. Sie trägt ein nachtblaues Kleid aus einem leichten Chiffon Stoff und sitzt auf einem der weißen Gartenstühle an einem Tisch auf dem ein Teeservice gedeckt ist. In ihrem Haar trägt sie ein blaues Satinband auf dem als Verzierung an goldener Stern angebracht ist. Das Service und die Gartenmöbel sind mir vertraut. Sie ähneln denen aus der Realität. Luchia lächelt als sich unsere Blicke treffen. „Ich wollte gerne noch einmal mit dir gemeinsam Tee trinken“, erklärt sie während sie nach der Teekanne greift und deren Inhalt in ihre Tasse gibt. Danach füllt sie eine weitere Tasse. Ich erwidere ihr Lächeln und gehe nun ebenfalls auf den Tisch zu. Während ich näher komme dringt der Duft des frisch gebrühten Tees in meine Nase. Es ist eine Mischung aus verschiedenen Kräutern und Früchten abgerundet von einer blumigen Note. Eine solche Mischung habe ich zuvor noch nie wahrgenommen. Als ich nun dicht neben Luchia stehe, bemerke ich, dass sie von einem Glühen umgeben ist. Als würde sie wie ein Stern strahlen. Sie ist nicht wie dieser Ort. „Es stimmt also wirklich, dass wir Träumen bevor wir sterben“, ihre Stimme klingt plötzlich etwas betrübt und ihr Blick senkt sich. Ich habe bereits nach dem Stuhl neben ihrem gegriffen, doch ich nehme die Hände wieder von der Lehne und überwinde den letzten Meter, der mich von ihr trennt. Ihre Worte lösen in meinem Inneren ebenfalls ein betrübtes, unangenehmes Gefühl aus. Ich spüre wie die Brise kühler wird. Als ich direkt vor ihr stehe schließe ich sie vorsichtig in meine Arme. Sie wirkt überrascht, weicht aber nicht zurück. Das ist nichts ähnliches. Es ist ihre Nähe die ich spüre. Das ist Luchia. „Das hier ist nicht bloß ein Traum nicht wahr?“, ich wage mich kaum weiter zu fragen, doch es würde das unbehagliche Gefühl bloß verstärken, wenn ich versuchte es zu unterdrücken: „Du bist tatsächlich gestorben?“. Den letzten Satz flüstere ich so leise, dass es eher einem leisen Atemzug als Worten gleicht. Doch Luchia scheint sie klar verstanden zu haben. Sie drückt mich fest an sich ehe sie antwortet: „Ja. Sobald du aufwachst werde ich nicht mehr da sein“. Ich weiß nicht wie ich darauf reagieren soll. Nicht was ich sagen, was ich tun soll. Mein astraler Körper ist wie gelähmt. Der Blütenduft wird penetranter. Er ist süß und erinnert mich an den starken Geruch roter Rosen. Ich kenne das Gefühl von Verlust. Genau wie Akaya existiere ich schon sehr lange auf dieser Welt. Es wird oft darüber spekuliert ob ich bereits die ersten Wächter kannte. Diese Frage kann selbst ich niemandem beantworten. Ich weiß es nicht. Alles was ich weiß, ist dass das Schicksal und die Wächter mir eine wichtige Aufgabe gegeben haben. Ich habe die Galerie der Wächter mit den Bildern aus jeder Generation gefüllt. Jedes einzelne habe ich von Hand gezeichnet. Doch immer wenn ich zu ihnen hochsehe beschleicht mich das Gefühl, dass diese Portraits nicht die Aufgabe erfüllen die allgemein bekannt ist. Sie sind keine Gedenkstätte. Sie halten etwas aufrecht. Etwas das mit meiner Aufgabe zu tun hat. Doch ich erinnere mich nicht. Ich erinnere mich an viele Dinge, doch es gibt genauso viele Dinge an die ich mich nicht erinnere. Das hat mir nie Angst gemacht. Ich vertraue meinem Schicksal und ich glaube daran, dass es einen wichtigen Grund dafür gibt. Es ist daher gut möglich, dass ich mich nicht einmal mehr an all meine Verluste erinnere. Dennoch ändert es nichts daran, dass der Tod mir vertraut ist. Es ist immer traurig, wenn ein Mensch stirbt. Doch ich habe mich mit dem Tod ausgesöhnt. Ich akzeptiere ihn als einen Teil des menschlichen Schicksals. Und vertraue darauf, dass es einen Grund für seine Existenz gibt. Er ist weder gut noch böse. Sondern eine Dimension unseres Schicksals genau wie das Leben. Und doch kann ich mich nicht dagegen wehren, den Tod in diesem Moment, widersprüchlich meiner Überzeugung, anzuzweifeln. Mein Herz kann nicht akzeptieren, dass Luchina tot ist. Nein, ich will es nicht akzeptieren. Ist dieses Gefühl etwa…? Angst. Ich habe Angst davor aufzuwachen. Ich habe Angst davor diesen Traum zu verlassen. Ich habe Angst davor Luchia zu verlieren. Ich bedauere jeden Verlust. Besonders den der Menschen, die mir nahe stehen. Doch so ein starkes Gefühl von Angst und Verzweiflung habe ich noch nie zuvor gespürt. Egal wie schwierig eine Situation für mich war, ich konnte immer an meinem Glauben festhalten. Doch dieses mal bekomme ich ihn nicht zu greifen. Es fühlt sich an als würde ich ungebremst in einen dunklen Abgrund fallen. Ist es möglich, dass der Wächter des Glaubens selbst, die Fähigkeit zu Glauben verliert? Es ist Luchias Stimme die meinen Sturz abfängt. „Ren...“, sie flüstert meinen Namen. Und es ist ihre Nähe, ihre Wärme die mir hilft mich aus den Fesseln meiner trüben Gedanken zu befreien. „Bitte. Ich möchte gerne mehr über dich wissen. Erzähle mir etwas über dich. Und...lass uns noch einmal zusammen Tee trinken“, wiederholt sie ihre Bitte und lächelt wieder ein wenig. „Danach gibt es noch etwas wichtiges, das ich dir sagen muss. Das hier ist unser letzter gemeinsamer Moment. Er ist etwas schönes. Etwas kostbares. Ich bin grade sehr glücklich, dass ich hier sein kann“, je mehr Luchia sagt umso mehr verschwindet das bedrückende Gefühl und weicht nach und nach wieder der Geborgenheit zu Beginn dieses Traumes. Es ist mir zuvor noch nie aufgefallen welch beruhigende Wirkung ihre Stimme besitzt. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass mich für gewöhnlich nichts so schnell erschüttert oder beunruhigt. Und einfach nicht die Notwendigkeit bestand mich zu beruhigen. Wir lösen uns langsam aus unserer Umarmung. Ich erinnere mich in diesem Moment an den Tag an dem ich Luchia kennenlernte. Damals habe ich sie zum ersten mal in meine Arme geschlossen und versucht sie zu beruhigen. Mittlerweile ist viel Zeit vergangen. Ich besitze kein besonders gutes Zeitgefühl. Die Zeit scheint zu verstreichen ohne mich zu beachten. Oder bin ich es der sie nicht beachtet hat? Doch jedes Mal wenn Luchia von einer ihrer Reisen zurück kehrte und wieder ein wenig erwachsener aussah, wurde mir bewusst, dass schon wieder ein gewisser Zeitraum vergangen sein musste. Die Luchia, die nun vor mir sitzt ist nicht mehr das kleine Mädchen von damals. Sie ist eine junge erwachsene Frau. Und doch hat sie das kleine Mädchen in sich bewahrt. Sie ist noch immer verträumt und unglaublich neugierig. Bei diesem Gedanken muss ich lächeln. Ich setze mich auf den freien Stuhl und greife nach meiner Tasse. „Deinen letzten Wunsch werde ich dir selbstverständlich sehr gerne erfüllen“, sage ich während ich ein wenig an der Tasse nibbe. Der Tee ist weder heiß noch lau sondern warm und sein Geschmack genauso unbeschreiblich wie sein Duft. „Dieser Ort entspringt deinen Träumen, nicht wahr? Er ist so vollkommen. Nur eine wahre Träumerin ist dazu im Stande solch einen Ort zu erträumen“, stelle ich fest und stelle die Tasse mit dem Rest ihres herrlichen Inhalts wieder auf die Untertasse. „Es ist kein besonders ausgefallener Ort. Wir könnten auch am Meer oder auf dem Gipfel eines Berges Teetrinken. Ich habe viele unglaubliche Orte gesehen. Und doch...wollte ich meinen Moment nirgendwo lieber verbringen als hier. Eigenartig, nicht wahr? Wo ich doch mehr Zeit auf Reisen als in diesem Garten verbracht habe“, während Luchia das erzählt betrachtet sie die Umgebung um sich herum mit einem verträumten Blick. Ich gebe ihr ein wenig Zeit um ihre Gedanken zu sammeln, dann frage ich:„Du wolltest mehr über mich wissen. Was genau möchtest du denn wissen?“ Sie sieht wieder zu mir und schweigt einen Moment. „Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher. Ich möchte dich einfach etwas besser kennenlernen“, gibt sie nach einer Weile zu. Und wieder bringt sie mich zum Lächeln. „Luchia. Du weist genau so viel über mich wie ich über mich selbst. Glaube mir“, meine ich ruhig. Unsere Blicke treffen sich und meine Worte zaubern auch Luchia ein Lächeln auf die Lippen. „Die Wahrheit ist, ich bin mir selbst ein Mysterium“, ich schmunzele leicht bei meinen letzten Worten und nehme erneut die Teetasse zur Hand. Luchia ist schweigsamer als sonst. Vielleicht sind Menschen so, wenn sie wissen, dass sie tot sind? „Du wolltest mir noch etwas wichtiges sagen?“, erwähne ich nachdem ich meine Teetasse geleert habe. Luchias Tasse ist noch immer bis zum Rand gefüllt. Als sie meine Frage hört weicht sie meinem Blick wieder aus. Sie scheint über etwas nachzudenken. Doch dann sieht sie wieder in meine Richtung. Ihr unsicherer Blick weicht einem entschlossenen und ihr Lächeln wirkt weich und sanft. „Ich liebe dich Ren“. Nur vier Worte mehr braucht es also nicht um meine Gefühle komplett auf den Kopf zustellen. Wieder fehlen mir die Worte. Doch dieses mal ist es kein unangenehmes Gefühl, das mich am reden hindert. Ganz im Gegenteil. Mein Herz schlägt schneller und in meinem Inneren breitet sich eine Wärme aus. Ich habe nicht mit diesen Worten gerechnet. Sofort schleichen sich eine Menge Fragen in meinen Kopf. Wie lange empfindet sie schon so? Hätte ich das bemerken müssen? Gab es irgendwelche Anzeichen? Und...sind diese Worte real gewesen oder bloß der Teil eines Traumes? Doch ein Blick in Luchias errötetes Gesicht und ihre klaren ozeanblauen Augen genügt um zu begreifen, dass diese Worte so echt waren wie Luchia selbst es ist. Es bleibt also bloß noch eine Frage. Wie fühle ich selbst für Luchia und was entgegne ich ihrem ehrlichen Geständnis? Das Leuchten um Luchia wird ganz plötzlich heller. Nun ist das Strahlen deutlich zu erkennen. Ihre gesamte Gestalt ist in goldgelbes Licht gehüllt. Sie blickt auf ihre Hände und sagt leise: „Es sieht so aus als würde ich meine Eltern gleich wieder sehen. Schade, dass wir den Traum nicht mehr zu Ende träumen können“. Und da bemerke ich es auch. Nicht bloß ihre Hände ihr ganzer Körper wirkt transparent. Es ist als würde sie nach und nach in ihrem Licht verschwinden. Ich stehe so ruckartig auf, dass das Geschirr auf dem Tisch scheppert und mein Stuhl nach hinten umfällt. „Luchia!“, rufe ich laut. In der hoffnungslosen Annahme meine Stimme könnte sie daran hindern zu verschwinden. Ich möchte sie nur noch etwas länger festhalten. Nein nicht bloß etwas länger, ich möchte verhindern dass sie verschwindet. Ein törichter Gedanke. Den Tod kann niemand aufhalten. Und doch wünsche ich mir von ganzem Herzen ihn zu bezwingen. Nur dieses eine Mal. Meine Gedanken sind falsch. Es dürfen keine Ausnahmen gemacht werden. Das ist der Kreislauf des Lebens. Während wir dort zusammen saßen habe ich versucht zu verdrängen, dass Luchia bereits verstorben ist. Ich habe nicht einmal danach gefragt, wie sie gestorben ist. Und jetzt kommt dieser Moment so plötzlich. Ich hätte damit rechnen müssen, doch das wollte ich nicht. Ich wollte nicht daran denken. Und jetzt habe ich ihr noch nicht einmal etwas auf ihr Geständnis entgegnet. Ich brauche noch mehr Zeit. Doch in diesem Moment ist Zeit kostbar und ich darf sie nicht mit solchen Gedanken verschwänden. Auf meinen Ruf hin ist Luchia ebenfalls von ihrem Stuhl aufgestanden. Wir stehen uns nun genau gegenüber. Ich nehme ihre Hände und halte sie fest. Wie gerne würde ich sie wirklich hier festhalten, selbst wenn es falsch wäre. Es spricht meine unvernünftigen Gedanken frei, dass Gefühle keinerlei Vernunft verpflichtet sind. Mein Herz schlägt noch schneller als zuvor. Ich muss jetzt etwas sagen. Luchias Blick ruht beruhigend auf mir. „Wir werden uns irgendwann wiedersehen Ren“, sie lächelt mich an doch es rollen große Tränen über ihre Wangen. Ihr kompletter Körper ist nun durchscheinend und das Licht so strahlend als hätte ich ein Sonnenkind vor mir stehen. Ich lege meine Hand auf ihre Wange und wische eine Träne mit meinem Daumen aus ihrem Gesicht. Auf keinen Fall möchte ich ihr den Abschied noch schwerer machen. Es hat mich schon immer innerlich Zerrissen sie traurig zu sehen. Darum erwidere ich ihr Lächeln. Jetzt muss ich es ihr sagen! Ich bin fest entschlossen, doch ehe ich ein Wort herausbringen kann spüre ich Luchias Lippen auf meinen. Es ist ein sanfter aber auch sehr inniger Kuss. Ich schließe sie in meine Arme während unsere Lippen weiter miteinander verschmelzen. Die Wärme in meinem Inneren wird zu einer Hitze. Einer angenehmen Hitze. Einem Feuer in meinem Herzen, dass mich wärmt aber nicht verbrennt. So fühle ich also für Luchia. Ihre Haut ist nun so durchsichtig wie gefärbtes Glas. Sie sieht zart und zerbrechlich aus. „Es tut mir leid Luchia. Du wirst noch ein wenig auf deine Eltern warten müssen. Eure Aufgabe ist noch nicht erfüllt“, eine fremde Stimme hallend und doch so klar wie der Gesang einer Nachtigall durchdringt die Stille. Obwohl ich sie noch nie zuvor gehört habe löst die Stimme ein vertrautes Gefühl in mir aus. Geborgenheit und Ehrfurcht. Habe ich diese Stimme doch schon einmal vernommen? Mein Kopf erinnert sich nicht, doch meine Gefühle scheinen sie zu kennen. Luchias ist verschwunden und mit ihr dieser wunderschöne Ort. Ich stehe nun allein in der Dunkelheit. In meinen Händen befindet sich nichts als Leere. „Da wo Dunkelheit ist ist auch immer Licht. Und wo der Tod ist ist das Leben. Vergiss das nicht. Ein einsamer Ort kann...zu einem Universum heranwachsen“, wieder diese Stimme. Suchend sehe ich mich um. Ein goldener Phönix gleitet über mir durch die Dunkelheit. Wie eine Sternschnuppe zieht er einen leuchtenden Schweif hinter sich her. Das Leuchten breitet sich aus und aus ihm bilden sich Sterne und Planeten. Nun stehe ich nicht länger in der Dunkelheit sondern im Zentrum des Weltalls. Der wunderschöne flammende Vogel landet direkt vor mir. Es ist ein riesiges anmutiges Tier und seine Augen besitzen eine unergründliche Tiefe. Die Flammen des Phönix werden größer. Ich erschrecke ein Wenig als das Tier zu verbrennen scheint. Reflexartig weiche ich zurück. Und doch kann ich meinen Blick nicht von diesem Schauspiel abwenden. Es dauert nur wenige Sekunden. Aus der Asche tritt eine wunderschöne Frau hervor. Ihr ganzer Körper besteht aus Licht. Sie hat ein zartes Gesicht ihre ganze Erscheinung wirkt zierlich und filigran, doch auf keinen Fall zerbrechlich. Sie verströmt Macht und Stärke, ohne dabei einschüchternd zu sein. „Wächter des Glaubens. Ren. Ich weiß, dass dir Luchia sehr wichtig ist, doch deiner Aufgabe als Wächter bist du ebenso treu ergeben. Darum habe ich eine Bitte an dich. Es wird der Moment kommen in dem zwei sehr wichtige Aufgaben auf euch zukommen. Der freie Willen jedes Lebewesens ist unantastbar, auch der Wille der Wächter. Darum ist dies kein Befehl sondern eine Bitte. An Luchia werde ich diese Bitte ebenfalls richten. Hör mir nun gut zu...“ ~Sterben ist das Auslöschen der Lampe im Morgenlicht, nicht das Auslöschen der Sonne.~ Rabindranath Tagore ~"Ich bin der Weg zum Horizont", sagte das Glück. "Ich bin der Weg zum Abgrund", sagte der Schmerz. "Ich bin Licht und Schatten", sagte das Leben. "Ich bin Erlösung und Ende", sagte der Tod. "Ich bin Glück und Schmerz, Leben und Tod", dachte die Liebe, und schwieg. ~ Unbekannt Kapitel 3: Der Beginn eines Abenteuers~ --------------------------------------- „Ihr habt diese Aufgabe gut erfüllt. Durch eure Hilfe konnten die jungen Wächter das Chaos daran hindern sein Siegel zu brechen. Shin ist nun von seinem Einfluss bereit und das Chaos selbst kann eine Zeit lang niemandem mehr schaden. Doch dies war erst der Anfang. Es steht den Wächtern ein noch viel größerer Kampf bevor. Jenes Schicksal lässt sich nicht mehr abwenden. Das Chaos wird sich befreien und die Dimensionen heimsuchen. Diese Niederlage hat seinen Zorn nur noch geschürt. Und wieder halte ich euch von eurem verdienten Frieden fern. Doch ihr habt aus freien Stücken gewählt, diese letzte wichtige Aufgabe zu übernehmen...“ Ich vertraute den Wächtern diesen abschließenden, wichtigen Auftrag an. Das war alles was ich als Schicksal zu tun vermochte um das Kind zu schützen, welches in der Zukunft ebenfalls eine wichtige Aufgabe erfüllen wird. Es ist mir untersagt selbst einzugreifen. Lediglich ist es mir gestattet die Jenigen zu beeinflussen, welche das Schicksal in Wahrheit bestimmen. Denn es sind die Lebewesen in den Dimensionen, die Menschen, die mich durch ihre Entscheidungen formen. Und so hätte das Schicksal ohne den Einsatz von Luchia und Ren nicht die selbe Wendung nehmen können. Luchia saß am Ufer eines Tümpels. Ein kleiner Teich, der in der Nähe ihres neuen Zuhauses lag. Sie hatte ihre Arme eng um ihre Beine geschlungen und presste diese fest an sich. Das Gras auf dem sie saß war feucht. Es war noch sehr früh und auf den Blättern sammelte sich der Morgentau. Ihr Blick war starr auf die Spiegelnde Wasseroberfläche gerichtet. Es war nicht ihr Gesicht, welches ihr dort entgegen blickte. Die Frau in ihrem Spiegelbild hatte kurze rotblonde Haare und dunkle braune Augen. Es verteilten sich Sommersprossen wie kleine Sprenkel über ihre blasse Haut. Das war nicht sie selbst. Die Gestalt im Wasser ahmte zwar ihre Bewegungen nach, aber Luchia konnte sich selbst einfach nicht im Spiegelbild der anderen Frau wiederfinden. Ein Frosch, der neben ihr im Gras gehockt hatte wurde durch ein nahendes Geräusch aufgeschreckt und sprang ins Wasser. Dadurch wurde die Wasseroberfläche unruhig und das fremde Spiegelbild verschwamm. „Luchia...“, auch die Stimme, des Mannes der sich nun neben sie setzte war ihr noch recht fremd. Obwohl ihr der Jenige, der zu ihr Sprach sehr vertraut war. Sie blickte zu dem Mann auf. Er war recht groß, aber etwas schmächtig. Auch seine Haut war recht blass. Durch die schwarzen Haare wirkte sie sogar noch etwas blasser. Dieser ordentliche, kurze Haarschnitt, passte Luchias Meinung nach gar nicht zu ihm. Seine blauen Augen lagen mit einem ruhigen Blick auf ihr und in seinen Armen hielt er ein Baby. Das kleine Kind beobachtete seine Umgebung aufmerksam aus seinen weit aufgerissenen grünen Augen. Als es den Frosch auf dem Seerosenblatt entdeckte, der seine Brust so lustig aufblähte gluckste es begeistert. Obwohl er noch nicht ganz 1 Jahr alt war, war der kleine Junge schon sehr aktiv. Außerdem besaß er für sein Alter schon ein ganz schönes Büschel roter Haare auf seinem kleinen Kopf, die gerne zu allen Seiten anstanden und vermutlich genauso schwierig zu bändigen waren wie der Wonneproppen selbst. „Es ist komisch plötzlich in einer anderen Haut zu stecken, oder? Daran meine Kräfte als Wächterin nicht mehr zu besitzen kann ich mich gewöhnen. Aber es ist als wären wir plötzlich zwei völlig andere Menschen. Hast du keine Angst davor dich selbst zu verlieren Ren?“, ihr Blick blieb verunsichert auf den jungen Mann gerichtet. Ren lächelte sanft. Er setzte das zappelnde Energiebündel vorsichtig auf seinen Schoß und antwortete: „Nein. Es gab einen Moment in meinem Leben, in dem ich sogar sehr große Angst hatte. Aber davor habe ich keine Angst. Denn genau in diesem Augenblick sehe ich niemand anderen als dich vor mir sitzen Luchia. Es sind nicht deine Augen, oder deine Gesichtszüge und es ist auch nicht der Klang deiner Stimme. Aber es ist dein Blick mit dem du mich ansiehst, es ist dein Gesichtsausdruck aus dem ich deine Zweifel lese und es ist die selbe Betonung der Stimme, die nur du verwendest wenn dich etwas bedrückt. Alles was dich ausmacht ist genau so wie es schon immer war. Es ist nicht deine äußere Erscheinung, die dich ausmacht. Ein Mensch verändert sich sein leben lang vom kleinen Baby bis zum Greis. Auch Shinji wird anders aussehen, wenn er irgendwann ein erwachsener Mann ist“. Er unterbrach seine Antwort als er ein lautes Platschen hörte. „Shinji!“, schrie Luchia entsetzt. Der kleine Rotschopf war unter den unachtsamen Augen der Erwachsenen tatsächlich im Tümpel gelandet. Zum Glück war das Wasser am Rand nicht besonders tief. So saß der Kleine also verdattert in grünlichem Wasser, das ihm bis knapp über den Bauchnabel reichte und auf seinem Kopf hockte der quakende Frosch. Luchia konnte gar nicht anders als zu lachen. Sie war selbstverständlich erleichtert, dass Shinji nichts passiert war, aber das war einfach ein Bild für die Götter. Ren fischte den verdatterten Jungen schnell aus dem Wasser. Was den Frosch mit einem empörten Quaken zurück ins Wasser springen ließ. „Entschuldige Shinji. Wir sollten dich besser umziehen bevor du dich erkältest“, meinte er schuldbewusst zu dem Kind, welches er sich ohne Rücksicht auf sein weißes Hemd sanft an den Oberkörper drückte. „Ich weiß wirklich nicht was sich das Schicksal dabei gedacht hat ausgerechnet uns ein Baby an zu vertrauen. Du würdest deinen eigenen Kopf verlieren, wenn er nicht angewachsen wäre und ich bin so verträumt, dass ich nicht einmal mitbekomme wenn mein Weg ein Laternenpfahl kreuzt“, meinte Luchia scherzhaft aber mit einem bitteren Schmunzeln. Sie machte sich wirklich Sorgen deswegen. Natürlich hatte Ren sich schon um einige junge Wächter einschließlich sie selbst gekümmert. Doch dabei standen ihm immer die Bediensteten aus dem Schloss zur Seite. Und sie selbst hatte überhaupt keine Erfahrung mit kleinen Kindern, schon gar nicht mit einem Baby. Und noch unsicherer ob Ren das Baby irgendwo liegen lassen könnte, oder ihm die Windel auf den Kopf bindet, war sie sich darüber ob sie selbst sich so eine wichtige Aufgabe zutraute. Sie wusste nicht, ob sie dafür schon bereit war. Sie fühlte sich jedenfalls nicht bereit. Als sie sah, dass Ren das Kind zu wärmen versuchte, zog sie sich kurzerhand ihre Bluse aus. Ren beobachtete das sichtlich irritiert und seine blassen Wangen nahmen einen roten Farbton an. „Was tust du denn da?“, war alles, das von seiner sonst so wortgewandten Ausdrucksweise übrig geblieben war. „Ich trockne den Kleinen schon mal etwas ab damit er sich nicht erkältet bis wir im Haus sind“, meinte Luchia darauf, die nun im BH vor ihm saß und dem sprachlosen jungen Mann das Baby abnahm. Auch in ihrem Gesicht zeichnete sich eine blasse Röte ab, aber sie ließ sich davon nicht beirren. Trotz seiner nassen Sachen quengelte Shinji nicht. Der kleine Junge war wirklich eine Frohnatur. Stattdessen hibbelte er auf Luchias Schoß auf und ab. Ihm gefielen die schmatzenden Geräusche die seine durchnässten Sachen machten. Luchia hatte bei dem Gezappel große Mühe das Kind auszuziehen. Shinji ließ sich nämlich überhaupt nicht davon stören und hopste munter weiter. Als sie es dann endlich geschafft hatte rieb sie den Nackedei mit ihrer Bluse trocken und wickelte ihn anschließend darin ein. Ren beobachtete das Geschehen. Dabei wich das verlegene Funkeln in seinen Augen einem liebevollen strahlen und auf seine Lippen zeichnete sich ein Lächeln. Er begann etwas ungeschickt die Knöpfe an seinem Hemd zu öffnen. „Ich glaube daran, dass das Schicksal weiß was es tut. Wir schaffe das Luchia. Daran habe ich keinen Zweifel“, spricht er ruhig während er Luchia sein Hemd über die Schultern legte. „Ein sehr kluger Mann hat einmal zu mir gesagt. Ich denke jedes Kind ist ein Abenteuer. Man erlebt wie sie sprechen und laufen lernen und immer größer werden. Es ist ein niemals endendes Abenteuer. Und das allerschönste von allen. Nun bin ich mir sicher, dass er damit recht hatte“, erklärte er während seine Hände noch auf ihren Schultern ruhten und fuhr fort: „Lass uns dieses größte und wunderbarste Abenteuer gemeinsam erleben“. Luchia blickte etwas irritiert zu dem Älteren auf, dann formten auch ihre Lippen ein Lächeln. Sie erkannte die Worte ihres Vaters sofort wieder. „Und das ist dein Lächeln. Die Person, die grade vor mir sitzt ist ohne Zweifel die Frau, die ich Liebe. Egal in welcher Erscheinung sie auch vor mich treten mag“, beendet Ren seine Ansprache und löst damit unbedacht ein großes Gefühlschaos aus. Diese Worte musste die ehemalige Traumwächterin erst einmal verarbeiten. War dies bloß ein Traum, oder konnte es wirklich real sein? Sie hatten sich zwar in Luchias Todestraum geküsst, doch seid ihre Seelen aus den Fängen des Chaos befreit wurden, hatten keiner der Beiden darüber gesprochen. Das war nicht verwunderlich. Erst Gestern hatten sie meinen Auftrag angenommen und die todkranken Körper von Shinjis Zieheltern mit deren Einverständnis übernommen. So bekam Shinji Schutz und die beiden armen Geschöpfe fanden ihren Frieden. Um die kranken Körper der Beiden zu heilen mussten die Seelen der Wächter ihre magischen Kräfte und damit ihr Wächterdasein aufgeben. Jedenfalls war dies das erste mal. Es war das erste Mal, dass Ren diese Worte ausgesprochen hatte. Luchia bemerkte, wie ihr Herz zu rasen begann und eine angenehme Wärme in ihr aufsteigen wollte. Doch sie war sich noch nicht sicher ob sie diesem Glück wirklich trauen konnte. Sie Stand auf und drehte sich zu Ren um. Die Beiden standen sich nun dich gegenüber. Dabei hielt sie Shinji immer noch auf ihrem Arm. Der kleine Rotschopf zupfte neugierig an Rens Hemd, das so schön über seinem Kopf hing. Luchia sah in die fremden Augen von Rens neuem Gesicht. Und in diesem Moment erkannte sie es. Vorsichtig löste sie eine Hand von Shinji und legte ihre Fingerspitzen sacht auf die Schläfe des Mannes. „Das ist dein Blick, der mein Herz höher schlagen lässt“, stellte sie fest und ließ ihre Hand auf seine Wange gleiten : „Das ist die Tonlage deiner Stimme, die mich schon so oft beruhigt und getröstet hat“, sie fuhr mit ihrem kleinen Finger sanft über seine Lippen: „Und es ist dein Lächeln, dass mich jedes Mal aufs neue in seinen Bann zieht. Es fühlt sich an wie ein Traum. Aber der Mann der grade vor mir steht ist auf jeden Fall der Mann, den ich jetzt unbedingt küssen will“. Noch ehe sie ihre Worte in Taten umsetzten konnte legte Ren seine Hand auf ihre, zog Luchia vorsichtig zu sich, um den kleinen Shinji nicht zu erschrecken, und küsste sie. So glücklich wie in diesem Augenblick hatte sich keiner der Beiden je zuvor gefühlt. Es war wie ein wunderschöner Traum, der ihren Hoffnungen und Sehnsüchten entsprungen war. Nur war dies die Realität. Und so nahm das gemeinsame Abenteuer der Beiden seinen Lauf. Es hatte wuschelige rote Haare, freundliche grüne Augen, ein munteres Gemüt und hörte auf den Namen Shinji. Der kleine Junge wusste wie er die Beiden Anfängereltern auf Trapp hielt. Die ersten Anfangsschwierigkeiten bekamen die frischgebackenen Eltern bereits bei der einfachen Zubereitung des Fläschchens. Den erstes Versuch startete Ren. Das Resultat. Ein junger Mann der mit einem hungrigen, brüllenden Baby durch das Haus eilt und nach dem Fläschchen sucht. Irgendwann hatte Luchia die ewig währende Suche unterbrochen. Sie fand die Flasche dort wo Ren sie hatte stehen lassen, in einem Blumentopf auf der Fensterbank in der Küche. Den zweiten versuch übernahm Luchia mit dem Vorsatz es besser zu machen. Das Resultat. Luchia lag schlafend mit dem ebenfalls selig schlummernden Shinji im Arm auf der Küchenbank, während das Fläschchen viel zu lange vor sich hin köchelte. Danach wurden ein neues Fläschchen und eine Eieruhr gekauft. Shinji war begeistert von der Eieruhr. Sie hatte die Form von einem Hühnchen. Und am Ende spielte er mehr damit herum als die Uhr zum Kochen genutzt wurde. Luchia hätte Shinji die Eieruhr am liebsten sofort wieder weggenommen. Der Kleine hatte ein Talent dafür das Gerät genau so ein zu stellen, dass sie das ratternde Geräusch aus ihren Tagträumen und Nachmittagsschläfchen riss und sie jedes Mal fast du Tode erschrak. Aber wenn sie die strahlenden Augen des Jungen sah und die Freude mit der er an der Uhr herumspielte, brachte sie es einfach nicht übers Herz. Irgendwann wurde die Eieruhr uninteressant. Shinjis neue Lieblingsbeschäftigung war es mit seinem Papa zusammen zu malen. Das bereitete nicht nur ihm sondern auch Ren große Freude. Das ganze Haus hing voll Krikelkrakel- und Fingerfarbebildern, neben dem von Ren gemalten Familienportrait. Luchia war sehr stolz auf ihre Beiden Jungs. Aber irgendwann reichten Shinji die Bilder nicht mehr. Er beschloss das ganze Haus zu verschönern. Ren war auf dem Markt, wo er als Straßenkünstler ein wenig Geld dazu verdiente. Der Anblick ihn dort zu sehen wo früher ihr Vater stand und sich die Wege der Beiden zum ersten Mal gekreuzt hatten machte Luchia sehr nostalgisch. Als sie Ren zum ersten mal auf dem Markt vor seiner Staffelei stehen sag trieb ihr das sogar ein paar Tränen in die Augen. Hauptsächlich lebten sie allerdings von den Einnahmen aus Luchias Modegeschäft. Im ersten halben Jahr bot sie ihre selbst designt und genähte Kleidung noch auf dem Markt an. Doch dort wurde sie schnell von einer netten Frau entdeckt, die mit ihr zusammen ein Geschäft aufbauen wollte. Und ein weiteres halbes Jahr später wurde die Boutique „Im Mondschein“ dann eröffnet. Das Geschäft lief gut, so dass sie die Familie davon ernähren konnten. Aber Ren liebte das Malen und es machte ihm Freude, diese Gefühle mit anderen Menschen zu teilen. Jedenfalls war er an jenem Tag außer Haus. Luchia hatte daher die Aufsicht über den kleinen Rabauken. Und es kam wie es kommen musste. An so einem sonnigen Tag konnte sie nicht widerstehen sich in den Garten zu legen. Shinji war schließlich beschäftigt. Sie hatte ihm zuvor Stifte und Blätter da gelassen. Und als Ren nach Hause kam wurde er von einem stolzen kleinen Künstler begrüßt, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte seine Eltern damit zu überraschen sämtliche Wände im Haus bunt anzumalen. Der kleine Mann war so glücklich über sein Werk, dass es keiner der Erwachsenen übers Herz brachte ihn dafür zu tadeln. Ren erklärte Shinji, dass er seine Zeichnungen auf das Papier beschränken sollte. Und mit Luchia zusammen überstrich er den Großteil der frühen Kunst. Den Großteil nicht alles. Sie beschlossen eine Wand so bunt zu lassen um das gut gemeinte Geschenk ihres kleinen Wirbelwindes zu würdigen. Einen Sommer wurde auch Luchia nach der Arbeit überrascht. Jedoch nicht bloß von Shinji, sondern von ihren beiden Lieblingsjungs zusammen. Als sie die Haustür öffnete stand bereits der kleine Shinji vor ihr. Er hielt einen großen Blumenstrauß mit beiden Armen fest umklammert, damit nichts herunter fiel. Beim näheren hinsehen erkannte Luchia jedoch, dass es keine echten Blumen waren. Es waren Papierblumen. Die Blüten bestanden aus hauchdünnem Papier, das bunt angemalt wurde. Innerhalb einer einzelnen Blüte liefen viele Farben ineinander über. „Die sind ja bunter als ein Regenbogen“, sagte Luchia und hockte sich zu ihrem kleinen Kavalier auf Augenhöhe. „Hast du die gemacht? Sie sind wunderschön“, musste die stolze Mama schmunzeln. Shinji nickte eifrig. „Mit Papa. Du muss mit Mama“, plapperte er aufgeregt und hibbelte von einen Fuß auf den anderen. „Mit? Wohin denn?“, fragte Luchia überrascht. „Da!“, war alles was sie als Antwort bekam und der bunte Blumenstrauß wurde ihr etwas unsanft ins Gesicht gedrückt. Noch immer leicht irritiert nahm sie die Blumen an. Luchia ahnte, dass Ren etwas damit zu tun hatte, aber sie konnte sich noch nicht zusammenreimen was genau das zu bedeuten hatte. „Mama Kommen!“, brabbelte Shinji in einem bestimmenden Ton und zupfte an ihren Rock. Luchia konnte es sich nicht verkneifen etwas zu Lachen. Es sah einfach zu drollig aus, wie der Knirps vor ihr versuchte ein ernstes Gesicht zu machen. Als sie sich etwas beruhigt hatte legte sie ihre Hand auf Shinjis Haarschopf und strich liebevoll darüber. „Ist ja schon gut Shinji. Ich komme mit“, erklärte sie ruhig, stand auf und nahm die Hand des Zweijährigen. Kaum hatte sie seine Hand genommen strahlte Shinji übers ganze Gesicht und stürmte los. Es war wirklich kaum zu glauben wie schnell der Kleine sein konnte. Es sah zwar immer noch mehr nach Watscheln als nach Laufen aus, war aber gar nicht so einfach da mit zu halten. Einmal sollte Ren ihm die Windel wechseln. Während er die Alte entsorgte flitzte Shinji mit blankem Po davon. Ren versuchte den Ausreißer wieder ein zu fangen und die beiden jagten durch das ganze Haus. Shinji hatte großen Spaß daran zwischendurch stehen zu bleiben und sich nach seinem Papa umzudrehen, nur um direkt wieder los zu laufen, wenn er ihm etwas näher gekommen war. Die wilde Verfolgungsjagd fand erst ein Ende, als Luchia nach Hause kam und der kleine Racker auf sie zu trappelte um sie zu begrüßen. Dieses Mal blieb Shinji vor der Terrassentür stehen. „DA!“, sagte er wieder, zeigte auf die Tür und hüpfte begeistert auf und ab. Er wartete ungeduldig, dass Luchia die Tür öffnete. An die Türklinke kam er nämlich noch nicht heran, die war ihm zu hoch. Als Luchia die Tür dann endlich öffnete und die Beiden zusammen auf die Terrasse traten, wusste sie noch weniger was das alles zu bedeuten haben konnte. Auf dem weißen Gartentisch stand ein großer Kuchen, der mit blauen Zuckerguss überzogen war, in dem sich ein kleiner Handabdruck verewigt hatte. Außerdem war er mit goldenen Zuckersternen verziert. Am Haus, auf dem Tisch und in den Blumen hingen weiße Chiffontücher und bunte Satinbänder an denen noch buntere Papierblumen befestigt waren. Luchia dachte angestrengt nach. Hatte sie irgendeinen Geburtstag verpasst? Oder war heute vielleicht ein Feiertag? Zischen zwei fleißig dekorierten Buchsbaumsträuchern stand Ren. Sein Blick war lächelnd auf Luchia gerichtet und in seinen Händen hielt er einen Kranz aus bunten Papierblumen an dem ebenfalls ein paar bunte Satinbänder befestigt waren. Es kam ihr so vor als wirkte er irgendwie nervös, so wie er an den Bändern des Kranzes herumzupfte. „Und haben wir es geschafft dich zu überraschen?“, fragte der junge Mann und meinte: „Unser Trauzeuge hat wirklich gute Arbeit geleistet“. Dabei wanderte sein Blick von ihr zu Shinji. „Trauzeuge? Moment mal bedeutet das etwa...“, wagte es Luchia nicht ihren Gedanken laut auszusprechen. Ihre Augen weiteten sich und blickten verunsichert zu Ren. „Genau, dass bedeutet es“, bestätigte Ren und es bildete sich eine blasse Röte auf seinen Wangen als er auf Luchia zu ging und ihr den Blumenkranz ins Haar setzte. Die Augen der Beiden verloren sich ineinander, darum dauerte es einen Moment bis Ren seine Sprache wieder fand. „Yuka und Momotaru, die Personen deren Körper und Identitäten wir angenommen haben, sind bereits verheiratet“, begann Ren und nahm Luchias rechte Hand in seine um auf den Ehering hinzuweisen, der an ihrem Finger steckte. „Wir könnten unser Ehegelübde offiziell also nur auffrischen und das auch nur unter falschen Namen. Aber heute, vor den beiden Menschen die für mich das wichtigste in allen Dimensionen und darüber hinaus geworden sind. Möchte ich nicht Yuka, sonder Luchia, der Frau die ich liebe, ein Eheversprechen geben“, führte er seine Erklärung zu ende. „Ren...“, flüsterte Luchia. Die Situation kam so überraschend. Sie wirkte etwas überfordert. Überfordert aber aus sehr glücklich. Der jungen Frau stiegen Tränen in die Augen. Und in diesem Moment sah sie Ren so vor sich stehen, wie sie ihn kennengelernt hatte. Mit seinen grünen unordentlichen Haaren und den ruhigen grünen Augen. Mit diesem Mann würde sie den Rest ihres Lebens verbringen. Im Grunde wollte sie nie etwas anders. Sie nahm seine freie Hand so, dass sie vollkommen miteinander verbunden waren und beschwerte sich spielerisch: „Lass mir doch das nächste mal zumindest etwas Zeit um ein Hochzeitskleid zu nähen“. Sie sah nie glücklicher aus als in diesem Augenblick. Nicht einmal an dem Tag an dem Ren ihr seine Liebe gestand strahlte sie so hell. Ihr Lächeln hätte jeden in ihrem Umfeld in seinen Bann gezogen. „Versprochen“, gab Ren leicht schmunzelnd nach. Er stand schon lange unter ihrem Bann. „Du bekommst heute trotzdem ein Ehegelübde von mir. Auch auf die Gefahr hin, dass das hier nur ein wunderschöner Traum ist“, sprach die glückliche Braut und küsste ihren Bräutigam. Mit zwei ein halb Jahren konnte man aus Shinjis Bildern schon gut erkennen was sie darstellen sollten. Strichmännchen ähnliche Menschen, zuckerwatteähnliche Bäume, kleine Häuschen und Sonnen mit Gesichtern. Doch er hatte ein absolutes Lieblingsmotiv. Seinen Fantasiefreund. Shinjis erstes Wort war „Buda“, was wohl Bruder heißen sollte,. Und das war auch der Name seines Fantasiefreundes. Dem kleinen war sein unsichtbarer Freund sehr wichtig. Er redete und spielte mit ihm, bestand darauf, dass auch „Bruder“ einen Gutenachtkuß bekam und beim Essen musste immer ein zusätzlicher Teller auf den Tisch gestellt werden. Luchia dachte sich nicht viel dabei. Shinji war eben ein sehr kreatives und fantasievolles Kind und er hatte außer seinen Eltern keinen Spielgefährten. Sie wusste von ihrem Vater, dass sie selbst einige Fanatsiefreunde hatte als sie klein war. Wahrscheinlich weil sie auf ihren Reisen nicht besonders viel Zeit hatte sich mit anderen Kinder anzufreunden. Ren sprach es zwar nicht aus, aber er vermutete, dass mehr dahinter steckte. Er fand es auffällig, dass Shinji seinem Fantasiefreund keinen richtigen Namen gab, sondern ihn einfach nur Bruder nannte. Daher nahm er sich die Zeichnungen seines Ziehsohnes oft zur Hand. Das kleine Männchen mit den wilden roten Haaren stellte eindeutig Shinji selbst dar. Dicht neben ihm stand ein zweites Männchen mit orangenen Punktaugen und ebenso wild gekitzelten schwarzen Haaren. Das musste sein Fanatasiefreund sein. Aber Ren wusste nicht was ich weiß. Das Shinji einen Zwillingsbruder hat mit dem er sich vor seiner Geburt noch eine ganze Zeit lang den Bauch seiner leiblichen Mutter teilte. Er konnte daher nur erahnen und vermuten was Shinjis unsichtbarer Freund für eine Bedeutung haben könnte. Das Kind spürte wohl, dass er nicht alleine entstanden ist, dass es da noch jemand anderen gab. Grade Wächterzwillinge haben offensichtlich eine starke Verbindung zueinander. Nichteinmal eine Trennung über Zeit und Raum vermochte es das zu ändern. Nun lebten sie schon drei Jahre mit Shinji zusammen ihr neues Leben. Einiges hatte sich mittlerweile verändert. Rens Haare waren schon fast so lang wie die aus seinem alten Leben und meistens auch genauso durcheinander. Von der ordentlichen Kurzhaarfrisur war nichts mehr zu sehen. Die Beiden waren auch nicht mehr so blass. Im Gegenteil zu ihren kränklichen Wirten verbrachten sie viel Zeit im Freien. Besonders gerne saß die kleine Familie zusammen auf der Terrasse in ihrem Garten und trank gemeinsam Tee. Auch Shin durfte etwas ungesüßten Tee in seinem Trinkbecher mittrinken. Luchias Laden lief noch immer sehr gut. Sie hatte sogar ein paar Aufträge aus dem Schloss erhalten. Dort sollte bald ein großes Fest stattfinden. In diese Aufträge investierte sie besonders viel Arbeit. Sie nahm die Kleider oft noch mit nach Hause um dort an ihnen weiterzuarbeiten und Kleinigkeiten auszubessern. Es war ein eigenartiges Gefühl die Maße der Wächter aufzunehmen und ihre Stoffe ab zu stecken. Besonders bei Chiyo, Moe und Manabu. Sie hatte immer den Gedanken, einer von ihnen könnte sie jeden Moment erkennen. Trotz ihrem neuen Aussehen, der neuen Stimme und dem fremden Namen. Es war erstaunlich was für einen Schub Manabu in den letzten drei Jahren bekommen hatte. Auch wenn sie sich nicht zu erkennen geben konnte, machte es sie glücklich zu sehen, dass die Wächter sich so toll entwickelten. Ai war bei den Anproben leider nicht dabei. Sie hatte sich anscheinend mit Shin zurück gezogen. Aber das war in Ordnung. Sie war mit dem Mann zusammen den sie liebte. Und Luchia wusste, dass sich Aiko nie etwas anderes gewünscht hatte. Auch Shinjis leibliche Eltern kamen zur Anprobe. Sie hatte die Beiden bereits im finalen Kampf gesehen, doch erst jetzt viel ihr auf wie ähnlich Shinji seinem Vater sah. Es war schwierig die Beiden nicht auf ihren Sohn anzusprechen. Und für einen Moment schlich sich der ungemütliche Gedanke in ihren Kopf, dass sie ihnen ihr Baby vielleicht irgendwann zurück geben musste. Aber sie schaffte es den Gedanken wieder abzuschütteln und hoffte darauf, dass dieser Tag noch weit zurück lang. Ansonsten waren die Beiden wirklich tolle Persönlichkeiten. Bei einem so wunderbaren Sohn hätte sie sich auch nichts anderes vorstellen können. Dieses Mal hatte Luchia Manabus Anzug mit nach Hause genommen. Es fehlten nur noch ein paar Stiche und sie wollte ihn nicht so unfertig im Laden zurücklassen. Grade als sie die Nähnadel in das Nadelkissen an ihrem Handgelenk steckte und ihr fertiges Werk zufrieden betrachtete, kam Ren mit einem Tablett in ihr Arbeitszimmer. Er wusste, dass Luchia alles um sich herum vergaß wenn sie einmal in eines ihrer „Werke“ vertieft war, ihm ging es da beim Malen nicht anders. Darum brachte er ihr ab und an einen Tee oder das Mittagessen einfach ins Zimmer. „Er sieht sehr edel aus“, bemerkte Ren mit einem Blick auf den Anzug und stelle das Tablett auf einer Kommode ab, in der Luchia ein paar Stoffe aufbewahrte. „Danke. Ich bin auch sehr zufrieden damit. Er ist für Manabu, darum habe ich in den Kragen ein paar Aquamarinsteine eingearbeitet. Die passen gut zu seiner Haarfarbe und kräftigen das Selbstbewusstsein. Außerdem stärkt der Aquamarin die Liebe und das Glück in der Partnerschaft. Nicht, dass ich denke er würde das brauchen, aber etwas Unterstützung kann nie schaden, oder? Gut ich gebe zu, dass ich sie hauptsächlich wegen der Farbe ausgewählt habe“, erklärt Luchia und dreht sich lächelnd zu Ren um. Doch ihr Lächeln verschwand als sie seinen Blick bemerkt. Etwas Sehnsüchtiges lag in ihnen. Er wirkte nicht unglücklich, aber es beschäftigte ihn etwas. Luchia kannte diesen Blick. Genau mit dem selben Blick betrachtete er oft ein Bild, dass er von seiner alten Heimat gezeichnet hatte, dem Wächterschloss. Auch die anderen Wächter waren für ihn seine Familie. Er fühlte sich noch immer für sie Verantwortlich. Das hatte sich nie geändert. Auch, wenn er immer davon sprach, dass er vollstes Vertrauen in die Wächter hätte und sicher wüsste, dass sie ihren Weg gehen werden. Er vermisste sie ganz einfach. Bevor seine Seele befreit wurde hatte er Manabu unter Shins Kontrolle ein paar schlimme Dinge gesagt. Und den Beiden blieb in der kurzen Zeit, in der ihre Seelen frei waren nicht die Zeit sich darüber mit den Wächtern auszusprechen. Luchias Blick richtete sich auf den Umschlag, der neben dem Tablett auf der Kommode lag und sie fasste einen Entschluss: „Wir wurden zu einem Fest im Schloss eingeladen. Wie du weißt fertige ich die Kleider zu diesem Anlass. Als Dank für meine gute Arbeit hat Moe mir Einladungskarten gegeben. Und wir werden alle zusammen dort hingehen". ~Das Glück ist das einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt.~ Albert Schweitzer, Humanist (1875-1965) ~In den Kindern erlebt man sein eigenes Leben noch einmal, und erst jetzt versteht man es ganz.~ Sören Kierkegaard Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)