Viktors Ankunft in Hasetsu von Flokati ================================================================================ Kapitel 1: April 2016, Hasetsu: Besuch -------------------------------------- Das Erste, was ich beim Aussteigen aus dem Zug bemerke ist, dass diese Stadt im Vergleich zu Tokyo verdammt klein und verschlafen aussieht. Touristen scheinen sich hier nur selten her zu verirren... Ein Blick übers Gleis und alle Köpfe hinweg sagt mir, dass Englisch, oder generell Informationen in Buchstaben, hier eine Seltenheit sind. Gut, dann mal los. Da vorne ist die Rolltreppe. „Makkachin.“ Ein Stadtplan wäre ganz gut, denke ich. Die Eltern haben ein Onsen, also ein Badehaus, hat er gesagt. Davon wird’s hoffentlich nicht viele geben. Als ich am Ende der Rolltreppe ankomme, mache ich fast einen Satz nach hinten, so viele Poster sehe ich vor mir. Okay. Wow. Wird vielleicht doch einfacher, als ich dachte. Einen Moment lang starre ich nur. So eine große Ansammlung von Postern habe ich selbst von mir nur selten an einer einzigen Wand gesehen. Mein Herz pocht schneller und ein bisschen lache ich mich selbst aus, dass ich wirklich hier stehe. Wahrscheinlich sieht mein Gesicht im Moment auch so dumm aus, wie es sich anfühlt. In meinem Kopf hallen Yakovs Worte wider, die mich anhalten, in Russland zu bleiben. Vernünftiger wäre es allemal gewesen, aber tief in mir weiß ich, dass ich nicht hätte bleiben können. Ich dachte, es ließe nach einer Weile nach. Die ersten zwei Wochen nach dem letzten Grand Prix Finale waren schlimm. Dieses elendige Warten und Hoffen... Es ging mir nur noch um Ablenkung. Das Training hat mich abgelenkt. Die Wettkämpfe haben mich abgelenkt. Ich habe gar nicht mitbekommen, wie ich gelaufen bin. Ich habe nur noch funktioniert und die Aufmerksamkeit der Presse hat mich weiter abgelenkt. Je weiter ich das Grand Prix Finale sich hinter mir ließe, desto mehr würde die Erinnerung verblassen, hoffte ich. Doch gleichzeitig rückte die WM in Tokyo immer näher. Nach dem Finale in Sochi war es still um Yuuri Katsuki geworden, doch da war dieser irrationale Gedanke, dass er bei der WM zuschauen könnte, auch wenn er sich nicht für den eigentlichen Wettkampf qualifiziert hatte. Vielleicht war es aber auch nur ein Wunschdenken von mir. Wenn ich nach fast vier Monaten keine Nachricht erhalten hatte, dann würde auch in Tokyo keine Nachricht mehr kommen. Und trotzdem blieb jede Vernunft ungehört und nährte die Hoffnung, die mich letztendlich nur noch tiefer hinunter zog. Die WM in Tokyo kam und ging. Yakov war wieder bester Laune. Alle waren bester Laune. Alle, außer mir. Ich fühlte mich dumm. Als hätte ich es nicht besser wissen können. Für gewöhnlich kann ich es recht gut überspielen, wenn es mir nicht gut geht. Vielleicht war meine niedergeschlagene Stimmung für Yakov auch schon normal, ich weiß es nicht. Aber vor meinem langjährigen Freund Christophe Giacometti konnte ich nicht verbergen, dass sich etwas gewaltig in Schieflage befand. Er schien mich den ganzen Abend seit der Pressekonferenz schon zu beobachten und als sich die Gelegenheit ergab, nahm er mich auf Seite. Als er sich sicher war, dass niemand uns sehen oder hören konnte, reichten genau zwei Worte um voll ins Schwarze zu treffen: „Der Japaner?“ Dass er mich derart durchschaut hatte, machte es nicht besser. Aber Chris ist einer der wenigen Menschen, die ehrlich mit mir umgehen. Ich hätte nicht mit jedem über diese Sache geredet. Er ist guter Freund, zeigte Mitgefühl und hatte ein offenes Ohr für mich. Nach dem Gespräch mit ihm war ich seltsam beruhigt. Es kam mir nicht mehr so schlimm vor, wie es sich anfühlte. Mit dem fünften WM-Titel in Folge zurück in Russland beanspruchte das öffentliche Interesse viel meiner Zeit und Yuri Plisetsky, der Sieger der Juniors, begleitete mich zu fast jedem Termin. Er hat viel Aufmerksamkeit eingefordert, aber er ist jung und will gesehen werden. Ich konnte es ihm nicht übel nehmen, aber zum üblichen Terminstress noch einen Teenager an der Seite zu haben, schaffte mich. Yakov und Dr. Tschekowsky überredeten mich zu drei Wochen Urlaub und ab dem 9. April, einem Samstag, war es dann soweit. Ich blieb zuhause und dachte, dieses erste freie Wochenende mit meinem geliebten Makkachin auf der Couch zu verbringen. Keine Pläne waren erstmal die besten Pläne. Doch bereits am folgenden Sonntagmorgen hatte ich unerwartet eine Nachricht von Chris auf meinen Emailaccount. „Salut, Vic. Ich weiß, du hast frei und bist off, daher per Mail. Ich will einfach nicht, dass du’s von irgendeinem Vollpfosten auf deiner Pinnwand erfährst. Aber verhindern kann ich es auch nicht mehr. Wahrscheinlich ist es bereits mehrfach auf deinem Account gelandet. Alors: Es gibt ein Lebenszeichen von deiner japanischen Affäre. Jemand hat ein Video hochgeladen. Es ist gerade überall. Aber bevor du es dir ansiehst... Bien merde, was soll ich sagen? Dich sitzen zu lassen und dann mit sowas um die Ecke zu kommen, das ist Dreistigkeit in Reinform. Wenn du’s unbedingt anschauen willst, schau es bloß nicht zu oft an. Ich habe dich gewarnt! Und mach' einfach nichts Dummes. Chris.“ Chris hatte keinen Link zu besagtem Video mitgeschickt, aber dass er sich in Angelegenheiten einmischte, die ihn nicht betrafen, war ungewöhnlich. Wieso sollten die Leute überhaupt etwas von Yuuri Katsuki auf meine Pinnwand posten? Ich hatte niemandem außer Chris erzählt, dass ein bisschen was gelaufen ist. Und bis zum Äußersten ist es ja nicht mal gekommen. Das durfte doch alles nicht wahr sein. In meinem Kopf hämmerte die Vernunft schmerzvoll auf mich ein, die Warnung meines Freundes ernst zu nehmen und trotzdem konnte ich mich nicht abhalten, mich einzuloggen und nachzuschauen, wovon er gesprochen hatte. Sogar mein Pudel hatte meine Anspannung bemerkt und sich direkt zu mir auf das Sofa gekuschelt. Ich atmete noch einmal tief ein, um mich zu beruhigen und scrollte auf meinem Account weiter nach unten, aber lange musste ich nicht suchen. [Katsuki Yuri attemps to skate Victor Nikiforov's Free „Stammi vicino, non te andare“] Zuerst war mir, als wollte ich das Handy vor Schreck wegwerfen. „Der Typ hat alle Sprünge verkackt, Mann. Wir brauchen keine zwei Yuris, er soll die Biege machen und die Kufen an den Nagel hängen!“, hörte ich sofort Yuri Plisetsky's Stimme in meinem Kopf und petzte die Augen zusammen. Ich wollte mich nicht mehr erinnern... Aber mein Gedächtnis warf alle Einzelheiten des Banketts wieder zurück vor mein inneres Auge. „Wenn die Saison zuende ist, komm' doch vorbei.“ Er war betrunken. „Hahaha, Wahnsinn, dass er Chris an der Stange übertroffen hat!“ Mila. „Das war echt widerlich.“ Yuri. „Meine Eltern haben ein Onsen.“ Er war sowas von betrunken. „Olàlà, Vic, ich glaub, du bist der Nächste.“ Chris. „Das ist noch widerlicher!“ Yuri. „Wenn ich bei diesem Dance Battle gewinne...“ Aber irgendwie war er drollig mit der bescheuerten Krawatte... „Viktor, du wirst diesen Scheiß nicht mitmachen, hörst du?!“ Yakov. „... wirst du mein Coach?“ Wirklich völlig betrunken... „Viktor!“ „Be my coach, Victorrr!“ ... aber... das mochte ich. Ich dachte nicht mehr nach. Erst war es komisch. Dann hat es Spaß gemacht. Er schien völlig in seinem Element. Seine Leidenschaft steckte mich an. Er berührte mich. Erst Kurz. Dann wieder. Noch einmal. Sein Arm griff um meine Hüften. Tanzten wir wirklich gegeneinander? Seine Hand lag an meinem Gesicht. Sein Lachen war betöhrend. Er fühlte sich unglaublich an. Er war so...schön. Ich wusste nicht, ob ich es anschauen wollte oder nicht. Seit vier Monaten wartete ich auf ein Lebenszeichen und da war es. Und dann hätte ich es nicht sehen wollen? Chris sagte, ich sollte es nicht zu oft ansehen... wie meinte er das? Würde Yuuri Katsuki wirklich das ganze Programm laufen? Mit allen Sprüngen...? Meine Finger gehorchten mir nicht und ich drückte auf Play. Er lässt dich sitzen und kommt mit sowas um die Ecke, das ist Dreistigkeit in Reinform! Es war wirklich dreist, Yuuri Katsuki. Mach' nichts Dummes. Nichts dummes... Was war 'dumm'? Zuerst wusste ich nicht, was denken sollte. Dann war ich furchtbar wütend. Dann traurig. Und dann kam sie wieder, diese elende Hoffnung, die sich an Worte klammerte, auch wenn sie betrunken gesprochen waren. Menschen, die sich die Ecke gedrängt fühlen, tun viele unerwartete, dumme Dinge, Chris... Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich schaue mich um, ob mich jemand beobachtet. Unauffällig mache ich ein Bild von einem der Poster. Im Hintergrund ist ein weißes Schloss zu sehen. Ich glaube allerdings nicht, dass er dort in der Nähe wohnt, vielmehr wird das Schloss aus repräsentativen Zwecken mit auf dem Poster sein. So wie es unzählige Bilder von mir mit der Basilius-Kathedrale in Moskau im Hintergrund gibt, obwohl ich nicht dort wohne. Aber man scheint ihn hier zu kennen. Ich überlege kurz, ob ich jemanden fragen sollte, als ich durch den Einkaufsbereich des Bahnhofs laufe und den Ausgang suche. Offenbar gibt es mehrere Ausgänge und wahrscheinlich wirke ich ziemlich desorientiert, denn die Leute sehen mir interessiert oder unsicher nach. Aber es ist anders als sonst. Normalerweise starren die Leute, weil sie wissen, wer ich bin. Diese Leute starren, weil ich nichts lesen kann oder weil ich das Gegenteil von dem bin, was sie sind: Ausländer, groß, graublond, blauäugig und ich habe einen Hund bei mir. Oder einfach beides zusammen. Nicht, Makkachin? Außerhalb des Bahnhofs angekommen stelle ich fest, dass es in dieser Stadt keine U-bahn gibt. Vor mir sehe ich nur Busstiege. „Hey, you’re tourist?“ Ein junger Kerl mit Hut und Brille traut sich doch heran. „You search something?“ „I’m looking for a friend.“ „Your friend live here? Hasetsu?” „Yes. His parents run an Onsen here.” „Ahhh! Onsen! Yuutopia Katsuki. Is only one here.” Was gibt es für eine Katsuki-Utopie? (° _ °) „There.” Er deutet die Straße nach rechts entlang. „Before bridge to castle, you go left.” „Okay, thanks.” „Take bus. Not walk in snow.” Er bringt mich bis zur Bushaltestelle, erklärt mir, dass ich beim Aussteigen vorne beim Fahrer zahlen soll und weißt den Fahrer scheinbar darauf hin, wo ich hin möchte. Der Fahrer lächelt und gibt mir ein Daumenhoch. Während ich und Makkachin mit dem Bus besagte Straße entlang fahren, muss ich mich über das Verhalten den jungen Kerls doch sehr wundern. Bei meinen frühreren Japanaufenthalten ist mir sowas noch nicht passiert, meistens gab es dafür Personal. Generell ist mir das noch nie passiert: Geholfen zu bekommen, einfach nur, weil ich Hilfe brauchte. Und nicht, weil die Leute mich kennen und etwas von mir erwarten oder sich erhoffen... Ich fühle mich seltsam beruhigt. Ich kenne niemanden hier, kann nichts lesen, kann nichts reden, weiß gar nicht, ob Yuuri sich erinnert und hätte eigentlich allen Grund, nervös zu sein. Aber der junge Kerl mit Hut hat mir seiner Hilfsbereitschaft alle Urängste bezwungen. Es regt sich sogar so etwas wie Vorfreude in mir. Ich kann es kaum erwarten, Yuuri zu sehen. Der Busfahrer gibt mir schließlich ein Handzeichen, ich zahle ihm die Fahrt und er gestikuliert mir den Weg noch einmal. Dann sind Makkachin und ich auf uns gestellt und laufen los. Es ist ganz schön verwinkelt und eng in diesen kleinen Städten. Meinen Pudel nehme ich vorsichtshalber an die Leine bei diesen schmalen Gehwegen, die den Namen Gehweg nicht verdienen. Dann entdecke ich ein Haus, das wesentlich größer ist als alle anderen darum. Es hat ein großes, offen stehendes Holztor und Fahnen mit irgendwas drauf zu beiden Torpfosten, darüber ein großes Schild, auf dem vielleicht der Name des Gebäudes steht. In der kalten Schneeluft sehe ich, dass hinter dem Haus ganz leicht Dampf aufsteigt. Ist es das schon? Nun, ein Blick kann nicht schaden, das Tor ist groß genug und es steht offen. Innen liegt ein Hof und ein kleiner Transporter steht dort geparkt. Die Haustüre, eine traditionell japanische Schiebetür wie ich sie aus Tempeln kenne, steht offen. Unter einen schmalen Vordach liegt ein roter Teppich auf dem Steinboden und im Haus brennt Licht. Wieder ist der Eingang gesäumt von Fahnen und Reklame. Schnee hat hier aber noch niemand weggemacht, denke ich mir und ich habe Mühe, Makkachin ruhig zu halten. Du würdest nach dem langen Flug liebend gerne durch diesen frischen Schnee fetzen, nicht? Nur, um nach fünf Minuten festzustellen, dass du nicht mehr vier, sondern schon zwölf Jahre auf dem Buckel hast, du großen Fellknäul. „Irasshaimase!“ Eine junge Frau schaut mich von hinter dem Transporter an. Sie hat ganz schön wilde Haare für eine Japanerin und einen verschlafenen Blick. Arbeitet sie hier? „Ara, Vicchan?” Was?! Woher kennt sie meinen Spitznamen…?! Eine Männerstimme antwortet: „Vicchan tte nan to iu n dai?“ Nicht wirklich...? Nur Yakov nennt mich so! Ein älterer Japaner mit Mittelscheitel und Brille schaut jetzt ebenfalls hinter dem Wagen hervor. „Tashika ni, Vicchan ni sokkuri bai.“ Ich bin im falschen Film. Hat Yuuri das beim Bankett gehört? Hat Yakov mich da so überhaupt genannt? Oh Mann, meine Erinnerung, aber es könnte sein... „So you want to go Onsen?“ fragt die Japanerin. Ihr Ton hat etwas sehr Unjapanisches an sich, aber das hier ist dann wohl besagtes Badehaus. „Yes.“ „Ja, kore kara hitori de katadzukemasu. okyaku-sama no annai yoroshiku ne.“ Der ältere Japaner strahlt mich an. „O-saki ni douzo!“, sagt er und deutet auf die Eingangstür. Unsicher stapfe ich ein paar Schritte nach vorne in den Schnee. Makkachin zappelt ganz schön. „Hanashite ii n desu yo.“ Was will er jetzt? Er lächelt und imitiert die Bewegung, scheinbar eine Leine zu lösen. Kann ich wirklich...? Ich bücke mich langsam und beobachte, wie er reagiert. Wenn ich Makkachin jetzt von der Leine nehme, werde ich ihn so schnell nicht wieder einfangen können. „Hai, hai.“ Okay, das heißt Ja. Dann ist es wohl wirklich in Ordnung. Es macht Klack und mein Hund springt wie bekloppt los, erst in den Schnee, dann im Kreis, dann auf den Japaner zu. Ein Stückchen vor ihm bleibt er stehen und schaut ihn an. Der Japaner schaut Makkachin an. Makkachin beginnt, mit dem Schwanz zu wedeln. Der Japaner lächelt weiter, offenbar völlig verzückt von ihm. Yuuri hatte erwähnt, dass sein Hund vor dem Finale gestorben war. Ob Makkachin ihm ähnlich sieht? Der Mann geht in die Knie und Makkachin kommt näher, beschnuppert ihn und fasst Vertrauen. Makkachin hat einen fröhlichen, ungestümen Charakter, wenn er sich unter Menschen befindet, die er mag und die er kennt. Fremden gegenüber ist er immer erst misstrauisch, genau wie ich. Dass er sich von dem älteren Herrn ohne Vorbehalte hinter den Ohren kraulen lässt, erleichtert mich und bestätigt den Verdacht, dass diese Menschen Umgang mit einem anderen Hund hatten. Ich werde schließlich nach drinnen gebracht und stehe in dem wahrscheinlich japanischsten Flur, den ich bisher gesehen habe. Das hier ist wohl ein Familienbetrieb und ich bin heilfroh, im Flugzeug die enthaltenen Tipps für Japanbesuche noch einmal gelesen zu haben. Bisher war ich immer nur in großen, westlichen Hotels untergebracht und nie in Verlegenheit gekommen, dem richtigen Japan zu begegnen. Und der Unterschied zwischen den Hotels und diesem Haus ist wirklich verdammt groß. In der Luft liegt eine leichte Feuchte, die wahrscheinlich von der Quelle hinter dem Haus herrührt. Ich höre einen Fernseher, Stimmengebrabbel und rieche diesen typisch süßlichen Geruch, den japanische Soßen haben. Nach dem Kurzprogramm bei der WM sind Yakov, Chris, sein Trainer Gérard und ich mit unserem Dolmetscher in einem dieser typischen Bars gewesen, in denen es nur Bier, Reiswein und mariniertes Fleisch auf Spießen gibt. Der Geruch erinnert mich daran. Dann fällt mein Blick auf einen kleinen Tisch, der am Ende des erhöhten Holzbodens vor mir aufgestellt ist. Da steht das Poster, das ich am Bahnhof gesehen habe! Nur in klein und gerahmt und davor eine Schüssel mit irgendwas zu essen drin. Der freundliche Herr hat ein paar Pantoffeln gebracht und will mir gerade erklären, dass ich die Schuhe ausziehen soll, als er bemerkt, dass mein Blick auf dem Bild ruht. „He's my son!“, erklärt er stolz und deutet auf das Foto. Sein Sohn? Dann ist er Yuuris Vater? Die sehen sich aber gar nicht ähnlich. Dabei dachte ich immer, alle Asiaten sehen gleich aus... Es legt sich ein großer Teil meiner inneren Anspannung. Hier bin ich offenbar wirklich richtig und es freut mich zu sehen, dass Yuuris Familie ihn unterstützt. Ob das in der Schüssel Yuuris Lieblingsessen ist? Wenn sie mit ihm sogar Werbung dafür machen...! Sie sind schon drollig, denke ich, und muss schmunzeln. Dann nimmt er mir meinen Koffer und die Jacke ab, stellt beides in eine Art offenen Schuhschrank zu unserer Linken, in dem scheinbar alle Gäste ihre Sachen stehen haben. Aber einfach so? Offen, ohne Schloss? Wird da nichts gestohlen? Okay... Er führt mich jetzt auf die rechte Seite des Eingangsbereichs und ich wundere mich, dass er nicht auf die Idee kommt, Yuuri Bescheid zu sagen. Er kennt meinen Namen, also wenn Yuuri hier ist, sollte er ihm das doch sagen? Bevor ich weiter grübeln kann, sehe ich mich plötzlich mit einer laminieten, bebilderten Anleitung auf Japanisch konfrontiert. Sind das Regeln, wie man sich in diesem Bad verhält? Scheinbar. Moment mal, soll ich da jetzt etwa rein?! So war das jetzt eher weniger gedacht...! Yuuris Vater lächelt nur und gibt mir grüne Kleidung aus einem Schrank, deutet auf eine Tür, vor der ein weißes Tuch mit keine Ahnung welchem Zeichen hängt. Vermutlich seperate Eingänge für Männer und Frauen, denn es gibt noch eine Tür mit einem anderen Zeichen. Er sagt nochmal etwas auf Japanisch und ich schätze, es käme jetzt sehr unhöflich, wenn ich das jetzt nicht machen würde. Andererseits hat Yuuri dieses Onsen selbst betrunken noch angepriesen... Er wollte, dass ich ihn unter anderem deswegen hier besuchen komme. Und wenn ich ehrlich bin, bin ich nach dem langen Flug doch froh, wenn ich aus den Sachen hier rauskommen kann. Also warum nicht? Es dauert eine Weile, bis ich mich anhand der Bilder in der Anleitung einigermaßen zurecht finde, alle meine Kleidung und Handy in einem weiteren Schrank mit Tür und Schloss verstaut habe und ich das eigentliche Bad betreten kann. Aber nach einer Quelle sieht das hier noch nicht aus, eher nach Schwimmbad mit zu kleinen und zu niedrigen Becken. Laut Anleitung müsste ich mich hier erst abwaschen, bevor ich in eins der Becken steigen darf. Okay. Ich habe mich noch nie derart auf einem Präsentierteller gefühlt, wie gerade jetzt. Nackt und als einziger großer, blonder Ausländer zwischen all diesen schmächtigen, schwarzhaarigen Japanern zu sitzen und sich zu waschen hat schon etwas sehr Groteskes an sich, auch wenn ich mit meinem Körper kein Problem habe. Und mir fällt direkt noch etwas anderes auf und dazu muss ich nicht mal zu genau hinschauen: Wenn ich meine Erinnerung von Yuuri mit dem, was ich hier vor mir sehe, vergleiche, dann hat Yuuri einen wirklich guten Körperbau für einen Japaner. Zumindest der Yuuri aus meiner Erinnerung; der Yuuri aus dem Video machte eher einen pummeligeren Eindruck. Ich werde, sobald ich hier fertig bin, einfach nach ihm fragen. Wenn ich ihnen das Bild zeige, sollten sie es verstehen können. Hmmm, was soll ich dann sagen? Hallo, die Saison ist rum, hier bin ich...? Ich konnte ja nicht mal Bescheid sagen, dass ich komme. Keine Handynummer, kein Username, kein Account in den Social Networks; nichts, was ich hätte finden können, außer den offiziellen Informationen auf der JSF-Homepage. Yuuri wird ganz schön Augen machen. Ob ich ein bisschen Drama schieben soll? Wär doch lustig. In meinem Kopf bauen sich verschiedene Szenarien auf, während ich die ganzen Waschutensilien möglichst unaufällig wieder in ihre Ausgangspostion auf dem Boden vor mir zu arrangieren versuche. Wo geht es denn zu dieser Quelle? Muss man dazu nach draußen gehen? Neugierig schiebe ich die Tür zur Seite und Wow! Mit einer komischen dicken Figur, die an einen Bären mit Hut erinnert und einer Art Springbrunnen in der Mitte, nicht schlecht! ... Meine Überraschung legt sich, aber meine Begeisterung bleibt. Das sieht wirklich toll aus, Yuuri. Vom Hof höre ich Makkachin bellen. Der fetzt wahrscheinlich immer noch durch den Schnee oder jammert, weil er sich übernommen hat. Ich setze den ersten Fuß ins Wasser. Es ist viel heißer als erwartet und ich verstehe, warum auf der Anleitung eine 10 abgebildet war. Wahrscheinlich soll man nur 10 Minuten drin bleiben, weil sonst der Kreislauf nicht mitspielt, also ähnlich wie wenn man in die Sauna geht. Von drinnen höre ich Fußgetrappel, als ich mich ins Wasser setze. Die Wärme tut echt gut... So, was würde ich Yuuri jetzt sagen...? Dafür, dass er mich vier Monate hat sitzen lassen... hmm. Jemand reißt die Tür auf. Und da steht er. Das ging jetzt schneller als erwartet. Er schaut total bedeppert. „Viktor, warum bist du hier?“ Sag mal, veräppelst du mich? Na schön, dann will ich dir auf die Sprünge helfen: „Yuuri, ab heute werde ich dein Coach sein und dafür sorgen, dass du das Grand Prix Finale gewinnst.“ (> v o) Jetzt schaut er erschrocken und bedeppert gleichzeitig. Gleich schreit er. Er schreit. Ach, sie sind drollig, die Japaner. ... Warum bin ich aufgestanden? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)