Das Blut der Mana-i von Elnaro (Der König von Kalaß) ================================================================================ Kapitel 9: Ein König kehrt zurück --------------------------------- Ramons Fähigkeiten haben bei Siva einen großen und durchaus positiven Eindruck hinterlassen. Zu gern hätte sie ihn in Aktion erlebt. Sie ist beeindruckt von seiner Macht und seiner rücksichtslosen Konsequenz, die er im Kampf bewiesen hat. Welche Anstrengungen er auf sich nimmt, nur um sie zu retten, schmeichelt ihr zudem. Den einzigen Augenzeugen, den sie dazu befragen könnte, will sie lieber damit in Ruhe lassen. Zarihm scheint das Gesehene, die gnadenlose Grausamkeit und Brutalität, nicht richtig verkraften zu können. Völlig egal wie anmutig der Gefallene beim Kampf ausgesehen haben mag, er kann die Tat nicht ausblenden, so wie es die Prinzessin kann. In ihren Augen haben diese Menschen Hochverrat begangen und der Tod ist die geeignete Strafe für dieses Vergehen. Wozu also sollte sie sich anstrengen irgendeinen Funken von Mitgefühl für diese Fremden aus ihrem egozentrischen Herzen zu pressen? Ramons mitleidsloser Schwertkampf hatte sie schon bei dem Überfall fasziniert, an dem sie Seite an Seite mit ihm kämpfte. Sie hatte gehofft, dass er auch ein wenig zu ihr geschaut hat, damit er sich davon überzeugen konnte, was für eine besondere Frau sie ist. Warum sie sich Anerkennung von ihm wünscht, kann sie nicht mit Gewissheit sagen. Wahrscheinlich ist ihre Enttäuschung von letzter Nacht, als er ihr so offensiv den Hof machte, nicht so groß, als dass sie ihn als Mentor ablehnen würde. Ganz tief in ihrem Herzen freut sie sich sogar über das Interesse eines so imposanten Mannes. So ähnlich wie ihre Zuneigung zu ihrem Vater Nico, will sie diese Gefühle jedoch nicht anerkennen. Siva hat gesehen welche Fähigkeiten der gefallene König entfalten kann, wenn er Zugang zu den vier Siegeln hat. Es ist nicht so, dass sie ihm misstrauen würde, aber zur Sicherheit nimmt sie ihm die Juwelen wieder ab. Ramon hat keine Einwände und händigt sie ihr widerstandslos aus. Ebenso wie sie, glaubt er ihr, auch ohne dieser zusätzlichen Macht, überlegen zu sein, doch ihr gibt es wenigstens die Illusion einer Kontrolle über ihn. Die Prinzessin sucht immer noch nach einer Gelegenheit dem Prinzen von Ramons Annäherungsversuch zu erzählen. Solange sie alle vier zusammen sind, wird sie ein so prekäres Thema jedoch nicht ansprechen. Erst nachts in der Herberge in Brag Bugat ist sie endlich mit Aiven allein, doch ist er nun viel zu erschöpft, um über ein so schwieriges Thema zu sprechen. Ihm geht es auch nicht allzu gut. Er schläft schlecht, denn Albträume scheinen ihn zu plagen. Das Mädchen fühlt sich machtlos dagegen, da sie nicht unter posttraumatischem Stress leidet und dieses Phänomen auch nicht von sich kennt. Auch am darauffolgenden Tag klappt es nicht, sich mit ihm auszusprechen. Dreimal werden sie in Gasthäusern übernachten, bevor sie am nalitischen Hof ankommen. Auf dem Heimweg wird sich schon eine Gelegenheit bieten, ist sie sich sicher. In der ersten, recht netten Herbertege, haben sich die Königskinder, wie immer, ein Zweibettzimmer genommen. Heute scheint es Aiven schon wieder besser zu gehen und er findet wieder zu seinem alten Ich zurück. Zarihm hat sich hingegen, seit seinem Verrat und dem Vorfall im Dorf, sehr in sich zurück gezogen und ist kaum wiederzuerkennen. Sicherlich wäre es besser für ihn, wenn sich Angehörige um sein Seelenheil kümmern würden, doch weder hat er welche, noch würden die Adligen ihn frei lassen. Auch wenn er einen freien Eindruck macht, so ist er in diesem Moment doch ihr Gefangener. Der Prinz und die Prinzessin betreten ihr Zimmer. So wie in der Herberge zuvor, stehen die Betten weit auseinander im Raum verteilt. Als Aiven den Raum betritt, lamentiert er: „Siva, hast du etwa schon wieder ein Zweibettzimmer verlangt? Du sollst doch ‚Doppelbettzimmer‘ sagen!“ Ein weiteres Mal setzt sie sich, ohne zu fragen, auf das schönere Bett von beiden. Diesmal will der junge Mann sich das nicht gefallen lassen. Kurzerhand beginnt er das schwere, zweite Bett einfach neben ihres zu schieben. Die Holzbeine des Gestells kratzen laut quietschend kleine Kerben in das Parkett. Die Prinzessin muss schnell ihre Beine heben, um sie nicht zwischen den zwei Betten eingequetscht zu bekommen. Dabei brüllt sie: „Was machst du denn da? Du machst ja den Fußboden kaputt!“ Er lässt sich nach getaner Arbeit, etwas geschafft auf das selbst gebaute Doppelbett vor ihr plumpsen. „Dann lass eben ein paar Silberstücke mehr hier, ist doch egal. Hauptsache ich kann neben dir schlafen.“ Verständnislos keift die Prinzessin hochmütig: „Erst geizt du herum und nun verursacht du einen Schaden, den ich ohne weiteres bezahlen soll?“ Er lehnt sich zu ihr hinüber und stupst ihr mit dem Finger auf die Nase. „Bei mir ist es für einen guten Zweck. Du hingegen hast die Kohle dem Feind in den Rachen geworfen, mein kleiner Drachen.“ Das nimmt sie ihm übel, was ihn amüsiert. Über dieses Thema haben sie doch schon gesprochen. „Dafür habe ich mich doch schon entschuldigt.“ entgegnet sie ein bisschen leiser als sonst. Sie wird ganz ruhig und nachdenklich, was dem Prinzen nun komplett aus seiner bedrückten Phase befreit. Er findet dieses Mädchen unwiderstehlich, erst so stark und dann ganz plötzlich doch so zahm. Wie stolz er ist, als einziger junger Mann, ihre zarte Seite hervorlocken zu können, kann er gar nicht in Worte fassen. Im Moment bringt sie ihn allerdings zum Lachen, denn ihre verschobene Selbstwahrnehmung ist zu niedlich. „Entschuldigt?“ grinst er „glaub mir, ich weiß wie sich eine Entschuldigung anhört und das war keine. Als du mir unterstellt hast, ich würde anderen Röcken nachlaufen, da hast du dich entschuldigt. Ich erinnere mich ganz genau daran, wenn du so etwas außergewöhnliches tust.“ Sie sitzt auf dem Bett vor ihm und hat die Beine an sich herangezogen, die sie mit ihren Armen umschlingt. Ihren Kopf hat sie auf den Knien abgelegt also sie leise murmelt: „Ach, was soll‘s?“, was er akustisch nicht richtig verstehen kann. Er bemerkt, dass sie irgendetwas bedrückt. Wäre es nicht so, müsste er sich nun eine Standpauke von ihr anhören, da ist er sich ganz sicher. Besorgt krabbelt er zu ihr hinüber und umarmt das traurige Bündel im Anschluss. „Was ist denn los, Mäuschen?“ „Ach Aiven,“ antwortet sie, „es gibt da etwas, das ich dir noch nicht erzählt habe. Es geht um Ramon.“ Interessiert setzt er sich vor sie und streichelt ihr über ihre schönen zarten Beine. Mit einiger Verzögerung beginnt die Prinzessin zu beichten: „Vorletzte Nacht ist er zu mir gekommen, als ich die Nachtwache hatte. Er gestand mir seine Liebe und wurde immer zudringlicher.“ Bestürzt haucht der Prinz: „Liebe? Nach nur einem Tag?“ Unwillkürlich steigt etwas Wut in ihm auf. „Unterbrich mich bitte nicht, Aiven.“ antwortet sie streng und erklärt weiter: „Ich habe ihm eindeutig zu verstehen gegeben, dass ich... also... dass ich...“ Seine Augen beginnen zu funkeln, denn er glaubt, dass sie es jetzt sagen könnte. Mit aller mentaler Kraft, die er aufbringen kann, schafft er es sich zu kontrollieren und sie kein weiteres Mal zu unterbrechen. „...in dich verliebt bin, Aiven.“ finalisiert sie den Satz endlich. Der Prinz könnte platzen vor Glück, was seinem Gesicht mehr als überdeutlich anzumerken ist. Siva geht nicht darauf ein. „Das schien Ramon aber kein bisschen zu interessieren. Ohne Rücksicht auf meine Gefühle versuchte er mich zu küssen. Erst als ich ihn wegstieß, ließ er mich in Ruhe. Deshalb bin ich jetzt auch etwas vorsichtiger ihm gegenüber.“ Erneut nimmt Aiven seine Prinzessin in die Arme. Ergriffen flüstert er: „Danke, dass du dich für mich entschieden hast, obwohl ich nur ein einfacher Mann bin, der zu schwach war dich gegen die Räuber und vor Ramons Zudringlichkeit zu schützen.“ Er lockert seinen Griff. „Oder...hegst du Gefühle für ihn?“ Sie legt nun ihre Arme auch um ihren Prinzen, um ihn zu beruhigen. Seine Frage übergeht sie, weil sie diese weder offen beantworten, noch lügen will. „Aiven, du bist nicht schwach. Du hast mich in einem fairen Duell geschlagen.“ Er senkt seinen Kopf, sodass er den ihren berührt. „Aber wenn es darauf ankommt, dann bist du viel stärker als ich und Ramon ist so unglaublich mächtig...“ Ihm schießen Bilder durch den Kopf, in welchem Zustand der Todesgott die Siedlung hinterlassen hat und wie er Siva befreite. Er reißt die Augen auf und löst seinen Griff vollständig. Die Eifersucht kocht plötzlich in ihm hoch. Solche Gefühle kennt er sonst gar nicht von sich. Jetzt weiß er wie sich die Prinzessin gefühlt haben muss. „Du warst nackt! Er ist in dich verschossen und hat dich nackt gesehen!“ stellt er erschrocken fest. „Den knöpf ich mir vor, heute Abend noch.“ Er will aufstehen, doch Siva umfasst sein Handgelenk, um ihn aufzuhalten. „Bleib hier, Aiven. Er hat es doch verstanden. Ich sage dir Bescheid, wenn er wieder zudringlich wird.“ Das beruhigt den heißblütigen jungen Mann für den Moment, der sich wieder auf das Bett sinken lässt. Zugegebenermaßen hat er ihr auch etwas zu gestehen. „Jetzt wo du so offen zu mir bist, Siva, will ich es auch zu dir sein. Im Nachhinein glaube ich dieses ganze Unterfangen war keine so gute Idee. Der tote ‚Ewige König‘ hätte wohl doch besser tot bleiben sollen. Du hast ihn in Aktion erlebt. Er ist gefährlich. Wer von uns, glaubst du, ist dieser Naturgewalt gewachsen?“ „Nico!“ platzt es aus ihr heraus und sie wiederholt eindringlich: „Nico kann es mit ihm aufnehmen.“ Verwundert und auch ein wenig verärgert fragt er: „Dein Vater? Wie kommst du darauf?“ Sie stemmt sich auf ihre Knie und macht sich groß vor dem Prinzen. „Wenn er die Siegel benutzen würde, wäre er noch viel mächtiger als Ramon.“ Aiven hat das Gefühl mit einem dummen naiven Kind zu sprechen. Er schüttelt den Kopf und redet sich langsam in Rage: „Das ist Schwachsinn, Siva! Dein Vater weiß doch noch nicht einmal wie man diese Siegel im Kampf einsetzen kann. Du erweckst eine unbekannte Macht, von der du nicht weißt, ob sie gut oder böse ist. Aber das ist ja auch egal, denn wenn etwas schief geht, wird Papi es schon richten.“ Und wieder streiten die beiden Königskinder. Gerade hatten sie sich noch so gut verstanden. Verständnislos brüllt die Prinzessin: „Wenn du es für so eine bescheuerte die Idee gehalten hast, warum bist du dann überhaupt mitgekommen?“ Nun wird auch er laut: „Das weißt du ganz genau, verdammt.“ Sie erinnert sich an das Ultimatum, das sie ihm in Nalita vor Beginn der Reise stellte. Es stimmt, wenn er bei ihr sein wollte, dann hatte er gar keine andere Wahl, als mitzukommen. Die junge Frau atmet tief durch und sinkt in sich zusammen. Völlig erschöpft sagt sie schließlich: „Dann haben wir ja jetzt alles geklärt. Ich wünsche mir, dass du in Zukunft offener zu mir bist.“ Der Prinz ist erleichtert. Er ist froh, dass dieser Streit nicht eskaliert ist. Immer wenn die beiden sich streiten, sieht er sie vor seinem geistigen Auge von dannen ziehen. Er hat große Angst sie zu verlieren, denn dann bräche für ihn eine Welt zusammen, seine Welt, die sich schon immer nur um sie zu drehen schien. Die Abendsonne scheint in das Fenster hinein und strahlt das schöne Mädchen, das ihn so entschlossen ansieht, von hinten an. Sie ist die Göttin, der er verfallen ist, wunderschön, erhaben und unbeugsam, aber doch auch so sensibel. Am liebsten möchte er sie ganz für sich alleine haben und seinen Mitstreiter Ramon zum Teufel schicken, dem er so ähnlich ist. Er umarmt seine Geliebte und flüstert ihr sanft ins Ohr: „Wenn du wirklich willst, dass ich offen zu dir bin, dann werde ich nicht umhin kommen dir zu sagen, dass ich so etwas wie in jener Nacht im Zelt mit dir, gern noch einmal erleben möchte, meine Liebesgöttin.“ Sie lächelt erfreut, denn das gefällt ihr. Die beiden verbringen eine versöhnliche Nacht miteinander. Am nächsten und auch an den darauffolgenden Reisetagen, behalten sich der Prinz von Yoken und der gefallene König von Kalaß, gegenseitig genau im Auge. Ramon hat bereits mitbekommen, dass sich die Königskinder mit jedem Tag immer besser zu verstehen scheinen, was ihm überhaupt nicht zusagt. Aiven schottet ihn sogar so leidenschaftlich von ihr ab, dass er kaum ein direktes Wort an sie richten kann. So darf er die Sache nicht weiter laufen lassen. Er wünscht sich doch so sehr, dass sich die Prinzessin aus eigenen Stücken für ihn entscheidet, ohne dass er Gewalt anwenden muss. Schließlich soll sie die Ewigkeit mit ihm verbringen und er will sich nicht vorstellen wie sich diese mit einer widerspenstigen Gattin anfühlen würde. Als letztes Mittel würde ihm das wohl aber auch das Recht sein, denn es ist schließlich immer noch besser als zu sterben. Mit seinen mentalen Fähigkeiten konnte er bisher nur für einen Bruchteil einer Sekunde in ihren Geist eindringen, was ihm für den Umfang seiner Macht recht wenig vorkommt. Meist hat er ihr banale Anforderungen gesendet, um zu sehen, ob er fähig ist sie in ihrem Handeln zu beeinflussen. Zum Beispiel hat er sie die Krüge der anderen neu mit Getränken befüllen lassen oder sie, nicht ganz uneigennützig, dazu bewegt ihre Bluse ein Stück weiter aufzuknöpfen. Sein erster Versuch am Lagerfeuer ihre Verliebtheit für den jungen Prinzen auf sich zu lenken, schien nicht von Erfolg gekrönt gewesen zu sein. Da seine anderen Experimente jedoch geglückt sind, versucht er es trotzdem weiter auf diese Weise. Wahrscheinlich muss er nur etwas länger an dieser Strategie festhalten, um nach und nach ihren Verstand zu zermürben. Immer mal wieder, wenn sie ihrem süßen Prinzen in seiner Gegenwart nahe kommt, sendet er ihr ein Bild von sich selbst. Sie zuckt dann so lieblich zusammen und ein, zwei Mal richtete sie darauf hin irritiert einen Kontrollblick an Ramon, der so tat, als ob er mit etwas anderem beschäftigt sei. In der letzten Nacht vor der Ankunft in Nalita, erzählt die Prinzessin Aiven von ihren merkwürdigen Eindrücken. Wenn sie in ihren Zimmern sind, ist sie außerhalb von Ramons Sichtfeld und damit seines Einflussbereiches. Es fällt ihr ausgesprochen schwer das Thema anzusprechen, doch so langsam ist sie sich sicher, dass das nicht ihre eigenen Gedanken sind und der verständnisvolle Prinz wird ihr bestimmt Glauben schenken. Diesmal verlangt die Prinzessin direkt ein Doppelzimmer, was in der Herberge allerdings für Gesprächsstoff sorgt. Dass sich die unverheiratete Prinzessin von Roshea mit einem Mann ein Doppelbett teilt, ist das Thema Nummer eins in dem kleinen Örtchen. Was Aiven stolz den Kopf erheben lässt, ist der eitlen Prinzessin etwas unangenehm. Sie hat allerding keine Lust noch einen weiteren Gastwirt für die Striemen auf dem Fußboden entschädigen zu müssen. Damit der liebestolle Prinz nicht sofort beginnt mit ihr zu schmusen, hat sie sich an den kleinen Tisch gleich neben der Tür gesetzt. „Setz dich bitte zu mir, Aiven.“ fordert sie ihn etwas bedrückt auf. Er nimmt überrascht auf dem zweiten Stuhl ihr gegenüber Platz. Sie hat ihre Hand auf dem kleinen alten Holztisch abgelegt, die er nun ergreift. „Es ist schon wieder irgendwas mit dir. Ich dachte wir hätten alles geklärt.“ Sie nickt zart. „Ja, das haben wir auch. Es hat sich etwas neues ergeben und es ist nicht leicht für mich dir das zu sagen. Du darfst mich bitte nicht falsch verstehen, denn es hat wieder mit Ramon zu tun.“ Er springt auf: „Hat er dich wieder angemacht? Wann? Wie? Ich habe den Kerl doch nicht aus den Augen gelassen! Hat er dich beobachtet, als du dich umgezogen hast? Ich reißt ihm die Augen aus und koche daraus eine Suppe.“ Siva muss trotz des ernsten Themas kichern. Sie versteht ihn nur zu gut, denn ganz genauso würde sie auch reagieren. „Nein, Aiven. Setz dich wieder hin!“ Wieder ernst erklärt die Prinzessin: „Immer häufiger kommt es vor, dass ich sein Gesicht vor mir sehe, wenn wir beide uns küssen. Einmal habe ich sogar kurz vor Augen gehabt, wie ich mit ihm...“ Erneut springt der Prinz auf und diesmal tickt er völlig aus: „Und da bittest du mich sitzen zu bleiben? Das ist unglaublich. Wieso erzählst du mir überhaupt von deinen Seitensprungfantasien? Du übertreibst es mit deiner Ehrlichkeit, Siva.“ Er haut mit seiner Hand auf den Tisch, was einen so lauten Knall von sich gibt, der in der ganzen Herberge zu hören ist. Sie hebt die Hände, um ihn zu beruhigen. „Nein, hör doch zu!--“ Er geht zur Tür und brüllt: „Du hast ja keine Ahnung wie verletzend das für mich ist. Geh doch zu ihm. Er ist nur ein Zimmer von dir entfernt.“ Sie steht ebenfalls auf, während er die Tür einen Spalt öffnet. Mit einer Armbewegung, die so schnell war, dass der Prinz sie nicht einmal sehen konnte, zieht sie die Tür wieder zu. Sie drückt sich so schnell und kraftvoll zwischen den jungen Mann und den Ausgang, dass er nach hinten zurückweichen muss. Mit dunklem Blick und einer unerschütterlichen Stimme befiehlt sie: „Du wirst dir meine Geschichte bis zum Schluss anhören, ist das klar?“ Überrascht und leicht eingeschüchtert antwortet er zögerlich: „Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben.“ Stinksauer setzt er sich möglichst weit weg von ihr auf das Bett. Sie bleibt vor der Tür stehen und erklärt in einem harschen Ton: „Diese Bilder und Gedanken, Aiven. Die stammen doch nicht von mir. Ich verstehe es doch selbst nicht, deshalb weihe ich dich ja ein. Ich will diesen Mann nicht.“ Er lehnt sich nach vorn und stützt sich mit seinen Armen auf den Knien ab. Den Blick nach unten gerichtet beginnen sich seine Augen langsam mit Tränen zu füllen. Mit trotzdem harter Stimme entgegnet er: „Aber wenn du mit mir schläfst, dann hast du sein Gesicht vor Augen anstatt dem meinen und das stört dich überhaupt nicht?“ Sie läuft zu ihm und hockt sich vor den verletzten Prinzen. Sie hat ein Déjà-vu, denn so zusammengesunken war er schon einmal vor ihr, nur, dass er damals nicht weinte und sie tatsächlich schuld war an der Situation. Diesmal ist es anders, diesmal ist es schlimmer. Er ist nicht enttäuscht, sondern gebrochen. „Nein, Aiven. Er kann nicht in meinen Geist, wenn--“ während sie versucht mit ihren Fingern das Haar aus seiner Stirn zu streichen, um sein Gesicht zu sehen, wehrt er ihre Geste hart mit seinem Arm ab, weshalb sie mitten im Satz unterbrochen wird. Sie kann ihn doch verstehen und probiert es noch einmal besser zu erklären: „Er kann mich nicht beeinflussen, wenn wir beide allein sind.“ Diesmal hört er zu. „Ich habe darauf geachtet wann es passiert. Er kann mir nur dann einen Gedanken aufzwingen, wenn ich in seinem Sichtfeld bin. Zumal es immer nur für einen ganz kurzen Augenblick passiert. Ich habe kein erotisches Interesse an ihm. Ich habe dich nicht hintergangen, Aiven. Es sind seine Fantasien, nicht meine. Ich weiß auch nicht wie das funktioniert, aber es scheint etwas damit zu tun zu haben, dass wir beide Mana-i sind. Wenn Nico mir Geschichten erzählt hat, dann sind auch manchmal Bilder von Orten vor mir aufgetaucht, an denen ich noch niemals in meinem Leben gewesen bin.“ Als er zwinkert, fallen Tränen auf den Boden herab. Die Prinzessin will noch einmal versuchen ihren Freund zu berühren. Er zuckt zwar zurück, doch diesmal lässt er es zu. Wieder streicht sie zärtlich mit ihren Fingern durch sein schönes hellblaues Haar. Immer noch ist seine Stimme hart und frei von Schluchzern, als er leise sagt: „Wenn es stimmt, was du sagst, dann versucht uns dieser Mann auseinanderzubringen.“ „Natürlich stimmt es. Wieso hätte ich es dir sonst erzählt?“ haucht sie sanft. „Polygamie?“ antwortet er leise, was sie als charmanten Scherz auffasst, der ganz nach Aivens Kaliber wäre. In Wahrheit hat er das aber völlig ernst gemeint. Sie lächelt entschlossen. „Also ich will nicht, dass er Erfolg hat und ich denke du willst das auch nicht. Aiven, wir werden ihn in seinem Vorhaben scheitern lassen.“ Er wischt sich die Tränen aus den hellblauen Augen, hebt seinen Blick und sieht seine wunderschöne Freundin Siva entschlossen funkelnd an. „Das werden wir.“ Plötzlich steht er energisch auf und geht zur Tür. Die Prinzessin dreht sich zu ihm und fragt überrascht, was er denn jetzt vor hätte. Der Prinz von Yoken antwortet neu erstarkt, aber immer noch wutentbrannt: „Ich stelle diesen hinterlistigen, blaublütigen Schwachkopf zur Rede.“ Zielstrebig läuft er hinüber zu Ramons Zimmer. Ohne zu klopfen, reißt er die unabgeschlossene Tür auf. Der gefallene König sitzt ihm mit übereinandergeschlagenen Beinen genau gegenüber, als ob er erwartet hätte, dass der Prinz ihn besucht. „Ramon!“ brüllt der aufgebrachte junge Mann. Entspannt begrüßt dieser seinen Gast mit einem Lächeln. „Guten Abend, Prinz Aiven. Nett, dass Ihr mich besucht.“ Respektlos geht Aiven zu ihm hin, packt den früheren König am Kragen und zieht ihn zu sich heran, sodass sein Geschmeide klimpert. Dieser stützt sich mit seinen Händen auf die Armlehnen des Stuhles. „Nicht so stürmisch, junger Mann.“ Aiven will ihn auf den Stuhl zurück stoßen, doch Ramon fängt die Wucht mühelos mit seinen aufgelehnten Armen ab. Er setzt sich langsam und geschmeidig wieder hin. „Setzt Euch doch zu mir und erklärt was Euch so aufbringt.“ bittet er höflich mit einer einladenden Handbewegung, doch Aiven hat keine Lust auf eine nette Plauderei. Er kommt laut und entschlossen direkt zum Punkt. „Ich verbiete Euch Sivas Geist zu manipulieren und stellt Euch nicht dumm, wir wissen schon, dass Ihr das könnt.“ Die junge Frau steht an der Tür und beobachtet die ganze Sache. Der König hat sich, als erfahrener Stratege, für diese Situation schon längst etwas überlegt. „Wenn Ihr es ebenfalls hören wollt, so kommt bitte herein, Prinzessin und seid so gut die Tür hinter Euch zu schließen, denn was ich nun sage, ist sehr persönlich und soll diesen Raum nicht verlassen.“ Sie sieht keinen Grund darin, dem nicht nachzukommen und tritt in sein Zimmer ein. Ramon fasst sich an die Brust und macht ein bewegtes Gesicht. Dann beginnt er theatralisch zu sprechen. „Ein bisschen leid tut es mir schon, dass Ihr Euch das mit anhören müsst, Prinzessin, aber so sei es. Meine aufrichtige Liebe habe ich Euch bereits gestanden. Nun ist es so, dass es einem erfahrenen Mann wie mir, nicht nur nach der aufopfernden Liebe gelüstet, sondern auch nach der körperlichen. Das glückliche Paar zusammen zu sehen, ruft in mir sehr starke Gefühle hervor, die ich Euch anscheinend, völlig unbeabsichtigt, habe zukommen lassen, Hoheit. Niemals solltet ihr einen dieser Gedanken von mir erhalten. Ich möchte mich bei Euch aufrichtig in aller Form dafür entschuldigen.“ Er steht auf und kniet sich vor Siva, der er einen Handkuss gibt. Aiven hebt ungläubig die Hände. Was passiert hier? Das ist ja wohl das lächerlichste Schauspiel, das er je zu Gesicht bekommen hat. Im Moment ist das eine Sache zwischen dem alten Königsknausel und der Prinzessin, weshalb er sich erst einmal beobachtend zurückhält. Er will sehen wie seine Siva auf das Laientheater reagiert. Er sieht ihr ins Gesicht und kann es kaum glauben. Wie beim letzten Mal, als Ramon ihr so eine Szene ablieferte, hat sie ihre freie Hand vor den Mund gehalten, um ein Lachen zu verbergen. Der gefallene König steht wieder auf und sagt ernst zu ihr: „Ihr seid so grausam, Prinzessin, mich erneut für meine Gefühle zu belächeln.“ Laut prustend lacht sie los. Sie muss sich den Bauch halten, so sehr freut sie sich, dass auch Aiven es diesmal miterleben konnte. Nicht sie stellt den ehrwürdigen ‚Ewigen König‘ bloß, das schafft er schon ganz von allein. Ein bisschen falsch fühlt es sich für sie schon an ihn auzulachen, weil sie ihn so sehr für sein Alter und seine Weisheit respektiert, doch diese abgedroschenen Sprüche und das gekünstelte Verhalten kann sie einfach nicht tolerieren. Gefühlte tausend Mal hat sie so etwas schon erlebt, aber nicht von einem gestandenen König, sondern von Adelssprösslingen, die ihr den Hof machen wollten. Die Kombination des ehrwürdigen Königs mit dem durchschaubaren Verhalten eines Adelssprosses ist eines der witzigsten Dinge, die sie sich überhaupt vorstellen kann. „Verehrter Ramon, das kann nicht Euer Ernst sein. Ich habe Euch doch gesagt, dass diese Masche bei mir nicht zieht. Wie soll ich Euch respektieren, wenn ihr Euch so kriecherisch von mir verhaltet? Am besten geht ihr mit mir um wie mit Aiven.“ „Wie mit einem Mann?“ Antwortet er leicht empört und ergänzt. „Niemals, Prinzessin, werde ich mit Euch umgehen können wie mit einem Mann! Bereits Eure anmutige Gestalt--“ „Lasst es!“ unterbricht sie spitz, „denn dann werden wir wohl immer ein Problem miteinander haben, Majestät. Und was Euren Plan angeht, mich und Aiven zu entzweien, kann ich Euch nur darum bitten ihn fallen zu lassen. Vieles möchte ich so gerne noch von Euch erfahren, aber wenn der Preis dafür der Verlust meiner Liebe ist, so bin ich nicht bereit ihn zu zahlen.“ Der Prinz ist wieder einmal hin und weg von seiner Freundin. Ein breites Grinsen hat sich auf seinem Gesicht breitgemacht. Eigentlich war er zu Ramon gestürmt, um ihn zur Schnecke zu machen, doch Siva beherrscht dieses Spiel noch viel besser als er. Großzügig lächelnd antwortet der frühere König: „Meine Bereitschaft Eure Fragen zu beantworten steht in keinerlei Verhältnis zu unserer Beziehung, liebste Prinzessin Siva. Alles was ich über Euch gesagt habe, ist war und entstammt den Tiefen meines Herzens. Wie Ihr es wünscht, werde ich mit aller Kraft gegen meine Gelüste ankämpfen und trainieren meine mentalen Fähigkeiten besser unter Kontrolle zu bekommen. Ich möchte das junge Glück nicht mit meiner Begierde belästigen. Was Euren Wunsch angeht, wie ein Mann behandelt zu werden, so werde ich noch etwas Zeit benötigen, um mir darüber klar zu werden in welchem Maße ich das umsetzen kann.“ Sie wendet ihren Blick ab. Ein bisschen Herzklopfen bekommt Siva immer, wenn dieser schmuckbehangene Schönling seine Reden schwingt, die nur ihr zu gelten scheinen. Auch diesmal wieder muss sie sich besinnen sie selbst zu bleiben um sich nicht von seinen schmeichelnden Worten einlullen zu lassen. Zum Glück ist ihr Wille überdurchschnittlich groß, denn jede andere Frau hätte sich wohl schon lange in seine Arme geworfen, vor allem jetzt, nachdem er ihr unter so großem Einsatz das Leben gerettet hat. „Lass uns gehen, Aiven!“ sagt sie freundlich, bevor sie sich noch einmal selbstsicher an den früheren König wendet: „Ich sehe Euch als Teil der Familie, Ramon und als solches wünsche ich mir, dass wir beide gut miteinander zurechtkommen. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.“ Sie öffnet die Tür und auch Ramon spricht zu ihr, als hätte es das ganze vorige Gespräch gar nicht gegeben: „Auch ich wünsche Euch beiden eine ebenso gute Nacht. Ich freue mich bereits sehr darauf den Rest meiner verbleibenden Familie kennen zu lernen.“ Aiven verabschiedet sich knapp und folgt der Prinzessin nach draußen. Die beiden sind der Meinung der gefallene König sollte sie verstanden haben. Die Beziehung der beiden zueinander hat er damit jedenfalls nicht geschwächt. Der Prinz hat nun gesehen wie zerschmetternd offen sie im Angesicht Ramons über dessen Verhalten urteilt. Das festigt seinen Glauben an sie, auch wenn sich der eigentlich so kluge Prinz neben ihr nun wie ein dumpfer Grobian vorkommt. Etwa zur Mittagszeit des nächsten Tages reisen die vier am Nalitischen Hof ein. König Nico hat seine Staatsgeschäfte stehen und liegen lassen, als ihm die Informationen zugetragen wurde, seine geliebte Tochter kehre gesund zurück. Einige Tage lang war er schon ziemlich aufgeregt und hat sich unglaublich auf sie gefreut, denn er wusste schon, dass sie sich auf den Weg nach Hause gemacht hatte. Schließlich ist er der Lage den groben Aufenthaltsort des Windsiegels zu bestimmen. Auch ihre Mutter Kara ist erleichtert, dass ihre wundervolle Tochter die Reise unbeschadet überstanden hat. Sie hatte Nico daran gehindert ihr zu Hilfe zu eilen, deshalb hätte sie es sich auch niemals verzeihen können, wäre ihr etwas zugestoßen. Das Königspaar empfängt ihr geliebtes Kind im Innenhof des Schlosses. Nach der langen Reise kommt Siva der Hof viel schöner vor als je zuvor. Ihre negativen Gefühle für ihren Vater sind vollständig verschwunden, was sie selbst gerade erst bemerkt. Sein lächelndes Gesicht beweist ihr, dass er ihr nicht böse ist. Sie kann sich nicht beherrschen und hat begonnen über den riesigen Platz auf ihn zu zurennen. Sie weiß nicht, ob sie sich überhaupt schon mal in ihrem Leben so sehr gefreut hat jemanden zu sehen. Sie fällt ihm in die Arme und drückt ihn so fest sie nur kann an sich, was einem anderen Mann vielleicht Schwierigkeiten bereiten könnte, denn sie hat unglaublich viel Kraft. Kara umarmt die beiden nun auch. Die kleine Familie ist endlich wieder vereint und überglücklich. Sivas drei Begleiter sind inzwischen bei der Königsfamilie angekommen, als diese erst so langsam beginnt sich voneinander zu lösen. Der König und die Prinzessin sind beide in Tränen ausgebrochen, denn diese Umarmung ist nicht nur die Geste eines Empfangs sondern auch die einer Versöhnung. Noch ein bisschen schluchzend, beginnt Siva die drei Gäste vorzustellen: „Entgegen dem üblichen Vorgehen, möchte ich bei der Vorstellung in verkehrter Reihenfolge verfahren.“ Sie bittet Zarihm zu sich, der gerade überhaupt nicht weiß wie er sich verhalten soll. Tief gebeugt steht er vor dem Königspaar. In den letzten Tagen hat er sich im Hintergrund gehalten, weil er den anderen nicht zur Last fallen wollte. Nach wie vor hat er mit seinen Erlebnissen in dem Rebellendorf zu kämpfen und außerdem hält er das Angebot, hier im Schloss zu bleiben, für viel zu großzügig. „Das hier ist Zarihm aus Aranor. Er ist der Besitzer des schwarzen Juwels, welches er uns für unser Vorhaben freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Er ist für uns zu einem guten Freund geworden und ich habe ihn darum gebeten mit mir auf den Nalitischen Hof zu kommen. Wäre es möglich, dass er bei Jonathan, unserem Kämmerer in die Lehre geht?“ Herzlich begrüßt ihn der König mit den Worten: „Willkommen Zarihm aus Aranor. Wenn du ein Freund meiner Tochter bist, dann bist du auch mein Freund und wenn sie dir diese Lehre versprochen hat, so will ich mich nicht dagegen stellen. Über die Hälfte des Hofstaates ist so oder so ähnlich zu seinem Posten gekommen.“ Siva nickt entschlossen Aiven zu, dem sie ihre Hand ausstreckt. Er kommt zu ihr und legt direkt seinen Arm um sie, was Nicos Gesicht zum Strahlen bringt. Sie führt aus: „Prinz Aiven ist jetzt mein fester Freund und ich möchte dich dazu ersuchen ihn ab sofort mit meinem Zimmer schlafen zu lassen.“ Der König breitet die Arme aus, um den Prinzen zu einer Umarmung aufzufordern, der er gerne nachkommt. Ihm im Arm anhaltend, flüstert Nico: „Gut gemacht, Schwiegersohn.“ Was nun auch Aivens bisher eher unsicheres Gesicht zum Erstrahlen bringt. Siva geht nun zum schwierigen Teil der Vorstellung über. Nun ist Ramon an der Reihe, der sich die ganze Chose unbeteiligt mit ansehen musste. Viel konnte er dadurch aber bisher über den amtierenden König lernen. Er ist völlig anders als er selbst. Kein Wunder also, dass Siva solche Schwierigkeiten mit seiner Art hatte. Nico manipuliert viel geschickter als er und wird dabei auch noch als Heilsbringer angesehen, sehr elegant. Er wird sich von ihm einige Kniffe abschauen müssen. Schon auf dem Weg hierher hat er sich die Stadt und das Schloss genau angesehen. Das meiste davon sieht noch genauso aus wie vor zweihundertfünfzig Jahren. Er selbst ließ diese Stadt errichten. Das liegt allerdings noch deutlich weiter zurück. Auch wenn Nico Ramons schwere, dunkle Präsenz die ganze Begrüßung hindurch mehr als deutlich bewusst war, so hat er doch gern Sivas vorgegebene Reihenfolge eingehalten. Seine Prüfung als König steht nun bevor. Die Prinzessin atmet noch einmal durch und beginnt dann mit der Bekanntmachung: „Das ist Ramon, der aus den Geschichtsbüchern bekannt ist als der ‚Ewige König‘. Mit der Kraft meines Blutes und der vier Siegel habe ich ihn nach einem zweihundertfünfundzwanzig-jährigen Schlaf wieder ins Leben zurückgerufen. Er ist ein Mana-i und einer unserer Ahnen.“ Die beiden Könige fixieren einander. Ramon versucht in den Geist Nicos einzudringen, was ihm unerklärlicherweise nicht gelingt, noch nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde. Entweder ist dieser König gar kein Mana-i, oder er ist sehr viel mächtiger als er, was er für einen seiner Nachfahren für absolut unmöglich hält. Die Macht der Mana-i sinkt mit der Verwaschung des Blutes und schon zu seinen Lebzeiten, war Ramon der reinste unter ihnen allen. Es ist also unmöglich, dass der amtierende König von Roshea ein Mana-i ist. Er blickt zu Kara, von der Siva ja nun nur noch ihr königliches Blut haben kann. Sie kann er lesen wie ein offenes Buch, was bedeuten muss, dass sich die Prinzessin all die Jahre geirrt haben muss. Nicht der König ist seiner Meinung nach der letzte Mana-i gewesen, sondern die Königin. Ramon schafft es trotzdem nur für einen kurzen Augenblick zu Königin Kara zu schauen, denn etwas zwingt ihn wieder König Nico zu fixieren. Irgendetwas stimmt hier nicht. Das alles spielt sich in weniger als einer Sekunde in seinem Kopf ab. Ramon muss einen Schritt nach hinten zurückweichen. Jemand attackiert ihn mental mit großer Macht. Der erfahrene Mann kommt zu dem Schluss, dass es doch Sivas Vater sein muss, doch erklären kann er es sich nicht. Ehrfürchtig richtet er das Wort an den amtierenden König: „Wer seid Ihr?“ Erhaben antwortet dieser: „Ich bin Nico Dugar, König dieses Landes. Bist du mit guten Absichten hier, so heiße ich dich in Roshea willkommen und möchte dir Unterkunft in meinem Schloss anbieten. Bist du aber mit schlechten Absichten hier, zum Beispiel, um einen Thron zurückzufordern, den es nicht mehr gibt, dann werde ich persönlich dafür sorgen, dass du dorthin zurück findest, wo du hergekommen bist, Ramon.“ Dem gefallenen König läuft Angstschweiß den Rücken herunter. Das hat er in dieser Form in seinem langen Leben noch nicht erlebt und so respektlos ist er auch noch nie angesprochen worden, jedenfalls nicht von einem Menschen. Der Mann, dem er gegenüber steht, hat in dem einen Moment eine Aura, die der angenehmen Wärme der Sonne gleicht und im nächsten Moment droht er ihn mit seiner Macht zu verbrennen. An eine bestimmte Person erinnert er ihn, doch die will er lieber wieder vergessen. Er wundert sich nun nicht mehr wie Siva zu einem so furchtlosen Mädchen werden konnte, wenn sie die ganzen Jahre den Launen dieses Mannes ausgeliefert war. Sie aus dessen Fängen zu befreien, ist ihm nun eine Herzensangelegenheit. Dem ehemals mächtigsten König der Welt bleibt nun nichts anderes mehr übrig, als sich dieser unbekannten Macht unterzuordnen. „Aber nicht doch, mein König. Den Verlust meines Thrones habe ich selbst zu verantworten und Ihr seid nun Herr über die Ländereien, die einst mein waren. In diesem, mir fremden Zeitalter, habe ich nichts mehr und bin auf Eure Gastfreundschaft angewiesen. Eure Tochter Siva und auch den jungen Prinzen Aiven von Yoken habe ich während unserer gemeinsamen Reise lieb gewonnen und ich bin gern bereit mein uraltes umfassendes Wissen im Gegenzug mit Ihnen und Euch zu teilen.“ Nico ist heilfroh diesen Test bestanden zu haben. Woher er das Wissen bezieht, sich mit diesem fremden Mana-i mental messen zu müssen, ist ihm unbekannt. Bestimmte Dinge über sich und sein Wesen als solches, bezieht er aus einer unerschöpflich sprudelnden Quelle tief in seinem Inneren, die ihm notwendige Informationen Häppchenweise serviert ohne, dass er dieses Wissen bewusst erwerben musste. Schon oft hat er es hinterfragt, aber sich so sehr vor der Antwort gefürchtet, dass sie ihm als Resultat auch nicht gegeben wurde. Er bezeichnet das mittlerweile als seinen Instinkt. So wie er früher sporadisch Sivas oder Karas Gedanken gelesen oder beeinflusst hat, bis er es aufgab, weil es ihm unnatürlich vorkam. Glücklich über seinen Sieg, strahlt er den gefallenen König nun an: „Dann sei willkommen in der Familie, mein wiederbelebter Vorfahr. Wir werden schon ein Zimmer finden, in dem du dich wohl fühlst.“ Nico legt einen Arm auf Ramons Schultern und spricht fröhlich weiter: „Bevorzugst du die Dunkelheit der Kellerräume? Liegst du gerne in einem Bett, oder ziehst du es vor auf der Erde zu schlafen?“ Der ehemalige König fühlt sich von Nicos sehr persönlicher Ansprache weiterhin ein wenig angegriffen, aber damit wird er wohl leben müssen. Entrüstet über die unerhörten Fragen antwortet er: „Ich bevorzuge es nach wie vor in einem normalen Bett zu schlafen, König.“ Was denkt sich dieser überhebliche junge Mann so mit einem Erhabenen wie ihm zu sprechen? Was ist das nur für ein Zeitalter der Verrohung des Anstandes? Für den Moment ordnet er sich ihm unter. Die beiden Männer gehen davon. Siva ist erleichtert, dass Nico ihn zu akzeptieren scheint. Das war ihre größte Sorge. Sie und Kara haben das Duell der beiden verfolgen können, welches Aiven und Zarihm verborgen geblieben ist. Erleichtert sehen sich die beiden Frauen an, die ihre Hoffnungen etwas über sich zu erfahren an Ramons Mitteilungsbereitschaft hängen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)