Das Blut der Mana-i von Elnaro (Der König von Kalaß) ================================================================================ Prolog: -------- „Ich bin zurück? Wie kann das sein? Ich wollte doch um jeden Preis verhindern hierher zurückzukehren. Anscheinend liegt es nicht in meiner Macht daran etwas zu ändern. Wer oder was bin ich jetzt eigentlich? Bin ich ...ein Säugling? Wer ist dieses alte Weib? Sie kann nicht meine Mutter sein, denn dazu sie ist viel zu alt. Sie sieht sehr krank aus. Ob sie mich erweckt hat? Ich glaube sie ist eine Mana-i, so wie ich, doch trotzdem ist sie anders. Ich könnte ihr helfen, wenn ich wollte. Ob sie das weiß? Ob sie mich vielleicht deshalb erweckt hat? Was ist nur aus meinem Volk geworden? ... Ich, Torani-Colian, Sohn des Fuathel, wurde also gegen meinen Willen wiedergeboren. Ich verfluche dieses alte Weib für ihren Egoismus. Ihr werde ich nicht helfen. Nein. Ich werde von vorn beginnen. Ich will meine alte Existenz vergessen, sie auslöschen und ein neues Leben leben. Nur so kann ich diese grausame Welt noch einmal ertragen.“ Die alte Frau nimmt das Kind wieder vom Altar und verlässt das Hügelgrab. Sie ist sicher, dass es funktioniert hat, denn die Haar- und Augenfarbe des Kindes haben sich verändert. Direkt nach dem Ritual schaute es sie mit seinen kalten nun tiefblauen Augen an, die kurz violett aufflackerten, ganz so als ob es verstanden hätte was sie getan hat und es ihr nie verzeihen würde. Ihr lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter und sie zweifelte schon das Richtige getan zu haben, doch jetzt sieht es wie ein ganz normales, hübsches Baby aus. Sie lächelt es sanft an und es lacht freudestrahlend zurück. Sie ist erleichtert. Wahrscheinlich hatte sie sich diesen kalten ersten Blick nur eingebildet. Das redet sie sich jedenfalls ein. Es ist ein wunderschöner, warmer Sommertag. Auf der Wiese wachsen Wildblumen, welche die Bienen und Hummeln laut summend umschwirren und Blütenstaub von Blume zu Blume verteilen, so wie es ihnen ihre Instinkte gebieten. Die alte Frau ist Amrea Manaj. Sie trägt ein blaues Kleid aus Seide und ein Kopftuch, um zu verbergen, dass sie nur noch wenige Haare hat. Eigentlich ist sie gar nicht nur alt, sie ist steinalt, doch das ist etwas, das diese dummen einfachen Menschen nicht wissen. Tatsächlich wandelt sie schon über dreihundert Jahre auf dieser Erde... Kapitel 1: Prinzessin Siva -------------------------- Nico Dugar hat es geschafft. Er ist nicht nur König von Roshea, er hat auch die wunderschönste Frau, die man sich nur vorstellen kann, die ihm vor sechs Jahren auch noch die hübscheste Tochter geschenkt hat. Er ist sich sicher die beiden schönsten und klügsten Frauen des ganzen Landes bei sich im Schloss vereint zu haben, mindestens. Stolzer könnte er gar nicht sein und es ist nicht gerade so, als ob er das nicht auch zeigen würde. Sein stets zuversichtlicher Blick und sein aufrechter Gang stammen allerdings aus seiner Zeit als Offizier beim königlichen Militär dieses Landes. Wie er vom Soldaten zum Monarch aufsteigen konnte? Nun, das ist eine lange Geschichte, die nicht Teil der diesen ist. Es bleibt zu sagen, dass die junge Königsfamilie weit über ihre Landesgrenzen hinweg hoch verehrt wird. So mächtig wie jetzt war das Reich noch niemals zuvor im Laufe seiner Geschichte. Bis vor einigen hundert Jahren war es nur ein kleines Wüstenkönigreich, doch durch den Krieg vor über zweihundert Jahren, haben sich die Grenzen verschoben und König Nico hat es zum mächtigsten Land des Kontinents werden lassen. Dieses erblühende Königreich Roshea schenkt nicht nur den eigen Bürgern, sondern auch anderen Völkern Vertrauen in die Führung, denn seit der geschickte Diplomat Nico das Amt des Königs inne hat, herrscht wieder Frieden auf dem Kontinent Altera, den keiner wagt in Frage zu stellen. Es ist Frühling. Die Sonne scheint ihre ersten warmen Strahlen durch die hohen Fenster, in die immer noch kalten Räume der Rosheanischen Königsresidenz, dem Schloss in der Hauptstadt Nalita. Die kleine sechsjährige Siva friert etwas. Euphorisch den Sommer erwartend, hatte sie sich heute morgen schon ein luftiges fliederfarbenes Sommerkleid übergeworfen. Sie würde am liebsten hinaus rennen und sich in den warmen Strahlen der Sonne wärmen, doch als Prinzessin, noch dazu Kronprinzessin, hat sie immer viel zu tun, selbst in ihrem jungen Alter schon. Nico ist unnachgiebig was die Bildung seiner klugen Tochter angeht. Nach einem anstrengenden Tag, der voll gepackt war mit langweiligem Benimm-, Rhetorik- und Fremdsprachunterricht, kehrt sie geschafft zurück zu den Privatgemächern der Königsfamilie. Sie wird begleitet von ihrer vierzig jährigen Privatlehrerin Anita Boger, bei der sie bis eben noch ihren dringend notwendigen Benimmunterreicht hatte. Nicos Regel, dass nur Angehörige der Königsfamilie den Westflügel betreten dürfen, respektiert Anita selbstverständlich, weshalb sie nun auf ihrem Absatz kehrt macht und sich von Siva verabschiedet, höflich aber auch fast ein wenig erleichtert: „Bis morgen, Prinzessin. Ich hoffe Euer Vater setzt Euch heute nicht wieder so viele neue Flausen in den Kopf.“ Das Kind schüttelt energisch den Kopf und setzt ihre süßen Ärmchen empört an ihre Hüfte. „Das sind keine Flausen, Frau Boger. Alles was er sagt, ist wahr. Jawohl! Außerdem habe ich ihn so sehr lieb, dass ich ihn mal heirate, wenn ich groß bin.“ Stolz ihrer Lehrerin die Meinung gesagt zu haben und auch noch ohne sich ordentlich zu verabschieden, rennt die Kleine los zum Kaminzimmer, in dem sich ihre Eltern abends meist aufhalten. Ihr wunderschönes langes violettes Haar wedelt umher. Es stört sie beim sprinten, aber sie will es auf keinen Fall schneiden lassen. Ihr Vater liebt es über alles, das weiß sie und was er will, das ist Gesetz. Es wie ihre wunderschöne Mutter offen zu tragen, kommt bei ihr trotzdem nicht in Frage. Wenn ein anderer als ihr über alles geliebter Vater ihr seidenes Haar berührt, schreit sie für gewöhnlich wie am Spieß und fordert zuweilen ihr Gegenüber anschließend zum Duell heraus, sollte er nicht einsichtig sein. Der kleine Wildfang mag die Schönheit ihrer Mutter geerbt haben, aber nicht ihren sanften und zurückhaltenden Charakter, ganz im Gegenteil. Sie ist genau so konfrontationsfreudig und dickköpfig wie der König. Von ihm hat sie auch ihre auffälligen tiefblauen Augen, die einen äußerst schönen, aber auch höchst ungewöhnlichen Glanz aufweisen. Die Prinzessin rennt mit Schwung durch die Gänge der privaten Gemächer, die im Vergleich zum Rest des Schlosses völlig untypisch eingerichtet sind. Hier sucht man vergebens nach dem kalten Royalblau, der Rosheanischen Landesfarbe, die den Rest des Königshofs dominiert. Alles ist warm und gemütlich eingerichtet. Man kann sich hier wirklich gut von einem anstrengenden Tag entspannen, oder eben auch Geschichten lauschen, so wie Siva es heute vor hat. Kurz vor dem Kaminzimmer bremst das Mädchen scharf ab. Schon einmal hat es ihre Eltern in einem ungünstigen Moment erwischt, als sie unangekündigt hinein gebraust kam. Dieses, aus ihrer Sicht, fast schon traumatische Erlebnis will sie kein zweites mal durchleben müssen. Kraftvoll klopft sie an der großen schweren Holztür, damit sie auch auf keinen Fall überhört werden kann. Dreimal hallt der Ton laut im Gang wider. Sie wartet kurz ab...das muss reichen. Überzeugt davon sie habe ihre Eltern nun genug vorgewarnt, öffnet sie sie ganz langsam und schielt vorsichtig durch den kleinen Spalt hinein. Das warme Licht des Tages blendet die aus dem fensterlosen Gang hinein schauende Prinzessin. Sie erkennt wie ihre Mutter, Königin Kara seitlich angelehnt an ihrem Ehemann auf einer gemütlichen Couch vor dem Kamin sitzt. Die bildschöne Frau scheint immer noch hektisch etwas an sich zu richten, obwohl das Kind ihr so viel Zeit gegeben hat. Trotzdem liebevoll schaut sie zu ihrer Tochter und bittet sie sanft einzutreten: „Siva, mein Schatz. Komm rein. Du hattest heute aber lange Unterricht.“ Siva öffnet die Tür nun ganz und schließt sie wieder hinter sich. Die Wärme des offenen Kamin umschließt sie wohltuend. Sie hatte ger nicht gemerkt wie kalt es im Schloss eigentlich war. Sich hier absolut wohl fühlend, läuft sie fröhlich zu ihrer Mutter, die sich gerade aufsetzt und ihr weinrotes glänzendes, endlos langes Haar richtet, in dem Nico anscheinend herumspielt hat, wie er es so gerne tut. Sie wird von ihrer Mutter in die Arme geschlossen, die ihr wärmend über die kalten Oberarme reibt. Die kleine Prinzessin entgegnet nun keck: „Ich habe freiwillig länger gemacht, weil ich die Frau Boger so mag.“ und nickt dabei vielsagend. Ihr Blick geht flüchtig zu ihrem hübschen Vater, der die offensichtliche Lüge sofort durchschaut zu haben scheint. Er grinst schelmisch. Das ist kein gutes Zeichen. Kara sieht ihre Tochter ernst an und verwarnt: „Flunkere uns nicht an, junge Dame. Was haben wir dir über‘s Lügen beigebracht?“ „Dass ich es so machen soll, dass es keiner merkt.“ antwortet das Mädchen einsichtig, im Glauben das Richtige zu antworten. Nico springt auf und hebt seine Tochter freudig aus den Armen der leicht verärgerten Königin. Sie sich auf einen Arm setzend, schmiegt er sie an sich. „Das ist meine Tochter! Du wirst einmal eine perfekte Königin abgeben. - Köööönigin Siva. Klingt das nicht gut?“ Die Kleine strahlt bis über beide Ohren und gibt ihm einen Schmatzer auf den Mund. Sie wackelt fröhlich auf seinem Arm hin und her. Die amtierende Königin Kara sieht streng zu den beiden hoch. „Bestärke sie darin nicht auch noch, Nico!“ „Wieso? Diese Fausregel hat sie von mir gelernt und was sie von mir hat, kann ja nur gut und richtig sein, oder?“ tut er strahlend kund. Siva freut sich, denn anscheinend hat sie alles richtig gemacht. Ihr Papa ist jedenfalls stolz auf sie und das ist es was zählt. Königin Kara steht auf und wendet sich an das Kind auf dem Arm ihres Mannes. „Sei bitte wenigstens zu uns aufrichtig, ja, mein Schatz?“ Die Wärme im Blick ihrer Mutter ist entwaffnend. Siva gesteht ohne sich auch nur ein bisschen Schuldgefühl im Leib: „Weil ich nicht wusste wozu das Messer mit den zwei Spitzen ist, habe ich die Frau Boger damit zum Duell heraus gefordert. Obwohl sie verloren hat, musste ich dann alle Messer, die ich kenne, aufmalen. Das waren echt viele. Es hängen ja auch so viele an den Wänden im Schloss ‚rum. Die Großen, Geraden und die Kurzen, Dünnen und die Gebogenen. Das hat eeeewig gedauert, aber es hat Spaß gemacht. Da hat sich die Frau Boger so gefreut, dass sie sich was zu Trinken aus der Küche geholt hat.“ Nico flüstert seinem ganzen Stolz amüsiert ins Ohr: „Das waren bestimmt Schwerter und keine Messer, Siva.“ Sich peinlich ertappt fühlend dreht sie ihm langsam ihren Kopf zu. „Gibt es denn da einen Unterschied? Ist doch alles zum schlitzen und schneiden und stecken...!“ Er brummt zustimmend. Kara schüttelt etwas entsetzt den Kopf. Seit wann hat Anita Boger denn auch ein Trinkproblem? Scheinbar spielt ihr kleiner Schatz auch sie langsam kaputt, denn Anita ist schon der dritte Privatlehrer, von dem sie das hört. Die besorgte Mutter wird ihre Angestellte gleich morgen darauf ansprechen müssen. Sie hat hohe Erwartungen in das Kind. Als Prinzessin braucht es eine gute Bildung. Die Königin selbst wusste als Kind und Jugendliche noch nicht, dass sie einmal ein solches in Amt begleiten würde, weshalb sie auch einen völlig anderen Beruf erlernt hat. Alles, was dazu gehört um regieren zu können, musste sie sich erst unter großen Anstrengungen im Erwachsenenalter aneignen. Wer hätte auch ahnen können, dass ihr Liebster einmal der König eines Landes sein wird? Mittlerweile beherrscht sie ihr Handwerk jedoch sehr gut, was bei ihrer Intelligenz und Zielstrebigkeit aber auch nicht anders zu erwarten war. Sie erhebt sich elegant von der Couch, um ihren Mann und ihre Tochter allein zu lassen. „Ich habe es nicht vergessen, ihr beiden. Heute ist euer Abenteuerabend und deshalb lasse ich euch auch jetzt nun in Ruhe.“ Die Prinzessin schreit unvermittelt los: „ABENTEUERABEEEEEND!“ was Nico fast einem Hörsturz erleiden lässt. „Vorsicht, Süße. Nicht so laut!“ Das freche Kind grinst ihn als Antwort an und wackelt mit ihren frei schwebenden Beinen herum. Wie angekündigt verabschiedet sich die Königin und verlässt den Raum. Seine Tochter weiterhin auf dem Arm behaltend setzt sich der König nun endlich auf die Couch. „Hast du einen Wunsch was ich heute erzählen soll oder kann ich mir selbst was raussuchen?“ Aufgeregt zappelnd antwortet sie: „Das Juwel, erzähl mir vom Juwel!“ „Schon wieder?“ Nico ist etwas besorgt, dass sie ausgerechnet davon immer wieder hören will. Das türlisblaue, handtellergroße Juwel, das eigentlich ein Siegel ist, erscheint ihm seit jeher etwas suspekt. Es strahlt etwas merkwürdiges aus, weshalb er es in sicherer Verwahrung behält. Weder der Grund dafür, noch sein Zweck sind ihm bekannt. Seiner süßen Tochter, die nun auch noch den traurigen Hundeblick aufgelegt hat, kann er den Wunsch trotzdem nicht abschlagen. Nachzugeben liegt ihm gar nicht. Der Schönling streicht sich eitel durch sein volles violettes Haar und funkelt sie an. „Gut, in Ordnung, ich erzähle dir nochmal davon, aber das ist das letzte mal, verstanden?.“ Mit leuchtenden Augen schießt sie los: „Verstanden. Holst du es dann auch mal raus?“ Nico muss sich doch sehr wundern. Die kleine Siva dürfte nicht wissen, dass er es im Schloss aufbewahrt. Er hat ihr vor einem Jahr erzählt es sei noch immer in der Kathedrale in Kalaß. Dass er es vor acht Jahren selbst gegen eine Replik ausgetauscht hat, wissen nur noch Kara und er. Donnt, der Hohepriester von damals und auch der Juwelier, der ihm die Kopie angefertigt hat, leben nicht mehr. Sie drängt weiter: „Holst du es? Holst du es?“ „Aber Süße, es ist doch in Kalaß in...-“ „Flunker, flunker!“ ruft sie strahlend, „Du flunkerst!“ König Nico wird völlig ernst. Er findet es nicht gut, dass sie es weiß. Er ist sich sicher, dass Kara nichts davon erzählt hat, denn er hat sie klar angewiesen es Siva zu verschweigen. Noch einmal streicht er sich nervös durch das Haar. „Also gut. Du hast mich überführt, kleines Fräulein. Es ist im Schloss. Anscheinend kannst du es auch spüren. Das hast du dann wohl von mir geerbt.“ Siva nickt fröhlich, während er weitererzählt. „Weißt du, mich beunruhigt es. Ein einfacher Gegenstand sollte keine so starke Wirkung in uns beiden ausüben.“ Das Kind wird durch diese Geheimnistuerei nur noch interessierter. „Willst du nicht auch wissen was das ist?“ „Ich habe schon einmal danach geforscht. Deshalb beunruhigt es mich ja.“ Siva freut sich, denn wenn er die Lösung kennt, kann er sie ihr genau so gut auch verraten. Sie will nicht die alten Kamellen nochmal hören, dass es vier davon gibt, die alle auf dem Kontinent Altera verteilt sind und dass sie einst den Göttern selbst gehörten. Sie will genau wissen was das für Steine sind und wozu sie taugen. „Warum hast du das beim letzten mal nicht erzählt? Erzähl schooon!“ Über den Ursprung der Steine kann Nico, um ehrlich zu sein, überhaupt nichts sagen. Die Geschichte, sie hätten den Göttern selbst gehört, hat er erfunden. Aber über ihren Zweck hat er etwas herausgefunden, was ihm nicht gefällt. „Weil es mich in einem schlechten Licht erscheinen lässt. Immerhin habe ich das Siegel für meine Forschungen aus der Kathedrale von Kalaß entfernt, durch eine Replik ersetzt und diese nie wieder ausgetauscht. Es war schließlich einmal das Heiligtum der Kathedrale.“ „Na und? Als König darf man sowas.“ ruft sie selbstgerecht die Faust gen Himmel schießend. Nico wird streng und nimmt den Arm des ungestümen Kindes herunter. „Nein, Süße. Das sollte man auch als König nicht dürfen. Ich habe aus der Kathedrale das Relikt entfernt, auf dem der Glauben an den Windgott Fuathel beruht. Es ist anmaßend zu sagen ich hatte das Recht dazu. Ich bin trotzdem davon überzeugt, dass es zu gefährlich ist, es zurück zubringen. Nicht auszudenken, was passieren kann, wenn es in falsche Hände gerät.“ Er macht es immer spannender. Die kleine Siva greift nach seiner Hand, die ihren Arm nach unten dirigiert hat und drückt sie ganz fest zusammen. An seinem Handgelenk fällt ihr wieder das einfache Lederarmband auf, an dem eine Muschel geknotet ist, das er jeden Tag trägt. Er hat ihr einmal gesagt, dass er das von ihrer Mutter habe und deshalb niemals ablegt. Sie versucht sich nicht ablenken zu lassen, denn es ist ja gerade so spannend. Sie ruft aufgeregt: „Was denn? Was kann denn passieren?“ Der König bemerkt zu spät, dass er schon zu viel gesagt hat. Mit seinen Andeutungen hat er das quirlige Kind nur angefüttert. Er resigniert vor seiner hübschen Tochter ein weiteres mal, die erneut den Hundeblick aufgesetzt hat, aber dieses mal offensichtlich in der Welpenversion. Sie schmiegt sich ganz eng an seine Brust und schaut ihn so süß von unten an, als könne sie kein Wässerchen trüben. Ganz offensichtlich versucht sie ihn mit ihrer Niedlichkeit zu manipulieren, was ihn im Grunde genommen auch wieder stolz macht. Sie beherrscht schon viele Kniffe, die ihr als Anführerin einmal sehr nützlich sein werden. „Also gut.“ sagt er ruhig, was sie dazu bewegt sich hochinteressiert aufrecht auf seinen Schoß zu setzen und ihrem androynem Vater in seine royalblauen, schimmernden Augen zu schauen. Während das Holz warme, knisternde Geräusche von sich gibt und den Raum in eine rötliches Licht taucht, denn die Sonne ist bereits unter gegangen, beginnt er zu erzählen: „Wie du weißt war ich in meiner Zeit beim königlich Rosheanischen Militär sechs Jahre lang in Aranor stationiert. Ich habe dir doch erzählt wie ich den Sklavenring zerschlagen und damit tausende Sklaven befreit hatte.“ Siva kennt diese Geschichte natürlich, weshalb sie enthusiastisch zustimmt. Er erklärt weiter: „Danach war es schwierig für mich, denn ich wurde unter meinen Kameraden gefeiert wie kein anderer. Ich konnte mich nirgends frei bewegen ohne ständig darauf angesprochen zu werden. Meine falsche Identität und somit auch meine Deckung waren dadurch aufgeflogen, die ich mir über viele Jahre hinweg aufgebaut hatte. Ich war frustriert und nahm mir eine zweimonatige Auszeit.“ Das wusste die kleine Prinzessin noch nicht: „Ach sooo? Und dann?“ „Und dann ging ich einer anderen Sache nach. Ich hatte damals von der Legende gehört es gäbe einem Schatz am Grund des Lanima, dem großen Süßwassersee vor Aranor, der ich nachging und tatsächlich gab es einen, aber meine Recherche ergab, dass sich zwei Legenden miteinander vermischt hatten. Die Legende vom Schatz im See stammt von einer Räuberbande vor über zweihundert Jahren, die das Chaos im Land ausnutzen, um das Aranorische Aristokratieviertel zu plündern. Sie erbeuteten mehr als sie brauchten und versenkten den Rest im See. Sie sprachen nicht die Sprache des Wüstenvolkes, sondern unsere, aber an der Kathedrale von Kalaß steht unter der Einkerbung für das Siegel geschrieben: ‚Anama-I tekta nim Ros‘, was einen ganz Ähnlichen Hinweis zu geben schien.“ Siva übersetzt selbstbewusst: „Warte, das schaffe ich! In der Wüstensprache bin ich unschlagbar. Ich spreche es besser als Herr Rando, weißt du. ‚Die Wahrheit... ist der Grund des großen... Sees oder vielleicht auch des Flusses‘? Das ergibt ja überhaupt keinen Sinn!“ Ferold Rando ist Sivas Sprachenlehrer. Es gibt nur sehr wenige, die sich mit der ausgestorbenen indogenen Sprache des Wüstenvolks beschäftigen. Auf dem Kontinent hat sich eine andere Sprache durchgesetzt und es ist nicht notwendig eine weitere zu beherrschen. Fließend spricht Ferold Rando es auch nicht und Nico schon gar nicht. Wahrscheinlich ist Siva bereits jetzt die beste Sprecherin dieser Sprache im Königreich. Er tätschelt sie am Rücken und berührt dabei ihr wundervolles langes Haar, an dem er bei dieser Gelegenheit gleich weiter herumspielt. „Gar nicht mal so schlecht. Wollen wir es zusammen durchgehen? ‚Anama-I‘, die Wahrheit, richtig. ‚Nim Ros‘, großer See oder großer Fluss, also ein Gewässer, auch richtig. Aber wie ist ‚tekta‘ hier gemeint?“ Sie kramt das Wissen heraus: „‚tekta‘ heißt es gehört zu irgendwas oder es kommt irgendwo her. “ „Das stimmt. Die falsche Annahme der Schriftzug bezöge sich auf einem Schatz am Grunde des Lanima, beruht auf einem Übersetzungsfehler. Wie du schon richtig erkannt hast, geht es hier nicht um den Grund des Sees, sondern den Ursprung eines Gewässers. Der Ursprung eines großen Sees ist ein Fluss und der Ursprung eines Flusses ist?“ Siva stockt kurz, dann schießt sie freudestrahlend los: „Na, seine Quelle!“ Nico nickt stolz: „Ganz richtig, meine kluge Siva. Ich musste also zur Quelle des Lanima gelangen, wenn ich wissen wollte worauf die Kathedrale hinweist. Ich brach also mit zwei guten Kameraden und Freunden auf zum Berg Bugat, um die Quelle des Lanim zu finden.“ Siva sieht in ihrer Fantasie bildlich vor sich wie sich der Berg Bugat vor ihr erhebt, obwohl sie dort noch niemals selbst gewesen ist. „Wir befragten die Bewohner von Brag Bugat, der Kleinstadt am Fuß des Berges danach. Eine junge Frau führte uns bereitwillig zur ihr bekannten Quelle. Der Weg war nicht beschwerlich. Der Fluss Lanima ist in den Bergen kaum mehr als ein Bach, der manchmal unterirdisch verläuft. Ohne sie hätten wir die Quelle nicht gefunden. Am Ziel angekommen durchsuchten wir die gesamte Gegend und fanden nichts. Unsere Fremdenführerin hatte uns bereits verlassen, weil wir so lange brauchten. Naja, und weil einer meiner Leute ihr nachstellte, was ihr äußerst unangenehm war. Wie auch immer... Ziemlich desillusioniert trat ich in das Rinnsal der Quelle und rutschte auf dem glitschigen Boden aus. Meine zwei Begleiter lachten mich aus. Ihren Kommandanten auf dem Boden zu sehen, fanden sie äußerst erheiternd. Dabei verletzte ich mich an der Hand. Ich wusch den Schmutz von der Wunde ab und mein Blut vermischte sich mit dem Quellwasser. Merkwürdigerweise nahm dieses verunreinigte Wasser einen anderen Weg als das Rinnsal. Wir folgten dem blutigen Wasser bestimmt einen Kilometer weit. Dann tropfte es an einem steilen Abhang hinab. Ein überwältigendes Panorama bot sich uns dort. Ich hatte das Gefühl ich könnte ganz Roshea überblicken, wo weit und klar war die Sicht. Ich erinnere mich bis heute an den eisigen Wind, der da oben wehte. Ich fand ihn angenehm aber meine beiden Kameraden froren ziemlich. Ich schaute den Abhang herunter, um zu ergründen wohin das Wasser getropft war. Direkt unter mir befand sich eine Öffnung zu einer Höhle. Das Wasser landete auf einem kleinen Felsvorsprung vor der Höhle und sammelte sich in einem kleinen Becken. Wir stiegen gemeinsam hinunter und stellten zu unserem bedauern fest, dass sie vollkommen leer war. An der gegenüberliegenden Seite des Eingangs befand sich eine Felswand, die aus einem anderen Gestein zu bestehen schien. Ich untersuchte sie und fand vier verschieden geformte Vertiefungen. Es waren die Elemente unserer vier Götter. Welche sind das, Siva?“ Die kleine Prinzessin glaubte bereits alle Geschichten von ihrem Vater einmal gehört zu haben. Während der Erzählung hat sie sich kaum getraut zu atmen, so gefesselt war sie. Die Frage reißt sie aus ihrer Anspannung, was ihr gar nicht gefällt. „Vaaaater, die Frage ist zu einfach! Feuer, Wasser, Erde und Wind. Erzähl weiteeer!“ „In Ordnung. Ich kannte damals nur das Windjuwel, wusste aber sofort, dass es dort hinein gehört.“ Das kleine Mädchen, das voll bei der Sache ist, denkt mit: „Gehören in die anderen drei Löcher die Juwele in den Kathedralen der drei anderen Götter?“ „Ja.“ „Und hast du sie gesammelt und bist damit zur Höhle gegangen?“ Nico schüttelt den Kopf und lächelt dabei. „Nur weil etwas möglich ist, heißt das nicht, dass man das auch tun sollte. Das ist die heutige Lektion für dich.“ Die kleine Siva steht vor Schreck von seinem Schoß auf und stellt sich auf der Couch hin, als sie bemerkt, dass ihr Vater an dieser Stelle die Erzählung beenden will. Sie weiß, dass er sie immer mit einer Lektion zu abzuschließen pflegt. „Nein, das ist sie nicht, das ist sie nicht! Lektion Pustekuchen!“ keift sie. Der König greift nach oben zur Schulter seiner Tochter und bewegt sie so wieder dazu sich hinzusetzten. Sein Ton mag liebevoll sein, aber er ist auch streng. „Siva, meine Süße, was immer dort versiegelt wurde, soll dort versiegelt bleiben, verstehst du?“ Selbstverständlich versteht das neugierige Mädchen das nicht. „Er zähl mir mehr! Du weißt doch noch viel mehr darüber!“ befielt sie. Ihr Vater reagiert hart auf ihr Drängen. Das ist selten bei ihm und verschafft ihm allen Respekt, den er benötigt. Nur wenige Themen sind in der Lage den sonst so ausgeglichenen König wahrhaft zu verärgern und dieses ist eines davon. Er steht auf und wird laut. „Nein, Siva. Es reicht! Ich habe dir schon zu viel erzählt. Geh auf dein Zimmer und frag nie wieder nach den Juwelen!“ Der plötzliche, harsche Ton macht ihr Angst. Er muss ja nicht gleich so Böse werden. Eingeschüchtert von diesem Erlebnis versucht Siva es kein weiteres mal etwas darüber bei ihm herauszufinden und sie wird auch nie wieder danach fragen. Das Rätsel um die Siegel lässt sie trotz allem nicht wieder los. Wenn er ihr nicht helfen will, dann wird sie es allein bewerkstelligen müssen. Bis heute, ihrem siebzehnten Lebensjahr recherchiert Prinzessin Siva heimlich zu den vier Siegeln von Kalaß, wie sie manchmal auch genannt werden. Sie weiß, dass es vier Elementarjuwele gibt, die in den Kathedralen verborgen sind oder es zumindest einmal waren. Die junge Frau ist fest entschlossen alle vier zusammenzutragen. Warum sie das so unbedingt will, weiß sie allerdings so langsam selbst nicht mehr so richtig. Mit sechs Jahren hatte sie es sich geschworen und mittlerweile mögen viele Jahre vergangen sein, doch Siva ist ein prinzipientreuer Mensch. Wenn sie sich ein Ziel gesetzt hat, beißt sie sich so lange daran fest, bis sie es erreicht. Egal wie lange es auch dauern mag. Sie ist, trotz ihrer jungen Jahre, bereits zu einer atemberaubenden Schönheit gereift, die im Kontrast zu ihrem spröden und eher jungenhaften Charakter steht. Ebenso wie ihr Vater hat sie sich ein zuversichtliches Lächeln antrainiert, das bei ihr aber schnell als Arroganz gedeutet wird. Auch wenn sich die Prinzessin darum bemüht, nicht auf diese Art wahrgenommen zu werden, steht diese Eigenschaft in Wahrheit nicht im Widerspruch zu ihr. Fuathels Windjuwel ist hier im Schloss. Sie kann es deutlich spüren und glaubt inzwischen den Verwahrungsort im Ostturm ausgemacht zu haben. Die kluge Prinzessin sieht keine Schwierigkeit darin es zu beschaffen. Ahananis Erdjuwel ist in der Kathedrale der Stadt Nalita, also hier in der Hauptstadt. Das sollte auch beschaffbar sein. Phantakares Feuerjuwel ist in Dekent, Yokens Hauptstadt. Das kann sie besorgen, wenn sie den Sommer über wieder auf dem deskender Königshof verbringt, so wie sie es die letzten Jahre über immer in den heißen Monaten getan hat. Das einzige echte Problem stellt die Kathedrale der Wassergöttin Kawanata in Aranor dar, die in Ruinen liegt und aller Wahrscheinlichkeit nach geplündert wurde. Sie behält ihren Plan im Kopf. Weder ihr Vater, noch ihre Mutter scheinen etwas davon zu ahnen. Nach wie vor hat sie ein hervorragendes Verhältnis zu den beiden. Das zu ihrem Vater ist vielleicht fast schon zu hervorragend. Zwar gibt es, seit sie sechs war, keine Abenteuerabende mehr, dafür aber ein gemeinsames Kampftraining mit ihm. Die Prinzessin hat sich nicht geändert und ist nach wie vor alles andere als zart besaitet. Sie lässt sich Nicos ausgefeilte nichttödliche Schwertkampftechnik beibringen. Natürlich kann sie ihm nicht das Wasser reichen, doch sie ist schon ziemlich gut. Ihre Mutter Kara hält sich aus dieser Sache heraus. So lange ihre Tochter ihren Unterricht nicht vernachlässigt und damit glücklich ist, sieht sie keinen Grund ihr den Kampf zu verbieten. Einige am Hof sehen das anders, weil die so schon hochmütige Prinzessin damit nur noch angriffslustiger wird. Da Nico viele seiner Freunde beschäftigt, sprechen sie auch offen darüber, was ihn nicht davon abbringt die Prinzessin weiter zu unterrichten. Eines Abends nach dem Schwerttraining mit ihrem Vater, setzen sich Siva und Nico gemeinsam in die warme Abendsonne auf einen kleinen Hügel auf dem Schlossgelände. Weil es so warm ist, hat Nico sein Shirt ausgezogen und seine Tochter ihres am Bauch hochgekrempelt. Diese beiden erhabenen Menschen so nebeneinander bewundern zu können ist ein ästhetischer Hochgenuss für jeden Bediensteten am Schloss. Vor etwas zwei Jahren musste er den Beschluss erlassen bei seinem Training mit seiner Tochter nicht mehr beobachtet werden zu dürfen, weil sie so viele Zuschauer anzogen. Prinzessin Sivas langes violettes Haar trägt sie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Selbst in ihren Trainningssachen sucht die atemberaubende Schönheit nach ihres Gleichen und das ist auch ihrem Vater nicht entgangen ist. Selbst die schöne Königin Kara steht hinter ihr zurück. Trotz ihres entzückenden und eleganten Äußerem, ist Siva durch ihr tägliches Training unglaublich stark. Als sei das nicht genug, ist sie auch noch Schlau und Gerissen zugleich. Alles in allem könnte man sagen sie sei eine weibliche Version von Nico. Selbst in Augen- und Haarfarbe gleichen sich die beiden. Der König, der inzwischen schon Ende vierzig ist, sieht neben ihr jedoch nicht aus wie ihr Vater, sondern eher wie ihr älterer Bruder. Von seiner fast noch jugendlichen Schönheit hat er nichts eingebüßt. Objektiv schätzt man ihn nach wie vor auf Ende zwanzig, was so langsam Prinzessin Sivas Interesse weckt. Sie hat schon vor Jahren aufgehört ihn mit solchen Dingen zu behelligen, doch heute fasst sie sich, um ihrer selbst Willen, ein Herz. Er kann sie ja nicht ewig klein halten. Sie sieht zu dem halbnackten Mann neben sich, den sie für seine Stärke bewundert. Sie nimmt ihren Mut zusammen und beginnt das Gespräch. „Nico, ich muss dich was fragen.“ Er streicht sich als Reaktion eine Strähne aus dem Gesicht. Entgeistert stöhnend sieht er sie an. „Wie oft habe ich dir schon gesagt du sollst mich ‚Vater‘ nennen?“ Sie überhört seine Rüge und stellt ihre Frage einfach trotzdem: „Was genau ist gemeint, wenn vom Blut der Mana-i die Rede ist?“ Er atmet tief ein. Dies ist einer der wenigen Momente, in denen er sein zuversichtliches Lächeln ablegen muss und die Prinzessin weiß schon ws das bedeutet. Sie lässt ihm nicht genug Zeit seine Standardpredigt darüber zu halten, wie egal das alles sei und wirft sofort ein: „Ich spreche es jetzt einfach aus: Sind wir unsterblich?“ Sie hält die Luft an. So rasant wollte sie eigentlich nicht mit der Tür ins Haus fallen, aber nun ist es raus. Der König reagiert eher erheitert, weil die Frage in seinen Ohren so absurd klingt. „Siva, ich bin achtundvierzig, keine hundert-achtundvierzig.“ Diese Antwort verärgert die stolze Prinzessin. „Nimm mich Ernst, Nico! Unser Vorfahr, der Ewige König Ramon, soll bei seinem Fall über fünfhundert Jahre alt gewesen sein und er ist nicht aus Altersschwäche gestorben, man hat ihn hingerichtet. Und nun altern du und Kara nicht. Ich sehe da eindeutige Parallelen.“ Nico zuckt zusammen, weil sie ihn und nun auch ihre Mutter schon wieder beim Vornamen genannt hat. Zudem sind diese ganzen Geschichten über königliches Blut nicht in seinem Sinne. Er streitet von vorn herein jeden Gedanken ab sein Blut habe einen Einfluss auf ihn, weder auf den Charakter, noch auf seine Eigenschaften oder seine Jugend. Wenn er das Wort Schicksal hört, dreht sich bei ihm der Magen um. Der König will von solchen Dingen nichts wissen. Aggression steigt in ihm auf. Die Prinzessin kann die negativen Schwingungen ihres Vaters spüren, was sie zur Einsicht bewegt. Als sie ihn tröstend berühren will, stößt er sie kraftvoll von sich und die junge Frau wird zu Boden geworfen. Sie beide sind gleichermaßen schockiert über diese heftige Reaktion. Seine aufrichtige Entschuldigung ist Siva tief in ihrem Herzen nicht in der Lage abzulehnen. Sie liebt diesen schönen Mann wohl zu sehr um ihm böse zu sein, egal was er ihr auch antun mag. Als sich genau ebendieser Gedanke in ihrem Kopf formt, erschaudert sie. Die junge Frau hatte schon einige male Gefühle für ihn, aber nicht so intensiv. Als Kind war sie fest entschlossen ihn zu heiraten und nun wird sie langsam erwachsen und ihre Vorstellungen von Liebe reifen und verändern sich. Vielleicht hat sie deshalb aufgehört ihn „Vater“ zu nennen. Angewidert von sich selbst muss sie sich etwas wegdrehen. Für Nico ist es klar, dass sie es tut, weil er sie mit seiner heftigen Reaktion geschockt hat. Völlig verwirrt raunt sie ihn an: „Lass mich allein!“ Was er voll und ganz verstehen kann. Er entschuldigt sich ein weiteres mal und lässt seine verstörte Tochter allein in der Dämmerung auf dem Hügel zurück. Er wüsste nicht was er sonst noch in diesem Moment tun könnte. Siva fasst nun endgültig den Entschluss für eine Weile aus Nalita weg zu gehen. Einer solchen Situation wird und muss sie um jeden Preis in Zukunft aus dem Weg gehen. So schön, anmutig und selbstbewusst sie äußerlich auch erscheinen mag, so tief ist sie doch innerlich zerrissen. Ihre Gier nach Anerkennung, ihre Unfähigkeit Mitleid zu empfinden und ihre grundlegende Abscheu vor jungen Männern im Zusammenhang mit den neuen widernatürlichen Gefühlen für ihr eigenes Fleisch und Blut, lassen sie an sich selbst zweifeln. Manchmal ist sie sich nicht mehr ganz sicher, ob sie überhaupt ein Mensch ist, so anders kommt ihr der Rest der Welt vor. Der einzige, der sie vielleicht verstehen könnte, ist ihr Vater, dessen Nähe sie gerade am wenigsten ertragen kann. Niemand wird ihr jemals richtig helfen können. Siva versucht all den Selbstzweifel in eine Truhe zu packen, diese abzuschließen und den Schlüssel weg zu werfen. Zu ihrem Glück stehen bald die Sommerferien in Deskend an. Dann kann sie erst einmal raus aus diesem Schloss. Nico erzählt seiner Frau natürlich von dem Vorfall. Die Prinzessin hingegen verschweigt ihn ihrer Mutter. Kara hat keinen Erfolg ihre Tochter direkt darauf anzusprechen, da das Mädchen das Thema sofort im Keim erstickt. Für Siva war sie nie eine Person, der sie sich anvertrauen würde, was nicht heißen soll, dass sie ihre Mutter nicht liebt. Ganz im Gegenteil. Oft brauchen sich die beiden nur anzusehen und schon wissen sie was sie gegenseitig denken. Das schafft ein tiefes Verständnis und großen Respekt voreinander. Trotzdem ist Kara nicht in der Lage zwischen den beiden zerstrittenen Parteien zu vermitteln. Seit jenem Tag trainieren der König und die Prinzessin nicht mehr miteinander und ihr inniges Verhältnis ist unwiederbringlich gestört. Kapitel 2: Prinz Aiven ---------------------- Da Siva so schnell wie möglich Abwechslung in ihrem Alltag haben möchte, drängt sie darauf schon im späten Frühjahr nach Yoken reisen zu dürfen. Dem König gefällt es nicht, dass sie es diesmal so eilig hat von ihm und dem Nalitischen Schloss wegzukommen und verbietet es ihr. Viel lieber würde er sich erst einmal mit ihr aussprechen, was Siva ziemlich nervt. Erfolg hat er bei dem sturen und verschlossenen Mädchen nicht. So einfach lässt sie sich nicht von ihm abspeisen. Wenn sie schon nicht verreisen darf, dann soll Deskend zu ihr kommen. Sie veranlasst einen Besuch der Yokener Königsfamilie in der Hauptstadt Nalita, indem sie die Monarchen einfach mittels Brief zu sich einläd. Was sie sich eigentlich erhofft, ist dass ihre beste Freundin Prinzessin Nomi sie besuchen kommt. Sie ist das zweite Kind von König Hendryk und Königin Yasane von Yoken. Aber auch über einen Besuch des Königspaares würde sie sich sehr freuen. Einzig der älteste Sohn Aiven, Kronprinz von Yoken, interessiert sie nicht wirklich. Er mag hübsch sein und auch nett und lustig, doch er hat eine Art, mit der sie einfach nicht klar kommt. Er geht sehr offen und fröhlich auf Menschen zu, nein, sie muss sich verbessern: er geht sehr offen und fröhlich auf Mädchen zu, bei denen er damit auch noch total gut ankommt. Sie hält ihn deshalb für einen Schürzenjäger, vielleicht sogar einen Schwerenöter. Wie oft er schon versucht hat bei ihr zu landen, will sie gar nicht erst zählen. Seine Avancen waren ihr schon immer peinlich und sie hat ihn schon so oft abblitzen lassen, dass sie sich ernsthaft wundern muss, wieso er es trotzdem immer weiter versucht hat. Nomi hielt sich aus der Sache immer komplett heraus. Sie bezog nie eine Stellung für einen von beiden, weder ihrem Bruder, noch ihre Freundin Siva, was sie sehr gut nachvollziehen kann. Nomi ist so eine gute und zarte Seele, dass sie nicht so recht zum Rest des Yokenischen Königsadels passen will. Man könnte fast sagen, dass sie einen Ruhepol am Hof von Deskend darstellt. Kein Wunder also, dass sich die im Moment völlig verunsicherte Siva ihre beruhigende Anwesenheit herbeisehnt. Zu Sivas Enttäuschung reisen zwei Wochen später nur König Hendryk und sein Sohn Aiven zu einem Staatsbesuch an. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Natürlich freut sich sehr darüber Hendryk wieder zu sehen, denn sie mag ihn. Der Yokenische König erscheint im ersten Moment kühl und angriffslustig, doch in Wahrheit ist er ein sanftmütiger Mensch, der immer ein offenes Ohr und auch immer einen guten Rat parat hat. In ihrer aktuellen Situation kann sich Siva jedoch nicht an ihn wenden. Die Prinzessin ist hin und hergerissen ob ihr Prinz Aivens Anwesenheit nun egal ist, oder ob sie sich nicht doch ein wenig darüber freut. Immerhin bietet er ihr die Möglichkeit einer Ablenkung von ihren Problemen. König Hendryk und Prinz Aiven werden am Schlosstor herzlich von König Nico und Königin Kara in Empfang genommen. Der Sommer kommt merklich in großen Schritten auf Nalita zu. Zu keiner Jahreszeit ist es hier schöner und grüner als jetzt, denn je weiter das Jahr fortschreitet, desto mehr Pflanzen verbrennen unter der gleißenden Hitze der Sonne. Kara, die ein lockeres langes altrosa-farbenes Kleid trägt, das ebenso wie ihr glänzendes bordeauxrotes Haar sanft im Wind weht, läuft elegant über den gepflasterten Boden auf Hendryk zu, der gerade aus der Kutsche steigt. Der stattliche Yokener König hat langes blaues Haar, das er inzwischen offen zu tragen pflegt und schöne durchdringende hellblaue Augen. Er ist eher leger, aber trotzdem in der roten Landesfarbe Yokens gekleidet. Sie fällt ihrem immer noch besten Freund um den Hals, den sie seit drei Jahren nicht mehr gesehen hat. Ebenso erfreut drückt er die wunderschöne Frau fest an sich. Bereits in dem kurzen Augenblick, in dem er sie gesehen hat, bemerkte er ihre immerzu beständige jugendliche Schönheit. Die Königin ist in seinem Alter, wird also dieses Jahr vierzig, doch sie sieht frischer und strahlender aus als seine vier Jahre jüngere Gattin Yasane. Auch auf Nico scheint dieses Phänomen zuzutreffen. Seinen Freund begrüßt er im Anschluss ebenfalls mit einer Umarmung und den Worten: „Nico, ich würde dich gern als „Alten Freund“ begrüßen, aber alt siehst du nun wirklich nicht aus. Was ist los mit euch? Habt ihr einen Jungbrunnen am Nalitischen Hof?“ Dieses für Nico unangenehme Thema gleich zu Beginn anzusprechen, ist typisch für seinen Freund Hendryk. Er antwortet gedämpft: „Das ist etwas, das wir besser hinter verschlossenen Türen besprechen sollten.“ Dann ändert er seinen Ton in einen herzlichen: „Ich freue mich sehr euch beide zu sehen.“ Das Rosheanische Königspaar begrüßt nun auch den Prinzen Aiven mit einer Umarmung. Er ist hübsch geworden, ganz wie seine Mutter und er hat den guten Körperbau seines Vaters in dessen Jugend. Sein Haar ist hellblau, fast weiß und seine türkisblau strahlenden Augen stechen in ihrer Leuchtkraft hervor. Alles in allem ist er ein bemerkenswerter junger Mann, dem man seine Wurzeln aus der nordischen Heimat nicht absprechen kann. Helle Haut und Haare sind so weit im Süden, den er gerade besucht, nicht oft anzutreffen. Der Junge sticht sehr heraus, wenn er sich hier frei auf der Straße bewegen will. Nico läd seine Gäste ins angenehm kühle Schloss ein, um sich etwas auszuruhen. Auf dem Weg da hin erkundigt er sich nach dem Rest der Familie, Königin Yasane und Prinzessin Nomi. “Wie geht es Yasane? Wollten Nomi und sie nicht eigentlich mitkommen?“ König Hendryk nickt freudig. „Das stimmt, aber sie ist schwanger.“ Nicos voreiliger Schluss Hendryk würde damit die sechzehn jährige Prinzessin Nomi meinen, gipfelt in der Aussage: „Oh, Stille Wasser si--!“ was Kara früh genug bemerkt und ihren fehlgeleiteten Mann mit dem Satz: „Wie schön! Herzlichen Glückwunsch zum dritten Kind, Hen!“ übertönt. Dabei stößt sie Nico mit dem Ellenbogen an, dessen Lächeln dadurch nur noch etwas breiter wird. Er ist ziemlich erheitert. Sie alle betreten das kühle Schloss und treffen dort bereits im Eingangsbereich auf Prinzessin Siva, die sich gerade aus ihrem Unterricht davongestohlen hat. Sie fällt König Hendryk ebenfalls um den Hals, dem sie einen Kuss auf die Wange drückt. Den Prinzen begrüßt sie kühl mit einem höfischen Knicks. Die Erwachsenen amüsieren sich darüber. Nico murmelt belustigt zu Hen: „Siva ist immer noch so schüchtern bei jungen Männern.“ Dieser antwortet belustigt flüsternd: „Aiven ist überhaupt nicht schüchtern bei jungen Frauen. Er wird das schon hin bekommen.“ Die beiden lachen laut, was Kara etwas ausschließt, weil sie nicht mitbekommen hat was die beiden getuschelt haben. Sie stört sich daran jedoch nicht. Wie Männerfreundschaften funktionieren hat sie bis heute nicht ganz begriffen, aber das muss sie wohl auch nicht. Es reicht, wenn sie ihrem Mann den Spaß gern gönnt. Die Monarchen möchten gern unter sich etwas besprechen und bitten die beiden Jugendlichen sich zusammen die Zeit zu vertreiben. Es ist ja nicht so, als ob sich die Kinder nicht kennen würden. Immerhin sehen sie sich jeden Sommer. Prinzessin Siva wünscht sich gerade zurück in ihren Unterricht, als Prinz Aiven unvermittelt fragt: „Freust du dich denn überhaupt nicht mich zu sehen, Siva?“, was sie forsch und vielleicht etwas zu ehrlich beantwortet: „Nomi wäre mir lieber gewesen.“ Natürlich beleidigt ihn das, aber er kennt Siva ja bereits und weiß um ihre besonderen Reize. Er lässt sich von dem Mädchen nicht unterkriegen. „Was für eine raubeinige Prinzessin du bist. Ich dachte immer du legst das irgendwann mal ab.“ „Das könnte dir so passen. Du wünschst dir doch nur, dass ich dir wie alle anderen Mädchen hinterher laufe, aber darauf kannst du lange warten.“ Faucht sie, wobei er nichts anderes erwartet hatte. Sie dreht sich von ihm weg, was ihn dazu bewegt um sie herum zu laufen. Aus seinen hellen Augen lächelt er sie freundlich an. „Dann warte ich eben lange. Außerdem missverstehst du mich. Ich mag es wie du bist.“ „Ach komm schon, Aiven. Die Tour zieht bei mir nicht. Du überschätzt deine Wirkung.“ entgegnet sie sich erneut weg drehend. Ihr Gehabe bringt ihn zum Lachen. Er macht sich überhaupt nichts daraus. Wieder tritt er vor sie und nun kommt er ihr näher, als das unter Freunden oder Bekannten üblich wäre. Er versucht sie zum Zurückweichen zu bewegen, doch zu seiner Überraschung tut sie das nicht. Dazu ist sie viel zu eitel und zu standhaft. Bevor die Prinzessin nach hinten weicht, hat der Prinz eher eine Ohrfeige im Gesicht sitzen, deshalb nimmt er von sich aus wieder etwas mehr Abstand. Die Situation überspielend spricht er weiter: „Ich meine es ernst, Siva. Ich mag es, dass du nicht so bist wie die anderen Mädchen. Du hast etwas unbeschreiblich cooles an dir.“ „Das sagst du doch jeder! Wenn du kein halbwegs hübscher Thronfolger wärst, würde dich kein Mädchen auch nur anschauen.“ Das war wieder einmal ganz schön dreist von ihr, auch wenn sie ihn hübsch genannt hat. Aiven braucht ein ziemlich dickes Fell, um mit ihr überhaupt erst einmal ins Gespräch zu kommen. Wäre er nicht so ein Sonnyboy, würde ihn das Gesagte wahrscheinlich ganz schön verletzen. Er funkelt sie jedoch einfach mit seinen türkisblauen Augen an, als sei er unwiderstehlich. „Du hast recht und genau das mag ich ja so an dir. Dich interessiert meine Herkunft kein bisschen. Du bist zu mir genau so raubeinig wie zu anderen jungen Männern auch. Wenn du mir irgendwann einmal gewogen bist, dann kann ich mir sicher sein, dass du wirklich hinter mir steht und nicht hinter meiner Position. Das ist einfach nur genial. Ich will dich unbedingt zum Freund haben, Siva.“ Auch wenn sie sich das noch nicht anmerken lässt, so hat sie das schon etwas berührt. Entweder spielt er so gut, oder ist er doch kein so schlechter Typ. „Hor auf mich raubeinig zu nennen!“ faucht sie verärgert, worauf er wieder lachen muss: „Wäre dir kratzbürstig lieber? Oder derb? Oder...--“ „Lass es einfach!“ Ihre dauernden Widerworte regen ihn zum Denken an. Auf welche Weise soll er denn nun mit ihr sprechen? Er sagt einfach, was ihm in den Sinn kommt: „Manchmal wünschte ich mir ich wäre auch ein Mädchen, damit du zu mir so nett wärst wie zu Nomi. Hm, aber nun denke ich, dass ich dann gar nicht merken würde wie besonders du bist.“ Anscheinend hat es gewirkt, denn sie dreht sich endlich zu ihm und schaut ihm anmutig in die Augen. „Aiven, jetzt hör mir mal gut zu, wenn du wissen willst was du falsch machst. Wir sind gerade mal fünf Minuten zusammen und du machst mir schon die wildesten Komplimente. Das ist mir echt peinlich. Du bist und bleibst ein Schürzenjäger. Das ist es, was ich denke und genau deshalb werde ich jetzt auch gehen. Unterricht ist besser als deine Gesellschaft.“ Ihre Worte sind erbarmungslos ehrlich und treffen ihm nun voll ins Herz. Sie hat ernsthaft vor ihren erklärten Feind Aiven auf dem Schlachtfeld, den gerade der Eingangsbereich des Schlosses darstellt, zu vernichten und tatsächlich ist sie kurz davor zu siegen. Ihr Blick ist völlig unterkühlt. Sie fühlt nicht das geringste Mitgefühl für ihn. Sie macht sich auf, um zu gehen, was ihm überhaupt nicht passt. Langsam ziemlich verzweifelt wendet der Prinz sich ein letztes mal an sie: „Siva, jetzt warte doch mal! Was soll ich denn deiner Meinung nach machen, damit du mir nicht die kalte Schulter zeigst? Ich wäre echt gern mit dir befreundet. Das ist keine Lüge.“ Siva hält inne. Diese Worte haben sie diesmal wirklich bewegt. Sie scheint beschwichtigt zu sein, lächelt und dreht sich zu dem in sich gekehrten Prinzen um. „Bist du dir da sicher? Weißt du denn nicht was ich mit Freunden mache?“ Aiven ist tatsächlich ein wenig verunsichert. Als er schweigt antwortet sie selbst auf ihre Frage. „Ich kämpfe mit ihnen. Komm mit!“ Sie winkt ihn mit einer Armbewegung zu sich und läuft voran. Aiven folgt ihr. Er überlegt kurz, ob er Angst haben soll oder sich freuen. Er entscheidet sich für letzteres und baut sich langsam wieder auf. Auf dem Weg hinaus aus dem Schloss zum Übungsplatz auf dem Seitenhof, sagt sie siegessicher: „Wenn ich gewinne, dann hörst du auf mir Avancen zu machen, ist das klar?“ So langsam wieder zu alter Stärke auflaufend, entgegnet der Prinz schlagfertig: „Für diesen Sommer jedenfalls. Abgemacht. Aber wenn ich gewinne, dann verlange ich, dass wir unsere Begrüßung von vorhin wiederholen. Aber dann erwarte ich einen herzlichen Empfang mit Begrüßungskuss, so wie bei meinem Vater.“ Siva runzelt die Stirn. Da sie sich sicher ist nicht zu verlieren, ist sie einverstanden. Und so schlimm ist eine Umarmung und ein Kuss auf die Wange eines hübschen Jungen nun auch wieder nicht, deshalb stimmt sie zu. Auf dem staubigen und schattenlosen Übungsplatz angekommen, nimmt sie zwei echte, jedoch ungeschliffene Schwerter aus dem Waffenständer und wirft Aiven eines davon so geschickt zu, dass er nur noch vor sich in die Luft greifen muss, um es am Schaft aufzufangen. Die zierliche Siva fordert den athletisch gebauten Aiven zu einem Schwertduell heraus. Er lächelt Siegessicher. Er hat sich zu Hause in verschiedenen Waffenlosen und bewaffneten Kampftechniken ausbilden lassen und er trainiert sehr oft. Allerdings macht er das weniger, um sich fit zu halten, als vielmehr um gut auszusehen. Aber das ist ja auch egal, denn jetzt profitiert er davon. Was er nicht weiß ist, dass Siva zwei mal wöchentlich mit ihrem Vater den Schwertkampf trainiert und jeden Tag zusätzliche Übungen macht. Ihre körperliche Stärke ist ihr nur nicht anzusehen. Die beiden Königskinder stellen sich in der Grundstellung gegenüber und Siva erklärt die Regeln: „Drei Runden. Wer zwei für sich entscheidet, gewinnt.“ Er nickt. Sie ist sehr konzentriert. Beide verbeugen sich und dann beginnt er, der wichtigste Kampf, an dem die beiden jemals teilgenommen haben. Er stürmt so schnell auf die zu, dass es eine Menge Staub auf dem Platz aufwirbelt, doch das irritiert sie überhaupt nicht. Behände dreht sie sich zur Seite und deutet sanft einen Hieb auf seine ungeschützte Flanke an. Überheblich lacht sie: „Bing! - Eins zu Null.“ Er nickt in sich gehend. Sie ist verdammt gut. Er hat sie gehörig unterschätzt aber jetzt macht er ernst. Die Jugendlichen stellen sich wieder in die Grundstellung und verbeugen sich. Als es los geht, machen beide einen Schritt aufeinander zu. Er ruft ihr gespielt abschätzig zu: „Was bist du nur für ein raubeiniges Mannweib!“ Das bringt sie so aus der Ruhe, dass sie sich nicht mehr auf den Kampf konzentrieren kann. Nach ein paar abgewehrten Hieben, geht Aiven sich drehend und vor ihrem Schlag ausweichend in die Hocke und tritt ihr leicht gegen ihren Standfuß. Sie gerät ins Wanken und fällt direkt in seine Arme. Er flüstert grinsend: „Eins-Eins“ Immer noch total überrascht und mit aufgerissenen Augen in Schockstarre verharrend, brüllt sie: „Das wahr nicht fair! Du hast mich aus dem Konzept gebracht.“ Er lächelt die in seinem Armen liegende Prinzessin nur weiter selbstbewusst an. Dann drückt sie ihn von sich weg und richtet sich vor ihm wieder auf, als sei nicht gewesen. Jetzt geht es in der dritten Runde um alles. Beider Stolz ist angegriffen und keiner will das Duell verlieren. Aiven weiß, dass sein Trick kein zweites mal funktionieren wird. Er hat einen anderen Plan, doch Siva ist hochkonzentriert. Nico, Kara und Hen haben inzwischen bemerkt, dass sich die Kinder duellieren und beobachten sie von einem Fenster aus. Keiner der beiden Väter glaubt an eine Niederlage seines Schützlings. Die Königskinder fühlen sich jedoch unbeobachtet. Nach der Verbeugung brecht Aiven genau wie beim ersten mal sofort nach vorn und ebenfalls der ersten Runde gleich, ist Sivas Antwortbewegung, die Aiven ja nun aber schon kennt. Sie hält ihn für einen Dummkopf das selbe noch einmal zu machen uns ist sich ihres Sieges sicher. Aiven aber dreht sich zu ihr, packt ihrem Arm und nutzt ihren Schwung, um ihre Hand auf seine Schulter umzulenken. Der harte Aufschlag ihrer Finger auf seiner Schulter, öffnet ihre Hand, wodurch sie ihr Schwert fallen lässt. Aiven haucht ihr freudig ein: „Gewonnen“ ins Ohr. Entwaffnet und wehrlos muss sie ihre Niederlage eingestehen. Er ist der einzige Gleichaltrige, der das jemals bisher geschafft hat. Besiegt und gedankenverloren, schaut sie an Aivens Schulter vorbei ohne etwas zu fixieren. Er lässt sein Schwert ebenfalls fallen, legt den rechten Arm um ihre Hüfte und als sie empört aufschreckt, küsst er sie ungestüm. Aber nicht wie vereinbart auf die Wange, sondern direkt auf den Mund. Die Prinzessin drückt sich an seiner Brust von ihm weg, um sich von seinen zugegeben angenehm warm und weich anfühlenden Lippen zu lösen. Sie ist weniger empört, als er gedacht hätte. Sogar ihr Ton, als sie sich beschwert ist nicht so hart, wie der beim Gespräch mit ihm im Eingangsbereich. „Aiven, was fällt dir ein? So war das nicht abgemacht!“ Sie wehrt sich überhaupt nicht mehr, weshalb er sanft entgegnet: „Ich habe mich hinreißen lassen.“ Der Fairness halber lockert der Prinz nun den Griff um sie und sagt dann leise zärtlich: „Wenn ich dich sehe, habe ich nur noch Augen für dich, Siva. Tut mit Leid.“ Unerklärlicherweise schimpft sie wieder nicht, sondern legt ihre rechte schmerzende Hand um ihn und gibt ihm im Anschluss einen Kuss auf die Wange. Dann flüstert sie: „Willkommen in Roshea.“ und löst sich darauf hin vollständig von dem jungen, überraschten Prinzen. Die beiden richten sich wieder auf. Aiven weiß gar nicht was ihm geschieht als er bemerkt, dass er zum allerersten mal überhaupt in seinem Leben die sanfte Siva vor sich hat, die er sonst immer nur von Weitem beobachten konnte. Dafür hat er nur Anerkennung übrig. „Siva, du bist eine verdammt gute Verliererin.“ Die Prinzessin antwortet als sei nichts gewesen: „Wettschulden sind Ehrenschulden, junger Kadett.“, dann lacht sie, was ihn auch zum Lachen bringt. König Nico, der die ganze Zeit hoffte, seine süße Siva würde sich endlich mal ein wenig öffnen, ruft stolz: „Na endlich!“ Die drei stehen immer noch hinter dem Fenster. König Hendryk und Königin Kara schauen den Roscheanischen König nun in gleicher Weise perplex an. Dieser schaut interessiert zwischen den beiden hin und her und bemerkt, dass die beiden überhaupt nicht zu wissen scheinen welche Tragweite dieser denkwürdige Augenblick für ihn und den jungen Prinzen hat. „Endlich hat es der Bursche geschafft.“ freut er sich. „Seine Mutter Yasane schreibt mir seit Jahren Briefe, in denen sie ihre Beobachtung schildert, dass ihr Aiven in meine Siva verliebt wäre und er Jahr für Jahr bei ihr abblitzt.“ Hen fixiert die beiden Kinder auf dem Übungsplatz. Er wundert sich und steigert sich gleich in die Sache hinein: „Warte mal. Wieso weiß ich davon nichts? Das ist doch so eine Vater-Sohn Sache, oder? Warum vertraut er sich mir nicht an? Ich bin so ein miserabler Vater.“ Nico legt brüderlich den Arm um seinen Freund und beschwichtigt: „Kinder in dem Alter erzählen sowas nicht, Hen. Oder hast du damals deinen Eltern von deinen Bemühungen für Kara erzählt?“ Sie schaut betroffen zu Seite. Nach einer rhetorischen Pause erklärt Nico selbstbewusst weiter: „Eben. Auch Yasane wusste es nicht. Sie hat es nur vermutet. Außerdem hat du ein super Verhältnis zu Nomi. Bei ihr kannst du dann mitreden, wen sie zum Mann bekommt.“ Hen schreckt hoch. An Nomi hat er auch schon gedacht. Seine süße, zarte Tochter muss ja auch irgendwann mal heiraten. Er hofft nur, dass sie nicht auf so einen selbstverliebten Schönling wie Nico hereinfällt, an den er Kara in seiner Jugend verloren hat. Das wäre für ihn echt wie die Hölle auf Erden. So einen will er nicht bei sich im Schloss wohnen haben. Daran will er lieber noch gar nicht denken. Erstmal ist sein Großer dran. Kara, die in der zweiten Reihe hinter den Männern am Fenster steht und zwischen ihnen hindurch schaut, schaltet sich nun besorgt ein: „Hen, deinen Sohn in allen Ehren, aber Nico, wieso freut es dich so, dass unsere Tochter einem Schürzenjäger um den Hals fällt? Er wird ihr doch nur das Herz brechen.“ Nico grinst seine hübsche Frau schelmisch an: „Ach komm schon Kara. Von mir hat man das auch behauptet und ich habe dir das Herz nicht gebrochen...(er schluckt aufgrund einer ganz speziellen unschönen Erinnerung) naja, jedenfalls nicht endgültig. Außerdem ist unsere Siva doch genau so prüde wie du damals. Das kann sie langsam ruhig mal ablegen und ein bisschen Spaß haben.“ Empört widerspricht Kara ihrem Mann: „Sie ist siebzehn!“ Er nickt fröhlich und überhört geflissentlich die Entrüstung seiner Königin. „Eben. Yasane war auch siebzehn, oder Hen?“ Dieser räuspert sich. Das ist kein Thema zu dem er sich äußern möchte. Nico respektiert das. Eine Idee kommt ihm durch den hübschen Kopf geschossen, die er für die beste hält, seit er vor zwei Jahren Schach zu einer Sportart ausrufen ließ. Er liebt es Schachmeistern bei schier endlosen Tournieren zuzusehen. Er selbst würde den Landesmeister natürlich schlagen können, nur leider fehlt ihm die Zeit dazu das zu beweisen. Ein König ist eben immer ziemlich beschäftigt. „Was wäre, wenn wir die beiden Turteltauben auf eine Reise schicken würden. Ein gemeinsames Abenteuer wird sie zusammenschweißen und aus einer anfänglichen Verliebtheit echte Liebe machen. Sie könnten inkognito reisen und sich die beiden Königreiche anschauen. Und stellt euch vor was für eine perfekte Verbindung unserer beiden Königshäuser das wäre! Roshea und Yoken- im Herzen vereint! Yasane würde es lieben. Ich muss ihr gleich schreiben.“ König Hendryk reagiert amüsiert. „Nico, du Träumer. Willst du die Königreiche zusammenlegen, oder wie?“ Die Königin antwortet, nach anfänglicher Skepsis nun doch von der Idee angesteckt: „Hm, ja, warum eigentlich nicht?“ Des Königs Gesichtsausdruck wird ernst, denn diese Idee bringt ihn wieder zu dem anfänglichen Thema, das er mit Hen besprechen wollte. Er wendet sich mit einem sorgenvollen Blick an seinen Freund. „Das weiß ich noch nicht so genau. Hen, mein Freund, du hast es doch auch schon bemerkt. Kara und ich... Wir haben aufgehört zu altern. Ich weiß nicht genau woran es liegt, oder besser ich will es gar nicht wissen, aber wir werden wahrscheinlich ziemlich alt. Kara und ich befürchten, dass Siva den Thron nicht zu deinen Lebzeiten erben wird, falls sie es überhaupt jemals tut.“ Es tut Nico sehr weh diese Vermutung auszusprechen. Kara berührt ihn am Arm, um ihn zu trösten. Unzählige Stunden haben die beiden nun schon über dieses Thema diskutiert. Kara war immer dafür es Yasane und Hendryk zu sagen, doch Nico hielt es bisher für keine so gute Idee, deshalb ist sie überrascht über seine Meinungsänderung. Er wollte die unsinnigen Behauptungen vom göttlichen Blut der Mana-i auf keinen Fall weiterverbreiten, auch wenn seine Auswirkungen, aus Karas Sicht, langsam nicht mehr von der Hand zu weisen sind. Hendryk fragt konsterniert: „Was? Wie alt werdet ihr denn? Sprechen wir hier über hundert Jahre oder mehrere hundert?“ Kara antwortet an Nicos Stelle, der nicht vorhat sich weiter aktiv an diesem Gespräch zu beteiligen. Er glaubt alles gesagt zu haben, was wichtig ist. „Vielleicht auch tausend. Das wissen wir selbst nicht, Hen.“ Hendryk, der gerade einsetzt um eine weitere Frage zu stellen, wird von Nico unterbrochen: „Lass es bitte dabei bewenden, mein Freund. Wir wissen nicht viel und das was wir zu wissen glauben, sind größtenteils pure Spekulationen. Ich wäre dir sehr verbunden es außer deiner Frau Yasane niemandem weiter zu erzählen.“ Hendryk kann nicht nachvollziehen wieso Nico sich so wenig für seine Wurzeln interessiert. Sein fragender Blick an Kara wird von ihr mit einem Kopfschütteln beantwortet. Wenn nur Yasane hier wäre. Sie wäre fähig weitere Informationen aus den beiden heraus zu quetschen, doch das ist sie nicht. Als er an sie denkt, freut er sich plötzlich über sie und ihre neue späte Schwangerschaft. Siva würde doch ohnehin dann zur Frau des Königs von Yoken, was ein Thronfolgeproblem für Roshea nach sich ziehen würde. So gesehen ist es doch gut, dass sie den Thron von Roshea nicht erben wird. So ganz versteht Hendryk das Problem seiner beiden Freunde nicht. Sicherlich wird es sich aber über die Zeit noch aufklären. Kapitel 3: Himmel und Erde -------------------------- Bereits zum Frühstück des nächsten Tages, bei dem die fünf beieinander sitzen, verkündet Nico seinen Vorschlag von der Reise der Kinder durch die Königreiche. Siva ist begeistert von dieser Idee, denn es spielt ihrem Plan, die vier Siegel zu suchen, genau in die Karten. Ihr Wunsch auch Nomi mit dabei zu haben, wird zu ihrem Leidwesen allerdings abgelehnt, was sie nicht so richtig verstehen kann. Wenn ihr Vater etwas entschieden hat, ist es jedoch unmöglich ihn von etwas anderem zu überzeugen. Aiven ist zwar überrascht über die fast schon euphorische Zustimmung Sivas, was er als Kompliment für sich selbst auffasst, hat aber selbstverständlich nichts dagegen einzuwenden mit seiner Angebeteten so lange allein zu sein. Zu seiner großen Freude ist sie nicht mehr so kratzbürstig zu ihm, seit er sie im Kampf besiegt hat. Er glaubt, dass er sie auf einer gemeinsamen Reise definitiv vollständig auf seine Seite bringen kann. Aufgrund des hohen Besuches, wird Siva nun auch offiziell von ihrem Unterricht freigestellt. Sie verbringt ihren Tag mit dem jungen Prinzen. Er weiß genau, dass sie das vor ihrer Niederlage gegen ihn nicht getan hätte. Tatsächlich versucht sie abzuklopfen, ob er ihrem Vorhaben im Wege stehen könnte. Dann müsste sie ihn möglichst schnell loswerden. Wenn er sich jedoch als nützlich erweist, ist sie gern bereit ihn an ihrem Abenteuer teilhaben zu lassen. Sie überredet ihn zu einem Ausflug zu Nalitas Kathedrale. Kurz nach dem Mittag brechen sie auf. Zu Fuß ist sie etwa eine Dreiviertelstunde entfernt, denn sie müssen quer durch die riesige Stadt. Den Weg dort hin zu finden ist einfach. Sie können die ganze Zeit nur der Hauptstraße folgen, denn das Schloss ist mit der Kathedrale verbunden. Die Häuser sind, wie auch das Schloss, aus dem grauen Stein des Bugatgebirges gebaut, der die Hitzte ein wenig davon abhält draußen zu bleiben. Blaue Häuserdächer und blaue Rosheanische Flaggen mit einem Hirsch als Wappentier hängen stolz an vielen der Häuser und vermitteln durch ihre kühlen Farben merkwürdigerweise den Eindruck eines gemäßgiteren Klimas. Dass Flaggen in diesem größenmaß aufgehängt werden wie jetzt, ist eine Entwicklung der letzten zehn bis fünfzehn Jahre. Die Bevölkerung wird unter König Nico immer wohlhabender, da er den Handel mit den Nachbarländern wieder angekurbelt und die Menschen dazu ermutigt hat, innovativer zu sein. Als ein Zeichen, um ihre Zufriedenheit und Anerkennung auszudrücken, sind das Wappentier und die blaue Farbe der Flagge nun allgegenwärtig. Selbstverständlich ist die Prinzessin überall bekannt und sie wird von nahezu der gesamten Bevölkerung freundlich begrüßt: „Einen wunderschönen Guten Tag, Eure Hoheit.“ hören die beiden aus allen Ecken. Es ist anstrengend für sie durch die Stadt zu gehen. Hin und wieder wird Aiven sogar als Prinz von Yoken erkannt, was ihm gut gefällt. Im Gegensatz zu Siva, der ihr Rang völlig egal ist, ist er sehr bedacht darauf und auch ungeheuer stolz auf seine Herkunft. Es mag Frühling sein, aber es ist ein heißer Tag. Die Mittagssonne brennt auf Aivens heller Haut. Vermutlich wird er sich heute einen Sonnenbrand holen. Das ist dem eitlen jungen Mann zwar nicht so recht, doch was würde er nicht alles für einen Ausflug mit der wunderbaren Siva tun? Er bittet sie die Straßenseiten zu wechseln, um etwas mehr Schatten abezubekommen, was ihr auch ganz recht ist. Nach einem etwas belanglosen Gespräch stellt sie ihm nach einiger Zeit nun eine Frage, die sie wirklich interessiert: „Glaubst du an Götter?“ Diese kurze und recht einfache Frage hat es in sich, doch Aiven scheut sich nicht sie zu beantworten: „Mutter hat mir als Kind immer die ‚Antatia Mande‘, die Göttermythologie vorgelesen. Von Klein auf bin ich damit vertraut. Ich glaube daran, dass es die vier Elementargötter wirklich einmal gegeben hat, doch ich glaube auch, dass sie diese Welt verlassen haben.“ „Verlassen?“ Diese Antwort gefällt der intelligenten Prinzessin, doch sie verwundert sie auch. „Wie kommst du darauf?“ „Nun, zu antiken Zeiten hat man häufig von Göttersichtungen berichtet, doch heute ist das nicht mehr der Fall. Ich glaube nicht, dass die alten Quellen lügen. Eher glaube ich, dass sich die Götter aus irgend einem Grund von uns abgewandt haben. Zu der Zeit als die vier Kathedralen erbaut wurden, lebte der Glaube wieder etwas auf und die Menschen behaupteten die wahrhaftigen Götter in den Kathedralen getroffen zu haben. Ich denke ja, dass das nur ein Trick war um den Glauben neu anzufachen.“ Während seiner Erklärung begannen Sivas Augen immer mehr zu leuchten. Sie hat sich bisher nur intensiv mit ihren eigenen Vorfahren befasst, aber nicht mit der Göttermythologie. Davon Aiven an ihrer Seite zu behalten, verspricht sie sich nun nicht mehr nur Schutz, sondern auch echte Hilfe. Erwartungsvoll stellt sie ihre nächste Frage: „Hast du schon einmal etwas von den vier Kalaßer Elementarsiegeln gehört?“ Er nickt selbstbewusst. „Du meinst die vier Juwelen, die in die Reliefs der Kathedralen eingearbeitet wurden? Klar kenne ich die. Was ist denn damit?“ Siva macht ein ernstes Gesicht. Sie sind gerade mitten in der Stadt auf einem Fußweg. Sie packt den jungen Mann am Arm und sieht ihn forsch in eine Seitengasse. „Oh, Siva. Wie stürmisch du auf einmal bist! Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“ stammelt er überrascht. „Psst, halt den Mund“, flüstert sie, „ich möchte nicht, dass uns jemand hört.“ Sie gehen ein kleines Stück weiter in die Gasse hinein, bis das Mädchen denkt, dass man die beiden auf der belebten Hauptstraße nicht mehr hören kann. Dann überrumpelt sie ihn mit immer noch gedämpfter Stimme mit ihrem Anliegen: „Pass jetzt gut auf, Prinz, denn ich werde dir diese Frage nur ein einziges Mal stellen. Ich habe vor alle vier Siegel an mich zu bringen, um das Rätsel meiner Herkunft ein für alle Mal zu lösen. Vielleicht muss ich eines oder mehrere stehlen und vielleicht wird es gefährlich. Ich weiß es nicht. Ich werde diese Sache mit oder ohne dich durchführen. Also, wie sieht es aus? Machst du mit?“ Von der raubeinigen Siva so herrisch angeraunt zu werden, kratzt an seinem Stolz, doch er wird sich nicht die Blöße geben ihr das zu sagen. Wenn er ihr Angebot ablehnt, verliert er jede Chance bei ihr zu landen. Zudem ist es das erste mal, dass sie ihn einläd etwas mit ihr gemeinsam zu unternehmen. Er lächelt sie frech an. „So lieblich wie mich Fräulein Prinzessin um meine Hilfe bittet, kann ich doch unmöglich ablehnen, oder? Ohne mich bist du ohnehin auf verlorenem Posten. Du wirst dich mir noch dankend in die Arme werfen.“ Siva versteht den wenig dezenten Hinweis auf ihr zu forsches Herangehen. Sein letzter Satz hätte trotzdem nicht sein müssen. Da seine Antwort positiv war, wird sie es ausnahmsweise einmal überhören. „Ist angekommen. Danke für deine Hilfe.“ Dass sie einlenkt, bestärkt ihn in seiner Entscheidung. „Ich schlage vor wir reden später darüber was du damit vorhast. Jetzt beraten wir erst einmal wie wir an das Juwel der Erdgöttin kommen. In der Kathedrale der Göttin Ahanani sind ausschließlich unverheiratete, junge Frauen beschäftigt. Glaubst du sie werden es dir als Prinzessin dieses Landes einfach aushändigen?“ Siva lacht kurz auf. „Wohl kaum. Nico würden sie es vielleicht geben, aber mir doch nicht. Es einfach aus dem Relief heraus zu nehmen und damit hinaus zu spazieren, wird aber auch nicht klappen. Am besten sondieren wir erst einmal die Lage.“ Der junge Prinz ist einverstanden und die beiden machen sich wieder auf den Weg. Die Kathedrale steht am Rande der Stadt. Sie ist ein riesiges Bauwerk mit vielen Säulen und einer großen Kuppel. Alle vier Kathedralen wurden im selben Baustil errichtet, nur die Symbole an den Kapitellen der Säulen und den Reliefs der Torbögen unterscheiden sich. Zudem trägt jede Kuppel die Farbe ihres jeweiligen Gottes. Diese hier ist gelb. Die Königskinder betreten die Kathedrale durch das Haupttor. Im Inneren gehen sie an hölzernen Stelen vorbei, welche die attraktive und leicht bekleidete Erdgöttin Ahanani mit offenem, wehendem Haar zeigen. Jede Statue ist einer anderen Pflanze gewidmet. Sie sehen zum Relief hinter dem Altar, in dem eine leere Kerbe ist. Das Juwel fehlt. Eine junge Priesterin in einem kurzen luftigen Seidenkleid und einer Schärpe um den mädchenhaften Körper, kommt freudestrahlend auf die zwei zu. „Willkommen ihr beiden. Schaut ihr euch die Kirche an, weil ihr hier heiraten wollt?“ Siva prustet ungehalten los: „Heiraten? Den?“ Es hallt in dem großen Hauptschiff des Kathedrale wider. Während sie noch lacht, sieht Aiven finster zu ihr hinüber. „Musste das jetzt sein?“ Nach wie vor lachend antwortet sie gar nicht erst, sondern wirft ihm einen erheiterten Blick zu. Die eher verunsicherte junge Priesterin ist erstaunt: „Entschuldigt bitte meine Unhöflichkeit. Womit kann ich euch denn dann dienen?“ Sie fixiert vor allem den ungewöhnlich aussehenden Aiven interessiert. Der junge Mann mit dem eindringlichen Blick lenkt sie von der Prinzessin ab, die sie eigentlich erkennen müsste. Aiven ist auf Zack. Er weiß was es bedeutet, wenn ein Mädchen ihn so ansieht. Sie ist in seinem Bann und er beginnt mit ihr zu flirten. Dass Siva sich so daneben benommen hat, kann er nun zu seinem Vorteil nutzen. „Ich wollte mir so gern das Erdjuwel anschauen. Ich bin extra aus Yoken angereist, um es zu sehen.“ Betroffen antwortet sie: „Es tut mir außerordentlich Leid für dich, aber der Stein wird gerade restauriert und ist nicht öffentlich zugänglich.“ „Dann habe ich die Reise völlig umsonst unternommen? Gibt es denn keine Möglichkeit es wenigstens mal kurz zu sehen?“ Sie schaut traurig zu Boden: „Nein, das geht leider nicht.“ Aiven wittert hier eine einmalige Gelegenheit. Sobald sich der Stein wieder im Relief befindet, ist es unmöglich ihn zu stehlen. Er hat vor das Mädchen so lange zu bezirzen, bis sie ihm sagt wo die Restaurierung durchgeführt wird und sie ihn am besten hin führt. „Was bewegt denn eine so hübsche junge Frau wie dich Priesterin zu werden?“ Das Mädchen wird rot und beginnt zu stammeln. Siva glaubt ihren Ohren nicht zu trauen. Was soll das denn jetzt? Ist es eine Masche von ihm, um weitere Informationen zu kommen, oder ist er wirklich so ein Schwerenöter? Egal wie die Antwort auch aussehen mag, eine Woge von Eifersucht übermannt sie, was ihr analytisches Denken stark beeinträchtigt. Es verschlägt ihr kurz die Sprache. Die Antwort der Priesterin bekommt sie überhaupt nicht mit. Die Prinzessin brodelt geradezu. Es ist schon ein heiteres Flirtgespräch zustande gekommen, als sie endlich etwas heraus bekommt: „A-Aiven, was soll das bitte? Wenn ich euch beiden Turteltäubchen störe, dann kann ich ja auch gehen, oder?“ Der Prinz bleibt in seiner Rolle: „Ok, mach das. Bis später.“ Empört dreht sich Siva von ihm weg und beginnt zu gehen, dabei brabbelt sie: „Ich glaub es ja nicht!“ Als sie weg ist fragt die Priesterin ihren neuen Schwarm: „Wer war das?“ Er winkt ab. „Nur meine Fremdenführerin, nichts weiter. Mach dir keine Sorgen um sie, sonst bekommt dein hübsches Gesicht noch Falten.“ Er weiß nicht genau, ob seine Komplizin ihre Rolle hier einfach nur gut gespielt hat, oder ob sie wirklich eifersüchtig war? Mit beidem wäre er zufrieden. Siva hat nicht vor, vor der Kathedrale auf den liebestollen Prinzen zu warten. Wutentbrannt geht sie nach Hause. Ständig wird sie dabei von freundlichen Bürgern angesprochen, für die sie gerade überhaupt keine Zeit hat. „Hab‘s eilig.“ sind die häufigsten Worte, die sie auf ihrem Rückweg sagen muss. Was hat sie sich nur dabei gedacht ihn in ihren Plan einzuweihen? Glaubte sie, er hätte sich so schnell geändert? Er entspricht genau dem, wie sie ihn die Jahre zuvor eingeschätzt hatte. Der Kuss, seine schmeichelnden Worte, all das sind einfach nur seine Mittel, um Frauen gefügig zu machen und sie ist darauf hereingefallen. Ihre These er bekomme nur Frauen ab, weil er der Prinz sei, wäre damit allerdings widerlegt. Auf halber Wegstrecke kommen ihr Zweifel. Was ist wenn er das nur für sie getan hat, um an das Siegel zu kommen? Sie selbst wäre wohl schon an der ersten Kathedrale gescheitert. Aber trotzdem. So war das Ganze nicht geplant. Sie wollten nur erst mal die Lage sondieren, um dann gemeinsam einen Plan aus zu tüfteln . So oder so fühlt sie sich verletzt. Als selbstlos kann sie seine Tat jedenfalls nicht betrachten. Im Schloss angekommen vermeidet sie jede Begegnung. Ungesehen verschwindet sie in ihrem Zimmer. Es ist gerade einmal früher Nachmittag und sie weiß nichts mit sich anzufangen. Im Versuch sich abzulenken, schnappt sie sich eines ihrer Lehrbücher. Sie nimmt das mit dem aggressivsten Titel den sie finden kann: „Militärstrategie“. Das ist jetzt genau das richtige. Sie schlägt es auf und liest ein paar Seiten, ohne bei der Sache zu sein. Schon Sekunden nach dem sie einen Satz gelesen hat, hat sie ihn wieder vergessen. Einige Seiten beginnt sie bis zu vier mal erneut zu lesen, bevor sie einsieht, dass es nichts bringt. Die Prinzessin schmeißt das Buch frustriert in die Ecke. Warum macht sie es nur so fertig, dass dieser Junge jetzt gerade in diesem Moment mit einer anderen zusammen ist? Es sollte ihr doch eigentlich egal sein. Sie schmeißt sich aufs Bett und wälzt sich hin und her. Es nützt einfach nichts. Sie geht hinaus auf den Übungsplatz, schnappt sich ein Schwert und trainiert ein paar Schwerthiebe. Quenn Beltrus, der Minister des Innern entdeckt die Prinzessin und geht zu ihr. Er hat schon im Nalitischen Schlos gearbeitet, als Nico noch kein Monarch war. Heute sind er und der König gute Freunde. Der etwa vierzigjährige Quenn ist immer noch eine aufgeweckte Frohnatur, die in der Lage ist andere Menschen mit seiner positiven Grundeinstellung anzustecken. Der verbissene Gesichtsausdruck Prinzessin Sivas erweckt in ihm den Wunsch zu helfen. „Prinzessin, was machst du hier so ganz alleine? Ist alles in Ordnung?“ Sie hat gerade überhaupt keine Lust mit irgendjemandem zu sprechen und nimmt kaum von ihm Notiz. „Ja, es ist alles in Ordnung. Ich übe nur ein wenig. Wenn du nicht mein Übungspartner sein möchtest, dann bitte ich dich zu gehen. Ich werde nicht so gern beobachtet.“ Quenn dreht sich um und geht. Siva ist erleichtert, dass ihr wenigstens einer im Schloss ihre Privatsphäre gönnt, doch sie hat sich zu früh gefreut. Mit einem Übungsschwert kommt er zurück. Er hat sein Jackett abgelegt und stellt sich der überraschten jungen Frau gegenüber. „Alles klar, dann wollen wir mal. Ich werde zwar hoffnungslos gegen dich untergehen, Prinzessin, aber es ist wohl ein notwendiges Übel, um mit dir reden zu können.“ Siva brummt anerkennend. Der Übungskampf verläuft so wie Quenn ihn sich vorgestellt hat. Siva zeigt keine Gnade. Der unbewegliche Minister landet dreimal unsanft auf dem Hosenboden. „Tja, drei zu null, würde ich sagen“ verkündet Siva stolz. Ihre Aggression wäre sie damit losgeworden.Irgendwie erleichtert reicht sie Quenn die Hand, um ihm hoch zu helfen. Er scherzt: „Du bist eine richtige Kriegerprinzessin. Pass auf, dass du damit nicht die Männer vergraulst!“ Siva fasst das ganz uns gar nicht als Scherz, sondern vielmehr als Kritik auf und spottet: „Die haben es doch gar nicht anders verdient, so primitiv wie die ticken.“ Der Minister klopft sich den Schmutz von der Kleidung. „Moment mal, Prinzessin, das beleidigt auch mich.“ „Nichts für ungut, Quenn, aber beweise mir doch erst mal das Gegenteil!“ Die Prinzessin ist verzogen wie ein typisches Einzelkind. Ein kleiner oder ein großer Bruder hätten ihr sicher gut getan. Er denkt kurz nach. „Von deinem Vater hast du doch bestimmt eine bessere Meinung, oder?“ Siva holt sein Schwert, das sie bei seiner Entwaffnung ein paar Meter weg geschleudert hat. Muss er jetzt ausgerechnet auf ihn zu sprechen kommen? Sie vermeidet Blickkontakt. „Von Nico?...“ Sie schweigt sich über die Antwort aus, denn der König ist der einzige Mann auf der Welt, dem sie wirklich vertraut. Sie schafft die Übungsschwerter zum Waffenständer, wohin sie ihr Gesprächspartner verfolgt. „Prinzessin Siva, wo ist Prinz Aiven?“ Siva reinigt die Schwerter und stellt sie sorgfältig ab, dabei antwortet sie beiläufig: „Er kommt später nach. Er hatte in der Stadt noch etwas... zu erledigen“ „Der Prinz ist ein guter Junge. Ich mag ihn. Ich glaube der ganze Hof mag ihn.“ Quenn weiß natürlich schon von dem gestrigen Kuss zwischen den beiden, denn es ist DAS Schlossgespräch. Er hat einfach das Gefühl er müsse seiner Prinzessin einen Schubs in die richtige Richtung geben, ihr zeigen, dass sie alle hinter ihr stehen. Kalt wie ein Fisch geht sie auf die Aussage ein: „Das freut mich für den Hof.“ Quenn kommt bei diesem pubertären Mädchen nicht weiter, aber das ist auch nicht schlimm, denn er hat getan was er tun wollte. Sie ihre Aggressionen losgeworden und er seine positiven Worte über den Yokener Prinzen. Natürlich wird er seinem König von diesem Gespräch berichten, er hat sich schließlich ihm verpflichtet und nicht der Prinzessin. Siva geht zurück in ihr Zimmer. Setzt sich ans Fenster und starrt hinaus auf den Innenhof, den Aiven bei seiner Rückkehr passieren muss. Da er auch zum Abendessen noch nicht zurückgekehrt ist, erscheint sie ebenfalls nicht beim Essen. Kara, Nico und auch Hendryk, die Quenns Bericht inzwischen erhalten haben, lassen ihr dieses Verhalten durchgehen. Ihre Eltern sind der Meinung, dass sie sich selbst klar werden muss was sie möchte und ihr niemand dabei helfen kann. Um Aiven Sorgen sie sich nicht, denn Nalitas Straßen sind sicher. An das Schlosspersonal haben sie durchgegeben ihm ausnahmsweise Zutritt zu den Privatgemächern der Königsfamilie zu gestatten. Erst nach Einbruch der Dunkelheit kehrt der junge Prinz zurück. Von einer der Nachtwachen erhält er die Informationen Siva besuchen zu dürfen. Da er vermutet, dass diese Anweisung von der Prinzessin selbst stammt, nimmt er das Angebot gern an. Im Westflügel angekommen klopft er vorsichtig an ihrer Tür. So vorsichtig und überhörbar wie dieses zarte Klopfen war, erwartet sie ihre Mutter hinter der Tür, weshalb sie es mit einem „Herein“ beantwortet. Sie ist bereits nur noch mit einem knappen Nachthemd bekleidet. Niemals hätte sie erwartet, dass Aiven sie hier aufsuchen würde. In ihrem Zimmer brennt nur eine niedrig eingestellt Öllampe, die nur sehr wenig Licht bietet. Noch immer saß sie am Fenster, doch sie hat ihn nicht kommen sehen. Sie muss ihn anscheinend in der Dunkelheit übersehen haben. Geschockt steht sie auf. „Was um alles in der Welt machst du hier?“ Freudig erregt antwortet er: „Ich habe es geschafft, Siva!“ Sie hebt die Augenbrauen. „Was hast du geschafft? Die Priesterin flach zulegen? Na dann herzlichen Glückwunsch!“ Er schließt hastig die Tür hinter sich, als er die Situation begreift und reagiert unüberhörbar enttäuscht. „Hast du denn überhaupt kein Vertrauen in mich?“ Nun zuckt sie mit den Schultern. „Woher auch?“ Er nimmt etwas Schimmerndes aus einer Umhängetasche, die er vorhin noch nicht hatte, wirft es entnervt aufs Bett und verschränkt im Anschluss die Arme. Im schwachen Licht der Öllampe auf ihrem Schreibtisch konnte Siva nicht genau erkennen was es war. Ihr Herz hämmert ihr plötzlich bis zum Hals. Ihre Augen werden riesig und beginnen zu funkeln. Nur langsam traut sie sich hinzugehen. Keinen Ton bekommt sie mehr heraus. Aiven schaut nun von ihr weg und schüttelt den Kopf. „Hast du gedacht ich wäre wegen dem Mädchen dort geblieben?“ Die Prinzessin ist nun nah genug, um das gelbe Siegel der Erdgöttin zu erkennen. Es hat die Form einer Blume oder auch einer Sonne, je nachdem wie man es betrachten möchte. Eine Replik kann es nicht sein. Zweifellos ist es das Original, denn Siva spürt eine merkwürdige Kraft in sich einströmen. Ihre Knie werden weich und sie setzt sich auf das Bett neben das strahlende Juwel. „Was hast du dafür tun müssen?“ Er glaubt einfach nicht was er da hört. „Echt jetzt, Siva. Das ist deine Frage? Wie wäre es mal zur Abwechslung mit einem Dank oder einer Entschuldigung? Gern auch beidem.“ Sie wiederholt es noch einmal lauter, aber diesmal sieht sie ihn dabei an. „Was hast du dafür tun müssen!?“ Ihre Augen sind glasig geworden. Sie meint es ernst, er muss es ihr offenbar wirklich sagen. „Was denkst du denn? Ich habe es mir zeigen lassen, mich bedankt und bin dann nach Einbruch der Dunkelheit in das Haus eingestiegen, um es zu klauen. Die Kriminalitätsrate ist anscheinend so niedrig, dass sich niemand einen Kopf darüber macht so etwas wertvolles vor Diebstahl zu schützen.“ Der Prinzessin laufen inzwischen Tränen über die Wangen. Peinlich berührt vor einem Jungen zu weinen, schluchzt sie: „Das ist alles? Mit der kleinen Priesterin ist nichts gelaufen?“ Auf einmal wird ihm alles klar. Nicht das Symbol steht gerade im Vordergrund, sondern ER. Die Prinzessin war eifersüchtig. Das besänftigt seinen Ärger auf einen Schlag. Er löst die Verschränkung seiner Arme und geht auf sie zu. „Ich wusste nicht, dass du auch weinen kannst, kleiner Drachen.“ Aiven nimmt das Juwel vom Bett und setzt sich, es in der Hand haltend, neben sie. Auf ihn hat es kaum eine Wirkung. Wenn er es hält spürt er ein leichtes Kribbeln, das ist alles. Er sagt sanft zu ihr: „Nun habe ich das Gefühl, dass ich mich entschuldigen müsste.“ Darauf entgegnet sie nichts. Nach einer Weile bittet sie ihn fordernd: „Wenn du mich wirklich magst, dann mach so etwas nie wieder!“ Er lächelt selbstbewusst. „Was denn? Auf Menschen zugehen? Das ist nun mal meine Art, Siva. Das kann ich nicht ablegen. Das Problem ist, dass du mir nicht vertraust.“ „Kannst du-“ sie stockt „Kannst du mir versprechen, dass du keine andere anfasst, solange wir unterwegs sind?“ Ihm fallen gleich mehrere Sprüche ein, die gerade ziemlich unangebracht sind. Er schluckt sie herunter und antwortet ganz gelassen: „Das kann ich.“ Sie lehnt sich an seine Schulter und berührt das auf seinem Schoß in seinen beiden Händen liegende Siegel. Das warme Gefühl durchströmt sie nun vollständig, das sich von dem frischen und freien Gefühl des Windsiegels unterscheidet. Es ist das erste Mal, dass sie eines dieser Juwele direkt berührt. So intensiv hatte sie es sich gar nicht vorgestellt. Dieses hier ist nicht irgend ein Juwel. Es steht für die Erdgöttin Ahanani, die Göttin des Lebens und der Liebe und auch genau das empfindet sie gerade. Anscheinend hat sich in den größten Schwerenöter des ganzen Kontinents verliebt. Sie ist nun aus mehreren Gründen äußerst bereit sich mit ihm in ein Abenteuer zu stürzen. Aiven empfiehlt die Reise möglichst rasch anzutreten. Lange wird es nicht dauern, bis herauskommt dass er das Siegel gestohlen hat. Auch wenn er dem Priestermädchen schöne Dinge ins Ohr gesäuselt hat, was er tun wird, wenn sie nichts von ihm verrät, wird sie nicht lange dicht halten und ihn früher oder später verraten. Sie wollen es gleich am nächsten Tag verkünden und am übernächsten aufbrechen. Die Königskinder verabschieden sich voneinander und gehen zu Bett. Wie geplant äußern sie beim Frühstück am nächsten Morgen vor ihren Eltern ihren Entschluss. Als Bedingung stellen sie ihre Tour selbst durchplanen und ohne Begleitung reisen zu dürfen. Die beiden Könige und die Königin sind nach dem negativen Bericht von Quenn Beltrus, dem Minister des Innern, erleichtert, dass sich ihre Kinder wieder zusammenraufen konnten. Es war anscheinend richtig Aiven Zugang zum Zimmer der Prinzessin zu gewähren und sie stimmen zu. Nico beschleicht seit gestern Nacht ein merkwürdiges Gefühl, dass er sich nicht erklären kann. Irgendetwas hat sich verändert, er kann nur einfach nicht sagen was es ist, weshalb er es für sich behält. Am Abend des letzten Tages vor der offiziellen Abreise muss Siva noch das Windsymbol besorgen. Alles ist bereits vorbereitet. Da die Prinzessin weiß, dass auch ihr Vater die Symbole spüren kann, müssen sie heute Nacht noch aufbrechen. Sie weiß ja schon, dass es im Ostturm liegen muss. Um sich besser konzentrieren zu können und bei ihrer Missionen nicht zu sehr aufzufallen, bittet sie Aiven nicht mitzugehen. Ungesehen schleicht sie in den Ostflügel und steigt den Turm hinauf. Deutlich spürt sie wie sie dem Juwel näher kommt. Wie sie schon weiß befindet sich ganz oben im Turm ein Kerker. Oberst Tom Tomsen vom Rosheanischen Militär hat ihr erzählt hier sei einmal die frühere Königin gefangen gehalten worden. Sie findet diese Vorstellung gruselig und schaudert ein wenig. Klug wie sie ist, hatte sich zuvor einen Schlüssel für das Zimmer in der Spitze des Turms besorgt. Die Tür quietscht unheimlich, als sie sie aufschiebt und der Ton halt im Turm wider. Alle Möbel sind mit Laken abgedeckt, doch der Raum ist unerwartet gemütlich eingerichtet mit allem was man zum Leben benötigt. Sie spürt das Siegel ganz nah vor sich, doch es ist nirgends zu sehen. Sie schaut unterm Bett, den Schränken und in allen Schubladen nach, doch es ist nichts zu sehen. Sie will nicht aufgeben und schließt die Augen, um nachzudenken. Als hätte sie einen sechsten Sinn, nimmt sie bei geschlossenen Augen die Quelle der Energie wahr. Sie geht ihm nach, stößt sich etwas an einer Kommode, flucht kurz und sucht dann weiter. Es muss hinter der Wand versteckt sein. Sie tastet die Steine ab, bis sie einen losen findet, den sie herausziehen kann. Wie vermutet befindet sich dahinter das strahlende Juwel des Windgottes Fuathel, aber auch ein kleines Notizbuch. Sie nimmt beides heraus verschließt das Loch wieder mit dem Stein und die Tür mit dem Schlüssel. Sie wickelt das Windsymbol in ein Laken. Es direkt zu berühren raubt ihr alle Sinne. Auch den Rückweg überwindet sie ungesehen. Zu ihrer großen Erleichterung bemerkt auch König Nico, der bereits im Bett ist, die veränderte Position des Siegels nicht. Sie läuft direkt zu den Pferdeställen, wo Aiven bereits mit fertig gesattelten Pferden auf sie wartet. „Hast du es?“ Sie nickt eilig und treibt ihn an. „Wir müssen los, bevor Nico die Veränderung bemerkt.“ Der Prinz und die Prinzessin machen sich auf nach Deskend, zur Kathedrale des Feuergottes Phantakare. Kapitel 4: Königin Yasanes Feuer -------------------------------- König Nico schläft in dieser Nacht sehr unruhig. Er erwacht schweißgebadet und stellt mit Erschrecken fest, dass sich das Windsiegel von ihm entfernt. Eine böse Vorahnung beschleicht ihn, deshalb wirft sich der nackt schlafende Mann flüchtig einen blauen, seidenen Tagesmantel über und läuft zum Zimmer seiner Tochter. Seine Befürchtungen waren begründet, denn sie ist weg. Die Königin benötitge einen Moment, um wach zu werden. Sie steht nun ebenfalls auf, um nach ihrem Mann zu sehen, der wie aufgescheucht durch den dunklen Westflügel läuft. Nicos nächster Gedanke wandert zum Yokener Prinzen. Er vermutet, dass er ebenfalls verschwunden sein könnte und macht sich eilig auf zu den Gästezimmern. Als ihn an Aivens Tür niemand auf sein Klopfen antwortet, öffnet er sie ungestüm. Wie erwartet ist auch dieses Bett leer. Energisch klopft Nico nun auch an König Hendryks Tür, der aufgrund der Härte der Schläge fast in seinem Bett aufrecht steht. „Was ist denn looos?“ fragt er totmüde. Es ist schließlich mitten in der Nacht. Nico stürmt in sein Zimmer. „Die Kinder sind weg!“ Kara kommt gerade dazu und hört es mit. Gelassen und noch immer im Halbschlaf antwortet Hendryk: „Was ist so schlimm daran? Sie sind eben etwas früher aufgebrochen.“ Nico schnalzt mit der Zunge. Er sieht Kara hinter sich und richtet seine Worte an sie: „Sie haben das Windsiegel mitgenommen. Was will Siva nur damit und wie konnte sie diese Sache so gut vor mir verbergen?“ Kara lächelt ihn sanft an, um ihn zu beruhigen. „Vielleicht wollte sie etwas von zu Hause bei sich tragen. Außerdem hat es doch Vorteile für dich, da du so immer weißt wo sie sich in etwa befindet.“ Ihre verständnisvollen Worte beruhigen ihn ein wenig. „Ja stimmt, das könnte sein. Hätte sie mich gefragt, hätte ich es ihr nie erlaubt und weil sie das weiß, hat sie es einfach heimlich gestohlen.“ Er atmet tief aus und fährt sich nervös durchs Haar. „Ich habe trotzdem ein ungutes Gefühl bei der Sache.“ „Was soll denn schon passieren?“ wirft der immer noch müde Hendryk ein und Kara stimmt ihm zu. „Eben. Lass sie doch ihr Abenteuer erleben!“ Nico lenkt seiner Tochter zu liebe ein. „Vielleicht sehe ich das wirklich einfach zu verbissen. Na gut, ich schicke ihr keine Männer hinterher.“ Die Sache beunruhigt ihn nach wie vor. Er erklärt Hendryk ein paar Dinge, die er über die Symbole preisgeben möchte und bittet ihn den beiden nach Deskend hinterher zu reisen, um vielleicht was über ihr Ziel zu erfahren und ihnen gegebenenfalls den Zugang zum Feuersiegel zu verwehren. Entgegen seinem eigentlichen Wunsch noch eine Woche in Roshea zu bleiben, willigt der yokener König ein. Er reist aufgrund einiger Vorbereitungen allerdings trotzdem erst zwei Tage später ab. Die beiden Königskinder sind die komplette Nacht durchgereist. Wegen der Dunkelheit sind sie aber nur extrem langsam voran gekommen, denn sie mussten den Weg mit Laternen ausleuchten. Zudem haben sie, trotz der langsamen Reisegeschwindigkeit, häufig gerastet. Als es Morgen und langsam hell wird, erkennen sie, dass sie sich nicht sehr weit von der Hauptstadt Nalita weg bewegt haben. Am Tag ließe sich diese Strecke in einer normalen Reisegeschwindigkeit wohl in einer Zeit von drei oder vier Stunden zurücklegen. Die beiden müssen einsehen, dass es sich selbst in bekanntem Gelände wie hier, kein bisschen lohnt nachts zu reisen. Ihre eigene und die Ermüdung der Pferde zwingt sie sich schon am Mittag ein Quartier zu suchen. Wären sie am Tage geritten, dann hätten sie an einem Tag eine größere Strecke bewältigen können, aber es bringt nichts sich zu ärgern. Sie wollten schließlich nicht schnell weit weg kommen, sondern den Überraschungsmoment nutzen, um dem König das Juwel zu entwenden. Kurz vor der Grenze zu Yoken nehmen sie sich ein Zimmer im letzten Rosheanischen Gasthof. Da Siva in der Fremde nicht allein in einem Raum schlafen möchte, nehmen sie sich ein Zweibettzimmer mit einzeln stehenden Betten. Es gibt viele Dinge zu klären und sie möchte sich das Notizbuch näher anschauen. Aiven hat nichts dagegen sich mit ihr ein Zimmer zu teilen. Es überrascht ihn positiv, denn er hat nichts vor ihr zu verbergen, ganz im Gegenteil. Erschöpft setzt sie sich auf ihr quietschendes Bett im kleinen Zimmer des urigen Gasthofes. Es steht direkt unter einem Fenster, aus dem sie gerade hinaus auf die Straße schaut. Sie kann die Grenztürme zu Yoken von hier berreits sehen. „Hätte Nico uns das Militär hinterher geschickt, um die Siegel zurückzuholen, wüssten wir es bereits.“ bemerkt sie. Aiven setzt sich neben seine Freundin auf das schönere Bett des Zimmers. Er hat keine Augen für die Straße, sondern nur für die schöne Prinzessin, was er aber geflissentlich für sich behält. „Zeig mal das Notizbuch, das du gefunden hast!“ Siva zieht es aus ihrer Tasche und schlägt es auf. Auf den ersten Seiten sind Mitschriften und Übersetzungen alter Texte zu finden, welche die beiden erst einmal ignorieren. Weiter hinten finden sie eine Landkarte, die sie nicht zuordnen können, die Zeichnung eines Wandreliefs und am Schluss Skizzen aller vier Kalaßer Elementarsiegel. Die Schrift ist die ihres Vaters, das steht fest. Siva schlägt die Seite auf, auf dem das Relief in der versteckten Höhle zu sehen ist. Vier dunklere Bereiche scheinen Einkerbungen darzustellen, in welche die Siegel passen könnten. Gleich mehrere Inschriften in der Sprache des alten Wüstenvolkes sind darunter zu lesen. Siva übersetzt: „Wörtlich übersetzt steht hier: ‚es lagert alte Kraft von ...Ka-...en‘, das letzte Wort kann ich nicht lesen. Ich denke man übersetzt es so: ‚Hier ruht die uralte Macht von …‘ ich weiß nicht was das heißen soll. Vielleicht finden wir in Nicos Notizen etwas darüber. Hier unten steht noch ‚Ran‘da Mana-i‘, ‚Das Blut der Ewigen‘...“ Aiven sieht gebannt auf die Zeichnung. „Blättere mal um, Siva!“ Auf der folgenden Seite stehen einige Worte geschrieben, die wieder durchgestrichen wurden und ganz unten auf der Seite doppelt unterstrichen ist „RAMON“ zu lesen und darunter das Wort „Wiedererweckung?“. Die Prinzessin haucht völlig gedankenverloren: „Der Ewige König Ramon...“ „Es ist wohl eine Grabstätte.“ stellt Aiven fest. „Aber wozu sind die Siegel? Was versiegeln sie?“ „Vielleicht kannst du den alten Zausel damit wiedererwecken.“ kichert der Prinz amüsiert. „Bah, wie ekelhaft das wäre“ fügt er hinzu. Für Siva ist das keine ekelhafte Vorstellung. Erfreut löst sie ihren Blick vom Notizbuch und strahlt Aiven an: „Dann könnte ich ihn fragen was es mit dem königlichen Blut und den Siegeln auf sich hat. Wäre das nicht wunderbar, Aiven?“ Er rümpft die Nase. „Nicht wirklich.“ Sie steht vom Bett auf und ruft: „Jetzt will ich es auf jeden Fall wissen!“ Aiven ist nicht so richtig davon überzeugt, dass es eine gute Idee ist, eine unbekannte uralte Macht zu erwecken. Er versteht, warum König Nico die Finger davon gelassen hat. Wer will sich in sein friedliches Reich denn freiwillig eine andere und vielleicht konkurrierende Macht holen? Er wird Siva trotzdem weiterhin bei der Umsetzung ihres Plans unterstützen, denn wie das ungestüme Mädchen schon zum Ausdruck gebracht hat, tut sie es mit, oder ohne ihn. Dann will er doch lieber dabei sein. Er hat keine Wahl. Die Reise dauert vier Tage und verläuft größtenteils ereignislos. Die beiden Königskinder geraten gelegentlich aneinander, vertragen sich aber schnell wieder. Kurz vor Yokens Hauptstadt Deskend müssen sie einen Tag Pause einlegen, weil es begonnen hat zu regnen. Sie beschließen bereits am frühen Nachmittag in einem hübschen Landgasthof zu rasten. Die Besitzerin reagiert besonders freundlich auf das junge Paar, fixiert den hübschen Prinzen und wünscht den beiden einen angenehmen Aufenthalt. Das reicht bereits aus, um Sivas Alarmglocken schrillen zu lassen, denn sie reagiert schnell sehr eifersüchtig. Zunächst schluckt sie es anstandshalber hinter, doch auf dem Zimmer weist sie ihn zurecht: „Lass dich nicht so anglotzen!“ Er lacht und antwortet extra besonders provokant: „Was soll ich denn dagegen machen, Siva? Ich bin eben ein Frauenschwarm.“ Sie verdreht versändnislos die Augen. „Selbst die Männer schauen dich an!“ Wieder lacht er und nun etwas lauter. Sie scheint es echt nicht zu kapieren. Er muss sie darauf hinweisen. „Mädchen, ich bin der Kronprinz dieses Landes und wir sind nur einen Reisetag vom königlichen Hof entfernt. Die Leute erkennen mich natürlich. Und außerdem, bist du mal auf die Idee gekommen, dass sie auch dich anschauen könnten?“ Sie setzt sich wie immer auf das schönere Bett von beiden und atmet tief durch. Nach einer kurzen Pause antwortet sie besänftigt: „Oh Mann, tut mir echt leid, Aiven. Ich bin wirklich eine Kratzbürste. Entschuldige bitte.“ Er setzt sich neben sie. „Wenn ich jetzt Kratzbürste zu dir sagen darf, sobald du eine bist, ist es schon vergessen.“ Was sie gar nicht komisch findet. „Ich meine das ernst, Aiven. Wenn ich merke wie du mit anderen Frauen flirtest, denke ich du bist wie früher...dann sehe ich vor mir, wie du im nächsten Moment mit ihnen in einem kleinen Kämmerlein verschwindest und...dann...“ Sie vertraut ihm immer noch nicht und macht ihm so eine Szene, obwohl er ihr keinerlei Anlass dazu gegeben hat. Das macht ihn langsam sauer. Er steht wieder auf. „Ich meine es auch ernst. Was dann, Siva? Was dann? … dann mache ich mit ihnen rum, weil sie zum Prinzen nicht ‚nein‘ sagen können?“ Sie dreht sich peinlich berührt weg. „Sowas in der Art.“ Nun ist er tatsächlich wütend. Das ist etwas besonderes, denn das passiert dem ausgeglichenen jungen Mann nicht sehr oft. „Wie kommst du nur darauf und wieso ‚wie früher‘? Sowas habe ich noch nie gemacht! Noch nie, verstehst du? So bin ich nicht! Wenn ich eine Freundin habe, dann ist es mir auch ernst mit ihr.“ Siva fällt es schwer das zu glauben, denn es widerspricht ihrer Erfahrung mit ihm. „Und wieso hast du dann so offensichtlich in meinem Sichtfeld jeden Sommer immer mit den verschiedensten Mädchen geflirtet?“ „Weil du nie ein vernünftiges Wort mit mir geredet hast, wollte ich dir zeigen, dass man total gut mit mir reden und anhängen kann. Vielleicht war es auch einfach eine Trotzreaktion...keine Ahnung. Ich wollte eben immer schon mit dir befreundet sein, aber du hast mich nur weggestoßen.“ versucht er zu erklären, ohne dabei an die Decke zu gehen. Der Prinzessin entgeht seine Mühe nicht und kommt ihm entgegen. „Das hatte nichts mit dir zu tun. Ich habe mit Jungs im allgemeinen nicht viel geredet.“ „Ach, das hat mir Nomi damals auch gesagt, aber ich wollte dir beweisen, dass es totaler Quatsch ist, deshalb habe ich nicht aufgegeben.“ gibt er zu. Siva sitzt nach vorn gebeugt auf dem Bett. „Ich glaube du hast es damit nur noch schlimmer gemacht.“ Aiven hat sich wieder beruhigt und setzt sich erneut neben sie. „Ich habe es dir schon einmal gesagt und ich sage es gerne wieder: Wenn ich dich sehe, Siva, dann habe ich nur noch Augen für dich. Die anderen sind mir egal. Immer, wenn ich mit einem Mädchen gegangen bin, habe ich die Verbindung zu ihr gelöst, kurz nachdem du zu uns kamst. Im Sommer hatte ich überhaupt noch nie eine Freundin.“ Er denkt nach und fügt dann lachend hinzu. „Das war vielleicht ein bisschen dumm von mir, denn es hat meinen Marktwert bei den Mädels gehoben. Ich meine, es ist ja klar, dass ich mal König werde und deshalb stehen sie auch alle total-“ Siva unterbricht ihn schroff mitten im Satz. „Sei jetzt still...bitte.“ Er zuckt zusammen. Die Prinzessin hat sich aufrecht gesetzt und fixiert ihn mit einem Blick, den er von ihr nicht kennt. Sie steht auf, setzt ihre Hände auf seine Beine und lehnt sich nach vorn. Dann küsst sie den überraschten Aiven so stürmisch auf den Mund, dass er mit ihr gemeinsam nach hinten auf das Bett kippt. Nur zu gern lässt er sich auf die Situation ein und legt seine Arme um sie. Wie er sie so plötzlich für sich gewinnen konnte, ist ihn dabei nicht ganz klar. Auf ihm liegend flüstert sie: „Vielleicht kannst du mir ja jetzt vergeben.“ Er drückt sich nach oben, um ihr als Zustimmung ein Küsschen auf den Mund zu drücken. Darauf sagt sie sanft: „Gut, das reicht mir. Willst du mit mir gehn, Prinz Aiven?“ Er strahlt bis über beide Ohren. „Deshalb bin ich doch hier, du kleiner Wildfang.“ Die Prinzessin kann nicht genau sagen, warum sie dem Prinzen jetzt so spontan nachgegeben hat. Irgendwie kommt ihr das Abenteuer mit ihm gelegen und er ist ein toller Kerl. Der beste, dem sie bisher begnet ist, auf jeden Fall. Ihren Vater muss sie in diesem Vergleich allerdings außen vor lassen, da er unerreichbar ist und das in jedweder Hinsicht. Damit sind nun alle Fronten geklärt, bevor sie im deskender Hof ankommen. Das ist sehr von Vorteil, denn Aivens neugierige Mutter, Königin Yasane, kann ziemlich penetrant nachbohren, wenn etwas nicht klar aufgeklärt wird oder sich ein Sinn für sie nicht erschließt. Dieser Situation können sie nun problemlos aus dem Weg gehen, indem sie ihre Beziehung offen kommunizieren. Nachdem die beiden Kinder am nächsten Tag die großzügig gebaute und wunderschön begrünte Hauptstadt Deskend durchqueren und auf dem Vorplatz des roten Schlosses eintreffen, werden sie schon von Königin Yasane und Prinzessin Nomi in Empfang genommen. Ein Bote war anscheinend schneller als die zwei Reisenden, was bei ihrem Tempo auch kein Kunststück ist. Siva hüpft behände von ihrem Pferd und läuft freudestrahlend zu ihrer besten Freundin Nomi, die sie nun schon über ein halbes Jahr nicht mehr gesehen hat. Sie fallen sich in die Arme und begrüßen sich herzlich, was Aiven ein wenig neidisch werden lässt. Er steigt gemächlich ab und nimmt Sivas und sein Pferd am Zaum, um es noch etwas weiter zu führen. Trocken begrüßt er seine Mutter, was sie nicht hinnehmen will. Die hübsche, erdbeerblonde Königin von Yoken breitet ihre Arme vor ihrem ältesten Sohn aus, als Zeichen, dass er sie endlich umarmen soll. Er ignoriert sie zunächst weitergin, doch sie beginnt mit ihren Armen zu zappeln und nur noch offener und herzlicher zu lächeln, sodass er gar nicht anders kann, als ihr den Wunsch zu erfüllen. Er lässt die Pferde allein stehen, geht ein Stückchen zu ihr, da beginnt sie los zu laufen und ihm um den Hals zu fallen. „Willkommen zurück, mein Großer.“ Er entgegnet etwas peinlich berührt: „Alles gut bei dir?“ und deutet mit einen Blick nach unten auf ihren leicht gewölbten Bauch. Königin Yasane strahlt: „Alles bestens. Und bei dir?“ wobei sie wiederum einen Blick zu Siva wirft, die sich immer noch angeregt mit Nomi unterhält. Er zwinkert seiner Mutter zu, die den dezenten Hinweis deuten kann. Sie wird ganz hibbelig, lässt von ihm ab und unterbricht das endlos erscheinende Begrüßungsritual der beiden Prinzessinnen. „Siva Schätzchen, jetzt bin ich erst mal dran!“ Die Rosheanische Prinzessin entschuldigt sich umgehend, nimmt auch Yasane in den Arm und gratuliert ihr. Aiven schießt durch den Kopf, dass sie sich auch ab und zu so anstandslos bei ihm entschuldigen könnte. Frauen gegenüber verhält sie sich immer so zahm. Wenn Sie bei ihm doch auch so wäre... Die Pferde werden von Sanja, einer Pferdenärrin und Bediensteten des Schlosses abgeholt, während sich die vier auf den Weg in den begrünten Innenhof machen, in dem sie sich im Anschluss alle zusammen auf eine hübsche schmiedeeiserne Gartengarnitur setzen. Prinzessin Siva zeigt brennendes Interesse an der erneuten späten Schwangerschaft der yokener Königin. Sie selbst hat keine kleinen Geschwister und deshalb nur wenig Erfahrung mit Schwangerschaften oder auch Kindern im allgemeinen. Gebannt starrt sie, etwas unhöflich, auf das kleine Büchlein ihrer Gastgeberin, die das zum Glück kein bisschen unangenehm findet. „Möchtest du ihn mal anfassen?“ fragt Yasane verzückt. Siva wird ihr unmögliches Benehmen bewusst, weshalb sie zusammen zuckt. Der ganze Tisch, außer Siva selbst natürlich, bricht darauf hin in Gelächter aus, was ihr unsagbar peinlich ist. Immer noch belustigt kichernd, reicht die schwangere Königin der jungen Frau ihre Hand. „Trau dich ruhig! Nicht so schüchtern. Du brauchst dich nicht zu schämen. Ich habe auch Karas Bauch berührt als sie mit dir schwanger war, weißt du.“ Sie führt Sivas Hand und legt sie auf ihrem Bauch ab. Viel ist nicht zu spüren, denn Yasane hat noch einige Monate vor sich. Gerührt fragt die junge Frau nach den Gründen einer weiteren Schwangerschaft. Völlig hin und weg von der Freude diese Frage gestellt zu bekommen schwärmt Yasane: „Siva, weißt du, ich liebe Kinder. Ihre kleinen Ärmchen und kleinen Beinchen, es ist einfach zu niedlich. Meine beiden sind ja leider schon lange aus dem niedlichen Alter raus.“ „Das wird mal ein total verzogener Nachzügler.“ wirft Aiven zynisch ein, der eher wenig Verständnis dafür aufbringen kann. „Ach, was weißt du denn schon?“ raunt sie verstimmt zurück. „Du hast ja noch keine Kinder und kannst das gar nicht beurteilen.“ Sie wendet ihren Blick wieder ihrer Besucherin zu. „Möchtest du Kinder, Sivalein?“ Durch Nicos Brief, den Yasane vor zwei Tagen erhalten hat, weiß sie schon, dass sich ihr Sohn und die Prinzessin angenähert haben. Aivens positives Zeichen vorhin macht ihr Hoffnung, dass an den Gerüchten durchaus etwas dran sein könnte. Sie möchte mit ihrer forschen Frage sehen, ob sie einen der beiden aus der Reserve locken kann. Der Prinz greift genervt ein: „Pass bloß auf, Siva. Das ist eine Fangfrage.“ Ertappt lächelt Yasane ihren Sohn an, der sie gut zu kennen scheint. Trotzdem ist er voll in ihre Falle getappt. „Seit wann versteht ihr beiden euch denn so gut und Siva-Mäuschen, hast du deine Scheu vor jungen Männern endlich abgelegt? Immerhin scheint es dich gar nicht zu stören, dass Aiven neben dir sitzt.“ Die Rosheanische Prinzessin nimmt vor Schreck einen Keks und steckt ihn sich unüberlegt in den Mund, weshalb Yasane erneut anfangen muss zu lachen. „Haha, das war unangebracht, tut mir Leid.“ Siva kaut eilig und schluckt hinter. Gerade, als Aiven für sie antworten will, schneidet sie ihn ab: „Es war nicht unangebracht, Yasane. Aiven und ich...“ sie greift nach seiner Hand, „...sind jetzt zusammen.“ Nomi, die der belanglosen Unterhaltung bisher nur sporadisch gefolgt ist, sieht nun hektisch zu ihrem Bruder, der ihren Blick stolz erwidert. Yasane ist weniger überrascht über die Aussage, als über ihre Quelle und die unverfängliche Direktheit. „Dann hat Nico ja doch recht gehabt. Ich wollte es ihm nicht gleich glauben.“ Ihr Sohn hat es tatsächlich endlich geschafft bei seiner Angebeteten zu landen. Er wollte sich nie von seiner Mutter in Liebesdingen helfen lassen und hat ihren Rat verschmäht, was auch immer etwas an ihrer Ehre gekratzt hat. Nun hat er es ganz ohne ihre Hilfe geschafft. Sie würde gern wissen wie weit fortgeschritten die Beziehung der beiden schon ist, aber dazu sucht sie lieber Einzelgespräche mit den beiden. Siva versteht das nicht ganz und legt die Stirn in Falten. Sie weiß nicht, dass Aiven und sie bei ihrem Kuss auf dem Übungsplatz beobachtet wurden. Sie dachte die Reise wäre so eine fixe Idee ihres Vaters gewesen, damit sie endlich ihre Abneigung gegenüber anderen Männern ablegt und dieser Junge ihm dazu geeignet erschien. Geschockt schaut sie zu ihrem Freund. „Wurden wir gesehen?“ Ohne darin ein Problem zu sehen, antwortet er: „Keine Ahnung, kann schon sein. Der Übungsplatz ist zu allen Seiten offen und gut einsehbar.“ Siva wird etwas bleich. „Dann hat Nico es also gewusst, als er uns los geschickt hat?“ Er zuckt mit den Schultern. „Ja, vermutlich.“ Wollte er sie absichtlich zusammen bringen? Verbringt Siva vielleicht sogar deshalb jeden Sommer am Deskender Hof? Im Moment traut sie ihm alles zu. Dass Nico sie, sein ein uns alles, so ohne weiteres mit einem anderen verkuppeln möchte, verletzt sie irgendwie. Ihr Vater ist nach wie vor ein Reizthema, an das sie überhaupt nicht denken möchte. Yasane steht auf, denn sie merkt wie unangenehm das Gespräch für Siva gerade geworden ist. Sie berührt die junge Frau am Rücken und bittet sie ein paar Schritte mit ihr zu gehen. Als sie außer Hörreichweite sind, fragt die Königin einfühlsam: „Was ist denn los, Schätzchen?“ Die Prinzessin wartet noch einen Augenblick mit ihrer Antwort, um sicherzustellen, dass Nomi und Aiven sie auf keinen Fall weder hören noch sehen können. „Ist das alles ein abgekartetes Spiel von euch? Hattet ihr schon immer vor uns zu verkuppeln?“ Yasane würde loslachen, wenn sie nicht den Ernst in den Augen ihres Gegenübers erkennen würde. „Ach Herrje, nein Siva. So ist es nicht. Es ist Zufall. Glaube mir bitte. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen sagen, dass es bei den ständigen Besuchen nicht einmal um euch gegangen ist, sondern ganz egoistisch nur um uns selbst. Obwohl wir uns alle so gerne mögen, sehen wir uns so selten. Durch euch, unsere Kinder, konnten wir etwas Wichtiges aus unserem Leben miteinander teilen. Auch für Nico ist das so, glaub mir. Ich wüsste es, wenn es anders wäre und in einer so wichtigen Sache würde ich dich auch niemals anlügen.“ Die junge Frau fühlt sich erleichtert. „Danke, Yasane.“ Diese nickt freundlich und sieht jetzt und hier ihre Chance das etwas angeschlagene Mädchen um ein paar Informationen zu erleichtern. „Warum nennst du deinen Vater neuerdings eigentlich Nico?“ Siva zuckt mit den Schultern. „Weil‘s besser zu ihm passt.“ Yasane vermutet dahinter ein jugendliches Aufbegehren. Die Autorität der Eltern anzuzweifeln ist kein unbekannter Gedankengang für sie, deshalb schließt sie das Thema ab und geht zu einem anderen, aus ihrer Sicht sehr viel spannenderem über. „Ich bin ja zugegebenermaßen schon überrascht, dass du dich jetzt so gut mit Aiven verstehst. Versteh mich bitte nicht falsch. Es freut mich sehr, denn ich weiß schon lange, dass er in dich verschossen ist, auch wenn er es mir nie selbst gesagt hat. Ich würde einfach gerne wissen was deine Meinung geändert hat.“ Das ist schwer zu sagen, denn so ganz genau weiß Siva das selbst nicht. Sie versucht ihre Gedankengänge zu rekonstruieren. „Zunächst einmal hat er mich im Duell geschlagen und sich somit meinen Respekt verdient. Daraufhin habe ich zum ersten Mal begonnen ihm wirklich zuzuhören und dabei festgestellt, dass er gar nicht blöd ist wie ich immer dachte. Oh, Entschuldigung... Naja, und dann hat er mir bei einer Sache geholfen, die mir sehr wichtig ist.“ Yasane nimmt ihr diesen Ausrutscher nicht übel und kichert: „Ich verstehe. Nico hat mir geschrieben, dass ihr eine Reise durch unsere beiden Königreiche machen möchtet. Wo soll es denn hingehen?“ „Vor allem wollen wir uns die vier großen Städte anschauen, aber auch den Berg Bugat. In Nalita waren wir schon, nun ist erstmal noch Deskend dran.“ antwortet das Mädchen wahrheitsgemäß, was die Königin in Verwunderung versetzt. „Aber Nalita und Deskend kennt ihr doch schon. Was genau schaut ihr euch den hier an?“ Siva beginnt zu stammeln. Vielleicht hätte sie lügen sollen, aber nun ist es zu spät und sie antwortet, „Hauptsächlich die Kathedralen“, was Yasane ins Staunen versetzt. „Die Kathedralen also? Interessierst du dich für die vier Götter? Aiven weiß unglaublich viel darüber.“ „Ich weiß. Das ist toll.“ Die junge Prinzessin weiß nicht, ob sie gerade zu viel verraten hat. Aber was soll Aivens Mutter schon mit dieser Information anfangen? Es dürfte eigentlich immer noch alles im grünen Bereich sein. Yasane ist zufrieden mit dem Gespräch und die beiden gehen zurück an den Tisch, an dem sich das Geschwisterpärchen gerade vergnügt unterhält. Siva weiß zwar nicht worüber gesprochen wurde, doch sie vermutet es ging um ihre Beziehung zu ihm. Bis zum Abend sitzen sie noch draußen, bis sie ein aufkommender frischer Wind dazu bewegt, hinein zu gehen. Siva erhält ihr übliches Zimmer, das sich von der Einrichtung her von den anderen Zimmern im Schloss unterscheidet, denn es wurde an ihre Anforderungen angepasst. Ihr Möbelgeschmack unterscheidet sich von der in Yoken üblichen Einrichtung. Das einfach gearbeitete, rote Kirschbaumholz und das rote Gestein engen die anspruchsvolle Prinzessin optisch zu stark ein, weshalb sie sich bereits in früher Kindheit schon filigran verziertes Kalaßer Mobiliar bringen lassen hat, das sie aus ihrer Kinderstube gewohnt ist. Um auch in Ruhe mit ihrem Sohn sprechen zu können, besucht Yasane ihn kurz vor dem Schlafengehen in seinem Zimmer. Er hat sie schon erwartet, denn er kennt seine Mutter gut. Kaum hat sie die Tür hinter sich geschlossen, schießt er freudig erwartungsvoll los: „Hast du sie ausgequetscht? Was hat sie über mich gesagt? Ist sie mega verknallt?“ Grinsend setzt sich seine Mutter an einen runden kleinen Kirschbaumtisch. „Das nicht, aber sie mag dich sehr. Du musst dich noch etwas ins Zeug legen, um sie wirklich für dich zu gewinnen.“ „Verdammt, aber das schaffe ich schon. Wer, wenn nicht ich, oder?“ Da kann Yasane nur zustimmen. Sie ist überzeugt ihr Sohn wird das schon irgendwie schaffen. Er ist die perfekte Mischung aus Hendryk und ihr, deshalb hält sie seinen Charme auch für unwiderstehlich, aber er ist auch ihr eigen Fleisch und Blut und da neigen die Menschen meist zur Überhöhung. Die schöne erdbeerblonde Königin beginnt nun auch bei ihm nachzubohren. „Siva erzählte mir, sie wolle sich hauptsächlich die Kathedralen anschauen. Wieso ausgerechnet die Kathedralen, Aiven? Was gedenkt sie dort zu finden?“ Yasane weiß von der Abstammung Nicos und sie kennt genug mythologische Geschichten, um zu verstehen warum Siva so großes Interesse an den Göttern zeigt, doch sie möchte ihre These bestätigt sehen. Der junge Prinz hingegen will seine Liebste nicht verraten, weshalb er sich entscheidet zu schweigen. Yasane tippt ins Blaue: „Hat es etwas mit ihrer Herkunft zu tun?“ Als er erneut eine Antwort verweigert, rät sie einfach: „Ich bin mir sicher Nico entstammt der Ahnenreihe des Ewigen Königs Ramon. Dieser rühmte sich wiederum zu Lebzeiten aus der direkten Blutlinie des ersten Königs des Kontinents, also dem unsterblichen Sohn Fuathels, zu stammen. Viel Wissen ist über die Jahrtausende verloren gegangen. Seit ich ihn kenne, hat er nicht ein einziges Mal nach den Büchern in meiner Bibliothek gefragt. Dabei besitze ich die größte Sammlung alter Geschichts- und mythologischer Götterbücher der bekannten Welt, inklusive der ältesten erhaltenen Ausgabe der ‚Antatia Mande‘. Niemals hat er sich mit mir über dieses Thema ausgetauscht. Entweder weiß er etwas, oder er will etwas nicht wissen. Das beschäftigt mich schon seit langem. Ehrlich gesagt sieht Siva mir nicht danach aus, als ob sie die Tragweite ihrer Abstimmung bereits verstehen würde. Ich denke Nico wird ihr nicht viel erzählt haben, doch sie ahnt etwas und nun zeigt sie Interesse an den Kathedralen. Mein lieber Aiven, ich bin bereit euch zu helfen, wenn ihr mich lasst, deshalb frage ich dich noch einmal: Was gedenkt sie in den Kathedralen zu finden?“ Er ist völlig perplex von den detaillierten Ausführungen seiner Mutter. Er hat nicht gewusst, dass sie sich schon so viele Gedanken über dieses Thema gemacht hat. Im tiefen Wunsch das richtige für Siva zu tun, antwortet er schließlich: „Sie sucht die vier Siegel...“ Yasane darf sich nicht zu sehr darüber freuen eine Information erhalten zu haben und muss sich konzentrieren, um auf dem Boden zu bleiben. Als junge Frau hätte sie das noch nicht geschafft. Konzentriert fragt sie nach: „Die vier Juwele in den Altarreliefs?“ Er nickt zögerlich. „Ihr sei hier, weil ihr das rote Feuergott Juwel braucht?“ Erneut nickt er zögerlich. Yasane steht auf, strahlt ihren Sohn an und verkündet in einem euphorischen Ton: „Wenn du mir versprichst mir zu berichten was sie mit diesen vier Juwelen herausfindet, dann besorge ich es für euch.“ Nun steht auch er hastig auf. „Das würdest du tun?!“ „So war ich die Königin von Yoken bin. Morgen Nachmittag hast du es.“ Noch immer starrt er seine quietschvergnügte Mutter fassungslos an, die nun auch noch angefangen hat ein wenig auf der Stelle zu tänzeln, was typisch für sie ist, wenn sie sich freut. Manche Menschen werden wohl nie erwachsen, denkt Aiven in diesem Moment. Die beiden haben einen Deal. Der junge Mann hofft, dass Siva ihm nicht böse darüber ist, es seiner Mutter verraten zu haben. Wenn es zielführend ist, so hofft er, wird es schon in Ordnung sein. Beim Frühstück spricht niemand über dieses Thema. Als sich die Königin erhebt und behauptet noch etwas wichtiges zu tun zu haben, zwinkert sie ihrem Sohn zu, was Siva völlig anders versteht als er. Yasane macht sich auf den Weg zur Kathedrale des Feuergottes Phantakare. Die schöne Frau geht durch den Vordereingang hinein, durchschreitet das Hauptschiff entlang mehrerer Stelen, die den muskulösen Feuergott mit verschiedensten geschmiedeten Waffen zeigen. Das rote flammenförmige Siegel befindet sich im Relief der Wand, genau dort wo es hingehört. Links und rechts davor stehen zwei Fackeln, die mit dem ewigen Feuer Phantakares brennen. Die Kathedrale wird von einer Ordensgemeinschaft in Schuss gehalten, die sich vor etwas mehr als zwei Jahrhunderten hier angesiedelt hat. Von einem der Ordensbrüder lässt sie sich zum Prior bringen. Da sich dieser über den hohen Besuch sehr freut, lässt er mit sich verhandeln. Er ist bereit der Adligen das Heiligtum für drei Monate zu überlassen, wenn sie sich für das Bestehen des Mönchsordens einsetzt. Daraus, die Königin hinter sich zu haben, verspricht sich der Prior einen Zulauf von Novizen. Freudig stimmt sie zu, nimmt das rote Juwel an sich und kehrt noch vor der Mittagsstunde ins Schloss zurück, wo sie es heimlich ihrem Sohn überreicht. „In drei Monaten wollen sie es zurück.“ flüstert sie. Aiven ist überrascht wie einfach es geht, wenn er die Hilfe von Erwachsenen in Anspruch nimmt. Drei Monate sollten mehr als genug sein. Direkt nach dem Mittag wollten er und Siva eigentlich in die Kathedrale aufbrechen. Sie erheben sich von ihren Plätzen und gehen ins Freie hinaus. Als sie das Thema anschneidet, meint er angespannt: „Das ist nicht mehr nötig, Siva.“ Bevor sie seine Aussage vollständig verstanden hat, zaubert er das Juwel aus seiner Tasche. Die Prinzessin glaubt kurz, sie könne ihren Augen nicht trauen. „Woher hast du...? Hast du es heute Nacht gestohlen, so wie das Gelbe?“ Er schüttelt den Kopf. „Nein, ich muss dir etwas gestehen. Mutter hat es herausgefunden, aber anstatt mich zurecht zuweisen, hat sie uns geholfen. Bitte sei mir nicht böse deswegen.“ Sie fällt ihm um den Hals vor Freude. „Wie könnte ich dir böse sein? Du hast es geschafft! Uns kann nichts aufhalten, Aiven. Nun finden wir auch noch das verschollene schwarze Siegel. Da bin ich ganz zuversichtlich. Wir haben ja Nicos Aufzeichnungen.“ Dem Prinzen fällt ein Stein vom Herzen. Er wusste absolut nicht wie sie reagieren wird. Er legt seine Arme um sie. Wie von ihm prophezeit hat sie sich ihm an den Hals geworfen. Das zaubert ihn ein zufriedenes, aber auch schelmisches Lächeln auf den Lippen. Umgehend beginnen die beiden ihren Aufbruch nach Aranor zu planen. Auf der Reise werden sie auch an der Festungsstadt Kalaß vorbeikommen, in der sie einen Stopp einlegen werden, um ein paar Hintergrundinformation zu sammeln. Bereits am nächsten Tag brechen sie auf. Sie wollen möglichst wenig Zeit verlieren. Kurz nachdem sie aufgebrochen sind, erreicht König Hendryk, der ihnen von Nico hinterher geschickt wurde, wieder sein Schloss in Deskend. Er ist entspannt in einer Kutsche gereist, die sehr viel länger unterwegs ist als es ein Reiter wäre, deshalb hat er die beiden auch nicht eingeholt, obwohl sie so gebummelt haben. Yasane hatte noch nicht mit ihrem geliebten Gatten gerechnet und freut sich unglaublich wieder mit ihm zusammen sein zu können. Wie frisch verliebt hüpft sie um ihn herum als er eintrifft. Nach der liebevollen Begrüßung, fragt er nach den beiden Königskindern und auch explizit nach den Siegeln. Yasane erklärt ihm, dass sie gerade mit dem Feuersiegel in Richtung Aranor aufgebrochen sind. Ob und welche Siegel sie noch bei sich trugen, kann sie nicht sagen. Hendryk glaubt ihnen hinterher reisen zu müssen. „Nico zählt auf mich.“ Seine liebestolle Ehefrau hält ihn zurück. „Was denkt du, könnten sie mit den glitzernden Steinen denn schon anrichten? Siva ist in Sammellaune, das ist alles. Lass sie doch!“ Er ist unsicher. Immerhin hat sein Freund erzählt man könne mit allen vier Steinen das Gleichgewicht des Landes stören. Richtig erklären wollte er es nicht. Es war etwas nebulös und mysteriös. Schauergeschichten gehören auch eigentlich nicht zu Nicos Geschichtenrepertoire, doch er wollte einfach nicht konkret erklären wo das Problem liegt. Hen ist in Gedanken, als Yasane ergänzt: „Das Wassersiegel werden sie doch sowieso nicht finden, denn sonst wäre es ja wohl kaum verschollen, oder?“ Insgeheim hofft sie tief in ihrem Innern, dass die Kinder Erfolg haben. Hendryk lässt sich überreden bei seiner schwangeren Frau zu bleiben und auch sonst niemanden weiter hinterher zu schicken. Kapitel 5: Schwarzer Mond von Aranor ------------------------------------ Prinzessin Siva und Prinz Aiven nehmen eine andere Route nach Süden, als sie gekommen sind. Diese hier verläuft an der autonom geführten Festungsstadt Kalaß vorbei. Formal gehört diese zum Königreich Roshea, doch sie nimmt einen Sonderstatus innerhalb des Landes ein. Noch immer besitzt sie einen eigenen Staatsaufbau, der aus der Zeit stammt, bevor sich der Stadtrat dazu entschlossen hat, sich Roshea anzuschließen. Die alte Festungsstadt stellt eine Art Überrest des einst mächtigsten Landes des Kontinents dar, nämlich dem Königreich Kalaß, welches der Ewige König Ramon bei seinem Fall mit sich riss. Das amtierende Königspaar Nico und Kara, welches ursprünglich aus dieser Stadt stammt, hat in Kalaß eine Art Ferienvilla, die sie und ihre Tochter jedes Jahr einmal für eine Woche besuchen, deshalb kennt sich Siva auch einigermaßen aus. Wie auch sonst, hat sie selbstbewusst die Führung übernommen. Die zwei Königskinder beschließen etwas länger als einen Tag in der Stadt zu verweilen, um sich etwas auszuruhen. Sechs Tage haben die beiden bis hierher benötigt. Siva, die eigentlich keine Freundin von weiten Reisen ist, beklagt sich in zunehmenden Intervallen über die Langeweile. Aiven hingegen, hat seit Tagen mit einem schweren Muskelkater in den Oberschenkeln zu kämpfen, den er einfach nicht in den Griff bekommt. Direkt hinter dem Kalaßer Eingangsportal und den gigantischen grauen steinernen Festungsmauern, liegt der Markt mit seiner Kathedrale des Windgottes. Anders als in den anderen Gotteshäusern, sind hier keine Abbilder des namensgebenden Gottes zu sehen, sondern nur Windsymbole und Pfaue. Der Pfau ist zudem auch das Wappentier der Festungsstadt und zierte einst die grünen Flaggen des mächtigen Königreiches. Da sie das Siegel dieses Gottes bereits in Besitz haben, lassen sie das imposante Gebäude links liegen und reiten in die schmalen Gassen der Stadt ein. Die meisten Wege müssen sie hintereinander zurücklegen, weil die Straße an einigen Stellen so eng sind. Früher diente diese enge Bauweise wohl der Stadtverteidigung, heute ist sie nur noch lästig. Als sich Siva in einer Straße irrt und diese überraschenderweise von einem der vielen Wasserkanäle geschnitten wird, über den keine Brücke führt, springt sie ungestüm mit ihrem Pferd über das Rinnsal. Aiven, der nicht ganz so abenteuerlustig ist, bleibt nichts anderes übrig, als es ihr gleichzutun. Beim harten aufkommen des Pferdes auf der anderen Seite des Kanals, stöhnt er vor Schmerzen über seinen Muskelkater: „Auaa, verflixt, quäl mich doch nicht so und gib wenigstens zu, dass du dich verfranzt hast!“ Stolz trabt die junge Frau mit ihrem Pferd davon, ohne zu antworten. Sie hat keine Schmerzen und fühlt sich von seinen Worten angegriffen. Sie hat sich nicht verlaufen, auch wenn für ihn alle Straßen gleich aussehen mögen, hat sie die Orientierung nicht verloren. Ihr Ziel ist das Kalaßer Rathaus, wo der Schlüssel für die Ferienvilla verwahrt wird und selbstverständlich weiß sie ganz genau wo es sich befindet. Nur zwei Gässchen weiter erscheint plötzlich das mit Pfauenreliefs verzierte Rathaus auf der linken Seite. Der geschundene Prinz muss sich entschuldigen Siva ein schlechtes Orientierungsvermögen unterstellt zu haben, was in ihren Ohren wie Musik klingt. Sie machen die Pferde vor dem Rathaus fest und treten hinein. Bereits in der Stadt ist die Prinzessin schon einige Male von einigen Bürgern erkannt und ehrfürchtig begrüßt worden und auch hier im Rathaus wird sie sofort angemessen willkommen geheißen. Es dauert nicht lang, bis die alte Farsa Gena, die schon unzählige Jahre im Stadtbetrieb arbeitet, die beiden in der Haupthalle empfängt. Die vollständig ergraute alte Dame ist nicht mehr gut zu Fuß, doch ihr Verstand ist nach wie vor hell wach und sie denkt gar nicht daran sich zur Ruhe zu setzen. Die Stadträtin freut sich ungemein über den überraschenden Besuch. „Die Königskinder, wie wunderbar. Was treibt Euch denn nach Kalaß?“ Respektvoll beantwortet die junge Prinzessin die Frage. „Frau Stadträtin, wir sind nur auf der Durchreise. Würden Sie uns bitte den Schlüssel für die Villa aushändigen, den Sie verwahren? Wir möchten ein paar Tage in der Stadt bleiben.“ „Prinzessin Siva und Prinz Aiven, was für eine erfreuliche Konstellation. Natürlich übergebe ich Euch den Schlüssel sehr gern, eure Hoheit.“ Wo es gerade so gut läuft, traut sich Siva noch eine andere Bitte zu äußern: „Wissen Sie, das hier ist eine Studienreise. Es mag zwar etwas vermessen klingen, aber würden Sie uns bitte Zutritt zu den geheimen Archiven von Kalaß gewähren?“ Überrascht sieht die alte Dame zum Prinzen, dessen Gesichtsausdruck ihrem ähnlich ist. „Natürlich dürft Ihr in die Archive, wenn Ihr eine Erlaubnis vom König bei Euch tragt.“ Siva erwidert ertappt: „Das ist es ja gerade. Wir haben keine.“ Farsa Gena lächelt sanft, aber bestimmt. „Ohne ausdrücklicher Erlaubnis des Königs, darf ich keiner Menschenseele Zutritt zu diesen Räumen gewähren. Es tut mir leid, Eure Hoheit. Wenn Ihr möchtet, werde ich die Genehmigung umgehend beantragen.“ Ein bisschen geschockt von diesem Vorschlag, weicht Siva ein kleines Stück zurück. „Nein, nein, das ist nicht nötig, denn so lange wollen wir uns nicht in der Stadt aufhalten. Vielen Dank, Frau Stadträtin. Aber in der normalen Stadtbibliothek dürfen wir uns doch umsehen, oder?“ „Aber natürlich. Sie steht Euch jederzeit offen.“ Die Königskinder verabschieden sich und gehen die zweihundert Meter bis zur Villa zu Fuß. Um die Pferde hat sich bereits jemand gekümmert. Sivas Ziel war es in den geheimen Archiven etwas über das Ableben des Ewigen Königs Ramon herauszufinden, über das kaum etwas bekannt ist. Wenn es sich bei der mysteriösen Höhle an der Quelle des Lanim wirklich um sein Grab handeln sollte, müssten dann dazu nicht irgendwelche Aufzeichnungen existieren? Siva ist sich sicher, dass es welche geben muss, doch sie vermutet diese in den geheimen Archiven der Stadt und nicht in den öffentlich zugänglichen. Einer Beantragung einer Zugangsberechtigung kann sie jedoch auf keinen Fall zustimmen. Nicht nur, dass ihr Vater ihr diese nicht ausstellen würde, nur für den bloßen Gedanken an die geheimen Schriften würde er sie tadeln, was ihrem Herzen schwere Stiche versetzt. Wie enttäuscht wird er ohnehin schon von ihr sein, weil sie das Windsiegel entwendet hat? Sicherlich weiß er schon Bescheid. Sie weiß um seine Gunst sie bei ihrem Vorhaben gewähren zu lassen, wenngleich sie unter ihrem Verrat sehr zu leiden hat. Andererseits hat er es nicht anders gewollt. Er hätte zur rechten Zeit mit ihr reden sollen. Trotzig entscheidet die junge Frau an ihrem Vorhaben festzuhalten. Mit dem Notizbuch im Gepäck machen sich die beiden Aristokraten gleich am nächsten Tag auf in die Bibliothek, um nach weiteren Fakten zu König Ramon zu suchen. Es dauert nicht lang, bis sie in einem Buch einen Kupferstich vorfinden, der einen Raum in der Tarbasser Festung in Kalaß darstellt. Auf dem Boden des Zimmers ist ein Relief zu sehen, das Aiven bekannt vorkommt. „Das habe ich schon mal gesehen. Zeig mal das Notizbuch, Hübsche!“ Ruft er, an einem Tisch sitzend seiner Freundin zu, die zwei Gänge weiter an einem Bücherregal steht. Niemand anders hält sich im Archiv auf, sodass sie keine Rücksicht zu nehmen brauchen. Das Kosewort überhörend, eilt Siva herbei und schlägt es erfreut über seine Entdeckung auf, um darin zu blättern, bis sie bei einer speziellen Zeichnung von Nico angekommen ist. „Das ist es, dasselbe Relief. Sehr gut gemacht, Aiven. Manchmal bist du ja doch zu etwas nütze.“ Er wehrt sich gegen diese unverschämte Aussage: „Manchmal? Ohne mich hättest du bisher immer noch nur das Windsiegel.“ Sie lacht laut, weil ihre Neckerei funktioniert hat. Dann schaut sie sich ertappt um, da ihr Ausbruch einen lauten Widerhall erzeugt hat. Sie möchte keine Aufmerksamkeit auf sich lenken und dass nach wie vor niemand zu sehen ist, erleichtert die Prinzessin. „Das weiß ich doch, Aiven. Das weiß ich doch. Komm, wir sehen uns das vor Ort an!“ Beschwichtigt willigt er ein. Sie stellen das Buch zurück, verlassen die Bibliothek und gehen, aufgeregt etwas entdeckt zu haben, zu Fuß bis zur alten Tarbasser Festung, die von allen Seiten gut sichtbar auf einem Hügel mitten in der Stadt thront. Nachdem Kalaß vor zwanzig Jahren besetzt worden war, ist die Festung teilweise renoviert und öffentlich zugänglich gemacht worden. Die zwei Königskinder benötigen mehr als eine viertel Stunde, bis sie die Serpentinen des bewaldeten Hügels unterhalb der Festung erreichen und der Aufstieg dauert noch einmal so lang. Die Burg ist inzwischen ein beliebtes Ausflugsziel, weshalb die beiden nicht allein sind. Immer wieder werden Siva und auch manchmal Aiven erkannt, was ihren Gang entschleunigt. Sie durchschreiten das Hauptportal der Festung und treten hinein. Siva erinnert sich an die Geschichten, die ihr in ihrer Kindheit von ihrem Vater über diesen Ort erzählt wurden. Er war als junger Mann beim Rosheanischen Militär in dieser Burg stationiert und hat von hier aus im Alleingang die Besatzung seiner eigenen Königin gestürzt. Wie genau er das angestellt hat, ist dem Mädchen bis heute allerdings ein Rätsel geblieben, da er ihr nie eine wahrhaft plausible Erklärung dafür lieferte. Seine Königin zu verraten ist schon harter Tobak, findet Siva, doch damit nicht genug, ein halbes Jahr später ermordete er sie wahrscheinlich sogar und ließ sich selbst krönen. Was sich genau abgespielt hat, liegt im Schleier seiner Verzerrungen. Selbst für seine Tochter ist er ein mysteriöser Mann. Was wirklich vorgefallen ist, wissen nur er und Kara und zu Sivas Verbitterung, verweist ihre Mutter immer nur auf ihn. Die Prinzessin behält diese Geschichten immer im Hinterkopf, wenn sie mit ihrem Vater verkehrt. So einen Karriereaufstieg erreicht man nicht mit einem so einwandfreien Charakter, wie er ihn zu haben vorgibt. Da Aiven bemerkt, dass sein Mädchen in Gedanken zu schwelgen scheint, übernimmt er die Führung durch die Festung. Er muss nicht lange nach dem Bodenrelief suchen, denn es befindet sich direkt in der Haupthalle. Sie vergleichen Nicos Zeichnung aus der Höhle mit dieser Bodenplatte hier und stellen einige kleine Unterschiede fest. In der Hoffnung, dass eine wichtige Information darunter sein könnte, zeichnet Siva diese Bodenplatte ebenfalls ab. Ganz so begabt wie ihr Vater ist sie zwar nicht, aber es wird reichen. Darauf zu sehen ist der ewige König Ramon in einer Rüstung, welche drei der vier göttlichen Siegel trägt, Wind auf der Brust, Feuer am rechten Arm und Wasser am Linken. Vermutlich wird sich das Erdsiegel auf der Rückseite der Rüstung befinden, die nicht abgebildet ist. Ob es sich dabei um die tatsächlichen Siegel, oder nur Verzierungen handelt, ist dem Relief nicht zu entnehmen. Hierauf sind alle Schriftzeichen zu lesen, die auf der alten Zeichnung nur schemenhaft übertragen wurden: „26. KOENIG VON KALAß † TERA SERIS I“ und „RAMON RANDA MANAI * TERA NIS 4322“. Es unterscheidet sich zudem noch an einer anderen Stelle. Siva glaubt Nico habe den Ewigen König mit einem leicht geöffneten Mund dargestellt, wohingegen er auf dieser Platte vollständig geschlossen ist. Das kann ein kleiner Fehler in der Zeichnung sein, oder eben auch ein Hinweis. Sie versucht das Gesicht so detailliert wie möglich zu übertragen. Sie bleiben noch zwei weitere Tage in Kalaß, können aber zu ihrer Enttäuschung keine weiteren Hinweise finden, weshalb sie am vierten Tag abreisen. Eine hinreichende Begründung für den Fall des Königs konnten sie nirgends aufspüren und Informationen zur Exekution oder dem Bestattungsort des Aristokraten sind ebenfalls nicht offiziell zugänglich. Aber auch wenn sie das Geheimarchiv nicht betreten konnten, sind sie zuversichtlich. Sie benötigen ja nun nur noch das Wassersiegel. Die Reise nach Aranor verläuft weitestgehend problemlos. Aivens Muskelkater hatte genügend Zeit sich zurück zu bilden und Siva hat begonnen während der Reise ohne Unterlass ihre Vermutungen bezüglich des Krieges vor über zweihundert Jahren zwischen Kalaß, Roshea und Yoken zum Besten zu geben. Langweilig wird ihr dadurch jedenfalls nicht mehr. Sie versucht Gründe zu erfinden warum König Ramon in Wahrheit gar nicht an Wahnsinn und Größenwahn litt, sondern einfach nur missverstanden wurde und sich die Welt gegen ihn verschwor, was der Prinz für aus der Luft gegriffen empfindet. Für ihn liegt die Sache klar auf der Hand. Ein König, der glaubt gottgleich zu sein, zieht gegen zwei Länder in den Krieg, um sie von seiner erhabenen Macht zu überzeugen und scheitert, selbstverständlich. Klar, dass sie versucht sich damit selbst zu schützen, da sie aus Ramons Blutlinie stammt. Wer möchte schon von einem Wahnsinnigen abstammen? Weiterhin studieren die wissbegierigen Königskinder Nicos Aufzeichnungen. Laut seinen Aussagen hat sich die Kathedrale im Süden der riesigen Wüstenstadt Aranors befunden. Je weiter die beiden nach Süden vordringen, desto heißer werden die Tage und Nächte. Der warme Wüstenwind sorgt kaum für Abkühlung. Sie werden sich jedoch an die Hitze gewöhnen müssen, denn in diesen Breitengraden werden sie sich noch einige Zeit bewegen müssen. Aiven hat inzwischen etwas Farbe bekommen, was ihm zu seinen fast weißen Haaren sehr gut steht. Als sie am vierten Tag in die belebte Stadt Aranor einreisen, fällt er allerdings sehr auf. Nicht nur seine hellen Haare, die gleißend in der Sonne erstrahlen, sondern auch seine hellen Augen kennzeichnen ihn als Ausländer. Da die Königskinder auf den Spuren der Kathedrale in die stark bevölkerte Altstadt von Aranor müssen, kaufen sie ihm ein dunkles Tuch, das sie ihm wie eine Kapuze über die Haare legen. Ganz zufrieden ist er damit nicht, denn er verbirgt sein Gesicht nicht gern, doch nun kann er sich wenigstens etwas freier bewegen, ohne von allen gemustert zu werden, was vor allem auch für Siva eine Erleichterung darstellt. Die Altstadt liegt im Süden Aranors und grenzt weder an den Trinkwassersee Lanima, oder den Umschlaghafen noch an die Handelsrouten in den Norden, was sie zum ärmsten Viertel der Stadt macht. Die wird dominiert von einfachen zweistöckigen Steinhäusern und Baracken, die sich entlang vieler schmaler Straßen aufreihen. So reich die neueren Stadtteile auch sein mögen, in diesem hier kommt davon anscheinend nicht viel an, findet Siva. In ihren Augen leben die Menschen hier äußerst bescheiden und ärmlich. Warum tut ihr Vater nichts dagegen? Er hat doch viele Jahre seines Lebens hier verbracht und sollte von den Zuständen in der Altstadt wissen. Die Straßen sind staubig vom Sand der nahen Wüste. Die Hitze ist bereits jetzt im späten Frühjahr schon schwer erträglich, aber die Menschen scheinen sich damit arrangiert zu haben. Viele sind recht freizügig unterwegs, andere ziehen es vor ihre Haut vor der Sonne vollständig zu schützen. Vor allem junge Menschen neigen dazu eher weniger zu tragen, was der Prinz nicht uninteressant findet. Auch wenn er sein Traummädchen bereits gefunden hat, schaut er sich trotzdem gern die braun gebrannten aranoischen Mädchen an. Immer wieder begegnen den beiden bettelnde Menschen an den Straßenrändern, die ihre Hand für eine Gabe aufhalten. So etwas hat Siva in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen. Jedem von ihnen gibt sie etwas Geld. Sie beobachtet, wie einige Bettler von Rosheanischen Soldaten vertrieben werden, was die normale Bevölkerung überhaupt nicht zu stören scheint. Die junge Frau kann das nicht verstehen. Warum wird den Armen nicht geholfen? Die anderen Menschen bedanken sich im Anschluss auch noch bei den Soldaten und grüßen sie freundlich. Es ist nicht so, dass sie Mitleid hätte, aber sie sieht es als Unrecht an. Aiven hat weniger Probleme mit den angeblich prekären Zuständen, als damit, dass Siva das ganze Geld an Fremde verteilt. „Gib ihnen doch wenigstens nur etwas Kuper und nicht unsere Silberstücke!“ gibt er besorgt zu bedenken. „Wenn du so weiter machst, bekommen sie die paar Goldstücke, die wir noch haben.“ antwortet sie giftig und fügt hinzu: „Siehst du dieses Unrecht nicht? Sollten sich Menschen nicht untereinander helfen?“ Er zuckt mit den Schultern. „Ehrlich gesagt nicht. Wenn das hier das ärmste Viertel sein soll, dann bin ich wirklich positiv überrascht. Alle scheinen einer Beschäftigung nachzugehen und kaum jemand lungert auf der Straße herum. Ich glaube fast, dass diese Bettler nur keine Lust haben ehrlich zu arbeiten. Das finde ich ungerecht.“ Die Prinzessin ist gar nicht begeistert von Aivens Pragmatismus, weshalb sie seine Antwort ignoriert und in strengem Ton einen der Soldaten zu sich befehligt, der gerade den Bettler vertrieben hat. „Hey Feldwebel, kommen Sie mal kurz zu mir!“ Aiven greift sich bestürzt an die Stirn. Das Prinzesschen führt sich auf als sei sie noch im Schloss von Nalita und hätte eine Weisungsbefugnis für die Männer. Überrascht folgt der Soldat der Anweisung des Mädchens. Freundlich, aber nicht unterwürfig fragt er: „Gibt es ein Problem, junge Frau?“ Sie stemmt ihre Arme in die Hüften und baut sich vor ihm auf. „Ja, das gibt es, Feldwebel. Was denken Sie sich dabei diesen armen Mann von der Straße zu jagen?“ Der Soldat kann nicht an sich halten und beginnt zu lachen. „Sie sind wohl neu hier, junges Fräulein?“ Aiven schämt sich für seine Begleitung. Er will die Hand gar nicht wieder vor den Augen wegnehmen. Immer noch genau so selbstgefällig bleibt Siva vor dem lachenden Soldaten stehen, ohne auch nur den kleinsten Muskel zu bewegen. „Ich wüsste nicht was Sie das angeht. Erklären Sie sich!“ befiehlt sie hart. Der Feldwebel braucht einen Moment, um sich wieder zu beruhigen. Dieses Kind ist einfach zu komisch. Es hat sich inzwischen eine kleine Traube um die beiden gebildet, weshalb er an sie heran tritt und mit seiner Hand ihren Rücken berührt, um sie von der belebten Straße zu führen. Immer noch etwas kichernd sagt er sanft zu ihr: „Kommen Sie etwas an den Straßenrand, damit wir die Menschen nicht bei ihrer Arbeit behindern. Dann erkläre ich Ihnen alles in Ruhe.“ Für Aiven ist dies das Stichwort zu ihr aufzuschließen. Er gesellt sich zu den beiden. Sie wütet: „Zum Glück habe ich dem armen Mann zwei Silberstücke gegeben, bevor Sie Rüpel ihn verjagt haben. Ein gutes und gerechtes Königreich sollte für alle Menschen gleichermaßen da sein.“ Nun völlig gefasst und entspannt antwortet der junge Feldwebel: „Das hätten Sie nicht tun sollen, denn das bestärkt ihn nur in seiner fehlgeleiteten Ansicht. Menschen wie er zerstören das Selbstverständnis der Bürger von Arbeit und Entlohnung. Wenn er zwei gesunde Hände hat, dann kann er auch etwas leisten.“ Aiven grinst die empörte Prinzessin an. „Es ist wie ich es gesagt habe. Hör auf den Mann!“ Sie baut sich nun vor den beiden jungen Männern auf. „Jetzt hört ihr beide mir mal schön zu! Dass hier Menschen diskriminiert werden und es keinen zu interessieren scheint, ist ein Armutszeugnis für ganz Roshea!“ Der Soldat hebt beschwichtigend die Hand. „Jetzt mal langsam, junges Fräulein. Hier wird keiner diskriminiert, denn-“ Sie schneidet ihm das Wort ab. „Von wem haben Sie überhaupt die Erlaubnis so etwas zu tun?“ Perplex antwortet er: „Die Anweisung stammt vom König.“ Siva weicht zurück. Von Nico höchst persönlich? Seit wann ist er denn ein Menschenfeind, der Klassengesellschaften duldet? Endlich ist sie bereit zuzuhören, sodass der Feldwebel seine Erklärungen ausführen kann. „Der König hat die Armut hier in der Stadt fast vollständig besiegt. Ich stamme von hier, bin in ärmsten Verhältnissen aufgewachsen. In diesem Stadtviertel gab es manchmal kaum noch Wasser oder etwas essbares. Meine Familie hatte nichts, keine Arbeit, kein Geld. Mit Unterstützung von Hilfstruppen wurden Wasserläufe hierher verlegt und Brunnen gegraben. Der König hat die Menschen ohne Arbeit dazu aufgefordert dabei zu helfen die Stadt wieder aufzubauen, hat Lehrmeister aus den anderen Stadtteilen hier her beordert, um uns Berufe zu Schulen und so weiter. Er hat den Handel mit anderen Stadtteilen und der Welt da draußen aufleben lassen. Das alles hat viele Jahre gedauert, doch heute sind wir kein verarmter Slum mehr. Wir sind stolze Bürger Aranors. Jeder von uns trägt einen Teil dazu bei diese Stadt noch ein bisschen schöner und gerechter zu machen. Die einzigen, die dies nicht tun, die nicht bereit sind den Aufbau der Stadt zu unterstützen, sind diese Bettler. Sie sind Feinde des Königs. Sprechen Sie sie darauf an, wenn Sie mir nicht glauben, junges Fräulein! Diese Halunken können froh sein, dass wir sie nur vertreiben und nicht einsperren.“ Sie ist etwas beschwichtigt, denn das klingt schon eher nach ihrem Vater, in den sie so großes Vertrauen hegt. „In Ordnung, Feldwebel. Ich werde Ihre Aussage überprüfen. Sie dürfen wegtreten.“ Kichernd den Kopf schüttelnd hebt er die Hand als Abschiedsgruß. „Tun Sie das.“ Ihm ist klar, dass es sich bei dem Mädchen nur um einen verzogenen Adelsspross handeln kann, was ihn überaus amüsiert. Nachdem er verschwunden ist, packt Aiven die junge Frau an den Schultern. „Siva, du bist hier nicht im Schloss von Nalita. Es wäre schön du würdest dich etwas mäßigen und dich wie eine normale Bürgerin verhalten. Wenn es dein Ziel ist, aufzufallen, dann kann ich das Tuch um meinen Kopf auch wieder abnehmen. Es ist nämlich ganz schön warm darunter.“ Anstatt einzulenken, schimpft sie: „Du hättest mich ruhig auch mal ein wenig unterstützen können.“ Er kichert so ähnlich, wie es der Soldat zuvor getan hat und tätschelt dabei ihren Kopf. „Fehlgeleiteten Dickköpfen sollte man nicht im Weg stehen. Ich hätte dir schon geholfen, wenn es notwendig gewesen wäre.“ Sie schnalzt mit der Zunge. Auf ihrer Suche nach den Überresten der Kathedrale, werden sie schon noch einen weiteren Bettler finden, den sie befragen kann. Erst einen Tag später wird sie fündig. Die Soldaten haben anscheinend ganze Arbeit geleistet. Die Person in der Kutte sitzt, seine Hand aufhaltend, an einer schattigen Häuserwand auf der Hauptstraße. Anstatt dem Bettler, etwas zu geben, setzt sich die Prinzessin zu ihm. Sie sieht unter seine Kapuze und erkennt einen Mann mit scharfem Blick. Er ist Mitte fünfzig und macht keinen ärmlichen oder ausgehungerten Eindruck. Selbstbewusst spricht sie ihn an: „Dürfte ich fragen, warum Sie betteln und nicht arbeiten gehen?“ Er rückt ein Stück von ihr weg und hält ihr, die Frage ignorierend, vehement seine Hand entgegen. „Ich bitte um eine Spende.“ Aiven setzt sich auf die andere Seite neben den Unbekannten, der sich nun bedrängt fühlt. Nach wie vor freundlich, stellt ihm Siva eine weitere Frage: „Für welchen Zweck sammeln Sie denn?“ „Meine Frau und meine drei Kinder.“ antwortet der Mann knapp, was der Prinzessin als Antwort noch nicht ausreicht. „Aber warum gehen Sie denn nicht arbeiten wie alle anderen in der Stadt? Sie können doch arbeiten, oder?“ Als hätte er ihre Frage ein weiteres Mal nicht verstanden, gibt er nichts weiter von sich Preis. „Ich bitte Sie, gute Frau. Helfen Sie mir und meiner Familie.“ Da Sivas Taktik nicht funktioniert, probiert Aiven eine andere aus. „Mein Herr, lassen Sie mich erklären, was mein Mädchen von Ihnen hören will. Wir beide entstammen dem Adel, der unter der verlogenen Herrschaft des Königs sein Ansehen verloren hat. Wir hörten es gäbe hier in Aranor eine Bewegung gegen ihn, die wir gern finanziell unterstützen würden. Sind wir nun bei Ihnen richtig oder nicht?“ Der Mann in der Kutte hebt seinen Kopf nicht in Richtung des jungen Mannes der ihn gerade angesprochen hat, sondern in die Richtung des Mädchens. Wenn er gelogen hat, dann wird es sich in ihrem Gesicht abzeichnen. Siva mag innerlich zerrissen über die Aussage Aivens sein, doch bereits in jungen Jahren hat sie es gelernt ihre Gesichtszüge zu kontrollieren. Sie nickt dem Mann entschlossen zu. Auch wenn er keine Lüge in ihren Augen erkennen kann, so antwortet er: „Dann lasst euer Geld hier und verschwindet!“ Er weiß nichts von einer weiteren Gönnerfamilie und die beiden sind ihm suspekt. Der Prinz steht auf. „Einem Handlanger wie dir übergeben wir unser Vermögen nicht. Komm, meine Liebe, wir gehen.“ Sie tut es ihm gleich und die beiden wenden sich ab, um zu gehen. „Ich werde eure Aussage prüfen, Kinder.“ Dem Bettler den Rücken zugedreht, hebt Aiven die Hand zum Abschied. Sie gehen ein paar Straßen weiter, bevor Siva den Prinzen am Arm packt und ihn an eine Häuserwand drückt. „Oh Siva, schon wieder so ein Überfall“ grinst er. Schien sie doch bis eben noch so gefasst, so wütet sie nun los: „Bist du von Sinnen? Der Typ prüft jetzt wer wir sind.“ Der junge Prinz kräuselt die Lippen. „Das ist zugegebenermaßen ungünstig.“ „Kannst du nicht wenigstens ein einziges mal denken, bevor du handelst? Wir müssen umgehend die Kathedrale finden, das Sigel nehmen und dann schleunigst von hier verschwinden!“ Er atmet schwer aus. „Verdammt, du hast recht. Tut mir leid.“ „Ich weiß, dass ich recht habe, aber das hilft uns jetzt nicht weiter. Wir müssen uns beeilen.“ Siva bindet sich nun auch ein Tuch um den Kopf, um nicht so schnell wiedererkannt zu werden. Nur wenige Straßen weiter, in einer weniger besuchten Gasse, finden sie die Ruinen der Kathedrale. Sie ist etwa zur Hälfte eingestürzt. Die Trümmerteile wurden bereits für neue Häuser verwendet. Alles was aus eigener Kraft noch steht, wurde jedoch ehrfürchtig so belassen. Zwei große Säulen ragen aus der Ruine empor. Die Rückwand mit dem Relief, auf dem eine anmutige Wassergöttin zu sehen ist, ist teilweise noch erhalten. Siva hält ihre Hand empor, hinauf zu einer sichelförmigen Kerbe. Die beiden wundern sich nicht, dass das Juwel aus dieser offen liegenden Wand entfernt wurde. Mehrere Stunden suchen sie das Gelände erfolglos ab. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es schon vor vielen Jahrzehnten entfernt worden. Gebrochen setzen sich die beiden, ohne auch nur den kleinsten Hinweis erhalten zu haben, auf die Eingangsstufen. In ihrem Rücken befindet die große Freifläche der Ruine der Wasserkathedrale. Konsterniert schaut Siva im Kartenmaterial des Notizbuchs nach, das ihr jetzt auch nicht weiterhilft. Nico hatte das schwarze Siegel niemals gefunden und seine Aufzeichnungen werden ihr nicht verraten wo es jetzt ist. Sie blättert zu der Seite, auf der er das Siegel skizziert hat. „Schwarzer Mond von Aranor“ ist dort zu lesen. Das deutet wohl auf die halbmondform des schwarzen Juwels hin. Siva findet eigentlich, dass Nicos Zeichnung eher einem Fisch ähnlich sieht, denn ein Mond hat schließlich keine Schuppen, aber sei es drum. Die beiden starren angestrengt auf das Papier, denn irgendetwas haben sie vielleicht übersehen...irgendeinen Hinweis auf den Verbleib..., als ihnen ein Schatten das Licht raubt. Sie sehen verwundert nach oben. Ein offenbar sehr alter, graubärtiger Mann hat sich überraschend von hinten über die beiden gebeugt, um einen Blick auf die Zeichnung werfen zu können. „Was sucht ihr zwei Hübschen denn? Vielleicht kann euch ein alter Mann wie ich, der schon so lange in dieser Stadt lebt wie er denken kann, behilflich sein? Was habt ihr da? Wollt ihr es mir zeigen?“ Die Stimme des Alten klingt rau, doch sie hat den Rest einer Jugendlichkeit erhalten. Siva will das Notizbuch auf keinen Fall aus den Händen geben. Sie dreht sich zu dem alten, etwas verwahrlost aussehenden Zausel um und hält ihm das Büchlein entgegen. Seinen Gesichtsausdruck kann sie nicht erkennen, er hat seinen Hut so weit ins Gesicht gezogen, dass sie seine Augen nicht sehen kann und sein Bart verschleiert seine rechtliche Mimik. Sie kann nur versuchen seinen Tonfall zu deuten. „Das ist aber eine schöne Arbeit. Sucht ihr diesen Gegenstand? Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen. Tja, tut mir leid, Kinder. Ich kann euch anscheinend doch nicht helfen.“ Er löst seinen Blick, lacht verlegen und verschwindet dann so schnell wie er gekommen ist. „Was war das denn für einer?“ scherzt die Prinzessin abschätzig. Sie will das Buch zurück in ihre Umhängetasche tun, als sie bemerkt, dass diese weg ist. Unvermittelt schreit sie los: „Sie ist weg, Aiven! Hast du deine Umhängetasche noch?“ Ihm bleibt fast das Herz stehen, als er danach greift. Seine ist auch weg. Das Schlimme an der Sache ist, dass sich in diesen beiden Taschen alle drei Siegel befanden. „Der Alte von eben, er- er war ein Dieb!“ stammelt er fassungslos. „Siva, es tut mir so Leid, dass ich es nicht bemerkt habe!“ Sie stehen beide unter Schock. Die Siegel sind weg und die beiden Kinder werden aller Wahrscheinlichkeit nach von einer Untergrundorganisation gesucht. Auf offener Straße wollen sie sich erst mal lieber nicht mehr blicken lassen. Aber was sollen sie nur tun? Siva ist den Tränen nahe, weshalb sie die Augen schließt, doch unmittelbar reißt sie sie wieder auf. „Aiven, wie blöd bin ich eigentlich? Ich kann doch das Windsiegel spüren. Wir brauchen nur meinem Gespür zu folgen.“ Aber natürlich. Er greift sich an den Kopf und entgegnet euphorisch: „Also dann, leg los, mein kleines Trüffelschweinchen!“, was sie nicht so lustig findet und ihm dafür einen Schlag auf den Arm verpasst. Die beiden folgen Sivas sechstem Sinn in eine unbelebte Straße, zu einem äußerst suspekten kleinen Laden, zu welchem man ein paar Stufen in das Subterrain gehen muss. Vorsichtig betreten sie ihn. Wertsachen aller Art liegen hier zu Spottpreisen verstreut und ungeordnet in mehrstufigen Regalen. Dieses Geschäft schreit doch förmlich das Wort „Diebesgut“. Ein Glöckchen klingelt, als sie die Tür hinter sich schließen. Durch eine weitere Tür hinter dem Tresen betritt ein junger, dunkelhaariger Mann den Raum, der kurz innehält und die beiden dann überzogen freundlich begrüßt: „Willkommen, die Herrschaften. Womit kann ich denn dienen? Ich habe allen möglichen Tinnef, Accessoires und Souvenirs im Angebot. Sie sehen aus als wären Sie nicht von hier. Bringen Sie Ihren Lieben zu Hause doch etwas typisch Aranoisches mit. Sie haben Glück, denn heute ist alles im Ausverkauf und alles kostet nur die Hälfte.“ Dass der junge Mann ein Schlitzohr ist, erkennen die beiden nicht nur an dem kleinen fehlenden Stück in seiner Ohrmuschel. Sein freches Gesicht tut sein übriges, zumal die beiden schon wissen, dass sich die Symbole in diesem Haus befinden müssen. Aiven hat keine Lust ein Verkaufsgespräch zu heucheln. „Wo ist der alte Zausel?“ Der schlitzohrige junge Mann stellt sich dumm: „Welcher alte Zausel denn? -“ Der Prinz hat nicht die Geduld sich diese Lügen anzuhören. Er packt den jungen Verkäufer über den Tresen hinweg am Kragen und zieht ihn zu sich heran, der als Antwort darauf verlegen lacht: „Ach, du meinst Großvater! Ja, der ist tatsächlich hier. Wie unhöflich ihn ‚Zausel‘ zu nennen. ‚Alt‘ ist er hingegen, das kann ich nicht leugnen. Ich gehe ihn holen, in Ordnung?“ „Vergiss es! Du bleibst schön hier! Ruf ihn her!“ raunt Aiven verständnislos. „Schon gut, mein Freund.“ entgegnet der Verkäufer kleinlaut, dann ruft er: „Opa, hier sind zwei junge Leute, die dich sehen wollen...Oooopaa!“ Er wendet sich an den Prinzen, der ihn immer noch am Kragen gepackt hält und kichert: „Er ist schwerhörig, tut mir leid. Lass mich bitte los, lieber Freund, damit ich ihn lauter rufen kann. Du schnürst mir die Luft ab.“ Aiven macht einen Kontrollblick zu Siva, die ihm widerwillig zunickt. Er lässt den Verkäufer los, der nun nicht mehr auf seinen Zehenspitzen, halb über den Tresen gezogen, balancieren muss, was ihn erleichtert durchatmen lässt. Er trägt einen schwarzen Schal, an den er sich jetzt fasst. Lauter als zuvor ruft er: „OPA, BESUCH FÜR DICH!“ Aus dem Zimmer hinter dem Tresen scheint die Antwort von einer Stimme zu kommen, die zu dem Alten passen würde. „Wie schön, schicke ihn zu mir herein.“ Der eingeschüchterte Verkäufer bittet die beiden hinter den Tresen. Siva hebt die Augenbrauen, folgt dieser Bitte jedoch und Aiven tut es ihr gleich. Sie betreten den unordentlichen Raum, der wiederum nur zu einem anderen noch unaufgeräumteren Raum führt. Die Prinzessin dreht sich um, doch plötzlich ist der freche junge Mann verschwunden, dabei war er gerade noch hinter Aiven. „Wo ist er?“ faucht sie. Aiven kann sich das auch nicht erklären. Aus dem Raum vor ihnen hören sie eine zittrige Stimme: „Kommt doch herein!“ Siva geht voran, wohingegen sich Aiven noch einmal im Verkaufsraum des kleinen Ladens umschaut. Von dem Verkäufer ist keine Spur mehr zu sehen. Tatsächlich sitzt im zweiten Hinterzimmer der alte bärtige Mann, den sie vorhin auf der Straße getroffen haben. Sie werden begrüßt von einem freundlichen: „Ach, ihr seid es wieder, wie schön. Möchtet ihr vielleicht etwas von meinen Enkel kaufen. Die Preise sind gut und -“ Siva unterbricht ihn: „Wir haben dich durchschaut, alter Mann. Wir wollen wieder haben, was du uns gestohlen hast.“ Der Alte stottert geschockt: „Was für ein amüsanter Scherz. Wie soll ein Greis wie ich euch junge Leute denn bestehlen?“ Siva schließt die Augen für ein Moment und zeigt dann mit ihrem Zeigefinger in Richtung eines Schrankes. Aiven folgt ihrem Fingerzeig, öffnet den Schrank und findet darin die beiden gestohlenen Umhängetaschen, die er herausnimmt und dann gut sichtbar baumeln lässt. Der Alte hüstelt in seinen Bart: „Na sowas! Wie kommen die denn da hin?“ Geduldlos antwortet Siva: „Stell dich du nicht auch noch dumm, Alterchen. Wir haben dich der Tat überführt. Wir nehmen uns zurück, was uns gehört. Wag es nie wieder uns zu bestehlen!“ Der Alte sieht ihnen geschockt dabei zu, wie sie ihm den Rücken zuwenden und bleibt stumm. Sie gehen durch die beiden Zimmer wieder aus dem düsteren kleinen Laden hinaus und sind tief erleichtert. „Zum Glück haben wir sie zurück.“ haucht Siva ein paar Schritte vom Geschäft entfernt, als ihnen der schlitzohrige junge Verkäufer plötzlich selbstsicher hinterher ruft: „Sucht ihr vielleicht das hier?“ Er wedelt mit etwas in seiner Hand herum. Die beiden Königskinder können ihren Augen nicht trauen. Was dieser Diebeskomplize da in der Hand hält, ist nichts anderes als das Wassersiegel oder zumindest eine Replik davon. Sivas Gespür wird von der Stärke der anderen drei Siegel so gestört, dass es ihr schwer fällt dieses einzeln auszumachen. Sie ist sich nicht sicher, ob es echt ist. Das kann sie nur prüfen, indem sie es berührt. Der fremde junge Mann lacht frech: „Hab ich es mir doch gedacht! Was soll‘s. Los, kommt wieder rein, ihr zwei!“ Er steckt den schwarzen halbmondförmigen Stein in seine Hosentasche. Die beiden Aristokraten schauen fassungslos sich an. Dann macht Aiven einen Schritt in Richtung Laden. „Das ist unser erster und einziger Hinweis, Siva. Dem müssen wir nachgehen.“ Sie nickt ihm entschlossen zu und die beiden gehen wieder ins Haus, hinein in das zweite Hinterzimmer von vorhin. Der alte Tattergreis ist verschwunden. An einem runden, kleinen Tisch nehmen sie Platz und der junge, dunkelhaarige Verkäufer stellt sich vor: „Ich glaube es hat keinen Sinn mich vor euch zu verstellen. Ich bin Zarihm. Talentierter Verkäufer, Schauspieler und Bauchredner-“ „und Dieb“ wirft Aiven ein. Der junge Mann aus Aranor ignoriert ihn. „Ich lebe allein und betreibe dieses Pfandhaus. Ich weiß schon, das ist es nicht, was euch interessiert. Ihr wollt wissen woher ich diesen Edelstein habe.“ „So ist es!“ entgegnet Siva ungeduldig, die immer noch eine ziemliche Wut auf den jungen Mann hat, der unbeeindruckt weiter spricht: „Aber zunächst zu euch. Ihr beide seid nicht von hier. Ihr entstammt zwei verschiedenen, gut situierten Häusern. Du, junge Frau, kommst wahrscheinlich aus Kalaß oder Nalita und der junge Heißsporn aus einem Land weiter im Norden. Warum auch immer, seid ihr von Zuhause weggelaufen und sucht nun nach dem schwarzen Edelstein, den ich in meiner Hosentasche habe. Euer Problem: der Stein befindet sich in meinem Besitz und das wird sich auch nicht ändern. Mein Problem: mein ganzes Leben beschäftige ich mich schon mit diesem Ding und ich weiß immer noch nicht was es ist. Ihr seid die ersten, die mir die Hoffnung geben etwas darüber herauszufinden. Deshalb habe ich auch eure Taschen geklaut. Ich dachte ihr habt dort weitere Aufzeichnungen drin, doch es waren nur noch mehr dieser Steine. Eure Klunker interessieren mich nicht, ich will nur wissen, was meiner für einer ist. “ Siva hat alles gegeben, um diesen Dieb, der sich als Zarihm vorgestellt hat, weder zu unterbrechen, noch ihn zu bedrohen. Anscheinend ist ihre Identität mehr oder weniger offensichtlich. Das ärgert sie, aber es tut auch nichts zur Sache. Aiven beschäftigt hingegen ein ganz anderer Gedanke: „Du warst selbst der alte Zausel?“ Zarihm lächelt frech und seine dunklen Augen beginnen zu funkeln. „Gut erkannt, mein Freund. Ich bin selbst der alte Mann. Manche Menschen verhandeln lieber mit alten Herren, anstatt mit jungen Kerlen wie mir. Vor allem, wenn sie ihre Wertsachen in die Pfandleihe geben müssen. Das ist für die meisten ein sehr persönliches Erlebnis. Leider läuft das Geschäft in der letzten Zeit nicht allzu gut. Viele haben genug Geld und es deshalb nicht mehr nötig sich welches zu leihen. Naja, wir sind eben ein aufstrebender Stadtteil.“ Aiven ist begeistert: „Ist nicht dein Ernst! Wie hast du das gemacht? Wann hast du dich umgezogen? Wie hast du seine Stimme imitiert?“ Siva, die bis eben noch geglaubt hatte sie sei in einer Art Verhandlung, oder auch einem Verhör, wundert sich stark über Aivens Euphorie. Zarihm erklärt stolz wie er das Haus präpariert hat, um diese Effekte hervorzurufen, bis Siva einschreitet: „Es reicht, Jungs! Können wir bitte beim Thema bleiben? Zarihm, zeig mir dein Juwel! Ich will prüfen, ob es echt ist. Wenn nicht, sind wir gleich wieder weg.“ Er hält es ihr hin, gibt es aber nicht aus der Hand. Das reicht ihr. Die schöne junge Frau berührt es und beginnt sich schlagartig zu entspannen. Nein, es ist eher ein Erschlaffen, denn es fühlt sich für sie an, als würde sie in die Tiefe des Meeres hinab gerissen. Sie hat Mühe ihre Hand wieder zu lösen. Eindeutig ist dies das echte Wassersiegel. „Was möchtest du dafür? Ich kann dich in Gold bezahlen. Wie viel willst du dafür haben?“ schlägt sie, etwas außer Atem, ohne Umschweife vor. Der junge Verkäufer schluckt. Er könnte einfach einen Betrag nennen und hätte für immer ausgesorgt. Trotzdem muss er das Angebot ablehnen. „Egal wie viel du bietest, ich werde es ausschlagen. Diesen Stein hat mir mein Großvater kurz vor seinem Tod geschenkt. Er war der einzige Mensch, der mir je etwas bedeutet hat. Vielleicht kannst du dir ausmalen, dass dieser Stein nicht in Gold aufzuwiegen ist.“ Aiven glaubt verstanden zu haben was er meint. „Wie wär‘s, komm doch einfach mit uns mit. Du willst doch wissen was für ein Stein das ist. Wir zeigen es dir am Berg Bugat. Du musst uns dein Juwel nicht übergeben und bleibst weiterhin sein Besitzer. Begleite uns einfach auf unserer Reise!“ Siva zischt ihn an: „Aiven, das kannst du nicht ganz alleine entscheiden!“ Sie reißt überrascht die Augen auf, als sie bemerkt, dass sie ihn beim Namen genannt hat. Jetzt, wo sie vermutlich gesucht werden, wollten sie ihre echten Namen nicht mehr verwenden. Anscheinend sind sie bisher in Aranor nämlich noch nicht aufgeflogen, was ihnen nur zu Gute kommen kann. Sie tut so als sei es nicht geschehen, doch sie hat Zarihms Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Freundlich entschlossen unterbreitet er sein Angebot: „Ich komme mit euch, unter folgenden Bedingungen: Ihr beschafft mir ein abgeschiedenes Grundstück im Grünen und genug Gold, das bis zu meinem Lebensende reicht. Als Gegenleistung begleite ich euch zum Berg Bugat, wo ihr meinen Stein, wie auch immer verwenden könnt, solange ich ihn danach nur wieder zurück bekomme. Außerdem erklärt ihr mir was er ist.“ Das Angebot klingt fair und die beiden Königskinder sehen keine andere Möglichkeit für sich. Siva nickt und Aiven nimmt das Angebot stellvertretend für sie an. „In Ordnung. Wann brechen wir auf?“ Zarihm grinst zynisch: „Wenn ich meine Sachen gepackt und den Vertrag aufgesetzt habe. Das wird frühestens morgen sein. Bis dahin erklärt ihr mir, was das für Dinger sind.“ Ein Vertrag ist legitim und kann einem vorsichtigen Händler nicht vorgehalten werden. Der Prinz und die Prinzessin erbitten die Gastfreundschaft für diese eine Nacht. Sie erklären, dass sie so auch genug Zeit hätten Zarihm alles Wissenswerte über das Juwel zu erzählen. Etwas zögerlich und vor allem widerwillig stimmt er zu. Gäste in seinem Haus zu haben, ist ungewohnt für den Einzelgänger. Am Abend erklären sie ihm nur das Nötigste. Sie behaupten einer Schatzlegende König Ramons auf der Spur zu sein und erklären wahrheitsgemäß was sie über die Siegel wissen. Über ihre Herkunft schweigen sie sich aus. Der junge Hausherr breitet Decken auf dem Boden des ersten Hinterzimmers aus. Besonders komfortabel wird es nicht, aber zumindest müssen die beiden nicht mehr hinaus, was ihnen ganz lieb ist. Als sie allein sind, flüstert Siva zu ihrem Freund, der unter derselben Decke eng an ihr liegt: „Was hältst du von ihm?“ Aiven schaut zur uneben gearbeiteten Decke des Zimmers während er antwortet: „Er ist geschickt und klug. Vielleicht führt er etwas im Schilde.“ Die Prinzessin legt ihren Kopf auf seine Brust und haucht ängstlich: „Er hatte uns schnell durchschaut. Er wusste zwar nicht alles, aber es war unheimlich wie viel er in der kurzen Zeit über uns herausgefunden hat.“ „Das waren alles offensichtliche Dinge, Siva. Für jemanden, der trainiert ist Menschen zu durchleuchten, ist das normal würde ich sagen. Auch wenn er mir irgendwie sympathisch ist, vertraue ich ihm nicht. Wir sollten uns vor ihm in Acht nehmen.“ Da Zarihm das komplette Haus so präpariert hat, dass er von überall in Rohre hinein sprechen kann, sodass es klingt als käme seine Stimme von woanders her, kann er das Gespräch nun belauschen. Auch wenn das nicht der Zweck der Anlage ist, erfüllt sie ihn ganz gut. Nun kennt er beide Namen. Für ihn besteht kein Zweifel mehr, dass es sich bei seinen Gästen um keine geringeren als zwei Königskinder aus Roshea und Yoken handeln kann. Nicht ganz zufällig kennt er sich mit den Namen verschiedener Adelsfamilien aus. Am nächsten Morgen legt Zarihm frech lächelnd den Vertrag vor. In diesem Fall spielt er mit offenen Karten. „Ihr habt mir leider immer noch nicht persönlich verraten, wie eure Namen sind, aber ich war so frei sie selbst zu ergänzen. Prinz Aiven, Prinzessin Siva, ich möchte euch bitten hier zu unterschreiben.“ Die beiden staunen nicht schlecht über den Wissensschatz des Diebes. Nach einer Schrecksekunde erwidert der Prinz schließlich: „Ich denke langsam ernsthaft darüber nach, ob wir dich nicht doch lieber hier lassen sollten. Du bist gruselig. Was steht jetzt in diesem Vertrag?“ „Ihr habt doch keine Wahl, oder? Mach dir keine Gedanken. Ich werde ein angenehmer Reisegenosse sein. Lies den Vertrag ruhig aufmerksam durch. Es steht nichts darin, was wir nicht auch besprochen hätten.“ grinst er wieder einmal zynisch, was nicht unbedingt vertrauenerweckend ist und fügt hinzu: „Wenn ich euch übers Ohr hauen wollte, dann wäre ich jetzt der freundlichste und schleimigste Typ, den ihr euch nur vorstellen könnt.“ Da hat er auch wieder recht. Sie lesen den Vertrag und stellen keine ungewöhnlichen Passagen fest, weshalb sie ihn auch beide unterzeichnen. Damit wäre alles geklärt und die drei brechen zum letzten Reiseabschnitt, auf dem Weg zu König Ramons Mysterium, auf. Kapitel 6: Die Schlinge zieht sich zu ------------------------------------- Am Vormittag, bevor es losgehen soll, macht Zarihm noch ein paar letzte Besorgungen und übergibt seinen Laden an einen befreundeten Händler. Er verabschiedet sich freundlich, aber nicht herzlich von ein paar Leuten. Engere Freunde scheint er hier keine zu haben, obwohl er schon sein ganzes Leben hier verbracht haben soll. Das findet vor allem der junge Prinz merkwürdig. Der Prinzessin ist es zugegebenermaßen egal. Sie benötigt den Mann aus Aranor auch nicht, sondern nur sein Siegel. Ob er mitkommt oder nicht, ist ihr gleich. Zur Erleichterung der Königskinder, reisen sie bereits zur Mittagszeit aus der Stadt aus, ohne erneut von einem der Bettler behelligt worden zu sein. Jeder hat ein eigenes Pferd, auf dem er reitet. Auf Zarihms Vorschlag hin haben sie noch ein viertes Tier geliehen, welches die Vorräte, Zelte und Decken transportiert. Siva hält es für eine sehr gute Idee ein weiteres Pferd mitzuführen. Immerhin haben sie das Ziel einen Toten wieder zu erwecken und dieser muss dann ja schließlich auch auf irgendetwas reiten. Wasservorräte müssen sie nicht mit sich zu führen, denn sie reisen die ganze Zeit flussaufwärts entlang des Lanim bis zu seiner Quelle. Der erste Tag führt sie nur bis an die Westseite des großen Trinkwassersees Lanima, wo es eine letzte Herberge gibt, bevor sie viele Tage lang im Freien übernachten müssen. Selbstverständlich werden die Kosten der Reise von den Kindern übernommen. Sie alle drei befinden sich im größeren Zweibettzimmer der kleinen, etwas schäbigen Herberge. Aiven zählt wie viel Geld Siva an die staatsfeindlichen Bettler verschwendet hat. Er hat dem Dieb den Rücken zugekehrt, um dessen Blick auf die Münzen zu versprerren. Zarihm zeigt jedoch keinerlei Anzeichen für Interesse daran und hat statt dessen auf dem Bett eine große Landkarte ausgebreitet. Er rechnet aus wie viele Tage sie wahrscheinlich bis zum Fuße des Berges Bugat benötigen werden. Siva schaut interessiert mit ihm auf die Karte. Wegstrecken zu planen gehört nicht zu ihrer Stärke und sie hofft sich etwas von dem sieben Jahre älteren Mann abschauen zu können. Als das Klimpern des Geldes aufhört, das die ganze Zeit schon von Aiven ausgegangen ist, wird sie von ihm erheitert angesprochen. Noch immer hat er ihr den Rücken zugewandt. „Ich bin erleichtert. Siva, du hast etwa nur sechs Silber- und zehn Kupferstücke verschenkt. Das ist verkraftbar. Ich hätte gedacht, dass es viel mehr war, so wie du mit dem Geld um dich geschmissen hast.“ Verärgert dreht sie sich zu ihm und faucht: „Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Danke, dass du mich daran erinnerst.“ Nun dreht er sich ebenfalls zu ihr um. Er will sich nicht schon wieder mit ihr streiten und versucht ein beschwichtigendes Lächeln aufzusetzen. „Ich wollte dich doch nur loben, dass du anscheinend doch besser gewirtschaftet hast, als ich dachte.“ „Lob klingt für mich aber anders. Was du tust, ist mich versteckt zu kritisieren.“ schimpft sie, was er als Unrecht empfindet. „Ja, soll ich mich etwa freuen, wenn du Staatsfeinde finanziell unterstützt?“ Hat sie sich vorher nur über seine Äußerung geärgert, so ist sie nun wütend. Sie stampft auf den Boden auf. „Das wusste ich doch nicht. Zarihm, sag du doch auch mal was!“ Dieser wendet sich desinteressiert von der Karte ab und richtet sich auf. Der jungen Prinzessin wirft er einen strengen Blick zu, bevor er den Prinzen fixiert. „Ist noch genug Geld für den Rest der Reise übrig? Die Herberge in Brag Bugat, einen Fremdenführer und im Anschluss die Reise nach Nalita?“ Aiven nickt ausdruckslos, wonach der junge Händler lächelnd hinzufügt: „Dann verstehe ich den Streit nicht. Schaut lieber mal mit mir zusammen auf die Karte, ihr zwei verzogenen Blagen.“ ,was Siva stöhnen lässt: „Na das kann ja heiter werden...“ Volle sechs Tage werden sie unterwegs sein, bevor sie die kleine Stadt Brag Bugat am Fuße des Berges erreichen. Damit die Pferde durchhalten, werden sie täglich nur sechs Stunden reisen und dann ihr Lager errichten müssen. Auf der Nosrama Ebene, nördlich des Lanim, leben ein paar vereinzelte Leoparden, angeblich auch ein kleines Rudel von Löwen. In den Ausläufern der Salaij Wüste gibt es südlich des Flusses jedoch nur für Menschen ungefährliche Erdwölfe. Die Tiere sind jeweils nicht in der Lage den Fluss zu überqueren, deshalb entscheidet sich die Gruppe selbstverständlich für das ungefährlichere südliche Ufer. Sie halten es nicht für notwendig extra eine Nachtwache einzuteilen, da sie sich von nichts bedroht fühlen. Es fällt ihnen gar nicht so leicht mit diesen bescheidenen Umständen umzugehen. Beide Königskinder haben noch nie in einem Zelt schlafen müssen. Auch der Stadtjunge Zarihm hat damit keine Erfahrung und das Aufbauen des Lagers gestaltet sich als entsprechend schwierig. Siva glaubt oft alles besser zu können, bringt damit aber meist nur noch mehr Verwirrung und Unordnung in die ganze Sache. Beherzt, um keinen erneuten Streit vom Zaun zu brechen, macht Aiven ihr den Vorschlag Holz für ein Lagerfeuer zu sammeln, was sie überraschenderweise ohne Widerworte ausführt. Oft wünschen sich die drei auf die andere Seite des Flusses, die auf sie sehr viel freundlicher und grüner wirkt. Sie glauben, dass selbst die Pferde sehnsüchtig auf das andere Ufer schauen. Das Risiko von Leoparden angefallen zu werden, nur um auf der hübscheren Seite des Gewässers zu reisen, sind sie aber natürlich nicht bereit einzugehen. Am Abend des dritten Tages, baut Siva sich eine Angel, die sie direkt ausprobieren möchte. Sie lässt die beiden jungen Männer, wie die zwei Tage davor, das Nachtlager errichten. Außer Hörreichweite, sitzt sie gelangweilt auf einem Stein, während sie die Rute der Angel festhält. „Für ein Silberstück schupse ich den Drachen ins Wasser.“ scherzt Zarihm. „Du weißt was für ein Unwetter dann über dich hereinbricht“ kichert Aiven vergnügt, ohne seinen Begleiter für den frechen Kommentar über seine Freundin zu rügen. „Ja, deshalb würde ich es mir ja auch gut bezahlen lassen.“ Der junge Händler lacht auf und fügt hinzu: „Sie ist wirklich ein schwieriges Mädchen. So schön wie sie ist, so anstrengend ist sie auch. Was willst du nur von ihr?“ Der Prinz hat sich gerade etwas im Zeltstoff verheddert. Frustriert wirft er ihn zu Boden, sieht jedoch mit dem schönsten Lächeln zu seinem Reisebegleiter hinüber und antwortet sanft: „Ich liebe sie eben so wie sie ist. Ist dir das noch nie passiert, Zarihm?“ Anscheinend von einem aufkommenden Gedanken erfasst, errötet der vierundzwanzigjährige, was Aiven zu seinem Glück nicht bemerkt, weil dieser viel zu verzweifelt damit beschäftigt ist, die Ecke des riesigen Stoffstückes ausfindig zu machen. Etwas abgelenkt fragt der junge Adlige schließlich: „So wie ich es mitbekommen habe, kannst du doch Menschen lesen, oder? Ich kann das auch ein bisschen. Das habe ich von meiner Mutter gelernt, aber ich bin längst nicht so gut wie sie. Darf ich es bei dir mal versuchen?“ Zarihm versucht seine Unsicherheit zu verbergen, denn es gibt da so einiges, das Aiven nicht unbedingt wissen sollte. Seinen eigenen schauspielerischen Fähigkeiten vertrauend, antwortet er schließlich belustigt: „Klar, wenn du willst, gerne.“ Aiven lässt das große Stoffstück fallen und reibt sich die Hände. „Na, dann wollen wir mal.“ Er stellt sich aufrecht in den Himmel schauend hin um sich zu sammeln, dann fixiert er den schlitzohrigen Pfandhausbesitzer und beginnt mit seiner Analyse. „Deine Eltern sind gestorben als du noch klein warst, deshalb hat dich dein Großvater aufgezogen. Ihr hattet nur wenig Geld, weshalb du schon als Kind mit ihm im Pfandladen gearbeitet hast. Dort hast du vor allem die negativen Seiten des Lebens kennengelernt, denn die Leute haben bei euch ihr Leid geklagt. Deshalb denkst du auch, dass die meisten Menschen schwach und bemitleidenswert sind, weshalb du dich selbst über sie erhebst und sie verurteilst. Aus diesem Grund hast du auch keine Freunde und weiß nicht was wahre Liebe ist. Niemand kommt über längere Zeit mit deiner arroganten Art zurecht. Du bist ein Einzelgänger und dein größter Wunsch besteht darin allein zu sein und nichts mehr mit den Menschen zu tun haben zu müssen. Der einzige, der in deinem Leben wirklich zählt, bist du selbst.“ Zarihm sieht finster zu Boden. Er hat ebenfalls seine Tätigkeit eingestellt und seine Knie haben begonnen zu zittern. Der Prinz ist gut, aber zum Glück nicht gut genug, um alle Zusammenhänge zu erkennen. Zarihm atmet tief ein. Anerkennend lächelnd antwortet er: „Bis auf ein paar Dinge, die du nicht wissen kannst, war das gar nicht mal so schlecht.“ Sein Blick verfinstert sich erneut: „Meine Eltern sind nicht gestorben, als ich klein war. Sie haben mich ausgesetzt und keiner, bis auf diesen einen alten Mann, war bereit mich, ein unschuldiges Leben, bei sich aufzunehmen. Er bildete mich zum Dieb aus. Ich bestahl reiche Schnösel wie euch in den anderen Vierteln. Nur so konnten wir Abschaum überleben. Als die Zeiten besser wurden, gründeten wir das Pfandhaus und hörten auf zu stehlen, aber mittlerweile läuft auch das nicht mehr so gut. Wie auch immer... Mit einer Sache hast du vollkommen recht, ich habe es gelernt die Menschen zu verachten, aber das ist kein erworbenes Wissen. Es wurde mir bereits in die Wiege gelegt, verstehst du? Ihr beide wurdet mit einem goldenen Löffel im Mund geboren. Ihr könnt das nicht verstehen, das ist mir klar und das erwarte ich auch gar nicht.“ Aiven hat ihm gebannt zugehört. So weit hatte er nicht gedacht, das muss er zugeben. „Es tut mir leid, Zarihm. Ich-“ Bereits schon wieder lächelnd unterbricht dieser den jungen Aristokraten: „Ich brauche dein Mitleid nicht, Prinz von Yoken. Wir haben einen Vertrag und den werde ich erfüllen.“ Aiven schluckt. Dass zwischen den beiden eine so große Distanz herrscht, ist ihm bisher noch gar nicht aufgefallen. Es wird ihm klar wie gefährlich es ist einen unbekannten Mitreisenden zu haben. Im Gegensatz zu Siva, die sich die ganze Zeit schon sehr vorsichtig gegenüber dem Fremden verhält, hatte er schon Vertrauen zu ihm aufgebaut. Positiv wie er ist, bleibt er der Überzeugung den Händler aus Aranor bis zum Ende der Reise schon noch zu seinem Freund zu machen. Fröhlich sagt er zu ihm: „Da ich glaube, dass du viel besser darin bist Menschen zu lesen als ich, bitte ich dich, mir zu sagen was Siva von mir hält. Wie verliebt ist sie in mich?“ Fast ein bisschen abschätzig sieht Zarihm zu ihr hinüber. Die junge Frau sitzt am Ufer, hält mit ihrer rechten Hand die Angel fest und mit ihrer linken stützt sie ihren Kopf ab, als sei er ihr zu schwer. Er spottet abschätzig: „Willst du das wirklich wissen?“ Aiven legt die Stirn in Falten. Das klingt nicht gut. Zögerlich antwortet er: „Ja, eigentlich schon. Also, was denkst du?“ „Wie du meinst. Sie sieht dich als ihren Handlanger, ihren Diener, den sie nur duldet, weil gerade kein anderer zur Stelle ist. Du kommst ihr gerade gelegen und du bist nur eine Station für sie. Das ist es, was ich denke. Wenn du mich fragst, dann hast du etwas besseres verdient, mein Freund.“ antwortet der pessimistische Händler schließlich. Wieder muss Aiven schlucken. Die Worte waren wie ein Stich ins Herz, doch er will ihm keinen Glauben schenken. Zu süß kuschelt sie sich mittlerweile jede Nacht an ihn heran, zu liebevoll sind die Blicke, die sie ihm zuwirft. In Gedanken starrt er seine geliebte Siva an, die es mitbekommt, sich etwas zu ihm dreht und ihm über die Distanz fröhlich zuwinkt. Ihr Lächeln bringt sein Herz wieder zum Erblühen. Er richtet das Wort an seinen Begleiter: „Nein Zarihm, du kennst sie nur nicht richtig. Nach außen mag sie hart erscheinen, aber in ihrem Innern trägt sie das zerbrechliche Herz einer zarten Prinzessin. Dein Hass auf die Menschen verwehrt dir diesen Blick auf ihr wahres Wesen.“ Darauf hat der junge Mann aus Aranor nichts mehr zu sagen. Ihr wahres Wesen, so denkt er, ist kein bisschen zart. Es ist ungestüm, berechnend undurchschaubar und stolz. Aber das ist nicht seine Sorge. Er konzentriert sich lieber darauf sein eigenes Leben in den Griff zu bekommen. Als sie am selben Abend gemeinsam am Lagerfeuer sitzen, lachen sie ausgelassen über Sivas ersten kläglichen Versuch Fische zu angeln. Stundenlang hat die am Ufer gesessen, aber nur so kleine Fische herausgezogen, die es nicht lohnt zuzubereiten. Aiven lacht seine Freundin aus, was sie sich kein bisschen annimmt. Morgen wird sie mehr Erfolg haben, davon ist sie überzeugt. Als sie mitten im Gespräch hinter sich in den Büschen etwas knacken hört, schreckt sie hoch. „Zarihm, bist du dir sicher, dass es hier keine gefährlichen Tiere gibt?“ Etwas beunruhigt schaut er sich um. „Laut Aussage der Leute in der Herberge am Lanima, sollte es auf dieser Seite keine geben. Sicher bin ich mir nicht.“ Aiven hat nichts gehört, vertraut aber auf die Worte seiner Liebsten. Sie steht auf, um langsam und behutsam ihre Waffe zu holen. Ihr Instinkt sagt ihr, dass in dem hohen Gras etwa zehn Meter hinter ihnen, etwas herumschleicht. Für alle Fälle legt sie sich ihren Waffengurt mit einem kunstvoll gearbeitetem Schwert aus Nalita, in einer wundervollen Schwertscheide aus Kalaß um. Dieses trägt sie auf der Reise nicht am Körper, aber sie hat es die ganze Zeit in ihrem Gepäck dabei. Gerade will sich die Prinzessin wieder zu den beiden Männern setzen, da springt hinter Zarihms Rücken plötzlich eine dunkle Gestalt aus dem Gras und läuft in einer unglaublichen Geschwindigkeit auf ihn zu. Siva kann gerade noch das Schwert ziehen, zu ihm hinlaufen und ausholen, als ihr etwas unvorstellbar schweres in die scharfe Klinge springt. Durch die zusätzliche Sekunde, die Siva dem jungen Händler verschaffen konnte, war es ihm möglich, sich zur Seite weg zu rollen. Genau da wo er gerade noch saß, liegt jetzt ein blutender, schwer verwundeter winselnder Leopard. Mitleidslos holt Siva aus und gibt dem Tier den Gnadenstoß, was es unmittelbar verstummen lässt. Es ist ein Jungtier. Ein voll ausgewachsener Leopard, hätte Siva wahrscheinlich einfach mitgerissen. Gefasst aufgerichtet steht sie neben ihm und betrachtet es. Ihre Augen leuchten erregt im Schein des Feuers. Aiven läuft zum zitternd auf dem Boden liegenden Zarihm, der gerade kein Wort mehr heraus bekommt. Er hilft ihm hoch und setzt ihn an die gegenüberliegende Seite des Lagerfeuers. Die junge Frau ist inzwischen mit dem Schwert zum Fluss gegangen, um das frische Blut des Leoparden abzuweichen, als sie bemerkt, dass nicht nur ihr Schwert voller Blut ist. Auch ihre Bluse und ihre Hose sind vollkommen besudelt. Sie zieht ihre Kleidung aus und wirft sie bei Seite. Ihr Höschen und das kurzes Shirt, das sie darunter trägt, sind nicht betroffen, deshalb sie legt beides sorgfältig am Ufer ab, bevor sie nackt ins seichte Gewässer des Flusses steigt. Sivas in Wallung geratenes Blut beruhigt sich im kühlen Wasser wieder und sie beginnt durchzuatmen. Sie war nicht fähig sich um den jungen Mann zu kümmern, der Opfer des Angriffs wurde, weshalb sie das Weite suchen musste. Aiven beobachtete wie sie zum Fluss ging und macht sich Sorgen. Er würde gern nach ihr sehen, doch Zarihm bittet ihn eindringlich ihn nicht allein zu lassen. Dank des Wassers erholt sich die junge Frau schnell und es dauert nicht lang, bis die nun nur noch sehr leicht bekleidete Prinzessin vom Fluss zurückkehrt. Ohne sich daran zu stören, setzt sie sich neben das Ziel des Angriffs, den verstörten Zarihm. Mit ruhiger vertrauensvoller Stimme erkundigt sie sich bei ihm, ob alles in Ordnung sei. Er bedankt sich bei seiner Lebensretterin ehrfürchtig. Er kennt keinen anderen Menschen, der auch nur im Ansatz zu dem fähig gewesen wäre, was diese junge Frau da vollbracht hat. Das ändert seine Meinung über sie, denn seiner ursprünglichen Einschätzung nach, hätte sie ihn ohne mit der Wimper zu zucken sterben lassen, um ihm das Juwel abzunehmen. Der Prinz weiß wie geradlinig Siva sein kann, doch er hat sie noch nie in einer Extremsituation erlebt. Er ist verblüfft wie kontrolliert sie ihre Beherrschung behalten hat, aber er macht sich auch ein wenig Sorgen um sie. „Alles in Ordnung mit dir, Siva?“ Sie sieht ihn an, lächelt, schaut dann zum Feuer und antwortet: „Ja, ich fühle mich sehr gut. Mach dir keine Sorgen. Da draußen ist nichts mehr, das uns gefährlich werden könnte. Vertrau mir. Lass uns ins Bett gehen.“ Das erleichtert Aiven ein wenig und er bringt Zarihm behutsam in dessen Zelt. In dieser Nacht denkt Siva gar nicht ans Schlafen. Noch immer brodelt ihr Blut und das lässt sie Aiven mehr als überdeutlich spüren. Diese Nacht wird zu einer, an die sich die beiden ihr Leben lang erinnern werden. Am nächsten Tag geht es Siva wieder gut und sie verhält sich normal. Ihre überschüssig freigewordene Energie ist sie schließlich los geworden. Dass sie den jungen Prinzen nicht schlafen ließ, kann man heute an seinen Augenringen erahnen. Müdigkeit verspürt er trotzdem nicht. Er ist in einer Hochstimmung, die auf die beiden anderen abfärbt. Zarihm hat aus anderen Gründen nicht viel geschlafen. Er ist immer wieder schweißgebadet aufgeschreckt und hat das Feuer neu entfacht. Zudem ist es ihm nicht entgangen, was die beiden Kinder in ihrem Zelt getrieben haben. Ihm ist das allerding herzlich egal. Ihn nervt es nur, wenn sie sich streiten, nicht wenn sie sich vertragen. Die drei bauen ihr Zeltlager ab und reisen weiter. Den toten Leoparden lassen sie liegen. Von Tag zu Tag verstehen sich die jungen Leute besser und werden zu einem immer effektiveren Team. Nach einigen Probeläufen hat es Siva tatsächlich geschafft ein paar Fische zu angeln, die sie am Abend am Feuer rösten können. Zarihm hat begonnen nicht nur Aiven, sondern auch ihr zu vertrauen, auch wenn er anfangs Bedenken bei ihr hatte. Ihre Entscheidungen sind wohl überlegt, sie trägt die Verantwortung für die Reise, was ihr trotz ihrer jungen Jahre nichts auszumachen scheint und sie achtet auf ihr Gefolge, was Aiven und er für sie wahrscheinlich darstellen. Auf jeden Fall ist sie viel reifer als er in ihrem Alter und das obwohl er eine so schwere Kindheit hatte. Er fügt sich ihren Anweisungen gern und erkennt sie als Anführerin an. Was Zarihm noch niemandem erzählt hat ist, dass er den amtierenden König von Roshea eigentlich ablehnt und mit den Rebellen sympathisiert, welche gegen den Thron arbeiten. Er war anfangs hin und her gerissen, ob er die beiden Königskinder trotz seines verlockenden Angebotes, das er in Form des Vertrages festgehalten hat, an die Rebellen ausliefern soll. Nun hat ihm ausgerechnet die Prinzessin das Leben gerettet. Er hatte sich eher an den jungen, stark aussehenden Prinzen gehalten, den er auch nach wie vor lieber mag als sie. Wenn er jedoch einen von beiden zum Anführer wählen müsste, so würde er Aiven enttäuschen müssen. Wenn der König nur halb so stark und souverän ist wie sie, dann hat er dem Königshaus Unrecht getan. Dummerweise hat er den königsfeindlichen Rebellen bereits mitgeteilt, dass sich die Rosheanische Prinzessin auf den Weg in das Gebirge des Bugats machen wird. Aiven hat er nicht an sie verraten, weil er einen von beiden benötigt, um ihm seine Prämie für den erfüllten Vertrag auszuhändigen. Nach der Besteigung des Berges hätte er seine Pflicht schließlich erfüllt und der Prinz wäre gezwungen ihn auszuzahlen. Danach würde er zusätzlich noch die Belohnung und das Ansehen der Rebellenbande erhalten, doppelter Gewinn quasi. So war sein Plan, doch nun bereut er diese gierige Idee jedoch. Sie birgt von vorn herein ein viel zu großes Risiko und der Verrat liegt ihm schwer im Magen. In der geplanten Zeit erreichen die drei die kleine idyllische Gebirgsstadt Brag Bugat, in der sie ihre letzte Rast einlegen, bevor sie den imposant vor ihnen aufragenden Berg erklimmen. Sie sehen den Lanim aus dem riesigen, weitläufigen Gebirge heraus strömen. Die Quelle kann nicht weit entfernt sein. Heute fällt zum ersten Mal seit langem ein wenig Regen. Die Reisenden sind unglaublich froh trockenen Fußes bis hier her gekommen zu sein. Im Gasthaus werden sie mit großen Augen angeschaut, als sie erklären sie hätten den direkten Weg von Aranor bis hierher gewählt. Das macht normalerweise niemand. Sämtliche offizielle Routen verlaufen von Aranor über die Straßen nach Norden bin hin zu Kalaß, dann nach Westen hinüber nach Nalita, um dann wieder nach Süden hierher zu gelangen. Das mag vielleicht weiter sein, aber es ist auch sicherer. Um den Fluss mit Schiffen befahren zu können, ist er jedenfalls nicht tief genug. Zudem fürchtet die Stadt Aranor um die Wasserqualität ihres einzigen Trinkwasserreserviors. Sie glauben eine Handelsroute könnte sich negativ darauf auswirken und haben dessen Ausbau immer wieder verhindert. Siva fragt sich ein wenig durch und organisiert eine Fremdenführerin, die bereit ist die drei zur ihr bekannten Quelle des Lanim zu führen. Sie sitzen am Abend vor dem Aufbruch zusammen im Gasthaus, um endlich einmal wieder ordentlich zu essen. Schon diese paar Tage von Vorräten zu leben, war eine ungewöhnliche Herausforderung für die verwöhnten Königskinder. Zarihm ist nervös, was er gut vor den beiden verbergen kann. Er befürchtet, dass jemand von den Rebellen mit ihm Kontakt aufnehmen wird und damit behält er auch recht. So, dass die anderen es nicht sehen können, wird er von einem Mann mittleren Alters nach draußen gewunken. Unter einem Vorwand geht er hinaus ins Dunkel. Dort begegnet er einem Mann Anfang fünfzig, der sich als Anführer der Gegenbewegung vorstellt, seinen Namen jedoch nicht nennt. Er ist nicht allein und wird von zwei muskulösen Männern begleitet. In der Dunkelheit kann Zarihm den Anführer nicht richtig erkennen, aber er trägt einen Bart und hat langes, blondes nach hinten gebundenes Haar. „Du sagst du begleitest die Königstochter auf den Berg Bugat?“ fragt er süffisant. Zarihm versucht sie zu schützen und aus der Sache irgendwie wieder herauszukommen. „Ich bin mir nicht mehr sicher, ob sie es wirklich ist, mein Herr. Sie scheint eher eine Kriegerin zu sein, denn sie ist viel zu gut im Umgang mit dem Schwert, um eine Prinzessin zu sein. Anscheinend habe ich mich wohl geirrt.“ Der Mann tritt näher an das Fenster heran in das heraus scheinende Licht, um sie zu sehen. Der eingeschüchterte Zarihm kann den Anführer nun besser erkennen. Er ist ihm in seiner Kindheit schon einmal begegnet. Früher soll er einmal eine gute Position beim Rosheanischen Militär inne gehabt haben. Seine hellbraunen Augen funkeln, als er die Prinzessin erblickt. „Oh, sie ist es. Da besteht kein Zweifel. Hat Dugar ihr auch noch den Schwertkampf beigebracht? Einer Prinzessin? Das passt zu ihm. Wenn sie nur ansatzweise so gut ist wie er, dann wird es gefährlich für uns. Was ist mit dem anderen Typen neben ihr? Wer ist das?“ Zarihms erste Lüge hat nicht gefruchtet, aber vielleicht kann er Aivens Identität schützen. „Das ist niemand, nur ihr Begleiter.“ „Hmm“ entgegnet der ehemalige Offizier, „was haben die beiden denn auf dem Berg vor?“ Wahrheitsgemäß antwortet der junge Mann ängstlich: „Sie wollen einer Legende auf den Grund gehen.“ Der Fremde lacht amüsiert spitz auf. „Ganz die Mutter, hat den Kopf in den Wolken, die Kleine. Das gefällt mir. Geh mit ihr auf den Berg und berichte was du siehst. Ich und meine Männer werden euch hier unten erwarten. Was deine Belohnung betrifft. Was begehrst du?“ Beschämt antwortet Zarihm: „Wenn alles so läuft wie ich es geplant habe, dann brauche ich kein Geld. Ich werde statt dessen Schutz benötigen. Leih mir drei deiner Leute für eine Weile, sagen wir ein halbes Jahr.“ Die Arme verschränkend antwortet der Anführer der Rebellenbande: „Es ist schwieriger gute Männer zu finden, als Geld zu erbeuten, aber sei es drum. Das klingt als hättest du noch einen anderen Deal laufen? Du bist ein richtiger Halunke, Kleiner. Du gefällst mir. Du kannst dich uns anschließen, wenn diese Sache gelaufen ist.“ Zarihm führt weiter aus: „Ich habe andere Pläne. Das war auch noch nicht alles, denn ich erhebe Anspruch auf alles was sie bei sich tragen und ich brauche den Begleiter lebend.“ Der Anführer sieht nochmal zum Fenster hinein und erklärt erregt lächelnd: „Wir sind im Geschäft, Junge. Drei Männer meiner Clypeus Garde für ein halbes Jahr, gegen die wunderhübsche Prinzessin von Roshea. Den Begleiter und den Kram, den sie mit sich herumtragen, kannst du behalten. Nun geh wieder hinein! Lass das süße Prinzesschen nicht zu lange warten!“ Er leckt sich die Lippen und schuppst den verängstigten Verräter in Richtung Tür. Dieser hat aber noch ein Anliegen und stottert: „Ich-ich hätte gern einen...Ver- einen Vertrag, mein Herr.“ Für diese Bitte wird er nur ausgelacht. Der Fremde wiederholt belustigt: „Einen Vertrag? Komiker bist du also auch noch.“ Der eingeschüchterte junge Mann geht wieder in das Gasthaus. Sein Gewissen droht ihn zu verschlingen, so schuldig fühlt er sich. Er entschuldigt sich bei seinen beiden Begleitern, dass es ihm heute nicht so gut ginge und dass er nun hinauf aufs Zimmer gehen möchte, um zu schlafen. Das klingt plausibel und die beiden machen sich keine weiteren Gedanken um ihn. Mit großer Besorgnis beobachtet König Nico die Reise seiner Tochter. Dass sie von Deskend nach Kalaß, dann nach Aranor und nun auch noch zum Berg Bugat reiste, ist ihm keinesfalls entgangen. Er ist sich sicher, dass sie vor hat etwas sehr Dummes zu tun und er befürchtet, dass sie es auch noch schaffen könnte. Alles deutet darauf hin, dass sie auch das vierte Siegel in ihren Besitz gebracht haben könnte. Er glaubt das kopflose Mädchen noch aufhalten zu können und macht sich aufbruchbereit. Seiner Frau Kara sagt er nichts davon. Als er mit hurtig gepackten Sachen den Westflügel verlassen will, stellt sich ihm seine Gattin entgegen. Sie hat sich vor dem Ausgang postiert und befielt ihm: „Du wirst sie NICHT aufhalten, Nico!“ „Doch, das werde ich. Dieses Kind begeht einen großen Fehler. Ich muss sie davon abhalten.“ antwortet er hart, fast aggressiv und streckt seine Hand nach vorn aus, um sie bei Seite zu schieben. Er fasst auf ihre Schulter, und gibt ein wenig Druck auf seine Hand. Wie in Stein gemeißelt bleibt Kara stehen. „NEIN! Du wirst sie einmal was alleine machen lassen!“ Der König ist geschockt. Hat sie ihn gerade angeschrienen? Wie lang ist es her, dass sie das zum letzen Mal getan hat? Fünfzehn Jahre vielleicht? Er lässt von ihr ab und hält inne. Überrascht entgegnet er: „Kara, du- du willst, dass sie Erfolg hat?“ „Ja, das will ich.“ schreit sie verzweifelt. „Nico, sie weiß nicht wer sie ist. So viele Jahre schweigst du dich nun schon über deine Herkunft aus und verbietest ihr Nachforschungen in Kalaß zu unternehmen. Sie merkt doch, dass wir keine normale Familie sind. Selbst mir erzählst du nichts darüber.“ Nico steht wie angewurzelt da, denn die Worte seiner Frau verletzten ihn, doch sie hört nicht auf ihn verbal anzugreifen. „Ja, ich will, dass sie Ramon wiedererweckt. Er ist bestimmt nicht so ein Starrkopf wie du und klärt uns darüber auf was wir sind, warum wir nicht krank oder alt werden, wieso unsere Worte so viel Gewicht bei anderen Menschen haben und wieso uns alle blind vertrauen. Seit wir ein Paar sind, Nico, habe ich mich immer mehr verändert. Mein Körper, wie ich andere Menschen wahrnehme und wie mich andere wahrnehmen. Kein einziges Mal hatte ich eine Erkältung oder irgendwelche Schmerzen. Das ist doch alles nicht normal.“ Sie beruhigt sich etwas und sagt in ruhigerem Ton: „Aber es geht hier auch gar nicht um mich. Ich habe schon vor langer Zeit akzeptiert, dass du dich darüber ausschweigen willst, aber unsere Tochter...Siva kann das nicht und sie soll es auch nicht. Sie hat ein Recht zu erfahren was genau sie ist und was das für sie und die Welt um sie herum bedeutet.“ Nico hat die Hände zu Fäusten geballt und schlägt damit so hart gegen den Türrahmen neben Kara, dass Putz von der Decke rieselt. Sie weicht keinen Zentimeter zurück. Vor ihm hat sie keine Angst, denn sie weiß, dass er sie niemals verletzen würde. Mit nach unten gerichtetem Blick antwortet er schließlich: „So denkst du also über mich...und nun soll ich dabei zusehen, wie meine Tochter den gefährlichsten Mann der Welt wieder zum Leben erweckt.“ Sie sieht ihn nur mit erhobenem Blick an, weshalb er resigniert hinzu fügt: „Gut Kara, ich werde sie gewähren lassen. Es ist meine eigene Schuld. Ich habe sie zu dieser Verzweiflungstat getrieben und nun muss ich mit den Konsequenzen leben. Ich übernehme die Verantwortung für diesen Vorfall.“ Der König dreht sich um und geht schnellen Schrittes wütend zurück in seine Gemächer. Seine Frau ruft ihm nach: „Warte kurz. Bitte sag mir etwas. Sag mir warum wir so sind, wie wir sind!“ Er bleibt stehen, dreht sich zu Kara ins Profil und antwortet völlig ausdrucks- und emotionslos: „Weil das Blut Fuathels in mir fließt.“ Ärgerlich darüber es ausgesprochen haben zu müssen, fährt er sich durchs Haar. Kara ist geschockt, was ihre Knie weich werden lässt. Sie bricht in sich zusammen, worauf ihr Mann gar nicht reagiert. Er lässt sie verärgert über ihr verantwortungsloses Verhalten hinter sich zurück. Er hat keine Ahnung, ob er sich mit dem mächtigen Ewigen König Ramon messen kann, aber er wird es nun wohl herausfinden müssen. Das zuversichtliche Lächeln, das ihn sonst unablässig kleidet, ist aus seinem Gesicht gewichen und wird auch so schnell nicht wieder zu ihm zurück kehren. Das Blut eines Gottes fließt in seinen Adern? Kara hatte sich in ihrer Jugend schon solche Geschichten zusammen gesponnen, als sie vor fast zwanzig Jahren mit ihm gemeinsam in den geheimen Archiven des Kalaßer Rathauses war, doch wirklich daran geglaubt hatte sie nie. Sie glaubt ja nicht einmal an die Existenz der Götter, die für Nico eine Gewissheit zu sein scheint. Über die Jahre ist sie zu der Überzeugung gelangt es handle sich bei dem sogenannten Blut der Mana-i um einen Adelsstamm, der aus ideellen Gründen rein gehalten werden sollte. Von den Veränderungen ihres Körpers hatte sie Nico schon vor Jahren erzählt, doch er hatte sie nie ernst genommen, weshalb sie sich einredete es sei alles nur Einbildung. Kapitel 7: Mana-i, die Ewigen ----------------------------- Mit einem bepackten Esel im Schlepptau, machen sich Siva, Aiven, Zarihm und die etwa dreißigjährige Fremdenführerin Elise auf den Weg zur Quelle des Lanim. Ihre vier Pferde lassen sie in Brag Bugat zurück, um sie auf der Rückreise wieder mitzunehmen. Einmal werden sie auf dem Weg nach oben übernachten müssen, worüber keiner von ihnen besonders glücklich ist. Trotzdem sind sie schon dankbar wenigstens nicht bis zum Gipfel aufsteigen zu müssen und die erfahrene, wenn auch etwas derbe Bergsteigerin Elise dabei zu haben. Sie zeigt ihnen die sicheren Passagen, auf denen sie sogar zeitweise den Flusslauf aus den Augen verlieren. Der Strom macht viele unnötige Wendungen über unpassierbares Gebiet, erklärt die erfahrene Frau. Schwierige Aufstiege versucht sie mit kleineren Umwegen zu vermeiden, die auch für das Lastentier benutzbar sind. Es soll den Weg bis zur Lagerstätte mitkommen und dann dort zurück bleiben, um auf sie zu warten. Elise kennt sich gut in den Bergen aus und erklärt, dass es leider unbedingt notwendig sei eine Nachtwache zu bestimmen, denn in diesem Gebirge gäbe es eine Menge großer, gefährlicher Raubkatzen. Zarihm bereut schon jetzt, mitgekommen zu sein. Er hätte den Kindern sein schwarzes Siegel auch einfach geben und unten in der gemütlichen Herberge auf die beiden warten können. Doch nun ist es zu spät. Zu seiner großen Erleichterung verläuft die erste Nacht ereignislos. Am zweiten Tag brechen die vier kurz nach Sonnenaufgang auf. Elise muss die müden jungen Leute antreiben, die bereits nach dem ersten Tag völlig erschöpft sind. Siva, die von allen noch am vitalsten ist, hat beschlossen ihrer Bergführerin von den gezeichneten Karten ihres Vaters zu erzählen und sie ihr vorzulegen. Elise erkennt ein paar markante Felsformationen, die Nico als Wegmarkierung eingezeichnet hat. Es fällt ihr leicht die Karte zu deuten und sie führt ihre Schützlinge geradewegs zu der Klippe, unter der sich in der Steilwand die Höhle mit den von Nico entdeckten Inschriften befindet. Ein wunderschöner Ausblick weit über das Gebirge tut sich vor ihnen auf. Sie können bis zur Salaij Wüste im Südwesten und zur Nosrama Ebene im Nordwesten sehen. Es ist noch früher Nachmittag, als sie ankommen, weshalb ihnen noch jede Menge Zeit bleibt die Höhle noch am selben Tag zu erkunden. Klar und bestimmt verbietet Siva der überraschten Elise den Zutritt zu dieser Höhle. In Absprache mit den anderen beiden, bittet die Prinzessin sie sogar den Abstieg bereits ohne sie vorzunehmen. Elises Warnungen vor den Gefahren, diese Berge ohne Fremdenführer zu durchqueren, zeigen keine Wirkung, weshalb sie der Bitte des unbelehrbaren Mädchens schließlich nachgibt. Sie erhält ihre Bezahlung und reist verständnislos aber unvermittelt ab. Nun ist es soweit. Siva, Aiven und Zarihm lassen sich an einem Seil zum Vorsprung vor der, auf den ersten Blick, sehr verwitterten Höhle hinab. Ein starker Wind bläst stetig hier hinein, der anscheinend nur die jungen Männer zu quälen scheint. Siva erkennt sofort die vier Vertiefungen in der Felswand, die eben genau das Relief zeigen, welches ihr Vater vor fast dreißig Jahren in das kleine Notizbuch gezeichnet hat, das sie gerade in den Händen hält. Eilig sucht sie den Fußboden nach der Bodenplatte mit dem Abbild König Ramons in seiner Siegelrüstung ab. Auch diese findet sie wie erwartet vor. Aufgeregt ruft sie den Prinzen zu sich. „Aiven, hol die vier Siegel und lass sie da in die Wand ein!“ Er folgt ihrem Befehl, nimmt ihre drei Siegel und erbittet das vierte von Zarihm, der ihm seines ebenfalls bereitwillig aushändigt. Doch bereits beim Versuch das erste Juwel in die Wand einzulassen, stößt er auf ein unerwartetes Problem. Er hält das Erdsiegel vor die sonnenförmige Kerbe. Verwirrt schüttelt er den Kopf. „Siva, es... Es passt nicht.“ Erschrocken schaut sie zu ihm und faucht verständnislos: „Dann probier ein anderes!“ Aiven nimmt das Mondsiegel und hält es an eine viel zu krumme Öffnung in der Felswand. „Auch das passt nicht.“ Siva kann es nicht glauben und probiert es selbst. Unsanft und ungeduldig reißt sie ihm das das schwarze Juwel aus der Hand und drückt es gegen die falsch geformte Kerbe. „Das kann doch nicht sein.“ ruft sie empört und „Lass uns alle ausprobieren!“ Auch bei den anderen zwei Siegeln haben sie keinen Erfolg. Die Prinzessin will das nicht wahrhaben und sinkt, mit vor ihr hübsches Gesicht geschlagenen Händen, in sich zusammen. „War es etwa alles umsonst?“ haucht sie mit zittriger Stimme. Sie war so euphorisch, hat diesem Moment ihr ganzes Leben lang entgegen gefiebert und dann das? Zarihm steht noch immer wie angewurzelt am Eingang der Höhle. Ihm ist es ehrlich gesagt egal, ob die beiden Aristokratenkinder hier etwas herausfinden oder nicht. Er macht sich in diesem Moment viel mehr Gedanken um das, was sie bei ihrer Rückkehr erwartet. Der kalte Wind hier unten in der Höhle macht ihm so stark zu schaffen, dass er kurz darauf wieder nach oben klettert, wo er es sich an einem Baum gelehnt, gemütlich macht. Aiven hockt sich neben die sichtlich am Boden zerstörte, in sich zusammengesunkene Prinzessin und streichelt ihr zärtlich über ihren Kopf . Aus seiner Sicht zeigt sie zwar eine übertriebene und verfrühte Reaktion, doch trotzdem versucht er Verständnis aufzubringen und sie zu trösten. „Es ist noch zu früh um aufzugeben. Vielleicht zeigen die Symbole an der Wand nur eine Reihenfolge an, oder sie dienen sogar nur der Information, dass man die Siegel bei sich tragen soll. Lass uns doch gemeinsam als nächstes die Bodenplatte untersuchen.“ Siva nimmt die Hände von ihrem Gesicht und nickt zart. Anscheinend hat sie sogar geweint. Das Mädchen bekommt keinen Ton heraus, so fassungslos ist sie. Die beiden vergleichen Sivas Zeichnung mit der Bodenplatte, die hier aus Messing, anstatt aus Granit gefertigt ist. Sie scheint jedoch keine neuen Hinweise zu enthalten und die kleinen Unterschiede sind wohl eher zufälliger Natur und könnten sich auch damit begründen lassen, dass sie aus einem anderen Material oder von einem anderen Künstler gefertigt wurden. Die Messingplatte hier in der Höhle wurde allerding geschändet und sämtliche klaren Hinweise auf den Ewigen König Ramon wurden entfernt. Nur noch allgemeine Schriften sind auf ihr erhalten geblieben. Diese Texte können sie auf Sivas Zeichnung nachlesen, doch sie nützen nichts. Sie weisen nur auf den Bestatteten hin und scheinen nichts tieferes, wie ein Belebungsritual zu verbergen. Wahrscheinlich haben sie ihren Zwischenstopp in Kalaß dann doch völlig umsonst gemacht, denn ihre Erkenntnisse bringen sie überhaupt nicht weiter. Stundenlang suchen sie den weiter Raum ab, ohne auch nur einen Schritt voran zu kommen. Alles Mögliche haben sie nun schon in die Öffnungen gelegt. Zum Beispiel Erde in die Öffnung des Erdsiegels, sie haben einen lodernden Ast in die des Feuersiegels hinein gehalten und Wasser in das halbkreisförmige gegossen, sogar in die Tropfenform des Windsiegels hinein gepustet. Nichts davon hat etwas ausgelöst. Es scheint keinen versteckten Mechanismus zu geben, der ihnen einen weiteren Raum aufzeigen wird. Wenn es eine Lösung gibt, dann muss sie sich hier in der Höhle befinden. Aber selbst wenn König Ramon hier bestattet wurde, wie sind sie nur auf die Idee gekommen, sie könnten ihn ins Leben zurück holen? Nico hatte das Wort „Wiederbelebung“ mit einem Fragezeichen dahinter versehen, doch Siva war stets der festen Überzeugung es wäre mit Hilfe der Siegel möglich. Sie beschließt die vier Siegel nach einer Antwort zu befragen. Noch niemals hat sie alle gleichzeitig berührt und sie verspricht sich viel davon. Sie legt je zwei links und zwei rechts vor sich ab und berührt diese mit ihren bloßen Händen. Üblicherweise fasst die die Juwele nicht direkt an, da sie von ihnen Mental fortgerissen wird. Die Macht aller vier Siegel durch sich hindurch fließen zu lassen, fühlt sich für die junge Mana-i besser und ausgewogener an, als eine unvollständige Anzahl. Gigantische Energieströme durchfließen sie, die ihren Geist und ihren Körper zunächst vollständig wiederherstellen, diese Kraft aber bereits nach kurzer Zeit wieder aus ihr herauszuschöpfen scheinen. Siva scheint nicht stark genug zu sein, um die Energien halten zu können, die ihr immer wieder entschwinden und einen Teil von ihrer Kraft für sich beanspruchen. Die junge Frau probiert es immer und immer wieder und wird zunehmend erschöpfter. Nicht einmal den Ansatz einer Antwort oder von verborgenem Wissen kann sie darin ausmachen. Trotzdem will sie nicht nachgeben. Als sie nach unzähligen Versuchen kurz Ohnmächtig wird, verbietet es ihr Aiven weiter zu machen. Er überredet sein Mädchen sich erst einmal auszuruhen. „Sei nicht so selbstzerstörerisch, Siva. Gib die Hoffnung noch nicht auf! Vielleicht ist es zeitpunktabhängig und es hat etwas mit dem Licht zu tun. Vielleicht muss Mondlicht in die Höhle hineinfallen, oder das morgendliche Sonnenlicht.“ sind ein paar seiner letzten Ideen. Sie stimmt zu. Was bleibt ihr im Moment auch anderes übrig? Zarihm hat sich oben bereits ein spärliches Nachtlager errichtet, mit dem Wenigen, das sie hier hoch mitgebracht haben. Er hat zwar Angst vor einem Leopardenangriff, aber in die zugige Höhle will er nicht zurück. Er hofft, dass die zwei Königskinder jeden Moment zu ihm hinauf steigen, was sie allerdings gar nicht vor haben. Sie bleiben, in Decken gehüllt, unten in der Höhle zurück. Siva will nichts verpassen und ist nicht willig hinauf zu klettern. Trotz ihrer Erschöpfung macht die Prinzessin kein Auge zu und beobachtet die Wand und das Bodenrelief unablässig im Schein einer Fackel, die sie aufgestellt haben, während Aiven schon fast eingeschlafen ist. Mitten in der Nacht ruft sie plötzlich: „Randa Mana-i!“ was einige Male in der Höhle widerhallt. Sie hat einen Geistesblitz. Der müde Prinz schreckt hoch. Sie stößt ihn an. „Randa bedeutet ‚erneuern‘, Aiven! Das haben wir ganz aus den Augen verloren. Ich soll das göttliche Blut erneuern.“ Euphorisch schneidet sie sich mit einem Messer in die Hand. „Spinnst du?“ brüllt Aiven sie von der Seite an. „Was, wenn du Wundbrand bekommst?“ Ihn ignorierend erklärt sie: „Der leicht geöffnete Mund ist kein Zufall. Er braucht das Blut der Mana-i, Aiven. Verstehst du?“ Siva hockt sich vor die schwarze Bodenplatte. Sie lässt zunächst nur etwas Blut auf die leicht geöffneten Lippen des Messingreliefs von König Ramon tropfen. Als sie bemerkt, dass es versickert, lässt sie so viel hinein laufen, bis es ihr langsam schwindelig wird. Dann verbindet sie sich selbst die Hand. Aiven muss sie stützen, denn sie ist kaum noch in der Lage aus eigener Kraft zu sitzen. Mindestens eine halbe Stunde schaut sie, an ihn gelehnt, gebannt auf die Bodenplatte, ohne dass auch nur das Geringste passiert. Das im Schein der lodernden Fackel schwarz glänzende Blut, ist auf dem schwarzen Messingrelief kaum zu sehen. Das ist auch besser so, denkt Aiven, denn ein blutverschmierter Sarkophag ist eine abscheuliche letzte Ruhestätte. Er fragt sich, ob die beiden das Grab nun nicht noch mehr geschändet haben, als es ohnehin schon war und ist erleichtert, dass nichts passiert, denn alles andere wäre wider der Natur. Seine liebste Siva wird schon eines Tages darüber hinweg kommen. Er wird sie jedenfalls gern trösten. Im Moment möchte er einfach nur noch mit ihr nach Hause zurück kehren. Die beiden wickeln sich wieder in die Decke und setzen sich zurück an die Wand, an die sie zuvor schon angelehnt waren. Immer noch hat sich in der Höhle nichts getan. Siva grübelt weiter darüber nach was sie nur falsch macht. Vielleicht braucht sie auch nur etwas Schlaf um wieder klar denken zu können. Völlig erschöpft von den großen Anstrengungen und dem Blutverlust schläft sie in Aivens Armen ein. Ziemlich früh am Morgen erwacht die Prinzessin erschöpft aufgrund eines dumpfen undefinierbaren Geräusches. Je klarer sie im Kopf wird, desto eher glaubt sie daran eine Art Hämmern zu hören. Eilig weckt sie den Prinzen, der sie die ganze Nacht im Arm gehalten hat. „Wach auf! Ich höre etwas.“ flüstert sie ihm ins Ohr. Er findet langsam zu sich und entlässt sie aus seinem Griff. Der Ursprung des Geräusches ist schnell unter der Bodenplatte ausgemacht. Vom Blut, das sie in der Nacht hier hinein gelassen hat, ist kaum noch etwas zu erahnen. „Aiven!“ ruft sie aufgeregt, „Wir müssen sie aufstemmen!“ Das gestaltet sich gar nicht so einfach, denn die Platte ist vollständig im Boden eingelassen. Aiven holt Zarihm herunter in die Höhle und bittet ihn, eine Art Hebel mitzubringen. Dieser ist ein wenig verstimmt, weil ihn die beiden Aristokraten oben allein gelassen haben. Allerding kennt er auch seine Stellung in der Rangordnung und weiß, dass es ihm nicht zusteht sich zu beschweren. Das Stabilste was er finden kann, sind die beiden Schwerter der Königskinder. Die teuren Stücke werden diese unsachgemäßeVerwendung nicht unbeschadet überstehen. Aus Mangel an Alternativen, sind sie mit dieser jedoch Notlösung einverstanden. Das schwache Hämmern ist währenddessen beständig weiter zu hören, was Siva in erwartungsvollen Glücksgefühlen baden lässt. Zarihm klettert zu ihnen hinunter und bekommt es langsam mit der Angst zu tun. Was um alles in der Welt passiert hier? Siva und Aiven nehmen ihm ihre Schwerter ab und ziehen sie aus der Schwertscheide, um mit der Klinge in den schmalen Spalt zwischen steinernem Boden und Messingplatte eindringen zu können. Die hochwertigen Schneiden nehmen dabei beträchtlichen Schaden, doch es funktioniert. Zu ihrem Glück erstreckt sich die Platte gar nicht über die ganze Fläche. Sie ist in mehrere Abschnitte unterteilt. Die obere, die sie versuchen aufzustemmen, reicht nur bis zur Brust der mannesgroßen Figur. Als sie die erste, trotzdem sehr schwere Platte, gemeinsam ein kleines Stück angehoben haben, schiebt Siva eine der Schwertscheiden unter eine der Ecken. Nun lässt diese sich relativ leicht zur Seite weghebeln. Die Prinzessin sieht zuerst hinein und wagt ihren Augen kaum zu trauen. Keine halbverrottete Mumie, sondern ein ihn ihren Augen außerordetlich schöner Mann sieht sie aus seinen satten blauen Augen an, die den ihren sehr ähnlich sind. Sein volles, glänzendes, halblanges violettes Haar, das dunkler als ihres ist, liegt ihm unordentlich im hübschen Gesicht. Seine Kleidung ist, wenn auch etwas staubig, in einem unerwartet guten Zustand. Am Hals und an den Ohren, sowie an den Armen und Fingern trägt er reich verzierten Goldschmuck, der von der Form her an Pfauenfedern denken lässt. Die junge Frau ist wie gebannt von seinem schönen, aber auch ebenso ehrwürdigen Anblick. Der Mann im Sarkophag hatte schon einige Stunden Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. Ihm ist jedoch noch völlig unklar wie lange er in seinem kaltem Grab gelegen haben könnte. Er hat jedes Zeitgefühl verloren. Weder wie viele Jahre vergangen sind, noch wie lange der Prozess des Aufwachens gedauert hat, kann er beurteilen. Ihm kam es ewig vor. Er dachte schon er wurde wiedererweckt, nur um ihn dann hier zurückgelassen, damit er erneut jämmerlich verrecken kann. Diese makabere Tat hätte er seinem Erzfeind König Nienna zugetraut, falls dieser vom Ritual erfahren hätte. Oder es ist jemand anderes gewesen, vielleicht sogar in einem anderen Zeitalter, der absolut keine Ahnung hat was er hier eigentlich tut? Er versteifte sich auf die zweite Antwort und hämmerte hoffnungsvoll gegen den Sargdeckel. Diese Strategie war zu seinem Glück von Erfolg gekrönt. Im gleißenden Licht der Morgensonne, an das er sich erst einmal wieder gewöhnen muss, erkennt er nach einiger Zeit das Gesicht einer außerordentlich schönen Frau seines Volkes. Selbst für dieses erhabene Geschlecht ist sie von besonderer Schönheit gekrönt. Für ihn ist vom ersten Moment an völlig klar, dass es sich bei ihr nur um seine neue Braut handeln kann. Zur Sicherheit sieht er in ihren Gedanken nach, denn seine Fähigkeiten sind schon teilweise zurück gekehrt und ein Gedanke ist viel ehrlicher als ein Wort. Ganz zu seiner Erleichterung widersprechen ihre positiven Gefühle seiner Auffassung nicht. Nach einer Weile erkennt er auch zwei männliche Gesichter über sich. Beides sind normale Menschen. Auch nach den zwei Männern erkundigt er sich bei ihr. Den hellhaarigen hübschen jungen Mann identifiziert er als Vasall und Gespielen der schönen Mana-i. Der andere scheint nur ein niederer Diener zu sein. Nun muss sich die schöne Frau nicht mehr mit Liebhabern vertun, denkt er. Denn nun ist er ja da. Er erhebt sich ein Stück. Dabei ist ein hohes Klimpern seines Geschmeides zu hören. Er ist noch nicht vollständig wiederhergestellt und es fällt ihm schwer zu sprechen. Mit aller Kraft fragt er mit seiner dunklen, warmen Stimme: „Welches Jahr?“ „Zwei-fünfundzwanzig tara Seris“ antwortet Siva prompt, diese Frage erwartend „also genau zweihundertfünfundzwanzig Jahre nach dem Sieg über das Königreich Kalaß.“ Der Mann in dem Sarg schließt die Augen. Hat Nienna nach ihm etwa ein neues Zeitalter ausgerufen? Abscheulich. Vor ihm dreht sich alles. Er streckt seinen schmuckbehangenen Arm nach oben aus und die junge Prinzessin ergreift ihn. Auch Aiven hilft, wenn auch mit gemischten Gefühlen, dabei den schönen Wiedererweckten aus seinem Grab zu holen. Er hat bemerkt, dass seine Freundin ihn sehr interessiert musterte, was dem Prinzen gar nicht gefiel. Zarihm weicht, das Gesicht verziehend, zurück. „Bin ich der einzige, der das hier total abstoßend findet?“ Er macht einen Schritt nach hinten, doch die anderen ignorieren ihn. Der frühere König, der gerade noch ein Toter war, sitzt nun auf dem Boden neben den beiden Königskindern. Erneut mit aller Kraft drückt er ein Wort aus seinen Lungen: „Siegel!“ Umgehend sammelt Siva die vier Siegel zusammen und reiht sie sorgfältig neben ihm auf. Als er die Steine berührt, erfüllt ein gleißendes, türkisfarbenes Licht die Höhle, das nicht von den Steinen, sondern von ihrem Meister ausgestrahlt wird. Endlich ist Ramon in der Lage sich etwas zu regenerieren. Bis er sich vollständig wiederhergestellt haben wird, ist wahrscheinlich noch einige Zeit nötig. Er sieht sich kurz im Raum um und erkennt, dass viele der Inschriften unkenntlich gemacht wurden und auch sein Name kaum noch lesbar ist. Das war garantiert ein später Racheakt Niennas. Auch wenn er ihm übel mitgespielt hat, so ist es doch unverschämt die letzte Ruhestätte eines Mannes zu schänden, urteilt Ramon. Er bezieht viel Kraft aus den Siegeln und ist bereits nach kurzer Zeit wieder fähig normal zu sprechen und wahrscheinlich auch aufzustehen. Erhaben und laut richtet er nun das Wort an die schöne Mana-i. Seine warme dunkle Stimme erfüllt die Höhle. „Ihr wisst sicherlich wer ich bin, Hoheit.“ Furchtlos aber voller Respekt und überglücklich über ihren Erfolg antwortet sie: „Wir glauben Ihr seid der legendäre ‚Ewige König‘ Ramon.“ Der „legendäre Ewige König“. Endlich ist mal etwas nach seinem Geschmack. Er fürchtete andere Namen zu tragen, nach all dem was er getan hat, deshalb stimmt er erfreut zu: „Das ist richtig. Bitte unterrichtet mich zum Zustand der Welt in diesen Tagen.“ Siva will zu sprechen beginnen, als er mit seinem Zeigefinger ihren Mund berührt. „Nicht so, meine Schöne. Zeigt es mir!“ Sie zuckt ganz leicht überrascht zusammen, aber nicht von ihm weg. „Euch zeigen?“ antwortet sie verwundert. „Was meint Ihr, Majestät? Erst jetzt wird ihm klar wie jung das Mädchen vor ihm eigentlich ist und wie verkümmert ihre Fähigkeiten, deshalb antwortet er sanft lächelnd: „Ist nicht so wichtig. Nun helft mir heraus aus dieser Gruft. Beim Abstieg des Berges werden wir noch ausreichend Zeit haben miteinander zu plaudern.“ Ihr Herz klopft wie verrückt im Angesicht dieses imposanten Mannes. Obwohl er gerade aus dem Land der Toten zurückgekehrt ist, findet sie ihn kein bisschen abstoßend. Aiven hält sich zurück. Er ist sich nicht sicher, ob er sich über den Erfolg der Mission freuen, oder sich fürchten soll. Vielleicht sollte er zudem ein Auge auf diesen König haben, da er sich verdächtig zärtlich gegenüber seiner Nachfahrin verhalten hat. Wer weiß was nach diesem langen Schlaf alles in ihm vorgeht? Alle vier steigen nun am abgebrachten Seil an der Klippe aus der Höhle hinauf und Aiven fällt auf, dass der eisige starke Wind, der die ganze Zeit durch die Höhle fegte, verschwunden ist. Zarihm kann es noch immer nicht fassen, dass alle, außer ihm, anscheinend damit klar kommen, gerade einen Toten wiedererweckt zu haben. Er hätte sich fast übergeben, als die „Leiche“ Siva im Gesicht berührt hat. Was sind das nur für Leute? Sein Siegel hat er bereits in der Höhle wieder an sich genommen. Am Fuß des Berges will er die Gruppe so schnell wie möglich hinter sich lassen. Mit so etwas will er nichts zu tun haben. Die Rebellen, die unten auf ihn warten, hat der in diesem Moment schon wieder völlig vergessen. Ramon ist bereits in der Lage mit den anderen Schritt zu halten. Drei der vier Siegel trägt er noch bei sich und solange ihn keiner auffordert sie auszuhändigen, wird er sie auch behalten. Siva will sie ihm noch nicht nehmen, denn sie weiß, dass er sich aus ihrer Kraft regeneriert. Auf dem Weg zum Zwischenlager möchte sie gern ein paar Zusammenhänge erklären: „Mein Name ist Siva Dugar. Ich bin die Tochter des Königs von Roshea Nico Dugar. Er ist auch ein Mana-i, wie Ihr, Majestät. Wahrscheinlich ist er sogar Euer Nachfahre.“ Bereits das ist dem wiedererweckt König zu viel. „Dugar“- den Namen hat ihr Vater sich wahrscheinlich selbst gegeben, denn er bedeutet „Sturm“, das wundert ihn noch nicht. Dass ein Mana-i König von Roshea ist, bedeutet dann wohl, dass der Rosheanische Adel und damit auch Hernans Herrscherfamilie, gestürzt wurden. Das freut ihn insgeheim. Nun kann er sich denken was mit seinem Königreich passiert ist. Mit einer schlechten Vorahnung fragt er: „Was ist mit Kalaß?“ „Oh“ erwidert Siva betroffen, „Das Königreich Kalaß wurde aufgelöst und die Länderein unter den Königreichen Yoken und Roshea aufgeteilt. Heute heißt nur noch die Festungsstadt so, die früher den Namen Tarbas trug.“ Der frühere König weiß, dass er selbst daran Schuld ist, doch es ärgert ihn trotzdem. Sein wundervolles Königreich Kalaß, das er so sehr geliebt hat, mehr als seine Frau, ja mehr sogar als seine Kinder..., gibt es nicht mehr. Er verschließt seine Trauer in seinem kalten Herzen und fragt weiter: „Was passierte mit diesem hinterhältigen Jungspund Nienna?“ Siva kichert: „Das kann wohl eher Aiven beantworten.“ Ramon schaut den jungen Aristokraten scharf an, der sich nun ebenfalls vorstellt. „Ich bin Aiven Lethorius. Meine Eltern sind die Herrscher des Königreichs Yoken. Meine Mutter stammt aus der Blutlinie König Niennas.“ Ramon macht einen Satz nach vorn und landet direkt vor Aivens Füßen. Er schaut ihm mit einem finsteren Blick tief in die Augen und stellt fest: „Dann bist du der Nachfahre meines Erzfeindes. Der, dem ich das hier alles zu verdanken habe.“ Er fasst sich an seine Gürtelschnalle, an der er sein Schwert vermisst. Die Prinzessin geht geschockt dazwischen. „Beruhigt Euch bitte, Majestät. Ihr wollt doch keine Blutfehde auslösen, oder? Ohne Aiven würdet Ihr nämlich noch immer dort oben im kalten Gestein liegen, denn ohne ihn hätte ich das alles hier nicht geschafft.“ Der wiedererweckte König sieht in die schönen Augen seiner Nachfahrin. Sie sagt die Wahrheit, deshalb lässt er von dem Kind vor sich ab und läuft weiter als sei nichts gewesen. „Wenn Ihr das sagt, Prinzessin.“ Aiven hat den Impuls Ramon etwas an den Kopf zu werfen, sich gegen sein unverschämtes Verhalten aufzulehnen, doch er traut es sich nicht. Anscheinend hat er Angst vor ihm, diesem unnatürlichem Wesen, was ihn sehr ärgert. Siva hingegen scheint Ramon eher anzuhimmeln. Der Prinz kann es nicht fassen und seine Stimmung wird zunehmend schlechter. Er hätte ihr niemals helfen dürfen diesen Mann von den Toten zu erwecken. Kein Wunder, dass König Nico dagegen war. Er wusste wohl, dass Ramon gefährlich ist. Aber wie konnte er auch davon ausgehen, dass es wirklich funktionieren könnte? Eine Weile kehrt Ruhe ein. Sie laufen alle drei nebeneinander. Siva geht in der Mitte zwischen den beiden adeligen Männern. Ein ganzes Stück weiter vor ihnen läuft Zarihm, der mit gutem Grund Abstand hält. Die Prinzessin ist überglücklich. Sie weiß nicht wie lange es her ist, dass sie so ein wunderbares Gefühl in ihrer Brust spürte? Oder hatte sie es sogar noch niemals? Endlich treten ihre unablässigen Sorgen über ihr Wesen in den Hintergrund. Wie lange hat sie darauf gewartet diese endlich zu Schweigen bringen zu können? Irgendwie hat sie das Gefühl endlich gefunden zu haben, was ihr immer fehlte. Bereits jetzt glaubt sie mehr über sich und ihr Volk gelernt zu haben, als Nico ihr je erzählt hat und nun ist sie endlich am Zug, Fragen an ihren Vorfahren zu stellen. Sie hofft vorfreudig, dass Ramon mitteilungsfreudiger ist, als ihr Vater, aber selbst wenn nicht, wird das ihre Hochstimmung nicht trüben. „Ramon, würdet Ihr mir bitte ein paar Fragen zum Geschlecht der Mana-i beantworten?“ Er legt seinen Arm sanft an ihren Rücken, was Aiven etwas beunruhigt und antwortet: „Aber natürlich, meine Liebe. Am besten Ihr sagt mir was Ihr schon wisst und ich ergänze es dann.“ „Wirklich? Oh, vielen Herzlichen Dank, Majestät!“ So kriecherisch hat Aiven die Prinzessin in seinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Er schüttelt entsetzt den Kopf, während sie fröhlich beginnt zu erläutern, was sie weiß. „Mein Vater Nico hat mir sogut wie nichts darüber verraten wer wir tatsächlich sind und von wo oder wem wir abstammen. Ich habe hier und da Dinge aufgeschnappt, die nach Legenden und Märchen klingen. Die Kalaßer Herrscher wurden vor Jahrhunderten als Gottkönige verehrt, von den Göttern selbst sollen sie abstammen. Ihr, Ramon, seid der ‚Ewige König‘, der laut den Geschichtsbüchern Vierhundert Jahre lang regiert haben soll. Mein Vater beteuert diese Welt sei frei von Magie oder anderen übernatürlichen Dingen, besitzt aber gleichzeitig ein Siegel des Windgottes, dass ich ohne weiteres erspüren kann. Nun, im Kern war es das schon.“ „Wenn das alles ist, dann ist es nicht sehr viel was Ihr wisst, Prinzessin.“ entgegnet Ramon entsetzt und führt aus: „In den Geschichtsbüchern steht nur das, was ich die Welt über unser Volk wissen lassen wollte. Es mag sein, dass ich sehr viel mehr weiß, als es für eine Person gut ist, aber jeder andere Mana-i weiß doch schon mehr als das, was Ihr mir da erzählt und Ihr seid die nächste Thronanwärterin. Habt Ihr Euch nie mit den anderen ausgetauscht?“ Siva macht große Augen und bleibt stehen. „Ihr...Ihr wisst es nicht?“ Die beiden Männer bleiben stehen und drehen sich verwundert nach ihr um. Sie spricht bedrückt weiter: „Ich verstehe. Dann muss ich Euch etwas sehr trauriges mitteilen, Ramon. Mein Vater und ich...wir sind die letzten, die vom Geschlecht der Mana-i übrig geblieben sind. Außer uns gibt es keine weiteren.“ Starren Blickes entgegnet er: „Das ist nicht möglich. Etwa Hundert Mana-i lebten in Kalaß, als ich mich für sie opferte.“ Sie geht auf ihn zu, bleibt aber mit einem gebührlichen Abstand vor ihm stehen. „Als emeritierter König muss es schwer sein das zu hören, denke ich.“ Das muss Ramon erst einmal verkraften. Aufgrund ihres letzten Satzes streift ein Lächeln über sein hübsches Gesicht. „Es ist schmeichelhaft von Euch das zu sagen, Prinzessin, aber ich bin nicht emeritiert. Ich wurde entthront. Zumindest das sollte Euch doch hinreichend bekannt sein. Nienna wird die Gelegenheit nicht verfehlt haben, mich ad mortem zu diskreditieren.“ Betroffen senkt Siva ihren Blick, die nichts dazu äußern möchte. Ramon richtet sich an Aiven und befiehlt schroff: „Prinz von Yoken, sagt mir was über mich und Nienna in den Geschichtsbüchern steht!“ Dieser ist überrascht, dass er plötzlich in das Gespräch einbezogen wird. Ramon behandelt ihn wie einen Handlanger, was ihm sehr aufstößt, deshalb nimmt er nun allen Mut zusammen, um sich gegen diesen beängstigenden Mann aufzulehnen. „Bin ich Euer Vasall? Lest es doch selber nach, König der Toten!“ Dieser hebt die Schultern und ignoriert diplomatisch den persönlichen Angriff. Hat er die Stellung des Jungen falsch interpretiert? Ist Yoken gar kein Vasallenstaat Rosheas? „Seid Ihr es nicht? Was seid Ihr denn dann?“ Aiven geht entschlossen zu Siva, nimmt ihre Hand und antwortet selbstbewusst: „Ich bin Sivas fester Freund.“ Sie schämt sich ein bisschen für diese peinliche Situation, nicht aber für Aiven, zu dem sie steht. Die Bezeichnung „fester Freund“ erschließt sich Ramon nur aus dem Kontext. Anscheinend sind die beiden einander versprochen. Ein solches Bündnis zwischen den großen verbliebenen Königreichen Roshea und Yoken macht für ihn durchaus Sinn, doch die Verbindung zwischen den Thronerben stellt für ihn ein ernstes Problem dar, gerade auch, da er nun erfahren hat, dass es keine einzige andere weibliche Mana-i mehr geben soll. Nicht ohne Grund ist er davon ausgegangen, dass die Prinzessin seine Braut sei. Natürlich wird er den beiden nicht erzählen was in ihm vorgeht. Seine Strategie muss er nun allerdings anpassen. Gut, dass er es noch rechtzeitig erfahren hat. Er lenkt ein: „Entschuldigt bitte, Prinz Aiven von Yoken und Prinzessin Siva von Roshea, dass ich die Situation missverstanden habe. Selbstverständlich begrüße ich die Verbindung beider Königreiche auf Augenhöhe.“ Aiven runzelt die Stirn, wohingegen seine Freundin verständnisvoll reagiert. „Es ist schön, dass Ihr das so seht.“ Sie schließt wieder zu ihm auf. „Wir sind vom Thema abgekommen. Ihr wolltet mich über die Mana-i aufklären.“ Der gefallene König lächelt als Antwort. „Ihr habt Recht. Eigentlich ist dieses Wissen nur für unsere Ohren bestimmt, doch in diesem speziellen Fall, will ich eine Ausnahme machen.“ Er winkt den Prinzen zu sich. „Kommt, Prinz Aiven, wir gehen weiter. Ich möchte Euch beiden von den Mana-i erzählen.“ Das ungute Gefühl in Aivens Bauch hat sich nicht gelegt. Sein Aufbegehren hat jedoch anscheinend die Fronten geklärt, was ihn wenigstens etwas erleichtert. Er kommt der Bitte nach und schließt auf. Der Versuch, sich zwischen die beiden miteinander entfernt Verwandten zu drängen, scheitert. Dann beginnt Ramon mit seinen Ausführungen. „Ich beginne mal ganz am Anfang. Ich bin sicher die vier Elementargötter sind Euch Siva und Euch Aiven ein Begriff. Vor mehr als zehntausend Jahren waren sie noch nicht so entrückt, wie sie es heute sind. Besonders Ahanani und Phantakare leibten die Menschen und halfen ihnen beim Aufbau immer größerer Stämme bis hin zu ganzen Zivilisationen. Kawanata und Fuathel fanden es jedoch schon immer anmaßend in die Belange der Menschen einzugreifen und stritten sich sehr oft mit den anderen beiden Göttern darüber. Vor allem Fuathel fühlte sich in seinem Tun von den Menschen belästigt, die ihm nichts bedeuteten. Über die Jahrtausende verloren immer wieder Menschen aufgrund seines unüberlegten Handelns ihr Leben, was auch Kawanata eines Tages nicht mehr dulden wollte, also schlossen sich die Götter der Erde, des Feuers und nun auch des Wassers gegen den Gott des Windes zusammen. Sie zwangen seinen Geist in einen fleischlichen Körper, den sie auf die Erde entsandten und sie versiegelten seine Macht bis zu dem Tage, an dem auch er die Menschen liebte. Viele Jahrhunderte vergingen, in denen er ziellos und verzweifelt über sein Schicksal durch die Lande streifte, bis er eines Tages einen Menschen kennen lernte, der alles veränderte. Er begegnete einer menschlichen Frau die anders war als alle anderen. Er blieb bei ihr und fand einen Weg Nachwuchs mit ihr zu zeugen, was ihm eigentlich unmöglich sein sollte. Das erzürnte die anderen drei Götter, die es danach verlangte diese Anomalie zu zerstören. Fuathel, den bis zu diesem Zeitpunkt nur seine eigene Existenz am Herzen lag, bot sich selbst, sein göttliches Leben an im Austausch gegen das des Kindes. Die anderen Götter sahen ein, dass sie in Wahrheit Erfolg hatten, denn der wahrhaftige Windgott liebte etwas auf der irdischen Welt mehr als sich selbst. Gütig ließen sie es am Leben und gaben Fuathel seine Macht zurück. Torani-Colian, der unsterbliche Sohn des Fuathel, wuchs zu einem außergewöhnlichen Mann auf. Er begann die über ganz Altera verstreuten Stämme zusammenzuschließen und gründete als Erster König das Weltreich Kalaß. Er, ein Halbgott, war der erste Mana-i der Geschichte und, Prinzessin Siva, er ist unser gemeinsamer Urahn.“ Das alles klingt viel zu unglaublich, als dass es wahr sein könnte, doch er erzählt es wie eine Tatsache. Siva weiß nicht wie sie darauf reagieren soll. Sie hatte so viele Fragen und nun fällt ihr keine mehr ein, Aiven allerdings schon. Er vertritt den Glauben, die Götter hätten Altera inzwischen verlassen und interessiert sich deshalb sehr dafür. „Ramon, genau dies habe ich so und so ähnlich schon einmal gelesen, denn das ist es, was im Kern in der ‚Antatia Mande‘ geschrieben steht. Nehmt Ihr diese Mythologie etwa für bare Münze?“ „Ja und nein, lieber Prinz. Es gab zu meinen Zeiten schon viele Versionen der ‚Antatia Mande‘. Einige trafen die Wahrheit recht genau, andere wichen stark davon ab. Ich beziehe meine Informationen von der Quelle.“ In Aivens Ohren klingen Ramons Ausführungen immer abenteuerlicher. Wieder runzelt er die Stirn. „Von der Quelle? Was soll das bedeuten? Wovon sprecht Ihr?“ Der wiedererweckte der König lächelt verständnisvoll. „Von den Göttern selbst natürlich. Nachdem was ich alles getan habe, wollen sie sich mir allerdings nicht mehr offenbaren. Ein leidiges Thema, das ich gern hinter mir lassen möchte.“ Siva glaubt den Erklärungen aufs Wort, denn sie will gern daran glauben etwas göttliches sei in ihr. Im Moment ist sie zufrieden damit und hat keine weiteren Fragen. Ramon gefällt ihr. Er weiß so unglaublich viel und macht den Eindruck sein Wissen gern mit ihr zu teilen. Sie sieht zu ihm auf, wie zu einem Mentor. Der junge Prinz, der eigentlich nicht das Gefühl hat, bisher überhaupt irgendetwas Neues erfahren zu haben, bleibt skeptisch. Die Frage aller Fragen, wieso Ramon sein unnatürlich beendetes Leben ebenso unnatürlich Jahrhunderte später weiterführen möchte, ist er im Moment einfach nicht fähig aussprechen. Wenn sie ihm auch noch so sehr auf der Zunge brennt. Vielleicht kann er sie auch deshalb nicht aussprechen, weil er Angst vor der Antwort hat. Wirklich besorgniserregend findet er Sivas unreflektiertes Verhalten. Der Abstieg geht schneller vonstatten, als der Aufstieg des Berges. Bereits zu einer frühen Nachmittagsstunde erreichen sie das Zwischenlager, in dem sie bis zum Morgen des nächsten Tages rasten werden. Nach wie vor stehen hier drei Zelte, die sie auf dem Hinweg hier aufgebaut haben und ihre Fremdenführerin Elise hat den Esel für sie da gelassen. Zarihm hat bereits begonnen Holz für das abendliche Lagerfeuer zu holen, als die anderen drei eintreffen. Wie von ihrer Fremdenführerin angeraten, teilen sie Nachtwachen ein. Die Erste wird Aiven übernehmen, die Zweite Siva und die Dritte Zarihm, der deshalb auch schon eher schlafen geht, als die anderen. Die Adeligen sitzen zusammen auf einem vor dem vorbereiteten Lagerfeuer liegenden Baumstamm. Die drei sprechen noch etwas über die aktuelle Situation in den Königreichen, bevor später nur noch Aiven allein am Feuer sitzt. Seine kompletten drei Stunden Schicht grübelt er über die jetzige Situation nach, die ihm so gar nicht gefällt, dann weckt er seine Prinzessin. In der mondlosen Nacht strahlen die Sterne hell am Firmament. Ohne zu Murren steht sie auf und tritt ihre Schicht an. Er ist der Meinung, dass sie viel unbeschwerter wirkt als sonst und setzt sich noch etwas zu ihr ans Feuer. Besorgt sagt er: „Du hattest bedenken bei dem Dieb, aber ich glaube er ist nichts im Vergleich zum gefallenen König. Was glaubst du will er? Ich mache mir Gedanken, dass er seinen Thron zurück fordern könnte.“ Siva kann dem verunsicherten jungen Mann überhaupt nicht folgen. „Was denn für einen Thron, Aiven? Den Thron, den der innehatte, gibt es doch gar nicht mehr und daran ist er selbst schuld. Das weiß er genau. Es gibt nichts, das er fordern könnte.“ Sie legt ihren Kopf an seine Schulter. „Es macht mich so glücklich endlich etwas über mich erfahren zu können. Das habe ich alles nur dir zu verdanken, Aiven. Ich bin so froh, dass du bei mir bist. Aber geh jetzt schlafen. Du musst doch müde sein und mach dir nicht zu viele Sorgen. Das passt gar nicht zu dir.“ Aiven ist etwas beruhigt. So sanft und ausgeglichen hat er sie selten erlebt. Sie gibt ihm einen Gutenachtkuss auf den Mund, bei dem sie für einen Sekundenbruchteil nicht ihren Prinzen, sondern Ramon vor sich sieht und zuckt zurück. Aiven hält es für einen Scherz. „Was ist los, Herzchen? Bist du geschockt, weil du so lieb zu mir warst?“ Sie hält inne. War das ihr eigener Gedanke? Dabei ist sie sich bei Aiven doch eigentlich recht sicher gewesen. Es ist ihr zu unangenehm, um es auszusprechen. Verwirrt antwortet sie: „Nein, ich...ich weiß es nicht so genau.“ Er grinst selbstsicher: „Ah, jetzt verstehe ich. Du bist ganz rot geworden. Das sehe ich trotz des schwachen Lichts. Du brauchst dich nicht dagegen zu wehren, du kleines Teufelchen.“ Er legt seine Arme um ihre Hüfte, was ihr tatsächlich zusagt. Er beugt sich zu ihr, um sie erneut zu küssen. Aus Angst es könnte noch einmal passieren, weicht sie zart zurück, doch als sich diesmal ihre Lippen sanft berühren, ist alles so wunderbar wie es sein sollte, was in Sivas Herz für Erleichterung und erneut für Klarheit sorgt. Lächelnd sinkt sie an seine Brust gelehnt zusammen, so wohl fühlt sie sich. So aneinander gelehnt sitzen sie noch etwas da, doch es ist tiefste Nacht und Aiven benötigt dringend etwas Schlaf, weshalb er sich dann doch gähnend verabschiedet. Kaum ist er eingeschlafen, gesellt sich Ramon zur müden Prinzessin, die Mühe hat aufrecht zu sitzen. Die mittlere Schicht ist mit Abstand die schlechteste, denkst sie. Wieso hat sie sich nur dafür gemeldet? Der gefallene König setzt sich nah neben sie. Dabei vernimmt sie ein leises klimpern seines Geschmeides. Mit seiner tiefen, ruhigen, vertrauenerweckenden Stimme fragt er die junge Frau: „Möchtet Ihr Euch an mich lehnen, Prinzessin?“ Wirklich müde, aber auch entspannt antwortet sie: „So erschöpft bin ich dann doch nicht, Ramon.“ Sie schaut unsicher zu ihm, als sie bemerkt wie spitz ihre Antwort gerade eigentlich gewesen ist. Kaum ist sie müde kommt ihr wahrer Charakter zum Vorschein. Das Gespräch eben mit Aiven hat sie auch wieder etwas auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und ihr gezeigt was wirklich wichtig im Leben ist. Sie verehrt Ramon, aber das geht nicht so weit, sich ihm unterzuordnen. Damit muss er lernen klarzukommen. Sie ist schließlich immer noch die Anführerin dieser Mission. Entschlossen sieht ihn nun an. Ramon lächelt, als habe er es nicht gehört. Er richtet eine ihrer Haarsträhnen, was ihr merkwürdig vertraut vorkommt, dabei fragt er sanft: „Habt Ihr keine Angst vor mir?“ Sie kichert fröhlich: „Warum sollte ich? Ihr gehört doch schließlich zur Familie.“ Er sieht hinauf in den Nachthimmel. „Ich verstehe. Das ist sehr schön, denn der Prinz hat Vorbehalte gegen mich und Euer Diener meidet mich gänzlich. Für sie bin ich vermutlich eine Abscheulichkeit. Es ehrt mich sehr zu hören, dass Ihr mich als Euriger in der Familie akzeptiert.“ Er sieht sie wieder an. Sein Blick ist weich, fast zerbrechlich. „Ihr liebt diesen jungen Prinzen, nicht wahr?“ Siva bekommt keinen Ton heraus. Liebe ist so ein großes Wort, mit dem sie eigentlich nicht jonglieren will. Es wird still und nur der milde Wind ist noch zu hören, wenn er Ramons goldenes Geschmeide zum erklingen bringt. Sie schluckt, denn sie ist ihm eine Antwort schuldig und ringt sich durch es in abgemilderter Form zu bestätigen: „Wir sind noch nicht lange zusammen, aber ich mag Aiven wirklich sehr.“ Wieder lächelt er, doch dieses Mal wirkt es etwas gezwungen, fast etwas traurig. Zwar klingt es nicht final, doch trotzdem überzeugt. „Dann bin ich wohl etwas zu spät erweckt worden, Prinzessin, denn Euer wertes Herz ist schon vergeben. Diese neue Welt begrüßt mich mit bittersüßem Schmerz.“ Siva fällt es schwer ihn ernst zu nehmen. Sie nimmt ihre Hand vor den Mund, um zu verbergen, dass seine Worte sie zum Schmunzeln bringen. „Verzeiht, ich habe mir Euch etwas anders vorgestellt. Ihr hört Euch an wie eine antike Liebesballade.“ nuschelt sie, was der schöne Mann ganz gefasst aufnimmt. „Prinzessin, es ist mir ernst. Vom ersten Moment an sah ich in Euch meine Braut. Selbst unter den Mana-i seid ihr eine wahre Schönheit. Der Sternenhimmel verblasst hinter Euch.“ Das war‘s. Die junge Frau kann nicht mehr an sich halten. Sie muss lachen und kann es nicht verbergen. Da sie schlaftrunken ist, hat sie ihr ungestümes Wesen nicht unter Kontrolle. Sie gibt sich alle Mühe, dabei leise zu sein, denn sie möchte die beiden Jungs nicht wecken. Es dauert ein bisschen, bis sie sprechen kann. Der gefallene König lässt sich nicht vorführen. Er wartet aufrecht sitzend geduldig ab, bis sich die junge Frau wieder beruhigt hat. „Was soll das, Ramon? Solche Reden zu schwingen ist antiquiert. Heutzutage steht kein Mädchen mehr auf sowas.“ Er nimmt ihre Kritik an, als sei sie konstruktiv und objektiv gewesen. „Es tut mir leid, dass mir die heutigen Gepflogenheiten nicht bekannt sind. Auf welche Art soll ich der Frau meines Herzens in diesen Zeiten mitteilen, dass ich ihr verfallen bin?“ Sie rückt ein Stück von ihm weg. „Das reicht mir jetzt. Ihr werdet langsam etwas zudringlich, Majestät.“ Er rückt ihr dieses Stück hinterher. „Möchtet Ihr nicht viel lieber meine reinblütigen Kinder gebären, als die seinen?“ Das ging ihr nun deutlich zu weit. Sie wird unsicher worauf dieses Gespräch hinaus laufen soll. Sich gegen Avancen zu wehren, ist sie gewohnt, aber so offensiv war selbst Aiven nicht, von dem sie immer dachte, dass er überhaupt kein Schamgefühl zu haben scheint. Ramon legt seine Hand auf ihr Knie. Aus irgend einem Grund ist sie nicht fähig sich zu bewegen. Er kommt ein weiteres Stück näher, um sie zu küssen. Ihr gehen plötzlich erotische Bilder durch den Kopf. Dinge, die zwischen ihr und ihm geschehen könnten. Angewidert löst sie sich aus seinem Bann und stößt ihn kraftvoll weg, was ihn sehr überrascht. Er entschuldigt sich. „Verzeiht, Prinzessin. Ich habe mich zu etwas hinreißen lassen. Ich bitte Euch, nicht über mich zu urteilen, denn ich bin auch nur ein Mann und Ihr seid ungelogen die schönste Frau, die ich in meinem langen Leben jemals zu Gesicht bekommen habe. Ich habe es jetzt verstanden und werde mich fürs Erste zurück ziehen. Ich wünsche Euch eine angenehme Nacht.“ Endlich geht er wieder zurück in sein Zelt. Siva atmet erleichtert tief durch. Ob dieser Casanova mit allen Frauen so umgeht? Es ist schon dreist so etwas zu versuchen, kurz nachdem sie ihm gestanden hat, dass sie einen anderen Mann mag. Sie rechnet die Anzahl der Nächte durch, die sie noch gemeinsam mit ihm verbringen muss. Auf einmal kommt ihr der Rückweg unglaublich lang vor. Sie hofft inständig, dass so etwas nicht gleich wieder passiert. Der gefallene König Ramon hat hier eine derbe Niederlage einstecken müssen, die er erst einmal verkraften muss. An seinem Ego ändert das nichts, denn das schwebt in unerreichbaren Höhen. Er zweifelt eher daran, dass deine Fähigkeiten bereits vollständig wiederhergestellt worden sind. Anscheinend braucht er wirklich noch eine Weile, denn eine Mana-i ihrer geringen Reinheit zu verführen, sollte ein Leichtes für ihn sein, egal wie verfallen sie auch einem anderen sein mag. Es fällt ihm unerwartet schwer den wahren Reinheitsgrad ihres Blutes zu bestimmen, denn dies funktioniert üblicherweise über den Vergleich der mentalen Fähigkeiten. Da sie ihre niemals eingesetzt zu haben scheint, hat er keine Möglichkeit sich mit ihr zu messen. Natürlich wird er nicht aufgeben, denn nur sie kann ihm in seiner Lage noch helfen. Dem wiedererweckten König bleibt keine Wahl. Er wird die letze der Mana-i für sich gewinnen oder untergehen. Kapitel 8: Ein alter (Un-) Bekannter ------------------------------------ Am nächsten Morgen stehen die vier Reisegefährten bereits zur Morgendämmerung auf. Noch etwas müde, aber gespannt was der neue Tag bringen wird, haben sie in Windeseile alles zusammen gepackt und auf das Lastentier geschnallt, das nun gemächlich den Rückweg entlang trottet, den sie gekommen sind. Zarihm, der sich zur Sicherheit gewissenhaft eingeprägt hat wo es lang ging, führt die Gruppe mit einigem Abstand an. Siva ist noch etwas verwirrt von ihrem nächtlichen Erlebnis mit ihrem Ahnen König Ramon. Sie sieht keinen Grund dazu für ihn zu schweigen, was ihm durchaus klar ist. Da der erfahrene Mann jedoch gern verhindern würde, dass sie plaudert, lässt er sie nicht mehr aus den Augen. Somit findet sie keine Gelegenheit dem Prinzen während des Fußmarsches alles ungestört zu erklären. Etwas verwundert es Aiven allerdings schon, dass sie plötzlich kaum mehr ein Wort mit ihrem großen Mentor Ramon wechselt, der sich nun freundlich, aber bestimmt nach ihrem Zustand erkundigt: „Wie geht es Euch heute Morgen, liebe Prinzessin Siva. Ich bin besorgt, denn Ihr seid ungewohnt still.“ Mit zusammen gekniffenen Augen sieht Aiven sie misstrauisch an, während sie sich räuspert und dann scharf antwortet: „Die Nacht hätte wohl besser sein können, aber sorgt Euch nicht, denn es geht mir gut. Danke der Nachfrage, Ramon.“ Dieser nickt ihr galant zu und nimmt erneut ein Stück Abstand von der jungen Frau, aber nicht weit genug, um außer Hörreichweite zu sein. Er geht nun vor den Königskindern. „Ist irgendetwas zwischen euch vorgefallen?“ fragt Aiven verwundert. Flüsternd antwortet sie zu ihm gebeugt: „Das erzähle ich dir später.“ Das war ein eindeutiges „ja“, weshalb der Prinz den gefallenen König angespannt fixiert, was dieser zu bemerken scheint, denn er dreht sich zu ihm um. Zur Antwort auf Aivens Blick hebt er nur seinen Kopf süffisant lächelnd, was den provozierten Prinzen den Entschluss fassen lässt, ihn spätestens zur Mittagpause zur Rede zu stellen. Inzwischen läuft Zarihm mal in Sichtweite und mal außerhalb der Sicht der anderen auf den felsigen Wegen voraus. Es hängt immer ganz davon ab wie die Umgebung beschafften ist. Nach etwas mehr als drei Stunden Fußmarsch erreicht er eine bewaldete Gegend und trifft auf die ihnen auflauernde Rebellenbande, die Clypeus Garde, wie der Anführer sie vor zwei Tagen genannt hat. Ein Ausschau haltender Späher erkennt den jungen Pfandhausbesitzer als ihren Kontaktmann aus Aranor und Brag Bugat wieder und gibt die Information weiter. Zahrim wird daraufhin direkt, von einem aus dem Gebüsch springenden Mann, zum ehemaligen Offizier und Anführer geleitet, der sich ebenfalls versteckt hält. Fünfzehn seiner Männer hat er an diesem Wegabschnitt postiert. Direkt hinter einer leichten Biegung liegend und zur einen Seite durch einen Abgrund beschränkt, zur anderen in eine kleine Lichtung mündend, bietet er den idealen Ort für einen Überraschungsangriff. Zarihm kratzt sich nervös am Hals, als er verunsichert zu dem blonden beängstigendem Mann, mit dem siegessicheren Blick, der sich neben ihm im Gebüsch versteckt hält, flüstert: „Mein Herr, ich habe es mir anders überlegt. Ich will das Mädchen doch nicht ausliefern und ich will auch den Schutz deiner Männer nicht mehr.“ Dieser lacht als Antwort erheitert: „Du bist schon ein Spaßvogel! Ich habe dir ganz kurz wirklich geglaubt, Junge.“ Doch dann ist er auf einen Schlag wie ausgewechselt und fügt harsch hinzu. „Aber solltest du es doch ernst gemeint haben, dann muss ich dir sagen, dass ich bereits beträchtliche Mittel investiert habe, um die Prinzessin in meine Obhut zu nehmen. Solltest du sie gewarnt oder umgeleitet haben, dann endet deine Reise wohl hier für dich.“ Das lässt den jungen Verräter verstummen. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als hier zu warten und zu hoffen, dass der Prinz, der gruselige untote König und vor allem die Prinzessin es mit diesen fünfzehn gut trainiert aussehenden Männern aufnehmen können. Das wären fünf für jeden. Schon beim Gedanken daran merkt er, wie absurd seine Hoffnung ist. Fünfzehn... Was für eine aberwitzig große Zahl. Der Anführer der Garde wollte wohl nichts dem Zufall überlassen. Kurz bevor die drei Reisenden die Biegung passieren, wird der etwas voraus laufende Ramon unruhig. Da Siva ein ähnliches Gefühl im Bauch hat, wundert sie sich nicht über seine langsamer werdende Schrittgeschwindigkeit. Der Weg ist hier recht eng und direkt neben ihnen geht es steil hinab. „Was ist denn los mit euch?“ wundert sich Aiven. Seine Freundin hält ihren Arm vor ihn, um ihm am Weiterlaufen zu hindern. „Psst, da vorne stimmt was nicht. Bewaffnen wir uns!“ flüstert sie streng. Sie nehmen ihre stumpfen Schwerter aus dem Gepäck. Leider hat Ramon kein eigenes, denn auch in seinem Grab hat keines gelegen. Sie haben nicht genug Zeit über die Verteilung der Waffen nachzudenken, denn der Späher hat der Garde bereits gemeldet, dass sie aufgeflogen sind. Der Anführer gibt die Umzingelungstaktik widerwillig auf und bläst zum offenen Angriff. Das verschafft den drei Aristokraten zumindest den Vorteil, dass die Rebellen häppchenweise vor ihnen auftauchen. Je fünf von ihnen sind auf eine Person angesetzt. Der erste läuft auf den unbewaffneten Ramon zu, der sich blitzschnell vor ihm weg dreht und ihm fast unmerklich das Schwert entreißt. Mit einer seitlichen Drehung und einem gezielten Schwerthieb, hat er den ersten Angreifer bereits erledigt. Die Königskinder staunen über dieses unglaubliche Geschick, doch lange bleibt ihnen nicht Zeit seinen geschmeidigen Schwertkampf zu bewundern, denn auch sie werden angegriffen. Was sie aus der Entfernung nicht sehen können ist, dass Ramon nach wie vor große Probleme mit seinem, noch nicht ganz wiederhergestellten Körper hat und vom langen Marsch bereits äußerst ausgelaugt ist. Im Gegensatz zum gefallenen König, verwenden die beiden nicht tödliche Techniken. Aiven bezieht seine Stärke aus seiner Körperkraft, Siva aus ihrem Geschick und ihrer Geschwindigkeit. Sie sind zwar in der Lage ihre Gegner auf Abstand zu halten und den ein oder anderen außer Gefecht zu setzten, doch es scheinen nicht weniger zu werden. Sie haben Glück, dass sie in dieser engen Passage kämpfen, denn hier können nie mehr als zwei Angreifer gleichzeitig auf einen von ihnen los gehen. Die vielen Übungsstunden mit ihrem Vater zahlen sich aus, denn die Prinzessin streckt einen Gegner nach dem anderen nieder, was sie in einen aggressiven Blutrausch verfallen lässt. Glücklicherweise beherrscht sie nur Nicos Schwerttechnik, die sie um ein Haar nicht zur Mörderin werden lässt. Aiven hat weit größere Probleme im Kampf als sie, weshalb Männer, die eigentlich auf Aiven angesetzt wurden, nun auch auf sie los gehen. Als sie mitbekommt wie der eben noch so elegant kämpfende Ramon völlig überraschend taumelt und im Anschluss vor ihren Augen den Abgrund hinunter gestoßen wird, gerät die sonst so kontrollierte Prinzessin in Panik und vernachlässigt ihre eigene Verteidigung. „Ramon!“ brüllt sie verzweifelt, kurz bevor sie überwältigt werden kann. Zwei Männer werden benötigt, um die die tobsüchtige Prinzessin zu Boden zu drücken. Nun kommt auch noch der übrige, besonders geschickte Rebell, der Ramon besiegen konnte, auf Aiven zu. Er hat es nun immer noch mit vier Männern zu tun. Der Prinz ist kein Krieger, sondern eher ein Kampfsportler. Gegen mehrere Gegner gleichzeitig zu kämpfen ist neu für ihn, weshalb es ihm auch große Schwierigkeiten bereitet. Als Siva erkennt wie auch er strauchelt, schreit sie wütend und verzweifelt: „Lauf weg, Aiven! Rette dich!“ „Niemals könnte ich dich hier zurücklassen.“ brüllt er zurück. „Ich schaffe das!“ Applaudierend kommt der Anführer der Garde siegessicher um die Biegung ins Sichtfeld der beiden geschritten. Vor sich schubst er den jungen aranoischen Pfandhausbesitzer Zarihm her. Alle Kampfhandlungen werden einen Moment lang eingestellt, als er laut und abschätzig beginnt zu sprechen: „Das ist herzallerliebst.“ Er packt den verängstigten Verräter an der Schulter, reißt ihn zu sich herum und hält ihm ein Schwert an die Kehle. „Hast du mir irgendwas zu sagen, du kleiner Gauner? Er ist also nur der Begleiter der Prinzessin, ja? Und es ist wohl nur ein großer Zufall, dass er den selben Namen wie der Prinz Yokens trägt?“ Der junge Mann ist mit der Situation überfordert und nicht fähig etwas zu entgegnen. Erleichtert ruft ihm Siva zu: „Zarihm, du lebst!“ Der Anführer antwortet an seiner Stelle freudig. „Freu dich nicht zu sehr darüber, Prinzesschen. Er war es, der dich an mich verraten hat.“ „Zarihm? Ist das wahr?“ reagiert Aiven, der ernüchtert sein Schwert fallen lässt. Sein Kampfgeist ist gebrochen. Er wird nun ebenfalls von den Männern überwältigt, was Siva gleichzeitig schockt und enttäuscht. Nicht der Verrat Zarihms macht ihr zu Schaffen, sondern der Verlust Ramons und die Aufgabe Aivens. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Ihr gesamtes Vorhaben ist gescheitert und es ist allein ihre Schuld. Sie allein hat die Gruppe in die Vernichtung geführt. Verzweifelt hört auch sie auf sich zu wehren, denn sie muss zugeben, dass sie eindeutig besiegt wurde. Die Königskinder werden gefesselt und vom, die ganze Zeit belustigt grinsenden, Anführer und den sechs verbleibenden Männern abgeführt. Mit Augenbinden versehen, werden sie auf Pferde gesetzt, mit denen sie drei oder vier Stunden unterwegs sind. Erst am Zielort, dem Hauptquartier der königsfeindlichen Rebellentruppen, bekommen sie Ihre Augenbinden abgenommen und steigen von den Pferden. Dieser Ort ähnelt eher einem kleinen Dorf, in dem vielleicht zweihundert Männer, Frauen und Kinder leben, als einer Rebellenhochburg, so wie sie sich eine solche vorgestellt haben. Viele kleinere Lehmhäuser und ein paar Felder und Vieh gehören dazu. Die einfachen Leute, Bauern und Handwerker schauen die Gefangenen argwöhnisch an. Der ihnen immer noch unbekannte Anführer, welcher an der Spitze läuft, bleibt in der Dorfmitte stehen, hebt die Arme und spricht laut zu den Menschen: „Dies ist die Tochter des Mannes, der sich den Thron von Roshea unrechtmäßig aneignete und mich um die Königswürde brachte. Zusammen mit dem Prinzen von Yoken und noch einem Begleiter haben sie heute vier unserer Männer getötet und fünf verletzt. Ich werde sie nun zur Rechenschaft ziehen für alles was sie unserem Land und unseren Leuten angetan haben.“ Die Bewohner jubeln ihrem Anführer zu, was er sichtlich genießt. Siva versteht ein paar Sätze, die aus der Masse hervorstechen: „Nieder mit dem falschen König!“ und „Keine Gnade für Betrüger!“ Scheinbar halten diese Leute Nico wirklich nicht für ihren rechtmäßigen König, was unter Einbeziehung der Umstände seines Amtsantritts wohl wenig verwunderlich ist. Aber hat er sich über die Jahre seiner Regentschaft nicht mehr als würdig erwiesen? Plötzlich kommt eine Frau mittleren Alters aus der Masse heraus gerannt, die sich an die Brust des Anführers wirft. Hysterisch fleht sie: „Wo ist mein Mann? Wo ist Trian? Loran, sag mir wo er ist?“ Er sieht sie emotionslos an, schüttelt den Kopf und fordert den Zug zur Fortbewegung auf. Sie bricht weinend neben ihm zusammen. Sivas und Aivens Blicke sind zu Boden gerichtet, um sich die Gesichter der wütenden Menschen nicht länger anschauen zu müssen. Beide hätten sich nicht vorstellen können, dass es so etwas wie dieses Dorf überhaupt gibt. Wer soll dieser Mann seien, den Nico um den Thron gebracht haben soll? Die beiden werden in einen Hinterraum des größten Gebäudes gebracht und dort, in einiger Entfernung voneinander, mit den Armen über dem Kopf an die kalte Wand gefesselt. Der Raum ist fensterlos und äußerst karg eingerichtet. Vermutlich wird er nicht zu ersten Mal als Verhörraum genutzt, was die fest mit dem Mauerwerk verbundenen Eisenringe in den Wänden erklären würde. Der Rebellenführer ist nun allein mit den Königskindern, was ihm sichtlich zu gefallen scheint. Dass er heute Männer verloren hat, scheint seine Laune jedenfalls nicht zu trüben. Er schleicht grinsend um die hübsche Prinzessin herum und richtet dann erheitert das Wort an sie. Dabei kommt ihr unangenehm nahe. „Dugars Tochter...schön bist du geworden, aber das war auch zu erwarten. Ging es dir gut im Schloss, während ich im Untergrund mein Leben fristen musste?“ Sie dreht sich angewidert weg und faucht erhaben: „Das geht dich überhaupt nichts an! Ich hab ja nicht mal eine Ahnung wer du überhaupt bist.“ Geschockt weicht er ein Stück zurück und richtet sich vor ihr auf: „Mich in dieser Situation noch zu provozieren, zeugt nicht von Intelligenz, Prinzesschen. Ich bin Marco Loran.“ Als sie ihn immer noch herablassend fragend anschaut, holt der aus und gibt ihr eine schmerzhafte Ohrfeige. Er ist außer sich vor Wut von diesem Gör so vorführen zu lassen. Hat der König seiner Tochter etwa nichts von seinem größten und mächtigsten Widersacher erzählt? Mordlust steigt in ihm auf, die er für verfrüht hält. Er will das Mädchen jetzt noch nicht töten, weshalb er sich wieder zu beruhigen beginnt. Der ebenfalls angekettete Aiven will nicht zuschauen wie das Gespräch eskaliert und versucht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er ruft: „Hey, Marco, richtig? Wie wär‘s wenn du aufhörst wehrlose Frauen zu schlagen und dich mit mir zu beschäftigen?“ Loran lacht spitz auf. Der Plan des Prinzen scheint aufzugehen, denn ihr Peiniger wendet sich nun ihm zu. „Wehrlose Frauen? Dieses Mädchen hat drei meiner Männer so schwer verletzt, dass sie wahrscheinlich nie wieder kämpfen können. Sie ist ein Monster, genau wie ihr Vater oder dieser andere Typ, der meine Leute ohne mit der Wimper zu zucken getötet hat. Wer war das überhaupt? Er sah Dugar zum verwechseln ähnlich.“ „Ein Doppelgänger!“ lügt Siva, die Aivens Plan damit zunichtemacht, der entnervt den Kopf schüttelt. Sie spricht ungerührt weiter. „Das dumme Volk kann ihn nicht vom echten König unterscheiden. Seit neuestem probieren wir damit herum, damit sich mein edler Vater nicht mehr mit diesem Pöbel abgeben muss.“ Das glaubt Loran auf‘s Wort. Negative Eigenschaften auf den König zu projizieren liegt ihm, kommt es seiner Weltanschauung doch so nahe, weshalb er dieses Thema auf sich beruhen lässt. Er geht erneut auf das Mädchen zu, weshalb Aiven mit einem leicht panischen Unterton einwirft: „Was hast du eigentlich mit mir vor, Marco?“ Ohne sich von der Prinzessin abzuwenden, antwortet er: „Es fühlt sich merkwürdig an von einem Feind mit Vornamen angesprochen zu werden, Prinz von Yoken. Für dich fällt mir zu gegebener Zeit schon noch etwas ein.“ Die gleichzeitige Ergreifung beider Königskinder war ein Glücksgriff für den Rebellenführer. Der Prinz ist eine sehr wertvolle Geisel. Er überlegt noch, was er für ihn im Austausch verlangen kann. Was ihm hingegen im Moment weiterhin viel mehr beschäftigt, ist die Behauptung der Prinzessin, vom großen Marco Loran nichts zu wissen. Etwas ruhiger als vorhin sagt er: „Dass du vor gibst mich nicht zu kennen, ist wirklich unverschämt von dir, kleine Prinzessin, denn normalerweise bin ich es, der andere Leute provoziert. Du hast mich auf dem falschen Fuß erwischt, aber das wird mir nicht noch einmal passieren. Du bist es auch gar nicht, auf die ich es abgesehen habe. Das ist nur eine Sache zwischen mir und Dugar. Endlich habe ich etwas gegen ihn in der Hand. Für dich, meine Liebe, wird er Bluten.“ Als er beginnt wieder selbstherrlich zu lachen, brüllt sie unbeeindruckt: „Auf diese Weise wirst den Thron niemals erlangen.“ Loran lacht weiter, diesmal aber über die Worte des überheblichen Mädchens. „Ach, du dummes Weib. Den Thron will ich nicht mehr. In seinem Wissen sein Fleisch und Blut schänden, das will ich. Er wird vor mir auf Knien kriechen um für deine Freilassung zu betteln, aber du wirst nicht mehr die selbe sein, wenn ich mit dir fertig bin, meine Schöne.“ Er geht sehr nah an sie heran und umfasst ihr Kinn. „Wie fühlt es sich für dich an zu wissen was dir bevorsteht?“ Er leckt sich die Lippen. In dieser Lage hatte er ihre wundervolle Mutter Kara schon einmal vor zwanzig Jahren, doch damals wurde er von einem unfähigen Soldaten davon abgehalten sich an ihr zu vergreifen, worüber er sich noch heute ärgert. Siva mag so schön sein wie sie, doch sie hat den unausstehlich unbeugsamen Blick ihres Vaters, was für Loran ein Problem darstellt. Die kluge Prinzessin erkennt den Zweifel und die Schwäche in seinem Blick und nutzt sie, um sich über ihn zu erheben. „Du wirst scheitern. Schwächlinge wie du werden immer scheitern, wenn sie meinem Vater oder mir gegenüber stehen. Wo warst du denn im Kampf vorhin? Hast dich so lange versteckt, bis es vorbei war, nicht wahr? Du kleiner Wicht kannst gegen uns gar nichts ausrichten.“ Er weicht zurück. Nun lacht sie, weil sie bemerkt wie gut es funktioniert. Jetzt kommt sie erst richtig in Fahrt. „Glaubst du Typen wie du machen mir Angst? Die mich, ein Mädchen, erst fesseln müssen, um mit mir reden zu können? Du bist jämmerlich und meiner nicht würdig. Ich stamme aus einer uralten Herrscherdynastie und du? Du bist ein Nichts. Nenn mich gefälligst Hoheit, so wie es sich für einem vom untersten Rang gehört!“ Loran und Aiven sind gleichermaßen geschockt. Diese Frau ist unglaublich. Was Aiven total attraktiv findet, schüchtert den Anführer der Clypeus Garde ziemlich ein. Über schwache Menschen erhebt er sich ohne weiteres, doch starke Frauen sind seine Hybris. Ihnen hat er nichts entgegen zu setzten. Da es davon nicht allzu viele gibt, ist er damit gut zurecht gekommen, doch nun wird es ihm zum Verhängnis. Er hat den Impuls sie tatsächlich Hoheit zu nennen und sich ihr unterzuordnen. Sie erinnert ihn nun an seine geliebte Königin Estell, die ihm sein Erzfeind Nico Dugar genommen hat. Von draußen ist der hohe Klang einer kleinen Glocke zu hören, die zum Abendessen ruft und Loran aus seiner Lage erlöst. Er versucht aufrecht stehen zu bleiben und stark zu klingen. „Ihr werdet...-du wirst schon noch sehen was du davon hast mich zu provozieren, Prinzessin.“ Er wendet ihr den Rücken zu, woraufhin sie ihm hinterher ruft: „Es war schon fast richtig. Wir üben die Anrede dann nochmal.“ Loran verschwindet ohne sich umzudrehen. Von Dugars Spross darf er sich nicht demütigen lassen, auf keinen Fall. Unterdessen hat Zarihm alle vier Siegel zusammen gesammelt und sich auf die Suche nach dem unheimlichen untoten Mann mit der dunklen Aura gemacht, der den Steilhang hinunter gestoßen wurde. Ein anderer würde vielleicht sterben, aber dieser Typ war doch schon einmal tot, deshalb glaubt der junge Mann, er könne ihn mit den Zauberkräften der Siegel wieder aufpäppeln. Dann hätte er wenigstens einen der drei gerettet. Das ist der einzige Strohhalm, an den er sich im Moment klammern kann. Sein Selbstbild war schon immer schlecht, aber diese Tat bereut er zutiefst, denn sie stellt seinen Sündenfall dar und macht ihn definitiv zu einem schlechten Menschen. Der Abstieg ins Tal dauert länger als die Suche nach dem gruseligen Mann. Er ist an einen Baum gelehnt und lebt, wenn man das als solches bezeichnen kann. Anscheinend ist sein Fall durch den Baum und ein Gebüsch darunter abgebremst wurden, doch er sieht aus als hätte er mehrere gebrochene Knochen. Ramon bemerkt wie der Aranoer hinter einem Baum hervorlinst. Er spürt die vier Siegel in seiner Tasche. Unter Schmerzen spricht er den jungen Mann an, den schon wieder ein Fluchtinstinkt ereilt. „Bist du hier um mir den Gnadenstoß zu geben, Verräter an der Krone?“ Zarihm kommt hinter dem Baum hervor und bleibt einige Meter entfernt vom gefallenen König stehen. Völlig aufgelöst fängt er an zu weinen und antwortet dann schluchzend: „Nein, im Gegenteil... Ich, ich habe einen schweren Fehler gemacht...den Prinzen und die Prinzessin...“ Ramon winkt ihn heran. „Hör auf zu heulen! Komm lieber her und gib mir die Siegel!“ Der verunsicherte Mann führt alle Befehle aus. So nah war er dem Untoten noch nie, der nun die vier Siegel berührt, um sich zu regenerieren. Zweimal knackt es, unter stöhnendem Schmerz, laut, was Zarihm wieder einmal fast den Magen umdreht. Davon abgesehen ist seine Nähe allerdings weniger schlimm, als er dachte. Während des Prozesses fragt der junge Mann unsicher: „Könnt Ihr ihn mir verzeihen...meinen Fehler?“ Ramon hält die Augen geschlossen. Er unterbricht seine rhythmische entspannte Atmung, um die aus seiner Sicht dumme Frage zu beantworten: „Es ist nicht an mir über dich zu richten, Diener. Das kann nur der König von Roshea.“ „Und wäre es an Euch?“ hakt er vorsichtig nach. „Zu meiner Zeit gebührte Verrätern der Krone der Strick.“ erwidert Ramon leicht genervt und ergänzt: „Aber das ist jetzt vollkommen unwichtig, ...“ Für ihn vielleicht, denkt Zarihm während der alte König weiter spricht: „führ mich an den Ort, an den sie verschleppt wurden. Ich hole sie zurück.“ Der junge Mann ist verwirrt: „Dort leben hunderte von Menschen und Ihr habt vorhin kaum gegen fünf bestanden.“ Für einen Diener findet Ramon ihn ganz schön frech, aber das soll im Moment nicht das Problem sein. „Wie viele davon sind ausgebildete Krieger?“ Zarihm stammelt: „Ausgebildete...? Keine Ahnung... Vielleicht dreißig oder vierzig - höchstens. Der Rest sind normale Männer, Frauen und Kinder. Aber wie wollt Ihr allein...?“ Ramon nimmt ein Siegel nach dem anderen und steckt es in eine eigens dafür vorgesehenen Taschen in seinen Gewand. Zwei trägt er an den Armen und je eines an Bauch und Rücken. Mit einem siegessicheren Lächeln im Gesicht steht er auf. Seine Stimme hat wieder den gewohnt tiefen und vertrauenswürdigen Klang, als er anweist: „Das wird leicht. Zeigt mir den Ort und halt dann Abstand von mir, wenn du noch nicht sterben willst!“ Es ist nicht mehr weit bis Brag Bugat, wo sie zwei, der von den Königskindern zurückgelassenen Pferde holen. Geschwind reiten sie los. Es ist viele Jahre her, dass Zarihm zum geheimen Rebellendorf geritten ist. Nach dem Tod seines Großvaters hatten sie ihm angeboten hier zu leben. Er sah es sich an und lehnte ab. In einem solchen Kaff wollte der Städter sein Leben nicht fristen. Er versucht sich die Erinnerungen an die Weggabelungen und die geheimen Abzweigungen ins Gedächtnis zurückzurufen. Es ist inzwischen Abend geworden und einige Stunden sind vergangen, bevor Loran wieder zu seinen beiden Gefangenen zurückkehrt. Er hat kaum einen Bissen herunter gekriegt und sich überlegt wie er mit der Situation umgehen soll. Seine Lösung des Problems sieht er darin die vorlaute Prinzessin einfach zu knebeln, sodass sie ihn nicht weiter verunsichern kann. Als er in den Verhörraum eintritt, empfängt ihn Siva hochmütig mit den Worten: „Wir haben schon auf dich gewartet. Wir bekommen nämlich langsam Hunger. Ich hoffe du hast es etwas zu Essen mitgebracht.“ „Wir werden sehen wie viel von deinem Stolz noch übrig ist, wenn ich mit dir fertig bin, Prinzesschen.“ antwortet er unbeeindruckt. Er geht schnurgerade auf sie zu und drückt ihr unsanft einen Knebel in den Mund, den sie selbst nicht wieder entfernen kann. Dann zerschneidet er ihre Kleidung, die nach und nach zu Boden fällt, mit einem Messer. Sie hat inzwischen mit Aiven abgesprochen, dass er nicht mehr ängstlich dazwischen gehen soll, da das ihrer Taktik entgegen wirkt. Er muss sich auf die Zunge beißen, um halbwegs ruhig zu bleiben. Als er fertig ist sie zu entkleiden nimmt Loran unsanft eine ihrer weißen Brüste in die Hand. „Gefällt dir das, meine Hübsche?“ Ihr gelangweilter Blick irritiert ihn, worauf sich Aiven zu Wort meldet, der laut Sivas Anweisungen eine bestimmte Rolle spielen soll: „Marco, das ist schon ganz nett, aber sie mag es ein wenig leidenschaftlicher. Du musst deine Hand geschmeidiger bewegen...“ Schon wieder versuchen die Kinder ihn bloßzustellen und erneut verliert er die Lust an dieser Sache. Er nimmt einen zweiten Knebel und geht auf den Prinzen zu, der ihn weiter verhöhnt: „Was ist los? Weißt du nicht wie man eine Frau befriedigt?“ Entnervt steckt Loran ihm den Knebel in den Mund. Siva hat inzwischen angefangen zu lachen, was den beiden Männern natürlich nicht entgangen ist. Loran zieht sein Messer und lächelt nun auch: „Ihr beiden spielt ein gefährliches Spiel.“ Das lässt Sivas Lachen augenblicklich verstummen, was ihren Peiniger wiederum erfreut. Er fügt hinzu: „Der Junge mag viel Geld wert sein, aber was kümmert mich das? Alles was ich will ist Dugar leiden zu sehen und dazu brauche ich nur seine Brut.“ Er setzt das Messer an Aivens Bauch. Siva hat jetzt zum ersten Mal wirklich Angst. Sie war überzeugt davon, dieser Mann wäre ungefährlich und würde keinem von beiden etwas tun, weil sie viel zu wertvolle Geiseln sind, doch nun droht er damit ihren Freund zu töten. Sie beginnt verzweifelt an ihren Fesseln zu ziehen, was Loran nun endlich freut und nun an der Reihe ist zu Spotten. „Da hast du mich wohl etwas unterschätzt, meine Liebe.“ Er wendet sich erregt dem Prinzen zu: „Das wird jetzt gleich ganz schön wehtun, frecher Prinz. Ich hoffe du lebst noch lange genug, um zu sehen wie ich es der Prinzessin besorge.“ In dem Moment, in dem Loran die Klinge an Aivens Bauch ansetzt und beginnt Druck auf sie auszuüben, erklingen im Dorf laute, dunkle Alarmglocken, die den Königskindern rettend zu Hilfe zu eilen scheinen. Kurze Zeit darauf ist zudem ein wildes Geschrei zu hören, das nicht abbrechen will. Loran atmet schwer aus. „Was ist denn jetzt schon wieder?“ Als er resigniert zur Tür geht, wird diese bereits von der anderen Seite aufgestoßen. Ohne, dass Aiven genau sehen konnte, was da passierte, wird er von einem starken Windstoß erfasst der von Blut getränkt ist. Er musste die Augen schließen, um keines hinein zu bekommen. Als er sie wieder öffnet, sieht der besudelte Prinz er wie Ramon bereits mit seiner linken Hand den Knebel aus Sivas Mund entfernt. In der Rechten hält er ein Schwert, von dessen Klinge unter den dicken Blutlachen, die von ihm herunter tropfen, kaum noch etwas zu erkennen ist. Am König selbst klebt nicht ein einziger Tropfen Blut. Der Prinz bemerkt ein türkises Glimmen in des Königs Augen, das ihm zuvor noch nie bei ihm aufgefallen ist. Vor ihm liegt der zerteilte Torso des Anführers der Clypeus Garde, Marco Loran, den Ramon mit nur einem gezielten Schlag so zurichten konnte. Es ist schwer zu erklären was in dem jungen Mann in diesem Moment vorgeht, doch Furcht beschreibt es wohl am besten. Kaum ist der Knebel aus Sivas Mund entfernt, ruft sie überglücklich und ohne einen Funken von Abscheu oder Reflexion des eben Geschehenen: „Ramon, Ihr lebt!“ Er zerschneidet ihre Fesseln und die nackte Prinzessin sinkt in seine Arme. Keinen Blick verschwendet sie an die Leiche ihres Peinigers, ganz so, als sei er es nicht wert ihren Geist zu verunreinigen. Danach schneidet der übermenschliche König noch den Prinzen los, bei dem er sich entschuldigt: „Verzeiht bitte, Prinz Aiven. In meinem Eifer habe ich nicht richtig aufgepasst. Auf dem Weg hierher habe ich einen See gesehen. Dort könnt ihr Euch reinigen.“ Aiven antwortet nicht, zieht sein Shirt aus und säubert damit sein Gesicht, so gut es geht. Die meisten Blutspritzer sind zum Glück nur auf seinem Oberteil gelandet und die Wunde auf seinen Bauch ist nicht schlimm. Die drei treten hinaus ins Freie. Von hier aus können sie das komplette Dorf überblicken. Eine Schneise der Verwüstung ist hindurch gegangen, die gezeichnet ist von Blutlachen und Leichen. Aiven glaubt seinen Augen nicht zu trauen. Auf dem Weg hierher hat Ramon mindestens dreißig Menschen getötet. Was ist er nur für ein Ungeheuer? Jene, die nicht kämpfen können oder wollen, trauen es sich nicht zu den toten Körpern ihrer Lieben zu gehen, um sie zu beweinen oder sie von der Straße zu holen, um sie vor den Blicken der anderen zu schützen. Sie harren verängstigt hinter Türen und Fenstern bis das Böse aus ihrer Siedlung verschwunden ist. Eine Jugendliche von vierzehn oder fünfzehn Jahren kommt auf den tobsüchtigen König zugerannt. Ihr Ziel ist das große Gebäude, aus dem die drei gerade kommen. Vor ihnen bleibt sie stehen und schreit verzweifelt: „Wo ist mein Vater? Er war in dem Haus hinter euch.“ Der König schreitet erhobenen Hauptes an ihr vorbei. Siva und Aiven, in dessen Arm sie inzwischen liegt, folgen ihm. Der Prinz versucht vergeblich ihre Nacktheit zu verbergen und drückt sie an seinen ebenfalls unbekleideten Oberkörper. Während er an der Jugendlichen vorbei geht, antwortet Ramon: „Wenn er wirklich in dem Haus war, dann ist er jetzt tot. Verschwinde, Mädchen, wenn dir dein Leben lieb ist.“ Sie ignoriert die Warnungen und bringt eine Schere zum Vorschein, mit der sie schräg von hinten auf den Mörder ihres Vaters losgeht. Er benötigt nur eine kleine Armbewegung, um sie niederzustrecken. Geschockt bleiben die beiden Königskinder stehen, während Ramon unbeeindruckt weiter läuft. Diese schrecklichen Taten kümmern ihn kein bisschen. Er erscheint für die beiden nicht wie der Nachfahre eines Windgottes, sondern eher wie der Todesgott höchstpersönlich. Ramon macht nun einen kleinen Abstecher zu einer Wäscheleine, von der er ein Kleid herunterreißt, welches er Siva zuwirft und sie zurecht weist: „Zieht das an, Prinzessin und kommt endlich. Ich möchte diesen elendigen Ort hinter uns lassen.“ Am Ortseingang treffen sie auf Zarihm, der die ganze Sache von weitem beobachtet hat. Er scheint gar nicht zu begreifen was hier eigentlich gerade passiert. Sein Gesicht ist fahl. Es ist wohl besser ihn im Moment nicht anzusprechen. Siva und Aiven nehmen sich zwei gesattelte Pferde, die sich wohl jemand für einen Austritt bereit gemacht hatte, bevor der wütende Wirbelsturm über ihre Siedlung herein brach. Ohne weiter miteinander zu sprechen, verlassen sie die den Ort und reiten, mit einem Zwischenstopp an einem See, zum nahe gelegenen Brag Bugat, wo sie den Großteil ihrer Sachen und auch ihre Pferde zurückgelassen haben. Es ist bereits Nacht geworden. Glücklicherweise findet Aiven trotzdem jemanden in der kleinen Stadt, der seine leichte Bauchwunde fachgemäß säubern kann. Sie alle mieten erneut Zimmer in der hiesigen Herberge. Alle, außer Ramon, der glaubt nichts falsch gemacht zu haben, stehen sie mehr oder weniger unter Schock, wobei Siva den physischen Stress sehr viel schneller und effektiver verarbeiten kann, als die anderen beiden. Im Moment haben sie sich noch nicht auf die Zimmer aufgeteilt und sind gemeinsam im großen zusammen. Wieder sitzt Aiven am Tisch und Zarihm auf dem Bett. Ramon und Siva stehen. Nach wie vor sieht der junge Mann aus Aranor nicht besonders gut aus, was der wütenden Prinzessin gerade herzlich egal ist. Sie geht zu ihm. Als er zu ihr hochschaut, gibt sie ihm eine heftige Ohrfeige, woraufhin sie ihn anbrüllt: „Was fällt dir ein dein Königshaus zu verraten? Das ist Hochverrat. Auch wenn du es gewesen sein magst, der unserem Rachegott die Siegel übergeben hat, so macht das deine schwere Tat nicht wieder wett.“ Nervlich ist Zarihm völlig am Ende und auch wenn er Sivas Zorn verdient hat, kann er ihn nicht ertragen. Erneut beginnt er in Tränen auszubrechen. „Ich weiß, Prinzessin. Durch mich sind so viele Menschen gestorben. Das ist alles nur meine Schuld. Ich bin bereit jede Strafe, die du mir auferlegst, anzunehmen. Mein Leben ist wertlos. Am besten ist es du bringst mich gleich um.“ Sie schüttelt den Kopf und kann sich nicht beruhigen. „Nein, du Idiot. Den Tod der Menschen hast nicht du zu verantworten. Deine Sünde ist die Gier. Du hattest doch alles. Geld und ein ruhiges Grundstück am Wohnort deiner Wahl irgendwo innerhalb der beiden Königreiche. Warum hat dir das nicht gereicht?“ „Ich weiß es nicht.“ winselt er. „Ich weiß es doch nicht.“ Wonach er in einem Heulkrampf zusammenbricht. Mit abschätzigen Blick auf den Jungen verabschiedet sich Ramon: „Es war ein anstrengender Tag für alle von uns. Ich ziehe mich zurück.“ Danach verlässt er den Raum. Aiven und Siva warten, bis sich Zarihm von selbst etwas beruhigt. Es dauert eine Weile, bis Siva beschießt sich zu ihm zu setzten. Er beginnt, immer noch schluchzend, von selbst zu sprechen: „Schon viele Jahre war ich nicht mehr so glücklich wie auf der Reise mit euch beiden. Ich habe gelacht und konnte ich selbst sein, ohne mich vor euch zu verstellen. Ihr habt mich einfach so angenommen und akzeptiert wie ich bin. Ihr müsst wissen, dass ich den eigentlichen Verrat schon vor der Reise begannen habe und diese schwere Last die ganze Zeit mit mir herumtragen musste. Ich hätte es euch sagen müssen, aber ich hatte zu große Angst. Ich bin es nicht wert eure Freundschaft je empfangen zu haben. Siva, ich werde jede Strafe begrüßen.“ Sie denkt laut und fragt Aiven: „Das hat er nicht gespielt, oder Aiven?“, der den Kopf schüttelt. Sie entscheidet: „Wie wäre es wenn du deine Schuld am Nalitischen Hof abarbeitest, zum Beispiel als Kämmerer. Mit Geld kennst du dich doch aus und das ist die beste Schule, um dir deine Habgier abzugewöhnen.“ Verunsichert sieht er zum jungen Prinzen, der mit den Schultern zuckt. Zarihms Antwort lautet: „So etwas großzügiges kann ich nicht annehmen. Jemand wie ich gehört nicht an einen königlichen Hof.“ „In Ordnung“ entgegnet sie schulterzuckend während sie zu ihrem Gepäck geht, ihr Schwert holt, es zieht und weiter spricht: „wenn du diese Strafe nicht annehmen möchtest, dann verurteile ich dich wegen Hochverrats, Zarihm aus Aranor. Mein Schwert ist stumpf, deshalb könnte das jetzt ein wenig wehtun. Versuch bitte still zu halten.“ Aiven sieht der ganzen Sache interessiert zu. Er weiß, dass sie den jungen Mann niemals töten würde, deshalb lehnt er sich zurück. Sie holt aus und Zarihm beginnt zu schreien: „Haaaalt, warte! Dein Vorschlag an den Hof zu gehen ist doch gar nicht so schlecht.“ Sie senkt ihr Schwert und er führt weiter aus: „je länger ich darüber nachdenke, desto besser finde ich ihn.“ Mit den Worten: „Geht doch“ steckt sie ihr Schwert wieder in die Scheide. „Du kommst mit uns nach Nalita. Nico wird dich mögen.“ legt sie fest. Der völlig kaputt gespielte junge Mann, richtet das Wort an den Prinzen: „Wie kannst du sie nur sowas machen lassen, Aiven? Ihr beiden solltet keine Kinder haben.“ Dieser lächelt sanft und antwortet: „So ist sie eben. Sie weiß sich durchzusetzen. Ist das nicht toll? Geh jetzt schlafen. Morgen früh brechen wir nach Nalita auf.“ Toll findet Zarihm ihr Verhalten eher nicht. Wenn er nicht die Sache mit Ramon heute erlebt hätte, würde er sagen sie ist geistesgestört, aber dann würde er den Begriff wohl entwerten. Kapitel 9: Ein König kehrt zurück --------------------------------- Ramons Fähigkeiten haben bei Siva einen großen und durchaus positiven Eindruck hinterlassen. Zu gern hätte sie ihn in Aktion erlebt. Sie ist beeindruckt von seiner Macht und seiner rücksichtslosen Konsequenz, die er im Kampf bewiesen hat. Welche Anstrengungen er auf sich nimmt, nur um sie zu retten, schmeichelt ihr zudem. Den einzigen Augenzeugen, den sie dazu befragen könnte, will sie lieber damit in Ruhe lassen. Zarihm scheint das Gesehene, die gnadenlose Grausamkeit und Brutalität, nicht richtig verkraften zu können. Völlig egal wie anmutig der Gefallene beim Kampf ausgesehen haben mag, er kann die Tat nicht ausblenden, so wie es die Prinzessin kann. In ihren Augen haben diese Menschen Hochverrat begangen und der Tod ist die geeignete Strafe für dieses Vergehen. Wozu also sollte sie sich anstrengen irgendeinen Funken von Mitgefühl für diese Fremden aus ihrem egozentrischen Herzen zu pressen? Ramons mitleidsloser Schwertkampf hatte sie schon bei dem Überfall fasziniert, an dem sie Seite an Seite mit ihm kämpfte. Sie hatte gehofft, dass er auch ein wenig zu ihr geschaut hat, damit er sich davon überzeugen konnte, was für eine besondere Frau sie ist. Warum sie sich Anerkennung von ihm wünscht, kann sie nicht mit Gewissheit sagen. Wahrscheinlich ist ihre Enttäuschung von letzter Nacht, als er ihr so offensiv den Hof machte, nicht so groß, als dass sie ihn als Mentor ablehnen würde. Ganz tief in ihrem Herzen freut sie sich sogar über das Interesse eines so imposanten Mannes. So ähnlich wie ihre Zuneigung zu ihrem Vater Nico, will sie diese Gefühle jedoch nicht anerkennen. Siva hat gesehen welche Fähigkeiten der gefallene König entfalten kann, wenn er Zugang zu den vier Siegeln hat. Es ist nicht so, dass sie ihm misstrauen würde, aber zur Sicherheit nimmt sie ihm die Juwelen wieder ab. Ramon hat keine Einwände und händigt sie ihr widerstandslos aus. Ebenso wie sie, glaubt er ihr, auch ohne dieser zusätzlichen Macht, überlegen zu sein, doch ihr gibt es wenigstens die Illusion einer Kontrolle über ihn. Die Prinzessin sucht immer noch nach einer Gelegenheit dem Prinzen von Ramons Annäherungsversuch zu erzählen. Solange sie alle vier zusammen sind, wird sie ein so prekäres Thema jedoch nicht ansprechen. Erst nachts in der Herberge in Brag Bugat ist sie endlich mit Aiven allein, doch ist er nun viel zu erschöpft, um über ein so schwieriges Thema zu sprechen. Ihm geht es auch nicht allzu gut. Er schläft schlecht, denn Albträume scheinen ihn zu plagen. Das Mädchen fühlt sich machtlos dagegen, da sie nicht unter posttraumatischem Stress leidet und dieses Phänomen auch nicht von sich kennt. Auch am darauffolgenden Tag klappt es nicht, sich mit ihm auszusprechen. Dreimal werden sie in Gasthäusern übernachten, bevor sie am nalitischen Hof ankommen. Auf dem Heimweg wird sich schon eine Gelegenheit bieten, ist sie sich sicher. In der ersten, recht netten Herbertege, haben sich die Königskinder, wie immer, ein Zweibettzimmer genommen. Heute scheint es Aiven schon wieder besser zu gehen und er findet wieder zu seinem alten Ich zurück. Zarihm hat sich hingegen, seit seinem Verrat und dem Vorfall im Dorf, sehr in sich zurück gezogen und ist kaum wiederzuerkennen. Sicherlich wäre es besser für ihn, wenn sich Angehörige um sein Seelenheil kümmern würden, doch weder hat er welche, noch würden die Adligen ihn frei lassen. Auch wenn er einen freien Eindruck macht, so ist er in diesem Moment doch ihr Gefangener. Der Prinz und die Prinzessin betreten ihr Zimmer. So wie in der Herberge zuvor, stehen die Betten weit auseinander im Raum verteilt. Als Aiven den Raum betritt, lamentiert er: „Siva, hast du etwa schon wieder ein Zweibettzimmer verlangt? Du sollst doch ‚Doppelbettzimmer‘ sagen!“ Ein weiteres Mal setzt sie sich, ohne zu fragen, auf das schönere Bett von beiden. Diesmal will der junge Mann sich das nicht gefallen lassen. Kurzerhand beginnt er das schwere, zweite Bett einfach neben ihres zu schieben. Die Holzbeine des Gestells kratzen laut quietschend kleine Kerben in das Parkett. Die Prinzessin muss schnell ihre Beine heben, um sie nicht zwischen den zwei Betten eingequetscht zu bekommen. Dabei brüllt sie: „Was machst du denn da? Du machst ja den Fußboden kaputt!“ Er lässt sich nach getaner Arbeit, etwas geschafft auf das selbst gebaute Doppelbett vor ihr plumpsen. „Dann lass eben ein paar Silberstücke mehr hier, ist doch egal. Hauptsache ich kann neben dir schlafen.“ Verständnislos keift die Prinzessin hochmütig: „Erst geizt du herum und nun verursacht du einen Schaden, den ich ohne weiteres bezahlen soll?“ Er lehnt sich zu ihr hinüber und stupst ihr mit dem Finger auf die Nase. „Bei mir ist es für einen guten Zweck. Du hingegen hast die Kohle dem Feind in den Rachen geworfen, mein kleiner Drachen.“ Das nimmt sie ihm übel, was ihn amüsiert. Über dieses Thema haben sie doch schon gesprochen. „Dafür habe ich mich doch schon entschuldigt.“ entgegnet sie ein bisschen leiser als sonst. Sie wird ganz ruhig und nachdenklich, was dem Prinzen nun komplett aus seiner bedrückten Phase befreit. Er findet dieses Mädchen unwiderstehlich, erst so stark und dann ganz plötzlich doch so zahm. Wie stolz er ist, als einziger junger Mann, ihre zarte Seite hervorlocken zu können, kann er gar nicht in Worte fassen. Im Moment bringt sie ihn allerdings zum Lachen, denn ihre verschobene Selbstwahrnehmung ist zu niedlich. „Entschuldigt?“ grinst er „glaub mir, ich weiß wie sich eine Entschuldigung anhört und das war keine. Als du mir unterstellt hast, ich würde anderen Röcken nachlaufen, da hast du dich entschuldigt. Ich erinnere mich ganz genau daran, wenn du so etwas außergewöhnliches tust.“ Sie sitzt auf dem Bett vor ihm und hat die Beine an sich herangezogen, die sie mit ihren Armen umschlingt. Ihren Kopf hat sie auf den Knien abgelegt also sie leise murmelt: „Ach, was soll‘s?“, was er akustisch nicht richtig verstehen kann. Er bemerkt, dass sie irgendetwas bedrückt. Wäre es nicht so, müsste er sich nun eine Standpauke von ihr anhören, da ist er sich ganz sicher. Besorgt krabbelt er zu ihr hinüber und umarmt das traurige Bündel im Anschluss. „Was ist denn los, Mäuschen?“ „Ach Aiven,“ antwortet sie, „es gibt da etwas, das ich dir noch nicht erzählt habe. Es geht um Ramon.“ Interessiert setzt er sich vor sie und streichelt ihr über ihre schönen zarten Beine. Mit einiger Verzögerung beginnt die Prinzessin zu beichten: „Vorletzte Nacht ist er zu mir gekommen, als ich die Nachtwache hatte. Er gestand mir seine Liebe und wurde immer zudringlicher.“ Bestürzt haucht der Prinz: „Liebe? Nach nur einem Tag?“ Unwillkürlich steigt etwas Wut in ihm auf. „Unterbrich mich bitte nicht, Aiven.“ antwortet sie streng und erklärt weiter: „Ich habe ihm eindeutig zu verstehen gegeben, dass ich... also... dass ich...“ Seine Augen beginnen zu funkeln, denn er glaubt, dass sie es jetzt sagen könnte. Mit aller mentaler Kraft, die er aufbringen kann, schafft er es sich zu kontrollieren und sie kein weiteres Mal zu unterbrechen. „...in dich verliebt bin, Aiven.“ finalisiert sie den Satz endlich. Der Prinz könnte platzen vor Glück, was seinem Gesicht mehr als überdeutlich anzumerken ist. Siva geht nicht darauf ein. „Das schien Ramon aber kein bisschen zu interessieren. Ohne Rücksicht auf meine Gefühle versuchte er mich zu küssen. Erst als ich ihn wegstieß, ließ er mich in Ruhe. Deshalb bin ich jetzt auch etwas vorsichtiger ihm gegenüber.“ Erneut nimmt Aiven seine Prinzessin in die Arme. Ergriffen flüstert er: „Danke, dass du dich für mich entschieden hast, obwohl ich nur ein einfacher Mann bin, der zu schwach war dich gegen die Räuber und vor Ramons Zudringlichkeit zu schützen.“ Er lockert seinen Griff. „Oder...hegst du Gefühle für ihn?“ Sie legt nun ihre Arme auch um ihren Prinzen, um ihn zu beruhigen. Seine Frage übergeht sie, weil sie diese weder offen beantworten, noch lügen will. „Aiven, du bist nicht schwach. Du hast mich in einem fairen Duell geschlagen.“ Er senkt seinen Kopf, sodass er den ihren berührt. „Aber wenn es darauf ankommt, dann bist du viel stärker als ich und Ramon ist so unglaublich mächtig...“ Ihm schießen Bilder durch den Kopf, in welchem Zustand der Todesgott die Siedlung hinterlassen hat und wie er Siva befreite. Er reißt die Augen auf und löst seinen Griff vollständig. Die Eifersucht kocht plötzlich in ihm hoch. Solche Gefühle kennt er sonst gar nicht von sich. Jetzt weiß er wie sich die Prinzessin gefühlt haben muss. „Du warst nackt! Er ist in dich verschossen und hat dich nackt gesehen!“ stellt er erschrocken fest. „Den knöpf ich mir vor, heute Abend noch.“ Er will aufstehen, doch Siva umfasst sein Handgelenk, um ihn aufzuhalten. „Bleib hier, Aiven. Er hat es doch verstanden. Ich sage dir Bescheid, wenn er wieder zudringlich wird.“ Das beruhigt den heißblütigen jungen Mann für den Moment, der sich wieder auf das Bett sinken lässt. Zugegebenermaßen hat er ihr auch etwas zu gestehen. „Jetzt wo du so offen zu mir bist, Siva, will ich es auch zu dir sein. Im Nachhinein glaube ich dieses ganze Unterfangen war keine so gute Idee. Der tote ‚Ewige König‘ hätte wohl doch besser tot bleiben sollen. Du hast ihn in Aktion erlebt. Er ist gefährlich. Wer von uns, glaubst du, ist dieser Naturgewalt gewachsen?“ „Nico!“ platzt es aus ihr heraus und sie wiederholt eindringlich: „Nico kann es mit ihm aufnehmen.“ Verwundert und auch ein wenig verärgert fragt er: „Dein Vater? Wie kommst du darauf?“ Sie stemmt sich auf ihre Knie und macht sich groß vor dem Prinzen. „Wenn er die Siegel benutzen würde, wäre er noch viel mächtiger als Ramon.“ Aiven hat das Gefühl mit einem dummen naiven Kind zu sprechen. Er schüttelt den Kopf und redet sich langsam in Rage: „Das ist Schwachsinn, Siva! Dein Vater weiß doch noch nicht einmal wie man diese Siegel im Kampf einsetzen kann. Du erweckst eine unbekannte Macht, von der du nicht weißt, ob sie gut oder böse ist. Aber das ist ja auch egal, denn wenn etwas schief geht, wird Papi es schon richten.“ Und wieder streiten die beiden Königskinder. Gerade hatten sie sich noch so gut verstanden. Verständnislos brüllt die Prinzessin: „Wenn du es für so eine bescheuerte die Idee gehalten hast, warum bist du dann überhaupt mitgekommen?“ Nun wird auch er laut: „Das weißt du ganz genau, verdammt.“ Sie erinnert sich an das Ultimatum, das sie ihm in Nalita vor Beginn der Reise stellte. Es stimmt, wenn er bei ihr sein wollte, dann hatte er gar keine andere Wahl, als mitzukommen. Die junge Frau atmet tief durch und sinkt in sich zusammen. Völlig erschöpft sagt sie schließlich: „Dann haben wir ja jetzt alles geklärt. Ich wünsche mir, dass du in Zukunft offener zu mir bist.“ Der Prinz ist erleichtert. Er ist froh, dass dieser Streit nicht eskaliert ist. Immer wenn die beiden sich streiten, sieht er sie vor seinem geistigen Auge von dannen ziehen. Er hat große Angst sie zu verlieren, denn dann bräche für ihn eine Welt zusammen, seine Welt, die sich schon immer nur um sie zu drehen schien. Die Abendsonne scheint in das Fenster hinein und strahlt das schöne Mädchen, das ihn so entschlossen ansieht, von hinten an. Sie ist die Göttin, der er verfallen ist, wunderschön, erhaben und unbeugsam, aber doch auch so sensibel. Am liebsten möchte er sie ganz für sich alleine haben und seinen Mitstreiter Ramon zum Teufel schicken, dem er so ähnlich ist. Er umarmt seine Geliebte und flüstert ihr sanft ins Ohr: „Wenn du wirklich willst, dass ich offen zu dir bin, dann werde ich nicht umhin kommen dir zu sagen, dass ich so etwas wie in jener Nacht im Zelt mit dir, gern noch einmal erleben möchte, meine Liebesgöttin.“ Sie lächelt erfreut, denn das gefällt ihr. Die beiden verbringen eine versöhnliche Nacht miteinander. Am nächsten und auch an den darauffolgenden Reisetagen, behalten sich der Prinz von Yoken und der gefallene König von Kalaß, gegenseitig genau im Auge. Ramon hat bereits mitbekommen, dass sich die Königskinder mit jedem Tag immer besser zu verstehen scheinen, was ihm überhaupt nicht zusagt. Aiven schottet ihn sogar so leidenschaftlich von ihr ab, dass er kaum ein direktes Wort an sie richten kann. So darf er die Sache nicht weiter laufen lassen. Er wünscht sich doch so sehr, dass sich die Prinzessin aus eigenen Stücken für ihn entscheidet, ohne dass er Gewalt anwenden muss. Schließlich soll sie die Ewigkeit mit ihm verbringen und er will sich nicht vorstellen wie sich diese mit einer widerspenstigen Gattin anfühlen würde. Als letztes Mittel würde ihm das wohl aber auch das Recht sein, denn es ist schließlich immer noch besser als zu sterben. Mit seinen mentalen Fähigkeiten konnte er bisher nur für einen Bruchteil einer Sekunde in ihren Geist eindringen, was ihm für den Umfang seiner Macht recht wenig vorkommt. Meist hat er ihr banale Anforderungen gesendet, um zu sehen, ob er fähig ist sie in ihrem Handeln zu beeinflussen. Zum Beispiel hat er sie die Krüge der anderen neu mit Getränken befüllen lassen oder sie, nicht ganz uneigennützig, dazu bewegt ihre Bluse ein Stück weiter aufzuknöpfen. Sein erster Versuch am Lagerfeuer ihre Verliebtheit für den jungen Prinzen auf sich zu lenken, schien nicht von Erfolg gekrönt gewesen zu sein. Da seine anderen Experimente jedoch geglückt sind, versucht er es trotzdem weiter auf diese Weise. Wahrscheinlich muss er nur etwas länger an dieser Strategie festhalten, um nach und nach ihren Verstand zu zermürben. Immer mal wieder, wenn sie ihrem süßen Prinzen in seiner Gegenwart nahe kommt, sendet er ihr ein Bild von sich selbst. Sie zuckt dann so lieblich zusammen und ein, zwei Mal richtete sie darauf hin irritiert einen Kontrollblick an Ramon, der so tat, als ob er mit etwas anderem beschäftigt sei. In der letzten Nacht vor der Ankunft in Nalita, erzählt die Prinzessin Aiven von ihren merkwürdigen Eindrücken. Wenn sie in ihren Zimmern sind, ist sie außerhalb von Ramons Sichtfeld und damit seines Einflussbereiches. Es fällt ihr ausgesprochen schwer das Thema anzusprechen, doch so langsam ist sie sich sicher, dass das nicht ihre eigenen Gedanken sind und der verständnisvolle Prinz wird ihr bestimmt Glauben schenken. Diesmal verlangt die Prinzessin direkt ein Doppelzimmer, was in der Herberge allerdings für Gesprächsstoff sorgt. Dass sich die unverheiratete Prinzessin von Roshea mit einem Mann ein Doppelbett teilt, ist das Thema Nummer eins in dem kleinen Örtchen. Was Aiven stolz den Kopf erheben lässt, ist der eitlen Prinzessin etwas unangenehm. Sie hat allerding keine Lust noch einen weiteren Gastwirt für die Striemen auf dem Fußboden entschädigen zu müssen. Damit der liebestolle Prinz nicht sofort beginnt mit ihr zu schmusen, hat sie sich an den kleinen Tisch gleich neben der Tür gesetzt. „Setz dich bitte zu mir, Aiven.“ fordert sie ihn etwas bedrückt auf. Er nimmt überrascht auf dem zweiten Stuhl ihr gegenüber Platz. Sie hat ihre Hand auf dem kleinen alten Holztisch abgelegt, die er nun ergreift. „Es ist schon wieder irgendwas mit dir. Ich dachte wir hätten alles geklärt.“ Sie nickt zart. „Ja, das haben wir auch. Es hat sich etwas neues ergeben und es ist nicht leicht für mich dir das zu sagen. Du darfst mich bitte nicht falsch verstehen, denn es hat wieder mit Ramon zu tun.“ Er springt auf: „Hat er dich wieder angemacht? Wann? Wie? Ich habe den Kerl doch nicht aus den Augen gelassen! Hat er dich beobachtet, als du dich umgezogen hast? Ich reißt ihm die Augen aus und koche daraus eine Suppe.“ Siva muss trotz des ernsten Themas kichern. Sie versteht ihn nur zu gut, denn ganz genauso würde sie auch reagieren. „Nein, Aiven. Setz dich wieder hin!“ Wieder ernst erklärt die Prinzessin: „Immer häufiger kommt es vor, dass ich sein Gesicht vor mir sehe, wenn wir beide uns küssen. Einmal habe ich sogar kurz vor Augen gehabt, wie ich mit ihm...“ Erneut springt der Prinz auf und diesmal tickt er völlig aus: „Und da bittest du mich sitzen zu bleiben? Das ist unglaublich. Wieso erzählst du mir überhaupt von deinen Seitensprungfantasien? Du übertreibst es mit deiner Ehrlichkeit, Siva.“ Er haut mit seiner Hand auf den Tisch, was einen so lauten Knall von sich gibt, der in der ganzen Herberge zu hören ist. Sie hebt die Hände, um ihn zu beruhigen. „Nein, hör doch zu!--“ Er geht zur Tür und brüllt: „Du hast ja keine Ahnung wie verletzend das für mich ist. Geh doch zu ihm. Er ist nur ein Zimmer von dir entfernt.“ Sie steht ebenfalls auf, während er die Tür einen Spalt öffnet. Mit einer Armbewegung, die so schnell war, dass der Prinz sie nicht einmal sehen konnte, zieht sie die Tür wieder zu. Sie drückt sich so schnell und kraftvoll zwischen den jungen Mann und den Ausgang, dass er nach hinten zurückweichen muss. Mit dunklem Blick und einer unerschütterlichen Stimme befiehlt sie: „Du wirst dir meine Geschichte bis zum Schluss anhören, ist das klar?“ Überrascht und leicht eingeschüchtert antwortet er zögerlich: „Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben.“ Stinksauer setzt er sich möglichst weit weg von ihr auf das Bett. Sie bleibt vor der Tür stehen und erklärt in einem harschen Ton: „Diese Bilder und Gedanken, Aiven. Die stammen doch nicht von mir. Ich verstehe es doch selbst nicht, deshalb weihe ich dich ja ein. Ich will diesen Mann nicht.“ Er lehnt sich nach vorn und stützt sich mit seinen Armen auf den Knien ab. Den Blick nach unten gerichtet beginnen sich seine Augen langsam mit Tränen zu füllen. Mit trotzdem harter Stimme entgegnet er: „Aber wenn du mit mir schläfst, dann hast du sein Gesicht vor Augen anstatt dem meinen und das stört dich überhaupt nicht?“ Sie läuft zu ihm und hockt sich vor den verletzten Prinzen. Sie hat ein Déjà-vu, denn so zusammengesunken war er schon einmal vor ihr, nur, dass er damals nicht weinte und sie tatsächlich schuld war an der Situation. Diesmal ist es anders, diesmal ist es schlimmer. Er ist nicht enttäuscht, sondern gebrochen. „Nein, Aiven. Er kann nicht in meinen Geist, wenn--“ während sie versucht mit ihren Fingern das Haar aus seiner Stirn zu streichen, um sein Gesicht zu sehen, wehrt er ihre Geste hart mit seinem Arm ab, weshalb sie mitten im Satz unterbrochen wird. Sie kann ihn doch verstehen und probiert es noch einmal besser zu erklären: „Er kann mich nicht beeinflussen, wenn wir beide allein sind.“ Diesmal hört er zu. „Ich habe darauf geachtet wann es passiert. Er kann mir nur dann einen Gedanken aufzwingen, wenn ich in seinem Sichtfeld bin. Zumal es immer nur für einen ganz kurzen Augenblick passiert. Ich habe kein erotisches Interesse an ihm. Ich habe dich nicht hintergangen, Aiven. Es sind seine Fantasien, nicht meine. Ich weiß auch nicht wie das funktioniert, aber es scheint etwas damit zu tun zu haben, dass wir beide Mana-i sind. Wenn Nico mir Geschichten erzählt hat, dann sind auch manchmal Bilder von Orten vor mir aufgetaucht, an denen ich noch niemals in meinem Leben gewesen bin.“ Als er zwinkert, fallen Tränen auf den Boden herab. Die Prinzessin will noch einmal versuchen ihren Freund zu berühren. Er zuckt zwar zurück, doch diesmal lässt er es zu. Wieder streicht sie zärtlich mit ihren Fingern durch sein schönes hellblaues Haar. Immer noch ist seine Stimme hart und frei von Schluchzern, als er leise sagt: „Wenn es stimmt, was du sagst, dann versucht uns dieser Mann auseinanderzubringen.“ „Natürlich stimmt es. Wieso hätte ich es dir sonst erzählt?“ haucht sie sanft. „Polygamie?“ antwortet er leise, was sie als charmanten Scherz auffasst, der ganz nach Aivens Kaliber wäre. In Wahrheit hat er das aber völlig ernst gemeint. Sie lächelt entschlossen. „Also ich will nicht, dass er Erfolg hat und ich denke du willst das auch nicht. Aiven, wir werden ihn in seinem Vorhaben scheitern lassen.“ Er wischt sich die Tränen aus den hellblauen Augen, hebt seinen Blick und sieht seine wunderschöne Freundin Siva entschlossen funkelnd an. „Das werden wir.“ Plötzlich steht er energisch auf und geht zur Tür. Die Prinzessin dreht sich zu ihm und fragt überrascht, was er denn jetzt vor hätte. Der Prinz von Yoken antwortet neu erstarkt, aber immer noch wutentbrannt: „Ich stelle diesen hinterlistigen, blaublütigen Schwachkopf zur Rede.“ Zielstrebig läuft er hinüber zu Ramons Zimmer. Ohne zu klopfen, reißt er die unabgeschlossene Tür auf. Der gefallene König sitzt ihm mit übereinandergeschlagenen Beinen genau gegenüber, als ob er erwartet hätte, dass der Prinz ihn besucht. „Ramon!“ brüllt der aufgebrachte junge Mann. Entspannt begrüßt dieser seinen Gast mit einem Lächeln. „Guten Abend, Prinz Aiven. Nett, dass Ihr mich besucht.“ Respektlos geht Aiven zu ihm hin, packt den früheren König am Kragen und zieht ihn zu sich heran, sodass sein Geschmeide klimpert. Dieser stützt sich mit seinen Händen auf die Armlehnen des Stuhles. „Nicht so stürmisch, junger Mann.“ Aiven will ihn auf den Stuhl zurück stoßen, doch Ramon fängt die Wucht mühelos mit seinen aufgelehnten Armen ab. Er setzt sich langsam und geschmeidig wieder hin. „Setzt Euch doch zu mir und erklärt was Euch so aufbringt.“ bittet er höflich mit einer einladenden Handbewegung, doch Aiven hat keine Lust auf eine nette Plauderei. Er kommt laut und entschlossen direkt zum Punkt. „Ich verbiete Euch Sivas Geist zu manipulieren und stellt Euch nicht dumm, wir wissen schon, dass Ihr das könnt.“ Die junge Frau steht an der Tür und beobachtet die ganze Sache. Der König hat sich, als erfahrener Stratege, für diese Situation schon längst etwas überlegt. „Wenn Ihr es ebenfalls hören wollt, so kommt bitte herein, Prinzessin und seid so gut die Tür hinter Euch zu schließen, denn was ich nun sage, ist sehr persönlich und soll diesen Raum nicht verlassen.“ Sie sieht keinen Grund darin, dem nicht nachzukommen und tritt in sein Zimmer ein. Ramon fasst sich an die Brust und macht ein bewegtes Gesicht. Dann beginnt er theatralisch zu sprechen. „Ein bisschen leid tut es mir schon, dass Ihr Euch das mit anhören müsst, Prinzessin, aber so sei es. Meine aufrichtige Liebe habe ich Euch bereits gestanden. Nun ist es so, dass es einem erfahrenen Mann wie mir, nicht nur nach der aufopfernden Liebe gelüstet, sondern auch nach der körperlichen. Das glückliche Paar zusammen zu sehen, ruft in mir sehr starke Gefühle hervor, die ich Euch anscheinend, völlig unbeabsichtigt, habe zukommen lassen, Hoheit. Niemals solltet ihr einen dieser Gedanken von mir erhalten. Ich möchte mich bei Euch aufrichtig in aller Form dafür entschuldigen.“ Er steht auf und kniet sich vor Siva, der er einen Handkuss gibt. Aiven hebt ungläubig die Hände. Was passiert hier? Das ist ja wohl das lächerlichste Schauspiel, das er je zu Gesicht bekommen hat. Im Moment ist das eine Sache zwischen dem alten Königsknausel und der Prinzessin, weshalb er sich erst einmal beobachtend zurückhält. Er will sehen wie seine Siva auf das Laientheater reagiert. Er sieht ihr ins Gesicht und kann es kaum glauben. Wie beim letzten Mal, als Ramon ihr so eine Szene ablieferte, hat sie ihre freie Hand vor den Mund gehalten, um ein Lachen zu verbergen. Der gefallene König steht wieder auf und sagt ernst zu ihr: „Ihr seid so grausam, Prinzessin, mich erneut für meine Gefühle zu belächeln.“ Laut prustend lacht sie los. Sie muss sich den Bauch halten, so sehr freut sie sich, dass auch Aiven es diesmal miterleben konnte. Nicht sie stellt den ehrwürdigen ‚Ewigen König‘ bloß, das schafft er schon ganz von allein. Ein bisschen falsch fühlt es sich für sie schon an ihn auzulachen, weil sie ihn so sehr für sein Alter und seine Weisheit respektiert, doch diese abgedroschenen Sprüche und das gekünstelte Verhalten kann sie einfach nicht tolerieren. Gefühlte tausend Mal hat sie so etwas schon erlebt, aber nicht von einem gestandenen König, sondern von Adelssprösslingen, die ihr den Hof machen wollten. Die Kombination des ehrwürdigen Königs mit dem durchschaubaren Verhalten eines Adelssprosses ist eines der witzigsten Dinge, die sie sich überhaupt vorstellen kann. „Verehrter Ramon, das kann nicht Euer Ernst sein. Ich habe Euch doch gesagt, dass diese Masche bei mir nicht zieht. Wie soll ich Euch respektieren, wenn ihr Euch so kriecherisch von mir verhaltet? Am besten geht ihr mit mir um wie mit Aiven.“ „Wie mit einem Mann?“ Antwortet er leicht empört und ergänzt. „Niemals, Prinzessin, werde ich mit Euch umgehen können wie mit einem Mann! Bereits Eure anmutige Gestalt--“ „Lasst es!“ unterbricht sie spitz, „denn dann werden wir wohl immer ein Problem miteinander haben, Majestät. Und was Euren Plan angeht, mich und Aiven zu entzweien, kann ich Euch nur darum bitten ihn fallen zu lassen. Vieles möchte ich so gerne noch von Euch erfahren, aber wenn der Preis dafür der Verlust meiner Liebe ist, so bin ich nicht bereit ihn zu zahlen.“ Der Prinz ist wieder einmal hin und weg von seiner Freundin. Ein breites Grinsen hat sich auf seinem Gesicht breitgemacht. Eigentlich war er zu Ramon gestürmt, um ihn zur Schnecke zu machen, doch Siva beherrscht dieses Spiel noch viel besser als er. Großzügig lächelnd antwortet der frühere König: „Meine Bereitschaft Eure Fragen zu beantworten steht in keinerlei Verhältnis zu unserer Beziehung, liebste Prinzessin Siva. Alles was ich über Euch gesagt habe, ist war und entstammt den Tiefen meines Herzens. Wie Ihr es wünscht, werde ich mit aller Kraft gegen meine Gelüste ankämpfen und trainieren meine mentalen Fähigkeiten besser unter Kontrolle zu bekommen. Ich möchte das junge Glück nicht mit meiner Begierde belästigen. Was Euren Wunsch angeht, wie ein Mann behandelt zu werden, so werde ich noch etwas Zeit benötigen, um mir darüber klar zu werden in welchem Maße ich das umsetzen kann.“ Sie wendet ihren Blick ab. Ein bisschen Herzklopfen bekommt Siva immer, wenn dieser schmuckbehangene Schönling seine Reden schwingt, die nur ihr zu gelten scheinen. Auch diesmal wieder muss sie sich besinnen sie selbst zu bleiben um sich nicht von seinen schmeichelnden Worten einlullen zu lassen. Zum Glück ist ihr Wille überdurchschnittlich groß, denn jede andere Frau hätte sich wohl schon lange in seine Arme geworfen, vor allem jetzt, nachdem er ihr unter so großem Einsatz das Leben gerettet hat. „Lass uns gehen, Aiven!“ sagt sie freundlich, bevor sie sich noch einmal selbstsicher an den früheren König wendet: „Ich sehe Euch als Teil der Familie, Ramon und als solches wünsche ich mir, dass wir beide gut miteinander zurechtkommen. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.“ Sie öffnet die Tür und auch Ramon spricht zu ihr, als hätte es das ganze vorige Gespräch gar nicht gegeben: „Auch ich wünsche Euch beiden eine ebenso gute Nacht. Ich freue mich bereits sehr darauf den Rest meiner verbleibenden Familie kennen zu lernen.“ Aiven verabschiedet sich knapp und folgt der Prinzessin nach draußen. Die beiden sind der Meinung der gefallene König sollte sie verstanden haben. Die Beziehung der beiden zueinander hat er damit jedenfalls nicht geschwächt. Der Prinz hat nun gesehen wie zerschmetternd offen sie im Angesicht Ramons über dessen Verhalten urteilt. Das festigt seinen Glauben an sie, auch wenn sich der eigentlich so kluge Prinz neben ihr nun wie ein dumpfer Grobian vorkommt. Etwa zur Mittagszeit des nächsten Tages reisen die vier am Nalitischen Hof ein. König Nico hat seine Staatsgeschäfte stehen und liegen lassen, als ihm die Informationen zugetragen wurde, seine geliebte Tochter kehre gesund zurück. Einige Tage lang war er schon ziemlich aufgeregt und hat sich unglaublich auf sie gefreut, denn er wusste schon, dass sie sich auf den Weg nach Hause gemacht hatte. Schließlich ist er der Lage den groben Aufenthaltsort des Windsiegels zu bestimmen. Auch ihre Mutter Kara ist erleichtert, dass ihre wundervolle Tochter die Reise unbeschadet überstanden hat. Sie hatte Nico daran gehindert ihr zu Hilfe zu eilen, deshalb hätte sie es sich auch niemals verzeihen können, wäre ihr etwas zugestoßen. Das Königspaar empfängt ihr geliebtes Kind im Innenhof des Schlosses. Nach der langen Reise kommt Siva der Hof viel schöner vor als je zuvor. Ihre negativen Gefühle für ihren Vater sind vollständig verschwunden, was sie selbst gerade erst bemerkt. Sein lächelndes Gesicht beweist ihr, dass er ihr nicht böse ist. Sie kann sich nicht beherrschen und hat begonnen über den riesigen Platz auf ihn zu zurennen. Sie weiß nicht, ob sie sich überhaupt schon mal in ihrem Leben so sehr gefreut hat jemanden zu sehen. Sie fällt ihm in die Arme und drückt ihn so fest sie nur kann an sich, was einem anderen Mann vielleicht Schwierigkeiten bereiten könnte, denn sie hat unglaublich viel Kraft. Kara umarmt die beiden nun auch. Die kleine Familie ist endlich wieder vereint und überglücklich. Sivas drei Begleiter sind inzwischen bei der Königsfamilie angekommen, als diese erst so langsam beginnt sich voneinander zu lösen. Der König und die Prinzessin sind beide in Tränen ausgebrochen, denn diese Umarmung ist nicht nur die Geste eines Empfangs sondern auch die einer Versöhnung. Noch ein bisschen schluchzend, beginnt Siva die drei Gäste vorzustellen: „Entgegen dem üblichen Vorgehen, möchte ich bei der Vorstellung in verkehrter Reihenfolge verfahren.“ Sie bittet Zarihm zu sich, der gerade überhaupt nicht weiß wie er sich verhalten soll. Tief gebeugt steht er vor dem Königspaar. In den letzten Tagen hat er sich im Hintergrund gehalten, weil er den anderen nicht zur Last fallen wollte. Nach wie vor hat er mit seinen Erlebnissen in dem Rebellendorf zu kämpfen und außerdem hält er das Angebot, hier im Schloss zu bleiben, für viel zu großzügig. „Das hier ist Zarihm aus Aranor. Er ist der Besitzer des schwarzen Juwels, welches er uns für unser Vorhaben freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Er ist für uns zu einem guten Freund geworden und ich habe ihn darum gebeten mit mir auf den Nalitischen Hof zu kommen. Wäre es möglich, dass er bei Jonathan, unserem Kämmerer in die Lehre geht?“ Herzlich begrüßt ihn der König mit den Worten: „Willkommen Zarihm aus Aranor. Wenn du ein Freund meiner Tochter bist, dann bist du auch mein Freund und wenn sie dir diese Lehre versprochen hat, so will ich mich nicht dagegen stellen. Über die Hälfte des Hofstaates ist so oder so ähnlich zu seinem Posten gekommen.“ Siva nickt entschlossen Aiven zu, dem sie ihre Hand ausstreckt. Er kommt zu ihr und legt direkt seinen Arm um sie, was Nicos Gesicht zum Strahlen bringt. Sie führt aus: „Prinz Aiven ist jetzt mein fester Freund und ich möchte dich dazu ersuchen ihn ab sofort mit meinem Zimmer schlafen zu lassen.“ Der König breitet die Arme aus, um den Prinzen zu einer Umarmung aufzufordern, der er gerne nachkommt. Ihm im Arm anhaltend, flüstert Nico: „Gut gemacht, Schwiegersohn.“ Was nun auch Aivens bisher eher unsicheres Gesicht zum Erstrahlen bringt. Siva geht nun zum schwierigen Teil der Vorstellung über. Nun ist Ramon an der Reihe, der sich die ganze Chose unbeteiligt mit ansehen musste. Viel konnte er dadurch aber bisher über den amtierenden König lernen. Er ist völlig anders als er selbst. Kein Wunder also, dass Siva solche Schwierigkeiten mit seiner Art hatte. Nico manipuliert viel geschickter als er und wird dabei auch noch als Heilsbringer angesehen, sehr elegant. Er wird sich von ihm einige Kniffe abschauen müssen. Schon auf dem Weg hierher hat er sich die Stadt und das Schloss genau angesehen. Das meiste davon sieht noch genauso aus wie vor zweihundertfünfzig Jahren. Er selbst ließ diese Stadt errichten. Das liegt allerdings noch deutlich weiter zurück. Auch wenn Nico Ramons schwere, dunkle Präsenz die ganze Begrüßung hindurch mehr als deutlich bewusst war, so hat er doch gern Sivas vorgegebene Reihenfolge eingehalten. Seine Prüfung als König steht nun bevor. Die Prinzessin atmet noch einmal durch und beginnt dann mit der Bekanntmachung: „Das ist Ramon, der aus den Geschichtsbüchern bekannt ist als der ‚Ewige König‘. Mit der Kraft meines Blutes und der vier Siegel habe ich ihn nach einem zweihundertfünfundzwanzig-jährigen Schlaf wieder ins Leben zurückgerufen. Er ist ein Mana-i und einer unserer Ahnen.“ Die beiden Könige fixieren einander. Ramon versucht in den Geist Nicos einzudringen, was ihm unerklärlicherweise nicht gelingt, noch nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde. Entweder ist dieser König gar kein Mana-i, oder er ist sehr viel mächtiger als er, was er für einen seiner Nachfahren für absolut unmöglich hält. Die Macht der Mana-i sinkt mit der Verwaschung des Blutes und schon zu seinen Lebzeiten, war Ramon der reinste unter ihnen allen. Es ist also unmöglich, dass der amtierende König von Roshea ein Mana-i ist. Er blickt zu Kara, von der Siva ja nun nur noch ihr königliches Blut haben kann. Sie kann er lesen wie ein offenes Buch, was bedeuten muss, dass sich die Prinzessin all die Jahre geirrt haben muss. Nicht der König ist seiner Meinung nach der letzte Mana-i gewesen, sondern die Königin. Ramon schafft es trotzdem nur für einen kurzen Augenblick zu Königin Kara zu schauen, denn etwas zwingt ihn wieder König Nico zu fixieren. Irgendetwas stimmt hier nicht. Das alles spielt sich in weniger als einer Sekunde in seinem Kopf ab. Ramon muss einen Schritt nach hinten zurückweichen. Jemand attackiert ihn mental mit großer Macht. Der erfahrene Mann kommt zu dem Schluss, dass es doch Sivas Vater sein muss, doch erklären kann er es sich nicht. Ehrfürchtig richtet er das Wort an den amtierenden König: „Wer seid Ihr?“ Erhaben antwortet dieser: „Ich bin Nico Dugar, König dieses Landes. Bist du mit guten Absichten hier, so heiße ich dich in Roshea willkommen und möchte dir Unterkunft in meinem Schloss anbieten. Bist du aber mit schlechten Absichten hier, zum Beispiel, um einen Thron zurückzufordern, den es nicht mehr gibt, dann werde ich persönlich dafür sorgen, dass du dorthin zurück findest, wo du hergekommen bist, Ramon.“ Dem gefallenen König läuft Angstschweiß den Rücken herunter. Das hat er in dieser Form in seinem langen Leben noch nicht erlebt und so respektlos ist er auch noch nie angesprochen worden, jedenfalls nicht von einem Menschen. Der Mann, dem er gegenüber steht, hat in dem einen Moment eine Aura, die der angenehmen Wärme der Sonne gleicht und im nächsten Moment droht er ihn mit seiner Macht zu verbrennen. An eine bestimmte Person erinnert er ihn, doch die will er lieber wieder vergessen. Er wundert sich nun nicht mehr wie Siva zu einem so furchtlosen Mädchen werden konnte, wenn sie die ganzen Jahre den Launen dieses Mannes ausgeliefert war. Sie aus dessen Fängen zu befreien, ist ihm nun eine Herzensangelegenheit. Dem ehemals mächtigsten König der Welt bleibt nun nichts anderes mehr übrig, als sich dieser unbekannten Macht unterzuordnen. „Aber nicht doch, mein König. Den Verlust meines Thrones habe ich selbst zu verantworten und Ihr seid nun Herr über die Ländereien, die einst mein waren. In diesem, mir fremden Zeitalter, habe ich nichts mehr und bin auf Eure Gastfreundschaft angewiesen. Eure Tochter Siva und auch den jungen Prinzen Aiven von Yoken habe ich während unserer gemeinsamen Reise lieb gewonnen und ich bin gern bereit mein uraltes umfassendes Wissen im Gegenzug mit Ihnen und Euch zu teilen.“ Nico ist heilfroh diesen Test bestanden zu haben. Woher er das Wissen bezieht, sich mit diesem fremden Mana-i mental messen zu müssen, ist ihm unbekannt. Bestimmte Dinge über sich und sein Wesen als solches, bezieht er aus einer unerschöpflich sprudelnden Quelle tief in seinem Inneren, die ihm notwendige Informationen Häppchenweise serviert ohne, dass er dieses Wissen bewusst erwerben musste. Schon oft hat er es hinterfragt, aber sich so sehr vor der Antwort gefürchtet, dass sie ihm als Resultat auch nicht gegeben wurde. Er bezeichnet das mittlerweile als seinen Instinkt. So wie er früher sporadisch Sivas oder Karas Gedanken gelesen oder beeinflusst hat, bis er es aufgab, weil es ihm unnatürlich vorkam. Glücklich über seinen Sieg, strahlt er den gefallenen König nun an: „Dann sei willkommen in der Familie, mein wiederbelebter Vorfahr. Wir werden schon ein Zimmer finden, in dem du dich wohl fühlst.“ Nico legt einen Arm auf Ramons Schultern und spricht fröhlich weiter: „Bevorzugst du die Dunkelheit der Kellerräume? Liegst du gerne in einem Bett, oder ziehst du es vor auf der Erde zu schlafen?“ Der ehemalige König fühlt sich von Nicos sehr persönlicher Ansprache weiterhin ein wenig angegriffen, aber damit wird er wohl leben müssen. Entrüstet über die unerhörten Fragen antwortet er: „Ich bevorzuge es nach wie vor in einem normalen Bett zu schlafen, König.“ Was denkt sich dieser überhebliche junge Mann so mit einem Erhabenen wie ihm zu sprechen? Was ist das nur für ein Zeitalter der Verrohung des Anstandes? Für den Moment ordnet er sich ihm unter. Die beiden Männer gehen davon. Siva ist erleichtert, dass Nico ihn zu akzeptieren scheint. Das war ihre größte Sorge. Sie und Kara haben das Duell der beiden verfolgen können, welches Aiven und Zarihm verborgen geblieben ist. Erleichtert sehen sich die beiden Frauen an, die ihre Hoffnungen etwas über sich zu erfahren an Ramons Mitteilungsbereitschaft hängen. Kapitel 10: Kräftemessen ------------------------ König Nico führt den gefallenen König Ramon über den Nalitischen Hof. Obwohl die beiden Monarchen hoch angespannt sind, erscheint der Rundgang für Außenstehende wie der nette Empfang eines Familienmitgliedes. Nico zeigt ihm den Garten und den Übungsplatz, die beide keinerlei Bedeutung zu haben scheinen. Für den lebenserfahrenen Gefallenen liegt es auf der Hand, dass es sich dabei um eine Farce handelt, weshalb er nach einiger Zeit einschreitet: „König Nico, ich möchte dir für deine Führung danken, doch ich möchte auf die fehlende Notwendigkeit hinweisen. Ich selbst ließ dieses Schloss erbauen und lebte viele Jahrhunderte darin.“ Als ob es dem amtierenden König darum gegangen wäre, seinem Herausforderer den Hof zu zeigen. Er suchte nur nach einem möglichst menschenleeren Ort. Er weiß, dass das Kräftemessen noch nicht beendet ist und jetzt, wo die Frauen außer Hör- und Sichtweite sind, kann er frei sprechen. Geschützt vor aller Blicke, neben dem Übungsplatz, direkt zwischen einem kleinen Grashügel und der Außenmauer des Schlossgeländes, bleibt Nico stehen und beginnt ein forderndes Gespräch: „Es gibt da noch einiges, das ich mit dir besprechen muss, bevor ich dich tatsächlich an meinem königlichen Hof und in meiner Familie willkommen heißen kann.“ Mit einer unheilvollen Aura zwingt der König seinen Gast ein wenig zurückzuweichen. „Du hast meine Tochter verführt dich wieder zu erwecken. Dafür übernehme ich die Verantwortung. Du hast keinerlei Anspruch auf sie. Alle Forderungen, die du an deine Wiedererweckerin stellen magst, übernehme ich.“ Er geht noch weiter auf ihn zu, bis dieser langsam an die Außenmauer gedrängt wird. „Und auch meine Frau Kara steht dir nicht zur Verfügung. Wenn du aus deiner Initiative heraus auch nur ein Wort an sie richtest, werfe ich dich aus dem Schloss. Zudem verbiete ich es dir dein Wissen mit den beiden zu teilen.“ Ramon gibt sich alle Mühe aufrecht stehen zu bleiben, um seine Würde zu bewahren, auch wenn das vor der schieren Macht des Königs ein sinnloses Unterfangen darzustellen scheint. Aber sich zu unterwerfen kommt für ihn nicht in Frage. Statt seinen Kopf zu senken, hebt er ihn lächelnd. „Wie gierig von dir beide Frauen für dich zu beanspruchen.--“ Eigentlich wollte Ramon noch etwas ausführen und einlenken, doch sein Gegenspieler drückt ihn bereits, mit dessen Unterarm an seiner Brust, an die Mauer hinter ihm. Humorlos richtet Nico das Wort an den untoten früheren König: „ICH bin der König von Roshea und ich mache mit meinen Frauen was ich für richtig halte. Ich verwarne dich jetzt noch ein letztes Mal. Wenn du es auf meine Krone abgesehen hast oder du einem Mitglied meiner Familie auch nur ein Haar krümmst, dann mache ich meine anfängliche Drohung war und schicke dich eigenhändig wieder unter die Erde zurück.“ Er denkt gar nicht daran den Griff zu lockern und presst seinen aufmüpfigen Gast weiterhin so sehr an die Steinmauer, dass sie sich ein wenig nach außen verformt. Ramon hat Mühe zu sprechen, doch seine Stimme klingt hart und selbstbewusst. „Du bist ein selbstgerechter Tyrann, der seiner Tochter das Leben verkürzt, nur damit ich sie nicht haben kann.“ Nico lockert den Druck auf seinen Arm unwillkürlich. Diesmal hat Ramon anscheinend eine wunden Punkt getroffen, was ihm süffisant lächeln lässt. Nico ist tatsächlich angeschlagen. Er fragt sich schon lange, ob es richtig ist ihr Leben zu lenken? Macht ihn das zum Tyrann? Ramon ist der erste, der es bemerkt, denn es stimmt, die Prinzessin ist nur deshalb mit dem Prinzen von Yoken zusammen, weil er als König es so wollte. Eine politische Hochzeit zwischen den benachbarten Königshäusern, wäre brillanter Schachzug, aber ohne Liebe will er keine Ehe zwischen den beiden erzwingen. Seit ihrer Geburt zieht er die Fäden in Sivas Leben und macht sie somit zu seiner Marionette. Hat er, als ihr Vater, überhaupt das Recht dazu und was will Ramon mit “verkürztem Leben“ andeuten? Weiß er etwas, das Nico bisher entgangen ist? Sein Geist strauchelt und schließlich lässt er von seinem Gegner ab. Das nutzt der erfahrene, frühere König aus. Er redet überheblich weiter auf seinen Nachfahren ein: „Weißt du denn nicht, dass ein Mana-i immer einen Partner aus seinem eigenen Volk benötigt, um seine Kräfte zu entfalten, die ihm auch dieses lange Leben ermöglichen? Du hast es dir leicht gemacht und dir Kara, die letzte weibliche Mana-i, zur Frau genommen, doch was ist mit Siva? Welchen Partner soll sie wählen, wenn du sie nicht wie eine normale Frau sterben sehen willst? Dich vielleicht? Der Prinz wird ihr jedenfalls nichts nützen.“ So langsam findet König Nico wieder zu sich zurück. Kara soll eine Mana-i sein? Sein Blick festigt sich wieder und er antwortet: „Du irrst dich, gestürzter König von Kalaß. Kara war keine Mana-i, als ich sie kennen lernte. Ich selbst habe sie aus purem Egoismus zu einer gemacht, weil es mich nach jemandem verlangte, der mich ohne Worte verstand. Sollte Siva nicht fähig sein Aiven zu einem Mana-i zu machen, dann werde ich das höchstpersönlich übernehmen.“ Das bringt Ramon dazu abschätzig aufzulachen. Im Moment ist König Nico so unsicher, dass sich sein Vorfahr fast bis zu ihm aufschwingen kann. Er wartet nur auf einen schwachen Moment, um diesen Unmenschen in Gestalt eines Heilsbringers ein für alle Mal zu beseitigen. „Es ist gar nicht möglich, jemanden ohne latent vorhandenem Mana-i Blut zu einem solchen zu machen. Du überschätzt deine Macht, junger König. Wieso wäre es zu meinen Zeiten sonst üblich gewesen innerhalb der Familie zu heiraten? Bei uns Mana-i gibt es nur ein Gesetz: Je dünner das Blut, desto weniger Fähigkeiten hat er und desto kürzer ist sein Leben. Wenn du mir deine Tochter nicht geben möchtest, dann wirst du sie selbst zur Frau nehmen müssen oder du verdammst sie zur Sterblichkeit. Tu nicht so, als ob es dir noch nie nach ihr gelüstet hätte. Sie ist viel reiner als deine eigene Gattin und einem gierigen und selbstgerechten Mann wie dir, verlangt es immer nach noch mehr Macht.“ Anstatt noch weiter zu straucheln, erfüllt Nico diese Ansprache mit Wut, was seine mentale Stärke wieder ansteigen lässt. Er packt den nun völlig überraschten Ramon am Kragen, hebt ihn ohne Mühe an und wirft ihn hart auf den Schotterweg, der dabei eine Menge Sand aufgewirbelt, der ihm die Sicht auf seinen Gegner nimmt. Er brüllt im Anschluss: „Was fällt dir ein so mit deinem König zu sprechen? Hör auf von dir auf andere zu schließen und verschone mich mit deinen Mana-i Gesetzmäßigkeiten!“ Ramon ist hart, aber auf seinen Füßen gelandet und klopft sich den Sand aus seiner Kleidung. In seinem Zustand hat er nicht die geringste Chance gegen Nico, aber er hat herausgefunden auf welche Weise er sich schwächen lässt. Er muss Dinge in Erfahrung bringen, die zum Selbstverständnis des Königs gehören, sich aber gegen ihn verwenden lassen. Besonders alles, wovon er nicht viel weiß, scheint ihn ins Straucheln zu bringen. Ramon hätte zu gern Zugang zu den vier Siegeln. Diese haben zwar nur einen kleinen Einfluss auf die mentalen Kontrollfähigkeiten eines Mana-i, aber das macht nichts, denn er liegt nur ein kleines Stück hinter ihm zurück. Vor allem seine schlechte körperliche Verfassung setzt ihm zu und diesen Makel gleichen die Steine aus. Sie erhöhen die physischen Kräfte, die Wahrnehmung, das Urteilsvermögen, und die Geschwindigkeit des Trägers ganz enorm. Wenn er es geschafft hat Nicos Geist zu schwächen, wird es ihm möglich sein, ihn mit Hilfe der Götterjuwelen zu besiegen. Der frühere König versteht jedoch immer noch nicht woher sein Nachfahre diese ungeheure Macht bezieht. Er hält es für möglich, dass sich Nico, wie er selbst einst, mit den Göttern verbündet hat. Auf den Boden hockend senkt Ramon demütig seinen Kopf. „Das war unangebracht von mir. Entschuldige bitte, Majestät, ich wollte nicht aufdringlich sein und dir meine Weisheiten aufzwingen. Ich mache mir einfach nur Sorgen um die herzensgute Prinzessin, der ich mein Leben verdanke.“ Nico streckt, nun wieder freundlich lächelnd, seinem einsichtigen Verwandten seine Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. „Herzensgut? Bist du sicher, dass wir von derselben Person sprechen?“ Ramon lässt sich hoch helfen und antwortet ebenfalls lächelnd: „Sie kann ein wenig ungestüm wirken, doch am Ende bleibt sie immer eine Frau.“ „Wenn du dich da mal nicht irrst.“ entgegnet Nico weich und fügt hinzu: „Ich hoffe wir haben die anfänglichen Differenzen zwischen uns jetzt aus der Welt geschafft. Ich möchte Siva ungern wehtun, weshalb ich mir wirklich Mühe mit dir gebe.“ Die zwei setzen ihren Rundgang weiter fort als sei nichts gewesen und die Mittagssonne drückt immer erbarmungsloser, was die beiden Männer gar nicht zu interessieren scheint. Sie schweigen zunächst für eine Weile bis Nico erneut das Wort erhebt: „Gibt es noch etwas, das dir auf der Seele brennt?“ „Nun, durchaus, das gibt es, mein König. Gestatte mir bitte zunächst die Frage mit wem ich denn nun mein fundamentales Wissen teilen darf, wenn deine beiden Frauen für mich tabu sind und du es auch nicht hören willst? Da ist so vieles, von dem ihr alle nichts wisst.“ fragt Ramon berechnend, was Nico zu entkräften glaubt. „Mit gutem Grund, denn mein Wunsch ist es nicht die Unterschiede zwischen normalen Menschen und dem Geschlecht der Mana-i herauszustellen, sondern unsere Gemeinsamkeiten zu betonen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Siva einen normalen Mann zu ihrem Gatten erwählt. Wir sollten uns nicht über unser Volk erheben.“ Der ehemalige König von Kalaß achtet genau auf jedes Wort seines Nachfahren, denn er versucht seinen mysteriösen Charakter zu erkunden. Er erkennt so vieles in ihm, was nicht zueinander zu passen scheint. „Einen normalen Mann, sagst du? Er ist der Kronprinz des Königreichs Yoken. Verfolgst du damit nicht in Wahrheit die Strategie einer friedlichen Expansionspolitik? Je mehr du von dir erzählst, desto widersprüchlicher werden deine Aussagen, König von Roshea. In aller Demut, lass dir von einem alten und weisen Mann etwas sagen: finde dich erst einmal selbst, bevor du ein Land regierst. Ich selbst habe den Thron erst mit achtundneunzig Jahren bestiegen und ich verfolgte seinerzeit ebenfalls eine Expansionstaktik, doch nie habe sie hinter dem Schleier guter Absichten versteckt. Ich wollte Kalaß zu seiner einstigen Größe zurück verhelfen. Ich wollte Kalaß zu dem Weltreich machen, als das es vom ersten König vor fünftausend Jahren gegründet wurde und ich glaube, genau das willst du auch, nur eben mit anderen Mitteln. Ich verstehe warum du versuchst es vor deiner Frau und deiner Tochter zu verbergen, doch vor mir brauchst du dich nicht zu verstellen. In mir findest du einen Verbündeten. Du bist von meinem Schlag, das merke ich dir an. Wir verfolgen dasselbe Ziel, nur mit verschiedenen Strategien.“ Schon wieder wird Nico etwas unterstellt, das einfach nicht wahr ist... oder doch? Auf gewisse Weise stimmt es, denn er hatte tatsächlich daran gedacht Yoken irgendwann einmal zu Assimilieren. Kara und er wären das unsterbliche Königspaar von Roshea, Siva und Aiven das von Yoken und irgendwann fast völlig unmerklich, vielleicht in zwei-, dreihundert Jahren, wäre alles eins. Das war seine Langzeitvision für die er jetzt schon alle Fäden gezogen hat. Er streicht sich nervös durchs Haar, denn er hasst es, solche Dinge vor Augen geführt zu bekommen und schüttelt es ab, um seinen Geist nicht noch weiter zu schwächen. „Was ist überhaupt mit den anderen Mana-i passiert?“ fragt er ausweichend. Ramon sind Nicos Zweifel nicht entgangen. An dieser Stelle kann er ansetzen, wenn es soweit ist. Diese Frage verwundert ihn im Moment allerdings etwas. „Sag du es mir! Es gab etwa Einhundert von ihnen, als ich starb. Bist du dir absolut sicher, dass es in Tarbas, heute heißt es wohl Kalaß, keine weiteren von ihnen gibt? Sie alle sind damals in die Festungsstadt geflohen.“ „Daran gibt es keinen Zweifel.“ erläutert der König und führt weiter aus: „Ich erzähle dir was ich weiß. Ich habe eine sehr bewegte Geschichte. Ich war einmal ein einfacher Offizier beim Rosheanischen Militär, welches damals die Stadt Kalaß besetzte. Als Kommandeur und Verantwortlicher für die Kontrolle der Bürger, sah ich mir jeden einzelnen von ihnen an. Ich überprüfte, ob es wirklich keinen anderen wie mich gab und blieb erfolglos. Ich weiß nicht, ob sie die Stadt verlassen haben, sie sich entschlossen, sich nicht weiter zu vermehren oder ob sie vielleicht sogar gezielt ausgerottet wurden. Ich kann nur sagen, dass es keine mehr gibt. Wie vielen Menschen bin ich in meinem Leben schon begegnet? Glaubst du nicht, einer meines Geschlechts würde sich vor seinem Mana-i König zu erkennen geben?“ „Dann bleibt es wohl ein Mysterium.“ schließt Ramon, den Kopf dabei bedrückt senkend. Sein ganzes Gefolge soll fort sein und es soll keine Aufzeichnungen darüber geben? Das glaubt er nicht. Er fasst den Entschluss zu überprüfen wohin seine Leute verschwunden sind. Noch ist er zuversichtlich. Wieder lächelnd spricht weiter: „Dein Aufstieg vom Nalitischen Militär zum Monarchen klingt hochinteressant, doch auch höchst unplausibel. Für jeden anderen wäre das wohl unmöglich gewesen, aber nicht für einen so außergewöhnlichen Mana-i wie dich, oder nicht? Siva hat versucht es mir in knappen Sätzen zu erklären. Ich hörte du wärst Stadthalter von Kalaß geworden, hättest die damalige Königin von Roshea verführt und manipuliert ihren eigenen Gatten ermorden zu lassen. Dann nahmst du seinen Platz ein und tötetest auch sie, bevor du die letzte deines Geschlechts zu deiner Frau nahmst. Doch nicht nur das. Das annektierte Kalaß schloss sich daraufhin freiwillig kampflos dem Königreich Roshea an. Diese Geschichte hat mich tief bewegt. Du bist wahrlich ein großer König und das Land Roshea gehört zweifellos dir. Selbstverständlich werde ich es dir nicht streitig machen. Diese Anerkennung wollte ich dir gern persönlich übermitteln.“ Nico hat während der Erzählung nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Kaum etwas davon entsprach noch der Wahrheit, aber das kümmert ihn nicht. Fehlerhafte Geschichten sind unzählige über ihn im Umlauf. Er ist bereits jetzt eine lebende Legende. Ramon wird es ohnehin als weiteren Beweis dafür ansehen, dass Nico diese ganzen Geschehen gesteuert hat, deshalb macht er sich nicht die Mühe es aufzuklären. Er weiß ganz genau, dass sich der frühere König dieses Königreich unter den Nagel reißen würde, wenn er könnte und damit hat er natürlich recht. Nach Ramons Nacherzählung folgt eine kurze, aber endlos erscheinende Zeit des Schweigens. Normalerweise hätte jetzt eine Rückfrage des neuen Königs über das Leben des Alten erfolgen müssen, so wie es der Anstand gebietet. Es nicht zu tun, beweist wie sehr sich Nico über seinen Gast erhebt. Seine Geschichte interessiert ihn kein bisschen, so sehr sie noch mit seiner verwoben zu sein scheint. Das ist nur eine weitere Demütigung, die Ramon auf seinem Weg zurück ins Leben, hinnehmen muss. Dem Diplomaten Nico ist dieser Zusammenhang vollkommen bewusst. Auf diese Weise versucht er dem gefallenen König noch einmal mitzuteilen, wie wenig seine Anwesenheit erwünscht ist. Ramon hat keine Probleme mit derlei Sticheleien umzugehen. Seiner Meinung nach wird der junge König noch früh genug merken was es bedeutet sich ihn zum Feind zu machen. Die beiden trennen sich und Ramon erhält ein Zimmer, welches möglichst weit weg von den Privatgemächern der Königsfamilie liegt, was er erneut beleidigend findet. Allerdings hatte er nach dem Gespräch vorhin auch nichts anderes erwartet und er kann rein gar nichts dagegen tun. Da Aiven nun auch in Sivas Zimmer schlafen darf, erhält er offiziell Zugang zum Westflügel. Das macht ihn formlos bereits zu einem akzeptieren Mitglied der Familie. Es ist nicht notwendig ein größeres Bett für die beiden zu besorgen, denn das der Prinzessin ist ohnehin riesig und die beiden benötigen gar nicht viel Platz, so eng liegen sie meist beieinander. Sie toben gerade im Zimmer herum, in dem Aiven, schon aus Prinzip, alles Mögliche umräumen möchte. Es ist ja nun schließlich auch sein Zimmer. Immer wenn er etwas verschiebt, macht Siva es wieder rückgängig. Ein lautes Gekicher und Geschepper ist aus ihrem Zimmer zu hören. Nico, der inzwischen von seinem Spaziergang mit Ramon wiedergekehrt ist, ärgert es ein wenig die beiden bei ihrem Liebesspiel unterbrechen zu müssen, aber es ist nun mal notwendig, dass er sich mit seiner Tochter so schnell wie möglich ausspricht. Besonders nach dem nicht allzu gut verlaufenem Gespräch mit Ramon, muss er seine Tochter auf seiner Seite wissen. Er klopft an der Tür, was bei dem Lärm wohl anscheinend nicht bemerkt worden ist, deshalb öffnet er sie einen Spalt und schmult hinein. Das hätte er wohl nicht tun sollen, denn sofort kommt auf ihn ein Kissen zugeflogen, geworfen von seiner halbnackten Tochter. Aiven scheint auch nur noch mit einer Hose bekleidet zu sein. Der wenig überraschte Vater schließt die Tür sofort wieder. Von drinnen hört er einen wütenden Ruf seiner Tochter: „Nicooo! Kannst du nicht anklopfen?“ Lachend beantwortet er es ebenfalls rufend: „Das hab ich, ihr habt es nur nicht gehört.“ Erneut ist ein lautes Poltern zu hören. Nico muss lächeln. Die zwei Kinder erinnern ihn an sich und Kara. Nach wie vor neckt er seine Frau gerne noch auf ähnliche Weise. Es dauert einen Moment, bis sie ihm die Tür öffnen. Im Zimmer sieht es chaotisch aus. Einige Sachen sind auf dem Boden verstreut und manche Schränke stehen nicht mehr richtig an der Wand. Wieder ordentlich bekleidet, stehen die beiden Königskinder vor dem König, der sich das Gesicht seiner Tochter ganz genau anschaut. Keine Spur von Röte ist darauf zu sehen. Was sich hier auch immer genau abgespielt haben mag, Kara wäre dabei rot geworden. Siva ist wohl wirklich aus einem andern Holz geschnitzt als ihre Mutter. Sie scheint eher nach ihm zu kommen, was ihn Stolz macht. Das Mädchen reagiert auf seine fixierenden Blicke: „Starr mich bitte nicht so an, Nico und hör auf dabei auch noch so merkwürdig zu grinsen!“ Dieser antwortet nicht darauf, sondern wirft Aiven ein anerkennendes Lächeln zu. Er kommt ein Stück zur Tür hinein und bittet seine Tochter mit ihm auf den Übungsplatz zu gehen. Als Reaktion zuckt sie mit den Schultern. „Ja, warum nicht?“ Aiven hat verstanden, dass es sich dabei um eine Vater-Tochter Sache handelt und hält sich zurück. Ein weiteres Mal zieht sich die junge Frau um. Nach der langen Reise, auf der sie Hosen trug, hatte sie sich eben endlich einmal wieder ein Kleid angezogen, doch der Übungsplatz verlangt erneut nach funktioneller Kleidung. Da sie beides gern mag, findet sie es fast ein wenig schade das hübsche Kleid wieder abzulegen. Die beiden treffen sich eine halbe Stunde später wie abgemacht draußen auf dem Innenhof. Der Himmel hat sich inzwischen zugezogen. Es herrscht eine drückend schwüle Hitze, aber das behindert sie nicht weiter. „Wollen wir zu Beginn ein paar Techniken durchgehen, die du zuletzt gelernt hast?“ fragt Nico, während er zwei stumpfe Übungsschwerter aus dem Waffenständer holt. „Nein,“ ruft sie entschlossen, „ich will gegen dich antreten.“ Er wirft ihr eines der Schwerter zu, welches sie sicher am Schaft auffängt. Siegessicher lacht er: „Wie du meinst, Süße.“ Die junge Frau ist angespannt. Sie hat keine Idee wie sehr sie sich verbessert haben könnte. Gleich am Anfang des Duells wird ihr jedoch klar, dass sie nicht den Hauch einer Chance gegen ihren Vater hat. Sie versucht seinen Schwerthieben auszuweichen, ihn aus der Balance zu bringen, so wie Aiven es bei ihr getan hat, doch nichts zeigt eine Wirkung auf ihn. Er steht fest wie ein Fels, bewegt sich aber dennoch so schnell wie der Wind. Sie ist ihm nicht mal ansatzweise gefährlich geworden. Die Prinzessin dachte sie hätte viel dazugelernt und könnte ihm nun ihre Stärke beweisen, doch sie wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Er ist ein wahrer Schwertmeister, was sie erneut tief beeindruckt. Das entmutigt sie nicht, weiter an sich zu arbeiten, doch sie ist ein wenig enttäuscht von ihrer Leistung. Ihr Vater geht nach drei eindeutig überlegen gewonnenen Runden zur bedrückt wirkenden Siva und klopft ihr anerkennend auf den Rücken. Er lässt seine Hand darauf liegen und beginnt ihr sanft über den Zopf ihrer langen, glänzenden Haare zu streicheln. „Das war super. Du warst unglaublich gut. Auf deiner Reise hast du viel dazugelernt. Der harte Tritt auf mein Bein hat mich total überrascht. Ich musste höllisch aufpassen nicht zu stürzen. Außerdem tut es immer noch weh. “ Dieses überschwängliche Lob lässt ihre Augen funkeln. „Wirklich?“ „Du bist eine richtige Kriegerin geworden. In deinem Alter wusste ich kaum wie man ein Schwert richtig hält. Wenn du so weiter machst, wirst du vielleicht einmal zum stärksten Krieger auf ganz Altera. Die stärkste Kriegerin bist du vermutlich schon.“ antwortet er überschwänglich. Nico ist so stolz auf sein perfekt geratenes Kind. In ihr hat er Tochter und Sohn zugleich, was ihn darüber hinweg tröstet, keinen männlichen Erben zu haben. Er würde allerdings wohl auch keinen benötigen, denn er hat vor das Reich bis ans Ende aller Tage selbst zu regieren. „Übst du jetzt ein paar Techniken mit mir?“ fügt er hinzu. Sie nickt motiviert. Beide stellen sich nebeneinander auf und spielen einige Bewegungsabläufe immer wieder von vorn bis hinten durch. Nico muss seine Tochter nicht mehr dabei korrigieren. Ihre Bewegungen fließen, wie ein Tanz, in eleganter Perfektion ineinander über. Während des Trainings befragt er sie nach der Reise. Das meiste erzählt sie ihm wahrheitsgetreu, sogar vieles über sie und Aiven, doch zwei Dinge lässt sie vollständig aus. Das sind Ramons Annäherungsversuche und Zarihms Verrat. Als sie erklärt wie Ramon die beiden aus der feindlichen Siedlung gerettet hat, wird es besonders interessant für den König. Siva beschäftigt die Rebellenbande nach wie vor. Wieso sollte man den besten König, den es geben kann, ablehnen und sogar bekämpfen? Sie möchte zudem gern wissen wer der ominöse Anführer der königsfeindlichen Rebellensiedlung war, der angeblich an Nicos Stelle fast den Thron bestiegen haben soll. „Der Mann, der uns verschleppt hatte, stellte sich vor als Marco...Loran vor.“ Der König unterbricht die Übung. Nervös fährt er sich durchs Haar. „Warte. Marco Loran, sagst du? Er lebt unerkannt in meinem Land, direkt vor meiner Nase?“ Auch Siva stoppt ihre Bewegungen. „Naja, zumindest hat er das. Es war nicht mehr viel übrig von ihm, nachdem Ramon mit ihm fertig war.“ Den größten Teil der Geschichte hindurch war Nico ziemlich gefasst. Sogar die Wiederbelebung des gefallenen Königs hat kaum eine Regung in ihm hervorgerufen, aber die Neuigkeiten über diesen Anführer scheinen ihn etwas aus der Fassung zu bringen. „Wer war er?“ fragt sie seine Unsicherheit bemerkend, was ihr Vater nur knapp beantwortet. „Ein Geist aus meiner Vergangenheit.“ „Ein bisschen genauer bitte.“ reagiert sie leicht genervt. „Immer mit der Ruhe. Ich erzähle es schon noch... Er war mein taktischer Offizier bei der Besetzung von Kalaß und auch derjenige, der deiner Mutter nachgestiegen ist, Siva. Erinnerst du dich? Später war er wichtigster Handlanger der Königin.“ Sie reißt die Augen auf, als ihr alles klar wird. „Natürlich erinnere ich mich an ihn. Na, das erklärt so einiges. Haha, jetzt verstehe ich was er für ein Problem mit mir hatte. Aber nanntest du ihn nicht anders? ‚Offizier Drosselbart‘!“ Es sollte zwar eine traurige Sache sein, über die sie da sprechen, aber das ist sie nicht. Siva erhebt sich noch immer über Marco Loran, denn sie ist der Überzeugung dieser schlechte Mensch hat auch nach seinem Tod nichts anderes verdient. Der König muss lachen, als Siva den Spitznamen aus ihrem Gedächtnis kramt, den er ihm abschätzig gegeben hat. Die ganzen Jahre wusste er nicht was mit seinem einstigen Feind, nach seiner Flucht aus dem Kalaßer Gefängnis, passiert ist. Endlich kann er dieses Kapitel für sich abschließen. Besonders Kara wird sich darüber freuen. Nico wird gerade klar, dass Ramon damit etwas vollbracht hat, das er selbst niemals konnte: den verschlagenen Loran endlich seiner gerechten Strafe zuzuführen. „Lorans Tochter hat Ramon an diesem Tag auch getötet,“ wirft die Prinzessin ein, „und mindestens dreißig weitere Menschen im Dorf. Wie ein rächender Todesgott muss er sich durch sie hindurch gewütet haben, nur um mich zu retten. Mit Hilfe der vier Siegel setzt er ungeheure Kräfte frei...“ Es beginnt vom Himmel zu tröpfeln. Die Königstochter stellt ihres und ihres Vaters Übungsschwert in den Waffenständer zurück. Nico gibt ihre Ausführung zu denken. Sie erzählt vom Tod anderer Menschen, als sei es ihr gleichgültig. Bei dem Wort „Kriegsgott“ glaubte er sogar ein funkeln in ihren Augen gesehen zu haben, was ihn sehr besorgt. Als sie die Waffen wegstellt, umarmt er sie von hinten. „Mach dir keine Sorgen, Süße. Ramon kann uns nicht gefährlich werden. Auch mit den Siegeln nicht und er wird auch keine weiteren Menschen mehr töten.“ Siva dreht sich im lockeren Griff ihres Vaters zu ihm um. Er spürt wie sie sich in seine Arme sinken lässt. „Ich weiß. Du wirst uns alle beschützen, deshalb habe ich auch keine Angst vor ihm. Niemand ist so stark wie du.“ Tröstend streichelt er ihr durchs Haar und spielt mit einer ihrer Haarsträhnen. Zum Glück stehen sie unter dem schützenden Dach des Waffenständers, als es richtig anfängt zu regnen. „Das mag sein, Siva, aber genau deshalb möchte ich auch, dass du dich ab sofort von ihm fern hältst. Ich werde nicht immer da sein können. “ Die Prinzessin drückt sich von ihrem Vater weg, weshalb sie nun im Regen steht, was sie nicht zu stören scheint. Zu groß war der Schock dieser nebensächlich erscheinenden Äußerung für sie. „Was? Du willst mir verbieten mich mit ihm zu unterhalten? Nur dafür habe ich ihn doch wiedererweckt. Er soll verlorenes Wissen über unser Adelsgeschlecht zurückbringen.“ Ihre Stimme wird immer lauter und verstimmter. „Warum willst du verhindern, dass ich etwas über uns erfahre? Du kannst dich nicht ewig ausschweigen. Nein! Es reicht mir langsam, Nico. Ich will es endlich wissen, verstehst du das denn nicht?“ Siva macht wieder einen Schritt auf ihn zu, unter das kleine Dach. Sie packt ihn kraftlos an seinen Ärmeln und ihre Stimme wird wieder schwächer, als sie in verzweifelten Tränen ausbricht, die kaum von den Regentropfen zu unterscheiden sind. „Was macht mich aus? Nico, wer bin ich? WAS bin ich?“ Als er sie erneut Schweigen straft, rutscht die junge Prinzessin in sich zusammen und an ihm herab. Sie ist erschöpft, immer und immer wieder an derselben Sache zu scheitern. Es ist ja nicht so, als ob er sie nicht versteht, deshalb drückt der jung gebliebene König das Mädchen fest an seine Brust. Sie benötigt dringend ein paar Antworten, schon deshalb, weil ihre Gefühle in diesem Moment nicht normal sein können. Es fällt ihr schwer das folgende auszusprechen: „Warum bekomme ich Herzklopfen, wenn du mich so umarmst? Was läuft nur verkehrt mit mir? Ich bin verabscheuungswürdig. ... Ich bin doch jetzt mit Aiven zusammen. Warum verschwindet es nicht?“ Nico schaut in Richtung der Regenwolken, die unablässig ihre Tropfen in Richtung Erde schicken und resigniert. Sanft aber auch traurig antwortet er ihr schließlich: „Weil die Mana-i ein abstoßendes Volk sind, Siva. Ich wollte dich vor der Wahrheit beschützen, aber du kennst sie bereits. Deine Mutter ist nicht so stark davon betroffen, weil sie als normale Frau aufgewachsen ist, aber wir beide sind anders als normale Menschen. Wir sind berechnend, konfrontationsfreudig und wie es aussieht auch vom Selbsterhalt getrieben, was ich auch erst durch dich weiß.“ Während der Regen immer schlimmer zu werden scheint, drückt sie sich fest an ihn. „Aber bist du nicht schon längst über diese Dinge erhaben? Wenn du es kannst, dann kann ich sie auch überwinden.“ „Nein, das bin ich nicht. Ich versuche sie schon mein Leben lang zu unterdrücken. In mir herrscht ein ewiger Kampf, den ich immer wieder fast drohe zu verlieren. Glaub mir, deine Nähe ist auch für mich nicht leicht, Siva. Versteh mich jetzt bitte nicht falsch, aber es wäre besser gewesen, ich hätte keine Kinder, denn dann hätte ich unserem unnatürlichen Volk endlich ein Ende bereitet. Vielleicht sind die Mana-i ja auch deshalb aus dieser Welt verschwunden, wer weiß. Aber Siva, meine geliebte Tochter, ich schaffe es einfach nicht, dich als Fehler zu betrachten und mich in dir wiederzuerkennen, macht mich merkwürdigerweise so unglaublich stolz.“ Er legt seinen Kopf auf den ihren. „Wir dürfen nicht unseren Instinkt darüber entscheiden lassen wen wir lieben, unser Herz sollte das tun. Glaub mir, es wird besser, sobald du mit Aiven nach Deskend gehst.“ Natürlich meint er dies nicht als Vorschlag. Wie immer erteilt er, im freundlichen Gewand eines Vorschlags, einen Befehl. Viele Dinge gehen ihm in diesem Moment durch den Kopf, die er nicht äußert. Er musste genau abwägen welche Worte er wählt. Sein Wesen vollends zu offenbaren ist undenkbar für den eitlen Mann. Auch Kara hat keine Ahnung was alles in ihm vorgeht. Ramon hatte es im vorherigen Gespräch schon richtig erkannt, Nicos Inneres ist in Aufruhr und es ist zutiefst widersprüchlich. Die beiden lösen sich ein klein wenig voneinander und schauen sich in die Augen. Unfreiwillig liest er für einen kurzen Augenblick Sivas Gedanken, dabei hatte er sich geschworen das nie wieder zu tun. Die junge Frau ist nicht nur tief verunsichert, sondern auch sehr erregt. So stark in die Privatsphäre seiner Tochter eingedrungen zu sein, macht ihn augenblicklich reumütig. Allerdings merkt er dadurch auch, dass er hier einen Fehler begangen und eine untragbare Situation geschaffen hat, die er schnellstmöglich auflösen muss. Er hätte besser weiterhin schweigen und den Unmut seiner Tochter auf sich nehmen sollen, denn einmal ausgesprochenes kann er nie wieder zurück holen und es gefällt ihm nicht seine wahren Schwächen offen zu legen, so wie er es eben getan hat. Düster und ernst fragt er sie schließlich: „Noch etwas, Siva und es ist jetzt sehr wichtig, dass du mir ehrlich antwortest. Ich muss es unbedingt wissen, um darauf reagieren zu können. Wie stehst du zu Ramon?“ Verschämt schaut sie zur Seite weg und schweigt. Nico benötigt diese Information jedoch unbedingt, um sein weiteres Vorgehen zu planen. Er dreht ihr Gesicht mit seiner Hand sanft zu sich. „Bitte, sag es mir, egal wie deine Antwort auch aussehen mag.“ Ihre Stimme ist mit Trauer und Scham erfüllt, als sie widerwillig entgegnet: „So wie zu dir, fürchte ich. Nur ohne das große Grundvertrauen. Er kann sich aufführen wie er will, es ändert sich einfach nichts daran. Bitte verurteile mich nicht dafür, Vater.“ Er schließt die Augen. Endlich hat sie ihn wieder „Vater“ genannt. Damit hat er in diesem Gespräch erreicht was er wollte. Erleichtert, aber auch beunruhigt zugleich, entgegnet er: „Ich danke dir für dein Vertrauen, Siva. Ich werde ihn gleich morgen vom Königshof verbannen. Möglicherweise hat er auch denselben Einfluss auf Kara und ihre mentale Kraft ist nicht so groß wie deine. Sie wird sich nicht so gut wie du gegen ihn zur Wehr setzen können.“ Die beiden schrecken hoch, als hinter ihnen, völlig unbemerkt, eine Gestalt im Regen auftaucht, die sie vorher weder gehört noch gesehen haben. Der inzwischen aufgeweichte Boden des Übungsplatzes hätte sie durch das Geräusch der Schritte eigentlich schon viel früher auffliegen lassen müssen. Nur eine Person ist im Stande dies zu vollbringen, nämlich Ramon, der in den Besitz der vier Siegel gelangt ist. In schnellem Schritt kommt er fast lautlos näher, wobei seine Füße kaum den Boden zu berühren scheinen. Er hat ein Schwert aufgetrieben, mit welchem er in Angriffsposition auf und Nico zusteuert, der schnell noch ein Übungsschwert aus dem Waffenständer ziehen kann, um den Aggressor abzuwehren. Das einfache Schwert zerbirst unter der Wucht von Ramons Schlag. Sofort ein Neues ziehend, stellt sich der amtierende König schützend vor seine Tochter. Der gefallene König positioniert sich direkt vor den beiden ohne ein weiteres Mal anzugreifen. Statt dessen richtet er ein fast schon friedvolles Wort an seinen Gastgeber: „Verzeiht mein Stören und meine förmliche Ansprache. Ich kann mich einfach nicht an die respektlosen, heutigen Gepflogenheiten gewöhnen. Ich werde mich Euch von nun an nicht mehr unterordnen, König von Roshea, denn ich weiß nun, dass Ihr mich verbannen wollt. Wie unhöflich von Euch. Aber habt keine Angst um Eure Gattin. Die möchte ich Euch nicht abspenstig machen, denn ich habe doch schon eine wundervolle Frau, die mir bereits durch ihr Blut und nun auch ihr Wort bewiesen hat, dass sie mein ist, nicht wahr Prinzessin Siva?“ Seine Augen glühen in einem satten Türkis, was bestätigt, dass er die vier Siegel unter seinem grünen Mantel tragen muss. Sein harter Blick ändert sich in einen zärtlichen. „Wie viel habt Ihr gehört?“ ruft sie erschrocken durch den Regen. „Genug...Ich habe genug gehört, meine Liebste. Ich werde Euch schon noch beweisen, dass ich Euer Vertrauen wert bin.“ antwortet er sanft lächelnd. Selbst in dieser Situation ist er immer noch ein Gentleman, der nun höflich bittet: „Würdet Ihr uns beiden bitte den folgenden, kräftezehrenden Kampf ersparen und einfach mit mir kommen, Prinzessin?“ Sie zieht nun ebenfalls ein Schwert aus dem Waffenständer und brüllt: „Niemals werde ich aus freien Stücken mit Euch kommen, Ramon! Dazu müsst Ihr schon uns beide besiegen.“ Er senkt seinen Kopf. „So sei es.“ antwortet der gefallene König gefährlich, kurz bevor er hell erleuchtet erneut blitzschnell ausholt. Seine Augen glimmen noch stärker auf, was ebenso wunderschön wie furchterregend ist. Dieses Mal treffen Nicos und sein Schwert aufeinander, ohne dass das ungeschliffene Übungsschwert zerschellt. Ab jetzt geht es nicht mehr nur um die körperliche Kraft. Einer von beiden muss den anderen mental überwältigen, um seinen Willen zu brechen. Mit großer Kraft pressen sie die beiden Klingen aufeinander. Diese Position haltend, beginnt Ramon zu sprechen: „Wart Ihr gerade drauf und dran Eure eigene Tochter zu verführen, König?“ Nico weicht ein kleines Stück zurück. Er muss alle Kraft aufbringen, um den physischen und den mentalen Angriff gleichzeitig abzuwehren, was es ihm verbietet zu sprechen. Stellvertretend brüllt Siva als Antwort: „Wenn Ihr das Gespräch wirklich mitgehört habt, dann wisst Ihr, dass es nicht so war.“ Ramon lächelt gespielt mitleidig: „Aber gebt es doch zu. Sie ist eine wunderbare Frau. Schön und stark zugleich und so rein im Blute. Da kann ich schon verstehen, wenn Ihr schwach werdet, Majestät. Was gibt es bei einem Mann Eures Ranges schon gegen zwei Frauen einzuwenden?“ Siva schreitet erneut ein: „Jetzt reicht es! Was Ihr da beschreibt ist widerlich.“ „Es tut mir leid, dass Ihr Euch das mit anhören müsst, liebste Siva. Aber dieser spezielle Fall verlangt es von mir die Gepflogenheiten zu übergehen. Gerne werde ich Euch später tröstend zur Verfügung stehen und sagt nicht, dass Euch dieser Gedanke nicht gefällt, denn ich werde nicht gern belogen.“ Dem weiß Siva nichts entgegenzusetzen, was den sowieso schon völlig verwirrten Nico erneut straucheln lässt. Ramon hat ihn hier in einer besonders schwachen Situation erwischt, von denen es nicht viele gibt. Der junge König hat große Mühe gegen seinen mächtigen Widersacher anzukommen, der nun erneut das Wort an ihn richtet: „Habt Ihr Siva eigentlich je davon erzählt, dass Ihr sie nur mit dem Prinzen von Yoken verheiraten wollt, um sein Königreich klammheimlich zu assimilieren?“ Nico kann keinen Muskel bewegen, denn er droht den Kampf zu verlieren. In seinem Inneren fleht er seine Tochter an, nicht darauf anzuspringen, doch genau das trifft einen sensiblen Nerv bei ihr, denn vor diesem Szenario hatte sie immer schon Angst. Die Idee, es könne ihrem Vater in Wahrheit gar nicht und sie gehen, sondern nur um die Expansion seines Reiches, ist ihr schon schmerzlich gekommen und sie traut es ihm durchaus zu. Immerhin hat sie darüber auch schon mit Königin Yasane gesprochen. Zu Nicos Enttäuschung zweifelt sie trotzdem an ihm. Sie ist erschüttert darüber, dass Ramon ausgerechnet ihre schlimmsten Befürchtungen anspricht und fragt fordernd: „Stimmt es was er sagt, Vater?“ Verzweifelnd sich die Wahrheit eingestehend knickt Nicos Geist ein und versetzt Ramon damit in die Lage seinen Schwerthieb zu Ende zu führen. Die Wucht des Schlages wirft den amtierenden König ein paar Meter weit über den aufgeweichten Boden des Übungsplatzes, auf dem er unsanft landet. Geschockt dreht sich die Prinzessin nach ihm um, als sie von hinten von Ramon gepackt und mitgerissen wird. Mit seinem schwebenden Schritt macht er sich, mit ihr unterm Arm, auf den Weg hinaus aus dem Schlossgelände. Sie zerrt an dem unglaublich starken Mann herum, der seine übermenschliche Kraft aus der Macht der vier göttlichen Siegel bezieht. Sie ist nicht fähig etwas gegen ihn auszurichten. Aiven, der Nico und Siva inzwischen ebenfalls auf dem Übungsplatz besuchen wollte, um sie mit wachsbeschichteten wasserdichten Capes aus dem Regen abzuholen, erkennt in der Ferne den gefallenen König Ramon, der im Besitz der Siegel die Prinzessin verschleppt. Entschlossen stellt er sich ihm entgegen, weshalb ihn Siva panisch durch den Regen anbrüllt: „Aus dem Weg, Aiven!“ Ramon holt zum Hieb aus. Wenn sie nichts tut, wird der in Rage geratene Todesgott ihren Geliebten umbringen. Mit beiden Händen greift sie nach seinem Schwungarm und reißt ihn mit aller Kraft zur Seite. Der Schwertstreich geht daneben und Ramon will sich zum Glück nicht die Mühe machen umzukehren, um es zu Ende zu führen. Viel lieber will er möglichst schnell von hier verschwinden. Die Prinzessin ist erleichtert, denn sie hat ihrem Prinzen aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben gerettet und sie spürt auch, dass ihr Vater lebt. Völlig machtlos lässt Aiven die Capes auf den Boden fallen. Er ist gezwungen den beiden zuzusehen, wie sie im Regen verschwinden. Kapitel 11: Beugehaft --------------------- Viele Bedienstete am Schloss haben Ramons Flucht beobachtet. Zu ihrer aller Glück war keiner schnell genug sich dem rasch flüchtendem leuchtendem Wesen entgegen zu stellen. Nico liegt bewusstlos im Regen auf dem aufgeweichten Übungsplatz. Er wird schnell von Aiven gefunden, der herbeieilt und umgehend Hilfe holt. Natürlich wird auch die Königin allarmiert. Sie gilt als die fähigste Ärztin am Hof. Bereits in ihrer Jugend hatte sie sich in dieser Sache gegen ihren Mann durchgesetzt und die von ihr begonnene medizinische Ausbildung abgeschlossen. Nach wie vor bildet sie sich, trotz ihres hohen Amtes, in dieser Sache weiter. Bei ihm angekommen, beginnt sie sofort die Wunde an seiner Brust zu untersuchen. Gnadenlos strömt der Regen auf sie herab, weshalb der yokener Prinz eines der mitgebrachten Capes schützend über das Königspaar hält. Erwartungsvoll schaut er zu Königin Kara, die nach einer kurzen Untersuchung weinend über ihrem Mann zusammenbricht, was Aiven einen riesigen Schrecken versetzt. „Was ist mit ihm?!“ brüllt er panisch geschockt. Schluchzend richtet sie sich etwas auf und sieht den jungen Mann verweint, aber erleichtert an. „Die Wunde ist nur oberflächlich, Aiven. Er ist nur deshalb bewusstlos, weil er so erschöpft ist. Ich bin so froh. Weißt du vielleicht genauer was passiert ist?“ Der junge Prinz atmet ebenfalls erleichtert durch. So leicht ist Nico offenbar nicht zu töten. Er kann sich die Geschehnisse nur zusammenreimen: „Der untote König hat Nico und Siva mithilfe der vier Siegel auf dem Übungsplatz angegriffen. Er hat die Prinzessin entführt.“ Kara hebt den Oberkörper ihres geliebten Mannes auf ihre Beine. Langsam kommt er wieder zu sich, doch er ist so entkräftet, dass er sich kaum bewegen kann. Er nutzt seine wenige Kraft, um sich seine nasses Haar zu richten, dann fährt er mit seiner Hand über seinen blutverschmierten Oberkörper. Die Augen zusammen kneifend atmet er tief durch. Der Prinz beugt sich über ihn und fragt ihn verzweifelt fordernd: „Wohin?“ Nico stöhnt kurz vor Schmerzen, bevor er seine Antwort formulieren kann: „Richtung Kalaß...“ „Danke.“ entgegnet Aiven, der sofort nach der Antwort aufsteht, um sich auf den Weg dahin zu machen. „Ich komme nach.“ versucht Nico ihm hinterher zurufen. Ramon ist, mit Siva unterm Arm, unterdessen die ganze Nacht, unter schwerem Regen, schnellen Schrittes unterwegs nach Kalaß. Die Siegel verleihen ihm ungeheure Körperkräfte und Geschwindigkeit, doch auch er kommt langsam an seine Grenzen. Immer wieder versucht sie sich aus seinem Griff zu befreien, doch sie schafft es nicht. In den frühen Morgenstunden erreicht er die Stadt und macht sich, hindurch der engen, noch unbelebten Gassen, auf den Weg zur Tarbasser Festung. Dass der Regen langsam nachlässt, nützt ihm nun herzlich wenig. Endlich in den dunklen, schön renovierten Räumen der Burg angekommen, setzt er die äußerst verärgerte Prinzessin in einem seiner ehemaligen Arbeitszimmer auf einen Stuhl, wirft ihr eine Decke über den Kopf und während sie sich diese herunter zieht, was ihr tropfnasses Haar nun auch noch durcheinander bringt, bedient er in einer irren Geschwindigkeit irgendeinen Kombinationsmechanismus. Sie hat es nicht sehen können, deshalb vermutet sie zumindest, dass ist ein solcher war. Nun packt er die Prinzessin wieder und lehnt sich gegen einen Schrank, der vor ihm nachgibt und den beiden einen Weg offenbart. Empört schimpft sie nun endlich: „Ich kann auch selbst laufen!“, was er geflissentlich ignoriert. Von innen schiebt er den Schrank wieder zurück, um seine Spuren zu verwischen. In der absoluten Dunkelheit wartet er den Klang eines leisen Klickens ab, bevor er Siva ein paar Stufen hinab und dann durch ein paar Räume trägt, hinein in ein Zimmer, in dem er zunächst eine Fackel anzündet. Nun kann die Prinzessin auch wieder etwas sehen. Zu ihrem Entsetzen ist es ein Schlafzimmer. Ramon lässt sie los und fordert sie, schwer atmend und unvermittelt ungestüm auf: „Zieht Euch bitte aus, Prinzessin“, was sie mit einem empörten: „Vergesst es, Ihr Lüstling!“ abweist. Er hat jetzt nicht die Kraft sich mit dem starrköpfigen Mädchen zu streiten, deshalb geht er an sie heran und reißt ihr ihre, aus seiner Sicht für sie unschickliche, vollkommen durchnässte Trainingskleidung vom Körper. Das macht er so gezielt, dass sie dabei keine Schmerzen empfindet, aber auch so kraftvoll, dass sie sich nicht dagegen wehren kann. Er wirft ihre triefende Kleidung in eine Ecke des Raumes. Siva trägt nun nur noch ein kleines Höschen, das zwar auch nass ist, er ihr aus einem gewissen Rest an Anstand aber noch gelassen hat. Unbeugsam steht sie aufrecht vor ihm. Sie denkt gar nicht daran das eingeschüchterte Mädchen zu spielen, denn das ist sie nicht. Er packt das weiße Laken, welches auf dem Bett liegt, um es vor Staub und Dreck zu schützen, reißt es herunter und wirft die Prinzessin im Anschluss unsanft auf das weiche Bett, welches beim Aufprall quietschende Geräusche von sich gibt. Die nackte junge Frau landet viel sanfter als sie es erwartet hatte, doch das ändert nichts an ihrem empörten Schrei: „Ich befehle Euch aufzuhören!“, was er wieder einmal ignoriert. Er beugt sich, immer noch schwer atmend, über sie. Von seinem klimpernden Geschmeide und seinen dunklen Haaren fallen große Tropfen auf sie herab. Siva sieht in Ramons glühende Augen, die eigentlich entschlossen sein sollten, doch sie erkennt Zweifel darin. Er hält inne. Offenbar hadert er mit sich, was sie versuchen muss für sich auszunutzen. Sich aggressiv gegen ihn zur Wehr zu setzen, hat sie schon versucht, deshalb probiert sie etwas anderes aus. Sie berührt sanft sein Gesicht und streicht ihm das nasse Haar heraus. Ihre Angst und ihre Wut versucht sie nicht in ihre Stimme fließen zu lassen. „Hört auf, Ramon. Ihr wollt das doch in Wahrheit gar nicht, das sehe ich Euch an. Lasst von mir ab!“ Der völlig geschwächte, gefallene König verliert den mentalen Kampf gegen sie und weicht nach hinten zurück. Dabei macht er Geräusche, als ob er Schmerzen hätte. Siva richtet sich, auf dem Bett sitzend, auf und zieht ihre Beine an sich heran. Leicht nach vorn gebeugt, mit einem düsteren Blick zu Boden, beginnt der uralte König sein Hemd, an dem die vier Siegel befestigt sind, aufzuknöpfen und es auszuziehen. Er wirft es achtlos beiseite, wobei die Siegel beim Aufprall schrill aufeinander klirren. In er Mitte zwischen seinem Bauch und seiner Brust bemerkt Siva eine handtellergroße, fast schwarze Stelle. Er taumelt nach hinten an eine, mit alter, vergilbter Ornamenttapete beklebte Wand heran, an die er sich mit dem Rücken anlehnt und dann daran herunterrutscht. Er sinkt völlig in sich zusammen. Den Blick weiterhin nach unten gerichtet röchelt er erschöpft: „Ihr habt recht. Das hier habe ich nicht gewollt. So schwach wie jetzt, werde ich kein zweites Mal sein. Ihr solltet die Gelegenheit nutzen mich zu töten, Prinzessin.“ Er seine Hand über die schwarte Stelle vor Schmerzen und wird kurz darauf ohnmächtig. Siva nimmt erschrocken die Hand vor den Mund. Sie weiß nicht was sie tun soll. Diesen wehrlosen Mann zu ermorden, ist überhaupt nicht nach ihrem Geschmack. Sie schüttelt überfordert den Kopf. Eine kurze Weile verharrt sie in dieser Position, dann steht sie auf, nimmt die Fackel von der Wand und läuft kopflos durch die dunklen Gänge, durch welche die beiden gekommen sind. Es ist das reinste Labyrinth. Überall hängen Spinnweben, doch die Wände sind mit Banderolen verziert. Die junge Frau trifft auf ein paar andere, ebenfalls möblierte Räume, die aber auch nur Sackgassen zu sein scheinen. Den Rückweg zu ihrem Entführer hat sie sich zur Sicherheit eingeprägt und sie ist froh darüber, denn nach ein paar Stunden kehrt die Prinzessin völlig übermüdet und erschöpft dorthin zurück. Zu ihrem Erschrecken stellt sie fest, dass Ramon verschwunden ist und die Siegel hat er auch mitgenommen. Warum hat sie nicht daran gedacht sie mit sich zu führen? Erledigt kippt sie auf das Bett und schläft unvermittelt ein. Ein paar Stunden später schreckt Siva aus einem Traum hoch, der davon handelte wie ihr Mentor Ramon sie entführt, um sich dann an ihr zu vergreifen. Zugegebenermaßen fand sie diese Vorstellung zunächst abstoßend, doch ihr Körper spricht eine ganz andere Sprache. Sie sieht sich im Raum um und zuckt zusammen, als sie erkennt, dass das, zumindest teilweise, kein Traum war, denn der frühere König von Kalaß sitzt geduldig auf ihr Erwachen wartend, neben ihr auf dem Bett. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er ihr diese Gedanken geschickt, als sie sich nicht wehren konnte. Normalerweise macht er das ja nicht mehr, aber das hat weniger damit zu tun, dass er es nicht möchte, als dass er es gar nicht mehr kann. Weder ist er noch in der Lage ihre Gedanken zu lesen, noch ihr welche zu senden. Sie scheint eine Art mentalen Schild gegen ihn errichtet zu haben, obwohl sie schwächer als er sein müsste. Er hat sie zugedeckt und alle im Raum verteilten Lampen entzündet. Am Fußende des Bettes liegt ein altmodisches dunkelrotes Kleid, welches sie anscheinend anziehen soll. Melancholisch schaut er auf die schöne Prinzessin herab, ohne etwas zu sagen. Das Siegelhemd hat er sich wieder angezogen, doch er hat sich nicht die Mühe gemacht es zuzuknöpfen. Auch heute erkennt Siva die große dunkle Stelle, die über Nacht ziemlich gewachsen zu sein scheint. Selbst wenn er sein Hemd zuknöpfen würde, so wäre sie in seinem Ausschnitt sichtbar. Die Decke an sich hochziehend, rutscht sie von ihm weg. Nun richtet er zärtlich das Wort an sie. „Geliebte Prinzessin, ich danke Euch für Eure Gnade. Zutiefst möchte ich mich bei Euch für das entschuldigen, was ich getan habe und noch tun werde. Die Verzweiflung treibt mich zu solch harten Mitteln zu greifen. Ich wünsche mir inständig, dass Ihr mich dafür nicht zu sehr hassen wertet.“ Sein Blick wird scharf und entschlossen, was die junge Frau etwas beunruhigt. Unvermittelt packt er sich die Decke und reißt sie ihr aus den Händen. Wie letzte Nacht versucht sie auf ihn einzureden, doch es nützt nichts. Seine mentale Stärke ist zurückgekehrt. Mit glühenden Augen fällt er über sie her. Er setzt sich auf die sich wehrende Prinzessin. Schützend hält sie eine Hand vor sich, die er fest ergreift. An seiner anderen Hand befindet sich ein eigens dafür vorgesehener Ring, der eine Kante hat, die so hart und scharf wie eine Klinge ist, mit welcher er ihr in den Innenarm ritzt. Überrascht hört sie auf zu zappeln. Dann beugt sich der schroffe, schöne Mann über die perplexe junge Frau und beginnt ihr Blut aus der frischen Wunde zu trinken, was ihre Gegenwehr vollständig zum Erliegen bringt. Sein kaltes klimperndes Geschmeide berührt dabei ihre nackte Brust, wodurch sie erschaudert zusammenzuckt. Gierig und ohne Scham schlingt er ihr warmes Blut in sich hinein. Um diesen erschreckenden und zugleich erbärmlichen Anblick nicht ertragen zu müssen, legt sie sich ihren anderen Arm über die Augen. „Warum habt Ihr mir das nicht gesagt? Warum habt Ihr mir nicht gesagt, dass ihr weiterhin Blut benötigt?“ haucht sie betroffen, aber auch ein wenig angeekelt. Die Gegenwehr der Prinzessin kommt vollständig zu Erliegen und sie lässt es geschehen. Ramon trinkt sich satt, ohne sich von ihr Eilen zu lassen, lässt dann von ihrem Arm ab und wischt sich, schwer atmend, flüchtig und unvollständig das Blut vom Mund. Noch immer kniet er über der nackten jungen Frau. Sie wagt jetzt einen Blick auf ihn zu werfen. Die dunkle, verkrustete Stelle unterhalb seiner Brust bildet sich vor ihren Augen vollständig zurück. Ernst und anmutig, aber mit einem wilden leuchtendem Blick und nach wie vor außer Atem, antwortet er ihr schließlich: „Was ich benötige, ist nicht Euer Blut, Prinzessin. Ich benötige Euch und zwar für den Rest meines unnatürlichen Daseins. Hätte ich Euch gefragt, wärt Ihr dann für immer bei mir geblieben? Zum Schluss wollte mich Euer verehrter Vater sogar verbannen, was einem Todesurteil gleichzusetzen ist. Und sagt nicht, er hätte Verständnis für mich aufgebracht. Ohne Gnade hätte mich dieser Mann elendig krepieren lassen…verzeiht den Ausdruck.“ Siva hat dem nichts entgegenzusetzen. Ramons Gier nach Blut mag für den Moment gestillt sein, aber ein anderes Begehren ist ihm anzusehen. Erregt streicht er ihr zärtlich ein paar Haare, die ihm den Blick auf ihren schönen Körper verwehren, von ihren Schultern. Enttäuscht wendet sie ihren Blick von ihm ab. Wenn er jetzt nicht aufhört, ist er nichts weiter als ein wildes Tier, das sich hinter dem Mantel der Höflichkeit versteckt. Das ist ihm jedoch genau so bewusst wie ihr. Zu gern würde er die nackte Schönheit zu der seinen machen, doch er widersteht und erhebt sich nun endlich vollständig von ihr. Ramon nimmt das altmodische Kleid vom Bettende und wirft es ihr zu. „Bekleidet Euch nun bitte, Prinzessin. Es gibt vieles, von dem ich Euch berichten möchte. Ich warte im Kaminzimmer auf Euch.“ Sie schaut an sich herab. Die Wunde an ihren Arm ist, von ihr unbemerkt, vom König bereits gesäubert worden. Erst jetzt wird ihr bewusst, dass ihre Nacktheit völlig unnötig war und nur seiner Befreiung diente. Das löst ihre Starre vollends und lässt sie empört schimpfen: „Wieso habt Ihr mir die Decke weggezogen, wenn Ihr nur mein Blut braucht, Ihr Lüstling?“ Sie wirft ein Kissen nach ihm, das er mit seiner Hand in der Luft zerfetzt. Tausend kleine Daunenfedern schweben in der Luft herum. Siva fällt es schwer durch sie hindurch auf sein Gesicht zu schauen, doch sie glaubt ein freches Lächeln gesehen zu haben, kurz bevor er ihr den Rücken zuwendete. Das hätte sie von ihm nicht erwartet, aber vielleicht hat sie es sich auch nur eingebildet. Sie zieht das etwas unbequeme, enge dunkelrote Kleid an, das der Mode vor etwa zweihundertfünfzig Jahren entspricht. Es ist übersät von Rüschen und Schleifchen, die überhaupt nicht ihrem Geschmack entsprechen, weshalb die eigenwillige junge Frau sie nun beginnt zum Großteil abzutrennen. Zudem reißt sie ein Stück vom langen Rock ab, der sie in ihrer Bewegungsfreiheit behindert. Wenn ihr dieser laszive König erneut zu nahe kommt, will sie sich besser wehren als dieses mal. Was ihr überhaupt nicht zusagt, ist das weit ausgeschnittene Dekolleté, welches ihre üppigen Brüste sehr stark betont, die sie normalerweise lieber versteckt. Ob er ihr dieses Kleid mit Absicht ausgesucht hat? Ihre sonst immer nach hinten gebundenen Haare, lässt sie deshalb nun offen und legt sie nach vorn über ihre Schultern. Damit wird sie leben können. Die Hauptsache ist doch, dass sie überhaupt etwas trägt und nach ihrer Umgestaltung gefällt ihr das Kleid nun sogar recht gut. Sie nimmt eine der alten entzündeten Lebertranlampen vom Schminktisch und erkundet die Räume in ihrer unmittelbaren Umgebung. Eine der Türen ist einen Spalt geöffnet, aus der ein schönes warmes Licht auf den Gang hinaus strahlt. Es ist das Kaminzimmer von dem Ramon gesprochen hat. Auch hier hat er sämtliche Kerzen und Lampen für sie entzündet. Der Raum strahlt eine angenehm wohnliche Atmosphäre aus. Das alte, aber sehr schicke kalaßer Mobiliar hat er von den weißen Laken befreit, von denen in diesem Raum aber keine Spur mehr zu sehen ist. Entspannt, mit einem Buch in der Hand, sitzt der gefallene König zu ihr ins Profil gedreht, in einem bequem aussehenden grünen Sessel. Die Siegel trägt er nicht mehr am Körper. Er erhebt den Kopf und bietet ihr mit einer Armbewegung freundlich lächelnd den Sessel neben sich an. Wie hypnotisiert folgt ihr Blick dem Schimmern seiner edelsteinbesetzen Armreifen. Anstatt sich zu setzen beschwert sie sich jedoch: „Ich bekomme langsam Hunger. Wo gibt es hier etwas zu essen?“ „Setzt Euch doch bitte erst einmal, Prinzessin.“ antwortet er lächelnd. Etwas widerwillig nimmt sie neben ihm Platz. Sie sinkt in den bequemen Sessel ein, in dem sie sich angestrengt versucht nicht zu wohl zu fühlen. Er fährt fort: „Wisst Ihr, Mana-i können monatelang ohne Nahrung auskommen, solange sie mindestens zu zweit sind.“ Empört stützt sie ihre Hände auf die Armlehnen des Sessels und brüllt den ihr gegenüber sitzenden ehemaligen König an: „Ihr wollt mir damit doch hoffentlich nicht sagen, dass Ihr mich hungern lassen wollt? Als Eure Gefangene verlange ich wenigstens eine Mahlzeit am Tag!“ Erst jetzt klappt er sein Buch zu und schaut sich die vorlaute Prinzessin genauer an. Endlich sieht er die junge Frau in einer Robe, die ihrem Stand angemessen ist. Ihr offenes, langes und leicht gelocktes Haar liegt nach vorn gekämmt über ihre schmalen Schultern. Entgegen ihrer Intension schaffen sie es jedoch nicht ihren wohlgeformten Körper zu verbergen. Schon immer war Siva wundervoll anzuschauen, aber im Schein des Kerzenlichts, in diesem Kleid und mit offenem Haar, ist sie atemberaubend schön. Auch wenn Ramon ihr das nur zu gern sagen würde, so glaubt er es sei der falschen Zeitpunkt dafür. Auf ihre Forderung geht er trotzdem nicht ein und antwortet ihr, mit einem musternden Blick und einem selbstgefälligen Lächeln auf den Lippen, in einem freundlichen Ton: „Wenn Ihr Hunger habt, geliebte Siva, dann stelle ich Euch, zu Eurer Stärkung, gern auch mein Blut zur Verfügung. Der Vollständigkeit halber möchte ich Euch jedoch nicht verschweigen, dass es noch einen einfacheren und auch erfreulicheren Weg gibt, Körperflüssigkeiten mit mir auszutauschen.“ „Da sterbe ich lieber!“ raunt sie unüberlegt aufgebracht. „Das werde ich nicht zulassen. Wenn Ihr in einen Hungerstreik treten wollt, fühle ich mich gezwungen Euch zwangszuernähren, Prinzessin.“ schimpft er strenger als er es sein wollte. „Behandelt mich nicht wie ein Kind, Ramon!“ reagiert sie aggressiv. Wenn er ihr jetzt antwortet, dass er in manchen Belangen eines in ihr sieht, ja sogar sehen muss, wird sie ihm noch weniger gewogen sein, deshalb lenkt er ein. „Also gut, Prinzessin. Wenn ich hinaus gehe, um ein paar Theorien zu überprüfen und Informationen zu beschaffen, werde ich Euch etwas essbares mitbringen.“ Sie lässt sich zufrieden zurück in den Sessel sinken. „Gut. Wo sind wir hier überhaupt?“ „In den Katakomben unter Tarbas. Ich habe sie selbst errichten lassen. Es ist ein weitverzweigtes Netz aus Gängen und Schächten, in denen nur ich mich auskenne. Für jemanden anderen als mich sind die Zugänge unüberwindlich. Mehr möchte ich dazu nicht äußern.“ antwortet er knapp, womit sie sich zufrieden gibt und fragt weiter: „Über welche Dinge wollt Ihr mich denn nun unterrichten?“ Die Sessel stehen seiner Ansicht nach zu weit auseinander, weshalb er aufsteht, seinen näher an den ihren heran schiebt und sich im Anschluss wieder hinsetzt. Sie sitzen nun eng nebeneinander, was ihm besser gefällt und er beginnt, zu ihr hinüber gebeugt, seine Ausführungen: „Wisst Ihr eigentlich woher die Siegel stammen?“ Sie schüttelt den Kopf und antwortet: „Sind die nicht uralt und keiner weiß wo sie herkommen?“ Etwas schämt sie sich für diese dumme Antwort. Aiven hätte sicherlich besser darüber Bescheid gewusst. Die junge Frau denkt sehnsüchtig an den frechen jungen Burschen. Bestimmt hat er sich schon auf den Weg zu ihrer Rettung gemacht und ihr Vater mit Sicherheit ebenso, von dem sie überzeugt ist, dass seine Wunde nicht lebensbedrohlich war. Gedankenversunken hört sie jetzt langsam wieder Ramons Stimme: „--...ihr mir eigentlich zu, Prinzessin?“ „Noch mal, bitte.“ stammelt sie, was sich der eitle frühere König etwas zu Herzen nimmt. Sie ist so ein freches und respektloses Gör, aber er liebt sie trotzdem oder auch vielleicht genau deswegen. Ihre ungestüme Art ist es doch, die ihn, neben ihrer Reinheit und überwältigenden Schönheit, so fesselt. Zeit mit ihr muss er sich erkämpfen, sich ihr, als einst größter und mächtigster Herrscher der bekannten Welt, sogar unterordnen. Jede andere Frau würde sich ihm sofort fügen und damit schließt er auch das Volk der Mana-i mit ein, doch nicht diese hier. Wie hat der junge yokener Prinz Aiven es als einfacher Mensch nur geschafft, so nah an dieses ungezähmte Mädchen heran zu kommen? Ramon beginnt geduldig von neuem: „Ich selbst habe die Siegel vor ziemlich genau dreihundertdreißig Jahren erschaffen. Damals wollte ich den Glauben an die Götter neu entfachen, der in der Bevölkerung kaum noch vorhanden war. Ich war ein überzeugter Anhänger des Glaubens und ließ ihm zu Ehren vier Kathedralen erbauen, doch die Menschen interessierten sich trotz allem nicht dafür. Auch der mächtigste König des Kontinents kann den Menschen nicht befehlen an Götter zu glauben, von denen sie nur in Legenden und Märchen gehört haben. Ich brauchte einen Beweis für ihre Existenz und flehte die Götter an zu mir herab zu steigen. Ausgerechnet beim Windgott Fuathel, der den schlechtesten Ruf begleitete, hatte ich viele Jahre später Erfolg. Von ihm erfuhr ich, dass das königliche Blut, welches ich in mir trage, tatsächlich Reste göttlichen Blutes sind, die er einst in die Welt brachte. Gemeinsam kamen wir auf die Idee etwas göttliches in einen heiligen Gegenstand zu transferieren, um die Menschen von der Wahrheit ihrer Existenz zu überzeugen. Nach und nach stimmten auch die anderen Götter zu und ich ließ in Kalaß vier farbige Kristalljuwelen fertigen, welche alle vier Götter jeweils mit einem Zauber belegten. Mithilfe dieses göttlichen Beweises schaffte ich es, den Glauben der Menschen wieder zu entfachen und es entstanden die vier großen Glaubensrichtungen. Immer wieder stiegen die vier Götter darauf hin in ihren Kathedralen zu den Menschen herab.“ Siva hat ihm diesmal genau zugehört. Was er ihr da erzählt ist unglaublich, doch sie glaubt ihm trotzdem jedes Wort. „Ihr wart mit den Göttern persönlich in Kontakt, Ramon? Wie sind sie so und was ist passiert? Warum haben Sie Euch wieder verlassen?“ Mit einer etwas belegten Stimme erzählt er weiter: „Das ist ebenfalls meine Schuld, meine geliebte Siva. Ich beging den größten Verrat überhaupt. Überzeugt davon der größte Mann seit dem Ersten König Torani-Colian zu sein, begann ich zu forschen wie ich die Götterjuwelen zu meinem Vorteil einsetzen könnte. Ich ließ mir eine Rüstung schmieden, an der ich alle vier Siegel anbrachte. Mit ihrer überwältigenden Macht, zog ich gegen die Nachbarkönigreiche Yoken und Roshea in den Krieg. Ich wollte Kalaß zu seiner ursprünglichen Macht und Größe verhelfen. Doch die Götter wollten mein Vorhaben nicht gut heißen und verließen mich und die Welt erneut. Ich übernahm mich mit meinen überhöhten Zielen und verlor gegen die überwältigende Streitmacht König Niennas von Yoken, der damals nicht älter als zwanzig war. Von einem Jüngling geschlagen und gedemütigt, schwor ich mir Rache zu üben, aber nicht in diesem Leben, sondern in einem nächsten. Ich sorgte dafür, verborgen von Niennas Wissen, in einem späteren Zeitalter wieder erstehen zu können, um meinen ursprünglichen Plan doch noch durchzuführen. Nun sitze ich hier mit Euch und alles hat sich verändert. Das Volk der Mana-i wurde fast vollständig ausgelöscht, das Königreich Kalaß gibt es nicht mehr und ein neuer, ebenso mächtiger Mana-i König beherrscht den Kontinent. Ich hege keinerlei Wunsch mehr die Herrschaft an mich zu reißen oder Yoken zu stürzen. Ich war so ein Narr zu glauben die Welt hätte nur auf meine Rückkehr gewartet. Ich gehöre nicht in diese Zeit, doch ich bin nicht bereit aufzugeben. Ich bin bereits glücklich darüber, nach all meinen Sünden, hier lebendig mit Euch sitzen zu dürfen, liebste Siva. Ihr gebt mir Hoffnung auf ein neues Leben. Mit Euch an meiner Seite, glaube i---“ Sie unterbricht ihn forsch: „Ramon, Eure Geschichte bewegt mich, doch lasst dieses ewige Liebesgesülze sein. Das bringt mich nur wieder zum Lachen und das würde die Stimmung zerstören.“ Er fühlt sich überfahren, aber nach all dem was er über sie gelernt hat, scheint das wohl zu stimmen. Anstatt wie sonst an so einer Stelle weiter zu argumentieren, lenkt er ein, legt seine Arme auf den Lehnen ab und beugt sich nach vorn. Vor sich ins Nichts starrend fragt er sanft: „Prinzessin, glaubt Ihr die Götter können mir vergeben?“ Selbstsicher lächelnd lehnt sie sich nach hinten: „Das kommt ganz darauf an.“ Die gebeugte Position haltend, wendet er ihr seinen Kopf zu. „Worauf kommt es Eurer Meinung nach an?“ fragt er interessiert, auf was sie sehr hart reagiert. „Darauf wie Ihr mit mir umgeht. Ich bin eine Prüfung der Götter, wenn Ihr gut zu mir seid und mich frei lasst, dann kehren sie zu Euch zurück. Wenn nicht, ist Eure Seele für immer verloren.“ Tatsächlich wittert Siva hier eine Möglichkeit ihn sich mental zu unterwerfen, um ihm Informationen zu entlocken, wie sie aus diesen Katakomben entkommen kann. Ein paar Bilder würden wohl schon reichen. Sie glaubt nämlich ihn in einem schwachen Moment vielleicht erneut besiegen zu können, doch sie hat die Lage hier völlig falsch eingeschätzt, denn er ist nicht schwach. Sie ist es. Der Austausch der großen Menge an Blut hat ihm große Macht hinzugefügt und sie geschwächt. Der vorgeführte ehemalige König ist diesmal wahrhaftig verärgert. Unvermittelt steht er auf, um sich im Anschluss souverän vor sie zu stellen. Er presst seine golden geschmückten Hände auf ihre, auf den Armlehnen des Sessels liegenden, Handgelenke. Geschockt drückt sich die Prinzessin so weit sie nur kann nach hinten an die Sessellehne. Er ist sehr stark, obwohl er die Siegel nicht am Körper trägt. Sie kann gar nichts tun. Ramon beugt sich über das taktlose Mädchen nah an ihr Gesicht heran. Sie spürt seinen Atem auf sich und hört das übliche Klingeln seines Schmuckes lauter als je zuvor, doch ihr Blick bleibt hart. Von roher Gewalt lässt sie sich nicht einschüchtern. Wütend, aber auch enttäuscht sieht er sie an, bis er schließlich sagt: „Ich schütte Euch mein Herz aus und Ihr habt nichts als Spott für mich übrig, Prinzessin. Ich bin am Ende meiner Weisheit.“ Er lässt von ihr ab und geht ein Stück weg von ihr, was sie durchatmen lässt. Eigentlich wollte er ihr im Anschluss noch ihre Frage nach dem Wesen der Götter beantworten, doch die Lust dazu ist ihm vergangen. Resigniert sagt er: „Ich gehe eine Weile nach draußen, um über Euch nachzudenken. Am Morgen bin ich wieder zurück. Ich bringe Euch etwas essbares mit. Wenn Euch langweilig ist, so bedient Euch bitte in meiner Bibliothek. Ich werde Euch das Windsiegel hier lassen, das Ihr und Euer Vater spüren könnt. Auf Wiedersehen, Prinzessin.“ Als ob Siva wüsste wann in diesen dunklen Gefilden Morgen ist. Sie verabschiedet ihn nicht. Was denkt er sich denn nur? Dass sie sich ihm aus lauter Dankbarkeit für ihre Entführung an den Hals wirft? Was für ein selbstgerechter Esel. Herz ausschütten hin oder her, was er hier tut ist Unrecht und sie muss sich nicht schuldig dafür fühlen von hier fliehen zu wollen. Wieder schweifen ihre Gedanken zu ihrem Vater und zu Aiven. Weit können die beiden doch nicht mehr sein. Wo bleiben sie denn nur? Im Moment hat sie keine Idee wie sie aus eigener Kraft entkommen kann. Ihre größte Hoffnung ruht auf den beiden. Tatsächlich hält der junge Prinz sich bereits in der Stadt Kalaß auf, doch ohne Nicos Spürnase tappt er, was ihren Aufenthaltsort in dieser riesigen Stadt angeht, völlig im Dunkeln. Ohne auch nur den geringsten Erfolg zu erreichen, fragt er sich durch und sucht die Gassen, die große Stadtmauer und auch die Tarbasser Festung ab. Erst drei Tage später reist auch der König an. Seine Verletzung hält sich in Grenzen und seine Wunden heilen schnell, doch er war nicht in der Lage auf einem Pferd zu reiten. Er musste auf eine langsame Kutsche zurückgreifen, um sicher zu gehen, dass sich die Wunde am Bauch nicht wieder öffnet. Er macht das Windsiegel irgendwo in, oder vielleicht sogar unter der Festung aus. Es scheint sich nicht mehr als ein paar Meter hin und her zu bewegen. Er weiß wie viele Geheimgänge sich darin befinden und sucht die ab, die er kennt. Auch das Katakombensystem ist ihm bekannt, das er durchstreift. Was er nicht weiß, ist dass es mehrere Systeme gibt, die nicht miteinander verbunden sind. Ziemlich verzweifelt schlagen die beiden ihr Lager innerhalb der Tarbasser Festung auf, die sie für den Besucherverkehr schließen lassen. Bereits etwas mehr als eine Woche ist vergangen, ohne auch nur den Hauch einer Spur von Siva und ihrem Entführer. Nico meint sie müssten nur abwarten, bis sich etwas tut. Er glaubt nicht, dass sich Ramon ewig verstecken möchte. Eher ist er der Meinung, dass er nur auf ein bestimmtes Ereignis wartet. Für den aktionistischen Aiven stellt das eine schwere Geduldsprobe dar. Der in die Enge getriebene gefallene König Ramon und die sture Prinzessin Siva haben sich inzwischen einigermaßen arrangiert. Sie weiß, dass sie etwas sensibler mit ihm umgehen muss, wenn sie ihn nicht erzürnen will. Meistens hält sie sich daran, aber auch nicht immer. Sie hat keine Lust sich für einen Mann zu verbiegen, der ihr die Freiheit raubt, nicht komplett jedenfalls. Er beginnt im Gegenzug langsam zu verstehen, wie er mit der ungestümen Siva umgehen sollte. Er weiß ja, dass es sich bei ihr um kein normales Mädchen handelt und sie gern wie ein Bursche behandelt werden möchte, doch das fällt ihm ausgesprochen schwer. Ihr wunderschönes, entzückendes Äußeres befiehlt ihm einen Umgang mit ihr, wie mit einer zart besaiteten edlen Dame. Siva hat den wilden Charakter eines Kriegers und das Gesicht eines Engels, was ihm in dieser Kombination noch niemals untergekommen ist und er hat in seinem langen Leben schon viele Menschen gesehen. Dieses Mädchen bringt sein Blut zum kochen. Er will sie unbedingt für sich gewinnen, bevor ihm die Situation entgleitet. Täglich trinkt er vom reinen Blut der Prinzessin, was sie immer noch sehr befremdlich findet. Trotzdem freut sie sich mittlerweile sogar, wenn er von seinen Streifzügen zurückkehrt, denn er hat jedes Mal eine Leckerei dabei. Manchmal sind es Früchte, manchmal ein Stück Kuchen oder ein anderes Gebäck. Den Tag verbringt er mit ihr und nachts streift er draußen umher. Schlaf findet der wiedererweckte König so gut wie nie, denn sie schläft, wenn er unterwegs ist und er leistet ihr Gesellschaft, wenn sie wach ist. Ein latentes gegenseitiges Misstrauen spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle. Für die Prinzessin ist es viel beruhigender allein zu sein, wenn sie im Bett ist, sonst sendet er ihr womöglich in ihrer Aufwachphase wieder unanständige Träume oder schlimmeres. Darauf kann sie auch gern verzichten. Auf diese Weise ist die Einsamkeit auch nicht so erdrückend für sie. Durch Beobachtung hat sie festgestellt, dass Ramons Körper durch die tägliche Blutversorgung nicht unter dem Schlafmangel zu leiden scheint. Da sie die kein vergleichbares Elixier zu sich nimmt, liegt die Sache bei ihr anders. Sie benötigt normale Nahrung und Schlaf für ihre Erholung, was ihr beides zur Zeit nicht in ausreichendem Maße zu Verfügung steht. Wenn er weg ist, schleicht sie nämlich jeden Tag noch zwei, drei Stunden durch die labyrinthartigen Gänge und fertigt sich eine Karte davon an. Alle Wege, die sie bisher erkundet hat, endeten in Sackgassen. Sie vermutet, dass er so locker mit ihrer Bewegungsfreiheit hier unten umgeht, weil er sicher ist, dass sie ohnehin nicht entkommen kann. Die junge Frau weiß zudem nicht genau was er draußen macht, da er sie nicht über seine Untersuchungsergebnisse unterrichtet. Als er nach etwa zwei Wochen der Gefangenschaft in den frühen Morgenstunden zurückkehrt, will sie ihn noch einmal zur Rede stellen. Lautlos wie immer kommt er den stockdunklen Gang entlang, ohne eine Fackel oder eine Öllampe bei sich zu tragen. Die Siegel scheinen ihm dabei zu helfen im Dunkeln zu sehen oder sich auf andere Art zurecht zu finden. Die Prinzessin ist wie immer vorher aufgestanden und lauert nun schon im Kaminzimmer auf ihn. Der etwas erschöpft aussehende Mann stellt ein Körbchen, in dem sich seine tägliche Ausbeute für Siva befindet, auf einem kleinen dunklen Holztisch ab. Dann zieht er das Hemd aus, in das die drei Siegel eingearbeitet sind, die er täglich mitnimmt und legt es auf die blaue, hübsch verzierte Couch vor dem Tisch. Er scheint fähig zu sein das Ungleichgewicht des fehlenden Windjuwels ausgleichen zu können. Aber egal, ob er drei oder vier Götterjuwelen nutzt, zapfen sie entweder Energie von seinem Träger an, oder sie stellen sie ihm zur Verfügung. Welcher Fall von beiden eintritt, hängt allein von dessen mentaler Stärke ab. Selbst für den erfahrenen uralten König ist es anstrengend sie zu tragen oder sie über einen längeren Zeitraum zu kontrollieren, weil ihm das große Konzentration und damit eine schwere geistige Leistung abverlangt. Viele Jahrzehnte hat er benötigt, um ihren Umgang zu meistern. Deshalb hat er auch keine Angst davor, Siva könne sie an sich nehmen, denn sie wäre ohnehin nicht fähig sie zu beherrschen. Er sitzt also nun geschafft mit nacktem Oberkörper vor ihr. Anstatt ihn wie geplant zu empfangen, bringt er sie völlig aus dem Takt mit seinem unmöglichen Verhalten. Siva läuft wütend aus dem Zimmer und kommt mit einen Kleidungsstück zurück, das sie ihm überwirft. „Zieht Euch gefälligst etwas an, Ramon! Weder seid Ihr hier zu Hause, noch bin ich Eure Gattin.“ Tatsächlich hat beides sich für ihn schon so in etwa angefühlt, doch das sagt er ihr lieber nicht, denn dann würde sie wieder ausrasten. Ohne ein Wort, kommt er ihrer Bitte nach. Trotz, dass er ihren Anweisungen Folge leistet, scheint sie immer noch wütend zu sein. Es dauert nicht lang, bis ihr Anliegen aus ihr heraus platzt. „Wie lange habt Ihr eigentlich noch vor mich hier unten einzusperren?“ Zunächst ausweichend, antwortet er: „Setzt Euch doch bitte erst einmal zu mir, bevor Ihr so ein schweres Thema anschneidet.“ Er öffnet das Körbchen und nimmt einen, in ein Tuch eingeschlagen Teller, eine Weinflasche und zwei Gläser heraus. „Wein?“ hört er Siva aus der Ferne fragen, die ganz plötzlich aufrecht neben ihm sitzt und ihm eines der Gläser näher heran schiebt. Während er die Flasche öffnet, sieht sie nach, was sich auf dem Teller befindet. „Und Brombeerkuchen!“ jubelt sie erfreut. Er lächelt entspannt und schenkt ihr ein Glas ein, welches sie sofort hinunter schüttelt und zur Neubefüllung demonstrativ vor ihn stellt. Dabei sagt sie hart: „Glaubt nicht, dass Euch das eine Antwort erspart!“ Er schenkt ihr nach und sich auch etwas ein. Danach antwortet er mit ruhiger Stimme: „Es gibt da eine bestimmte Sache, die ich noch herausfinden möchte, solange ich noch auf dieser Welt bin.“ Es befindet sich nur ein einziges Stück Kuchen auf dem Teller, was nur bedeuten kann, dass er selbst keines möchte. Deshalb zieht sie es an sich heran und beginnt es zu essen. „Ich möchte langsam mal wieder die Sonne sehen. Nehmt mich doch mit auf Eure Suche!“ fordert sie schmatzend. König Ramon nimmt sein Glas vom Tisch und trinkt einen Schluck. Er behält es in der Hand und fixiert den wunderbaren Glanz des Weines im Licht der vielen kleinen Feuer. „Ihr würdet sofort fliehen, wenn ich Euch hier herausließe, Prinzessin.“ Sie stopft die letzten kleinen Häppchen des Kuchens in sich hinein und trinkt dann mit wenigen großen Schlucken ihr zweites Glas Wein aus. Wieder schiebt sie es fordernd zu Ramon. „Das war viel zu wenig. Ich habe immer noch Hunger. Wollt Ihr, dass ich abmagere?“ „Das tut Ihr schon nicht, meine Liebe. Aber wenn Ihr Euch noch immer hungrig fühlt, dann kennt Ihr ja mein Angebot.“ sagt er freundlich, während er ihr ein drittes Mal nachschenkt. Damit ist die Flasche bereits leer. „Und Ihr kennt meine Antwort darauf.“ entgegnet sie keck. Ihr drittes Glas, trinkt sie nun genüsslich. Langsam scheint allerdings der Alkohol Wirkung zu zeigen. Selbst als Mana-i ist sie vor dessen Auswirkungen nicht gefeit, auch wenn sie etwas mehr verträgt als ein durchschnittlicher Mensch. Sie lehnt sich nach hinten und nimmt das ursprüngliche Gespräch wieder auf. „Habt Ihr so große Angst vor dem Tod?“ Sein Glas mit beiden Händen fast schon zärtlich am Stiel vor sich haltend, beugt sich der gefallene König nach vorn. „Warum hätte ich wohl sonst so große Mühen auf mich genommen wiederbelebt zu werden?“ Sie sieht abschätzig zu ihm und urteilt gnadenlos: „Ihr seid so verlogen, Ramon. Ihr tötet ohne auch nur mit der Wimper zu zucken aber Euer eigenes Leben versucht Ihr mit allen Mitteln zu erhalten. Euren Angriff auf meinen Vater und auf Aiven habe ich gewiss nicht vergessen. Wie viele Menschen habt Ihr wohl im Krieg getötet? Ihr habt diese zweite Chance überhaupt nicht verdient.“ Er zerbricht den dünnen Stiel des Glases mit einem lauten Klirren. Dabei schneidet er sich an einer scharfen Bruchkante in den Finger. Der auf den Boden gefallene Kelch verteilt den Rest seines Weines auf dem Fußboden, in den nun auch ein paar seiner Bluttropfen fallen, die sich mit ihm vermischen. Siva fixiert dieses Gemisch für einen Augenblick und stellt sich vor wie gut es wohl schmecken würde. Sofort schüttelt sie den grausigen Gedanken ab. Ihr Hunger, sein täglicher Durst nach ihrem Blut und der Alkohol scheinen sie zu verwirren. Wie festgefroren verharrt Ramon in dieser Position, bis er nach einigem Zögern auf ihr hartes Urteil eingeht: „Wahrscheinlich bin ich dieses Leben nicht wert, deshalb lasst mich bitte noch diese eine Sache herausfinden, bevor ich Euch verlasse.“ „Die da wäre?“ reagiert sie wenig empathisch angespannt und mittlerweile seinen blutenden Finger beobachtend. „Ich habe eine so gewagte These, dass ich sie nicht einmal aussprechen kann. Ich erzähle Euch davon, wenn ich ein Ergebnis vorzuweisen habe.“ Das klingt alles nicht sehr zufriedenstellend für Siva, doch sie muss es wohl akzeptieren. „Geht Eure Wunde versorgen!“ weist sie ihn gereizt an und steht dabei auf, um zu gehen. Sie hat wohl doch zu schnell auf leeren Magen getrunken und taumelt etwas. Er reagiert sofort und steht ebenfalls auf, um sie zu stützen. Das angeschwipste Mädchen stößt den verletzen Mann brüllend von sich: „Lasst mich! Ich kann alleine laufen.“ Dann geht sie ohne größere Schwankungen in ihr Zimmer. Sie musste sich extrem konzentrieren so ordentlich geradeaus zu laufen. Vor ihrem Entführer will sie sich nicht die Blöße geben. Es vergeht ein wenig Zeit, bis es an ihrer Tür klopft. Ramon tritt erhobenen Hauptes ein und bringt ihr einen Krug mit Wasser und ein hübsches Kristallglas, was sie als eine Art Friedensangebot begreift. Wahrscheinlich stattet er ihr den Besuch aber nur ab, weil sie ihm nicht, wie sonst immer, direkt nach dem Essen von ihrem Blut gegeben hat. Er stellt das Tablett auf ihrem Nachtschränkchen ab, dann setzt er sich zu ihr auf das quietschende Bett. Sie hat keine Lust ihn anzusehen, als er das Wort sanft an sie richtet. „Ihr durchschaut die Dunkelheit meiner Seele sofort. Das habt Ihr schon immer getan. Es stimmt, ich bin ein grausamer Mann, aber, glaubt es mir oder nicht, den jungen Aiven wollte ich nicht töten, Euch zuliebe. Sagt mir, spürt Ihr diese dunklen Tendenzen nicht auch in Euch, Prinzessin? Ich habe Euch kämpfen sehen. Ihr seid so viel mächtiger und ungezähmter als ich es in Eurem Alter war. Ihr fasziniert mich. Prinzessin Siva, es scheint wohl egal zu sein wie sehr ich Euch liebe, Ihr werdet wohl nie das Gleiche für mich empfinden.“ Die sanften ehrlichen Worte des Königs scheinen keinerlei Einfluss auf die verstimmte Prinzessin zu haben, denn sie hat nach wie vor nur Spott für ihn übrig. „Wie könnt Ihr von Liebe sprechen, Ramon? Ihr kennt mich doch gar nicht. In Wahrheit seid nur auf mein Blut aus, um Euer jämmerliches Leben zu behalten, an welches Ihr Euch so verzweifelt klammert.“ Er streicht ihr sanft eine Haarsträhne hinters Ohr, die ihm den Anblick ihres schönen Gesichtes verwehrt hat. Ihre Worte sind unendlich verletzend für ihn, doch er ist froh, dass sie ihre wahren Gedanken ihm gegenüber geäußert hat. „Ich bin immer aufrichtig zu Euch gewesen, was meine Gefühle betrifft. Ich glaube sogar mittlerweile, dass ich niemals einen so dummen Krieg begonnen hätte, wenn ich Euch damals schon begegnet wäre, Prinzessin. Ihr seid der erste Mensch, der mich dazu bewegt mich selbst zu überdenken, ja sogar an mir selbst zu zweifeln. Auch wenn Ihr immer so forsch zu mir seid, erlebe ich gerade die glücklichste Zeit meines Lebens. Verurteilt mich für meine Taten, das habe ich nicht anders verdient, doch meine Gefühle für Euch anzuzweifeln, ist sehr schmerzhaft für mich.“ Ramons Blick ist ihr aufrecht und ehrlich zugewandt. Langsam glaubt sie nicht mehr daran, dass er sie die ganze Zeit nur anlügt. Immerhin hat er eine Engelsgeduld mit ihr bewiesen. Außerdem hat er sie nicht ein einziges Mal angerührt, wenn man von seinen Blutdurst einmal absieht und das obwohl es ihm so stark nach ihr gelüstet. „Wenn ich es also nun akzeptiere, dass Ihr mich liebt, hört Ihr dann auf es mir unablässig zu sagen?“ „Ja, dann gäbe es keinen Grund mehr dazu.“ Sie reicht ihm schroff ihren zarten Arm. „In Ordnung. Bringen wir es also für heute hinter uns.“ Ihre leidenschaftslose Bereitschaft ihm ihr Blut zu geben, sagt dem gefallenen König nicht wirklich zu. Es wäre ihm lieber, wenn sie sich wieder wehren oder, noch besser, es ihr inzwischen sogar ein bisschen gefallen und sie sich erregt unter ihm winden würde. Hauptsache er erhält überhaupt eine klare Gefühlsregung von ihr. Die Prinzessin lässt sich den mächtigen König vorkommen wie einen Bittsteller und in dieser Rolle sieht er sich selbst überhaupt nicht. Er würde nun gern den nächsten Schritt zu tun, über sie herfallen, um ihr Blut aus ihrer Halsschlagader zu trinken oder sie sich vielleicht sogar auf traditionelle Weise zu eigen zu machen. Doch das wäre ihr gegenüber respektlos und er würde alles was er sich bisher mit ihr erarbeitet hat einfach wegwerfen. Das kann der gerissene König nicht riskieren, egal wie sehr ihn der Gedanke daran reizt. Er kann einfach schlecht damit umgehen weder geliebt, noch gehasst zu werden. Normalerweise neigt seine Person dazu zu polarisieren. Meist wird er zwar geliebt, doch wenn er gehasst wird, dann mit Leidenschaft, so wie sein Erzfeind König Nienna seinerzeit. Dieses Mal empfindet er, während des Trinkens, so etwas wie Scham, was in seinem langen Leben ein Novum darstellt. Er nimmt der Prinzessin weniger ab als sonst, was sie auch bemerkt. „Wie demütig ihr heute seid...“ scherzt sie, als er sich verabschieden will und fügt fast fröhlich hinzu: „So langsam habe ich das Gefühl mit einem richtigen Menschen zu sprechen und nicht mit einem kaltherzigen, berechnenden König. Ich bemerke auch wie verzweifelt Ihr sein müsst, Majestät. Vielleicht spricht da auch nur der Alkohol aus mir, aber dem Menschen Ramon wäre ich wahrscheinlich fähig seine Taten zu vergeben.“ Sie hat nicht die geringste Ahnung was diese Worte für ihn bedeuten. Sivas Vergebung ist für ihn wie eine Erlösung von einer alten Existenz. Vor seinem Tod hat er sich selbst als wahrhaftigen Gott angesehen, der die ganze Welt beherrschen sollte, doch das Wissen darüber was es bedeutet tatsächlich zu sterben und die Einmaligkeit dieser Frau, lassen ihn so langsam einsichtig werden. Er trägt im Moment mehr Gefühle in seiner Brust, als er sich je zu erinnern glaubte. Zwar ist ihm Empathie nach wie vor fremd, doch vieles andere fühlt und erlebt er viel intensiver als früher. Zudem ist er wieder stark harmoniebedürftig wie zuletzt in seiner Jugend, kurz bevor er verheiratet wurde. Die meisten Mana-i verspüren den Wunsch nach Ausgeglichenheit mit sich und der Welt. Deshalb gibt es auch so viel Großherzigkeit unter ihnen, auch wenn sie kein Mitgefühl empfinden können. Sivas Satz an jenem Tag dient für ihn als eine Art Befreiungsschlag, der ihm die Freude des Lebens zurück gebracht hat. Er bringt nun nicht mehr nur ein Stück Kuchen für sie, sondern auch eines für sich selbst mit. Außerdem beginnt er sie im Umgang mit den Siegeln zu Schulen, was ihm bei ihr großen Respekt verschafft, denn sie zeigt großes Interesse daran. Stundenlang übt sie sich darin, die Siegel, eines nach dem anderen, zu kanalisieren. Dabei erweist sich die junge Frau als äußerst talentiert, was ihm jedoch nicht gefährlich werden kann. Der frühere Kalaßer König kramt amüsante Anekdoten aus seinem früheren Leben heraus, die er ihr nun allabendlich zu erzählen pflegt und er erklärt ihr näheres über den Umgang mit den Göttern. Seine neue, fast schon fröhliche Offenheit bringt Siva eines Morgens auf ein Thema zu sprechen, welches sie schon seit dem Tag beschäftigt, als die den König wiedererweckt hat, nämlich seine Ehefrau. Er ist schon auf dem Sprung zu seinem täglichen Forschungsausflug und will sich gerade aus seinem Sessel erheben, als sie fragt: „Wartet bitte. Erzählt mir von Eurer Frau, bevor Ihr geht.“ Er setzt sich wieder bequemer. „Also gut. Was wollt Ihr denn wissen, Prinzessin Siva?“ Etwas verlegen lehnt sie sich nach hinten und schlägt die Beine übereinander, um es zu überspielen. Zielgerichtet fragt sie ihn aus, aber ins Gesicht sehen kann sie dem eleganten Mann dabei nicht. „Was war sie für ein Mensch? War sie mir ähnlich? Habt Ihr sie geliebt?“ Zugegebenermaßen freut er sich über diese sehr persönlichen Fragen, woraus er keinen Hehl machen möchte. „Eure Fragen möchte ich sehr gern beantworten, wenn es Euch hilft. Madlene war eine sehr einflussreiche, aber auch humorlose und kontrollierte Frau, der Ansehen und Etikette sehr viel mehr bedeuteten, als ein angenehmes Leben zu führen. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Euch, Prinzessin. Für sie kam nur ein Mann reinster Abstammung in Frage, weshalb sie darauf bestand mich zu ehelichen. Ich war ein spätes Einzelkind sehr alter und edler Adliger und deshalb bereits damals der mit Abstand reinste unter den Mana-i, weshalb ich als bester Anwärter für den Thron gehandelt wurde. Damals hat man die Regentschaft nach genau einhundert Jahren weitergereicht, ein Gesetz, welches ich selbst während meiner Herrschaft gekippt habe. Wie auch immer. Schon im Kindesalter wurde ich Madlene versprochen. Als ich achtzehn wurde, hat man uns vermählt. Sie war fünfzehn Jahre älter als ich, was bei Unsterblichen wie uns keine Rolle spielen sollte. Eure Frage nach Liebe sollte damit ebenfalls beantwortet sein. Als ich nach achtzig zehrenden Ehejahren zum König ernannt wurde, versuchte sie über mich Einfluss auf die Regierungsgeschäfte auszuüben. Ich schloss sie davon aus, weshalb sie sich, gemeinsam mit unseren drei Kindern, gegen mich verschwor. Da sich Mana-i für ein ganzes Leben binden und ich als König eine Vorbildfunktion hatte, musste ich sie ertragen. Vor Euch habe ich zweimal in meinem Leben wirklich geliebt. Das Eheversprechen löste mich von meiner ersten Liebe Quinya, einer yokener Prinzessin mit seidenem, weißen Haar. Im Andenken an mich verweigerte sie die Ehe fortan und wurde verstoßen, wofür ich die Schuld bekam. Madlene verbot mir sie in Kalaß aufzunehmen, mit gutem Grund möchte ich meinen. Leider sorgte sie auch für ein frühes Ableben meiner Liebsten, der weißen Mondlilie, wie ich sie nannte. Erst viele Jahrhunderte später verliebte ich mich erneut. Das schöne Menschenmädchen Lyrielle erinnerte mich so sehr an meine weiße Mondlilie, dass ich ihr verfiel. Doch sie war nur eine Illusion, eine Kunstfigur, eine List meiner Königin, um mir näher zu kommen, mich zu belauschen und bei meinen Entscheidungen zu lenken. Das mag für Euch vielleicht verrückt klingen, aber auch wenn ich den Schwindel früh bemerkte, so genoss ich die Reinkarnation meiner ersten Liebe. Und nun sehe ich Euch vor mir, Prinzessin und ihr seid anders als jede Frau, die ich vor Euch kannte. Durch Euch wurde ich wiedergeboren und nun durchlebe ich ein zweites Mal meine Jugend.“ Ramons Redseligkeit hat Siva überrascht. Anscheinend hat der gefallene König viel mehr verletzliche Seiten an sich, als sie es für möglich gehalten hätte. „Was ist aus dem zweiten Mädchen geworden?“ fragt sie verwundert darüber, dass er diesen Teil ausgespart hat. Er lächelt sanft im Andenken an Lyrielle. „Es nahm kein schönes Ende, Siva. Zu viel hatte ich ihr in jener schwülen Nacht erzählt, zu loyal war sie unserer Königin. Ich hatte keine andere Wahl als den Zauber zu brechen.“ „Die Zeiten waren früher anscheinend viel härter als die heutigen. Das wusste ich nicht.“ schließt die Prinzessin. Ramon erhebt sich nun von seinem Platz und sagt gespielt lächelnd, um zu versichern, dass er das alles schon lange verwunden hätte: „Es gibt vieles, dass Ihr nicht wisst. Ich bin zum Beispiel ein recht passabler Pianist und ein begnadeter Liebhaber.“ Als die junge Frau beginnt über seine freche Aussage zu wettern, („Ihr seid so ein Lüstling. Als ob mich das interessieren würde!“) verabschiedet er sich, sie übertönend: „Ich mache mich nun auf den Weg. Schlaft gut, Prinzessin.“ und kehrt ihr den Rücken zu. Sie schimpft ihm noch einige Zeit hinterher, was ihm auch noch Vergnügen zu bereiten scheint. Sie ist wirklich einfach zu ärgern. Fragen beantwortet Ramon gern und ausführlich. Selbst dieses indiskrete Anliegen hat ihn nicht aus der Ruhe gebracht. Das gefällt Siva, denn endlich erfährt sie etwas mehr über ihren Ursprung. Das ist die Prinzessin von zu Hause nicht gewohnt, wo über vielen Themen der Mantel des Schweigens lag. Nico erzählte zwar immer gern Geschichten, doch diese bezogen sich stets nur auf seine Militärzeit und seinen Aufstieg zum König. Darüber hinaus herrschte ein striktes Redeverbot. Alles in allem könnte man fast meinen die Prinzessin und der gefallene König würden sich anfreunden, wenn da nicht diese dumme Sache mit dem Freiheitsentzug wäre. Er ist nach wie vor der festen Überzeugung sie würde unmittelbar fliehen, wenn er ihr Freigang gewährt, deshalb kann er dieses Risiko nicht eingehen, so lange bis das Rätsel geklärt ist, dass ihn so beschäftigt. Kapitel 12: Sündenfall ---------------------- Weitere zwei Wochen vergehen, bis Ramon in seinen Nachforschungen einen entscheidenden Fortschritt macht. Er ist der Lösung zum Greifen nahe. Wahrscheinlich wird er schon morgen seine Theorie beweisen können, doch wenn er sein Wort hält, muss er infolge auch seine Geliebte freilassen. Er befürchtet, dass sie nicht bei ihm bleiben wird, wenn sie die freie Wahl erhält. Selbst wenn sie von Tag zu Tag immer sanfter zu ihm wird, so ist das nicht ausreichend, um sie bei sich halten zu können. Ihm läuft einfach die Zeit davon. Dem gefallenen König gehen die Ideen aus und er hält es für möglich, dass seine anfängliche Strategie für diese junge Frau wohl so ungeeignet war, dass er es nun nicht mehr ausgleichen kann. Trotzdem hat er Fortschritte gemacht, die nicht von der Hand zu weisen sind und auch wenn solche Aktionen bisher eher erfolglos waren, will er sich ein letztes Mal darin versuchen, sich ihr zu nähern. Er kennt ihren Charakter inzwischen recht gut und das ist vielleicht der fehlende und entscheidende Vorteil für ihn. Direkt nachdem er von seinem allnächtlichen und finalen Forschungsausflug zurück gekehrt ist, geht er nicht wie üblich zu Prinzessin Siva in die Bibliothek oder in das Kaminzimmer, in dem sie sich meist aufhält, sondern in ihr inzwischen sauberes und recht gemütliches Schlafzimmer. Dort entwendet er das Windjuwel, welches er ihr anvertraut hat und verschwindet damit in den dunklen Tunnelgängen. Die junge Frau benötigt einen Moment, bis sie den Ortswechsel ihres Windsiegels bemerkt. Sie sitzt, im Kaminzimmer in einem alten Buch über die Kosmologie vertieft. Scheinbar pflegte man zu früheren Zeiten in den Sternen zu lesen. Wie albern, aber ohne Zweifel interessant, findet sie. Gelangweilt In den Sessel gefläzt, auf dem er sonst zu sitzen pflegt, wartet die junge Frau schon auf ihren Entführer, der so langsam zurückkehren sollte. Sie ist schon vor zwei Stunden aufgestanden und muss sich nun allein die Zeit vertreiben, was sie gar nicht gut kann, denn sie ist ein geselliger Mensch. Etwas genervt legt sie das uralte Buch behutsam bei Seite und schließt die Augen. In ihren geschlossenen Augenliedern sieht sie den neuen Standort des Windsiegels. Sie hat inzwischen Übung in dieser Disziplin und es fällt ihr nicht mehr schwer es ausfindig zu machen. Wenn sie das doch nur auch bei den anderen drei Siegeln beherrschen würde. Dann wäre sie in der Lage Ramons Weg hinaus ins Freie nachzuverfolgen. Auch wenn sie nicht weiß was er vorhat, so folgt sie der Spur in das stockdustere Gängesystem. Ohne es zu wollen, wird sie immer aufgeregter. Die Öllampe in der Hand, leuchtet sie sich ihren Weg durch das schwarze Labyrinth. Diesen Pfad hat sie auf ihren fast täglichen Erkundungstouren noch nicht gefunden. Unterwegs hat sie daran gedacht, ob er ihr vielleicht den Weg nach draußen zeigen will, oder versucht er sie auch nur bei Laune zu halten? Wer weiß schon was in diesem Mann vorgeht? Schließlich hat er sich zu ihrer Unterhaltung in der letzten Zeit immer wieder etwas neues für sie einfallen lassen. Erst kürzlich hat er ihr ein altes Brettspiel beigebracht oder wundersame Karten nach ihrer Zukunft befragt. Das Ergebnis der Vorhersage war mehr als fraglich, denn er deutete sie jedes Mal so, dass die Prinzessin mit ihm ihr Glück finden werde. Das hätte er wohl gern, dachte sie. Merkwürdige Dinge hat man damals gemacht, um sich die Zeit zu vertreiben. Als Gegenleistung brachte sie ihm Schach bei, in dem er nach kurzer Zeit schon recht gut geworden ist. Siva musste das Schachbrett und die Figuren zwar aus Papier basteln, doch das war völlig ausreichend und verschlechtere den Spielspaß nicht im Geringsten. Die Rolle des Königs im Schach sagte Ramon gar nicht zu, weshalb er darauf bestand die Fähigkeiten von König und Königin zu vertauschen. Die beiden hatten mehr Spaß an diesem Spiel, als sie es mit ihm für möglich gehalten hatte. Die Prinzessin musste bereits mehrfach aufpassen, über die körperliche Anziehung hinaus, die der attraktive Mann nun mal auf sie ausstrahlt, nicht noch mehr für ihn zu empfinden. Sie gut zu behandeln ändert nichts an der Tatsachte, dass er sie immer noch gefangen hält. Er verkörpert in ihrer Vorstellung so etwas wie das Böse selbst, dem sie nicht verfallen darf. Das alles nimmt sie als Prüfung wahr, um ihre Loyalität und Standhaftigkeit zu testen und was wäre sie für eine Kriegerprinzessin, wenn die dem Bösen am Ende erliegen würde? Die rhetorische Frage im Gedanken behaltend, erreicht sie ihren Zielort. Etwa eine halbe Stunde war die Prinzessin, völlig gedankenversunken, unterwegs. Eine recht große unterirdische Höhle tut sich vor ihr auf, die entgegen den Gängen vorher, natürlichen Ursprungs sein muss. Erst leise und dann immer lauter, hört sie das Geräusch von fließendem, nein sogar fallendem Gewässer. An einigen Stellen gibt es kleine Öffnungen in der höher werdenden Decke der Höhle, durch die etwas bläuliches Licht hinein scheint. Sie geht immer weiter hinein, um eine kleine Biegung herum und erblickt dann einen flachen See, in den ein dünner Wasserfall hinein mündet, den sie schon von weiter weg gehört hat. Unter ihm duscht sich, natürlich splitternackt, der vermisste Mann. Geschockt versteckt sich die Prinzessin hinter dem Felsen, der ihren Blick zunächst behindert hatte. Sie hofft, dass er sie noch nicht bemerkt hat, denn sie versucht sich wieder davon zu schleichen. Zwar war er bei ihrem Blick auf ihn noch ein ganzes Stück von ihr entfernt, doch hat sie trotzdem genug gesehen. Mit so einer schamlosen Dreistigkeit hatte sie nicht gerechnet. Leicht verärgert, zugegebenermaßen aber auch ein bisschen erregt, tritt sie lautlos den Rückweg an. Sie ist sich sicher, dass Ramon sie mit Absicht hierher gelockt hat, damit sie ihn in seiner ganzen Pracht bewundern kann. Aber wenn er glaubt sie lasse sich so leicht beeindrucken, dann hat er sich in ihr getäuscht. Es ändert rein gar nichts an ihrer Meinung zu ihm, denn ihr Mana-i Blut gerät in seiner Nähe auch ohne einer solchen Aktion in Wallung. Sich irgendwelchen primitiven Instinkten hinzugeben, ist jedoch nicht der Stil der eitlen Prinzessin und es wäre auch nicht im Sinne ihres Vaters. Zudem hat sie kein Interesse daran Aiven zu verraten, der ja schließlich immer noch ihr fester Freund ist. Auf leisen Sohlen hat sie sich schon ein paar Meter entfernt, als Ramons Stimme in der Höhle widerhallt: „Wollt Ihr schon wieder gehen, Prinzessin? Ich hätte vermutet Ihr würdet Euch ebenfalls gern unter diesem Wasserfall duschen. Sich immer nur im kleinen Rinnsal bei den Aufenthaltsräumen zu waschen, ist sicherlich müßig. “ Sie bleibt ertappt stehen und hält inne, ohne ihm zu antworten. „Ich würde dann selbstverständlich vorher verschwinden, falls Ihr das wünscht.“ fügt er erheitert hinzu. Natürlich ist eine Dusche eine gute Idee, aber die hätte er auch schon Wochen früher haben können. Warum also jetzt? Allein ihr diesen Ort vorenthalten zu haben, macht die junge Frau ärgerlich. Empört dreht sie sich wieder in seine Richtung, um ihm ihre Meinung zuzurufen, doch er steht bereits direkt vor ihr. Erschreckt macht sie einen Schritt zurück und wirft instinktiv einen prüfenden Blick, den er selbstverständlich bemerkt, auf seinen Unterkörper. Zu ihrer großen Erleichterung hat er sich ein Leinentuch um die Hüfte gebunden. Siva pocht das Herz bis zum Hals. Aus ihrer Sicht liegt das aber nur am Schrecken, den er ihr eingejagt hat. Frech lächelnd schlägt er vor: „Ich kann aber auch bleiben, um Euch dabei zu helfen Euer wunderschönes Haar zu waschen, wenn es Euch beliebt.“ Spitz entgegnet sie nun endlich: „Ich würde ja sagen, dass das die dümmste Idee ist, die Ihr je hattet, aber das wäre für Euch nicht zutreffend, denn anscheinend habt Ihr nur dumme Ideen.“ Sie sagt ihm diese harten Worte geradeheraus ins Gesicht. Der nasse, fast nackte Mann macht einen Schritt auf die junge Frau zu. Ein weiteres Mal lässt er sich nicht von ihren verbalen Angriffen beeindrucken. „Prinzessin Siva, ich glaube langsam, dass Ihr solch verletzende Dinge nur aus Selbstschutz sagt und zwar immer genau dann, wenn Ihr Euch Gefühle für mich eingestehen müsstet. Ich weiß, dass es unerhört ist so etwas zu Euch zu sagen, aber ich möchte das nicht länger für mich behalten.“ „Ihr habt Recht,“ entgegnet sie ernst, was er zunächst positiv auffasst, bis sie ergänzt: „Es ist unerhört von Euch das zu mir zu sagen.“ Für einen Moment ist es still und nur noch das plätschern des Wasserfalls erfüllt die Höhle. Der frühere König spürt genau, dass diese starrköpfige, junge Frau leidenschaftliche Gefühle für ihn hegt, doch er kommt einfach nicht an ihr Herz heran. Seine Bemühungen erscheinen ihm zwecklos, denn ihm bleibt nicht mehr genügend Zeit, um eine Beziehung mit der misstrauischen Prinzessin aufzubauen. Er will sich gerade von ihr abwenden, als sie erneut das Wort erhebt. Ihre Stimme ist leiser als zuvor und etwas belegt. „Wartet!... Vielleicht habt Ihr in dieser Sache recht. Vieles in mir verlangt nach Euch, aber das ist für mich kein Grund meine Würde zu verlieren.“ Er blickt sie überrascht an. „Wie soll ich das verstehen, Prinzessin Siva?“ „Das braucht Ihr nicht zu verstehen. Es ist schon schlimm genug, dass ihr es jetzt wisst.“ entgegnet sie stur. Damit hat sie nun den Bogen der schier unendlichen Geduld Ramons ein weiteres Mal überspannt, weshalb er laut das Wort erhebt, was in der Höhle widerhallt. „Prinzessin, das hier ist kein Spiel. Von Eurer Entscheidung hängt mein Leben ab. Darüber hinaus ist das nicht der einzige Grund für mich Eure Zuneigung zu suchen. Ihr gebt mir das Gefühl mein früheres Leben und alle Fehler, die ich darin beging, seien bedeutungslos. Es gibt so vieles, das ich bereue. Mein Wunsch ist es von vorn zu beginnen, mit Euch an meiner Seite noch einmal jung zu sein...“ Er beruhigt sich etwas und erklärt dann weiter: „Aber ich will Euch nicht schon wieder damit behelligen. Ich habe einmal gelebt und kein zweites Leben verdient. Das habt Ihr mir selbst gesagt, das war Euer Urteil. Damit muss ich mich einfach abfinden, so schwer es mir auch fallen mag.“ Wieder schweigen die beiden, doch nach Sivas Wahrnehmung ist es nicht leise in der Höhle. Das Plätschern des Wasserfalls wird in ihren Ohren immer lauter und Ramons Worte hallen in ihr nach. Sie legt eine Hand vor ihre Augen, um aufsteigende Tränen zurückzuhalten. Natürlich will sie nicht, dass Ramon stirbt. Sie steckt in einer Zwickmühle. Die Vorstellung am Tod des einzigen Mana-i schuld zu sein, der für sie geeignet wäre, ist inakzeptabel. Ebenso undenkbar ist es ihn als ihren Partner zu erwählen. Dabei weiß sie so langsam selbst nicht mehr wieso sie ihn ausschließt. Ihr Instinkt, der sie zu ihm zieht, ist so laut, dass sie schon lange nicht mehr hört, was ihr Herz ihr sagt. Egal was sie tut, sie wird in jedem Fall jemanden verletzten, der ihr wichtig ist. Das ist ihr inzwischen klar geworden. Ramon wagt es nicht einen weiteren Schritt auf die verzweifelt aussehende junge Prinzessin zu zugehen. Es könnte erneut ein Fehler sein. Immerhin ist sie noch nicht empört davon gestürmt, was wohl heißen muss, dass sie seine Worte zum Denken angeregt haben. Anscheinend ist er dieses Mal wirklich bis zu ihrem Herzen vorgedrungen. Er hatte selbst nicht mehr daran geglaubt, dass das noch möglich ist. Sie durchschneidet die Stille mit ihrer klaren, neu erstarkten Stimme: „Ramon, ich weiß, ich bin ein schwieriges und zynisches Mädchen, das sich immer selbst das nächste ist und vor allem seinem Vater gefallen will, aber damit ist jetzt Schluss. Ich muss erwachsen werden und weitsichtiger handeln. Ich muss irre sein, so etwas zu sagen, denn der Altersunterschied zwischen uns ist erheblich, ehrlich gesagt ist er fast unvorstellbar für mich, doch ich werde über uns nachdenken.“ Tatsächlich hat sie das noch niemals ernsthaft getan. Ihr Einlenken ist wie ein Zugeständnis ihrer Gefühle für ihn, doch das hilft ihm nun wohl auch nicht mehr weiter, denn die verwirrte Prinzessin wird Zeit brauchen, um eine Entscheidung zu fällen, die sie nicht mehr hat. Ramon schwor sich selbst sie nicht länger festzuhalten. Sie ist wie der Wind und diesen kann man nicht einsperren, jedenfalls nicht lange und nun hält er die Zeit für gekommen. Er gesteht ihr was er ihr bisher verschwiegen hat: „Prinzessin, wahrscheinlich werde ich Euch bereits morgen in die Freiheit entlassen, denn es gibt nur noch einen Ort, den ich besuchen und mich von einer Sache überzeugen muss. Hinzu kommt, dass Euer Vater begonnen hat nach Tunnelsystemen graben zu lassen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis seine Leute auf dieses hier stoßen werden. Ich muss unbedingt vor ihm erfolgreich sein. Ich möchte damit sagen, dass Ihr Eure Entscheidung schnell treffen solltet.“ Siva war der Überzeugung noch ewig hier unten festzusitzen, deshalb kommt der neuerliche Zeitdruck völlig überraschend für sie. Freude und Trauer vermischen sich in einem undurchdringlichen Nebel der Gefühle. Unfähig irgendetwas darüber zu sagen, bleibt ihr nichts anderes übrig als vom Thema abzulenken. Distanziert, fast so als habe es das Gespräch eben gar nicht gegeben, sagt sie: „Ihr habt mein Blut heute noch nicht erhalten, Majestät. Wir sollten das jetzt gleich hinter uns bringen, damit ich mich zum nachdenken zurück ziehen kann.“ Sie hält dem fast nackten Ramon ihren zarten Innenarm entgegen. Er, der ebenso angespannt war wie sie, schließt schwer ausatmend seine Augen. Ihre Formulierung war für ihn wenig schmeichelhaft, was ihm zu allem Überfluss auch noch die Lust an diesem, für ihn eigentlich erotischen, Akt raubt. Er tritt an sie heran und packt ihren Arm. Wenn es um den Flüssigkeitsaustausch geht, wird er immer etwas grob. Im Glauben eigentlich nichts mehr gewinnen oder verlieren zu können, entscheidet er sich einen seiner Wünsche auszusprechen: „Würde es Euch etwas ausmachen, wenn ich Euch statt dessen küssen würde, Prinzessin?“ „Was?“ Sie versucht erfolglos ihrem Arm zurückzuziehen und fragt unüberlegt: „R-reicht das auch aus?“ „Ganz ohne Blut geht es natürlich nicht, aber keine Sorge, ich mache es ganz schmerzlos.“ antwortet Ramon erregt über ihre leichte körperliche Gegenwehr und gleichzeitige verbale Annäherung. Er zieht sie an sich heran und beginnt sich begierig ihren Lippen zu nähern, als sie, gerade noch rechtzeitig, ihren freien Arm zwischen ihre sich annähernden Lippen schiebt. „Das war keine Erlaubnis!“ schimpft sie, was ihn zum schmunzeln bringt. So gefällt ihm die Sache schon viel besser. Er nimmt ein weiteres Mal mit ihrem Arm Vorlieb, was ihn nun aber nicht mehr stört. Immerhin sind sie sich noch näher als sonst und nur durch ihren schmalen Arm voneinander getrennt. Wie immer schweigt Siva, während des Vorgangs, doch dieses Mal schaut sie ihm aufmerksam dabei zu und auch er denkt gar nicht daran seine Augen zu schließen. So nah waren sie sich noch nie und dann ist dieser gut gebaute Mann, der zwar so viel älter ist als sie, aber aussieht als wäre er höchstens Mitte Dreißig, auch noch fast nackt. Ihr rasender Puls sorgt dafür, dass er nicht lange braucht, um satt zu werden. Nach kurzer Zeit lässt er von ihr ab. Da er womöglich nie wieder von ihr kosten darf, hat er es besonders intensiv erlebt, was in ihm ein unerwartetes Glücksgefühl auslöst. Schmunzelnd bedankt er sich und geht zum See zurück, um sich seinen Mund abzuwaschen. Seinen Gesichtsausdruck bemerkend kommentiert sie aus der Ferne: „Zieht Euch endlich etwas an, Ramon! Das macht mich verrückt.“ „Hier vor Euren Augen, Prinzessin?“ grinst er satt und zufrieden, nachdem er sich wieder sauber gewaschen von der Wasserfläche erhoben hat. Er ist schon dabei das Tuch von seinen Hüften zu lösen, als sie zu ihm gerannt kommt, um es zu verhindern. Reflexartig greift sie nach seinen Händen, was in einen peinlichen Moment mündet, den sie von sich selbst erschrocken, versucht aufzulösen. „Nicht vor mir, herrje!“ „Nichts, was Ihr nicht vorhin schon gesehen hättet, liebste Siva.“ reagiert er immer noch selbstsicher lächelnd. Sie lässt entsetzt seine Hände los und dreht sich von ihm weg. „Nun...nun könnt Ihr Euch umziehen, Majestät.“ entgegnet sie zögerlich fromm. Wie befohlen, begibt er sich zu seiner Kleidung und beginnt sich anzuziehen. Inzwischen guter Dinge scherzt er: „Nun, da Ihr mich nackt gesehen habt, müsst Ihr mich auch ehelichen, Prinzessin, um meine Ehre zu bewahren.“ Diese ausgelassene Seite von ihm hat Siva zwar schon kennengelernt, doch sie ist trotzdem noch ziemlich ungewohnt für sie. Fast ein bisschen verwirrt und sogar ein bisschen unsicher entgegnet sie: „Das ist doch ein uraltes Gesetz, vielleicht zu Eurer Zeit noch gültig, aber nicht mehr heute. Es galt doch auch nur für Männer gegenüber unberührten Jungfrauen, oder nicht?“ Er beginnt erheitert zu lachen, was in der Höhle widerhallt. Das hat er überhaupt noch nie getan. Schließlich entgegnet er: „Ihr wünscht Euch doch, dass ich die Maßstäbe eines Mannes bei Euch ansetze und das war ein gültiges Gesetz zu meiner Zeit. Ich würde sagen Ihr habt gar keine andere Wahl. Und vergesst nicht, auch ich habe Euch nackt gesehen, Prinzessin.“ Mit ihren eigenen Waffen will sich die kluge junge Frau nicht schlagen lassen. „Ihr wart schon einmal verheiratet, habt Kinder und seid damit offensichtlich nicht mehr unberührt. Das Gesetz findet somit keine Anwendung in diesem Fall.“ Schlussfolgert sie, worauf er übermütig entgegnet: „Das ist richtig und bei Euch ist mir, trotz Eurer Jugend, leider Prinz Aiven zuvor gekommen.“ „Dem Ihr Eure Wiederbelebung verdankt, vergesst das nicht. Außerdem geht Euch das überhaupt nichts an.“ zischt sie gereizt. Seine Eifersucht hätte er wohl lieber für sich behalten sollen. So ausgelassen er die Stimmung auch empfand, so schnell ist sie wieder unterkühlt. Er hätte sich nicht so weit nach vorn wagen dürfen. „Verzeiht das Übertreten meiner Befugnisse. Ich bin nicht in der Position über Euch zu richten.“ „So ist es, das seid ihr nicht. Jetzt lasst mich bitte allein, denn ich möchte ebenfalls duschen. Nehmt das Siegel mit, damit ich zurück finde!“ befiehlt sie. Er lässt sie jetzt lieber in Ruhe, damit sie über alles nachsinnen kann. Seine Chancen bei ihr sind sicherlich angestiegen, aber der große Erfolg ist ausgeblieben. Mehr war wahrscheinlich nicht zu erwarten. Mit gemischten Gefühlen verlässt er sie. Am nächsten Tag kehrt er verschlossen und nachdenklich von seiner letzten Tour zurück. Er behält sein siegelbesetztes Hemd an und bittet seine Prinzessin neben sich auf dem Sessel im, von Kerzen erhellten Kaminzimmer Platz zu nehmen. Leiser als sonst sagt er zu ihr: „Ich halte mein Wort. Ich bin bereit Euch gehen zu lassen, liebste Prinzessin Siva.“ Ein erleichtertes Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus, als sie sich vorstellt endlich aus diesen fürchterlich dunklen Katakomben heraus zu kommen. Sie freut sich wieder an die Sonne gehen zu dürfen, ihren Vater und Aiven wieder sehen zu können. Der Gedanke an ihren Freund lässt sie jedoch unerwartet melancholisch werden. Was wird er über sie denken, wenn sie so lange mit einem anderen Mann allein war? Auch wenn sich Ramon einigermaßen anständig verhalten und sie ihren Prinzen auch nicht hintergangen hat, so haben Sivas nächtliche Träume einige Male merkwürdige Spielchen mit ihr getrieben, an denen ihr Entführer nicht mit seinen mentalen Fähigkeiten schuld gewesen sein kann. Besonders letzte Nacht war es schlimm. Was-wäre-wenn Gedanken haben sie nicht los gelassen. Der mächtige Mana-i Ramon ist es, nach dem es ihrem Körper verlangt. Ihr Instinkt hält diesen Mann für den geeignetsten Partner. Das fühlte sie aber schon als Ramon dem Grabe entstieg und das hat sie nicht ins Wanken gebracht, bis jetzt jedenfalls. Aiven zu hintergehen ist und bleibt jedenfalls trotzdem keine ihrer Optionen. Sie setzt sich, immer noch lächelnd, in den Sessel. Der gefallene Kalaßer König hatte erwartet, dass sie sich freuen wird, doch trotzdem kränkt es ihn nun, wo er es erlebt. Er hatte gehofft, dass sie ihn statt dessen jetzt zu ihrem Mann erwählt. Dieser hier, wäre der geeignete Zeitpunkt dafür gewesen. Vielleicht hat sie seine Anwesenheit ja doch nur ertragen, weil sie es musste. Die Zeit des Abschieds wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch seinen Tod besiegeln. Selbst wenn er inzwischen eine vage Vermutung hat wo sich die verschollenen Mana-i aufhalten könnten, so wird er diese ohne Siva nicht rechtzeitig finden. Er hat Angst davor ein weiteres Mal zu sterben, gerade jetzt wo er dem Verständnis dafür was Glück bedeuten könne, eines der Mysterien seines früheren Lebens, zum Greifen nahe gekommen ist. Die Sache, die er herausgefunden hat, erschüttert ihn jedoch fast noch mehr als das und das mag schon etwas heißen. Verzweifelt hält er in sich zusammen gesunken die Hände vor sein Gesicht, aber auch wenn es ihm noch so schwer fällt, er muss es der rechtmäßigen Thronfolgerin erzählen, denn sie hat ein Anrecht dazu. Er nimmt seine Hände wieder herunter, bleibt aber in sich gesunken. „Prinzessin Siva, wisst Ihr wer Euren Vater großgezogen hat?“ „Ja, seine Großmutter. Sie war auch eine Mana-i.“ antwortet sie, überzeugt davon die Wahrheit zu kennen. Er schüttelt den Kopf. „Amrea war nicht seine Großmutter, sondern seine Ahnin. Tatsächlich war sie die Gattin meines unnützen erstgeborenen Sohnes.“ Sich nicht über den Verwandtschaftsgrad wundernd fragt sie sich erinnernd: „Warum sprecht ihr so abwertend über Eure Familie? Hat Eure unzufriedene Gattin Madlene sie gegen Euch aufgehetzt?“ „Das tut hier nichts zu Sache. Interessant ist die unverzeihliche Tat Amreas.“ antwortet er abschätzig, bevor er weiter ausführt: „Sie war besessen von der Macht des Ersten Königs und studierte seine Geschichte bis ins kleinste Detail.“ Ramon holt tief Luft, steht auf und reicht seiner Liebsten entschlossen die Hand. „Prinzessin Siva, ich begleite Euch hinaus aus diesen dunklen Katakomben. Ich möchte Euch den Rest der Geschichte an einem anderen Ort erzählen.“ Das lässt sie sich nicht zweimal sagen und springt von ihrem Sessel auf. Sie ergreift seine Hand und er zieht die junge Prinzessin forsch an sich heran. Dann nimmt er sie auf beide Arme und kommentiert: „Verzeiht, aber so geht es schneller.“ Bevor er den Weg in die dunklen Gänge einschlägt, macht er einen Abstecher in ihr Zimmer. Die alles entscheidende Frage ist noch nicht beantwortet, die seine Entscheidung für seinen nächsten Schritt beeinflusst. Sie kommt ihm nur schwer über die Lippen. „Prinzessin, wisst Ihr nun was Ihr tun wollt? Sagt, würdet Ihr mich begleiten zur Insel Ialana? Ich habe die Vermutung, dass dort...“ Er schwenkt zurück. „Nein, es ist unwichtig. Vergesst was ich gesagt habe.“ Siva ist verwirrter denn je. Eine abschließende Entscheidung konnte sie in der Kürze der Zeit noch nicht treffen, doch sie runzelt die Stirn aus einem anderen Grund. Die Insel von der er sprach, liegt direkt vor Kalaß, aber sie ist unbetretbar. Vollständig von Klippen und gefährlichen Strömungen umgeben, soll noch kein Mensch einen Fuß auf sie gesetzt haben. Unmengen von Schiffen sind bereits an den Steilküsten der Insel zerschellt und haben unzählige Leben gefordert. Ramon resigniert. Hätte Siva sich bereits für ihn entschieden, so wüsste er es. Da er vermutet, dass sie sich für ein Leben auf dem Festland mit dem ihr versprochenen Prinzen entscheiden wird, nimmt der Gefallene das Windsiegel an sich, welches er an seiner Brust anbringt. Das überrascht die junge Frau nun noch mehr, als seine Frage nach einer Flucht auf eine unbelebte Insel. „Ramon, so wird mein Vater uns sofort finden.“ „Das weiß ich.“ antwortet er gelassen, bevor er mit ihr in der Dunkelheit des Gängelabyrinths verschwindet. Die Prinzessin auf den Armen tragend, verlässt der gefallene König die Tunnel nach einiger Zeit, weit außerhalb der Stadtmauern von Kalaß. So weit hinaus hat es Siva bei ihren Erkundungstouren nie geschafft. Sie hielt es auch nicht für notwendig, denn es musste nach ihrer Vorstellung schließlich auch Ausgänge innerhalb der Stadt geben. Das Ende dieses Ganges sieht für sie aus wie eine der vielen Sackgassen, die sie überall im Labyrinth verstreut gefunden hat. Anscheinend lassen sie sich alle nur mit Hilfe der Macht der Siegel öffnen. Ramon musste nur seine Hand auflegen und Druck darauf geben, damit sie vor ihm nachgab. Dazu musste er die junge Frau noch nicht einmal absetzen. Sie selbst hatte Stunden damit zugebracht solche Wände von oben bis unten abzusuchen, doch sie bleib stets erfolglos. Von außen bemerkt sie, dass dieser Ausgang anscheinend erst vor kurzem benutzt wurde, denn er ist von erdigen Graskanten gesäumt. Offensichtlich war er vollständig mit Erde bedeckt. Als Ramon hinaustritt, wird Siva vom roten Licht der Morgensonne geblendet. Die Augen nach der langen Dunkelheit noch immer zukneifend, spürt sie wie ihre Haut von einer laue Brise gestreichelt wird, welche über die großen weiten Wiesen weht, auf denen sie sich jetzt befinden. Am liebsten würde sie erst einmal die Sonne genießen, doch sie hat keine Zeit entspannt durchzuatmen, denn Ramon setzt sich wieder schnellen, schwebenden Schrittes in Bewegung. Sie kann es nicht ausstehen von ihm getragen zu werden, denn es fühlt sich für sie an als sei sie vollkommen nutzlos. Sie tröstet sich damit, dass sie Ramons Bevormundung bald los sein wird. Lange muss sie es nicht mehr ertragen, denn wenn er sein Wort hält, wird er ihr heute noch die Freiheit schenken. Höchstens eine Stunde läuft er über Wiesen und Felder, bis sie an einem grünen Hügel ankommen, an dem er sie behutsam absetzt. Endlich kann die Prinzessin richtig tief Luft holen und den feien Himmel über sich genießen. Noch niemals ist ihr die Natur so wunderschön vorgekommen wie gerade eben. Unmengen wunderschöner Wildblumen wachsen an diesem Ort und die Bienen summen laut. Ernst richtet der gefallene König das Wort an die, von der Natur betörte Prinzessin und macht eine ausladende Armbewegung in Richtung des Erdwalls: „Wisst Ihr wo Ihr seid, Prinzessin? Das hier ist das Hügelgrab des Ersten Königs, dem Halbgott und Urahn aller Mana-i, Torani-Colian.“ Siva lässt ihren Blick schweifen, kann aber nichts ungewöhnliches an der Erhebung vor ihr entdecken. „Spürt Ihr etwas?“ fragt er geduldig. Sie schließt die Augen und schüttelt den Kopf. „Außer dem Windsiegel, das Ihr an Euch tragt, nichts. Sollte ich?“ „Zu meinen Lebzeiten war die göttliche Aura des Halbgottes in der ganzen Gegend deutlich spürbar.“ erläutert er und setzt seine vorhin begonnene Geschichte wie versprochen fort: „Sechstausend Jahre ist seine Geburt nun her und dreitausend sein Tod. Doch der Erste König könnte heute noch unter uns weilen, wisst Ihr. Alle wahrlich unsterblichen Uralten entschieden sich einer nach dem anderen die irdische Welt freiwillig zu verlassen, so auch er. Nach dem Tod seiner geliebten menschlichen Frau, die er mit der Gunst seines Vaters, dem Gott Fuathel, unnatürlich lange leben ließ, beschloss er ihr zu folgen. Mein Vater war auch ein Uralter, der sich Jahrtausende später mit der ersten Tochter unseres Volkes verband. Bis zu meiner Hinrichtung war ich der letzte von uns, der wahrhaftige Unsterblichkeit besaß, ohne sich mit einem zweiten Mana-i ständig gegenseitig erneuern zu müssen. Anders als ich, verbot der Erste König seine Wiedererweckung. Zur Sicherheit verunreinigte er seinen Körper so stark, dass es ohnehin nicht mehr möglich gewesen wäre, ihn zurück zu holen, wie Ihr es bei mir tatet, Prinzessin. Sein ebenfalls unsterblicher Geist allerdings, verließ seinen zerstörten Körper nicht und band sich an diesen Ort. Das Volk der Gotteskinder, wie wir uns damals nannten, verehrte diese Gegend und sie wurde zu einer heiligen Pilgerstätte. Niemals wäre jemand auf die Idee gekommen Torani-Colians Gesetze zu verletzen und sein Andenken zu entehren. Doch wie Ihr nun selbst feststellt, Prinzessin, ist seine erhabene Aura von diesem Ort verschwunden.“ Wenig wirklich Gehaltvolles hat Ramon ihr in den letzen Wochen erzählt und nun überhäuft er sie mit neuen Details zur Geschichte und Natur der Mana-i. Sie ist seinen Worten aufmerksam gefolgt und schließt daraus, dass der Urahn diesen Ort verlassen haben muss. Was ihr nicht klar wird ist, warum es ihm so wichtig ist, dass sie den Verlust dieser heiligen Stätte unter so großer Gefahr für ihn, selbst spüren sollte. „Worauf wollt Ihr hinaus, Ramon?“ „Zeitlebens suchte Amrea nach einer Möglichkeit unseren Urahn wiederzubeleben, um das alte Weltreich Kalaß wieder auferstehen zu lassen. Sie hielt mich zunächst für seine Reinkarnation, doch als ich gegen Nienna verlor, revidierte sie ihre Meinung. Ich scheiterte zwar, doch sie hatte Erfolg, denn sie--“ „RAMON!“ wird der gefallene König von einem weit entfernten, sehr kraftvollen Ruf unterbrochen. Erschrocken drehen sich er und die junge Prinzessin um und erblicken zwei eilig auf Pferden heran galoppierende junge Männer. Es sind König Nico und Prinz Aiven, die so schnell es ging dem Windsiegel gefolgt sind. Sie nähern sich eilig. Nico springt geschickt von seinem Hengst ab und landet genau zwischen Siva und ihrem Entführer. Der König stellt sich schützend vor seine Tochter, zieht sein kunstvoll gearbeitetes Schwert und bedroht den gefallenen König damit, der kaum eine Reaktion zu zeigen scheint. „Wie geht es Eurer Wunde, Majestät?“ fragt Ramon spöttisch, was den aufgebrachten Nico ziemlich aus der Fassung bringt. Der Entführer seiner Tochter scheint ihn gar nicht ernst zu nehmen, was ihn nun noch mehr verärgert. „Willst du dein Schwert nicht ziehen, Ramon?“ „Das ist nicht notwendig. In Eurem jetzigen Zustand könnt Ihr mich nicht verletzen, Euer Gnaden.“ antwortet dieser, während er ironisch ehrerbietend nickt. Der junge Prinz rennt unterdessen zu seiner Liebsten, die er ein Stück vom Geschehen entfernt. Überraschenderweise beeindruckt sie Ramons Standhaftigkeit und es gefiel ihr die Auseinandersetzung aus dieser Nähe zu verfolgen. Aivens innige Umarmung reißt sie aus ihrer bewundernden Starre. Endlich sinkt sie erleichtert an seinen warmen Körper. „Gott sei Dank geht es dir gut, Siva.“ flüstert er aufgelöst und ergänzt: „Es tut mir so leid. Gegen diesen Übermenschen kann ich überhaupt nichts ausrichten. Oh Siva, wir haben dich überall gesucht, aber--“ „Ich weiß“ haucht sie, was ihn dazu bewegt sie noch fester an sich zu drücken. Er kann sein Glück kaum fassen seine Geliebte wieder in Armen zu halten. Nun muss Nico nur noch den Eindringling verbannen. Die beiden Königskinder wenden sich wieder den kämpfenden Königen zu, als Ramon versucht den bestehenden Pattzustand aufzulösen. „Kommt Euch dieser Ort bekannt vor?“ „Wieso bist du so stark?“ ignoriert Nico die Frage angespannt, während seine Augen kurz violett aufleuten. Er schafft es nicht sein Schwert gegen seinen Feind zu erheben. Das lange Bangen um seine Tochter und seine Bauchverletzung haben ihn geschwächt, wohingegen sein Gegner noch deutlich an Stärke gewonnen zu haben scheint. Ramons Augen glühen türkis auf und er lächelt zynisch, denn nur zu gern beantwortet er diese Frage: „Eure verehrte Tochter hat mir sehr viel von ihrer Kraft geliehen.“ Nico und Aiven wenden ihre Blicke geschockt der Prinzessin zu, welchen sie angestrengt ausweicht. Besonders Aiven macht diese Reaktion fassungslos. Er kennt sie gut genug. Hätte dieser widerliche Ramon gelogen, so hätte sie alles lautstark abgestritten. Sie hätte schreiend und keifend verkündet, dass ihr Mentor sie dazu gezwungen habe, aber all das tut sie nicht. Um genau zu sein erkennt er sie überhaupt nicht wieder. Seit wann weicht sie einer Konfrontation aus? Der Prinz lässt seine Liebste los und erkundigt sich verunsichert: „Was hat er dir angetan?“ Bevor sich Ramon einmischen kann, antwortet sie befürchtend, dass ihr Freund sie dafür verurteilen wird: „Er hat recht viel von meinem Blut getrunken und das hat ihn immer stärker gemacht. Ich konnte es nicht verhindern, Aiven.“ Er schließt sie erleichtert wieder in die Arme. „Schon ok, Siva. Das ist ok.“ Ramon befeuchtet darauf begierig seine Lippen, weshalb Nico gleich vor Wut ausrastet. Das schwächt ihn allerdings nicht noch weiter, sondern macht ihn stärker. Der gefallene König von Kalaß muss aufpassen, dass sich der neue König nicht aus seiner Starre lösen kann. Ramon muss schließlich noch seine Theorie überprüfen, bevor er dies hier zu Ende bringt. „Eure Majestät, hört jetzt auf mir auszuweichen. Beantwortet meine Fragen und ich verspreche, ich werde gehen und nicht mehr zurück kehren. Kennt Ihr diesen Ort nun, oder nicht?“ Nico hat die Frage vorhin nicht ohne Grund übergangen, denn über diesen Ort nachzudenken, ließ sich sein Inneres verkrampfen. Es ist, als sei da etwas tief in seiner Seele, das nicht ans Licht des Tages gelangen soll. „Hör auf das zu fragen!“ brüllt er wieder mit einem Leuchten in den Augen. Ramon lächelt erhaben. Seine ganze Gestalt scheint inzwischen in türkisen Flammen zu erleuchten. Erst jetzt zieht er sein Schwert. „Wenn Ihr mir nicht antworten wollt, bin ich so frei Eure Seele erneut an diesem heiligen Ort zu binden, erhabener König.“ Ramon holt aus. Völlig bewegungsunfähig kann Nico nur zuschauen wie Ramons Macht sich immer bedrohlicher über ihn erhebt. Sein Bewusstsein scheint ihm langsam zu entschwinden und das entfernte Flehen seiner Tochter um Gnade, nimmt er kaum noch wahr. Wie in Zeitlupe kommt Ramons blaugrün lodernder tödlicher Hieb auf ihn zu geflogen. Nico presst, geschockt über sein Versagen, die Augen zusammen, denn er weiß, das hier ist sein letzter Atemzug. Diesen Schlag kann er nicht überleben, doch ganz kurz bevor die Klinge auf seinen Körper trifft, stoppt sie plötzlich vor ihm. Als er die Augen wieder öffnet, findet er sich auf einer völlig menschenleeren Wiese wieder. Siva und Aiven sind verschwunden und vor ihm steht auch nicht sein Mörder Ramon, sondern ein elegant, aber altertümlich gekleideter Mann, mit gesenktem Kopf, den er nun langsam beginnt diesen zu erheben. Je höher er ihn nimmt, desto stärker scheint Nicos Körper von innen heraus zu verbrennen. Sich unter gigantischen Schmerzen selbst umklammernd, hat er Mühe stehen zu bleiben. Die Gestalt richtet das Wort mit einer Stimme an den leidenden König, die klingt als sei sie sehr weit von ihm entfernt und trotzdem in seinem Kopf widerhallt: „Es reicht, Nico. Wir beide müssen uns der Realität stellen. Hör jetzt auf dich gegen mich zu wehren, dann tut es auch nicht mehr so weh.“ „Aber das wolltest du doch um jeden Preis vermeiden. Ich schütze dich bis in den Tod! Du musst das alles nicht noch einmal durchleben. Stirb mit mir! Hier und jetzt! Ich bin bereit dafür.“ keucht der sich mit letzter Kraft auf den Beinen haltende Nico, woraufhin er Antwort erhält: „Ich habe es gesehen, dieses Leben. Dein Leben als König Nico und es ist wunderbar. Das werde ich auf keinen Fall aufgeben. Bitte, lass mich aus freien Stücken heraus. Wenn ich dich dazu zwingen muss, lösche ich dich vielleicht versehentlich aus und das möchte ich nicht.“ „Du bist so ein verdammter Sturkopf, Tora.“ Schreit Nico, der die Blockade loslässt. Augenblicklich enden seine Schmerzen und der Mann vor ihm erhebt seinen Kopf vollständig. Gütig und entschlossen blickt er mit violett leuchtenden Augen zu seinem jüngeren Ich. Die beiden gleichen sich aufs Haar, nehmen den gleichen Gesichtsausdruck an und werden eins. Vereint schließen sie die Augen und als Nico sie sie erneut öffnet, findet er sich auf der spätsommerlichen Wiese wieder. Ramons Schwert ist im Begriff auf ihn zu zufliegen. Hart landet es auf seiner Brust und zerspringt in tausend kleine, wunderschön in der Sonne glänzende Teile. Nico erhebt sich violett leuchtend vor Ramon, der kein überraschtes Gesicht macht, sondern fast euphorisch ruft: „Es ist also wahr. Ihr seid es, erhabener König Torani-Colian.“ Der gefallene Ewige König geht unfreiwillig vor dem auferstandenen Ersten König auf die Knie. Seine Macht ist so überwältigend, dass selbst Siva und Aiven Schwierigkeiten haben sich auf den Beinen zu halten, obwohl sie ein ganzes Stück weit entfernt von ihm stehen. Zwischen den beiden Königen scheinen ganze Universen zu liegen. Ein Mann mit göttlichem Funken kniet einem wahrhaftigen Halbgott gegenüber. Ramons Kampfgeist verschwindet augenblicklich aus seinem Körper. Wie der Erste König selbst hatte er sich gefühlt, als er wie ein Racheengel über die Schlachtfelder zog, doch nun wird ihm klar, dass diese Macht nichts mit dem Wesen der Götter gemein hat. Warum hat Fuathel ihm dieses Wissen seinerzeit verwehrt? Warum verbarg er all seine Göttlichkeit vor ihm? Wie könnte er diesem Wesen, das ihm nun gegenüber steht, jemals ebenbürtig sein? Er erkennt die Nichtigkeit seiner Existenz und begreift, dass Siva einen so erbärmlichen, sich an sein elendes Leben krallenden, degenerierten Mana-i niemals lieben können wird. Auch die Insel Ialana hält er nur noch für eine Illusion. Verzweifelnd fleht er den wahrhaftigen Ersten König an: „Führt mich meiner gerechten Strafe zu, Gottkönig! Von Euch will ich sie gern empfangen. Ich war so töricht zu glauben ich wäre so erhaben wie Ihr. Wie falsch ich doch lag.“ Fuathels auferstandener Sohn ist Ramon Mental so stark überlegen, dass er einen Kampf gewinnt, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen. Nach einiger Zeit der Stille richtet der Gottgleiche endlich das Wort an den untoten König, doch es ist vollkommen anders als dieser es sich vorgestellt hatte. „Schön zu hören, dass du es einsiehst, Ramon. Nur zu gern gewähre ich dir, nach deinen vielen Sünden, die Gnade eines schnellen Todes.“ Immer noch am Boden kniend, brüllt dieser verzweifelt: „Lasst mich mit dem Gottkönig sprechen, Nico!“ „Das tust du bereits. Tora hat meiner Persönlichkeit den Vortritt gewährt. Nimm mit mir vorlieb und stirb!“ Der Rosheanische König ist noch immer Herr seiner Sinne und nun hat er Zugriff zu unglaublichem Wissen und einer Macht, die bisher tief in ihm versiegelt war. „Verabschiede dich von der Welt, gefallener König Ramon, denn wenn ich dich jetzt töte, kannst du nie wieder neu erstehen.“ Der Halbgott holt zum Schlag aus. Sivas Herz droht stehen zu bleiben. Was macht ihr sonst so erhabener Mentor denn da? Er verhält sich in ihren Augen wie ein Idiot. Er versucht nicht einmal zu fliehen und bittet förmlich um seine Vernichtung. Mit aller Kraft kämpft sie gegen die auf sie einströmende Macht an, die von diesem unglaublichen Wesen in Gestalt ihres Vaters ausgeht. Schließlich hat sie Erfolg und erlang ihre Bewegungsfähigkeit zurück. So schnell sie kann, läuft sie auf die beiden Könige zu. Aiven hat keine Möglichkeit sie aufzuhalten. Er wird nicht von Nicos mentaler Macht gefesselt, sondern von einem von ihm ausgehenden Sturm zu Boden gedrückt. Die Prinzessin wirft sich zwischen die Klinge und ihren Entführer, was Nico unmittelbar zum Abbruch seines Schlages bewegt. Verständnislos brüllt er befehligend: „Hör auf ihn zu schützen, Siva! Es ist sein eigener Wille gerichtet zu werden.“ Entschlossen sieht sie zu ihrem mächtigen Vater auf, der nicht versteht warum sie das gerade getan hat. Gebeugt unter ihr, beginnt Ramon verzweifelt leise zu lachen. „Ihr solltet tun was er sagt, liebste Prinzessin. Ich bin Eurer Gnade nicht würdig und ein schneller Tod ist allenfalls besser, als das langsame Dahinsiechen, welches mir ohne Euch bevorsteht.“ „Nimm die Waffe herunter, Vater! Ich ersuche dich.“ fleht sie, Ramons Aussage ignorierend. Einmal tief durchatmend erfüllt Nico den Wunsch seiner geliebten Tochter, auch wenn er nicht weiß warum sie es wünscht. Er senkt sein Schwert und zügelt seine Aura. Nun ist er auf den ersten Blick wieder mit dem Mann vergleichbar, als der er hergekommen ist. Doch der Halbgott ist in ihm erwacht und das Wissen, auf das er nun vollständig zugreifen kann, ändert sein Weltverständnis. Er ist noch er selbst, doch ist er ebenso der Sohn Fuathels, der Erste König Tora, mit all seinen glücklichen und schmerzlichen Erinnerungen. Alle Anwesenden sind wieder fähig frei durchzuatmen. Der junge Prinz Aiven, der bisher zum Zusehen verdammt war, läuft nun auch zum Ort des Geschehens. Er versucht zu erfassen was hier gerade passiert ist. Nico scheint magische Kräfte zu haben und seine Freundin Siva hat ihren eigenen Entführer vor dem Tod gerettet. Er will zu ihr gehen, ihr aufhelfen und sie vom untoten König trennen, doch sie hebt die Hand in seine Richtung, um ihm Einhalt zu gebieten. Die junge Frau steht allein auf und reicht Ramon nun die Hand. Den Kopf gesenkt schüttelnd, ergreift er sie, richtet sich auf und flüstert: „Versteht Ihr mich denn nicht, Prinzessin? Ein schneller Tod bedeutet die endgültige Erlösung für mich und mein unwürdiges Leben.“ Traurig zu Boden blickend lehnt sie sich an seine Brust. Der überraschte gefallene König weiß nicht, ob er seine Geliebte nun umarmen darf, oder ob er damit unnötig den Zorn der anderen beiden Männer auf sich ziehen wird. Er entscheidet sich dazu es zu unterlassen. „Ich will nicht, dass Ihr sterbt.“ haucht sie leidend und fügt hinzu: „Lieber bleibe ich für immer bei Euch.“ Alle drei Männer glauben ihren Ohren nicht trauen zu können, als sie ihre Wort hören. Am schlimmsten trifft es den jungen Prinzen, der perplex kein Wort mehr heraus bekommt. Gestern hätte Nico wohl noch anders reagiert, doch mit all seiner neuen Lebenserfahrung, entscheidet er sich dazu sich herauszuhalten. Nur zur Not wird er eingreifen. Verunsichert blickt Ramon zu der jungen Frau, deren Herz er in letzter Minute wohl doch noch für sich gewinnen konnte, oder gibt es noch eine andere Erklärung für ihr Handeln? Hat sie Verständnis für seine Situation entwickelt? Sollte sie so etwas ähnliches wie Mitleid für ihn empfinden, dann beleidigt ihn das jedenfalls zutiefst. „Ist das Altruismus, Prinzessin? Den will ich nicht von Euch. Lieber sterbe ich, als täglich Eure Gunst zu erflehen.“ Nun meldet sich auch Aiven zu Wort. Er zittert am ganzen Körper. In einem Ton zwischen wütend und verzweifelnd schwankend, raunt er: „Da hat der Untote ausnahmsweise mal recht, Siva. Wieso sagst du denn so etwas grausames? Ich dachte wir beide...wir beide würden zusammen gehören.“ Sie dreht sich zu ihrem Prinzen und sieht ihm tief in die Augen. Es fällt ihr unglaublich schwer das Folgende auszusprechen: „Aiven, bitte versteh das nicht falsch. Es war eine schöne Zeit mit dir, die ich sehr genossen habe, doch das ändert nichts. Nichts kann die Zeit zurück drehen. Es ist zu viel passiert und ich habe mich entschlossen. Aiven, das mit uns…ist vorbei.“ Große Tränen laufen über die Wangen des jungen Prinzen, als er das hört. Nun völlig verzweifelt brüllt er: „Ramon, du verdammtes Schwein, was hast du mit ihr gemacht?... Was hast du mit ihr...nur...“ Aiven senkt seinen Kopf und wischt sich die Tränen aus seinen Augen. Dann schuppst er Siva zu Seite und geht auf den selbst überraschten gefallenen König los. Der junge Mann holt zum Schlag aus, dem Ramon nicht einmal versucht auszuweichen oder sich zu wehren. Des Prinzen Faust landet hart im Gesicht seines Rivalen, dem kurz darauf etwas Blut aus dem Mundwinkel läuft. Der harte Schlag mag heftig und gut gezielt gewesen sein, doch Aivens Stimme wird zunehmend zittriger. „Hast du sie mit deinem Gedankenzauber verhext? Von Anfang an hattest es auf sie abgesehen. Gib sie mir zurück!“ Er will noch einmal ausholen, doch diesmal hält der kampferfahrene Mann Aivens Faust auf. Erneut schreit der Prinz verzweifelt: „Gib sie mir zurück!“ Ramon zeigt großes Verständnis für den jungen Mann und bleibt ruhig. „Ich verstehe Eure Trauer und Eure Wut, Prinz. Ich bin selbst überrascht über die Entscheidung der Prinzessin. Ich weiß Ihr liebt sie, aber wisst Ihr, ich tue es auch.“ Aiven lässt von ihm ab und wendet sich seiner verlorenen Liebe zu: „Wieso, Siva? Was ist so falsch an mir?“ Er ist ihr so nah und doch so unerreichbar fern. Ihr Verrat ist für ihn wahrscheinlich unverzeihlich, doch sie ist sich jetzt völlig sicher. Die Konfrontation mit Ramons Tod hat es ihr vor Augen geführt. „An dir ist gar nichts falsch, Aiven und ich bin auch nicht altruistisch. Ganz im Gegenteil, denn diese Art von Gefühl ist jenen wie mir völlig fremd, was Ramon auch eigentlich wissen sollte. Ich bin eine überhebliche und selbstsüchtige, unsterbliche Mana-i, die sich nach Meinesgleichen verzehrt und du, Aiven bist ein normaler, aber wunderbar herzlicher und mitfühlender Mensch. Wir passen einfach nicht zusammen. Du wirst in einigen Jahrzehnten sterben und wenn ich nicht bei Ramon bleibe, dann wird er das in kurzer Zeit auch und weißt du, dann wäre ich völlig allein auf dieser Welt.“ Noch immer weinend, fragt er verständnislos: „Kannst du mich nicht zu einem von euch machen? Dann könnten wir für immer zusammen sein.“ Sie lächelt ihren Prinzen an, der zu einem wichtigen Menschen in ihrem Leben geworden ist und antwortet weich: „Ich glaube nicht, dass das möglich ist und es wäre auch nicht richtig. Es hat keinen Sinn. Unsere Beziehung war schon immer ungleich. Sieh das endlich ein. Die Zeit mit dir war schön, doch sie ist vorüber. Wenn es dir dabei hilft es zu verkraften, dann hasse mich für meine Entscheidung.“ Immer noch kann Aiven ihr Urteil nicht akzeptieren und schreit sie an: „Du liebst ihn doch gar nicht und gehst trotzdem mit ihm? Er ist ein Untoter und ein verdammter Mörder! Das kann nicht dein Ernst sein.“ Sie lächelt zärtlich und antwortet: „Ich glaube du schätzt mich falsch ein. Ich bin eine Mana-i und ich bin grausam, vergiss das niemals. Ich wäre selbst eine Mörderin, hätte Vater mir eine andere Schwertkunst beigebracht. Ich kenne keine Gnade für meine Feinde. Du kennst mein Herz nicht, Aiven, aber Ramon kennt es. Er weiß um den Kampf, der immerzu in uns allen wütet. Ich gehöre zu ihm, nicht zu dir. Das war schon immer so. Ich musste es mir nur eingestehen und jetzt wo ich das alles weiß, kann ich nicht mehr zu dir zurück. Dein Gesicht zeigt mir, dass du noch Hoffnung hegt, doch die werde ich dir nun nehmen. Eigentlich wollte ich dir diesen Anblick ersparen, aber ich muss es dir vor Augen führen. Auf das sich dieses Bild für immer in deinem Gedächtnis einbrennen möge, um mich endlich hassen zu können.“ Sie weiß, dass er sich erholen wird. Mag sein, dass sie seine erste große Liebe war, aber er ist ein hübscher und kluger junger Mann. Es wird eine Frau kommen, die seine Wunden heilen kann, da ist sie sich ganz sicher. Aus reiner Loyalität bei ihm zu bleiben, hält sie jedenfalls für den falschen Weg. Sie ist auf einmal ganz klar im Kopf und zweifelt nicht an ihrer Entscheidung. Der abtrünnige Weg ist ihr vorbestimmt. Anmutig geht sie nah an ihren immer noch fassungslosen, aber glücklichen gefallenen König heran und sieht traurig, aber auch erregt zu ihm hinauf. Er ist den Tränen nahe. Wer hätte so viel Emotion in diesem berechnenden Mann erwartet? Sie richtet sich auf, um ihn zärtlich zum allerersten Mal zu küssen. Durch Aivens Schlag, hat er noch immer etwas Blut im Mund, das nun in ihren gelangt. Eine Woge von Verlangen nach mehr erfasst die junge Frau. Einmal von seiner Macht gekostet, wird sie sich für immer nach ihm verzehren. Wie eine Droge beflügelt es ihr Inneres, lässt sie schweben. Wie final sie ihre Entscheidung für Ramon damit macht, war ihr vor dem Kuss nicht bewusst. Sie denkt darüber nach wie intensiv sich ihr Mentor wohl jeden Tag beherrschen musste, um nicht handgreiflich zu werden. Wie einfach wäre es gewesen sie für sich zu gewinnen, wenn er sie gezwungen hätte sein Blut zu kosten. Sie dichtet ihm Anstand an und bewundert seine psychische Belastbarkeit, was sie ihn nur noch mehr verehren lässt. Natürlich ist dieser Mann jedoch viel zu gerissen, um ihrem Ideal zu entsprechen. Selbstverständlich hat er ihr all die Wochen über kleine Mengen Blut in ihre Getränke geträufelt, um sie schleichend von sich abhängig zu machen. Dumm wäre er gewesen diese Chance nicht zu nutzen. Immerhin hat er ihre körperliche Integrität respektiert, wenn er sich auch über viele entgegengesetzte innere Impulse hinweg setzen musste. Mit Mühe löst sie sich von den weichen Lippen ihres erhabenen Mentors. Siva genießt diesen Moment der Macht, auch wenn sie spürt, dass sie ihm selbst jetzt nicht ebenbürtig ist. Doch ihre Macht wird über die Jahre weiter anwachsen, das spürt sie und sie wird ihn überflügeln. Aiven bricht vor ihren Augen zusammen und haucht tränenüberströmt und um Atem ringend. „Wie sollte ich dich jemals hassen, meine kleine Kratzbürste...?“ Worauf sie sanft: „Lebe wohl, Aiven.“ entgegnet, denn sie wird ihn nie wieder sehen. Daraufhin schreitet sie zu ihrem Vater, der nur stiller Beobachter war. Sein eigener Plan, sie an den Prinzen zu binden, ist gescheitert. Dass er selbst die Verantwortung dafür trägt, dass er selbst seine Tochter in die Arme des gefallenen Königs getrieben hat, wird im nun klar. Tora hilft ihm dabei seinen Fehler einzugestehen. Er hat versucht den Wind zu kontrollieren und das ist unmöglich. Eine zarte Sommerbriese umweht Vater und Tochter, als sie sich umarmen. Sanft streichelt er ihr durch ihr glänzendes, langes Haar und liest, ohne schlechten Gewissens, in ihren Gedanken, dass sie ihn nun verlassen wird. Vielleicht nicht für immer, aber für eine sehr lange Zeit, selbst für ihn. Auch ihm laufen nun Tränen des Abschieds über die Wangen. Unendlich traurig, aber fest entschlossen, macht sich Prinzessin Siva von Roshea, Tochter eines Halbgottes gemeinsam mit dem gefallenen, wiederbelebten Ewigen König Ramon von Kalaß auf den Weg zur unerkundeten Insel Ialana. Nico und Aiven bleibt nichts anderes übrig, als ihnen nachzuschauen, wie sie hinter den blühenden Hügeln der heiligen Stätte verschwinden. Epilog: -------- Das heranwachsende Kind stellte sich als klüger, geschickter und stärker heraus, als jedes andere, das Amrea in ihrem langen Leben je zu Gesicht bekommen hat. Zu ihrer Erleichterung wies es jedoch keine Anzeichen für Erinnerungen an sein früheres Leben auf. Um nicht immerzu an den Mord an seinen wahren Eltern und der wahren Seele dieses Kindes erinnert zu werden, veranlasste sie eine Namensänderung in seiner Geburtsurkunde. Acht Jahre ist der hübsche kleine Nico nun alt, der oft für ein Mädchen gehalten wird, was ihm gar nicht gefällt. Hätte er sich irgendwann daran erinnert, dass er einst Torani-Colian war, so hätte er sie wohl schon längst für dieses Sakrileg getötet. Alt und stark genug ist er inzwischen dafür. Während die Jahre verstrichen, wurde die partnerlose Mana-i immer schwächer, doch kein einziges Mal brachte sie es übers Herz von seinem Blut zu trinken. Dabei hatte sie ihre Ziele vor seiner Wiederbelebung so klar vor Augen. Der Erste König sollte sie von ihrem Alter heilen, sie wieder jung und schön machen, um sie, die letzte Mana-i in ganz Kalaß, zum Weib zu nehmen. Es war schließlich keiner mehr da, der über sie richten konnte. Noch nie hatte sie vom Blut eines Mana-i getrunken, denn dies war nicht nur verpönt unter ihnen, sondern auch geächtet und stand unter einer schweren Strafe, die weit härter war als ein Mord. Zumindest solange wie es sich um Mord an einem einfachen Menschen handelte. Gerade weil umhin bekannt war, dass durch den Verzehr schnell an Macht gewonnen werden kann, stellte es einen der größten Frevel dar. Doch obwohl Amrea mit der Wiederbelebung ihres Urvaters den allergrößten Verrät an ihrem Volk schon begangen hatte, sah sie davon ab ihn noch weiter für ihre Zwecke zu missbrauchen. Sie liebte das Kind vom ersten Moment an, zog es auf wie ihren echten Sohn und nutze jedes Mittel, um ihm ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Sich dessen bewusst, was sie ihrem Ersten König angetan hatte, machte sie sich auf die Suche nach einer anderen geeigneten Partnerin, als sich selbst. Kein zweites Mal sollte Torani-Colian den Tod seiner Frau miterleben müssen, der ihn in seinem ersten Leben gebrochen hatte. Doch nur die Götter selbst sind dazu fähig Menschen unsterblich zu machen. Der Halbgott ist nur dazu in der Lage einen anderen Mana-i am Leben zu erhalten, so dünn sein Blut auch sein mag, nicht aber einen Menschen. Da sich ein Großteil ihres Volkes bereits für die Sterblichkeit entschieden hatte und verblichen war oder aber den Kontinent verlassen hatte, musste sie ihm nun selbst eine Frau erschaffen. Sie spürte zwei junge, latente Nachfahren ihres Volkes in Kalaß auf, dessen Blut sich vor Jahrtausenden einmal mit dem göttlichen der Mana-i vermischt hatte. Beide stammten aus dem Stand der Gelehrten und es war nicht schwer sie zueinander finden zu lassen. Das Glück war ihnen allen Hold, denn ein Mädchen erblickte das Licht der Welt. Die alte Amrea und der inzwischen neunjährige Nico freundeten sich mit der jungen Familie an und die Anziehung der beiden Kinder zueinander war nicht zu übersehen. Für Nicos falsche Großmutter fühle es sich so an, als akzeptiere er ihr Geschenk, welches sie ihm in Sühne gemacht hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)