A Story about a Christmas Song von Keinseier ================================================================================ Kapitel 1: Auf Schneeketten --------------------------- Jared klappte den Laptop zu. Es war bereits kurz vor Acht am Donnerstag Abend des 08. Dezember 2078. Die Welt dort draußen hatte sich bereits in Dunkelheit gehüllt, so dass die wild tanzenden, dicken Schneeflocken vor den Fenstern kaum als solche zu erkennen waren. Über Portland, im amerikanischen Nordwesten, wütete ein regelrechter Schneesturm, während er hier bei seiner Schulkameradin Lynn Dearing in ihrem Zimmer auf dem Fußboden hockte und die letzten Vorbereitungen für ihre morgige Präsentation getroffen hatte. Das letzte mal, als sie zu einer Partnerarbeit verdonnert worden waren, hatten die Beiden noch nicht viel miteinander zu tun gehabt. Er, der launische, zielstrebige Sportstar der Schule und sie, das Mädchen mit dem losen Mundwerk und dem musikalischen Talent, dass sich einfach nie entscheiden konnte. Entsprechend holprig war ihre erste Zusammenarbeit verlaufen. Das war nun gute zwei Jahre her. Seitdem hatte sich tatsächlich so etwas wie eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelt. Dieses mal hatten sie sich sogar freiwillig zusammen getan. „Okay, wenn das keine eins wird, dann weiß ich auch nicht. Wehe du verkackst morgen Dearing.“ Angesprochene zog eine Augenbraue hoch. „Seit wann bist du so zum Streber mutiert, Scott?“ Jared zuckte mit den Schultern und räumte seinen Kram zurück in den Rucksack. „Sagen wir, seit der Coach mir gesagt hat, dass die Columbia mich für ein Stipendium in Betracht zieht. Aber dafür muss ich meinen Notenschnitt noch verbessern. Also gewöhn' dich besser dran.“ Sie standen Beide vom Boden auf. „Gut, sag mir ab wann ich mir Sorgen um dich machen muss. Wenn du eine Hornbrille trägst? Oder Mittags mit den Strebern an einem Tisch sitzt, anstelle von deinem stinkenden Rudel an Basketballspielern?“ „Charmant wie immer,“ er machte eine ausladende Handbewegung, bevor er hin zu fügte: „Was auch immer nötig ist.“ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, lachte er kurz auf, war wohl beiden klar, dass das definitiv etwas zu weit her geholt war. Wobei... Der Brünette schulterte seinen Rucksack, als das vibrieren des Handys in seiner Hosentasche seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Er zog das kleine Ding hervor und öffnete die Nachricht. Sie war von keiner geringeren, als Chloe Havering. Dem It-Girl und selbsternannten Königin der Lincoln High. Kommst du nun noch vorbei? Meine Eltern sind nicht zuhause. Xoxo Chloe Ein schelmisches Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Sportlers aus, ehe er eine kurze Antwort zurück tippte. Bin in 15 Minuten da Erst als er das Telefon wieder in seiner Hosentasche verschwinden ließ, bemerkte er Lynns neugierige Blicke. War es nicht das erste mal heute Abend, dass er sich von seinem Handy ablenken ließ. In den meisten Fällen tatsächlich wegen Chloe. Doch hatten sie beide beschlossen das – was auch immer es war – von Jareds Seite auf jeden Fall nichts ernstes, nicht an die große Glocke zu hängen. Nicht zuletzt, weil der Sportler wusste, dass die hübsche Brünette eine ziemliche Schlange und Lügnerin sein konnte und sie daher nicht unbedingt hoch im Ansehen vieler seiner Freunde stand. Und er hatte keine Lust sich wegen einer lockeren 'Affäre' zu rechtfertigen. „Okay, welcher armer Cheerleader muss diesmal dran glauben?“, harkte Lynn dennoch gewohnt trocken nach. „Kümmre dich um deinen Kram, Dearing. Und überhaupt – ich glaube du verwechselst mich da mit jemandem.“ Er schnalzte grinsend mit der Zunge und machte sich dann auf den Weg zur Wohnungstür. Sie folgte ihm. „Schon gut, ich will's auch gar nicht wissen. Dann...“ Dieses mal war es der girliemäßige Klingelton ihres Handys, der sie Beide unterbrach. „Warte kurz, das ist Hailey.“ Jared legte den Kopf in den Nacken und rollte mit den Augen. Wer auch sonst bei dieser Musik. Natürlich war Hailey erst mal wichtiger als er. Es war ja nicht so, dass sie noch den ganzen Abend Zeit hatte mit ihrer besten Freundin zu telefonieren. Lynn hatte indes das Gespräch angenommen und lief nun quatschend den Flur auf und ab. Wenn sie sich nicht beeilte, würde er einfach so verschwinden. Er wollte wirklich los. Und zwar noch bevor sie hier endgültig eingeschneit waren. Er hatte immerhin noch was vor. „.. Ihr seid wo?.. Scheiße Hal..“ Jared verdrehte erneut die Augen und wippte ungeduldig mit dem rechten Fuß auf und ab. Seine Hand wanderte bereits zur Klinke der Haustür. „..Klar, bleibt einfach da..“, schnappte er weitere Gesprächsfetzen auf. Eigentlich war es ihm egal, bis... „Jared ist noch hier. Er kann...“ Hatte er da seinen Namen gehört? Was konnte er? Nichts würde er, außer jetzt zu Chloe 'fucking' Havering zu fahren! „Okay, bis gleich!“ Lynn hatte aufgelegt und drehte sich ihm wieder zu. Abwehrend verschränkte Jared die Arme vor der Brust. „Vergiss es. Was auch immer du ihr gerade versprochen hast. Ich bin raus.“ Um seine Aussage zu unterstreichen, schüttelte er vehement den Kopf. „Wir haben keine andere Wahl. Tony und Hailey sind in der Nähe von Mount Hood Village gestrandet. Es gibt Probleme mit dem Wagen.“ Jared musste sich wirklich stark zusammen reißen sich nicht die flache Hand ins Gesicht zu schlagen. „Haben die Beiden mal raus geguckt? Es schneit schon den zweiten Tag durch! Warum fährt man an solchen Tagen raus in die Berge? Warum fährt man überhaupt in die Berge? Warum? Wer verdammt tut so etwas?!“ „Du kennst Tony, oder nicht?“, stellte Lynn zynisch die Gegenfrage. Natürlich kannte er den leichtsinnigen Abenteurer ihrer Schule. Eigentlich sollte es ihn nicht überraschen. Eigentlich tat es das auch nicht. Und eigentlich war es ihm auch ziemlich egal. Zumindest so lange, bis er da selbst mit hinein gezogen wurde. „Ist mir egal, soll sie jemand anders abholen. Ich hab noch was vor“, versuchte er sich also zunehmend ungeduldig aus der Affäre zu ziehen. „Jetzt komm schon. Tony ist doch auch dein Freund! Und Hal..“ „Ist deine BFF – nicht mein Problem“, unterbrach er Lynn etwas barsch. Diese schnaubte verdächtigend auf. „Ruf halt Quinn an. Wozu hat sie denn nen großen Bruder?“ „Ich kann Quinn nicht anrufen! Du weißt, das er Tony schon so nicht ausstehen kann. Wenn er erfährt dass er seine kleine Schwester bei dem Wetter da raus geschleppt hat...“ „In diesem Fall bin ich ausnahmsweise mal seiner Meinung“, fiel er ihr erneut ins Wort. Tatsächlich konnten Quinn und Jared sich ebenfalls nicht ausstehen. Aber Quinn konnte die meisten Leute an ihrer Schule nicht ausstehen, bzw. hatte ausstehen können. Glücklicherweise hatte er letztes Jahr seinen Abschluss gemacht. Ein Idiot weniger an der Lincoln High. „Jetzt komm schon Jared, ich hab kein Auto und..“ „Nein!“ „Jetzt sei nicht so ein Arsch!“ „Nein verdammt!“ „Wenn du noch ein mal..“ „Nein!“ „Ich werde morgen nur Mist in dieser dämlichen Präsentation erzählen wenn du jetzt nicht..“ „Erpress mich nicht Dearing!“ „Dann beweg endlich deinen..“ „NEIN!“ ...etwa 75 Minuten später... Angestrengt starrte Jared durch die Windschutzscheibe nach draußen ins absolute Dunkel. Die Scheibenwischer flogen wild von links nach rechts über das Glas. Das Schneegestöber wurde immer dichter und sorgte dafür, dass sie im Kegel der Autoscheinwerfer nicht viel mehr sehen konnten, als die dicken Schneeflocken selbst. Die beleuchteten Straßen Portlands hatten sie längst hinter sich gelassen und fuhren nun auf dem wie leer gefegten Highway no. 26 Richtung Mount Hood Village, am Rande des Mt. Hood National Forest. Auf der brach liegenden Straße hatte sich schon eine mehrere cm dicke Schneedecke gebildet, so dass sie nur langsam und hin und wieder schlingernd voran kamen. Jared war sich zum Teil nicht mal so sicher, ob sie sich noch auf der richtigen Spur befanden. Nur anhand der immer wieder auftauchenden Leitplanken, war er sich überhaupt sicher noch auf der Straße zu fahren. Und auch der Wald um sie herum wurde zunehmend immer dichter. Und mal ehrlich, wer war so verrückt bei so einem Wetter an den Arsch der Welt zu fahren? Außer Anthony Bennet natürlich. Natürlich war außer Ihnen niemand mehr unterwegs. Selbst im Radio wurde immer wieder durchgesagt, dass man am besten das Haus nicht mehr verlassen sollte. „Kommt es mir nur so vor, oder wird es hier drinnen immer kälter?“, bibbernd zog Lynn ihre Jacke enger, während ihre Hand nach dem Wärmeregler im Wagen griff. „Finger weg“, murrte Jared, sichtlich angepisst von der Gesamtsituation und schob ihre Hand mit seiner wieder beiseite. „Erzähl mir nicht, dass dir nicht kalt ist. In meinem Kühlschrank ist es wärmer...“ Sie unternahm einen weiteren Versuch, doch Jared wehrte sie wieder ab. „Ich hab gesagt Finger weg! Wenn wir die Heizung aufdrehen, überhitzt der Motor. Die Karre ist im Arsch, okay? Ich hab dir gesagt, dass ist ne scheiß Idee mit meinem Wagen hier raus zu fahren. Ich hab nicht mal Winterreifen drauf!“, bluffte er sie genervt an. Seine Laune war auf dem Tiefpunkt. Wie auf Kommando, kam das Fahrzeug erneut ins schlingern, doch schaffte Jared es den Wagen auf der Straße zu halten. Ihre Geschwindigkeit hatte er bereits auf 25 Meilen gedrosselt. Die Brünette drückte sich schmollend fester in den Sitz und hatte wohl glücklicherweise verstanden, dass sie in diesem Fall besser nichts mehr sagte, wenn sie nicht wollte, dass der Sportler vollends an die Decke ging. „Pass lieber auf, dass wir gleich nicht an der richtigen Abzweigung vorbei fahren“, wies er sie murrend an. Mount Hood Village fand er glücklicherweise noch alleine, führte die Straße zwangsläufig an dem Ort vorbei. Denn jeder wusste: wer sich von Lynn Dearing den Weg weisen ließ, war verloren. Hailey hatte Lynn zwar per Messanger ihren Standpunkt geschickt. Anhand dessen sollte selbst ein orientierungsloser Idiot die Richtung bestimmen können. Doch traute Jared Lynn zu, ihn auch damit noch in die falsche Richtung zu navigieren. Die Musikerin hatte den Display ihres Handys fest im Blick und Jared lenkte seine volle Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Abermals breitete sich Schweigen zwischen den beiden Freunden aus. Nur das Radio dudelte leise vor sich hin. Last Christmas I gave you my heart, but the very next day, you gave it away. This year to save me from tears I give it to... „Echt jetzt?“ Zeitgleich trafen sich die Blicke der Beiden, als der bestimmt 100 Jahre alte Weihnachtsklassiker aus dem Radio schallte. Begeisterung sah auf jeden Fall anders aus. „Ich hasse Weihnachten!“, stieß Lynn frustriert aus, „Und dieses Lied besonders!“ „Na immerhin hier sind wir uns einig“, murmelte Jared und begann am Radio herum zu spielen. Dabei nahm er für einen kurzen Moment den Blick von der Straße, wirklich nur für einen ganz kurzen als plötzlich... „Pass auf!“, kreischte seine Begleitung erschrocken auf. Ruckartig sah der Sportler wieder nach vorn, doch war es zu spät. Sie fuhren geradewegs in die Schneewehe auf der Straße. Der Wagen kam ins schlingern und schleudern. Jared versuchte noch die Kontrolle zurück zu erlangen, gegen zu lenken, zu bremsen, doch dank der abgefahrenen Sommerreifen hatte sie keine Chance und sie kamen schließlich unter aufgebrachtem Geschrei von der Straße ab. „Alles in Ordnung?“, fragte Jared erschrocken nach, nachdem der Wagen im tiefen Schnee zum stehen gekommen war. Die dicke Tanne hatten sie nur knapp verfehlt. Auch Lynn stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Sie antwortete ihm nicht. Jared legte indes den Rückwärtsgang ein und versuchte zurück auf die Straße zu fahren. Doch die Räder drehten durch. Nach zwei weiteren Versuchen gab er es auf. „So eine scheiße“, fluchte er leise vor sich hin, als ihm bewusst wurde, dass sie fest steckten. Sein Blick glitt wieder zu seiner weiterhin schweigenden Beifahrerin. „Lynn? Gehts dir...“ „Du verdammter Vollidiot!“, platzte es plötzlich aus ihr heraus, während sie ihm mehrmals aufgebracht gegen die Brust hämmerte. „Warum guckst du auch nicht auf die Straße?!“ Meinte sie das gerade ernst? Jared stand für einen kurzen Augenblick der Mund offen. Noch bevor er ihr etwas entgegen setzen konnte, hatte die Brünette schon den Wagen verlassen. Innerlich kochend, folgte er ihr. Wütend schlug er die Fahrertür zu und beobachtete sie dabei, wie sie um den Wagen durch den knietiefen Schnee herum watete. „Ist das dein verdammter Ernst?! Nur wegen dir bin ich überhaupt hier draußen!“ „Du hättest uns umbringen können! Und wer ist überhaupt so bescheuert ohne Winterreifen herum zu fahren?!“ Jared schnaubte wütend auf. „Seh ich so aus, als hätte ich Geld für Winterreifen?! Und für gewöhnlich fahr ich auch nicht mitten durch die Wildnis, okay? Für gewöhnlich bleibe ich auf den gestreuten, geräumten Straßen in Portland!“, schoss er aufgebracht zurück. Lynn hatte sich währenddessen den Weg zur Front des Autos durch den Schnee gebahnt und versuchte dieses zu bewegen. Vergebens. „Scheiße man, ich sollte jetzt in Chloe Haverings warmem Bett liegen und nicht mit dir hier..“ „Chloe Havering?! Du hast was mit Chloe?!“ Lynn wirkte irritiert, oder doch auch ein klein wenig schockiert? „Tut das was zur Sache?“, fuhr er sie genervt an. So viel zu geheim halten. Aber.. scheiße war das kalt hier draußen! Minus 10 Grad hatten sie sicherlich und er stand hier in seiner Schulsportlerjacke und Turnschuhen im Knietiefen Schnee. Es war offiziell, sie würden sich hier draußen den Tod holen. „Du hast recht, es tut nichts zur Sache“, bluffte sie zurück und begann erneut an der Motorhaube des Wagens zu drücken, um ihn so aus dem tiefen Schnee zurück auf die Straße zu schieben. Doch das Auto bewegte sich noch immer keinen Zentimeter. „Das bringt doch nichts. Wir sitzen hier fest. Wir holen uns hier draußen den Tod. Scheiße man! Wenn ich mir wegen dir hier ne Grippe einfange und die nächsten Spiele ausfalle, dann...!“ „Hör endlich auf rum zu heulen und hilf mir!“, fauchte sie ihn an. Das Mädchen unternahm einen weiteren Versuch den alten Wagen aus dem Schnee zu befreien. Doch auch dieser scheiterte kläglich. Erst nach einer weiteren, unfreundlichen Aufforderung seitens Lynn, hatte auch Jared sich bemüht den Wagen zurück auf die Straße zu schieben. Nachdem das nichts brachte, hatte Jared Lynn das Steuer überlassen, so dass sie Gas geben konnte und er zusätzlich anschob. Doch alles was passiert war, war dass die Räder sich noch tiefer in den Schnee gegraben hatten. Irgendwann hatten sie Beide aufgegeben. Sie hatten nur eine Möglichkeit. Sie mussten zu Fuß weiter. Vielleicht bekamen Sie den Wagen zu viert frei geräumt, um dann wieder zurück zu Tonys Wagen zu fahren und ihm Starthilfe zu geben. Glücklicherweise war es nicht mehr weit bis zum Zielort. Etwa ein bis zwei Meilen, wenn man Lynns Handy glauben mochte. Und nachdem er die Musikerin davon abgehalten hatte, aufgebracht in die falsche Richtung los zu marschieren, folgten sie weiter der zugeschneiten Straße. Als einzige Lichtquelle dienten die Handys der Beiden. Die Strecke kam Jared vor wie zehn Meilen. Es war arschkalt und ihre Sachen waren durch den tiefen Schnee, in welchem sie zuvor gestanden hatten, ziemlich durchnässt. Seine Finger waren eiskalt und genau genommen spürte er sie auch kaum noch. Und auch die Schneeflocken wollten einfach nicht aufhören zu fallen. „Du schuldest mir was hierfür, ich hoffe das weißt du“, erhob Jared nach einer gefühlten Ewigkeit bibbernd die Stimme, die Hände tief in den Jackentaschen der Rot-weißen Sportlerjacke vergraben, auf deren Rückseite der Schriftzug Lincoln High Cardinals um den Kopf ihres Maskottchens herum gedruckt war. „Ich geb dir nächstes Wochenende in der Fabrik ein Bier aus“, antwortete Lynn beiläufig, während sie noch immer auf ihr Handy schaute. „Wohl eher den ganzen Abend“, murmelte Jared trotzig. Doch der größte Zorn war bereits verflogen. Sie hatten mittlerweile den kleinen Ort erreicht. In vereinzelten Häusern brannte noch Licht, doch die meisten waren bereits dunkel. Dabei war es gerade einmal viertel vor 10. „Da vorne muss es sein.“ Lynn deutete auf eines der wenigen, beleuchteten Häuser. An der Außenwand hing ein Schild Rosi's, was auf eine Kneipe oder ein Café schließen ließ. Um sicher zu gehen, warf Jared ebenfalls einen Blick auf das Display des Handys der Musikerin, was diese mit einem missbilligenden Blick quittierte. „Sag mir nicht die sitzen die ganze Zeit im Warmen, während wir uns hier draußen den Arsch abfrieren“, fluchte Jared leise mit klappernden Zähnen auf. Gerade jetzt war ihm tatsächlich zu kalt, um sich ernsthaft auf zu regen. Als sie näher kamen, fiel ihm die reichliche, kitschige Weihnachtsdeko auf. Neben Lichterketten schmückten Fensterbilder und Plastikweihnachtsmänner die Fenster der kleinen Taverne. Wenn sein Gesicht nicht so furchtbar eingefroren wäre, hätte er es jetzt zu einer Grimasse verzogen. Stattdessen folgte er Lynn eilig und betrat den Laden. Eine wohlige Wärme schlug ihnen entgegen und ließ ihn erst richtig spüren, wie kalt es draußen doch war. Sofort lief ihm ein wohliger Schauer über den Rücken. „Lynn!“, hallte ihnen sofort Haileys freudige Stimme entgegen. Die Blonde war aufgesprungen und eilte den Beiden entgegen, nur um ihrer besten Freundin kurz darauf um den Hals zu fallen. „Scheiße, du bist ja eiskalt!“, stellte sie erschrocken fest und warf auch Jared einen besorgten Blick zu, der sich gerade die letzten Schneeflocken aus den strubbeligen Haaren fegte. „Sag besser nichts, Hails“, knurrte er sie an und ging an den beiden Mädchen vorbei Richtung Tony, der noch immer an einem der vielen freien Tische saß. Genau genommen, war er der einzige, der noch irgendwo saß. Der Laden war wie leer gefegt. „Wir haben geschlossen“, ertönte eine fremde, unfreundliche, rauchige Stimme aus Richtung des Tresens. „Jaja“, murrte Jared unbeeindruckt, während er sich Tony gegenüber auf die Sitzbank fallen ließ. Die Holzbänke mit der alten, durchgesessenen Polsterung, luden nicht unbedingt zum längeren Verweilen ein. Im Fenster neben Ihnen hing ebenfalls eine ganze Menge, scheußlicher Weihnachtsdeko. Besonders groß war die kleine Kneipe ebenfalls nicht. Außer ihrem Tisch, gab es noch 3 weitere an der Fensterseite. Drei oder Vier kleine Rundtische, konnte Jared weiter hinten in der Bar noch ausmachen und dann gab es natürlich noch den Tresen, der aussah, als wenn er noch aus dem letzten Jahrtausend stammen würde. „Sorry man..“, begann der Blonde und hielt ihm die Faust zum einchecken entgegen, worauf Jared seine gegen die des Anderen buffte. „Cool, dass ihr uns abholen kommt.“ „Wenn's nach mir gegangen wäre...“, er brach ab und seufzte lautlos auf, „Alter, warum fahrt ihr auch hier raus bei dem Wetter?“ Tony zuckte unschuldig mit den Schultern, so als wäre er sich keiner Schuld bewusst. „Der Wald im Winter, man! Hättest du sehen müssen!“ Jared rümpfte die Nase. Da waren sie wohl unterschiedlicher Meinung. „Ich weiß ja nicht. Ich brauch' Neonlicht und keine gottverdammten Sterne. Oder... Bäume.“ Tatsächlich konnte er mit Natur absolut nichts anfangen. Er hob erneut den Blick an, als sich Lynn und Hailey ihnen schnatternd näherten. Gut, wenn Tony beabsichtigt hatte, seine Freundin mit diesem Trip zu beeindrucken, schätzte er die zwei Jahre jüngere Blondine durchaus so ein, dass dieser Romantik-quatsch funktionierte. Nun zumindest bis zu dem Punkt, wo sie hier fest gesessen hatten. Hailey schob sich auf die Sitzbank neben ihren Freund, welcher sogleich einen Arm um ihre Schultern legte, während Lynn sich neben Jared setzte. „... zum Glück war Rosi so nett uns hier noch so lange warten zu lassen, bis ihr hier aufgetaucht seid“, beendete Hailey ihren Lagebericht an Lynn. „Hat aber auch ganz schön lange gedauert!“, mischte sich die sicher Mitte 50-jährige Barfrau wieder ungefragt ein. Jared knirschte mit den Zähnen. Doch er schluckte den Drang nach einer patzigen Antwort herunter und wand sich stattdessen lieber an das frisch verliebte Pärchen ihm gegenüber. „Also wenn ihr Starthilfe braucht, müssen wir meinen Wagen leider erst aus einer Schneewehe ca. ne Meile von hier befreien.“ Er rieb sich die langsam auftauenden, kribbelnden Hände. Tatsächlich war es ein eher unangenehmes Stechen und Jucken, welches im Moment mehr schmerzte als gut tat. „Wie konnte das überhaupt passieren? Habt ihr das Radio und die Heizung die ganze Zeit laufen lassen, während ihr auf der Rückbank rum gemacht habt? Na?“ Vielsagend grinste er die Beiden an, was zumindest Hailey einen leichten Rotschimmer aufs Gesicht zauberte. „Nein, wir...“ „Wir waren nur am Mount Hood spazieren. Der Absolute Wahnsinn im Winter! Ich sags euch! Und danach noch was Essen und..“, beteuerte Tony erneut, wofür er sich ein sanftes, verliebtes Lächeln seiner Freundin verdiente. „Und habt dann danach im Auto rum gemacht, bis die Batterie tot war?“, warf Jared erneut grinsend ein. „Nein.. wir sind..“ ein wenig unsicher und verlegen sah Hailey zu ihrem Freund auf, „gar nicht mehr ins Auto rein gekommen.“ „Tony hat den Schlüssel verloren...“, ergänzte Lynn trocken, die offenbar eben schon von ihrer besten Freundin aufgeklärt wurde. Jareds Gesichtszüge entgleisten für einen Moment. „... Ist das euer scheiß Ernst?“ Verlegenes Schweigen breitete sich über den Vieren aus, ehe Jared sich angestrengt mit der flachen Hand übers Gesicht fuhr. Sowas konnte auch nur Tony passieren. So gut er den Kerl sonst auch leiden konnte, er war wirklich der tolpatschigste Mensch, den er kannte. Das vibrieren seines Handys durchbrach die Stille. Jared zog es aus seiner Hosentasche und öffnete die Nachricht. Sie war von Chloe. Oh scheiße, die hatte er total vergessen! Wenn deine 15 Minuten immer so lang wären... Wag es ja nicht noch hier auf zu schlagen! „Ärger im Paradies?“ harkte Lynn amüsiert nach, die offenbar auf sein Handy geschielt hatte. Diverse, leise Flüche ausstoßend, ließ Jared das Handy wieder in seiner Hosentasche verschwinden – ohne der Schulschönheit zu antworten. Da spürte er auch schon die neugierigen Blicke von Hailey und Tony auf sich. „Unser Jared hier dated Chloe Havering“, kam Lynn ihm zuvor und klopfte ihm dabei freundschaftlich und breit grinsend auf die Schulter. Noch mal: so viel zu geheim halten. „So würde ich das jetzt nicht nennen...“, brummte er, während Tony scharf die Luft einzog. „Alter, echt jetzt? Pass bloß auf. Der ist nicht trauen.“ „Warum, sie ist doch ganz nett?“ mischte auch Hailey sich in ihrer naiven Art ein. „Wie wärs, wenn ihr eure Teenagerdramen draußen klärt? Wir haben immer noch geschlossen. Eigentlich dürftet ihr gar nicht hier drin sein“, brummte wieder die unfreundliche Stimme der Bardame zu ihnen herüber, während sie sich provokant eine Zigarette ansteckte und zum hundertsten mal mit einem alten, löchrigen Lappen über den Tresen wischte. Jared holte gerade Luft, um ihr etwas zu entgegnen, doch kam Hailey ihm zuvor, indem sie aufstand, sich ihre Kleidung glatt strich und perfekt lächelnd auf die Dame hinterm Tresen zu marschierte. „Schon gut Rosi, wir sind sofort weg. Vielen Dank noch einmal, dass wir uns hier aufwärmen durften. Wir haben da eventuell noch ein anderes Problem, aber hatten sie vorhin nicht etwas von Schneeketten erzählt?“ „Ich kann echt nicht glauben, dass die Alte uns 40 Dollar für die halb verrosteten Schneeketten abgeknöpft hat“, fluchte Jared, während sie zurück durch den Schnee Richtung Auto stapften. Den Sack mit den ausrangierten Schneeketten hatte er über die rechte Schulter geworfen, während er in der linken Hand sein Handy mit der eingeschalteten Taschenlampe hielt und den Weg bestmöglich ausleuchtete. Lynn stapfte neben ihm her, ebenfalls mit Licht bewaffnet. Knapp hinter ihnen gingen Hailey und Tony eng aneinander gedrängt. Auch sie beide versuchten bestmöglich die verlassene Straße mit dem wenigen Licht aus zu leuchten. Denn es war immer noch arschkalt und vor allem stockdunkel. Abseits der kleinen Ortschaft, gab es nicht einmal mehr Straßenlaternen. Auch der Schnee hatte nach wie vor nicht aufgehört zu fallen. Der dichte Wald links und rechts von Ihnen mit seinen nächtlichen Geräuschen, verlieh der Atmosphäre einen beängstigenden Touch. „Was war das?“, flüsterte Hailey leise und aufgeschreckt, als es erneut neben Ihnen knackte und raschelte. Sofort leuchtete sie mit ihrem Handy in besagte Richtung, doch war nichts zu erkennen. „Bestimmt ein Werwolf. Oder eine Herde Zombies, die uns gleich in Stücke reißt“, scherzte Jared, der sich, während er sich zu den Beiden umdrehte, die Taschenlampe unters Gesicht hielt. Die Miene der Blonden verfinsterte sich. „Blödmann“, zischte sie leise und drängte sich dabei enger an Tony. „Echt nicht cool!“, nahm dieser sie in Schutz. „Ach kommt schon Leute, als ob es sowas geben würde. Ist immerhin eure Schuld, dass wir hier fest sitzen.“ Tatsächlich war seine Laune gerade doch ein ganzes Stück besser, als noch auf dem Hinweg. Vielleicht lag es daran, dass sie sich zumindest etwas aufwärmen hatten können. Vielleicht auch an der unglaublich dämlichen Geschichte, die Tony da mal wieder passiert war. „Ich glaub da vorne ist es“, zog Lynn die Aufmerksamkeit der Anderen wieder auf sich und leuchtete einen Schneeberg am Straßenrand an. „Wer hätte das gedacht Lynnie.. aber ein blindes Huhn findet wohl auch mal ein Korn“, amüsiert legte Jared einen Arm um die gut 30 cm kleinere Frau und spielte dabei auf ihren nicht vorhandenen Orientierungssinn an. Leise keuchte er auf, als sie ihm schließlich wortlos den Ellenboden in die Seite rammte. Die vier traten näher an den Berg heran und tatsächlich kam unter der leichten Schneedecke sein Wagen zum Vorschein. Mit vereinten Kräften schafften sie es schließlich das Auto auf die Straße zurück zu schieben. Auch wenn es hier mehrere Versuche gebraucht hatte. Die Schneedecke auf der Straße war nun um einiges höher als noch zuvor. Und noch immer fielen unermüdlich dicke Flocken vom Himmel. Nachdem die beiden Jungs die Schneeketten an den Rädern angebracht hatten, konnte es endlich – endlich! Zurück Richtung Portland gehen. Mit so viel Grip unter den Rädern, war es gleich ein ganz anderes Fahrgefühl. Irgendwie sicher. Auch wenn die Sichtverhältnisse nach wie vor bescheiden waren. „Können wir die Heizung an machen? Es ist echt schweinekalt hier drin“, erhob Hailey schließlich wieder die Stimme. Durchgefroren waren sie mittlerweile alle wieder. „Geht nicht, sonst fackelt die Karre ab“, antwortete Lynn ihr trocken. „Oh..“, murmelte die Blonde und ließ sich stattdessen wieder von Tony wärmen. „Aber das Radio können wir anmachen, oder?“ Nach dem kleinen Zwischenfalls vorhin, hatten sie dieses einfach noch nicht wieder an gemacht. „Klar..“ Jared wollte gerade nach dem Unglück bringenden Knopf greifen, als Lynn ihm zuvor kam. „Lass das, du fährst nur wieder in Graben“, wies sie ihn schroff an und übernahm die Sendersuche. Last Christmas I gave ... Zeitgleich stöhnten Jared und Lynn genervt auf. Nicht schon wieder! Lynn wollte gerade weiter schalten, da mischte Hailey sich von hinten ein. „Lass das mal an!“ „Echt jetzt, Hails?“ Jared warf der Blonden einen zweifelnden Blick durch den Rückspiegel zu. „Kommt schon, es ist immerhin Dezember.“ „Und wenn die Heizung nicht geht, singen wir uns halt warm“, fügte Tony noch hin zu. Kaum hatte er die Worte ausgesprochen stimmte er ein wenig schief, dafür aber mit einer um so überzeugenderen Performance in den Song ein. „Once bitten and twice shy, I keep my distance. But you still catch my eye~“ Hailey kicherte amüsiert und stimmte dann ebenfalls in das Lied mit ein. „Tell me, baby: Do you recognize me?~“ Im Gegensatz zu ihrem Freund konnte sie tatsächlich sehr gut Singen. Jared rollte mit den Augen, konnte dann aber doch nicht anders, als über die beiden frisch Verliebten zu schmunzeln. „Jetzt kommt schon. Seid nicht solche Grinche! Lynnie?“, forderte Hailey die Beiden erneut auf, ehe sie wieder mit Tony im Duett weitersang: „I wrapped it up and sent it with a note saying, "I love you", I meant it~“ Jared warf Lynn einen Seitenblick zu, die sich offenbar noch nicht so recht entscheiden konnte, ob der Song sie nach wie vor nervte, oder sie sich von Haileys und Tonys Unbeschwertheit anstecken lassen wollte. Jared für seinen Teil, hatte sich entschieden und stimmte nun ebenfalls mit den beiden ein. „But if you kissed me now I know you'd fool me again~“ Beim drauf folgenden Refrain hatten sie auch Lynn erreicht, die sich der zunehmend immer ausgelasseneren Stimmung hin gab und so stimmten sie alle laut, schief, leidenschaftlich oder aber auch mit ihren engelsgleichen Stimmen mit ein. Last Christmas, I gave you my heart But the very next day you gave it away This year, to save me from tears I'll give it to someone special Die Fahrt Richtung Portland wurde weiter fortgesetzt. Schon bald ließen sie den Wald hinter sich und hatten so bald die Lichter Portlands in Sichtweite. Die verschneite Straße war wie glatt gebügelt, mit Ausnahme von den Spuren ihrer Reifen. Gemustert von den Schneeketten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)