I don´t want to catch them all! von RedRidingHoodie ================================================================================ Prolog: Spotlight ----------------- Die Sonne brannte an einem nur mit Schäfchenwolken gespickten Sommerhimmel. Taubsi zwitscherten in den Bäumen. Kinder lachten beim Spielen. Nachbarn riefen sich über ihre Gartenzäune hinweg Grüße zu. Die vermutlich Einzige, die das Wetter nicht genoss, war eine junge Frau, die gerade aus dem Supermarkt trat. Schweiß lief ihr über den Nacken in die Bluse. Von dem Lärm der Kinder und Pokémon bekam sie Kopfschmerzen. Die Henkel ihrer Plastiktüte schnitten in ihre Handflächen. Alles in allem wollte sie einfach so schnell wie möglich nach Hause, und sicher keinen Smalltalk mit Fremden führen. Tabitha Simmons war froh, den Rand von Rosalia City zu erreichen. Sie nahm die Tüte auf den Arm und wollte sich gerade auf Route 29 begeben, als jemand hinter ihr laut: „Hey!“, brüllte. „Wo willst du hin?!“ Tabitha schloss die Augen, holte tief Luft und wandte sich lächelnd nach der Ruferin um. „Nach Hause wäre nicht schlecht.“ „Aber du hast keine Pokémon dabei!“, stellte die Fremde das Offensichtliche fest. Tabitha hätte ihr gerne dafür gratuliert, beschränkte sich aber auf ein sarkastisches: „Ach, nein?!“ Die Frau sah sie verdutzt an, dann fuhr sie so unbeirrt fort, als hätte man ihr diesen Satz einprogrammiert: „Wilde Pokémon könnten dich im hohen Gras angreifen!“ „Ich glaube, ich komme mit ein paar Taubsi und Ratzfratz zurecht. Danke für Ihre Sorge.“ Sie schenkte der Frau ein Lächeln und setzte ihren Weg fort, ohne auf die Protestrufe zu achten. Diese Szene spielte sich so oder ähnlich jedes Mal ab, wenn sie zum Einkaufen nach Rosalia ging. Das hatte man wohl davon, wenn man im letzten Kaff vor der Grenze lebte, wo jeder jeden kannte und Bilderbuchidylle herrschte. Aber schön waren sie schon, die sanften Hänge, die grün von den nahen Bergen herunterflossen. Wind strich durch die saftigen Augen und hatte ihrem Heimatort den vielversprechenden Leitspruch: „Die Stadt, in der der Wind der Erneuerung weht!“, eingebracht hatte. Tabitha hätte Neuborkia nicht als „Stadt“ bezeichnet, und „erneuert“ hatte sich dort noch nichts, solange sie denken konnte. Sie raschelte mit der Einkaufstüte, um ein Taubsi zu verscheuchen, das sie missgünstig unter einem Strauch hervor angestarrt hatte, und dachte an ihre Ausbildung bei der Silph Company, die sie bald beginnen würde. Ihre Mutter war zwar traurig, dass sie nach Kanto gehen würde, aber Tabitha war überzeugt, dass sie die Trennung gut überstehen würde. Immerhin hatte sie vor zehn Jahren gewollt, dass ihre Tochter eines der Pokémon von Professor Lind aussuchte und damit auf Reisen ging. Gegen diese Pläne hatte das Mädchen sich mit Händen und Füßen und einigen saftigen Heulkrämpfen gewehrt, und irgendwann hatte man eingesehen, dass sie die einzige Zehnjährige war, die kein mutiertes Haustier wollte. Ihre Umgebung hatte das seltsam gefunden, doch Tabithas Meinung diesbezüglich hatte sich auch mit ihren inzwischen 23 Jahren nicht geändert. Sie war mehr als zufrieden mit ihrem Bachelorabschluss als Ingenieurin und der gut bezahlten Ausbildung, nach der sie sehr wahrscheinlich noch ihren Master machen würde. Keine Abenteuer nötig, vielen Dank. Inzwischen war sie beim Abstieg vom letzten Hügel, an dessen Fuß sie bereits Neuborkia sehen konnte. Allem voran das Labor von Professor Lind. Ihre Mutter hatte eine Liebelei mit dem Pokémonforscher, nachdem dieser sich von seiner Frau getrennt hatte. Sie glaubte, ihre Tochter wüsste nichts davon, und diese ließ sie in dem Glauben, obwohl es Tabitha ein wenig nervte. Als wäre sie nicht alt genug, um solche Bedürfnisse zu verstehen. Tabitha betrachtete das vertraute, große Gebäude, das eigentlich nicht in eine Kleinstadt wie Neuborkia passte. Es war dicht umstanden von Bäumen, und sie wusste, dass sich auf der Rückseite ein Brutkasten für Pokémon-Eier befand. Im Inneren gab es einige verrückte Geräte, vor allem aber Bücher. Außerdem arbeiteten dort neben dem Professor zwei Assistenten. Mit einem von ihnen, Ethan, war Tabitha gut befreundet, und sie überlegte, ob sie ihm einen Besuch abstatten sollte, wenn sie ihre Einkäufe weggebracht hatte. In dem Moment nahm sie eine Bewegung zwischen den Bäumen wahr. Vielleicht war es Ethan, oder der Professor war gerade bei einem seiner komischen Experimente. Neugierig geworden schlich sie um das Gebäude und erreichte den Garten. Dort entdeckte sie allerdings weder Lind noch seinen Assistenten, sondern einen Fremden, der recht wackelig an die Mauer gekrallt war, um so durch ein Fenster ins Innere des Labors blicken zu können. Er schien in Tabithas Alter zu sein, war aber seinen schwarzen, mit Nieten besetzten Klamotten nach zu urteilen nie aus seiner jugendlichen Gothik-Emo-Phase herausgewachsen. Außerdem hatte er sich die schulterlangen Haare in einem ganz scheußlichen Signalrot gefärbt. Tabitha legte den Kopf schief und trat näher auf den Typ zu. „Uh… Wenn du nett fragst, darfst du bestimmt mal einen Blick ins Labor werfen, weißt du?“ Der Möchtegern Rotschopf wirbelte so schnell herum, dass er den Halt verlor und auf seinem Hosenboden landete. Allerdings war er nicht tief gefallen, und sofort wieder auf den Beinen. „Misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein, Miststück!“, fauchte er, dann stürmte er an Tabitha vorbei, wobei er es nicht versäumte, ihr die Schulter so fest vor die Brust zu rammen, dass sie taumelte und stürzte. Ihre Einkäufe kullerten aus der Tüte und verteilten sich im Kreis um sie. „Au! Du spinnst ja wohl, Arschloch!“, rief sie ihm wütend nach und rieb sich die schmerzende Stelle, doch da war der Rotschopf schon weg. Sie runzelte die Stirn und sah auf die Stelle, an der er verschwunden war. War das ein Fan des Professors, der sich schämte, weil er beim Spionieren erwischt worden war? Nachdenklich begann sie, die Lebensmittel einzusammeln, wurde jedoch unterbrochen, als ihr Handy klingelte. „Tabs, hi, wie geht’s?“, meldete Ethan sich gut gelaunt, während Tabitha gerade die Eierschachtel inspizierte. Zwei Stück waren tatsächlich nicht zerbrochen. Ein Wunder. „Es ginge mir besser, wenn du endlich aufhören würdest, mich so zu nennen“, murrte sie und versuchte, alles wieder einigermaßen ordentlich zu verstauen, ohne sich oder die Einkäufe mit Eischleim zu beschmieren. „Entweder das oder Tabitha, du kannst es dir aussuchen“, gestand ihr Freund ihr zu, der ganz genau wusste, wie sehr sie ihren Namen hasste. Die meisten Leute nannten sie auf ihren Wunsch Tabby oder Simmons. Nur Ethan hielt an „Tabs“ und ihre Mutter an ihrem vollen Namen fest. Gegen letzteres konnte sie nichts tun, und ersteres hatte sie mit den Jahren notgedrungen akzeptiert. Inzwischen hatte sie alles eingesammelt und erhob sich. „Also, was gibt es?“ Sie ließ den Blick umherschweifen, um zu prüfen, ob sie nichts vergessen hatte. Dabei fiel ihr Blick auf etwas Glänzendes im Gras, dem sie sich näherte. „Kann ich dich nicht einfach so anrufen?“ „Kannst du.“ Tabitha bückte sich und hob eine rechteckige Plastikkarte aus dem Gras auf, die sie schnell als Ausweis identifizierte. Anhand des Fotos erkannte sie, dass er dem Rotschopf gehörte, der „Silver“ hieß, was irgendwie etwas unpassend erschien. Allerdings waren wohl die wenigsten Leute nach ihrer Haarfarbe benannt. „Tust du aber nicht“, führte sie das Gespräch mit Ethan fort und steckte den Ausweis in die Hosentasche. Vielleicht sah sie Ariel ja später nochmal. „Also?“ „Na gut, es hat doch einen Grund, dass ich Anrufe. Kannst du nachher bei mir vorbeikommen?“ Ein wenig misstrauisch runzelte sie die Stirn, doch da sie sowieso vorgehabt hatte, den angehenden Pokémonforscher zu besuchen, stimmte sie rasch zu. Sie wollte gerade wieder ihre Tüte einsammeln, als sie hinter sich ein Geräusch hörte und sich nochmal nach der Stelle umdrehte, an der sie gerade den Ausweis gefunden hatte. Etwa eineinhalb Meter höher hatte sich das Fenster geöffnet, durch das Silver ins Büro gespäht hatte, und heraus grinste Ethan, der noch das Telefon am Ohr hatte. „Aber bevor du vorbeikommst, könntest du mir noch erklären, wieso genau du dein Abendessen in unserem Garten verstreust.“ Tabitha verdrehte die Augen und legte auf, bevor sie dem jungen Mann persönlich erklärte: „Ich hatte gerade eine Begegnung der anderen Art…“ Erneut blickte sie auf die Stelle, an der der Fremde verschwunden war, dann schüttelte sie den Kopf und sah zu Ethan auf. „Was wolltest du von mir?“ „Komm doch erstmal rein.“ Kurze Zeit später ließ ihr Freund sie ins Labor und verstaute, ganz der Gentleman, Tabithas Einkäufe in der kleinen Küche des Forscherteams. Sein ständiger Begleiter, ein Marill namens Marina, hopste neben ihnen her und versuchte, Tabithas Aufmerksamkeit zu erhaschen, als diese sich eine Tasse Kaffee einschenkte, doch sie ignorierte es und wandte sich lieber wieder ihrem menschlichen Begleiter zu. Dieser hatte die kurze Szene nachsichtig lächelnd beobachtet, wie immer, wenn er Tabitha mit Pokémon interagieren sah. Ethan war ebenfalls 20, verbarg sein schwarzes Haar stets unter einer Kappe und war höchstens zwei Zentimeter größer als Tabitha. Sie waren zusammen aufgewachsen, aber im Gegensatz zu ihr hatte Ethan Pokémon schon immer geliebt und nichts lieber gewollt, als sie zu erforschen. Als dann im letzten Jahr die Assistentenstelle bei Professor Lind freigeworden war, war er von der Farm seiner Großeltern in seine Heimatstadt zurückgekehrt und arbeitete seitdem hier. Sie hatten sich während Tabithas Studium oft gesehen, denn sie ging auf die Dukatia City Universität, und in der Nähe der Großstadt lag auch die Poképension von Ethans Familie. Seit er in Neuborkia arbeitete, hatten sie nur noch Kontakt, wenn Tabitha die Semesterferien zu Hause verbrachte. Doch vor einem Monat war sie nach Neuborkia zurückgekommen, um ihren Umzug nach Kanto vorzubereiten, und in dieser Zeit hatten sie fast täglich etwas miteinander unternommen. Sie begaben sich in den hinteren Bereich des Labors, als Ethan zu erzählen begann: „Wie du weißt, werden bald wieder Pokémon an die neuen Trainer vergeben.“ „Ist das schon wieder so weit?“, fragte Tabitha, obwohl sie es natürlich wusste. Sie hatte gar keine Chance dazu, es nicht zu wissen, denn die Leute redeten über nichts anderes, es stand in der Zeitung und gab Plakate und wurde im Radio und im Fernsehen diskutiert… Und sie hatte es satt. Sie war froh, wenn die Gören aus den umliegenden Dörfern ihre Plüschtiere eingesackt hatten und der ganze Trubel sich wieder legen würde. Erneut seufzte Ethan nachsichtig und meinte: „Du bist so ein Spielverderber!“ Allerdings war er einer der wenigen, der nie versucht hatte, Tabitha für Pokémon zu begeistern. Natürlich redete er alleine schon durch seinen Beruf über das Thema, und es war spannend, ihm zuzuhören. Doch er versuchte nicht, sie mit dem ´Pokévirus` anzustecken, und man konnte sich genauso gut über andere Dinge mit ihm unterhalten. Inzwischen waren die beiden im hinteren Bereich des Labors angekommen. Dort befand sich der verwaiste Arbeitsplatz des Professors, eine Maschine, mit der man verletzte Pokémon aufpäppeln konnte, natürlich noch mehr Bücher. Und ein Tisch, auf dem in einer speziellen Vorrichtung drei Pokébälle angebracht waren. Ethan trat auf sie zu und entließ in kurzer Zeit drei Wesen, die unterschiedlicher nicht sein könnten; ein kleines, blaues Krokodil, eine Art grün-beiger Igel und etwas, das entfernt an einen hellgrünen Hasen mit einem Blatt auf dem Kopf erinnerte. „Das sind Karnimarni“ – Ethan deutete auf das Krokodil, welches freudig schnatterte, vom Tisch sprang und anfing, das Marill durchs Labor zu jagen – „Feurigel“ – Der Igel duckte sich scheu hinter die Vorrichtung, in der sein Pokéball offen stand – „Und Endivie.“ Das Hasending warf Tabitha einen stolzen, geringschätzigen Blick zu dann hopste es davon, um vom Fensterbrett aus nach draußen zu blicken. Liebevoll sah Ethan zu, wie sein Pokémon Seifenblasen spuckte, um das sichtlich begeisterte Karnimarni zu unterhalten. Feuriegel sah aus, als hätte es gerne mitgespielt, würde sich aber nicht aus seinem Versteck hervortrauen. Endivie tat, als würde es nichts von dem Specktakel bemerken, obwohl Tabitha das Gefühl hatte, es würde gelegentlich zu den anderen schielen. „Das sind die drei Pokémon, die wir den neuen Trainern geben wollen. Süß, oder?“ „Äh…“ Tabitha war nicht sicher, ob sie ein hyperaktives Krokodil, einen scheue, feuerspuckenden Igel und einen arroganten Salatkopf ´süß` fand, aber darüber konnte man mit Leuten wie Ethan nicht diskutieren. Dieser ignorierte ihre zögerliche Antwort, indem er weitersprach: „Wie du weißt, ist hier jedes Jahr die Hölle los, wenn wir die Trainer aussuchen. Hier schleichen sich dann Leute rein, die viel zu alt oder viel zu jung sind, und jeder bringt die halbe Familie mit. Außerdem ist natürlich ganz Neuborkia auf den Beinen, immerhin ist hier sonst nie was los.“ Er verdrehte die Augen amüsiert, doch Tabitha fand das ganze Schauspiel nicht besonders lustig. Sie war froh gewesen, während der letzten Jahre entweder in Dukatia oder auf Reisen zu sein, wenn die Pokémon verteilt wurden. Dieses Jahr war das letzte, in dem sie Neuborkia ihr zu Hause nannte, und diesen speziellen Tag würde sie sicherlich nicht vermissen. Sie war jedenfalls froh, nicht nach Alabastia zu ziehen, wo sicher dasselbe Tamtam gemacht wurde, wenn Professor Eich neue Trainer auf ihre Reise schickte. Inzwischen war Karnimarni aufs Fensterbrett gesprungen und versuchte, Endivie zum Spielen zu animieren. Als dieses nicht wollte, spritzte es dem Pflanzenpokémon dreist Wasser ins Gesicht. Dieses fiepte empört und fing an, das kleine Krokodil durchs Labor zu jagen. Währenddessen hatte Marill sich Feurigel genähert und sprach in den seltsamen Quietschlauten auf es ein, die wohl ihre Sprache waren, bis das Feuerpokémon schließlich schüchtern aus seinem Versteck hervorkam, um mit den anderen zu spielen. Unterdessen wandte Ethan sich direkt an Tabitha und sagte ernst: „Ich weiß, dass dir das zu viel Rummel ist, und du kein großer Fan von Pokémon bist. Aber wir sind hier nur zu dritt, und es würde uns wirklich helfen, wenn du uns diesen Sonntag unter die Arme greifen könntest. Du müsstest gar nichts mit den dreien hier zu tun haben“, fügte er rasch hinzu und nickte zu den Startern. „Es wäre schon gut, wenn du das Alter der Bewerber kontrollieren oder draußen auf den Brutkasten aufpassen könntest. Würdest du das für mich machen? Bitte?“ Dabei sah er Tabitha so ernst an, dass sie ein schlechtes Gewissen bekam. Doch weil sie die ganze Veranstaltung wirklich nicht ausstehen konnte, hatte sie dafür gesorgt, nicht in der Stadt zu sein. „Tut mir echt leid, aber ich bin am Sonntag bei den Geschwistern Wochentag. Mitko hat mich eingeladen.“ „Ach so…“ Ethan rieb sich den Nacken, dann trat er an den Tisch und nahm zwei Bälle zur Hand, um die Pokémon wieder einzufangen. Kurz darauf waren die drei verschwunden und es herrschte eine Stille im Labor, die Tabitha plötzlich bedrückend vorkam. Ihr bester Freund vermied es, Tabitha anzusehen, doch diese ging zu ihm und legte die Hand auf seine Schulter. „Wenn du vorher gefragt hättest, wäre ich hier geblieben, das weißt du, oder?“ „Ich dachte, du würdest wenigstens einmal ansehen, bevor du nach Kanto gehst“, erwiderte der angehende Pokémonforscher leise. Einen Moment lang sah man die Enttäuschung in seinen Augen, doch dann lachte er wieder und räumte die Pokébälle weg. „Tja, da kann man nichts machen!“ Danach vermieden sie das Thema, und schon bald war die Stimmung zwischen ihnen wieder ausgelassen. Tabitha hatte zwar ein schlechtes Gewissen, aber es war nicht groß genug, um ihre Pläne zu ändern. Kapitel 1: Anziehung -------------------- Mitko Wochentag war groß, hatte schulterlange, blonde Locken und war extrem durchtrainiert. Tabitha hatte ihn vor zwei Jahren bei einem Urlaub mit ihrer Mutter am See des Zorns kennengelernt. Sie war alleine spazieren gegangen und hatte einen Weg entdeckt, der wegen der häufigen Regenfälle oftmals überflutet war. Als sie ihm folgte, fand sie an seinem Ende einen jungen Mann beim Kampftraining vor. Die Gesellschaft des attraktiven Sportlers hatte den eigentlich öden Aufenthalt in den Bergen für Tabitha erheblich verbessert, und sie hatte schon bei ihrem zweiten Treffen in seiner Hütte beschlossen, dass sie mit ihm schlafen wollte. Das hatte sich als sehr befriedigende Erfahrung herausgestellt, die die beiden häufig wiederholt hatten, während die Simmons-Frauen sich am See aufhielten. Schon bald hatten sie festgestellt, dass sie nicht weit auseinanderwohnten und waren sich einig, sich weiterhin sehen zu wollen. Eine Weile hatte Tabitha eine Beziehung mit Mitko vorgeschwebt, und sie war sogar ein wenig in den vier Jahre älteren Mann verliebt gewesen. Doch als sie seinen chaotischen Haushalt mit sechs Geschwistern besser kennenlernte, war sie ganz froh, nicht fest an ihn gebunden zu sein. Vielleicht würden sie es versuchen, wenn er auszog, doch solange er mit seinen zwei älteren Schwestern die jüngeren Wochentag-Kinder versorgte, war das nicht denkbar. Dennoch trafen sie sich weiterhin regelmäßig. Ein paar Mal hatte Mitko sie während ihres Studiums sogar in Dukatia besucht, und er hatte sie zu ihrem Bewerbungsgespräch in Safronia City in Kanto begleitet. Sie hatten sich die Stadt angesehen und sich im Hotel geliebt. Es war eine schöne Reise gewesen, bei der sie sich ein wenig wie frischverheiratet vorgekommen war. Jetzt saß Tabitha nackt in Mitkos Bett, starrte nach draußen in den Märzregen und wünschte sich zurück in die Stadt in Kanto. Dort hatten nämlich keine Kinder auf dem Flur getobt, während Tabitha den Penis ihres Liebhabers im Mund hatte. Außerdem wussten Monja und Dietlinde ganz genau, was sie beide hier drinnen trieben, und Tabitha konnte die strafenden Blicke der anderen Frauen nicht ausstehen. „Nur, weil die beiden Dauerbabysitterinnen sind, muss ja nicht jeder zur vertrockneten Jungfrau werden“, beschwerte Tabitha sich bei einem sichtlich amüsierten Mitko, dessen Hand lässig auf ihrem Bein ruhte. Er kannte diese Beschwerden schon. Lachend aschte er seine Zigarette ab. Das Rauchen war eines der wenigen Dinge, die Tabitha nicht an ihrem Liebhaber mochte, doch er ignorierte ihren missbilligenden Gesichtsausdruck wie immer. „Moni heiratet im Herbst und Didi ist die geborene Mutter“, verteidigte er seine Schwestern recht halbherzig. Seine Liebhaberin warf ihm einen mürrischen Blick zu. „Um Mutter zu werden, muss man sich erstmal ficken lassen.“ „Ach so?“ Mitko legte die Zigarette weg, packte Tabitha und brachte ihren Körper mit einer geschmeidigen Bewegung unter seinen. „Soll ich dir nochmal zeigen, wie das geht?“ Danach waren die eifersüchtigen Schwestern vorerst vergessen, und als sie fertig waren, verkniff Tabitha sich weitere diesbezügliche Kommentare. Es war verständlich, dass ihr Liebhaber nichts Schlechtes über die beiden hören wollte, immerhin hatten sie ihn praktisch alleine aufgezogen. Sie lag neben Mitko, hatte ein Bein um seins geschlungen und zeichnete Kreise auf seiner Brust, während er geistesabwesend ihre Schulter streichelte. Tabithas Gedanken wanderten nach Neuborkia und zu ihrem Gespräch mit Ethan von vor ein paar Tagen. Sie fühlte sich angenehm befriedigt und bereute es keine Sekunde, nicht in ihrem Heimatort geblieben zu sein, doch nach wie vor hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie ihren Freund hängen gelassen hatte. Obwohl er wirklich früher hätte fragen können. „Die neuen Trainer sollten inzwischen ihre Pokémon haben…“, murmelte sie, ohne groß darüber nachzudenken, doch Mitko richtete sich auf und starrte sie aus seinen grünen Augen an wie ein achtes Weltwunder. Tabitha runzelte ärgerlich die Stirn. Es war gerade so bequem gewesen! „Was?“ „Ich bin nur überrascht… Du denkst über Trainer nach?“ Wiederwillig sah sie aus dem Fenster. „Sie werden immerhin aus meiner Heimatstadt losgeschickt, oder?“ „Hmm, ich sehe das mal als gutes Zeichen. Ich habe nämlich einen Anschlag auf dich vor.“ Mit dieser Drohung stand Mitko auf und ging durchs Zimmer zu seiner Kommode, womit er ihr einen perfekten Blick auf seine perfekte Kehrseite gewährte. Es wäre ihr lieber gewesen, er wäre wieder ins Bett gekommen, doch Tabitha richtete sich ebenfalls auf und raffte die Decke um sich. Ihr mulmiges Gefühl bestätigte sich, als ihr Liebhaber einen Pokéball von seinem Gürtel nahm und mit einem Griff vergrößerte. Bevor sie protestierten konnte – immerhin war sie bis auf eine sehr unzureichende Decke nackt! – hatte er das darin gefangene Pokémon entlassen. Es hatte ungefähr Form und Größe eines Hundes, wies allerdings statt Schweif und Ohren große Blätter auf. Tabitha starrte es verdutzt an, denn sie hatte es noch nie gesehen, und sie kannte Mitkos Team eigentlich. "Was ist das?“, fragte sie fast empört. Er lächelte leicht gequält und ging neben dem Pokémon in die Knie. „Was, erkennst du ihn nicht? Das ist Dawn.“ „D… Dawn?“ In ihrem Hirn ratterte es ein wenig, denn sie konnte die Viecher ihrer Bekannten nur sehr rudimentär auseinanderhalten, und mit deren Namen tat sie sich wirklich schwer. Schließlich machte es jedoch Klick. "Dein Evoli?“ „Na ja, wie du siehst, ist er jetzt ein Folipurba.“ Mitko kratzte sich am Kinn und sah Dawn stirnrunzelnd an. Das Pokémon saß mit gesenktem Kopf neben ihm und versuchte, sich so wenig wie möglich zu bewegen. „Er hat draußen gespielt, und als er zurückgekommen ist, sah er so aus. Anscheinend hat er beim Rumtollen versehentlich einen Grasstein berührt. Zuerst habe ich ihn gar nicht erkannt.“ „Verständlich“, warf Tabitha trocken ein. Mitko lachte und kam zum Bett zurück, wodurch sein Folipurba etwas verloren beim Schreibtisch zurückblieb. „Ich hab dir ja erzählt, dass er sich eigentlich zu einem Nachtara entwickeln sollte. Mit allem anderen wäre ich zurechtgekommen, aber ausgerechnet ein Pflanzentyp.“ Der Blonde sprach das sehr abschätzig aus, und aus dem Augenwinkel sah Tabitha, wie das Pokémon zusammenzuckte. „Das ist so ziemlich der einzige Typ, den ich nicht mag. Sie sind schwer zu trainieren und trotzdem schwach, und ihre Attacken… Ich mag sie einfach nicht.“ Tabitha hatte noch nie darauf geachtet, doch tatsächlich hatte Mitko in seinem eigentlich recht gemischten Team kein einziges Pflanzenpokémon. Seine Lieblinge waren ein Nockchan, das er hatte, seit er ein kleiner Junge war, und ein Machomei, das sein angehender Schwager mit ihm getauscht hatte. Außerdem besaß er ein Ariados, und (bis vor Kurzem) ein Evoli. „Und was hat das mit mir zu tun?“, wollte Tabitha vorsichtig wissen, obwohl sie zu ahnen glaubte, worauf das ganze hinauslief. „Na ja, du bist doch mit diesem jungen von der Poképension befreundet. Nathan oder so.“ „Ethan.“ „Ja, genau. Jedenfalls dachte ich, du könntest Dawn mit dorthin nehmen und zusammen mit meinem Dito abgeben. Bis du wieder hier bist, müsste das neue Evoli geschlüpft sein. Und weil es deine Trainer ID hätte, würde es sogar schneller wachsen.“ Tabitha zog die Brauen hoch. Was Mitko vorschlug, war eine Art Zuchtprogramm mit Dawn, das dann durch das jüngere Pokémon ersetzt würde. Was mit Folipurba passieren würde, sobald sein Trainer ein neues Teammitglied hatte, war wohl absehbar. Da es Mitko bei der ganzen Sache scheinbar um den Sammlerwert ging, fand Tabitha seinen Plan ziemlich vernünftig. Doch sie hatte immer gedacht, diese ganze Trainer-Pokémon-Sache würde auf Freundschaft beruhen, und so etwas hätte sie nicht mal mit ihrem normalen Haustier gemacht. Aber wahrscheinlich entzog sich ihr der Zusammenhang einfach, weil sie keine Ahnung von der Materie hatte. Und es konnte ihr wohl egal sein. „Ich hatte eigentlich nicht vor, nochmal nach Dukatia zu fahren“, erklärte sie und zog die Decke enger um sich. „Außerdem kannst du da auch selbst hin. Falls es um einen Rabatt geht, kann ich ja mal mit Ethan sprechen.“ „Wie, du willst nicht mehr nach Dukatia? Aber die Zeugnisverleihung ist doch in drei Wochen.“ Tabitha zuckte die Schultern. „Ich kriege das Zeugnis zugeschickt. Außerdem wollte ich in Ruhe den Umzug vorbereiten und so.“ „Man kriegt aber nicht alle Tage sein Zeugnis verliehen, Tabby.“ Mitko rutschte näher zu ihr und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. „Du hast so hart gearbeitet und solltest deinen Erfolg ein wenig feiern.“ Seine Hand fand ihren Weg unter die Decke, und er streichelte hauchzart von ihrem Hals zu ihrer Schulter. Dann beugte er sich vor, küsste die Stelle direkt unter ihrem Ohr und begann, ihren Nacken zu liebkosen. „Du hast es verdient. Und du würdest so gut aussehen in der Absolventenrobe…“ Er brachte auch noch die andere Hand unter die Decke und schob den Stoff weg, sodass Tabitha nackt in einem Nest hockte, wie ein Küken. Sie schluckte und leckte sich über die Lippen. „Kommst… Kommst du mit nach Dukatia…?“ „Ich würde gerne, aber ich fahre bei deinem Umzug mit nach Safronia“, erklärte er bedauernd und ließ die Hand von ihrer Schulter zu ihrer Brust rutschen, die er sanft streichelte. „So kurz nacheinander kann ich meine Familie nicht alleine lassen… Das verstehst du doch, oder?“ „Ja…“ „Also machst du es?“, drängte Mitko hoffnungsvoll, während er die Finger vielversprechend über ihren Oberschenkel wandern ließ. „Schon gut… Ok!“, knurrte sie, ungeduldig von seinen offensichtlichen Verführungsversuchen, die viel zu gut funktionierten. Sie ließ sich mit dem Rücken aufs Bett fallen, packte seinen Kopf und drückte ihn zwischen ihre Beine. „Und jetzt halt die Klappe.“ Das Pokémon, das sich inzwischen unter dem Schreibtisch versteckt hatte, hatte sie schon ganz vergessen. Mitko brachte es ihr aber in Erinnerung, als Tabitha sich ein paar Stunden später zum Aufbruch bereit machte. Sie hatte mit der Familie zu abendgegessen und war ewig damit beschäftigt gewesen, die jüngeren Geschwister abzuwimmeln, die mit ihr hatten spielen wollen. Mit Kindern konnte sie fast so wenig anfangen wie mit Pokémon. Sie war wohl einfach nicht der fürsorgliche Typ. Jetzt stand sie alleine mit ihrem Liebhaber an der Tür, und er küsste sie, als würde er sie am liebsten gar nicht gehen lassen. Da er aber nicht gefragt hatte, ob sie bleiben wollte, konnte sie davon ausgehen, dass etwas anderes dahintersteckte. Und tatsächlich, als er sich von ihr löste, förderte er mit einem Griff einen Pokéball zutage, den er Tabitha entschuldigend lächelnd hinhielt. Als sie die Stirn runzelte, setzte er seinen besten Hundeblick auf. „Du machst es doch, oder?“ „Ich hab schon ja gesagt“, seufzte sie mit abgewandtem Blick. „Klasse!“ Mitko drückte ihr den Ball in die Hand und einen Kuss auf die Lippen. „Du bist die Beste!“ „Aber warum muss ich es jetzt schon mitnehmen?“, fragte sie mit einem wiederwilligen Blick auf Dawn in seiner Behausung. „Reicht es nicht, wenn ich es vor der Reise nach Dukatia abhole?“ Mitko sah mit gerunzelter Stirn auf den Ball. „Du hast ja gesehen, wie er drauf ist, und so benimmt er sich schon, seit er sich entwickelt hat. Ich dachte, du könntest ihn mal Professor Lind zeigen. Vielleicht kann der ihn ja aufpäppeln.“ „Warte, warte… Ich soll auch noch mit ihm spielen?“, fragte Tabitha entsetzt, die eigentlich vorgehabt hatte, Dawn in seinem Ball zu lassen, bis sie es in der Pension abgeben konnte. Therapeutin für ein traumatisiertes Pokémon hatte sie sicher nicht spielen wollen. Mitko fasste nach ihren Hüften und zog sie wieder näher zu sich. „Nah, es reicht, wenn du ihn Lind gibst. Ich weiß das echt zu schätzen, Tabby. Du bist ein Goldschatz.“ „Ich weiß.“ „Willst du nicht doch da bleiben?“, fragte ihr Liebhaber und küsste sie erneut. Tabitha ließ ihn kurz gewähren, bevor sie sich von ihm löste und ihm unverbindlich die Brust tätschelte. „Ich schätze, ich sollte diesen psychologischen Notfall schnell zu einem Experten bringen“, wiegelte sie ab, da sie sich schon genug von ihrem Liebhaber hatte um den Finger wickeln lassen. Wenn sie weiter hierblieb, würde er sie womöglich als nächstes zum Babysitter für seine Geschwister ernennen. Mitko verstand den Seitenhieb, lächelte zerknirschte und verabschiedete sich von seinem Gast. Als die Tür hinter Tabitha ins Schloss fiel, stand sie bei schwindendem Licht im Regen, was recht gut ihre Gemütslage beschrieb. Sie sah auf den Pokéball in ihrer Hand und stopfte ihn mit einem resignierten: „Na dann mal auf ins Abenteuer!“, in die Gesäßtasche ihrer Jeans, bevor sie sich auf den Heimweg machte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)