Residuum von MeriRene ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Kapitel 1   Es dauerte eine Weile, bis Percival realisierte, dass er allmählich zu Bewusstsein kam. Die vermeintliche Schwerelosigkeit und Verworrenheit des Halbschlafes, wandelte sich langsam in ein undeutliches und unangenehm glühendes Taubheitsgefühl. Arme und Beine fühlten sich falsch und fremd an, lagen schlapp auf dem kalten Boden. Seinen Magen hingegen spürte er mehr als deutlich, denn dieser war erfüllt von einer quälenden und stechenden Leere. Seine Kehle war trocken und rau, sein Gaumen mit einem eklig klebrigen Gefühl erfüllt. Hunger und Durst schienen es zu sein, die ihn langsam aus dem traumlosen Schlaf zerrten.   Seine Gedanken waren noch immer benebelt und nur mühselig schaffte er es, ein paar Mal mit den Augenlidern zu blinzeln. In seinem Sichtfeld gab es keine Veränderung, nur weiterhin endlose Schwärze. Er versuchte seinen Kopf ein wenig zu drehen und die Muskeln in seinem Nacken spannten sich schmerzhaft an. Ihm wurde schwindlig und obwohl er nichts sehen konnte, schien sich alles um ihn herum wild im Kreis zu drehen. Er schloss die Augen und drehte den Kopf zurück. Sofern ihn sein Zeitgefühl nicht täuschte, vergingen mehrere Minuten, in denen er einfach so dalag und in die Stille hinein lauschte, die nur hin und wieder von einem seiner schmerzgeplagten Atemzüge durchbrochen wurde.   Als er endlich etwas klarer denken und fühlen konnte, stellte er sich unter anderem die Frage, wie lange er schon hier war. Tage oder vielleicht Wochen, womöglich sogar Monate? So wie er sich fühlte, musste wohl einiges an Zeit vergangen sein, seit er in dem Laden überwältigt worden war. Doch warum hatte man ihn noch nicht getötet? Grindelwald hatte ihn offenbar lebend gebraucht, zumindest hatte einer seiner Angreifer das erwähnt, wie er sich dunkel erinnern konnte. Aber der Schwarzmagier musste doch mittlerweile bekommen haben, was er wollte und keine Verwendung mehr für ihn haben. Dass er einen Auror des MACUSA, noch dazu einen so hochrangigen und fähigen wie Percival Graves, am Leben ließ, sah dem gefährlichen Zauberer ganz und gar nicht ähnlich. Doch vielleicht sollte er sich später Gedanken darüber machen. Nicht nur das quälende Hungergefühl im Bauch, sondern auch der Durst, erinnerte ihn daran, dass er lieber versuchen sollte, aus seinem Gefängnis zu entkommen, bevor diese beiden Empfindungen sein Schicksal besiegelten.   Zuerst kam Percival der Gedanke zu apparieren. Obwohl er sehr geschwächt war, seinen Standort nicht kannte und ebenso wenig wusste, wie weit der Ort, an dem er auftauchen wollte, entfernt war, legte er es auf einen Versuch an. Vor seinem geistigen Auge stellte er sich den Eingang des Hospitals vor: einen schmalen, kleinen Treppenabsatz, welcher hinunter zu einer weißen Kellertür führte, die von einem kleinen, griesgrämig schauenden Engelskopf bewacht wurde. Doch statt auf der Stelle zu verschwinden, überrollte ihn ein eisiger Kälteschauer – der Raum war appariersicher. Natürlich!   Dann probierte er es erneut, seinen Kopf auf die Seite zu legen. Er hob den rechten Arm, schob ihn schwerfällig über seinen Bauch und drehte so, mit Hilfe des Gewichtes, seinen Oberkörper ein bisschen herum. Er zog das rechte Bein nach und kippte plump auf die linke Seite. Alle seine Muskeln und Sehnen schmerzten bei diesen Bewegungen. Es fühlte sich so an, als hätte er sie völlig überdehnt. Entweder lag es an einem langanhaltenden Lähmzauber oder man hatte ihm einen Schlaftrank verabreicht, sodass er lange Zeit reglos an diesem Ort gelegen und sein Körper in der Zwischenzeit an Muskeln abgebaut hatte. Seine Hand wanderte weiter, fuhr prüfend über sein Gesicht. Als erstes spürte er eine Ansammlung kratziger Barthaare, rund um seinen Mund, dem Kinn und seinen Wangen. Mit den Fingern ertastete er magere Wangenknochen und an den Schläfen stellte er fest, dass auch seine Haare ein wenig länger und wilder geworden waren.   Unter Stöhnen und Ächzen versuchte er sich weiter aufzurichten. Seine geschwächten Arme zitterten, als er sich nach oben stemmte und seine Gelenke knackten laut, als er sie anwinkelte und mit seinem Gewicht belastete. Doch er schaffte es, sich in eine sitzende Position aufzurichten, auch wenn ihm dabei wieder schwindelig wurde und nun noch eine leichte Übelkeit hinzukam.   Noch immer war es stockdunkel und er konnte rein gar nichts erkennen. Er wusste nicht, wie groß sein Gefängnis war, geschweige denn, wo sich die Tür befand. Ihm drängte sich der beunruhigende Gedanke auf, dass er womöglich blind war. Vorsichtig tastete er über den steinernen, kalten Boden, doch je weiter er den Arm ausstreckte, desto mehr drohte er, wieder umzukippen und seine Sehnen spannten sich bis zum Zerreißen. Also ließ er es nach ein paar Versuchen bleiben. Stattdessen überlegte er nun, ob er es wagen sollte, seine zauberstablose Magie anzuwenden. Gegen eine kleine Flamme, die den Raum erhellte und ihm einen besseren Überblick verschaffte, war sicher nichts einzuwenden, sofern er überhaupt noch sehen konnte. Doch bevor er sich an einem einfachen Feuerzauber probieren konnte, musste er noch zwei Faktoren aus dem Weg räumen, um die Wirkungskraft voll entfalten zu können: Hunger und Durst.   Natürlich würde er sich im Augenblick genauso wenig ein paar belegte Brote oder ein Glas Wasser herbeizaubern können. Die zauberstablose Magie war kompliziert und heikel. Mit einem Zauberstab zu zaubern war, wenn man die Grundlagen beherrschte, recht einfach. Es war das bequemste und gebräuchlichste Hilfsmittel, um die magischen Kräfte besser zu bündeln und handzuhaben. Doch ohne Zauberstab war die Magie nicht mehr als ein von Gefühlsausbrüchen geleitetes, unberechenbares Chaos, welches sich nicht nur gegen die Umwelt, sondern auch gegen einen selbst richten konnte. Meist mit ungeahnten und ungewollten Folgen. Zauberstabloses Zaubern erforderte also vor allem geistige und emotionale Kontrolle und, wie in diesem Fall, eine Ausblendung von Empfindungen wie Hunger, Durst oder Schmerzen.   Es dauerte ein Weilchen, bis er all diese quälenden Dinge verdrängt hatte. Es war nicht so leicht wie sonst. Er war noch immer ein wenig benebelt, geschwächt und frierend, unbewaffnet und seine Konzentration litt noch mehr durch die tausend Fragen, die ihm immer wieder in die Quere kamen. Die Leere in seinem Magen schmerzte und grollte, seine trockene Kehle brannte mit jedem Atemzug und so kostete es ihm einige Mühe, sich zu beherrschen.   Schließlich fühlte er sich doch einigermaßen im Stande, seine Kräfte anzuwenden und ballte die rechte Hand zur Faust. Er konzentrierte sich auf einen einfachen Flammenzauber und bald darauf spürte er eine wohlige Wärme durch seinen Arm fließen, hinauf in seine Handfläche, wo sie sich mit einem angenehmen Kribbeln sammelte. Als er die Finger ausstreckte, schoss eine schmale, lodernde Flamme empor. Allein durch seinen fixierten Blick schien er sie dazu anzuspornen, größer und heller zu werden. Nachdem sich seine Augen an das ungewohnte, flackernde Licht gewöhnt hatten, untersuchte er alles, was sich in dem schwachen Lichtkegel erkennen ließ.   Zuerst fielen ihm seine Finger und das sehnige Handgelenk auf, die Körperteile, die am meisten beleuchtet wurden und ungewohnt mager wirkten. Er musterte sie nachdenklich, bevor sein Blick weiter über seine Kleidung wanderte. Sein Mantel und die Weste waren fort, aber sein Hemd saß seltsam locker, war etwas schmutzig und arg zerknittert. Die dunkle Hose und die Socken sahen ähnlich aus, doch seine Stiefel waren ebenfalls weg.   Er bekam langsam eine vage Vorstellung dessen, was Grindelwald vermutlich geplant hatte. Seinen schwarzen Mantel, mit dem weißen Innenstoff, und die hochgeschnürten Stiefel hatte Percival bereits so oft getragen, dass sie beinahe zu seinem Markenzeichen geworden waren. Diese beiden Sachen, sein registrierter Zauberstab und ein guter Verwandlungszauber oder Vielsafttrank, würden Grindelwald dabei helfen, seinen Platz im MACUSA einzunehmen. Zumindest vorrübergehend. Das würde vielleicht erklären, warum Percival noch am Leben war, denn ab und an würde Grindelwald wohl ein paar frische Haare benötigen, um seine Tarnung aufrechtzuerhalten  und auch, wenn er diese nicht mehr benötigen würde, wäre Percival noch immer eine beträchtliche Quelle des Wissens, die abgezapft werden konnte. Und diese informationsreiche Quelle nicht versiegen zu lassen, war durchaus kein unüberlegter Schachzug. Aber Percival bezweifelte, dass sein jähes Aufwachen zum Plan gehörte.   Er war diese Überlegungen ganz sachlich und vernunftgemäß angegangen, was er wohl seinem Beruf zu verdanken hatte. Doch allmählich beschlich ihn auch eine gewisse Besorgnis und Unruhe. Grindelwald in den Reihen des MACUSA, unerkannt und immer vorgewarnt, seine eigenen Ziele unbehelligt verfolgend… Die Vorstellung bereitete ihm noch mehr Übelkeit.   Das hektische Flackern seiner spärlichen Lichtquelle riss ihn aus seinen Überlegungen und erinnerte ihn daran, dass er eigentlich versuchen wollte, seinem Gefängnis zu entkommen. Antworten auf seine Fragen konnte er nur bekommen, wenn er es lebend hier herausschaffen würde. Seine volle Aufmerksamkeit galt nun also wieder dem rötlichen Glühen in seiner Handfläche. Mit großer Mühe schaffte er es, die Flamme noch etwa größer werden zu lassen und beobachtete eine Weile, wie sie wild tanzend nach oben wuchs und glimmende Funken in die Lüfte stiegen. Der Raum war, soweit es Percival erkennen konnte, kreisrund und von grob gearbeiteten Steinen ummauert. Eine Decke ließ sich nicht erkennen, genauso wenig wie eine Tür oder ein Fenster. Eine flüchtige Inspektion des Bodens führte nur zu der ernüchternden Erkenntnis, dass eine Falltür ebenfalls nicht vorhanden war.   Er ließ das Feuer diesmal mit Absicht ein wenig kleiner werden und konzentrierte sich nun auf ein paar andere Zauberformeln. Vielleicht konnte eine davon einen verborgenen Ausgang öffnen. „Aloho...“ Der Versuch, einen dieser Zauber laut auszusprechen, endete in einem krampfartigen Hustenanfall. Percival wurde von einer erstickenden Welle aus Schwindel und einem eisigen, kratzigen Gefühl in der Kehle überwältigt. Das Licht verschwand, als er die Faust schloss und gegen seinen Mund presste. Seine Lungen zogen sich mit jedem Husten schmerzhaft zusammen, die Kehle brannte, sein Oberkörper krampfte und kippte haltlos auf die Seite. Mit der Schläfe prallte er unsanft auf den Boden und für einen Augenblick sah er Sterne vor seinen Augen tanzen. Ein oder zwei Minuten vergingen, ehe er sich wieder etwas erholt hatte, doch diesmal blieb er liegen.   ‚Na gut‘, dachte Percival. ‚Dann eben so: Alohomora.‘ Nichts passierte. ‚Aberto… Cistem Aperio… Nyílt… Abrete Sesamo…‘ Er machte eine Pause, um sich zu sammeln und suchte nach weiteren Sprüchen, die bekanntermaßen Türen öffnen oder Hindernisse aus dem Weg räumen konnten und ging sie in Gedanken durch. ‚Öffne… Dunamis… Bombarda… Portaberto…‘    Er wurde allmählich unruhig. Entweder war er noch zu geschwächt, um eine magisch verborgene Tür zu öffnen oder sein Gefängnis wurde mit einem besonderen Zauberspruch oder einem Bann gesichert, welchen er brechen musste. Doch er hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Selbst wenn er nicht so geschwächt wäre, könnte es Tage dauern, bis er die richtige Formel fand. In der Zwischenzeit wäre er wahrscheinlich verhungert und verdurstet, sofern niemand vorbeikam, um nach ihm zu sehen. Mit etwas Glück könnte er es vielleicht schaffen, denjenigen zu überwältigen, doch das hing ganz davon ab, ob diese Person innerhalb einer erträglichen Zeitspanne aufkreuzte. Und sein Gefühl sagte ihm, dass vorerst niemand auftauchen würde.   ‚Nein, du konzentrierst dich jetzt‘, spornte er sich selbst an. Eine Weile lag er einfach nur da, die Augen nach oben in die Finsternis gerichtet und darum bemüht, weiterhin seine Kräfte zu sammeln. Hunger, Durst und die Schmerzen, all das versuchte er mehr und mehr auszublenden. Das Stechen in seinem Kopf und das benebelnde Schwindelgefühl nagten an seiner Konzentration und drohten immer wieder damit, ihn abzulenken. Obwohl es pechrabenschwarz war, schloss er wieder die Augen, mehr aus einer alten Gewohnheit heraus, als wirklichen Nutzen. Als er die zauberstablose Magie erlernt hatte, hatte es ihm immer geholfen und es tat allmählich seine Wirkung.   Er streckte einen Arm aus und konzentrierte sich darauf, all seine Energie dorthin zu leiten. Dann dachte er so gut es ging an den stärksten Zerstörungszauber, den er kannte. Wieder bahnten sich die Kräfte einen fast spürbaren Weg durch seinen Körper, scharten sich zusammen und spannten die Sehnen in seinen Fingern an, sodass seine Hand steif in der Luft hing. Dann wagte er es, den Zauber wirken zu lassen.   Zuerst glaubte er, dass sich rein gar nichts tat. Das Einzige was er hörte, war seine Atmung, ein hektisches Schnaufen durch seine Nase und hin und wieder das Knurren und Gluckern seines protestierenden Magens. Das Blut rauschte durch seinen Körper und pochte in seinen Schläfen. Seine Finger wurden taub von der Kälte, der erhobene Arm schmerzte. Erneut fing alles an sich zu drehen und seine Aufmerksamkeit drohte nachzulassen. Doch dann ertönte ein neues Geräusch und spornte ihn aufs Neue an. Es war das sanfte Knirschen von bröckelndem Mörtel.   Der Klang wurde stetig lauter und intensiver, bald mischte sich auch das Schaben und Grollen der Steine unter, als sie sich endlich durch eine unsichtbare Kraft lösten und gegenseitig zur Seite drückten. Die Luft wurde mehr und mehr von Staub und den ersten, zarten Lichtstrahlen erfüllt, die sich einen Weg durch das berstende Mauerwerk bahnten. Und schließlich, als die ersten Steine knackend zersprangen oder polternd herunterstürzten, der Boden unter den Erschütterungen zu vibrieren begann, wurde das einfallende Licht nun einzig und allein von dem Mörtelstaub gedämpft, der als dichte Nebelschwade träge durch den Raum zog, bis ein frischer Windhauch diesen beinahe sanft durcheinanderwirbelte und langsam zerstreute.   Doch noch konnte sich der Auror nicht wirklich an der neugewonnenen Freiheit erfreuen. Der Moment seines Erfolges brachte ihm auch Erschöpfung und seine letzten Kraftreserven waren vorerst aufgebraucht. Sein Arm landete plump auf dem Boden, auf dem sich bereits eine dünne Staubschicht gebildet hatte und erschöpft lag er wieder reglos da, den Blick auf den selbstgeschaffenen Ausgang gerichtet und die ersten, angenehm frischen Luftzüge genießend.   ~*~*~   Er wusste nicht, wie lange er so dagelegen hatte, halb bewusstlos vor Erschöpfung, bis ein Teil seiner Kräfte wieder zurückgekehrt war. Sein Blick ruhte dabei in der entstandenen Öffnung und musterte das, was er dahinter erblickte. Viel konnte er nicht sehen, doch gegenüber befand sich ein schmales Fenster, welches die willkommene Lichtquelle darstellte, auch wenn es offensichtlich zu dämmern anfing. Der rötliche Schein wurde stetig schwächer und die Schatten wanderten, immer größer und dunkler werdend, über den Boden.   Mühsam brachte er sich wieder in eine sitzende Position, wirbelte dabei den Staub auf und versuchte so gut es ging, diesen von seiner Nase und den Augen fern zu halten. Er richtete sich weiter auf und schließlich gelang es ihm, sich wankend hinzustellen. Nach einer kurzen Pause wagte er einen Versuch zu laufen. Er strauchelte und stürzte dem Ausgang regelrecht entgegen, klammerte sich dort am Mauerwerk fest und warf nun einen Blick in den Raum, neben seinem Gefängnis.   Er war beinahe ein wenig überrascht, sich in einem Wohnzimmer wiederzufinden. Doch schon ein flüchtiger Anblick genügte, um ihm zu offenbaren, dass dieser Ort schon lange nicht mehr als Wohnung genutzt worden war. Die Tapete hing in runzeligen Fetzen von den Wänden, das grässliche Blumenmuster verblichen und verzerrt. Ein Schrank in der Ecke stand offen und beinhaltete nur noch schiefliegende Bretter und gähnende Leere. Ein Tisch lag umgeworfen und zerkratzt in der Mitte des Raumes und die beiden dazugehörigen Stühle lagen zerbrochen und ohne Sitz trostlos daneben. Scherben von Geschirr und Gläsern waren auf dem Boden verteilt und die Lampe, die schief von der Decke baumelte, erweckte den Eindruck, dass nur noch ein Husten fehlte, um sie endgültig aus ihrer Verankerung zu lösen. Ebenso wie Percivals Zelle, war auch hier alles von einer Staubschicht bedeckt, teils von der Zerstörung der Mauer, teils vom jahrelangen Leerstand. Nur vom Wohnungseingang, bis hin zu der zerstörten Wand, zog sich eine verräterische Spur ungleichmäßiger Schuhabdrücke, die auf die vergangene Anwesenheit diverser Personen schließen ließ, vermutlich diejenigen, die ihn hier eingesperrt hatten.   Schwerfällig kletterte Percival über die wackeligen Reste des Gemäuers, hinein in den verwahrlosten Raum. Langsam und bedächtig tastete er sich an der Wand entlang, in Richtung des schmalen Fensters, um einen Blick hindurch zu werfen. Die Scheiben waren schmutzig und von Schlieren überzogen, dennoch konnte er einiges von der Außenwelt erkennen. Er befand sich augenscheinlich in einem unbenutzten, baufälligen Gebäude eines weniger eleganten Stadtteils von New York. Auch die gegenüberliegenden Häuser wirkten marode, doch offenbar waren sie noch vereinzelt – und vermutlich auch heimlich - bewohnt. Auf den Bürgersteigen liefen No-Majs vorbei, gut erkennbar an den bläulichen  Latzhosen und Overalls, die sie als einfache Arbeiter einer der zahlreichen Fabriken kennzeichneten. Ein paar verhutzelte Obdachlose saßen, um Almosen bettelnd, auf dem Bürgersteig, während eine Handvoll Kinder mit schmuddeliger Kleidung trotz der Abenddämmerung eine Art Fangspiel vor einem Häusereingang trieben.   Percival kam gerade die Frage in den Sinn, warum ihn eigentlich niemand von Grindelwalds Leuten bewachte, als ihn ein gleichmäßiges Knarzen außerhalb der Wohnung aufhorchen ließ. Das Geräusch wurde lauter, kam immer näher. Jemand stieg eilig die Treppe hinauf.   ~*~*~   Percival erkannte schnell, dass er nicht die Möglichkeit hatte, sich irgendwo zu verbergen. Nichts im Raum konnte ihm auf die Schnelle Schutz bieten. In jeder anderen Situation wäre es ihm wohl albern vorgekommen, sich zu verstecken. Er war ein talentierter Zauberer, Leiter der Sicherheitsabteilung des MACUSA. Doch er war zu geschwächt, um ernsthaft gegen einen Gegner zu kämpfen und sich diesmal dem Gefecht zu entziehen, war momentan die bessere, klügere Idee. Das Einzige, was ihm einen Vorteil verschaffen könnte, war das Überraschungsmoment. Derjenige, der die Stufen hochkam, wusste nicht, dass er gleich dem Auror gegenüberstehen würde und das musste Letzterer ausnutzen. Doch sehr viel Zeit für einen Plan blieb ihm nicht. Die Schritte kamen polternd näher, stoppten kurz vor der Eingangstür und schon drehte sich der runde Knauf. Knarrend und quietschend öffnete sich die Tür.   Der Mann, der grimmig dreinblickend in den Raum gestürmt kam, war für ihn kein Unbekannter. Die hochgewachsene, drahtige Gestalt und das kantige, gutaussehende Gesicht mit dem hochnäsigen Blick, hatte er oft genug auf einem der zahlreichen Steckbriefe des Versammlungsraumes gesehen. Eduardus Limus – gesucht wegen dem Verkauf falscher Zauberstäbe und der Ermordung zahlreicher No-Majs – hielt sich also nicht mehr, wie vermutet, in Asien auf. Stattdessen schien er sich, wie man es auch nicht anders erwartet hatte, in die Reihen von Grindelwalds Anhängern begeben zu haben und war offenbar Teil dieser Verschwörung geworden.   Limus blieb kaum drei Schritte später stehen und starrte aus seinen dunklen Augen heraus zuerst auf den Trümmerhaufen unter der Wand und dann kurz in das tiefschwarze Loch, welches ins Innere des Gefängnisses führte. Sein zorniger Blick schwand und Entsetzen und Panik bahnten sich an. Vielleicht hatte er Percivals Spuren im Staub entdeckt oder nahm ihn aus den Augenwinkeln heraus wahr, doch schließlich wandte er alarmiert den Kopf zu ihm herum.   Dieser Moment war seine Chance. Limus‘ Hand zuckte zu seiner Hüfte, wo er seinen Zauberstab unter dem dunklen Mantel verborgen hielt, doch der geschwächte Auror war trotzdem schneller. Er riss seinen Arm in die Luft, machte eine wischende Bewegung mit der Hand und schon flogen dem Eindringling ein Dutzend scharfkantiger Scherben entgegen, die eben noch auf dem staubigen Boden verteilt waren. Limus hob schützend einen Arm, doch Glas und Porzellan prasselten kratzend und schneidend auf ihn herab und im nächsten Augenblick war es Percival gelungen, ihm auch noch ein abgebrochenes Stuhlbein entgegenzuschleudern. Es rauschte treffsicher unter der erhobenen Hand hindurch und traf Limus am Kopf. Der Mann strauchelte zur Seite und prallte gegen die Wand. Einen Augenblick schien er benommen, dann stieß er sich von der Wand ab und wandte sich wieder zu seinem Angreifer um, das Gesicht wutverzerrt.   „Du…“, zischte Limus. Tiefe Kratzer und Staub auf Stirn und Wange ließen seinen Beinamen ‚Pretty Face‘ ein wenig fehl am Platz wirken, doch das amüsierte Lächeln, welches seinen angriffslustigen Blick untermalte, hätte auch so das Herz einer Frau erweichen können. Wieder bewegte sich seine Hand in Richtung seines Zauberstabes zu, doch als Percival ihm erneut eine Welle von Scherben und Staub entgegen schleudern wollte, wich er mit einem beinahe eleganten Sprung aus. Gleichzeitig bekam er den Griff seines Stabes zu fassen und zog ihn schwungvoll aus der Gürteltasche.   Die Lage hatte sich nun drastisch geändert. Der Auror war zu schwach, um es mit den besser kontrollierten und zielgerichteten Flüchen eines Zauberstabes aufzunehmen. Dazu kam, dass Limus kein untalentierter Magier war und sich bereits mehrfach durch List und Gewandtheit einer Verhaftung entzogen hatte. Doch es nützte alles nichts, kampflos würde sich Percival nicht geschlagen geben.   Limus holte zu seinem ersten Schlag aus und nun war es Percival, der hektisch zur Seite sprang oder besser gesagt, aus der Schusslinie stolperte. Er schlug mit der Faust durch die leere Luft und schaffte es, Dank seiner stablosen Magie, dass die Glühbirne der Deckenlampe, die beinahe über Limus‘ Kopf schaukelte, zerplatze. Erneut regneten feine Splitter auf seinen Gegner herab, doch nun gelang es diesem, den Angriff abzuschwächen. Abgewandelt in einen feinen Nieselregen, rauschten die Überreste an Limus vorbei und besprenkelten das blasse Blumenmuster der fransigen Tapete.   „Stupor!“ Limus jagte ihm den Schockzauber auf Höhe seines Gesichtes entgegen, doch der Zufall sorgte dafür, dass Percival durch sein vorrangegangenes Stolpern auf dem schmutzigen Boden ausrutschte und nach unten stürzte. So entkam er noch einmal dem roten Lichtstrahl, der krachend und funkensprühend an der Wand zerschellte. Erneut hetzte ihm Limus einen Schockzauber entgegen und tatsächlich schaffte er es, den Fluch im letzten Moment abzulenken. Doch der Zauber rauschte in den Schrank hinein, der direkt neben ihm stand und mit ohrenbetäubenden Krachen stürzte die ohnehin schon ramponierte Konstruktion zusammen. Durch die Wucht des Zaubers wurde Percival zur Seite geschleudert und krachte nun selber mit dem Kopf gegen eine Wand. Wieder tanzten Sterne vor seinen Augen und verschwommen nahm er Limus‘ Gestalt wahr, die mit erhobenem Zauberstab auf ihn zuschritt. Er versuchte gegen die Bewusstlosigkeit anzukämpfen, hob abwehrend die Hände, doch Limus holte erbarmungslos für den letzten Schlag aus.   „Avada Ke…“ „EXPELLIARMUS!“   Eine neue Stimme erklang, weiblich und schrill. Percival erkannte in der aufkommenden Dunkelheit, die ihn einhüllte, wie Limus durch den bläulichen Lichtblitz von ihm fortgeschleudert wurde. Der Mann krachte geräuschvoll gegen die Wand der angrenzenden Küche und kam dort zum Liegen. Sein Zauberstab landete klappernd in einer fernen Ecke des Wohnzimmers.   „Incarcerus“, sprach die Frau. Ihre Schritte, leise und trippelnd, kündigten ihr Näherkommen an, während die heraufbeschworenen Seile vorneweg flogen und sich zielstrebig um den entwaffneten und bewusstlosen Zauberer schlängelten. Percival bemerkte, wie sich die Frau neben ihm niederließ, doch die tanzenden Sterne vor seinen Augen nahmen ihm zunehmend die Sicht. Eisige Hände tätschelten kurz seine Wangen, befühlten seine Stirn. Wie durch einen dunklen Nebelschleier sah er kurz ihr Gesicht vor sich auftauchen, oval und von kinnlangen, dunklen Haaren umrahmt. Braune, von Sorgen erfüllte Augen starrten ihn an und er konnte gerade noch erkennen, wie die Lippen seinen Namen formten. Er wollte die Arme heben, die Hände der Frau ergreifen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht.   „Mr Graves?“, hörte er ihre Stimme sagen, die nun leise und dumpf klang. ‚Tina…‘, dachte er und alles wurde wieder still und finster. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)