Blutorange von -Kiara ================================================================================ Kapitel 1: Zehn Jahre später ---------------------------- Das laute Ticken einer großen, alten Standuhr hallte durch die menschenlose Bibliothek. Es bahnte sich seinen Weg durch die Regale voller Bücher, welche sauber und ordentlich aufgereiht waren. Sie waren nicht mehr alle im besten Zustand. Bei ein paar war der Buchrücken angesengt, die Seiten von Feuchtigkeit gewellt und manche schon fast gänzlich ausgeblichen. Aber von diesen Büchern konnte man sich nicht trennen. Und das in einem ziemlich wörtlich gemeinten Sinn. Man konnte es einfach nicht. Diese Bücher waren zu mächtig und hatten teilweise bereits ihren eigenen Willen entwickelt. Wenn man sie loswerden wollte, belegten sie den Träger mit einem Fluch oder krochen nachts, wenn niemand hinsah, einfach wieder zurück ins Regal. Eine magische Bibliothek zu leiten war gar nicht so einfach. Gähnend blätterte eine junge Frau am Empfangstresen die Seiten eines eher harmlosen Exemplars ihrer Sammlung durch. Es war ein schmalziger Groschenroman, nicht weiter von Bedeutung. Er war nichtmal gut. Aber leider so ziemlich das einzige Buch in diesem Gebäude, welches Sharon Rodow nicht bereits gelesen hatte. Und wenn man sich den Wortlaut jedes Buches exakt merken konnte… wofür dieselbe Geschichte ein zweites Mal lesen?
 Wobei… im Grunde wiederholten sich die Geschichten ja doch. Diese hier, kam ihr so unheimlich bekannt vor. Und irgendwie ließ sie Sharon an eine längst vergangene Zeit erinnern. „Miss Rodow! Miss Rodow! D-die Banditen! Sie sind wieder hier!“, platzte plötzlich und völlig hysterisch ein junger Mann durch die Tür. Keuchend kam er vor Sharons Empfangstresen zum Stehen. Diese hob den Kopf, welcher eben noch auf ihre Hand gestützt war. Ein roter Abdruck blieb auf ihrer Wange - wie lang hatte sie in dieser Position verharrt? Na, so lange konnte es doch nicht- … ein Blick auf die Seitenzahlen verrieten ihr, dass sie bereits auf Seite 423 angekommen war. Dieser Schund ging länger, als sie erwartet hatte.
 Sharon nahm die Brille von ihrer Nase und rieb sich mit der anderen Hand das Gesicht. „Schon wieder?“, seufzte sie. Bereits in den vergangenen Monaten hatte eine Gruppe böser Tunichtgute versucht ihre Ortschaft auszurauben. Blöd war nur, dass ihr Dorf außer Alkohol und Bücher nicht viel zu bieten hatte. Schätze und Reichtum schonmal gar nicht. Außer natürlich, dass die Bewohner reich an Wissen waren. Aber das war wohl eher weniger etwas, was diese Banditen sich aneignen wollten. „Ja, Miss! Und dieses Mal scheinen sie es ernst zu meinen!“, beteuerte der Mann. „Gott, Malcolm, man sollte meinen, sie hätten die Nachricht verstanden, die wir ihnen das letzte Mal überbracht haben.“ Der Angesprochene hob hilflos die Schultern. „Vielleicht hielten sie es für eine leere Drohung. Ich meine, warum sollten wir auch Hilfe von… Ihrem Kontakt erwarten?“ Seine Stimme wurde ehrfürchtig etwas leiser. „Ich hätte gedacht, dass allein sein Name sie in die Flucht schlagen würde.“ Betretenes Schweigen trat zwischen sie beide. Man hatte mehrfach versucht mit den Banditen zu verhandeln. Solange sie niemandem etwas taten, hatte man sie beherbergt. Aber sie wurden immer fordernder und begannen das Örtchen Stück für Stück einzunehmen. Vermehrt brachen sie in Häuser ein, vergriffen sich an den Frauen und urinierten wohin es ihnen passte. Zuletzt hatten sie das Rathaus angezündet. Damit hatten sie das Maß deutlich überschritten. Sharon hatte das Gefühl, dass die Banditen ihr keine andere Wahl ließen, als sie freundlich darauf hinzuweisen, dass sie guten Kontakt zu einem gewissen, berüchtigten Mafiosi hegte. Und das schon seit gut zehn Jahren. „Und was werden Sie jetzt tun?“, fragte Malcolm leise. Resigniert schloss Sharon ihren Schundroman. „Naja, wer nicht hören will…“ Sie nahm ihren Mantel von der Stuhllehne und schritt zur Tür. In ihrem Kopf plante sie bereits, was sie für ihre Reise benötigte. Ein leichtes Kribbeln fuhr ihre Wirbelsäule herauf. Sie hatte sich schon lange nicht mehr auf ein Abenteuer begeben. Aber es sollte nicht allzu schwierig werden, ihren alten Bekannten ausfindig zu machen. „Werden Sie ihn jetzt holen gehen?“ Sharon nickte bestimmt. „In spätestens zwei Wochen bin ich wieder da. Versucht bis dahin noch genug Bier auf Lager zu haben. Er wird es zum Runterspülen brauchen.“ Die Schurken würden Risto eine gute Vorspeise abgeben. Kapitel 2: Aufbruchsstimmung ---------------------------- Lauter Trubel schallte aus dem Gasthaus, Musik, Gegröle, ab und zu ein hohes Kreischen und das Scheppern von Geschirr. Sharon würdigte dem bunten Treiben im Vorbeigehen nur einen kurzen Blick. Sie war davon überzeugt, dass die Banditen dort gerade ein Saufgelage veranstalteten. Solange sie gut gelaunt und nicht zu betrunken waren, sollten sie kein Problem darstellen. Heikel wurde es, sobald die ersten Egomanen aufeinander prallten und die jungen Frauen ungehobelte Annäherungsversuche abwehrten. Sharon kannte das Gasthaus sehr gut. Sie war keine begabte Köchin, war ohnehin viel zu faul sich selbst zu ernähren und genoß beim Essen gerne Gesellschaft. Deshalb verbrachte sie seit vielen Jahren ihre Abende stets dort. Es gab immer genug Alkohol und Sonderwünsche wurden gern erfüllt. Auch wenn es mal eben ein ganzes Spanferkel für eine einzige Person war. Mit gezielten Schritten bog die junge Dame in eine Gasse und betrat die Schwelle zu ihrer kleinen Kammer. Viel benötigte sie zum Leben nicht. Sie verbrachte den ganzen Tag in der Bibliothek, nur zum Schlafen und um sich zu Waschen und frische Kleidung anzuziehen kam sie hierher. Solche Dinge sollte man in einer Bibliothek lieber unterlassen. Eilig griff sie nach einem Beutel und stopfte ihn voll mit Abenteurerutensilien. Also, das nannte sie zumindest so. Eigentlich handelte es sich dabei nur um einen Satz Wäsche, ein Messer, etwas Brot und einer Wasserflasche. Schwungvoll und zuversichtlich wandte Sharon sich der Tür zum Gehen zu und erschrak, als sie fast mit einer Gestalt zusammenstieß. „Malcolm! Warum folgst du mir?“, stieß sie aus. „Ich habe beschlossen, Sie zu begleiten, Miss!“, sagte Malcolm fest entschlossen. „Bitte was? Äh, danke. Aber ich kann auf mich auch ganz gut alleine aufpassen.“ Malcolm runzelte die Stirn. „Das glaube ich Ihnen. Aber sind Sie nicht diese Woche schon wieder beim Umsortieren von der Leiter gefallen und wurden von einem ganzen Regal voller Bücher begraben?“ Sharon presste die Lippen zusammen. Das passierte ihr einfach zu häufig. „Aber mir geht es gut. Inzwischen bin ich Profi darin, mich aus Bücherbergen zu befreien.“ „Und die ganzen Schnittwunden an Ihren Fingern…“ Es war ihr sehr bewusst, dass sie nicht die grazilste Person auf Erden war. Wer sonst außer ihr konnte schon nachvollziehen, wie häufig man sich den kleinen Zeh an einer Kante stoßen, über die eigenen Füße stolpern, beim Trinken den Mund verfehlen oder sich beim Blättern am Papier schneiden konnte. Ja, sie war ungeschickt. Aber das schränkte sie nicht in ihrem Leben ein. „Wenn du unbedingt willst, dann komm halt mit“, gab sie sich schon sehr früh geschlagen. Diskutieren hatte keinen Zweck und Lust hatte sie darauf schon gar nicht. Außerdem wäre es vielleicht doch ganz unterhaltsam nicht die ganze Reise alleine verbringen zu müssen. Mit einem lauten Krachen zog sie die Tür hinter sich zu. Erstaunt musste Sharon feststellen, dass Malcolm in der kurzen Zeit anscheinend sein ganzes Hab und Gut zusammengepackt haben musste. Hinter ihm parkte eine Schubkarre voller Kleidung, Decken Töpfen und Pfannen… „Was ist das denn?“, fragte sie und konnte die Augen kaum von dem Anblick abwenden. Malcolm beugte sich behutsam zu ihr und senkte seine Stimme. „Ich verstehe, wenn Sie fliehen wollen. Wenn die Banditen wirklich anfangen sollten, ernsthaft zu randalieren, möchte ich auch so weit weg sein, wie möglich.“ Es braucht einige Momente, bis Sharon die Informationen richtig verarbeitet hatte. Malcolm hatte nicht einfach zu viel gepackt - er wollte abhauen! Irritiert schüttelte sie den Kopf. „Dazu wird es nicht kommen, wenn Risto uns hilft.“ Malcolm lachte nervös. „Ach kommen Sie, das war doch nur eine Finte, oder? Eine Ausrede. Sie sagen, Sie gehen den großen, gefährlichen… m-m-menschenfressenden Mafiosi holen, aber suchen tatsächlich nur das Weite.“ „Malcolm. Ich meine das ernst. Ich werde ihn holen. Damit jeder in der Stadt nächsten Monat noch in seinem eigenen Haus leben kann.“ „Aber- … wie? Woher kennen Sie ihn? Ich meine- … Sie sehen mir nicht wie eine Gangsterbraut aus. Der vernascht Sie doch zum Frühstück.“ Oh, das hatte er bereits getan. Meistens aber eher nach dem Abendessen. Erneut schüttelte Sharon den Kopf. Das war der Schundroman, der ihr da die Assoziation ins Gedächtnis trieb. „Ach weißt du, eigentlich ist er gar nicht so übel. Man muss ihn nur ein bisschen kennenlernen.“ Ihr Lächeln war nahezu unschuldig. Als würde sie gerade nicht von einem riesigen, großbäuchigen, fiesfratzigen Mafiaboss reden. Wahrscheinlich wussten die wenigsten, dass er gerne Katzen mochte. Ihr frisch ernannter Begleiter starrte sie nur unglaubwürdig an. Selbst wenn sie die Wahrheit sagte, konnte sich Malcolm nicht ausmalen, wie es je dazu gekommen sein sollte, dass diese zarte, tollpatschige und durchaus liebenswürdige Bibliothekarin mit dem obergrößten Superschurken per Du war. Er schluckte laut. „Wie… ist er denn so?“, fragte er zaghaft. Sharon wog den Kopf. Sie konnte sein Antlitz ja auch nicht beschmutzen, indem sie einfach so aus dem Nähkästchen plauderte. Und selbst wenn er vor zehn Jahren mal rosa Staubwedel gehasst hatte, vielleicht hatte er inzwischen ja einen Sinneswandel. Immerhin veränderte sich jeder im Laufe der Zeit. Sharon war schließlich auch viel erwachsener geworden, das hatte sie sich mit ihren 31 Jahren hart erarbeitet. Außerdem war sie gar nicht mehr so naiv wie damals. „Pass auf, ich erzähl dir unterwegs, wie wir uns kennengelernt haben. Schwing die Hufe, sonst sind wir zur Dämmerung nichtmal an der nächsten Flussbeuge.“ Malcolm schulterte Sack und Pack. Himmel, selbst wenn ihre Mission scheitern würde, diese Geschichte versprach spannend zu werden. Kapitel 3: Nähkästchen ---------------------- Knarrend und quietschend rollte die kleine beladene Karre über den Trampelpfad. Malcolm versuchte sich mit keiner Miene anmerken zu lassen, wie sehr es an seiner Muskelkraft zerrte die Schubkarre zu bugsieren. Sharon und ihre Begleitung hatten ein angenehmes Spaziertempo gewählt. Bis sie ausgelaugt waren, sollten sie die nächste Stadt erreicht haben. Während sie so über Stock und Stein liefen, erzählte Sharon ausgiebig von ihrem Abenteuer mit dem berüchtigten Risto. Angefangen bei dem schicksalhaften Tag, an dem er ihre Bibliothek betreten hatte um ein Buch über Felsgoldgeister auszuleihen, welches zu seinem Pech bereits wenige Tage zuvor entliehen wurde. Nichtsdestotrotz hatte er stattdessen Sharon zum Essen eingeladen. „Und Sie haben das Angebot angenommen? W-w-wollte er nicht eher SIE essen?“, stotterte Malcolm verwundert. Sharon neigte nachdenklich den Kopf. „So hab ich das damals gar nicht aufgefasst. Ich hatte keine Ahnung, wer er ist. Etwas mulmig war mir aber schon. Immerhin sah er ja schon furchteinflößend aus.“ „Etwas mulmig?“, betonte Malcolm. Sie wurde von diesem riesigen Monster zum Essen ausgeführt und sie hatte nur ein etwas komisches Gefühl im Bauch gehabt? Sie selbst hätte zu einem komischen Gefühl im Bauch des Oberschurken werden können! „Irgendwann hat er mir auch erzählt, dass er Menschen isst“, gab Sharon mit einem Schulterzucken zu. Sie zuckte darüber nur mit den Schultern?! Ihre Bibliothekarin hatte es in Wahrheit faustdick hinter den Ohren! „Dann haben Sie aber Reißaus genommen, oder?“, hakte Malcolm ungläubig nach. „Tatsächlich“, begann Sharon langsam „habe ich mir vorgestellt es wäre so, als sei ich Vegetarierin während er Wildschweine verdrückt.“ Hatte diese Frau schonmal etwas von gesundem Menschenverstand gehört?! War ihr Kopf von den ganzen Büchern so vernebelt, dass sie nicht mehr wusste, wie die Wirklichkeit funktionierte? Sharon lachte unbekümmert. „Zugegeben, das hat er mir nach der ersten Woche offenbart. Ich hab es einfach hingenommen. Vielleicht, weil ich es einfach hinnehmen wollte. Man tut schon echt komische Sachen, wenn man verliebt ist.“ Mit einem Mal polterte es laut. Die Karre war zu Boden gekracht und sämtliche Töpfe, Pfannen, Stiefel und Teller fielen in den Dreck. Malcolm war abrupt stehen geblieben und hatte alles aus den Händen fallen lassen. Entgeistert starrte er sie an. „Verliebt?!“ Sharon gab sich große Mühe über seinen Anblick nicht laut loszuprusten. Seine Reaktion war einfach herrlich. „Seine charmante Art war schon… außerdem hab ich mich ein bisschen um ihn gekümmert. Wir haben quasi Tag und Nacht aufeinander gehangen. Ich hab ihn verarztet und… ich glaube das war, wie nennt man das, der Samariter-Effekt?“ Hatte sie sich also in ihn verliebt, weil sie Mitleid mit ihm hatte?! Mitleid?! Was war falsch mit der Frau?! Achtsam versuchte Sharon die heruntergefallenen Utensilien wieder in den Karren zu räumen. Dabei brachte sie den Chaoshaufen aus dem fragwürdigen Gleichgewicht und riss noch mehr Geschirr runter, welches an einem ungünstig gelegenen Stein zerschellte. „Wah! Entschuldigung!“, stieß sie aus und versuchte wenigstens noch die Scherben aufzusammeln aber schnitt sich prompt an ihnen. „Aua!“ Malcolm seufzte innerlich. Das war dann wohl Karma. Er suchte den Verband aus seinem Chaos und begann damit Sharon zu verarzten. „Was hat euch getrennt?“, fragte er nebenbei. Auch wenn ihm die ganze Geschichte nun wirklich absurd schien, wollte er doch wissen, wie sie zu Ende ging. „Hm? Oh“, machte Sharon, die nicht mehr ganz beim Thema war. „Naja, wir sind eine Weile zusammen gereist. Ich wollte ihm wegen dem Buch helfen. Außerdem versprach sein Vorhaben Abenteuer. Und die Zeit war wirklich fantastisch.“ „Aber?“, hakte Malcolm nach. „Irgendwann bin ich zurück nach Hause. Immerhin hab ich einen Job.“ Sharon zuckte mit den Schultern. „Ziemlich unspektakulär, ich weiß.“ Das ließ Malcolm nur noch mehr stutzen. „Obwohl ihr euch geliebt habt?“ Mit ihrer einigermaßen unversehrten Hand winkte Sharon ab. „Ach, nur weil sich die Wege trennen, ist man noch lange nicht getrennt.“ Ein wenig fragte sich Sharon, was wohl aus ihr geworden wäre, hätte sie weiter an Ristos Seite gelebt. Sie hatte ihn zwar seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, jedoch war es inzwischen unmöglich seine Machenschaften zu ignorieren. Ob er sich an sie erinnerte? Kapitel 4: Das Treffen ---------------------- Beschwingte Musik erklang aus dem gehobenen Gasthaus. Leicht bekleidete Damen winkten den Passanten und Besuchern von ihrem Balkon aus zu. Das Licht war schummerig, aber warm. „Hey Süßer, wir haben frischen Vanille-Pudding. Komm doch rein und probiere etwas davon“, raunte eine etwas in die Jahre gekommene Dame dem jungen Malcolm zu. Dieser wandte sich nervös seiner Begleiterin zu. „Sind Sie sicher?“, hauchte er ihr zu. Inzwischen ging ihm ziemlich die Düse. Drei Tage hatte es nur gebraucht, um den Monstermafiosi ausfindig zu machen und die Spuren hatten sie zu diesem Gasthaus geführt. Allerdings bekam Malcolm langsam das Gefühl, dass es sich doch eher um ein Freudenhaus handeln musste. „Wieso? Sieht doch nett aus“, lächelte Sharon unbekümmert. „Das ist die zwielichtigste Gegend im Umkreis von zehn Tagesmärschen! Und Sie finden das nett?!“ „Du könntest auch hier draußen warten“, schlug sie ihm vor. Für einen Moment hätte Malcolm das Angebot beinahe angenommen. Dann zuckte er panisch zusammen, als er Schüsse hörte. „Ich begleite Sie, Miss!“, japste er und schob Sharon eilig in das Gasthaus. „Was ist mit deinen Sachen? Wenn du sie hier draußen stehen lässt, sind sie bestimmt gleich-…“ Gerade als Malcolm sich umdrehen wollte, um sich seine Karre zu schnappen, musste er entsetzt feststellen, dass dieser bereits fehlte. Eine vermummte Gestalt rannte mit ihr die Straße hinunter und ratterte so dermaßen über den schlecht gepflasterten Weg, dass die restlichen Teller und Tassen aus dem Karren purzelten und auf den Steinen zerschellten. Bedröppelt sah Malcolm dem Dieb nach. „Hat sich erledigt…“, seufzte er niedergeschlagen und folgte Sharon ins Innere. Die Stimmung im Gasthaus war ausgelassen. Man trank Bier, sang Lieder, schmuste wild herum - kurzum, es war eine ausgelassene Feier. Sharons Blick schweifte durch das Lokal und blieb schließlich an einem mit Vorhängen dekorierten Durchgang hängen. Er wurde von zwei Schergen bewacht. Das musste es sein. Bevor Sharon einen Schritt auf die Typen zumachen konnte, griff Malcolm ihren Arm und zog sie in eine Ecke. Ihm war nicht wohl dabei. Was genau hatte sie überhaupt vor? Wie würde das für sie beide enden? „Sagen wir, er willigt ein. Was wird er tun? Mit uns zurück kommen? Eine Armee mitschicken?“, wisperte er ihr zu. Daran hatte Sharon keinen Gedanken verschwendet. Sie nahm an, dass Risto schon einen Weg finden würde. „Vielleicht gibt er uns etwas mit, was wir den Banditen übergeben sollen. So ein Schwarzes Mal, was sie automatisch zu ihm führt.“ Plötzlich musste sie anfangen zu lachen. „Schwarzes Mal, verstehst du? Weil sie für ihn ein Festmahl werden!“ Malcolm sah Sharon verstört und fassungslos an. „Waren Sie schon immer so morbide?“ Dass der Monstermafiosi die Banditen fressen sollte hatte er schon vor langer Zeit begriffen. Aber dass die eigentlich so gutherzige Bibliothekarin diesen Plan so amüsiert hinnahm? Vielleicht sollte er doch lieber vor ihr Reißaus nehmen. Selbstbewusst und bestimmt verkündete Sharon den Schergen, dass sie zu Risto wolle. Diese sahen einander an, prusteten leise aber ließen sie ohne Umschweife passieren. Malcolm folgte ihr dicht. Natürlich, um sie im Notfall zu beschützen! Mit. Tja. Okay, damit sie ihn beschützen konnte, falls etwas passierte! Der riesige Mafiaboss fläzte sich gemütlich in seinen Berg samtener Kissen und pulte mit einem langen Finger zwischen seinen scharfen Zähnen, um sie von Essensresten zu befreien. Seine Nüstern weiteten sich, als ihm ein entfernt vertrauter Geruch entgegen stieg. Lieblich, wie ein Wein. Es weckte eine Erinnerung von Geborgenheit in ihm. Schwerfällig und schnaubend richtete er sich etwas auf und beäugte die kleine Gestalt, die in seine Räumlichkeiten getreten war. Kurz blitzte ein Lächeln auf Ristos breitem Maul. Hätte man die Chance gehabt, ihn genauer zu betrachten, wäre einem vielleicht die leichte Rötung seiner Wangen aufgefallen. Laut räusperte er sich und es klang tief, rau und feucht. „Sharon, Liebes. Was führt dich zu mir?“, grollte seine mächtige Stimme. Der Angesprochenen fiel insgeheim ein Stein vom Herzen. Er kannte sie noch! Nicht, dass sie daran ernsthaft gezweifelt hatte. Sharon trat an Risto heran und tätschelte liebevoll seinen gigantischen Bauch. „Hallo, Risto“, säuselte sie glücklich. Risto ließ eine einer gigantischen Pranken langsam zu Sharon herunter sinken. Mit einer überraschenden Zärtlichkeit streichelte er mit einem langen Finger ihre Wange. Diese lehnte sich sichtlich genießend in die Berührung. Malcolm, der eh schon ehrfürchtig so weit Abstand genommen hatte, wie ihm möglich war, riss hysterisch die Arme hoch. Er konnte die Szene, die sich gerade vor ihren Augen abspielte, kaum begreifen. Mit beiden Händen umgriff Sharon den liebkosenden Finger an ihrer Wange und sah mit großen Augen zu Risto hinauf. „Unser Dorf wird von schmierigen Banditen heimgesucht“, erklärte sie ihm knapp. Erneut zeigte der Dämon seine weißen Fänge. Dieses mal in einem düsteren, hungrigen Grinsen. Malcolm stand mit schlotternden Knien kauernd in der Ecke. Alles in ihm Schrie nach Flucht, aber Sharon stand tiefen-entspannt direkt bei dem riesigen Monster. „Und da bist du zu mir gekommen. Eine kluge Entscheidung, Liebes. Dabei helfe ich dir doch gerne.“ Eine viel zu lange, dunkle Zunge benetzte die Fänge mit schwarzem Speichel. Daraufhin donnerte ein grausames Lachen aus seiner Kehle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)