Das Schweigen hat ein Ende von lulubluelau (Ein Hiwatari hält sein Wort) ================================================================================ Kapitel 6: Nerven ----------------- Rei war nicht fähig zu rekonstruieren, wie lange er nun schon in dieser einen Körperhaltung verharrt hatte, doch als er sich das erste Mal wieder rührte, fühlte er sich steif und völlig entkräftet.   Kais blosser Anblick hatte seine allerschlimmsten Befürchtungen bei weitem in den Schatten gestellt. Es fühlte sich für ihn so an, als sässe er bereits seit Stunden neben diesem Bett, die Augen dabei ausnahmslos auf Kais blasses, fast schon totes Gesicht gerichtet.   Nach ihrer Ankunft in Kais Krankenzimmer war Bryan ohne weitere Umschweife in einem dieser unbequemen, pseudo-ergonomischen Stühle in der Ecke direkt am Fenster, zusammengesackt – sein Körper holte sich nun schonungslos die Ruhe, die er nach seiner mehr als grosszügigen Blutspende so dringend benötigte. Trotz schlechtester Wetterbedingungen hatte der Hüne ihn die ganze Strecke vom Flughafen bis hin zum Moskauer Krankenhaus gefahren – ein völliges Unding wenn man bedachte, was in den letzten 24 Stunden vorgefallen war.   Nach ihrer Ankunft hatte der Hüne bei Yuriy über starke Kopfschmerzen geklagt und nachdem er daraufhin innert weniger Minuten bereits völlig weggetreten war, fuhr der Rothaarige Bryan mit den Fingern seiner rechten Hand gedankenverloren und ungeahnt sanft durch die kurzen, blassen Haare.   «Ein Glück dass die beiden die gleiche Blutgruppe haben.»   Reis Stimme war wie ein scharfes Messer welches die plagende Ruhe urplötzlich durchschnitt, weshalb Yuriys Augen überraschend und unvermittelt auf seine gelben Iriden trafen. Kurz schien es beinahe so, als hätte Yuriy die Anwesenheit des Chinesen schlichtweg vergessen. Mit einem Nicken in Bryans Richtung gab Rei dem Rothaarigen zu verstehen, wen er mit seiner Aussage meinte, auch wenn dies wohl auf der Hand lag.   «Bryan hat zwar arg zu kämpfen, aber Kai wird er wohl das Leben gerettet haben.»   Kurz hielt der rothaarige Russe inne ehe er bestätigend nickte, zu Bryan hinabsah und ihm ein letztes Mal durch die Haare strich, bevor er seine Hand in der Hosentasche seiner hellen Jeans verschwinden liess.   «Der Idiot hat sich einfach übernommen.» erwiderte Yuriy trocken, «Hinzu kommt, dass er eine wirklich bescheuert grosse Angst vor Nadeln hat.» Letzteres murmelte er jedoch mehr zu sich selbst. Eigentlich hätte seine Aussage wohl kühl und spöttisch klingen sollen, doch Yuriys Stimme fehlte der gewohnte Klang. Statt sich zu sammeln und das Gespräch weiterzuführen schweifte sein Blick kurzum zum Fenster hinaus. Der weisse Schnee fiel seit Reis Ankunft in groben Massen vom wolkenverhangenen Himmel herab und doch war er Totenstill als er in der rabenschwarzen Nacht zu Boden segelte.   Das Auftreten des Rothaarigen bot einen durchaus ungewohnten Anblick. Der sonst so selbstsichere und reservierte Russe schien unkonzentriert, wirkte ruhelos und schaute von Zeit zu Zeit bedenklich oft zum Fenster hinaus. Wer demnächst wohl unangekündigt in dieses Krankenzimmer eintreten würde? Vor welchem Besuch fürchtete sich Yuriy am meisten? Voltaire Hiwatari? Oder gar Boris Balkov?   Seit Yuriy und Bryan von rund 10 Stunden von Dr. Beloussow erfahren hatten, dass Kais rechte Schulter nicht, wie bei der Krankenhausaufnahme vermutet, durch den Zusammenprall mit dem Personenwagen sondern durch das Eindringen einer Pistolenkugel zertrümmert worden war, hatte das ohnehin schon äusserst undurchsichtige Ereignis rund um Kai einen weiteren, düsteren und sehr bedenklichen Charakterzug angenommen.   Rei wusste von der Kugel – unmittelbar nach seiner Ankunft im Krankenhaus hatte Yuriy ihn darüber in Kenntnis gesetzt. Viel damit anfangen konnte er jedoch nicht. Sein Vorstellungsvermögen liess es gar nicht erst zu das er sich überhaupt vor Augen führen konnte, dass Kai angeschossen und schwer blutend von einem Personenwagen erfasst worden war. In was war Kai da bloss reingeraten? Das ganze stank in jedem Fall zum Himmel und lediglich eins wusste Rei mit Sicherheit, dass auch Yuriy von einer ungeahnten Verunsicherung heimgesucht wurde, seit dieses markante Unfalldetail bis zu ihnen vorgedrungen war.   Rei wurde unvermittelt aus seinen Gedanken gerissen, als ein gequältes Wimmern die Stille des Krankenzimmers jäh durchbrach. Intuitiv sah er zu Kai, doch der Halbrusse regte sich nicht. Es war Bryan, welcher aus seiner überaus unkomfortablen Haltung erwacht war und sich versuchte, mit schmerzverzerrtem Gesicht, auf dem Stuhl zurechtzurücken.   Bryan war immer noch ungewöhnlich bleich, sogar für seine Verhältnisse. Yuriy war direkt zur Stelle um dem Hünen im Schein der wenigen im Zimmer noch brennenden Lichtquellen aus dem Stuhl hoch zu helfen und verlor gleich darauf beinahe das Gleichgewicht, als Bryan völlig unvermittelt ins Wanken kam. Von starkem Schwindel erfasst machten seine rund 100kg auf unsanfte Art und Weise beinahe Bekanntschaft mit dem harten Klinikboden, hätte Rei nicht direkt reagiert. Fast schon reflexartig war er aufgesprungen und liess Bryan, zusammen mit Yuriy, unter grossem Kraftaufwand halbwegs kontrolliert zu Boden sinken.   Kaum sass der Hüne auf dem weissen Linoleum, ging Yuriy energisch vor ihm in die Knie. «Du bist so ein Trottel, weisst du das?!» zischte er verärgert und tätschelte Bryans Wange so lange, bis dieser ihn endlich, mit schummrigen Blick, ansah. «Warum musst du auch immer gleich so übertreiben?»   «Ich kotzt gleich.» waren die einzigen Worte die Bryan gerade noch so zu Stande brachte, ehe seine Augenlieder unvermittelt zu flackern begannen. Der grosse Kerl machte hier gerade schlapp.   «Yuriy es ist sein Kreislauf, vielleicht gar Blutarmut. Ich denke es ist am besten wenn wir einen Arzt ...»   «Halt die Klappe Rei!» kam die urplötzliche und überaus forsche Erwiderung seitens Yuriy, ohne das Rei überhaupt eine Chance gehabt hätte, ausreden zu können. «Ausser Dr. Beloussow kommt hier keiner rein. Verstanden?!»   Rei, vollkommen vor den Kopf gestossen, versuchte seine Ruhe zu bewahren, doch die forsche, ja gar schon aggressive Zurechtweisung des Rothaarigen liess auch ihn unvermittelt aus seiner sonst so ruhigen Haut fahren. Die Nerven waren hochstrapaziert, allesamt.   «Das hier ist kein Spass Yuriy.» erwiderte er mit ruhiger, aber drohender Stimme und fixierte den Rothaarigen dabei scharf.    «Und du denkst wirklich, dass ich das nicht weiss?!» erwiderte Yuriy verächtlich zischend, während er Bryan eher grob als zart auf den Rücken beförderte, die Beine des Hünen ergriff und sich beim Erheben neben Rei aufbaute bis er ihn mit seiner Grösse überragte. Völlig beiläufig stemmte er dabei Bryans Beine in die Höhe um dessen Blutzirkulation wieder auf Trab zu bringen.   «Pass auf Yuriy.» donnerte Rei.   Doch noch ehe einer der beiden Kontrahenten die Lage überhaupt eskalieren lassen konnte, war es Bryan der den Riegel vorschob, auch wenn er dabei nur halb bei Bewusstsein zu sein schien. «Ihr haltet jetzt beide eure nervige Klappe oder ich kotz euch gleich die Schuhe voll!»   Und dann, wohl nicht mal sosehr um seinen eigenen Worten Nachdruck zu verleihen, musste er kurzerhand überraschend würgen, glücklicherweise aber ohne sich darauffolgend übergeben zu müssen.   Yuriy hatte sich indes schnell wieder gefangen. «Na du fängst hier doch mit der ganzen Scheisse an.» erwiderte er wütend, «Fällst hier spontan einfach mal so in Ohnmacht. Erzähl mir lieber mal wie ich diese Scheisse stemmen soll, wenn du hier jetzt auch noch rumliegst?!»   War da ein Hauch von Verzweiflung? Verunsicherung? Sorge?   «Dann lass mich das hier stemmen. Du kannst mir nicht weiss machen, dass es keinen guten Grund dafür gibt das ich hier bin.» mischte sich Rei unvermittelt in das Streitgespräch ein und erhielt dafür einen gefährlich funkelnden, herablassenden Blick seitens Yuriy.   Volltreffer.   «Macht doch was ihr wollt.» grollte Yuriy im ersten Moment scheinbar geschlagen. Doch dann, von einen auf den anderen Moment, liess er völlig unvermittelt Bryans Beine los und schritt schnurstracks zur Türe woraufhin er das Zimmer ohne jeden weiteren Kommentar rauschend verliess.   Rei hatte die fallenden Beine Bryans gerade noch zu fassen gekriegt und schaute anschliessend ehrlich besorgt auf dessen aktuell doch sehr jämmerlich wirkende Person hinunter.   «Gehts? Soll ich einen Arzt rufen?»   «Besser nicht.» erwiderte Bryan mehr schlecht als recht. «Yuriy hat recht – je weniger Ärzte desto besser. Bitte verzeih ihm seine Worte Rei, es meint es nicht so.» kurz verzog Bryan sein Gesicht, lächelte dann aber müde. «Und so ganz nebenbei: Ich hasse Menschen in weissen Kitteln. Wirklich.»     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)