SANTA kills (Adventskalendergeschichte) von ellenchain ================================================================================ Prolog: -------- Mein Leben war gut. Es war erträglich, so wie eigentlich jedes Leben. Es gab Höhen und Tiefen – meistens eher Tiefen, bei denen man sich fragte, wann denn endlich der beschwerliche Weg nach oben kam, nur damit man sich schnell wieder in die nächste Misere fallen lassen konnte – doch es war in Ordnung. Wichtig waren die Konstanten. Die, an denen man sich festhalten konnte, wenn es unter den Füßen anfing zu bröckeln. Ein guter Job war da schon mal ein Anfang. Die Definition ‚gut‘ würde naheliegen, dass mir der Job entweder enorm Spaß machte oder enorm viel brachte; sei es Geld oder Erfahrung oder was man sonst noch so als schlechte Ausrede nehmen konnte, wenn es nicht Geld war. In meinem Fall war es leider eine schlechte Ausrede. Zumindest zum Teil. Ich hatte mehrere Ausbildungen genossen, von denen ich mich nur hätte entscheiden müssen, welche ich als meine Berufung ersehne. Nur leider hatte keine dieser Ausbildungen einen wirklichen Nutzen. Einen Doktor in Kunstgeschichte? Den habe ich eher aus Leidenschaft, als aus einem tieferen Nutzen gemacht. Master of Arts in englischer Literatur und Sprachwissenschaften? Vielleicht hätte ich an einer Schule oder Universität dozieren können. Leider habe ich im Zuge meines Studiums gelernt, alle anderen meiner Fachrichtung zu verachten. Psychologe? Der Abschluss ist schon so lange her – meine Ausbildung ist also dementsprechend eingerostet. Während ich mit meinen gut gepflegten Fingernägeln auf dem Tresen trommelte, sinnierte ich über die wunderschöne Zeit, in der ich noch studierte. Insgesamt habe ich für alles nur 10 Jahre gebraucht. Letztendlich hat es mir nichts gebracht. Als Psychologe habe ich mich als gänzlich untauglich erwiesen; ich wurde nach spätestens einem Jahr immer gefeuert. Angeblich lag es an meiner herablassenden und exzentrischen Art. Als Dolmetscher wollte man mich nicht einstellen – ich sei überqualifiziert gewesen. Und na ja, über den Doktor in Kunstgeschichte muss man nicht sprechen. Den hatte ich ja sowieso nur aus Leidenschaft gemacht. »Entschuldigen Sie«, unterbrach mich eine rundliche Frau mit Pelzkragen in meinen Gedankensträngen. Ihr Parfüm stach förmlich in meiner Nase und verätzte alles, was ich einmal zum riechen verwendet hatte. »Ist diese Kasse offen?« »Würde ich sonst hinter dem Tresen stehen?«, fragte ich süffisant nach und bemühte mich um ein Lächeln. Mein Chef, der gerade eine Kundin nicht weit von mir entfernt beriet, schnappte das kurze Gespräch auf und warf mir einen vernichtenden Blick zu. Den bekam er sofort zurück. »Ah, ja, nun«, stotterte die Pelzdame und hielt mir einen Arm voller Kleidung hin. »Das hier würde ich gerne zahlen.« »Sehr gerne«, presste ich höflich aus meinen knirschenden Zähnen heraus, als ich die teuren Klamotten von ihrem Arm zog. Langsam begann ich die Etiketten zu scannen, während sie in ihrer Louis Vuitton Handtasche nach ihrem passenden Portemonnaie kramte. Sie war jung, blond und gemacht. Etwas zu viel Stereotype auf einmal für meinen Geschmack, aber ansehnlich. Während ich ihre Geduld auf die Probe stellte, sah ich mich im Augenwinkel im Geschäft um. Wir waren ein zweistöckiges Luxuskaufhaus in einer Mall. Alles war weihnachtlich geschmückt, der Einzelhandel boomte förmlich und die Passanten liefen ausgelassen am Schaufenster vorbei. Noch, dachte ich. Kurz vor Weihnachten würden dann die Hamster-, Frust- und Last-Minute-Einkäufe stattfinden. »Oh bitte passen Sie hier auf«, unterbrach mich erneut die Dame in meinen Gedanken und zupfte mir eine Bluse aus den Fingern. »Das ist Seide, können Sie das bitte separat einpacken? Ich habe Angst, dass das Seidenpapier, das Sie verwenden, abfärben könnte.« Ich hobelte meine Zähne übereinander. »Also kein Seidenpapier, die Dame?« »Bei den anderen Teilen schon. Es ist etwas feucht draußen.« »Mhm«, brummte ich nickend, während ich an die Feuchte von draußen dachte. Mein Chef sprach mit meiner einzigen Kollegin auf der Etage und warf mir immer wieder kontrollierende Blicke zu. Er traute mir nicht. Das war vielleicht auch gut so. Ich packte alles vorsichtig ein, als die Dame erneut mit ihren gemachten Fingernägeln vor meinen Augen herumfuchtelte. »Bitte seien Sie doch vorsichtig, Sie zerdrücken das Kleid ja völlig!« Mit einem lauten Seufzer ließ ich sie die Tasche vom Tresen ziehen und es selber ordnen. Ich tippte gelangweilt auf der Kasse rum und nannte ihr den vierstelligen Betrag. Sie reichte mir ihre Kreditkarte und begann auf ihrem Handy herum zu tippen. Hinter ihr bildete sich bereits eine kleine Schlange. Meine Kollegin sprang dann neben mir ein und bediente schon einmal den nächsten Kunden. Als die Pelzdame endlich ihre Sachen nahm und ich aufatmen wollte, drehte sie sich noch einmal um. »Wissen Sie zufällig, wo diese Weihnachtsaktion sein soll?« Ich blinzelte einige Male. »Weihnachtsaktion… von wem?« »Vom Center! Überall steht, dass es eine Aktion geben soll. Für Kinder hauptsächlich. Mit einem Weihnachtsmann.« »Oh, die finden Sie im Erdgeschoss, gleich beim großen Weihnachtsmarkt neben dem großen Weihnachtsbaum«, griff meine Kollegin mit einer milden Form von Sarkasmus ein und deutete aus dem Schaufenster. Von ihrem Platz aus konnte man wohl mehr sehen, als von meinem. Ich sah nur einige Buden, mehr nicht. Und von einer infantilen Weihnachtsaktion hörte ich auch zum ersten Mal. Das sei allerdings dem Umstand geschuldet, dass ich sowieso selten irgendwem zuhöre, der nicht unbedingt etwas von mir möchte. Die Kundin bedankte sich breit grinsend und verließ den Laden. Etwas genervt kümmerten wir uns dann noch um die restlichen Kunden, bis es langsam wieder etwas ruhiger wurde. Mittagszeit brach an – der Food Court würde nun aus allen Nähten platzen. Gut, dass ich mich hauptsächlich von Kaffee und gutem Wein ernährte. »Wieder mal einen guten Tag heute, Kyle?«, sprach mich meine Kollegin an. Dabei zwirbelte sie ihr langes, glattes schwarzes Haar um den Finger. »Ich habe nur gute Tage, Cindy«, antwortete ich monoton und starrte in den Laden. Überall hingen Luxusartikel, mehr oder minder hässlicher Natur. Schade, dass wir keine Herrenartikel führten – da hätte ich wenigstens etwas aus diesem miesen Job herausschlagen können. »Wieso bist du überhaupt hier, wenn du es nicht magst? Du hast doch noch einen Zweitjob, oder? Mach doch den als Vollzeitbeschäftigung«, hakte meine liebe Kollegin nach und lehnte gegen ihre Kasse. »Das geht leider nicht«, lächelte ich vorsichtig und nahm Augenkontakt auf. »Mein Zweitjob wirft nicht so viel ab, dass ich genug im Monat habe, um mein Rattenloch zu finanzieren.« Da lachte Cindy laut auf und verdrehte die Augen. »Ich weiß aus sicherer Quelle, dass du in keinem Rattenloch wohnst.« »Oh«, sagte ich gespielt überrascht und hob beide Augenbrauen, »wer ist diese Quelle? Wenn du sagst vertraulich, scheint dieser jemand in unserer näheren Umgebung zu sein. Etwa unser Chef?« Cindy konnte sich kaum beruhigen. Mein trockener Witz schien sie unfassbar umgehauen zu haben. »Kyle, ich war letzten Monat bei dir zu Hause – in deiner noblen Luxuswohnung! Wir haben Wein getrunken?« »Ah, ich erinnere mich«, murmelte ich gespielt nachdenklich und kratzte mich am Kinn. »Tja«, zuckte sie mit den Schultern und ging wieder auf die Fläche. »So einen luxuriösen Lebensstil muss man sich erst mal leisten können. Ich bin froh, wenn ich mir Ende des Monats endlich die Handtasche kaufen kann.« »Etwa die, die bei unserer Konkurrenz gleich nebenan steht?« Sie zwinkerte mir zu. »Vielleicht?« Damit ging sie zu einer Kundin, die mit Kind auf dem Arm durch die Gänge ging, um sie zu beraten. Mein Chef kam derweil zu mir. »Mr. Lewis«, begann er mit seiner krächzenden Stimme, als würde er seit Wochen eine selbstverschriebene Zigaretten-Whiskey Diät durchziehen, »Flirten Sie wieder mit Mrs. Clark?« »Würde mir nicht im Traum einfallen«, antwortete ich wahrheitsgetreu und zuckte mit den Mundwinkeln. Gelangweilt sah ich erneut durch das Schaufenster, während mein Chef sich neben mich stellte. »Bitte seien Sie etwas freundlicher zu unseren Kunden. Sie werden immer gleich so… patzig.« Da widersprach ich mit einem dramatischen Augenaufschlag. »Ich weise meistens nur auf das Offensichtliche hin, welches die Damenwelt oft so eloquent hinterfragt.« Er runzelte bei meiner Wortwahl die Stirn. Ich konnte ihm ansehen, dass er in den tiefen seines Gehirns nach der Definition von ‚eloquent‘ suchte. Und sie offensichtlich nicht fand, da er das Gesprächsthema sofort fallen ließ. »Wie auch immer. Bleiben Sie einfach freundlich. Sonst muss ich Sie erneut in eine Schulung schicken.« »Oh, vielen Dank, ich verzichte. Die Häppchen waren furchtbar«, murmelte ich vor mich hin, während ich leise Luft aus den Nasenlöchern entließ. Die Schicht würde nur noch bis 20 Uhr gehen. Nur noch mehrere Stunden Qual. »Mr. Lewis«, mahnte mich mein Chef erneut mit seiner kratzenden Stimme und richtete dabei seine schlecht sitzende Krawatte. Wie er es auf den Posten geschafft hatte, war mir schleierhaft. Vermutlich war es sein rauchiger Charme, der ihn bei älteren Damen attraktiv wirken ließ. Oder einfach sein Alter – er schien dem Unternehmen seit mehr als 40 Jahren recht treu zu sein. »Das Center hat uns außerdem darauf angewiesen, die Kunden auf den Weihnachtsmarkt im Erdgeschoss aufmerksam zu machen. Wenn es also passt, bringen Sie es an.« »Es passt nie«, verdrehte ich die Augen. »Niemand möchte auf den Weihnachtsmarkt. Es ist nicht mal wirklich ein Markt, es sind einfach nur lieblos aufgestellte Buden und ein auf Hälfte geschmückter Weihnachtsbaum, weil infantile Menschen sonst die Geschenke und die Dekoration von den Ästen klauen würden.« Als würde es nichts besseres im Leben geben mit Styropor ausgefüllte Geschenke in absolut hässlich glänzendem Geschenkpapier von einem großen Weihnachtsbaum zu klauen. Mein Chef presste seine Lippen zusammen. »Ich erkenne erneut Ihre Abneigung zum Fest der Liebe, aber ich bitte Sie trotzdem inständig um eine Sache: Machen Sie auf den Weihnachtsmarkt aufmerksam. Mehr nicht.« »Ich sollte doch auch freundlich sein, oder nicht? Das sind schon zwei Sachen.« Das ließ ihn laut seufzen und langsam wieder seiner Wege gehen. »Machen Sie es einfach.« Gott, wie ich diesen Job hasste. Aber es war der einzige, den ich flexibel genug ausführen konnte, um den Schein eines normalen, mitten im Leben stehenden Mannes zu wahren. Zwar deuteten meine Kollegen und mein Chef mehrmals darauf hin, dass ich absolut überqualifiziert für den Job eines einfachen Kassierers sei (und mit Verlaub ihn auch noch furchtbar ausführte), dennoch fühlte ich mich ganz wohl, den Kopf für ein paar Stunden ausschalten zu können. Die Arbeit konnte hart sein, besonders vor Feiertagen oder generell am Wochenende, aber sie war nicht anspruchsvoll. Das war sie in meinem anderen Job. »Heute mal wieder ein guter Tag, Kyle?«, lachte mein Kollege zwinkernd, als er mich in meiner Arbeitskleidung im großen Besprechungsraum sitzen sah. »Kommst selten direkt von deinem anderen Job hierher. Ist das nicht etwas auffällig?« Seine langen dunkelblonden Haare im Pferdeschwanz wackelten zu jedem imposanten Schritt, den er auf mich zukam. In der Hand hielt er einige Akten; sah nach einem neuen Fall aus. »Wieso? Glaubst du, mir folgt jemand, weil ich so ein schickes Baumwollpolohemd mit der Aufschrift unseres Ladens trage?«, fragte ich sarkastisch, während ich meinen Kaffee trank. Der Tag war lang und anstrengend gewesen. Kunden, Chef, Weihnachtsmarkt. Alle machten für die restlichen Stunden nervige Geräusche. »Ich sag ja nur«, zirpte Ethan, während er sich neben mich setzte und die Akte vor mir aufschlug. Er schälte sich aus seiner schwarzen Funktionsjacke und legte den Pistolengürtel ab, in dem seine geladene Waffe lag. Vermutlich wollte er mir nur wieder beweisen, dass er regelmäßig trainieren ging. Seine Muskeln waren in der Tat recht beeindruckend. Doch das würde ich ihm nie sagen. Sein Ego war bereits groß genug, das musste ich nicht noch streicheln und dabei mit Nonsens füttern. »Neuer Fall? Kommt Freya nicht?«, fragte ich nach unserer Vorgesetzten, als Ethan den Inhalt der Akte vor mir aufschlug. »Ist noch in einer Besprechung. Ich soll dich schon mal instruieren. Geht um eine vermisste Person«, erklärte er und zeigte mir ein Foto einer jungen Frau. »Beziehungsweise… wir wissen, wo sie sich aufhält. Aber sie reist immer von Ort zu Ort, bleibt nie wirklich stehen und scheint vor etwas zu fliehen. Sie hat uns angewiesen, herauszufinden, wer hinter ihr her ist.« »Warum geht sie damit nicht zur Polizei, sondern kommt zum MI6?« »Freya hat den Fall von der Polizei übernommen. Sie glaubt, es steckt mehr dahinter. Besonders wegen ihrer Herkunft« Ethan runzelte die Stirn und lehnte sich angespannt im Stuhl zurück, während er mir tief in die Augen sah. »Sie will, dass du den Fall übernimmst und schaust, was Sache ist. Du bist immerhin ihr bester Mann.« Ich schloss für einen Moment meine Augen. Langsam verschränkte ich meine Arme und lehnte mich ebenfalls im gemütliche Seminarstuhl zurück. »Ich soll das alleine durchziehen?« Ethan lachte. »Natürlich nicht ganz alleine. Ich bin im Hintergrund und recherchiere, was geht. Du kriegst dann alles von mir. Hey«, begann er mir auf die Schulter zu hauen, »Ich bin doch dein Informant! War ich doch immer!« Langsam öffnete ich meine Augen und sah in die Aufgeregten meines Kollegen. Ich liebte den Job im Geheimdienst. Er ermöglichte mir viele Dinge, die ich sonst nicht tun könnte. Zum Beispiel meine Fähigkeiten umfassend einsetzen. Bis auf das kunstgeschichtliche, was mir bisher nur einen Fall im Museum erleichtert hatte, konnte ich überall punkten. Der Job im Luxusgeschäft bei Cindy war nur ein Cover. Wir lebten hier in der größten Sicherheitsstufe. Niemand durfte wirklich wissen, wer wir waren, was wir taten, wo wir es taten und wie wir es taten. Nach meinen vielen Abschlüssen, die ich gleichzeitig absolvierte, wurde ich quasi von meiner Chefin – Freya Hill – abgeworben. Sie hielt mich fest, erklärte mir kurz, worum es ging und versicherte mir, dass ich ein gutes Gehalt bekommen würde, solange ich bereit wäre mein Privatleben gänzlich aufzugeben und bereit wäre, über meine eigenen Grenzen zu gehen. Körperlich als auch psychisch. Ich hatte 24 Stunden, um mir das Angebot zu überlegen. Ich entschied mich in einer. »Okay. Rede mit mir, worum geht’s?«, forderte ich nach einigen Sekunden Stille Ethan auf, mich einzuweisen. »Irina Iwanowna, geboren in Moskau, kam als kleines Mädchen nach England, nachdem ihre Eltern hier einen Job gefunden hatten. Die Mutter war Bäckerin, der Vater Konditor, gemeinsam eröffneten sie ein Geschäft.« »Ziemlich schlank für so viel Gebäck im Leben«, stellte ich fest und begutachtete das Bild der rothaarigen jungen Frau. Sie war in der Tat recht schlank, Sommersprossen deuteten darauf hin, dass das Bild im Sommer geschossen wurde. Sie lächelt sehr stark, vermutlich war der Fotograf eine Person, die sie kannte und mochte. »Hat sie Geschwister?«, fragte ich nach. »Nein, Einzelkind. Die Eltern trennte sich nach zwei Jahren Aufenthalt hier in England. Die Mutter blieb, der Vater kehrte zurück nach Russland. Die kleine Irina blieb ebenfalls hier.« Ich legte das Bild zurück zu den anderen Unterlagen. »Und jetzt vermutet sie, wird sie verfolgt?« »Der Vater scheint in etwas verwickelt worden zu sein. Genaueres wissen wir nicht. Zumindest glaubt man, Irina könnte der Schlüssel zu etwas sein.« »Man will sie also kidnappen und als Druckmittel verwenden?«, hakte ich nach und musterte Ethans Gesicht, während er einen zusammen getackerten Stapel Papier durchging. »Es ist zu vermuten. Sie fühlt sich bedroht, hat deswegen die Polizei alarmiert. Letztendlich wurde der Fall nun uns übertragen, da man russische Aktivitäten vermutet.« »Klingt … haarig.« Ethan lächelte aufmunternd und klopfte mir erneut auf die Schulter. »Du schaffst das, Kyle. Bist doch unser bester Mann.« »Das bin ich definitiv nicht«, korrigierte ich ihn und entzog ihm meine Schulter. »Ich bin nicht sehr gut im Nahkampf und getötet habe ich bisher auch nur, wenn es wirklich nötig war.« »Was ja auch gut so ist«, grinste Ethan, wissend, dass er des Öfteren Ärger bekommen hatte, weil er zu viele Subjekte aus dem Weg geräumt hatte. »Deswegen bist du jetzt unser Mann. Die Daten, wo sie sich zurzeit aufhält, findest du in der Akte. Geh in Ruhe alles durch. Kannst ja nachher schon mal die Lage auschecken.« Ich nickte seufzend, trank den Rest meines bereits kalten Kaffes aus und setzte mich an die Unterlagen. Das meiste davon waren unnütze Informationen, die rein der Beschreibung galten. Was interessierte es mich, wann die gute Dame ihren ersten Hund hatte? Viel eher wäre es von Wert gewesen, hätte man recherchiert, wo sie zur Schule gegangen ist, wer ihre Freunde waren, weitere Verwandtschaft, Hobbies, Exfreunde oder sogar gescheiterte Ehen. Sie war bereits Ende 20, da konnte bereits alles passiert sein. Im späteren Verlauf des Abends setzte ich mich ins Auto und fuhr die kalt nassen Straßen Londons entlang. Der Wind pfiff unangenehm, sodass ich die Lage vom Inneren des Autos inspizierte. Die Sitzheizung war einfach zu schön. Das Haus, in dem sie sich zurzeit befand, war sehr alt. Ungewöhnlich heruntergekommen. Vermutlich diente es tatsächlich der Ablenkung. Niemand würde sie hier vermuten. Dass wir den Standort von ihr bekommen hatten, zeigte ein enormes Maß an Vertrauen, wenn sie wirklich so paranoid sein sollte, dass die Russen hinter ihr her waren. Als nach mehreren Minuten nichts passierte, entschied ich mich doch auszusteigen und die Gegend etwas besser zu untersuchen. Mir wurde es verboten, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Vermutlich aus Sicherheitsgründen. Niemand würde einen Mitte Dreißigjährigen an ihrer Seite ‚einfach so‘ dulden, sollte man sie wirklich beobachten. Eine romantische Beziehung wäre da viel zu nahe liegend und meine Tarnung würde früher oder später auffliegen. Ich ließ das Auto in einer Seitenstraße stehen und betrat die leere Straße. Mit dem Handy in der Hand, schlenderte ich durch die Häuser und warf hier und da einen neugierigen Blick rein. Zwischendurch tippte ich auf meinem Handy, tat so, als würde ich nach dem Weg suchen. Schließlich blieb ich stehen und begutachtete einen Hinterhof mit Mülltonnen. Alle schien soweit normal zu sein. Keine Auffälligkeiten. Eine normale Nachbarschaft, zwar etwas heruntergekommen und auf keinem sehr hohen Niveau, dennoch sehr ruhig. Keine Drogendealer, keine schummrigen Figuren, die hier nachts ihr Unwesen trieben. Mrs. Iwanowna hatte ein gutes Gespür für Verstecke. Vielleicht hatte sie auch Hilfe. So schnell bekam man in London keine neuen Wohnungen. Eventuell wohnte sie auch bei einer Freundin? Einer Bekannten? Einem Freund? Ich notierte im Handy, dass ich Ethan nach Beziehungen ausquetschen sollte. Es war nötig, dass ich Mrs. Iwanownas Umfeld kannte. Als ich nach mehreren Minuten zurück zum Auto ging, bemerkte ich eine dunkle Gestalt an der Ecke des Wohnblocks rauchen. Ein großer Mann, vermutlich mein Alter, doch man erkannte sein Gesicht kaum. Die Straßenlaterne ließ ihn älter wirken, als er vermutlich war. Die Zigarette glimm auf, als er an ihr zog. Der kalte Rauch wurde sofort ausgeatmet. Keine langen Züge. Entweder ihm war kalt und er wollte schnell wieder rein oder er tat nur so, als würde er rauchen und war eigentlich gar kein Raucher. Zweiteres würde mir dubios vorkommen. Der Mann lehnte an der Hauswand und hielt eine Hand in der Manteltasche, während er mit der anderen die Zigarette hielt. Der Mantel war mit Fell an der Kapuze und sah sehr dick aus. Er hätte alles darunter haben können. Meine eigene Waffe rieb an meinen Rippen, während ich ging, und gab mir ein Gefühl der Sicherheit. Doch als ich an meinem Auto ankam, mich noch ein letztes Mal umsah und den Mann dabei begutachtete, schnippte der seine Zigarette aus und ging um die Ecke, sodass er aus meinem Sichtfeld verschwand. Mit einem etwas mulmigen Gefühl stieg ich ein und startete den Motor. Entweder ein Mann aus der Nachbarschaft, der zum Rauchen rausging, oder einer der Leute, vor denen sich Mrs. Iwanowna fürchtete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)