SANTA kills (Adventskalendergeschichte) von ellenchain ================================================================================ Kapitel 14: Mr. Green --------------------- Ich war aufgeregt, als ich den Wecker ausschaltete, noch bevor er klingelte. Mit rauer Stimme rief ich Cindy an und sagte ihr, dass ich krank sei. Sie traute dem Braten nicht, sagte aber – wie es sich für eine gute Kollegin hielt – dem Chef Bescheid, dass ich Magen-Darm hätte. Zwar wäre mir eine bessere Ausrede eingefallen, aber dann war es eben Magen-Darm. Als ich unter der Dusche stand und über den gestrigen Tag nachdachte, erschien mir alles etwas merkwürdig. Nicht nur, dass Santa auf einmal so besorgt war, was ich tun würde, sondern auch, dass er es mehrmals wiederholte. Erst jetzt registrierte ich vollends, dass ich nichts über ihn wusste. Sein Aussehen, seine Herkunft, seinen richtigen Namen? Wer weiß – er hätte über alles Lügen können, ich hätte keine Ahnung gehabt. Es könnte stimmen, es könnte auch nicht stimmen. Aber wieso sollte er seine so gut gepflegte Identität auf einmal auffliegen lassen, nur weil ich heute etwas Gewagtes tue? Gut, vielleicht habe ich etwas übertrieben, als ich ihm erzählte, dass ich eventuell nicht wiederkomme. Jeder Normalsterbliche hätte da vermutlich auch das Schlimmste erwartet. Trotzdem: Santa war ein für mich völlig unbekannter Mann. Dass er so akribisch sein Aussehen verschleierte machte mich sowieso stutzig. War er also doch einer von uns? Ein Gefühl von Wut und Trauer machte sich in meiner Magengegend breit. Wenn er wirklich nur ein Spitzel von Freya war… hätte er mich nicht so um den Finger wickeln müssen. Und was, wenn er es nicht war? Wenn ich wieder einmal Dinge überinterpretiere? Cindy hatte ich am Anfang auch für eine Agentin gehalten. War sie natürlich nicht. Aber ich war mir erst sicher, als ich ihre gesamte Bude auf den Kopf gestellt hatte, als sie arbeiten war und ich frei hatte. Bis heute bin ich mir jedoch nicht sicher. Jedenfalls nicht zu 100%. Am Mittag rief mich Ethan an. Er klang etwas nervös und deutete mehrmals daraufhin, dass ich es vielleicht doch lieber lassen sollte. »Was, wenn das schief läuft? Was, wenn Wolkow dich sofort erschießt?«, bangte er um mein Wohlergehen. »Er hat es die letzten zwei Male nicht getan. Wieso sollte er es jetzt tun?«, seufzte ich, während ich die Kugeln zählte, die ich für meine Waffe hatte. »Weil er es nie getan hat, heißt nicht, dass er es nie tun wird«, gab Ethan seinen Einwand, »Ich mache mir einfach nur Sorgen, Kyle. Außerdem wird Freya außer sich sein, wenn sie dich dort findet.« »Sie wird mich nicht dort finden. Ich werde vorher weg sein.« »Ich dachte, du willst sie alle auf eigene Faust festnehmen?« »Nein, ich will Antworten. Freya wird sie mir nicht geben.« Mein Kollege seufzte laut ins Telefon, sodass ich den Hörer einige Zentimeter vom Ohr halten musste. »Und Wolkow wird dir die Antworten geben? Das ist kein James Bond Film, Kyle, wo die Bösewichte am Ende erst mal eine halbe Stunde reden und den ganzen Plan erzählen, um dann in letzter Sekunde gestoppt zu werden.« Ich antwortete nicht sofort, sondern starrte aus dem Fenster. Es hatte erneut in der Nacht geschneit und der Stadt eine gute Schicht Neuschnee geschenkt. Sollten sie fliehen wollen, wäre es zumindest nicht einfach. Die Wetterverhältnisse waren enorm schwierig. »Das weiß ich, Ethan«, sagte ich monoton, während mein Blick auf der Welt jenseits des Fensters haften blieb, »Aber ich habe da so ein Gefühl. Ein ziemlich schlechtes. Irgendwie passt hier nichts zu einander, weißt du, was ich meine?« »Nein«, antwortete Ethan prompt und lachte verängstigt. »Du folgst also deinem Bauchgefühl? Ich habe das Gefühl, dass es dich in den Tod reißen wird.« Das Gespräch lief dann noch eine gute halbe Stunde auf diese Art und Weise. Ethan äußerte seine Bedenken, ich äußerte meine und am Ende des Gesprächs waren wir beide ziemlich unsicher über ungefähr alles. Doch ich wollte nicht zu Hause bleiben und abwarten, was passierte. Wolkow würde vermutlich sofort erschossen werden. Mrs. Iwanowna wird man in Gewahrsam nehmen und sofort dem Zeugenschutzprogramm unterstellen. Wer auch immer noch in dem Haus sein wird – Mr. Green zum Beispiel – wird man festnehmen und dazu anhalten, der Presse etwas ganz anderes zu sagen. Für die Sicherheit der Nation versteht sich. Lügen, um Massenpanik zu vermeiden. So wie es eben auch die letzten Jahre immer passierte. Die Zeit zog sich wie Kaugummi. Wenn man auf etwas wartete, dauerte es umso länger. Ich aß in aller Stille etwas, trank einen Schluck Whiskey und begann mich auszurüsten. Die Waffen und die Munition waren schwerer als ich dachte, also entschied ich mich, ein Magazin zu Hause zu lassen. Sollte es zur Schießerei kommen, hätte ich sowieso keine Chance, wenn mehr Leute anwesend waren. Und ich hatte keine Ahnung wie viele es werden würden. Nach dem Bericht und den Beobachtungen zu urteilen vielleicht noch zwei oder drei weitere Männer neben Wolkow. Doch Wolkow allein würde schon eine Herausforderung werden. Allerdings hatte ich kein Bedürfnis ihn umzulegen. Quid pro quo wie es so schön hieß: er ließ mich am Leben, ich werde ihn am Leben lassen. Als es dann endlich soweit war, stieg ich mit zittrigen Händen ins Auto. Die Coolness, die ich mir über die Jahre hab aneignen lassen, verflüchtigte sich, je näher ich Mr. Greens Haus kam. Die Straßensperrungen waren in der Tat noch nicht aufgestellt worden – ich kam problemlos durch. Keine von Freyas Männern war zu sehen. Entweder sie versteckten sich extrem gut oder sie waren tatsächlich noch nicht da. Ich parkte in einer Seitenstraße und verharrte für einen Moment. Das Haus war ruhig, ein Auto stand davor; dasselbe wie damals. Ein gepflegter Mittelklassewagen. War es also Mr. Greens Auto oder Wolkows? Mein Herz pochte und mein Atem beschleunigte sich. In ein paar Minuten würde ich in das Haus eindringen und Wolkow zur Rede stellen. Dieses Mal war ich vorbereitet: Der Weg durch das Kellerfenster war am günstigsten. Angeblich waren es nur Gitter, die man einfach herausnehmen konnte. Im unteren Bereich wurden dann ebenfalls nur Gitter verbaut, keine Scheiben oder sonstiges. Ich könnte ungestört eindringen und dann… versuchen mich unbemerkt durch das Haus zu schleichen, in der Hoffnung, dass man mich nicht sofort umlegte. Mit etwas zittrigen Händen holte ich mein Handy raus. Ich wusste, dass Santa gerade arbeitete, trotzdem schrieb ich ihm eine SMS. »Auch wenn Sie dagegen waren, muss ich es tun. Wir sehen uns auf jeden Fall morgen wieder, das verspreche ich.« Ein starkes Versprechen, aber ich war gewillt es einzuhalten. Mit einem schweren Herzen stieg ich aus dem Auto und schloss die Tür so leise ich konnte. Mit großen Schritten stapfte ich durch den hohen Schnee zum Nachbarhaus von Mr. Green. Ich beobachtete dabei die Fenster. Sie waren mit Vorhängen bedeckt, sodass man nicht direkt reinsehen konnte. Das Licht war noch nicht an und draußen war es noch zu hell. Da aber sonst niemand zu sehen war, stieg ich über den Zaun und landete schließlich in einem Gebüsch. Es war so wahnsinnig kalt, dass ich das Gefühl hatte, die nasse Kälte kroch durch meine Kleidung. Erneut wartete ich einige Sekunden ab, ob jemand herauskam. Ich zückte mein Brecheisen aus dem Gürtel und hechtete zum Kellerschacht. Das Gitter war mit Schnee bedeckt, doch den konnte ich schnell entfernen. Immer sondierte ich die Lage um mich herum. Dass man mich von hinten angriff würde ich nicht noch einmal riskieren. Tatsächlich konnte ich das Gitterfenster öffnen und beiseiteschieben. Der Schacht war klein und dreckig, aber ich passte rein. Mit einem kleinen Spiegel versuchte ich in den Keller zu blicken. Das untere Gitter war einfach verbaut, sodass ich auch dieses ohne weitere Schwierigkeiten entfernen könnte. Im Kellerraum war niemand. Nur Kisten und Werkzeug. Eingestaubte Weihnachtssachen und anderen Kram, den jeder so im Keller hatte. Was, wenn ich gerade in Mr. Greens Haus einbrach und der eigentlich gar nichts damit zu tun hatte? Ich ließ mich nicht weiter beirren und kletterte runter. Dort knackte ich das Gitter und quetschte mich durch die offenen Drähte. Es dauerte einige Momente länger, als ich dachte, doch niemand bemerkte mich, während ich elegant wie ein toter Fisch in den Kellerraum glitt. Dort angekommen hielt ich den Atem an. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Ich war drin. Der Kellerraum war offen, sodass ich in den kleinen Flur des Kellers ging. Ein ganz normales Einfamilienhaus mit einer Treppe, die nach oben führte. Oben hörte ich Stimmen. Eine männliche. Noch eine männliche. Dann eine weibliche. Das musste Irina Iwanowna sein. Schließlich hörten die Stimmen auf. Eine Tür wurde geschlossen. Ich zog meine geladene Waffe und hielt mich auf Position. Der Moment der Wahrheit war gekommen, dachte ich. Was machte ich, wenn Wolkow nicht da war und man tatsächlich einfach so auf mich schießen würde? Im Keller konnte man die schweren Türen aufgrund von Brandschutz gut verriegeln. Vielleicht wäre das eine Chance. Mit vorsichtigen Schritten tastete ich mich die Treppe hoch. Es wurde enorm still im Haus, sodass ich Angst hatte, jemand könnte mich hören. Die Nässe meiner Arbeitsschuhe half dabei herzliche wenig. Ich hinterließ sogar kleine Pfützen. Sollte also jemand hierherkommen, wüsste er sofort, dass ein Einbrecher im Haus war. Oben angekommen stand ich in einem schmalen Flur. Eine weitere Treppe ging in den ersten Stock, zwei Türen gingen vom Flur aus weiter ins Erdgeschoss. Ich hatte keine Ahnung, woher die Stimmen kamen. Doch der zweite Stock barg Risiken: Wenn ich das Erdgeschoss nicht vorher gesichert hatte, konnte man mich von zwei Seiten angreifen. Der Keller war sicher, das wusste ich nun. Am klügsten war es also, dass ich mich ums Erdgeschoss kümmerte. Ich haderte eine der Türen zu öffnen. Vermutlich ging eine ins Wohnzimmer und die andere in die Küche. Vor meinem geistigen Auge versuchte ich den Umriss von Mr. Greens Haus noch einmal durchzugehen. Ich packte nach der linken Tür und war mir sicher, dass sie ins Wohnzimmer führte. Es war ein großer Raum, etwas Schlauchförmig. Rechts davon war die Küche. Abgetrennt durch eine Schiebetür. Sollten sich die Personen in einem der beiden Räume befinden, sollte ich vielleicht mit dem kleineren anfangen. Da war die Wahrscheinlichkeit von mehreren Seiten angegriffen zu werden, geringer. Also ließ ich die Wohnzimmertür los und öffnete stattdessen vorsichtig die Küchentür. Ich sah Küchenzeilen. Eine Spülmaschine. Einen Tisch. Mehrere Stühle und schließlich ein großes Fenster, was den hinteren Bereich des Hauses zeigte. Ich öffnete die Tür ganz und sprang in den Raum. Sofort erschrak ich, als ein Mann ganz gelassen in meinem Augenwinkel vom Tisch aufstand. Ein Vorratsschrank hatte ihn verdeckt. Panisch richtete ich die Waffe auf ihn. Er verharrte in seiner Bewegung. »Alexej Wolkow«, zischte ich seinen Namen. Mein Puls beschleunigte sich wieder und pochte in meinen Ohren. Der große Mann mit den eisblauen Augen starrte einfach nur in meine Richtung. Er trug ein einfaches schwarzes T-Shirt und eine schwarze Jeans. Eine weiße Bandage blitzte an einem Oberarm hervor. Vermutlich die Schnittwunde, die ich ihm an dem einen Abend im Garten zugefügt hatte. Mein lauf zitterte, doch ich versuchte die Fassung zu wahren. Auch wenn die Gerüchte umhergingen, dass der Mann ein gefährliches Tier war – bewiesen hatte er es bisher nicht. Manchmal waren Gerüchte auch eben nur Gerüchte. Er sagte nichts. Stand einfach nur da. Erst auf dem zweiten Blick erkannte ich, dass er eine Waffe in der Hand hatte. »Wo ist Irina Iwanowna?«, fragte ich die gleiche Frage wie beim letzten Mal. Erneut antwortete er nicht. Sein Blick war finster. Doch etwas spiegelte sich in seinen Augen, was ich nicht deuten konnte. Er zögerte. Irgendetwas ließ ihn mit sich hadern. »Почему ты здесь?«, fragte er in seiner dunklen Stimme. »Ich verstehe kein Russisch«, quetschte ich aus meinen knirschenden Zähnen. »Sprechen Sie etwa kein Englisch?« »Я сказал тебе уйти.« »Herrgott, Sie verstehen wirklich kein Englisch, oder?«, raunte ich und sah zu, wie er sich einen Schritt Richtung Fenster bewegte. Er sah angespannt zu Boden und schien vor Wut zu brodeln. »Я сказал тебе не делать этого«, knurrte er gefährlich und ging mit langsamen Schritten durch die Küche, ohne sich mir zu nähern. »Hören Sie, ich verstehe Sie nicht. Sagen Sie mir einfach, wo Mrs. Iwanowna ist, dann werden wir eine Lösung finden«, schlug ich vor. Noch immer umklammerte ich meine Waffe. Er redete mit mir, anstatt mich umzubringen. Er kämpfte nicht einmal. War es eine Falle? Wollte er Zeit schinden? Vielleicht sollte ich einfach ins Wohnzimmer gehen? »Но ты меня не слушал!«, donnerte auf einmal seine Stimme durch die Küche. Ich erschrak dermaßen, dass ich meine Waffe fast fallen gelassen hätte. Mit aufgerissenen Augen kam er auf mich zu, packte nach meiner Waffe und presste sie gewaltsam nach unten. Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, wie er agierte. »Nein!«, rief ich und schoss aus Verzweiflung auf den Küchenboden. Die Fliesen zersprangen im Nu und zerbrachen durch die Druckwelle eine nach der anderen. »Прочь отсюда!«, schrie er mir ins Gesicht und presste mich dabei einige Schritte zurück. »нет!«, schrie ich zurück. Wolkow erstarrte für einige Sekunden. »Ich habe dieses Wort übersetzt. Ich verschwinde nicht, Mr. Wolkow. Ich bleibe hier. Und ich will wissen, wo Irina Iwanowna ist!« Noch bevor Wolkow mir antworten konnte, öffnete sich die Tür zum Wohnzimmer. Es war Mr. Green, der aufgeregt in unsere Richtung sah. »Sie sind hier! Sie – «, da verharrte er, als er mich in Wolkows tödlichem Klammergriff sah. »Wer ist das? Kennen Sie ihn? Gehört er zu uns?« »Mr. Green – wo ist Irina Iwanowna?«, rief ich ihm zu. Immerhin konnte er mich verstehen. Aber Moment – er sprach auch mit Wolkow Englisch. Der Typ verstand mich also die ganze Zeit? Wieso antwortete er nicht auf Englisch?! Wolkow ließ mein Handgelenk los und steckte seine Waffe in den Hosenbund. Genervt ging er ins Wohnzimmer und spähte durch die Vorhänge in den Vorgarten. »Sind Sie einer von uns? Wer sind Sie?«, fragte mich Mr. Green aufgeregt, während ich Wolkow folgte. »Ich gehöre zum MI6. Und ich werde Sie jetzt zum letzten Mal fragen: Wo ist Irina Iwanowna?«, zischte ich ihm entgegen. Niemand tötete mich. Niemand griff mich an. Was zur Hölle war das hier? »Vom MI6? Was? Aber… Aber wieso – «, stotterte der ältere Herr und fummelte nervös an seinem Hosenbund. Er schien keine große Hilfe zu sein. Als ich mich umdrehte und in das große Wohnzimmer sah, stand auf einmal eine junge Frau vom Sofa auf und starrte mich mit großen Augen an. »Sie sind vom MI6?« Ich vergaß für einen Moment zu atmen. »Irina Iwanowna?«, fragte ich tonlos und konnte meinen Augen kaum trauen. Da stand die vermeintliche Geisel – ohne Fesseln, ohne Knebel, ohne Wunden. Ihre Haare lagen gut und sie war geschminkt. Ihre Kleidung war unversehrt. Sie trug sogar ein sehr schönes Kleid. Was in Gottes Namen – »Sie sollten hier nicht sein! Sie haben sie hergeholt, oder?«, verfiel Mr. Green immer weiter der Panik. Als ich mich zu ihm umdrehte, hielt er die Waffe auf mich gerichtet. Wolkow donnerte auf einmal wieder irgendetwas Russisches durch den Raum und zeigte warnend auf Mr. Green. Mrs. Iwanowna drehte sich prompt um und antwortete etwas auf Russisch. Auf einmal löste sich eine hitzige Diskussion zwischen den beiden los, die ich nicht auch nur ansatzweise verstand. »Was geht hier vor sich«, murmelte ich vor mir her, während Mr. Green noch immer eine Waffe auf mich richtete. »Verschwinden Sie jetzt. Und sagen Sie ihren Kollegen, dass Sie sich raushalten sollen!«, sagte der alte Mann hastig und schluckte mehrmals nervöse Klumpen runter. Sein Lauf zitterte noch mehr als meiner. »Raushalten? Mrs. Iwanowna hat uns doch beauftragt, ihre Verfolger ausfindig zu machen!« Es war sonst nicht meine Art geheime Auftragsdaten einfach so weiterzugeben, aber… was zur Hölle war hier los? Draußen ertönten Sirenen und Motoren. Sie waren schon da. Ich spähte auf die Uhr. Eine halbe Stunde zu früh. Wieso…? »Sie werden gleich hier sein«, hauchte ich und ging das Zimmer mit den Augen entlang. Würden sie mich hier unversehrt zwischen all den Verdächtigen sehen, war klar, für was sie mich halten würde. Also zückte ich erneut meine Waffe und richtete sie auf Wolkow. »Geben Sie mir Irina Iwanowna und das ganze hier wird glimpflich ausgehen!«, forderte ich und ging einige Schritte auf ihn zu. Doch er drehte sich nicht einmal mehr zu mir, sondern behielt den Blick auf Mrs. Iwanowna, die ihm eine … Standpauke hielt? »Заткнись!«, rief er dazwischen und griff erneut zu seiner Waffe. » Прости?«, fragte Mrs. Iwanowna empört, doch Wolkow schüttelte sofort den Kopf und winkte ab. Er ging etwas nervös auf und ab, spähte noch einmal durch das Fenster, dann zu Mrs. Iwanowna und mir. »Wussten Sie etwa davon?«, fragte Mr. Green zittrig und ließ seine Waffe um einige Zentimeter sinken. »Wussten Sie, dass Sie kommen? Wieso sind wir dann noch hier?« »Weil er sein neues Haustier noch einmal sehen wollte«, rief Mrs. Iwanowna angewidert und gestikulierte zu mir. »Er setzt die ganze Mission aufs Spiel wegen ihm!« Ihr Akzent kam mir so bekannt vor. Sie sprach fast wie – »Alexej Wolkow, Sie sind umstellt. Kommen Sie mit erhobenen Händen raus und wir werden nicht schießen. Sollten noch weitere Personen im Haus sein, werden diese gebeten, ebenfalls mit erhobenen Händen rauszukommen!«, kam die Lautsprecherdurchsage von draußen. Panik machte sich im Nu breit. Auf einmal stürmten noch zwei Männer in den Raum, die offensichtlich vom oberen Stockwerk auf uns zukamen. Sie sprachen laut und hektisch auf Russisch, Wolkow antwortete in Russisch, Irina Iwanowna antwortete in Russisch und nur ich stand daneben und wusste nicht mehr, ob ich schießen, rennen oder einfach mitschreien sollte. Ein Mann zeigte auf mich und sprach aufgeregt in Wolkows Richtung. Der kam auf mich zu, drückte meine Waffe erneut zu Boden, obwohl sie auf niemanden mehr gerichtet war. Dieses Mal schoss ich nicht, sondern ließ ihn einfach machen. Er war offensichtlich nicht in der Stimmung, mich umzubringen. Niemand hier war das. Die Durchsage kam erneut. In weniger als zwei Minuten würden sie das Haus stürmen. »Sie werden gleich hier sein«, sprudelte es aus mir heraus. Ich hatte keine Ahnung, wieso ich das gesagt hatte. Das waren meine Feinde, richtig? Sie hielten Irina Iwanowna gefangen, richtig? Und Wolkow… Wolkow war… Die Männer griffen ein paar Taschen, die am anderen Ende des Wohnzimmers standen. Sie sagten irgendetwas auf Russisch zu Mr. Green, der sofort nickte und ihnen den Weg zum Flur zeigte. Mrs. Iwanowna zischte uns irgendetwas zu, schnappte sich dann auch eine Tasche und verließ das Wohnzimmer. Wolkow griff ebenfalls nach einer Tasche und zog sich seinen schweren Mantel an. Das Fell wedelte ihm dabei im Gesicht. Die zerzausten, längeren Haare fielen dabei nach vorne. Er wollte schon den anderen Folgen, als er sich noch einmal zu mir umdrehte und mir tief in die Augen sah. Sein Blick allein machte mir Angst. Die blauen Augen starrten mich an, als wäre er ein Psychopath. »Пойдем со мной«, sagte er sanfter, als zuvor, aber noch immer extrem angespannt. Mein Herz schlug gegen meine Brust. Die Türen sprangen auf. Bewaffnete Männer stürmten rein. Ich konnte meine Augen nicht von ihm nehmen. Was auch immer er gesagt hatte, es – Die ersten Schüsse fielen. Wolkow brach den Augenkontakt. Er hechtete in den Flur, schoss auf unsere Leute. Sie gingen sofort zu Boden. Alles Kopfschüsse. Meine Beine bewegten sich nicht. Sie waren festgewachsen mit dem Boden unter mir. Um mich herum brach Chaos aus und ich wusste nicht wohin. Ich beobachtete, wie alle in den Keller sprinteten, also tat ich es ihnen gleich. Auf dem Weg zur Treppe hin, sah ich Mr. Green, wie er von einem meiner Kollegen festgehalten wurde. Er zappelte, wehrte sich und schrie. »Alexej! Alexej!«, rief er immer wieder. Wolkow war schon halb auf der Treppe, da drehte er sich um und schoss dem Mann hinter ihm in den Kopf, sodass Mr. Green sich befreien konnte. Seine Treffgenauigkeit war beängstigend. »Er kommt nicht mit!«, schrie Mrs. Iwanowna und zeigte auf mich, als ich im Kellerbereich angekommen war. »Mrs. Iwanowna – wieso haben Sie uns…, wenn Sie doch gar nicht –«, versuchte ich eine Erklärung für alles zu finden, denn die gute Frau sah nicht so aus, als würde man sie zwingen irgendwohin zu gehen. Ganz im Gegenteil. Die Einsatzkräfte kamen die Treppe runter. Wolkow erledigte einen nach dem anderen. Die zwei anderen Männer griffen nach Mrs. Iwanowna und zogen sie in einen Kellerraum. Dort verschwanden sie tatsächlich in einer Wand. Ein Tunnel. Vielmehr ein wirklich gut ausgebauter Notausgang. Wohin auch immer der führen würde. Mr. Green kam auf mich zu. Er warf mir einen verängstigten Blick zu. »Wieso haben Sie das getan? Wir versuchen sie doch nur zu beschützen!«, jammerte er und packte nach meinem Kragen. Wolkow schrie ihm irgendetwas zu, was ich erneut nicht verstand. Sekunden wurden zu Minuten. Alles um mich herum war Chaos. Schüsse fielen. Wolkow tötete unsere Männer. Unsere Männer töteten sie. Mr. Green ging auf einmal zu Boden. Ein Scharfschütze hatte ihn von außen getroffen. Er lag auf dem Boden und hatte durch ein Kellerfenster geschossen. Leblos ging sein Körper zu Boden. Ich stand einfach nur da und beobachtete, wie er fiel. Meine Augen fingen an zu wässern. Das war nicht der richtige Zeitpunkt, um zu weinen, richtig? Ich war hergekommen, um Antworten zu finden. Doch was habe ich bekommen? Wolkow kam mit schnellen Schritten auf mich zu. Er packte meinen Oberarm und zerrte mich in den Raum, wo alle in der Wand verschwunden waren. »Nein!«, rief ich und leistete Widerstand. »Ich komme nicht mit! Ich werde nicht Ihre Geisel sein!« Wolkow blieb abrupt stehen, packte aggressiv nach meinem Hals und drückte zu. Ich dachte für einen Moment, dass er mich nun doch umbringen würde. Mir mein Genick brechen würde, sodass ich nie jemandem erzählen könnte, was hier eigentlich vorgefallen war. Stattdessen zog er mich zu sich und presste mir einen festen, unkoordinierten Kuss auf die Lippen. Ehe ich reagieren konnte, wurde erneut geschossen. Wolkow wurde getroffen. Wo genau konnte ich gar nicht ausmachen. Er keuchte in den Kuss hinein, beugte sich etwas zu mir vor und verlor fast den Halt. Instinktiv griff ich nach ihm und versuchte nicht mit ihm umzufallen. Er drehte sich um und schoss dem Schützen in die Brust. Für einen Kopfschuss wankte er zu viel. Mit letzter Kraft drückte er mich von sich und rannte zum versteckten Tunnel. Ein letzter verzweifelter Blick durchbohrte mich, als er schließlich verschwand. Die Einsatzkräfte stürmten schlussendlich das komplette Haus. Bewaffnete Männer folgten dem Tunnel. Ich brach zusammen. Danach wurde einfach alles schwarz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)